Der Westdeutsche Rundfunk (1924-1942/1945)
Zu den Kapiteln
1. Von der Westdeutschen Funkstunde AG (WEFAG) in Münster 1924-1925 zur Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) in Köln 1926-1933
Die Geburtsstunde des Westdeutschen Rundfunks schlug 1924 nicht in Köln, sondern in Münster in Westfalen. Hier eröffnete die Westdeutsche Funkstunde AG (WEFAG) am 10.10.1924 offiziell ihren Programmbetrieb. Sie war die letzte der regionalen Rundfunksendegesellschaften, die 1923/1924 im Deutschen Reich mit Rundfunkübertragungen begonnen hatten.
Der Grund für die Wahl des Standortes eines Senders für das Rheinland und Westfalen war in den politischen Rahmenbedingungen zu suchen: In den nach dem Ersten Weltkrieg von den Alliierten besetzten Gebieten des Rheinlandes (und auch des Ruhrgebietes) galt die Verordnung 71 der Interalliierten Rheinlandkommission. Sie verbot aus Angst vor einer möglichen Instrumentalisierung des neuen Mediums zu antialliierter Propaganda den Betrieb von Rundfunksendern wie auch den Besitz von Rundfunkgeräten.
Die regionalen Sendegesellschaften in der Weimarer Republik waren größtenteils als Aktiengesellschaften konstruiert. Anteile an ihnen hielten sowohl Privataktionäre mit maximal 49 Prozent der Geschäftsanteile als auch staatliche Treuhänder mit je 17 Prozent und in der Summe 51 Prozent. Im Januar 1933 wurden die Sendegesellschaften in Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt (GmbH). Privataktionäre waren bereits 1932 aus dem System verdrängt worden. Von nun an hielt die 1925 als Dachorganisation gegründete Reichs-Rundfunk-Gesellschaft mbH (RRG mit Mehrheitsbeteiligung der Reichspost) 49 Prozent der Anteile an den Regionalsendern, die jeweiligen Länder 51 Prozent (für den Westdeutschen Rundfunk also das Land Preußen) der Geschäftsanteile. Zwei WEFAG-Filialen wurden am 18. und 19.9.1925 mit eigenen Rundfunksendern in Dortmund und in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) eröffnet. Alles in allem blieb der Betrieb der WEFAG mit einem zuletzt 35-köpfigen Personal jedoch bescheiden.
Mit der Räumung der britischen Besatzungszone zu Anfang des Jahres 1926 war der Weg geebnet für die Verlegung des Geschäftssitzes in den Ballungsraum Rhein-Ruhr mit den dort zu erwartenden steigenden Zahlen an Teilnehmern - und damit auch an Gebührenzahlern, worauf insbesondere die Reichspost als Inhaberin des „Funkregals“ spekulierte, die den Sendebetrieb der Sendegesellschaften konzessionierte. Die Stadt Köln machte in diesem, niemals zweifelsfrei aufgeklärten Prozess, das Rennen.
Im Herbst 1926 wurde der Geschäftssitz nach Köln verlegt, im Jahre 1927 bezog die in „Westdeutsche Rundfunk AG Köln“ umbenannte Sendegesellschaft ihr Funkhaus in der Dagobertstraße 38. Angesichts der rasch steigenden Hörer- und damit auch Mitarbeiterzahl erwies sich das Funkhaus schon bald als zu klein. Überlegungen zu einem Neubau im äußeren Grüngürtel Kölns gingen bis in die frühen 1930er Jahre zurück, realisiert wurde ein Funkhausneubau jedoch erst in den Jahren 1948-1952 am Wallrafplatz in Köln. Das Funkhaus Dagobertstraße wurde in den 1970er Jahren abgerissen, an seiner Stelle befindet sich heute die Musikhochschule Köln.
"Künstlerischer Leiter“, das heißt Intendant, wurde der 1876 geborene Schriftsteller und ehemalige Intendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar und des Kölner Schauspielhauses, Ernst Hardt. Die Berufung Hardts, die durch Intervention des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer zustande kam, erwies sich als außerordentlicher Glücksgriff, denn Hardt verschaffte dem Westdeutschen Rundfunk nicht nur internationale Reputation in Bezug auf das Programm, sondern er vollzog den Medienwechsel von der Theater- zur Hörspielinszenierung nahtlos und entwickelte sich rasch zu einem der bedeutendsten deutschen Hörspielregisseure.
Das Programm der WERAG wurde offiziell am 15.1.1927 eröffnet und über den 1927 in Betrieb genommen leistungsstarken Mittelwellensender Langenberg ausgestrahlt. Dieser war seinerzeit der stärkste Rundfunksender Europas und konnte teilweise sogar in Indonesien, den USA und Australien empfangen werden.
Das Programm der WERAG wurde offiziell am 15.1.1927 eröffnet und über den 1927 in Betrieb genommen leistungsstarken Mittelwellensender Langenberg ausgestrahlt. Dieser war seinerzeit der stärkste Rundfunksender Europas und konnte teilweise sogar in Indonesien, den USA und Australien empfangen werden.Die Statistik zeigt die bis 1939 rasant steigenden Teilnehmerzahlen (aufgerundet): 1924: 14.000 1926: 125.000 1928: 644.000 1931: 807.00 1937: 1,4 Millionen 1939: knapp 1,9 Millionen. Dabei handelte es sich um Haushalte, in denen ein Rundfunkgerät angemeldet war, das heißt die Zahl der Haushalte muss mit dem Faktor 3-4 multipliziert werden, um die schätzungsweise Gesamtzahl der Hörerinnen und Hörer zu ermitteln. Köln war damit sowohl in der Weimarer Republik als auch im „Dritten Reich“ der zweitgrößte Sender des Reiches – allerdings mit dem flächenmäßig kleinsten Sendegebiet.
Der Befund verdeutlicht zudem zweierlei: Das neue Medium Rundfunk entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Massenmedium, und die Rundfunkbranche erwies sich als resistent gegenüber der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Von diesem Trend profitierte nicht nur die wachsende Zahl der festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch eine stetig größer werdende Zahl an „Freien“ in den Bereichen Musik und Vortragswesen. 1927 waren es knapp 3.900 Personen, 1931 bereits 13.600. Sie wurden – wie auch heute - punktuell als Referenten, Solisten oder sonstige Mitwirkende im Programm eingesetzt, wie zum Beispiel bei Dichterlesungen, Fachvorträgen oder Musiksendungen. Am meisten profitierten von diesem Trend Musikerinnen und Musiker. Zudem entstanden in dem neuen Medium auch neue Berufe wie der des Tonmeisters, des „Schallplattenbeauftragten“, das heißt des Discjockeys, sowie des „Geräuschemachers“, der für die akustische Kulisse in Hör- und Sendespielen sorgte und Geräusche jedweder Art produzierte und/oder archivierte.
Im Zuge des Zentralisierungsprozesses der WERAG in Köln wurden die WEFAG-Sendestelle in Elberfeld am 31.10.1929 und die Studios in Düsseldorf am 1.4.1930 und in Dortmund am 30.6.1930 geschlossen. Lediglich das Studio Münster blieb bestehen.
Der Organisationsaufbau der WERAG unter Ernst Hardt begann 1926 mit dem Aufbau eines 56-köpfigen Großen Sinfonieorchesters unter Wilhelm Buschkötter (1887-1967), den Hardt als Dirigenten von der Berliner Funkstunde abgeworben hatte. Hinzu kamen ein Kleines Orchester unter Bernhard Zimmermann (1895-1968) mit 14 Musikerinnen und Musikern, ein Opernensemble unter Siegfried Anheisser (1881-1938) mit sieben Sängerinnen und Sängern sowie ein 14köpfiger Chor. Der populäre Bandleader Leo Eysoldt (1891-1967) mitsamt Tanzorchester, 1927 vom Kölner „Café Germania“ abgeworben, bürgte für erstklassige Unterhaltungsmusik, und eine Jazzband komplettierte Ende der 1920er Jahre die WERAG-eigenen Ensembles. Mit dieser Strategie gedachte sich der Intendant Ernst Hardt vom Spielplan der lokalen und regionalen Klangkörper und Theater unabhängig zu machen. Im Wortbereich verfuhr er analog dazu mit der Gründung eines eigenen Hörspielensembles mit dem Oberregisseur Rudolf Rieth (1884-1954) und sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, die abgesehen von den Hörspielen auch im Sprecherdienst eingesetzt wurden. Insgesamt standen im Jahre 1927 129 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Gehaltsliste, 1931 waren es circa 250. Das Gros war in der Musikabteilung und in der Verwaltung beschäftigt.
Bis zur Wende um 1930 hatte sich auch die Organisationsstruktur der WERAG ausdifferenziert: Abgesehen von der Verwaltung und der Technik gab es Ende der 1920er Jahre vier weitere Abteilungen: Die Musikalische Abteilung mit den Klangkörpern und der Musikredaktion, die Abteilung „Schauspiel und Dichtung“ mit Dramaturgen, Regisseuren und dem Literaturressort, das so genannte „Vortragswesen“ mit den Ressorts Schulfunk, Wirtschaft und Soziales, Frauen-, Jugend- und Kinderfunk und schließlich die Abteilung „Nachrichten/Sport“, das heißt dem „Zeitfunk“ mit dem Allgemeinen Nachrichtendienst, dem Ressort „Aktuelle Übertragungen“ und der Sendereihe „Vom Tage“.
Anfang der 1930er Jahre fächerte sich das Vortragswesen wie folgt auf: Zur Vortragsabteilung gehörten die Ressorts Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (mit dem Frauenfunk), Literatur und Geisteswissenschaften, Länder- und Völkerkunde, Schulfunk und Pädagogik (mit Kinder-, Jugend- und Lehrerfunk).
Grundlegend für das Weimarer Rundfunksystem und damit auch für die Programmorganisation in den einzelnen Sendegesellschaften waren die „Richtlinien über die Regelung des Rundfunks“ aus dem Jahre 1926. Darin einigten sich das Reich (genauer gesagt das Reichspostministerium als Trägerin der „Fernmeldehoheit“ und das Reichsinnenministerium) sowie die Länder auf die „politische Neutralität“ des Rundfunks. Erklärtes Ziel war eine „Überparteilichkeit“ des Programms. Zu diesem Zweck wurde zwei Kontrollgremien eingeführt: Zum einen der so genannte „Überwachungsausschuss“, ein Gremium, das Zensurbefugnisse hatte und dem Sendemanuskripte zur Begutachtung vor der Ausstrahlung vorgelegt werden mussten und das sich aus je zwei Länder- und einem Vertreter des Reiches zusammensetzte, und zum anderen den so genannten „Kulturbeirat“ als beratendes Gremium mit je einem Vertreter des Reiches und sechs Vertretern aus regionalen Vereinigungen (wie zum Beispiel in Köln mit einem Vertreter des Westfälischen Heimatbundes). Für die politische „Neutralität“ der Nachrichtengebung sorgte die vom Reich kontrollierte „Drahtloser Dienst Aktiengesellschaft“ (DRADAG), die die Sendegesellschaften mit den Nachrichten belieferte. Diese mussten von den Sendegesellschaften übernommen und grosso modo in dieser Form ausgestrahlt werden. Redaktionell frei bearbeitet werden durften hingegen nur Regional- oder Sportnachrichten.
Insgesamt war der überwachte Teil des Programms nach dem Befund Renate Mohls jedoch „sehr klein“ und bezog sich in erster Linie auf „sensible“ Themen wie etwa den 1. Mai oder den 9. November als Tag der Ausrufung der Republik. Die Kontrollinstanzen spiegelten die Vorbehalte der Regierung gegen eine Indienstnahme des Rundfunks zu politischer Agitation wider, machten auf der anderen Seite jedoch das System, das aufgrund der Technik für „Aktualität“ prädestiniert war, auch schwergängig. Freie Diskussion war aus diesem Grunde quasi unmöglich, doch Intendant Hardt fand einen Kniff, wie er die Vorzensur bei der Sendereihe „Gespräche über Menschentum“ umgehen konnte, indem er sich selbst zum Mitdiskutanten machte und auf diese Weise für die Einhaltung der politischen Neutralität persönlich bürgte. Wahlreden durften auch in der Weimarer Republik ausgestrahlt werden, jedoch nur solche von Vertretern der Regierungsparteien. Im Zuge der autoritären Rundfunkreform von 1932 wurde dieses System insofern modifiziert, als nun auch Vertreter der NSDAP im Rundfunk sprechen durften – die KPD blieb weiter außen vor.
Aussagen über das Programm der WEFAG/WERAG stehen unter dem methodischen Vorbehalt eines eklatanten Quellenmangels. Gründe hierfür sind zum einen „Säuberungsmaßnahmen“ der Nationalsozialisten im Jahre 1933 sowie Kriegsverluste aufgrund der Bombardierung des Funkhauses Dagobertstraße im Zweiten Weltkrieg. Dies gilt sowohl für Akten als auch für Tonträger beziehungsweise das Bildarchiv. Das Historische Archiv des WDR (ab 1.1.2017: Unternehmensarchiv) verfügt deshalb nur über Splitterbestände aus der Zeit vor 1945. Ein weiterer Grund ist der damalige Stand der Archivierungstechnik und der Praxis des Bestandsaufbaus im frühen Rundfunk. Die Sendungen aus den Anfangsjahren des Rundfunks waren im wahrsten Sinne des Wortes „flüchtig“. Sie wurden „live“ ausgestrahlt und konnten noch nicht aufgezeichnet werden. Dies änderte sich erst um 1930 mit der Einführung von – allerdings nur begrenzt haltbaren - Wachsplatten, die dann auf Schellackplatten umgeschnitten werden konnten. Unabhängig von diesen Eigenproduktionen wurden selbstverständlich Industrietonträger (Schallplatten) im Musikbereich eingesetzt. Insgesamt wurden bis in die 1950er Jahre hinein nur hochkulturelle Programmangebote, zum Beispiel Hörspiele, auch als archivierungswürdig betrachtet. Aus diesem Grund fehlen insbesondere Tonträger zur Unterhaltungskultur, die die Eigenproduktionen der Sender dokumentieren könnten (während Industrietonträger käuflich erworben wurden). Die wichtigste Quelle für eine Programmanalyse stellt deshalb – abgesehen von archivalischen Spiegelüberlieferungen in anderen Archiven – die Kölner Programmzeitschrift „Die Werag“ dar. Sie unterrichtete - abgesehen von einem bunten Potpourri über Personen oder wichtigen Ereignissen - über das aktuelle Tagesprogramm. Aus diesem Grunde können Programmstruktur, Einzelsendungen, Sendereihen, Sendeplätze, Sendedauern, Gattungen, zum Teil auch Mitwirkende und bis zu einem gewissen Grad auch Inhalte beziehungsweise das musikalische Repertoire bestimmt werden.
Eine Programmstrukturanalyse der WEFAG und WERAG ergibt folgendes Bild: In der Gründungsphase der WEFAG wurden circa dreieinhalb Stunden Programm pro Tag ausgestrahlt, im Dezember 1926 waren es bereits neun Stunden, im Sommer 1927 zehn und bis zum Winter 1931 stieg die Dauer des Gesamtprogramms auf 15 Stunden pro Tag. Es gab vormittägliche und nächtliche Sendepausen, in denen „Funkstille“ herrschte. Die vormittägliche Sendepause wurde im Zuge der Weltwirtschaftskrise von der neuen Sendereihe „Mensch und Welt“ gefüllt. Sie war ein spezielles Zielgruppenangebot für Arbeitslose. Das Programm begann um 7 Uhr morgens und endete in der Regel um 24.00 Uhr, samstags um 1.00 Uhr morgens.
Wie bei anderen Sendegesellschaften wurde auch bei WEFAG/WERAG viel im Bereich des „Zeitfunks“ bei Außenübertragungen, Reportagen und der Sportberichterstattung experimentiert. Federführend in der Sparte war Dr. Bernhard Ernst, der bereits seit dem 1.3.1925 als Sport- und Zeitfunkredakteur in Diensten der WEFAG stand. Am 12.6.1925 berichtete er für die WEFAG von einer Regatta auf dem Dortmund-Ems-Kanal. Es war die erste Außenübertragung eines Sportereignisses durch die WEFAG. Bernhard Ernst avancierte rasch zu einem der bedeutendsten Sportreporter des frühen Rundfunks. Am 1.11.1925 kommentierte er die erste Live-Übertragung eines Fußballspiels im deutschen Rundfunk, die Oberligapartie Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld. Ernst machte sich nicht nur als Kommentator bei Fußballspielen einen Namen, sondern auch durch seine Reportagen vom Nürburgring. Bei diesen Reportagen wurde bereits im Rundfunk der Weimarer Republik mit Staffelreportagen experimentiert, bei denen mehrere Reporter längs der Rennstrecke platziert wurden. Ein großer Aktionsradius war den Reportern jedoch aufgrund der Mikrofontechnik noch nicht vergönnt. Ein 1929 bei der WERAG entwickeltes Brusttragegestell für Mikrofone sorgte fortan für größere Bewegungsfreiheit. Im Jahre 1929 nahm die WERAG auch ihren ersten Ü-Wagen in Betrieb.
Zu Anfangszeiten der WEFAG wurden Nachrichten noch von Sprechern aus Tageszeitungen vorgelesen, ab 1926 kamen sie dann fünfmal täglich von der Nachrichtenagentur DRADAG. Aufgrund seiner Schnelligkeit war das neue Medium prädestiniert für “Aktualität“, das heißt zeitnahe Berichterstattung. Innerhalb des Zeitfunks galt dies zwar für den Sport, nicht jedoch für eine politische Berichterstattung, erst recht nicht für eine kritische Kommentierung oder gar investigative Recherche. Dies ließ das politische Neutralitätsgebot der Weimarer Rundfunkordnung nur in beschränktem Maße beziehungsweise überhaupt nicht zu. Unstrittig war die Übertragung politischer Großereignisse wie etwa der Rheinlandbefreiungsfeiern in Köln 1926 und in Trier 1930. Gleichwohl gab es Sendungen zu sozial- und wirtschaftlichen Themen, die allerdings vom Ressort „Wirtschaft und Soziales“ im „Vortragswesen“ redaktionell betreut wurden.
Zur Fraktion derer, die der „Aktualität“ des Mediums als sein wichtigstes Ziel betrachteten, gehörte Bernhard Ernst. Im Frühjahr 1929 hob er die Sendereihe „Irgendwo in Westdeutschland“ aus der Taufe. In der Sendereihe, die am 17.4.1929 erstmals auf dem Programm stand, wurden Reportagen aus Industriebetrieben übertragen. An Ernsts technikzentriertem Ansatz, das heißt der Abbildung der Realität durch eine Klangcollage, zum Teil auch unterlegt mit Interviews, wurde jedoch auch Kritik geübt. Gerade Hardt war der Überzeugung, dass die Reportage eines „ordnenden Geistes“ des Reporters bedürfe, das Übertragen von Geräuschen allein sei zu wenig, auch wenn es einen wesentlichen Technikfortschritt darstellte. Heikle Fragen wie zum Beispiel Lohnpolitik, Arbeitssicherheit und Arbeitszufriedenheit wurden in der Sendereihe nicht thematisiert.
Die Musikabteilung der WERAG wurde ab 1930 von dem Kapellmeister, Komponisten und Schüler von Philipp Jarnach (1892-1982), Hans Ebert (1889-1952), geleitet. Er verantwortete nicht nur populäre musikwissenschaftliche und instrumentenkundliche Sendereihen, sondern komponierte auch Hörspielmusik. Um 1929 wurde auch eine eigene Schallplattenabteilung unter dem „Discjockey“ Harry Hermann Spitz (1899-1961) eingerichtet. Der ausgebildete Bratscher leitete bis zu seiner Entlassung im Jahre 1933 außerdem ein kleines Jazzorchester. Der Komponist Gustav Kneip (1905-1992) stand dem Unterhaltungsressort vor und schuf mit der Produktion „Christkinds Erdenreise“ von 1929 die erste Funkoper.
Musik bildete schon allein in quantitativer Hinsicht das Rückgrat des Hörfunks, und es wurde bei der WERAG ein breit gefächertes Programm von der Klassischen Musik, über Volksmusik bis hin zum Jazz ausgestrahlt. Eine Sendereihe „Zeitgenössische Tonsetzer“ stand schon 1927 auf dem Programm, allerdings positionierte sich die WERAG nicht mit einem avantgardistischen Musikprogramm wie etwa der Sender in Königsberg.
Nach Hardts Programmkonzeption von 1927 sollte es innerhalb von anderthalb Wochen mindestens ein Sinfoniekonzert, eine Oper oder Operette geben und wöchentlich ein „volkstümliches“ Konzert, einen Liederabend und einen „Lustigen Abend“ als Wort-Musik-Sendung. Musiksendungen standen praktisch über den ganzen Tag verteilt auf dem Programm, beginnend bei morgendlichen Musiksendungen oder Übertragungen von „Brunnenkonzerten“ aus Kurorten bis hin zum Abend- oder am Wochenende auch zum Nachtprogramm. Mit der Entwicklung der Mikrofontechnik erweiterte sich mit dem Frequenzumfang der Mikrofone auch der Spielraum bei der Auswahl des musikalischen Repertoires.
1928 kam der Düsseldorfer Buchhändler Fritz Worm (1887-1940) zum Vortragswesen der WERAG. Er leitete die Abteilung „Schauspiel und Dichtung“ mit den Ressorts Literatur und Hörspiel. Worm widmete sich der Frage, welche Literaturgattungen sich als „funkisch“ eigneten und wie sie präsentiert werden konnten. Worm experimentierte auch mit Wort-Musik-Formaten wie zum Beispiel in der populären Sendereihe „Eine Stunde Kurzweil“; außerdem interessierte er sich in besonderem Maße dafür, wie Bildende Kunst im Hörfunk thematisiert werden könnte. Seine Überlegungen kumulierten schließlich in der legendären „Dom-Reportage“, das heißt einer nächtlichen Übertragung aus dem Kölner Dom, die am 28.4.1930 ausgestrahlt wurde. Sie trug in sich bereits alle Elemente einer Akustischen Kunst. Mit ihr gelang Worm die Schaffung eines radiophonen Gesamtkunstwerkes. Die Dimension des Gotteshauses wurde dabei durch die Positionierung der Mikrofone an der Pforte und der Vierung hörbar, während singende Chorknaben den Raum von einem Mikrofon zum anderen durchmaßen. Die Höhe wurde durch einen Wechselgesang von Chorknaben erfahrbar, die im Langhaus und der Vierung platziert waren. Abgesehen davon operierte Worm nicht nur mit Geräuschen (Kontrastierung von belebtem Vorplatz und der Stille im Gotteshaus, Glockenschlag und einer retardierenden Pause vor dem Einsetzen des Vollgeläutes des Domes, usw.) und verschiedenen journalistischen (Bericht, Interview), musikalischen und literarischen Gattungen wie Orgel- und Chormusik, Wechselgesänge, Gedichtrezitation, Lesung von Prosa, Bildbeschreibung usw. Assistent im Ressort Literatur und Nachfolgers Worms als Leiter der Literarischen Abteilung von 1933-1945 wurde Dr. Martin Rockenbach (1898-1948), dessen besonderes Augenmerk einer jüngeren Generation von katholischen und/oder rheinischen Dichterinnen und Dichtern galt.
Insgesamt erfreute sich die Literatur einer besonderen Wertschätzung durch die WERAG. Sendungen literarischen Inhalts wurden auf durchweg guten Sendeplätzen im Vorabendprogramm ausgestrahlt, aber auch in Spartenprogrammen wie dem Arbeiterfunk und dem Schulfunk unter der Leitung von Hans Behle (geboren 1894) und dem späteren ZDF-Gründungsintendanten Karl Holzamer (1906-2007). Zeitgenössische Schriftsteller wurden durch eigene Sendereihen wie „Lebende Dichter“ oder „Ungedruckte Dichter“ gefördert, beliebt waren auch Lesungen durch Dichterinnen und Dichter. In Anbetracht der Wirtschaftskrise trug die WERAG damit wesentlich zur Kulturförderung und der Existenzsicherung von Kulturschaffenden in den Bereichen Musik und Literatur bei. Dies galt auch für den Bereich des Hörspiels als einer neuen radiophonen Gattung. Häufig inszenierte der erfahrene Theaterintendant und –regisseur Ernst Hardt selbst. In der „Hörbühne des Westdeutschen Rundfunks“ standen sowohl Klassiker als auch moderne Werke auf dem Programm – etwa von Bert Brecht (1898-1956) oder Eduard Reinacher (1892-1968). Die bei der WERAG gepflegte „Kölner Dramaturgie“ war jedoch (im Unterschied etwa zur Schlesischen Funkstunde in Breslau) in erster Linie wortbasiert und nicht (radiophon-) experimentell. Mit seinen Inszenierungen erwarb Hardt den Status eines der großen Rundfunkregisseure der Frühzeit des Radios.
Ein Charakteristikum der WERAG war auch der Arbeiterfunk. Zwar existierte ein solcher auch bei einigen anderen Sendegesellschaften, bei der WERAG genoss er jedoch eine besondere Förderung. Bereits im März 1927 begann die Sendereihe „Stunde des Arbeiters“. Die Sendereihe „Mensch und Welt“ unter der redaktionellen Betreuung durch Willi Schäferdiek (1903-1993) richtete sich explizit an Arbeitslose. Mit diesem Konzept wollte Hardt die Gesamthörerschaft mit Arbeiterfragen vertraut machen und auf diese Weise dazu beitragen, soziale Grenzen innerhalb der Gesellschaft durch „Tatsachenkenntnis“, das heißt durch Information, zu überwinden. Am 23.10.1931 wurde mit dem Hörspiel „Toter Mann“ des Arbeiterschriftstellers Karlaugust Düppengießer (1899-1987) aus Stolberg das erste Arbeiterhörspiel der Rundfunkgeschichte übertragen, inszeniert und eingeleitet von Hardt.
Im Herbst 1928 erhielt der Kölner Wirtschaftshistoriker und Marxist Dr. Hans Stein (1894-1941) die Festanstellung als Dezernent für „Wirtschaft und Soziales“. Stein stand vor allem für die objektive und wissenschaftlich fundierte Vermittlung von „Tatsachenkenntnis“. Er hatte im Herbst 1927 mit einer Sendereihe zum Thema „Russland von heute“ debütiert. Hardt vertraute ihm auch Sendungen zu politisch „brisanten“ Themen wie dem 1. Mai oder dem 9. November an, da er Steins wissenschaftlich-vorurteilsfreie Herangehensweise schätzte. Bekannt wurde Stein auch als einer der vier Diskutanten aus der Sendereihe „Gespräche über Menschentum“, in der Ernst Hardt, Fritz Worm, Stein sowie der Kölner Soziologe Paul Honigsheim (1885-1963) über soziopolitische Themen und ihre historischen Hintergründe diskutierten. Da freie Diskussionssendungen mit der Weimarer Rundfunkordnung konfligierten - schließlich konnte man die Diskussion nicht antizipieren und schriftlich niederlegen -, entsann Hardt den Kunstgriff, indem er sich selbst zum Diskussionsleiter machte. Während die Diskutierenden und ihre Standpunkte in der Sendereihe „Gespräche über Menschentum“ bekannt waren, experimentierte die WERAG in der Nachfolgersendung „Drei Deutsche sprechen miteinander“ damit, die Namen der Diskutierenden nicht bekannt zu geben. Auf diese Weise sollte es um Argumente gehen und nicht um vordergründige Zuordnungen von Teilnehmern zu politischen Lagern.
Leiterinnen der Sparten Kinder- und Frauenfunk wurden die Schauspielerin Els Vordemberge (1902-1999) und die gelernete Wohlfahrtspflegerin Marie-Theres van den Wyenbergh (1902-1984). Sie waren zugleich die einzigen Frauen in leitenden Positionen bei der WERAG in den seinerzeit “typischen“ Frauen-Domänen.
2. Der Reichssender Köln (1933/1934-1942)
Obwohl die Angriffe des „Westdeutschen Beobachters“, der Kölner NS-Gauzeitung, nach der Ernennung Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichskanzler am 30.1.1933 schärfer wurden und Hitler-Reden als „Auflagesendungen“ auch verpflichtend vom Westdeutschen Rundfunk ausgestrahlt werden mussten, lässt sich bis zur Suspendierung des Intendanten Ernst Hardt im März 1933 kein Kurswechsel in der Programm- oder Personalpolitik feststellen.
Die entscheidende Dynamik setzte nach der Reichstagswahl vom 5.3.1933 ein. Am 11.3.1933 wurde die Einrichtung eines Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels beschlossen, am 13. März erhielt er seine Ernennungsurkunde durch Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934). Aus dem Post- und dem Innenministerium wurden dem neuen Propagandaministerium weit reichende Kompetenzen übertragen, während die Federführung in der Frage des Auslandsrundfunks im „Dritten Reich“ aufgrund des Widerstandes des Auswärtigen Amtes niemals abschließend geregelt werden konnte. Die „Gleichschaltung“ des deutschen Rundfunks und der Sendegesellschaften wurde in den folgenden Monaten in institutionell-aktienrechtlicher, in personalpolitischer und in programmlicher Hinsicht vollzogen.
Den Boden für die institutionelle „Gleichschaltung“ hatte schon die autoritäre Rundfunkreform des Jahres unter Reichskanzler Franz von Papen (1879-1969) bereitet, indem Privataktionäre aus den Sendegesellschaften hinausgedrängt worden waren. In einem weiteren Schritt gelang es Goebbels am 30.6.1933, die Länder, vor allem das mächtige Preußen unter Ministerpräsident Hermann Göring (1893-1946), und die einzelnen Sender als Anteilseigner der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) zu eliminieren. In der neuen Satzung der RRG vom 8.7.1933 erhielt diese nun auch die künstlerische und politische Leitung, die in der neu geschaffenen „Reichssendeleitung“ unter Goebbels’ Gefolgsmann Eugen Hadamovsky (1904-1945) gebündelt wurde. Sie beanspruchte für sich eine „Programmaufsicht“ über die Sender. Im November übertrugen die Länder schließlich ihre Geschäftsanteile an den Regionalsendern an die RRG. Am 9.2.1934 wurden die vormals selbstständigen Sendegesellschaften liquidiert, sie waren fortan Filialen der RRG, die wiederum vom Propagandaministerium kontrolliert wurden und nun die einheitliche Bezeichnung „Reichssender“ erhielten.
Auf der personalpolitischen Ebene begann die „Gleichschaltung“ des Westdeutschen Rundfunk GmbH (seit Januar 1933) mit einer Entlassungswelle, die am 20.3.1933 mit der Suspendierung des Intendanten Ernst Hardt begann. Ihm folgten innerhalb von vier Wochen leitende Mitarbeiter wie Hans Stein (Wirtschaft und Soziales), Els Vordemberge (Kinderfunk), Fritz Lewy („Propagandaabteilung“, das heißt Werbeabteilung und Bildarchiv, 1893-1950), Hans Ebert (Musik) oder Marie-Theres van den Wyenbergh (Frauenfunk). Im Focus der Nationalsozialisten standen hierbei „Politisch Unzuverlässige“ (wie Ernst Hardt), KPD-Mitglieder (im Laufe des Sommers auch solche der SPD), „Kulturbolschewisten“, jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, „Doppelverdienerinnen“ und Homosexuelle.
Die juristische Basis für die Entlassungen des Jahres 1933 bildete das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Die nicht entlassenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden einer politischen Durchleuchtung unterzogen, Überwachung, Schikanen und Existenzängste förderten den Anpassungsprozess. Ohne die Mitgliedschaft in der Reichsrundfunkkammer, einer Untergliederung der 1933 gegründeten Reichskulturkammer, drohte zudem Berufsverbot für Journalisten. Ähnlich verhielt es sich für die zahlreichen freien Mitwirkenden wie zum Beispiel Vortragende im Wort- und Musikbereich. Die Mitgliedschaft in der Partei war zwar keine conditio sine qua non für eine Beschäftigung im Funkhaus, und der neue Intendant Dr. Heinrich Glasmeier stand insbesondere dem katholisch-Zentrumsnahen Teil der „Gefolgschaft“ duldsam gegenüber, doch vollzogen viele den Schritt des Parteieintrittes im Funkhaus in der Dagobertstraße, über dem seit dem 8.3.1933 die Hakenkreuzflagge wehte, aus existenzsichernden oder offen opportunistischen Gründen.
Als neuer Intendant wurde der westfälische Adelsarchivar und Kulturwart des Gaues Westfalen-Nord, Dr. Heinrich Glasmeier, am 24.4.1933 von Goebbels in sein Amt eingeführt. Ebenso fachfremd wie Glasmeier war auch eine kleine Riege von Parteigenossen, die ebenfalls auf Empfehlung der Gauleitung in Westfalen-Nord in führende Positionen lanciert wurden, ein Prozess, der zu einer Korruptionsaffäre im Jahre 1933/1934 führte, die Glasmeier trotz einer zehnmonatigen Suspendierung 1934/1935 aufgrund der Rückendeckung Hitlers und der Kölner Gauleitung, wenn auch angeschlagen, überstand. Im März 1937 wurde er von Goebbels, wiederum aufgrund des Votums von Hitler, zum Reichsrundfunkintendanten berufen (bis 1945). Während Glasmeiers Abwesenheit kam es unter Sendeleiter Eugen Kurt Fischer (1892-1991) zu einem Personalrevirement, bei dem 1934/1935 Personalentscheidungen aus dem Jahre 1933 rückgängig gemacht wurden. Eine Ausnahme hiervon bildete allerdings der hochbegabte Musikwissenschaftler und frühere Feuilletonjournalist Adolf Raskin, der Ende 1933 zum „Westdeutschen Gemeinschaftsdienst“ wechselte, der für die Koordinierung der „Saarpropaganda“ im Zuge des Saarreferendums von 1935 zuständig war. Es war Raskins Sprungbrett für eine weitere steile Karriere innerhalb des Reichsrundfunks.
Glasmeiers Nachfolger in Köln wurde der 1905 in Wiedenbrück geborene NS-Aktivist Anton („Toni“) Winkelnkemper. Der promovierte Jurist hatte sich seit 1930 als Propagandachef des Gaues Köln und als Parteiredener in manchen wilden Saalschlachten seine ersten Sporen in der NS-Bewegung verdient. In Köln genossen die Winkelnkemper-Brüder Toni und Peter (letzerer als Gaupressewart und Oberbürgermeister von 1941-1944) Anfang der 1930er Jahre den Ruf notorischer Radaubrüder. Im Vorfeld von Winkelnkempers Amtsübernahme im Jahre 1937 setzte auch der Exodus verbliebener Mitarbeiter ein, die einem politisch gemäßigten Spektrum angehört hatten wie etwa der Musikredakteur und Komponist Gustav Kneip. Im Jahre 1941 wurde Toni Winkelnkemper kommissarischer Intendant des Kurzwellensenders in Berlin (und damit verantwortlich für das Auslandsprogramm des „Großdeutschen Rundfunks“) und Auslandsdirektor der RRG, dem auch die deutschen Geheimsender unterstanden. Damit beerbte er Adolf Raskin, der 1940 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Winkelnkemper geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Sein weiteres Schicksal ist nicht abschließend geklärt.
Das Programm, das der Reichssender Köln ausstrahlte, kann aufgrund des gravierenden Mangels an Ton- und Schriftquellen erst ansatzweise beurteilt werden, zumal Vollprogrammanalysen für einzelne Sparten, mit Ausnahme der Sendereihe „Die Werkpause“ bisher völlig fehlen. Eine Programmstrukturanalyse liefert hingegen erste Ergebnisse. Generell ist festzuhalten, dass sich die Programmpolitik Goebbels’ in drei Phasen gliederte: Das Jahr 1933 ist gekennzeichnet von einer merklichen Instabilität im Programm, das aufgrund von zahlreichen Übertragungen von politischen Großereignissen, Aufmärschen, Reden von NS-Funktionären usw. häufigen Programmänderungen unterlag. Bereits Mitte 1933 erkannte Goebbels, dass das Übermaß an politischer Indoktrination und Programminstabilität zu Unzufriedenheit innerhalb der Hörerschaft führte. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis unterlag die Übertragung politischer Ereignisse ab Sommer 1933 nunmehr der Genehmigung des Propagandaministers persönlich. Im Jahre 1934 startete Goebbels eine „Kulturoffensive“ mit Übertragungen von Werken bedeutender deutscher Literaten und Musiker zur besten Sendezeit, mit denen Goebbels den Angriffen auf eine angebliche Kulturlosigkeit des Regimes entgegentreten wollte. Im Jahre 1935 folgte schließlich eine „Unterhaltungsoffensive“, von nun an sollten Unterhaltungssendungen als „Trägerin des Rundfunkprogramms“ (Glasmeier) gelten. Einen Spitzenwert von an die 90 Prozent Musik- und Unterhaltungssendungen erreichte der „Großdeutsche Rundfunk“ dann nach Kriegsbeginn.
In der Regel begann das Programm morgens um 6.00 Uhr und dauerte meist bis 24.00 Uhr. Eine Verschiebung des Sendeschlusses bis 1.00 Uhr beziehungsweise bis 2.00 Uhr morgens gab es während der „Kulturoffensive“ mit Sendungen bildungsbürgerlichen Zuschnitts im Jahre 1934 beziehungsweise ab 1937. Im Jahre 1939 betrug die Sendedauer des Reichssenders Köln 17 Stunden täglich, das heißt es gab sowohl eine nächtliche Sendepause als auch Pausen im Vor- und Nachmittagsprogramm.
Ein Trend, der schon in der Weimarer Republik zu beobachten war, manifestierte sich in der Ausweitung des Musikanteils von 42 Prozent im Jahre 1933 auf 52 Prozent im Sommer 1939. Nicht einbezogen sind bei dieser Rechnung die Wort-Musik-Sendungen im Umfang von 10 Prozent im Jahre 1939, bei denen der Anteil an Wort beziehungsweise Musik nicht exakt beziffert werden kann. Doch auch die Wort-Musik-Sendungen wurden wie das Abendprogramm im Allgemeinen immer „leichter“ konfektioniert, das heißt es gab immer mehr Musikanteile. Parallel dazu kam es zu einer Erosion von Programmen mit bildungsbürgerlichem Anspruch zum Beispiel von Kursen und Vorträgen in der Sparte „Kulturelles Wort“ mit 1,6 Prozent im Jahre 1939. E-Musik wird Ende der 1930er Jahre eine zu vernachlässigende Größe, ebenso Literaturlesungen mit 0,9 Prozent des Programms. Spartenprogramme wurden entweder völlig marginalisiert (zum Beispiel der Frauenfunk mit 0,2 Prozent im Jahre 1939) oder ganz abgeschafft wie der Lehrerfunk oder der Kirchenfunk im Jahre 1937. Auch Sportübertragungen spielten mit Ausnahme der Hausse während der Olympischen Spiele im Jahre 1936 mit Anteile von 0,2 Prozent-1,4 Prozent keine Rolle. Eine leichte Erweiterung des Programmanteils erfuhr lediglich der Landfunk mit Übertragungen aus den Regionen Rheinland und Westfalen, unter anderem auch mit dem beliebten Magazin „Der Kiepenkerl packt aus“.
Während hochkulturelle Angebote in Randzeiten wie das Spätabendprogramm verdrängt werden, dominierten zur besten oder zu guten Sendezeiten Bunte Abende, Nachmittage oder Mitmachformate wie die beliebten Wunschkonzerte, deren bekanntestes die reichsweit ausgestrahlte Sendereihe „Wunschkonzert für die Wehrmacht“ ab Oktober 1939 war.
Großer Beliebtheit beim Publikum erfreute sich insbesondere die am Samstagnachmittag übertragene zweistündige Live-Sendereihe „Der frohe Samstagnachmittag“, die erstmals am 24.11.1934 in den Äther ging. Sie wurde schon bald reichsweit übertragen, zelebrierte Volkstümlichkeit und enthielt sich konsequent offenkundiger politischer Propaganda. Zu einem evergreen wurde das von Gustav Kneip für die Sendung komponierte „Schwalbenlied“ in der Interpretation von Willy Schneider. Überaus erfolgreich war auch die Sendereihe „Die Werkpause“ (Erstsendung: 3.2.1936), die zur Mittagszeit aus rheinisch-westfälischen (Industrie-) Betrieben übertragen wurde. Im Zuge der Übertragung von Karnevalssendungen und solchen mit rheinischem Frohsinn wurden in den 1930er Jahren auch „kölsche Stars“ wie die Familie Millowitsch oder Lis Böhle einem überregionalen Publikum bekannt, insbesondere durch Landschaftssendungen, die von allen Sendern übernommen werden mussten und so einzelne Regionen des Reiches den „Volksgenossen“ im ganzen Reich nahe brachten. Insgesamt war sowohl auf der Musik- als auch auf der Wortebene eine zunehmende Nivellierung und Trivialisierung im Programm festzustellen.
Politische Indoktrination erfolgte durch die spürbare Zunahme politischer Musik, zum Beispiel im HJ-Funk, oder von Militärmusik. Inwiefern die Sendungen des Zeitfunks des Reichssenders Köln offen politisch im Sinne des Regimes operierten, kann aufgrund des Mangels an Quellen nicht genau festgestellt werden. Hier stehen etwa Reportagen von der Ordensburg Vogelsang oder der Ausstellung „Entarte Kunst“ in Düsseldorf 1937 neben solchen von Einweihungen von Brücken oder anderen Bauwerken oder vom Leben auf Bauernhöfen in Westfalen usw.
Zwingend zum Programmkanon gehörten selbstredend auch die Übertragungen von Hitler-Reden, die in Betrieben in der Regel im „Gemeinschaftsempfang“ gehört werden mussten oder durch Übertragungen von politischen Großereignissen wie den Reichsparteitagen aus Nürnberg oder Sendungen zu den „Feiertagen“ der „Bewegung“ wie beispielsweise am 9. November oder zu Hitlers Geburtstag am 20. April.
Auf der Programmebene waren Werke von Juden oder „Kulturbolschewisten“ fortan tabu, angloamerikanischer Jazz ohnehin, und Komponisten wie Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), Gustav Mahler (1860-1911), Jacques Offenbach (1819-1880), Friedrich Hollaender (1896-1976), die Protagonisten der Zwölftonmusik, sowie „Asphaltliteraten“ wie Bertolt Brecht oder Alfred Döblin (1878-1957) und viele andere mehr verschwanden aus dem Programm.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1.9.1939 bedeutete einen gravierenden Einschnitt für den Reichssender Köln. Schon vor Kriegsausbruch waren leitende Mitarbeiter zur Wehrmacht eingezogen worden; während des Krieges wurden Reporter an sogenannten „Propagandakompanien“ abgegeben, genau wie der überwiegende Teil der Sprecher sowie der Techniker mitsamt der Ü-Wagen. Die Klangkörper des Reichssenders Köln wurden aufgelöst. Ab dem 9.5.1940 strahlte der „Großdeutsche Rundfunk“ ein Einheitsprogramm aus, der Anteil der in Köln produzierten Sendungen ging massiv zurück und führte zu einer ersten vorübergehenden Stilllegung des Reichssenders Köln bis zum Januar 1941. In einer kurzen Phase bis zum 20.4.1941 produzierte man in Köln vornehmlich humorige „heimatgebundene Unterhaltung“. Am 14.7.1941 wurde der Technikbetrieb geschlossen. Im Herbst 1941 befand sich der Reichssender in Abwicklung. Zwar wurden gegen Ende des Jahres noch einige wenige Sendungen – jetzt beim Reichssender Frankfurt – produziert, ab Mai 1942 im Umfang von einer Stunde pro Woche, doch das Ende des Reichssenders Köln nahte mit der offiziellen Stilllegung im Sommer 1942 und der Auflösung des „Kölner Restkommandos“ im November desselben Jahres. Das Funkhaus in der Dagobertstraße wurde beim Luftangriff in der Nacht zum 31.5.1942 schwer beschädigt, der Sender in Langenberg wurde am 12.4.1945 durch den deutschen Postschutz gesprengt. Köln sollte sich erst im September 1945 zurückmelden – jetzt als der unter britischer Kontrolle stehende „Nordwestdeutsche Rundfunk Köln“.
Literatur
Bernard, Birgit, Die „Gleichschaltung“. Der „Reichssender Köln“, in: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, hg. von Petra Witting-Nöthen, Köln 2005, S. 86-155.
Bernard, Birgit, „... in manchen wilden Saalschlachten“. Toni Winkelnkemper und die Sprengung der Zentrumsversammlung in Köln-Braunsfeld am 6.3.1931, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 81 (2011/12), S. 276-295.
Bernard, Birgit, Die „Werkpause“. Ein Unterhaltungsformat des NS-Rundfunks, in: Westfälische Forschungen 62 (2012), S. 389-417.
Bernard, Birgit, Ernst Hardt (1876-1947). „Den Menschen immer mehr zum Menschen machen“, Essen 2015.
Bierbach, Wolf, Rundfunk zwischen Kommerz und Politik. Der Westdeutsche Rundfunk in der Weimarer Zeit, 2 Bände, Frankfurt/M. 1986.
Först, Walter (Hg.), Aus Köln in die Welt, Köln/Berlin 1974.
Leonhard, Joachim-Felix (Hg.), Programmgeschichte des Rundfunks in der Weimarer Republik, München 1997.
Mohl, Renate, Der Aufbruch. Der Westdeutsche Rundfunk in der Weimarer Republik., in: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, hg. von Petra Witting-Nöthen, Köln 2005, S. 27-85.
Reimann, Norbert, Heinrich Glasmeier, in: Westfälische Lebensbilder 17 (2005), S. 154-184.
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Bernard, Birgit, Der Westdeutsche Rundfunk (1924-1942/1945), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-westdeutsche-rundfunk-1924-19421945/DE-2086/lido/5b72a458636ee7.33921573 (abgerufen am 14.11.2024)