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„Zweiter Richard Tauber“ wurde er genannt oder „Funk-Caruso“. Der Tenor Leonardo Aramesco begann seine Karriere an den großen Opernbühnen in Wien und Berlin, ehe er 1926 ein Engagement beim Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG), dem heutigen Westdeutschen Rundfunk, in Köln erhielt. Als Jude wurde er 1933 von den Nationalsozialisten entlassen. Er starb 1946 in der Emigration in den USA.
Über die Herkunft von Leonardo Aramesco ist nur wenig bekannt. Geboren wurde er am 27.1.1898 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Temeswar (Temisoara/Rumänien). Zum Zeitpunkt seiner Geburt gehörte der im Dreiländereck Rumänien – Serbien – Ungarn gelegene Ort zur Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie. In Wien nahm Aramesco Gesangsunterricht bei Otto Iro (1890-1971) und Käthe Naether-Osten. Seine Karriere begann mit einem Engagement an der Staatsoper in Wien in den Spielzeiten 1920-1923. Während dieser Zeit machte er sich bereits einen Namen als Liedsänger. Belegt sind in diesem Kontext zwei Auftritte im Wiener Konzerthaus.
Zur Spielzeit 1923/24 wechselte Aramesco an die Staatsoper Berlin, es folgten Engagements an den Stadttheatern Erfurt (1924/25) und Bielefeld (1925/26).
Am 1.12.1926 wechselte Aramesco mit einer Festanstellung an die WERAG, den heutigen Westdeutschen Rundfunk, nach Köln.
Als 1. Tenor war Aramesco Teil eines kleinen bei der WERAG tätigen Opernensembles, das dem Sender Unabhängigkeit von den Spielplänen der regionalen Bühnen eröffnete. Der Grund für seinen Wechsel von der Opernbühne zum Rundfunk ist nicht ganz ersichtlich, möglicherweise waren es seine eher limitierten darstellerischen Fähigkeiten, die ihn zu diesem Schritt bewogen und die im neuen Medium Radio nicht von Bedeutung waren.
Bei der WERAG wirkte er in Opernproduktionen mit, wurde aber auch bei „Bunten Abenden“ eingesetzt, die die Kölner Zentrale in Städten des westdeutschen Sendegebietes gab. Aramescos Stimme war nicht „groß“, aber wandlungsfähig, er brillierte eher im Stimmfach eines lyrischen Tenors.
Seine häufige Präsenz im Radio trug ihm eine große Popularität ein und in Anlehnung an den legendären Tenor Enrico Caruso (1873-1921) die Bezeichnung „Funkcaruso“. Abgesehen von seinem Engagement bei der WERAG trat Aramesco auch bei den Rundfunksendegesellschaften in Frankfurt/Main, Stuttgart, München, Prag und Wien sowie an der Oper in Essen auf.
Zu Aramescos Paraderollen gehörten der Rodolfo aus der Oper „La Bohème“ sowie der Cavaradossi aus „Tosca“ von Giacomo Puccini (1858-1924), der Don Ottavio in „Don Giovanni“ sowie der Tamino in „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Don José in „Carmen“ von Georges Bizet (1838-1875), Graf Almaviva in „Der Barbier von Sevilla“ von Gioachino Rossini (1792-1868), der Riccardo in „Ein Maskenball“ von Giuseppe Verdi (1813-1901) beziehungsweise Lohengrin in der gleichnamigen Oper von Richard Wagner (1813-1883). Von seinem Erfolg als Liedsänger zeugen zahlreiche, auch heute noch online verfügbare Industrietonträger.
Die Künstlerin Maria Paffenholz (1923-2011), Tochter des Malers und WERAG-Grafikers Peter Josef Paffenholz (1900-1959), in deren Elternhaus Aramesco verkehrte, erinnert sich, Aramesco habe in seiner eigenen Welt gelebt. Er war unter dem selbst gewählten Namen „Funcaruso“ nicht nur Mitglied in der Männervereinigung „Schlaraffia“, die sich der Kunst und dem Humor widmete, sondern sympathisierte auch mit dem Kommunismus. Selbst habe er einen luxuriösen, exzentrischen Lebensstil gepflegt, aus Solidarität mit den hungernden Proletariern jedoch auch hin und wieder einen „Hungertag“ eingelegt. Der Startenor habe ihrer Mutter nicht nur galant die Hand geküsst, sondern auch gelegentlich Rosen mitgebracht – ein ungeahnter Luxus für die in bescheidenen Verhältnissen lebenden Eltern. Nicht selten habe er auch Elevinnen zu den Paffenholz‘ mitgebracht, die hier mit Erbsensuppe verköstigt wurden. Unvergesslich war Maria Paffenholz auch, dass die Fama ging, Aramesco habe zwei Zahnbürsten gehabt, „Eine für die obere Reihe und eine für die untere Reihe.“
Bei den Paffenholz‘ lernte Aramesco möglicherweise den Kölner Fotografen August Sander kennen, der ebenfalls zum Freundeskreis des Ehepaares zählte. Mit der berühmten Portraitfotografie „Der Tenor“, die Aufnahme in Sanders Mappenwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ fand, hat Sander ihm ein fotografisches Denkmal gesetzt.
Der Werbefilm „Ein Tag im Funkhaus“, den die WERAG 1928 zur Präsentation auf der Kölner Presseausstellung „Pressa“ drehen ließ, zeigt Aramesco bei der Arbeit im Hörfunkstudio.
Am 31.3.1933 erhielt Aramesco aufgrund seiner jüdischen Herkunft durch die Nationalsozialisten die Kündigung beim Westdeutschen Rundfunk. Es war die erste Welle der personalpolitischen „Säuberung“ des von den Kölner Nationalsozialisten als „verjudet“ und „kulturbolschewistisch“ bekämpften Westdeutschen Rundfunks.
Die folgenden Jahre im Leben Aramescos sind nur schwer zu rekonstruieren. Im Juni 1933 hielt er sich offenbar noch in Köln auf. Jedenfalls berichtete der beim Westdeutschen Rundfunk entlassene Intendant Ernst Hardt einem Kollegen von einem anonymen Anruf, der ihn vor der SS gewarnt habe; seine Verhaftung stehe unmittelbar bevor. In dem anonymen Anrufer, der ein diesbezügliches Gespräch in einem Kölner Café aufgeschnappt hatte, glaubte Hardt die Stimme Aramescos erkannt zu haben.
Am 29.5.1934 ist ein Gastauftritt bei der RAVAG in Wien, der österreichischen Rundfunksendegesellschaft, in „Der widerspenstigen Zähmung“ von Hermann Goetz (1840-1876) mit den Wiener Philharmonikern und dem Wiener Staatsopernchor belegt, 1935-1936 sind es Auftritte in Österreich und der Schweiz, unter anderem am Theater in Luzern. Im Sommer 1937 trat er bei den Salzburger Festspielen auf. Zur Spielzeit 1937/38 erhielt Aramesco ein Engagement am Neuen Stadttheater Teplitz-Schönau (Tschechoslowakei). Hier debütierte er in der Operette „Das Spitzentuch der Königin“ von Johann Strauß (1825-1899).
Im Sommer 1938 floh er vor der drohenden Annexion des Sudetenlandes in die Niederlande, wo er unter anderem in Amsterdam als Musikpädagoge arbeitete und Gastspiele gab, so auch in Freeport in den USA.
Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt, spätestens aber vor dem Einmarsch der Wehrmacht in den Niederlanden im Mai 1940, emigrierte Aramesco in die USA und ließ sich Angaben einer Volkszählung aus diesem Jahr zufolge in Chicago nieder.
Am 1.12.1946 erlag er während einer Tournee durch die USA in New York einem Herzinfarkt.
Vor dem Haus Weißhausstraße 25 in Köln-Sülz erinnert heute ein Stolperstein an seinen früheren Bewohner Leonardo Aramesco.
Literatur
Bernard, Birgit, „Den Menschen immer mehr zum Menschen machen“. Ernst Hardt (1876-1947), Essen 2015.
Bernard, Birgit, „ ...und wie das Gesocks alles heißt“. Der Westdeutsche Beobachter und die Kritik am Musikprogramm des Westdeutschen Rundfunks (1930-1933), in: Zahn, Robert von (Hg.), Medien und Musikjournalistik in Köln um 1933. Drei Schlaglichter auf eine Usurpation, Berlin 2005, S. 7-61.
Bernard, Birgit, August Sander und der Rundfunk, in: Zeitgenossen. August Sander und die Kunstszene der 20er Jahre im Rheinland, Göttingen 2000, S. 202-209.
Kutsch, Karl-Josef/Riemens, Leo, Großes Sängerlexikon. Band 1, 3. Auflage, München 1997, S. 134.
Mohl, Renate, Der Aufbruch. Der Westdeutsche Rundfunk in der Weimarer Republik, in: Witting-Nöthen, Petra (Hg.), Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, Köln 2006, S. 27-85.
Prieberg, Fred K., Musik im NS-Staat, Köln 2000.
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Bernard, Birgit, Leonardo Aramesco, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leonardo-aramesco/DE-2086/lido/654a1044ae07a4.46012714 (abgerufen am 09.11.2024)