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Der Rätekommunist August Merges, der politisch vor allem im Freistaat Braunschweig aktiv war, führte ein bewegtes und kämpferisches Leben. Als unermüdlicher Revolutionär und Nonkonformist gelang es ihm jedoch nie, sich dauerhaft parteipolitisch zu etablieren, er eckte seit 1915 eigentlich immer an. So hängt es letztlich nur an der Gewichtung von Nuancen, ob man in August Merges vor allem einen notorischen Unruhestifter oder einen unabhängigen Freigeist sieht.
August Merges wurde am 3.3.1870 in der Kleinstadt Malstatt-Burbach (heute Stadt Saarbrücken) geboren und evangelisch getauft. Später trat er aus der Kirche aus. Sein Vater Nikolaus war Fleischermeister, die Mutter Anna starb kurz nach seiner Geburt. Durch den Kriegsdienst seines Vaters wurde er Pflegeeltern übergeben, die möglicherweise durch mangelnde Fürsorge eine Rachitis-Erkrankung begünstigten. In deren Folge blieb August Mergel kleinwüchsig, hinzu kamen ein Buckel und ein lahmes Bein, was ihm den Spitznahmen „Krummer August“ einbrachte. Die Familie zog über Idar-Oberstein nach Melle in der Nähe von Osnabrück, wo er 1884 die Volksschule abschloss.
Schon in jungen Jahren machte August Mergel eine Erfahrung, die er mit vielen Genossinnen und Genossen seiner Generation teilte. Obwohl begabt und wissbegierig, blieb ihm aufgrund der mangelnden finanziellen Möglichkeiten der Familie eine höhere Schuldbildung versagt, sein Vater schickte ihn schließlich in eine Schneiderlehre nach Bremen. Während der obligatorischen Gesellenwanderschaft trat Merges in die SPD ein. Eine darauffolgende berufliche Weiterbildung an der Zuschneideakademie in Berlin musste er aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Doch neben der Arbeit bildete er sich, wie er 1891 stolz an den bayerischen SPD-Vorsitzenden Georg von Vollmar (1850-1922) schrieb, durch die Lektüre politischer und wissenschaftlicher Bücher autodidaktisch weiter und erarbeitete sich so seine sozialistische Weltanschauung.
Im Jahr 1899 heiratete August Merges seine Frau Minna, mit der er drei Söhne (Alfred, geboren 1900; Walter, geboren 1901; Otto, geboren 1905) und zwei Töchter (Margarete, geboren 1903; Lisbeth, geboren 1907) hatte. Während er in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt noch als Schneider bestritt, wurde er 1906 hauptamtlicher Parteifunktionär, zunächst in Hildesheim und dann in Alfeld an der Leine. 1911 schließlich siedelte er nach Braunschweig über, einer der sozialdemokratischen Hochburgen im Reich, wo er als Expedient und Redakteur für die sozialdemokratische Zeitung „Volksfreund“ arbeitete und sich als Agitator einen Namen machte. Seine Delegation zu den Parteitagen 1899 in Hannover und 1906 in Mannheim lässt erkennen, dass er schon frühzeitig zu den führenden Sozialdemokraten in Braunschweig gehörte. Erinnerungen von Mitstreitern weisen darauf hin, dass sich Mergel im regionalen sozialdemokratischen Milieu nicht nur politisch, sondern auch persönlich große Sympathien erworben hatte. Dies sollte auf die weitere Entwicklung in Braunschweig entscheidende Auswirkungen haben.
Schon unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkriegs gehörte August Merges zu den entschiedenen Kriegsgegnern innerhalb der SPD. Zusammen mit Josef „Sepp“ Oerter (1870-1928) und dem späteren KPD-Vorsitzenden August Thalheimer (1884-1948) gründete er 1915 den „Braunschweiger Revolutionsklub“, aus dem ein Jahr später die „Spartakusgruppe Braunschweig“ hervorging. Aufgrund seiner Antikriegsagitation wurde er mehrfacht verhaftet, in seiner Wohnung fanden regelmäßig Haussuchungen statt. Wäre dabei herausgekommen, dass die Spartakisten um Merges auch Deserteure unterstützten, wäre es wohl nicht bei kurzzeitigen Verhaftungen geblieben. Nicht zuletzt wegen seines politischen Engagements blieb die finanzielle Situation seiner Familie prekär. Wie sich sein Sohn Alfred erinnerte, bestellte die Mutter einen Morgen Land zur Existenzsicherung.
Bei der Spaltung der SPD im Jahr 1917 schloss sich Merges der pazifistischen USPD an, die in Braunschweigt, ähnlich wie im Bergischen Land, eine ihrer regionalen Hochburgen hatte. Vor allem in der radikalen Arbeiterjugend verfügte er über Einfluss und Anhänger. In der Novemberrevolution spielte August Merges am 8.11.1918 die entscheidende Rolle. Am Morgen besetzte er mit einer Gruppe bewaffneter Matrosen das Volksfreund-Haus der SPD, am Nachmittag wurde Herzog Ernst August von Braunschweig (1887-1953) zur Abdankung gezwungen und sein Kabinett zusammen mit einigen Polizeikommandeuren festgenommen. Der lokale, von der USPD dominierte Arbeiter- und Soldatenrat übernahm daraufhin die Initiative und rief eine Alleinregierung („Rat der Volkskommissare“) der USPD in der frisch proklamierten „Sozialistischen Republik Braunschweig“ aus, als deren Präsident August Merges eingesetzt wurde. Gleichzeitig übte er die Funktion des Bezirksvorsitzenden der USPD aus, aber als „starker Mann“ galt in Braunschweig sein Genosse und Konkurrent Sepp Oerter. Eine besonders enge politische und persönliche Weggefährtin in dieser Zeit war Minna Faßhauer (1875-1949), die als Volkskommissarin für Volksbildung als erste Frau in Deutschland ein Ministeramt bekleidete.
Die geschilderte revolutionäre Sonderentwicklung in Braunschweig wurde aber in den folgenden Monaten zuerst eingedämmt und dann erstickt. Bei der Landtagswahl vom 22.12.1918 gelang der USPD zwar mit 24,3 Prozent ein starkes Ergebnis, letztlich blieb die SPD aber mit 27,7 Prozent stärkste Kraft. Da gegen die SPD und die bürgerlichen Parteien eine verfassungskonforme Umwandlung Braunschweigs in eine Räterepublik nicht möglich war, trat Merges am 22.2.1919 von seiner Präsidentschaft zurück, die von Sepp Oerter kurzzeitig geschäftsführend im Rahmen einer Koalition aus SPD und USPD ausgeübt wurde. Als im Zusammenhang mit dem Spartakusaufstand auch in Braunschweig Unruhen ausbrachen, rückten schließlich Freikorps unter General Georg Maercker (1865-1924) in die Stadt ein und setzten die Regierung verfassungswidrig ab. Zum Ministerpräsidenten wurde am 30. April schließlich Heinrich Jasper (1875-1945) von der SPD gewählt. August Merges, dem im Falle einer Verhaftung womöglich die Ermordung gedroht hätte, konnte untertauchen und später nach Berlin fliehen.
Seit seinem Rückzug aus der Braunschweiger Lokalpolitik begann August Merges‘ politischer Stern rapide zu sinken. Zurück in Braunschweig und nach einem Intermezzo in der KPD schloss er sich Mitte 1920 der rätekommunistischen Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) an, die aber keinen größeren Einfluss erringen konnte und rasch zerfiel. Seine späteren Mitgliedschaften in Splittergruppen wie der Allgemeinen Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE) und der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) erwiesen sich als ebenso erfolglos. Die radikale Linke in Braunschweig löste sich regelrecht auf, nicht einmal die KPD konnte hier gegenüber der SPD nennenswerte Erfolge erzielen. Zum Ende der Weimarer Republik bestand Merges‘ Gefolgschaft nur noch aus dem engeren Freundes- und Familienkreis.
Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten bewegte sich Merges im Umfeld der Widerstandsgruppe Kommunistische Räte-Union, die aber zwischen Dezember 1934 und April 1935 von der Gestapo aufgerollt wurde. Im Rahmen dieser Verfolgungswelle wurde auch August Merges verhaftet, schwer misshandelt und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 6.3.1945 starb er in Braunschweig an den Folgen der Misshandlungen.
Eine kritische Würdigung oder erinnerungspolitische Auseinandersetzung mit der Person August Merges fand lange Zeit weder in der Bundesrepublik noch in der DDR statt, dies gilt weitgehend bis heute. Der Rebell aus Prinzip passte weder in die sozialdemokratische noch in die staatsozialistische Geschichtserzählung. Wie schwierig dies bis heute ist, zeigte die lokalpolitische Auseinandersetzung im Rat der Stadt Braunschweig 2012/2013. Zunächst ging es um einen Antrag der Partei DIE LINKE hinsichtlich der Ehrung Minna Faßhauers. Die folgende durchaus erregte Debatte erweiterte sich dann auf Antrag der SPD auf ein biographisches Projekt zur Dokumentation der Geschichte der Weimarer Republik in Braunschweig, das sich neben Faßhauer und Merges auch mit Persönlichkeiten wie Otto Grotewohl (1894-1964), Carl Heimbs (1878-1972) und Ernst August Roloff (1886-1955) beschäftigen sollte. Doch letztlich versandete die Initiative im Rat. Im Rheinland beziehungsweise im Saarland hingegen dürfte August Merges, den mit seinem frühen Umzug ins heutige Niedersachsen wohl auch nichts mit seiner alten Heimat mehr verband, weitgehend unbekannt sein.
Literarisch verewigt wurde August Merges in der Figur des „tapferen Schneiderleins“ August Karges in Ehm Welks Roman „Im Morgennebel“ von 1953 und in dem autobiographischen Roman Zigeunerblut im Aktenschrank von Homo (das ist Richard Wagner) aus dem Jahr 1924.
Literatur
Biegel, Gerd, Minna Faßhauer (1875-1949). Biographische Dokumentation zu einem aktuellen Diskurs, Braunschweig 2013. [online]
Homo (d.i. Richard Wagner), Zigeunerblut im Aktenschrank. Biographischer Roman, Jena 1924 [online]
Roloff, Ernst-August, Braunschweig und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1918-1933, Braunschweig 1964. [online]
August Merges – Ein Blog über das Leben und Wirken von August Merges. [online]
Online
Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten: [online]
Handbuch der Deutschen Kommunisten: [online]
Merges, Alfred, Politisches Lebensbild von August Merges. [online]
Novemberrevolution und Weimarer Republik. [online]
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Kühne, Tobias, August Merges, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/august-merges/DE-2086/lido/5f3145df1f3f65.61973264 (abgerufen am 07.12.2024)