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Xaveria Rudler gestaltete als erste Leiterin die Entwicklung und Ausbreitung der Trierer Borromäerinnen, einer katholischen religiösen Frauengenossenschaft (Kongregation), die sich vorrangig in der Kranken- und Armenpflege betätigte, und am Aufbau der modernen stationären Krankenpflege im Rheinland mitwirkte.
Klara Rudler, so der bürgerliche Name, wurde am 28.5.1811 in Guebwiller im Elsass geboren. Sie war das fünfte Kind von insgesamt sieben Kindern des Friedensrichters François Xavier Rudler und seiner Ehefrau Anna Maria geborene Heinemann aus Köln. Ihr Großvater François Joseph Rudler (1757-1837) hatte als Regierungskommissar im französisch besetzten linksrheinischen Gebiet die napoleonischen Reformen durchgeführt, darunter die Trennung von Staat und Kirche, und die Aufhebung der Klöster und Stifte eingeleitet.
Nach dem Besuch der Elementarschule wechselte das 13-jährige Mädchen 1824 an das Pensionat der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus in Lunéville, um dort eine höhere Schulbildung zu erwerben. Vier Jahre später wählte Klara Rudler selbst ein Leben als Borromäerin und trat als Postulantin in das Noviziat in Nancy ein. Dort am Ursprungsort der Genossenschaft befand sich nicht nur die zentrale Ausbildungsstätte für die jungen Schwestern. Im Mutterhaus hatte auch die Generaloberin ihren Sitz, die allen lokalen Oberinnen vorgesetzt war, und die Genossenschaft insgesamt leitete. Nach Ablauf des Probejahres empfing die Novizin am 8.9.1830 das Ordenskleid und den Namen Maria Xaveria. Ihre ewigen Gelübde legte sie am 15.10.1833 ab.
Zu Xaveria Rudlers erstem Einsatzort nach der Profess bestimmten die Oberen die höhere Mädchenschule in Saarlouis. Diese Anordnung stellte die junge Frau vor eine schwierige Herausforderung, denn weder empfand sie eine Neigung für das Lehrfach, noch beherrschte die Französin anfangs fließend Deutsch. Über 13 Jahre hinweg wirkte sie in Saarlouis als Lehrerin. 1846 wurde sie aus dem Schuldienst abberufen und damit beauftragt, eine Niederlassung in Berlin zu gründen. Für die Organisation der Borromäerinnen ist charakteristisch, dass sie außer dem Stammsitz keine Immobilien besaßen. Sie gründeten ihre Niederlassungen, indem eine Gruppe von mindestens drei Schwestern für einen Träger - ganz gleich, ob Pfarrei, Bistum, Kommune oder Verein - die Leitung einer Anstalt übernahm. Die genauen Umstände wurden in einem Vertrag geregelt. Jeder Filiale stand eine Hausoberin vor. In der preußischen Hauptstadt begannen Xaveria Rudler, als erste Hausoberin, und drei Schwestern das St. Hedwig-Krankenhaus aufzubauen. Mit drei Betten in äußerster Armut eröffnet, bot das Hospital 1847 bereits 40 Pflegeplätze. Um die wachsende Arbeit zu bewältigen, wurden Zug um Zug immer mehr Schwestern nach Berlin gesandt. Nicht nur die Tatkraft der Pionierinnen, sondern auch die öffentliche Anerkennung, die die Borromäerinnen damals genossen, und die Attraktivität ihrer Lebensform für junge Frauen sind an der Entwicklung des Berliner Krankenhauses abzulesen: der 1854 eingeweihte Neubau zählte 250 Betten.
Zahlreiche Eintritte deutschsprachiger Frauen, ebenso wie die Bitten vieler Gemeinden in Preußen um Pflegepersonal für ihre Hospitäler, bewogen die Generaloberin, ein eigenes deutsches Noviziat einzurichten. Sie betraute damit Xaveria Rudler, die in Berlin ihre Führungsqualitäten unter Beweis gestellt hatte. Der Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi hatte den Plan für ein Provinzial-Mutterhaus und Noviziat in Trier mit großem Nachdruck betrieben. Er hatte bei König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861, Regentschaft 1840-1858) die erforderliche Genehmigung und Ausstattung mit Korporationsrechten erwirkt. Xaveria Rudler wurde im Herbst 1849 nach Trier versetzt und zur ersten Provinzialoberin ernannt. Ganz im Sinne der preußischen Regierung wurde damit die Abhängigkeit der deutschen Häuser von der französischen Leitung gelockert. Denn das General-Mutterhaus in Nancy musste von da an den Abschluss von Verträgen über Gründungsvorhaben in Preußen nach Trier delegieren. Dennoch bildete das Provinzialat in Trier nur eine Zwischeninstanz mit beschränkten Befugnissen. So blieben die Einheit der Genossenschaft (seit 1859: Kongregation) gewahrt und die zentrale Leitung durch das General-Mutterhaus in Nancy weitgehend erhalten.
Während der ersten zehn Amtsjahre nahm Provinzialoberin Xaveria Rudler in Personalunion auch das wichtige Amt der Novizenmeisterin wahr. In dieser Zeit leisteten 201 Frauen ihre Gelübde in Trier. Diese Personalstärke ermöglichte es den Borromäerinnen, an vielen Orten Einrichtungen zur Krankenpflege, Alten- und Waisenfürsorge zu übernehmen. Hauptsächlich breiteten sie sich in der Rheinprovinz aus, besonders im Trierer Bistum. Im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 mussten sie erstmals Kriegskrankenpflege leisten, ebenso während der Kriege 1866 und 1870/1871. Xaveria Rudler wurde dafür mit dem kaiserlichen „Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen“ geehrt.
Der Deutsch-Französische Krieg belastete nicht nur Xaveria Rudler persönlich, war sie doch in Frankreich aufgewachsen und bevorzugte zeitlebens die französische Sprache, sondern die binationale Kongregation überhaupt. Der Wunsch, den die Provinzialoberin in einem Rundschreiben vom 11.1.1871 an die Schwestern ihrer Provinz ausdrückte, erwies sich als vergeblich: Welche Zerwürfnisse auch unter den Nationen stattfinden mögen, mit dem Mutterhause zu Nancy und unseren französischen Schwestern bleiben wir durch die Bande einer heiligen und unauflöslichen Liebe vereint. (Zitiert nach Hamm, Franz (Hg.), Mutter Xaveria Rudler, S. 155-156).
Die Einheit der Kongregation ließ sich nicht halten. Auf Druck der preußischen Regierung wurde das Trierer Provinzialmutterhaus mit seinen Filialen am 18.9.1872 durch die Kurie verselbstständigt. Damit fiel der bisherigen Provinzialoberin Xaveria Rudler das Amt der ersten Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus in Trier zu. In den folgenden Jahren hatte sie sich mit den Auswirkungen des Kulturkampfes in Preußen auseinander zu setzen. Mehrfach protestierte sie mit Eingaben an den Kultusminister gegen staatliche Eingriffe in die Autonomie der Kongregation. Eine Fürsprecherin fand sie in der Kaiserin Augusta (1811-1890), mit der Xaveria Rudler korrespondierte. Auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen Staat und katholischer Kirche untersagte ein Gesetz vom Mai 1875 den Orden und Kongregationen jede Betätigung in Unterricht und Erziehung. Die Barmherzigen Schwestern waren daher gezwungen, sich auf die Krankenpflege zu konzentrieren. Erziehungsanstalten, wie etwa die großen Waisenhäuser in Köln, Krefeld, und Aachen, ebenso wie die kleinen in Kreuznach (heute Stadt Bad Kreuznach), Düren, Karden und Bitburg, mussten aufgegeben werden. Die klug agierende Generaloberin führte die Kongregation ohne größere Nachteile durch die Jahre bis zur politischen Beilegung des Kulturkampfes. Ein wichtiges Mittel der Leitung und Seelsorge war ein intensiver Briefkontakt mit den Schwestern in den Filialen im Land.
Am 15.10.1883 feierte sie in Trier ihr Goldenes Professjubiläum. Seit geraumer Zeit schwer herzkrank, legte Generaloberin Xaveria Rudler am 8.6.1884 nach 35 Jahren ihr Leitungsamt nieder. Die weitgespannte Korrespondenz mit den Mitschwestern hielt sie aufrecht, soweit es ihre Kräfte erlaubten. Gestorben ist sie am frühen Morgen des 24.5.1885 in Trier. Nicht nur zu Lebzeiten wurde sie in der Kongregation hoch verehrt: 1914 erschien eine Lebensbeschreibung mit hagiographischen Zügen, die auf den Nachwuchs der Borromäerinnen starken Einfluss ausgeübt haben dürfte. Darin wird Xaveria Rudlers Wesen als streng und temperamentvoll, zugleich auch als warmherzig, gewinnend und mitfühlend beschrieben.
Literatur
Fleckenstein, Gisela, Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Kulturkämpfen, in: Klöster und Ordensgemeinschaften, hg. v. Erwin Gatz unter Mitwirkung von Marcel Albert und Gisela Fleckenstein, Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 236-237.
Gatz, Erwin, Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert. Katholische Bewegung und karitativer Aufbruch in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen, München/Paderborn/Wien 1971.
Hamm, Franz (Hg.), Mutter Xaveria Rudler, Erste Generaloberin der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus (Trier), 1811-1886, dargestellt von einer Schwester dieser Kongregation [= Schwester Maria v. Weichs zur Wenne], Trier 1914.
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Ostrowitzki, Anja, Xaveria Rudler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/xaveria-rudler/DE-2086/lido/57cd23bfdc1a58.09408547 (abgerufen am 18.01.2025)