Leonardo Aramesco

Tenor (1898-1946)

Birgit Bernard (Heidelberg)

Künstlerpostkarte von Leonardo Aramesco. (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln)

„Zwei­ter Ri­chard Tau­ber“ wur­de er ge­nannt oder „Funk-Ca­ru­so“. Der Te­nor Leo­nar­do Ara­mes­co be­gann sei­ne Kar­rie­re an den gro­ßen Opern­büh­nen in Wien und Ber­lin, ehe er 1926 ein En­ga­ge­ment beim West­deut­schen Rund­funk AG (WER­AG), dem heu­ti­gen West­deut­schen Rund­funk, in Köln er­hielt. Als Ju­de wur­de er 1933 von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ent­las­sen. Er starb 1946 in der Emi­gra­ti­on in den USA.

Über die Her­kunft von Leo­nar­do Ara­mes­co ist nur we­nig be­kannt. Ge­bo­ren wur­de er am 27.1.1898 als Sohn ei­nes jü­di­schen Kauf­manns in Te­mes­war (Te­mi­soa­ra/Ru­mä­ni­en). Zum Zeit­punkt sei­ner Ge­burt ge­hör­te der im Drei­län­der­eck Ru­mä­ni­en – Ser­bi­en – Un­garn ge­le­ge­ne Ort zur Ös­ter­rei­chisch-Un­ga­ri­schen Dop­pel­mon­ar­chie. In Wien nahm Ara­mes­co Ge­sangs­un­ter­richt bei Ot­to Iro (1890-1971) und Kä­the Nae­ther-Os­ten. Sei­ne Kar­rie­re be­gann mit ei­nem En­ga­ge­ment an der Staats­oper in Wien in den Spiel­zei­ten 1920-1923. Wäh­rend die­ser Zeit mach­te er sich be­reits ei­nen Na­men als Lied­sän­ger. Be­legt sind in die­sem Kon­text zwei Auf­trit­te im Wie­ner Kon­zert­haus.

Zur Spiel­zeit 1923/24 wech­sel­te Ara­mes­co an die Staats­oper Ber­lin, es folg­ten En­ga­ge­ments an den Stadt­thea­tern Er­furt (1924/25) und Bie­le­feld (1925/26).

Am 1.12.1926 wech­sel­te Ara­mes­co mit ei­ner Fest­an­stel­lung an die WER­AG, den heu­ti­gen West­deut­schen Rund­funk, nach Köln.

 

Als 1. Te­nor war Ara­mes­co Teil ei­nes klei­nen bei der WER­AG tä­ti­gen Opern­en­sem­bles, das dem Sen­der Un­ab­hän­gig­keit von den Spiel­plä­nen der re­gio­na­len Büh­nen er­öff­ne­te. Der Grund für sei­nen Wech­sel von der Opern­büh­ne zum Rund­funk ist nicht ganz er­sicht­lich, mög­li­cher­wei­se wa­ren es sei­ne eher li­mi­tier­ten dar­stel­le­ri­schen Fä­hig­kei­ten, die ihn zu die­sem Schritt be­wo­gen und die im neu­en Me­di­um Ra­dio nicht von Be­deu­tung wa­ren.

Bei der WER­AG wirk­te er in Opern­pro­duk­tio­nen mit, wur­de aber auch bei „Bun­ten Aben­den“ ein­ge­setzt, die die Köl­ner Zen­tra­le in Städ­ten des west­deut­schen Sen­de­ge­bie­tes gab. Ara­mes­cos Stim­me war nicht „gro­ß“, aber wand­lungs­fä­hig, er bril­lier­te eher im Stimm­fach ei­nes ly­ri­schen Te­nors.

Sei­ne häu­fi­ge Prä­senz im Ra­dio trug ihm ei­ne gro­ße Po­pu­la­ri­tät ein und in An­leh­nung an den le­gen­dä­ren Te­nor En­ri­co Ca­ru­so (1873-1921) die Be­zeich­nung „Funk­ca­ru­so“. Ab­ge­se­hen von sei­nem En­ga­ge­ment bei der WER­AG trat Ara­mes­co auch bei den Rund­funk­sen­de­ge­sell­schaf­ten in Frank­furt/Main, Stutt­gart, Mün­chen, Prag und Wien so­wie an der Oper in Es­sen auf.

Zu Ara­mes­cos Pa­ra­de­rol­len ge­hör­ten der Ro­dol­fo aus der Oper „La Bohè­me“ so­wie der Ca­va­ra­dos­si aus „To­s­ca“ von Gi­a­co­mo Puc­ci­ni (1858-1924), der Don Ot­ta­vio in „Don Gio­van­ni“ so­wie der Ta­mi­no in „Die Zau­ber­flö­te“ von Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart (1756-1791), Don Jo­sé in „Car­men“ von Ge­or­ges Bi­zet (1838-1875), Graf Al­ma­vi­va in „Der Bar­bier von Se­vil­la“ von Gioa­chi­no Ros­si­ni (1792-1868), der Ric­car­do in „Ein Mas­ken­bal­l“ von Giu­sep­pe Ver­di (1813-1901) be­zie­hungs­wei­se Lo­hen­grin in der gleich­na­mi­gen Oper von Ri­chard Wag­ner (1813-1883). Von sei­nem Er­folg als Lied­sän­ger zeu­gen zahl­rei­che, auch heu­te noch on­line ver­füg­ba­re In­dus­triet­on­trä­ger.

Die Künst­le­rin Ma­ria Paf­fen­holz (1923-2011), Toch­ter des Ma­lers und WER­AG-Gra­fi­kers Pe­ter Jo­sef Paf­fen­holz (1900-1959), in de­ren El­tern­haus Ara­mes­co ver­kehr­te, er­in­nert sich, Ara­mes­co ha­be in sei­ner ei­ge­nen Welt ge­lebt. Er war un­ter dem selbst ge­wähl­ten Na­men „Fun­ca­ru­so“ nicht nur Mit­glied in der Män­ner­ver­ei­ni­gung „Schla­raf­fi­a“, die sich der Kunst und dem Hu­mor wid­me­te, son­dern sym­pa­thi­sier­te auch mit dem Kom­mu­nis­mus. Selbst ha­be er ei­nen lu­xu­riö­sen, ex­zen­tri­schen Le­bens­stil ge­pflegt, aus So­li­da­ri­tät mit den hun­gern­den Pro­le­ta­ri­ern je­doch auch hin und wie­der ei­nen „Hun­ger­ta­g“ ein­ge­legt. Der Star­te­nor ha­be ih­rer Mut­ter nicht nur ga­lant die Hand ge­küsst, son­dern auch ge­le­gent­lich Ro­sen mit­ge­bracht – ein un­ge­ahn­ter Lu­xus für die in be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen le­ben­den El­tern. Nicht sel­ten ha­be er auch Ele­vin­nen zu den Paf­fen­holz‘ mit­ge­bracht, die hier mit Erb­sen­sup­pe ver­kös­tigt wur­den. Un­ver­gess­lich war Ma­ria Paf­fen­holz auch, dass die Fa­ma ging, Ara­mes­co ha­be zwei Zahn­bürs­ten ge­habt, „Ei­ne für die obe­re Rei­he und ei­ne für die un­te­re Rei­he.“

Bei den Paf­fen­holz‘ lern­te Ara­mes­co mög­li­cher­wei­se den Köl­ner Fo­to­gra­fen Au­gust San­der ken­nen, der eben­falls zum Freun­des­kreis des Ehe­paa­res zähl­te. Mit der be­rühm­ten Por­trait­fo­to­gra­fie „Der Te­n­or“, die Auf­nah­me in San­ders Map­pen­werk „Men­schen des 20. Jahr­hun­derts“ fand, hat San­der ihm ein fo­to­gra­fi­sches Denk­mal ge­setzt.

Der Wer­be­film „Ein Tag im Funk­haus“, den die WER­AG 1928 zur Prä­sen­ta­ti­on auf der Köl­ner Pres­se­aus­stel­lung „Pres­sa“ dre­hen ließ, zeigt Ara­mes­co bei der Ar­beit im Hör­funk­stu­dio.

Am 31.3.1933 er­hielt Ara­mes­co auf­grund sei­ner jü­di­schen Her­kunft durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die Kün­di­gung beim West­deut­schen Rund­funk. Es war die ers­te Wel­le der per­so­nal­po­li­ti­schen „Säu­be­run­g“ des von den Köl­ner Na­tio­nal­so­zia­lis­ten als „ver­ju­de­t“ und „kul­tur­bol­sche­wis­ti­sch“ be­kämpf­ten West­deut­schen Rund­funks. 

Die fol­gen­den Jah­re im Le­ben Ara­mes­cos sind nur schwer zu re­kon­stru­ie­ren. Im Ju­ni 1933 hielt er sich of­fen­bar noch in Köln auf. Je­den­falls be­rich­te­te der beim West­deut­schen Rund­funk ent­las­se­ne In­ten­dan­t Ernst Hardt ei­nem Kol­le­gen von ei­nem an­ony­men An­ruf, der ihn vor der SS ge­warnt ha­be; sei­ne Ver­haf­tung ste­he un­mit­tel­bar be­vor. In dem an­ony­men An­ru­fer, der ein dies­be­züg­li­ches Ge­spräch in ei­nem Köl­ner Ca­fé auf­ge­schnappt hat­te, glaub­te Hardt die Stim­me Ara­mes­cos er­kannt zu ha­ben.

Am 29.5.1934 ist ein Gast­auf­tritt bei der RA­VAG in Wien, der ös­ter­rei­chi­schen Rund­funk­sen­de­ge­sell­schaft, in „Der wi­der­spens­ti­gen Zäh­mun­g“ von Her­mann Goetz (1840-1876) mit den Wie­ner Phil­har­mo­ni­kern und dem Wie­ner Staats­opern­chor be­legt, 1935-1936 sind es Auf­trit­te in Ös­ter­reich und der Schweiz, un­ter an­de­rem am Thea­ter in Lu­zern. Im Som­mer 1937 trat er bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len auf. Zur Spiel­zeit 1937/38 er­hielt Ara­mes­co ein En­ga­ge­ment am Neu­en Stadt­thea­ter Te­plitz-Schö­nau (Tsche­cho­slo­wa­kei). Hier de­bü­tier­te er in der Ope­ret­te „Das Spit­zen­tuch der Kö­ni­gin“ von Jo­hann Strauß (1825-1899).

Im Som­mer 1938 floh er vor der dro­hen­den An­ne­xi­on des Su­de­ten­lan­des in die Nie­der­lan­de, wo er un­ter an­de­rem in Ams­ter­dam als Mu­sik­päd­ago­ge ar­bei­te­te und Gast­spie­le gab, so auch in Free­port in den USA.

Zu ei­nem nicht ge­nau be­kann­ten Zeit­punkt, spä­tes­tens aber vor dem Ein­marsch der Wehr­macht in den Nie­der­lan­den im Mai 1940, emi­grier­te Ara­mes­co in die USA und ließ sich An­ga­ben ei­ner Volks­zäh­lung aus die­sem Jahr zu­fol­ge in Chi­ca­go nie­der.

Am 1.12.1946 er­lag er wäh­rend ei­ner Tour­nee durch die USA in New York ei­nem Herz­in­farkt.

Vor dem Haus Wei­ßhaus­stra­ße 25 in Köln-Sülz er­in­nert heu­te ein Stol­per­stein an sei­nen frü­he­ren Be­woh­ner Leo­nar­do Ara­mes­co.

Literatur

Ber­nard, Bir­git, „Den Men­schen im­mer mehr zum Men­schen ma­chen“. Ernst Hardt (1876-1947), Es­sen 2015.

Ber­nard, Bir­git, „ ...und wie das Ge­socks al­les hei­ßt“. Der West­deut­sche Be­ob­ach­ter und die Kri­tik am Mu­sik­pro­gramm des West­deut­schen Rund­funks (1930-1933), in: Zahn, Ro­bert von (Hg.), Me­di­en und Mu­sik­jour­na­lis­tik in Köln um 1933. Drei Schlag­lich­ter auf ei­ne Usur­pa­ti­on, Ber­lin 2005, S. 7-61.

Ber­nard, Bir­git, Au­gust San­der und der Rund­funk, in: Zeit­ge­nos­sen. Au­gust San­der und die Kunst­sze­ne der 20er Jah­re im Rhein­land, Göt­tin­gen 2000, S. 202-209.

Kutsch, Karl-Jo­sef/Rie­mens, Leo, Gro­ßes Sän­ger­le­xi­kon. Band 1, 3. Auf­la­ge, Mün­chen 1997, S. 134.

Mohl, Re­na­te, Der Auf­bruch. Der West­deut­sche Rund­funk in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, in: Wit­ting-Nö­then, Pe­tra (Hg.), Am Puls der Zeit. 50 Jah­re WDR, Band 1: Die Vor­läu­fer 1924-1955, Köln 2006, S. 27-85.

Prie­berg, Fred K., Mu­sik im NS-Staat, Köln 2000. 

Leo Eysoldt (am Flügel) mit Mitgliedern des Opernensembles der WERAG 1928 vl.n.r.: Wilhelm Strienz, Fritz Neumann, Heinz Holwe, Leonardo Aramesco. (WDR/Böhm-Film)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Bernard, Birgit, Leonardo Aramesco, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leonardo-aramesco/DE-2086/lido/654a1044ae07a4.46012714 (abgerufen am 09.11.2024)