Edith Ennen

Historikerin (1907-1999)

Margret Wensky (Bonn)

Edith Ennen, s/w-Foto.

Edith En­nen war ei­ne deut­sche His­to­ri­ke­rin des 20. Jahr­hun­derts, die mit weg­wei­sen­den For­schun­gen zur eu­ro­päi­schen Stadt­ge­schich­te des Mit­tel­al­ters und der Früh­neu­zeit her­vor­ge­tre­ten ist. Wei­te­re Schwer­punk­te ih­rer For­scher­tä­tig­keit wa­ren die Ge­schich­te der Frau­en im Mit­tel­al­ter und die rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te vom Mit­tel­al­ter bis zum 19. Jahr­hun­dert.

Edith En­nen wur­de am 28.10.1907 in Mer­zig an der Saar ge­bo­ren (Kreis Mer­zig-Wa­dern), wo ihr Va­ter Di­rek­tor der dor­ti­gen Pro­vin­zi­al-Heil- und Pfle­ge­an­stalt war. Die Fa­mi­lie stamm­te aus Em­me­rich. Nach dem Stu­di­um der Ge­schich­te, Ger­ma­nis­tik und Alt­phi­lo­lo­gie in Frei­burg, Ber­lin und Bonn wur­de Edith En­nen 1933 bei Franz Stein­bach in Bonn pro­mo­viert. Es folg­te die Aus­bil­dung zum hö­he­ren Ar­chiv­dienst in Ber­lin-Dah­lem. Nach de­ren Ab­schluss wur­de sie trotz ei­nes Prä­di­kats­ex­amens nicht in den preu­ßi­schen Ar­chiv­dienst über­nom­men. Die­ser war noch ei­ne rei­ne Män­ner­do­mä­ne; au­ßer­dem woll­te Edith En­nen nicht Mit­glied der NS­DAP wer­den. So kehr­te sie 1935 als „wis­sen­schaft­li­che Hilfs­kraft" in das In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de an der Uni­ver­si­tät Bonn zu­rück.

An der im In­sti­tut seit Mit­te der 1930er-Jah­re be­trie­be­nen so ge­nann­ten „West­for­schung" hat­te sie da­bei kei­nen An­teil. Sie leis­te­te in die­ser Zeit Vor­ar­bei­ten für ein  ge­plan­tes „His­to­ri­sches Orts­le­xi­kon der Rhein­lan­de", das ab 1972 für die Städ­te als "Rhei­ni­scher Städ­teat­las" rea­li­siert wird. Wäh­rend des Krie­ges und der Ab­we­sen­heit des In­sti­tuts­di­rek­tors Franz Stein­bach hielt sie den Lehr- und Pu­bli­ka­ti­ons­be­trieb des In­sti­tuts auf­recht. 1947 wur­de sie die ers­te wis­sen­schaft­lich aus­ge­bil­de­te Ar­chi­va­rin der Stadt Bonn, in de­ren Dienst sie bis 1964 blieb.

Seit 1961 Ho­no­rar­pro­fes­so­rin der Uni­ver­si­tät Bonn, wech­sel­te sie zum Som­mer­se­mes­ter 1964 als Nach­fol­ge­rin von Hek­tor Am­mann (1894-1967) auf den Lehr­stuhl für So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des in Saar­brü­cken. Zum Som­mer­se­mes­ter 1968 kehr­te sie an die Uni­ver­si­tät Bonn zu­rück, wo sie bis zum 31.3.1974 den Lehr­stuhl für mit­tel­al­ter­li­che und neue­re Ge­schich­te mit be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung der Rhei­ni­schen Lan­des­ge­schich­te in­ne hat­te und da­mit gleich­zei­tig Di­rek­to­rin des In­sti­tuts für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de war.

Die Stadt des Mit­tel­al­ters und der Früh­neu­zeit war Edith En­nens le­bens­lan­ges For­schungs­ob­jekt, be­gin­nend mit der Dis­ser­ta­ti­on von 1933 über die Selbst­ver­wal­tung in den Saar­städ­ten vom Spät­mit­tel­al­ter bis zur fran­zö­si­schen Zeit. Ihr Haupt­werk, die „Früh­ge­schich­te der eu­ro­päi­schen Stadt", er­schien 1953 und be­grün­de­te ih­ren Ruf als be­deu­ten­de eu­ro­päi­sche Stadt­his­to­ri­ke­rin. Ei­nen Über­blick über „Die eu­ro­päi­sche Stadt des Mit­tel­al­ters" bie­tet das gleich­na­mi­ge Werk von 1972, das vier Auf­la­gen er­fuhr (zu­letzt 1987). Sei­ne Wirk­sam­keit über Eu­ro­pa hin­aus zei­gen Über­set­zun­gen ins Ja­pa­ni­sche und so­gar Ko­rea­ni­sche. Dass Stadt- und Agrar­ge­schich­te ein­an­der be­din­gen, be­wies Edith En­nen 1979 zu­sam­men mit dem Ar­chäo­lo­gen Wal­ter Jans­sen (1936-2001) in ei­ner vor al­lem für Stu­die­ren­de ge­dach­ten Ein­füh­rung zur Deut­schen Agrar­ge­schich­te.

Seit 1955 ge­hör­te Edith En­nen zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der „Com­mis­si­on In­ter­na­tio­na­le pour l’His­toire des Vil­les" im In­ter­na­tio­na­len His­to­ri­ker­ver­band. Hier ge­stal­te­te sie vor al­lem den deut­schen Teil des Quel­len­werks „Elen­chus Fon­ti­um His­to­riae Ur­ba­nae" (er­schie­nen 1967) und die Dis­kus­sio­nen um die Grün­dung von na­tio­na­len Ty­pe­nat­lan­ten des eu­ro­päi­schen Städ­te­we­sens ent­schei­dend mit. Aus letz­te­ren ent­stand in ih­rem rhei­ni­schen Wir­kungs­feld in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Land­schafts­ver­band Rhein­land (LVR) der seit 1972 er­schei­nen­de Rhei­ni­sche Städ­teat­las. Dar­in ver­bin­den sich Er­for­der­nis­se der ver­glei­chen­den eu­ro­päi­schen Stadt­ge­schichts­for­schung mit der Tra­di­ti­on der Bon­ner ge­schicht­li­chen Lan­des­kun­de. Für ein zwei­tes lan­des­ge­schicht­li­ches Grund­la­gen­werk, den Ge­schicht­li­chen At­las der Rhein­lan­de, der 2008 ab­ge­schlos­sen wor­den ist, schuf Edith En­nen eben­falls die Grund­la­gen.

Un­ter Edith En­nens stadt­ge­schicht­li­chen For­schun­gen neh­men die Städ­te Köln und Bonn ei­nen be­son­de­ren Platz ein. Vor al­lem die Stadt Bonn – ihr Le­bens- und Wir­kungs­mit­tel­punkt über mehr als sechs Jahr­zehn­te – fand in ihr ei­ne His­to­rio­gra­phin von ho­hem Rang. Ihr Haupt­werk, der 2. Teil der „Ge­schich­te der Stadt Bonn", er­schien 1962 (Teil 1 von Jo­sef Nies­sen, 1954). Es bie­tet ei­ne um­fas­sen­de Dar­stel­lung der Ge­schich­te der kur­k­öl­ni­schen Haupt- und Re­si­denz­stadt bis zum En­de der kur­fürst­li­chen Zeit. Für die vier­bän­dig ge­plan­te neue Bon­ner Stadt­ge­schich­te von 1989 über­ar­bei­te­te und er­gänz­te sie als über 80-jäh­ri­ge ih­ren Text von 1962, der in die Bän­de 3 und 4 ein­ging.

Bis ins ho­he Al­ter blieb Edith En­nen auf­ge­schlos­sen für neue Fra­ge­stel­lun­gen der Stadt­ge­schich­te wie der Ge­schichts­wis­sen­schaft all­ge­mein. Als über 70-jäh­ri­ge er­schloss sie sich ein neu­es For­schungs­feld: Die Ge­schich­te der Frau­en im Mit­tel­al­ter, der sie ne­ben zahl­rei­chen klei­ne­ren Ar­bei­ten ei­ne viel be­ach­te­te und sehr er­folg­rei­che Mo­no­gra­phie wid­me­te. Das Werk er­schien zwi­schen 1984 und 1999 in sechs Auf­la­gen und meh­re­ren Spra­chen; es  mach­te Edith En­nen ei­nem brei­ten Pu­bli­kum be­kannt. Wie al­le ih­re Wer­ke zeich­nen auch die­ses Quel­len­nä­he, die sou­ve­rä­ne Be­herr­schung des Stof­fes und ei­ne kla­re Spra­che aus.

Edith En­nen starb am 28.6.1999 in Bonn; ihr Grab be­fin­det sich auf dem dor­ti­gen Süd­fried­hof. In ih­rer Hei­mat­stadt Mer­zig wur­de ihr ei­ne Stra­ße ge­wid­met.

Schriften (Auswahl)

Die Or­ga­ni­sa­ti­on der Selbst­ver­wal­tung in den Saar­städ­ten vom aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter bis zur fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on, Bonn 1933.
Früh­ge­schich­te der eu­ro­päi­schen Stadt, Bonn 1953, 3., um ei­nen Nach­trag er­wei­ter­te Auf­la­ge, Bonn 1981.
Die eu­ro­päi­sche Stadt des Mit­tel­al­ters, Göt­tin­gen 1972, 3. Auf­la­ge, Göt­tin­gen 1987.
Frau­en im Mit­tel­al­ter, Mün­chen 1984, 6. Auf­la­ge, Mün­chen 1999.
Ge­sam­mel­te Ab­hand­lun­gen zum eu­ro­päi­schen Städ­te­we­sen und zur rhei­ni­schen Ge­schich­te, [I], hg. von Ge­org Dro­ege / Klaus Fehn / Diet­rich Höroldt / Franz Ir­sig­ler / Wal­ter Jans­sen, Bonn 1977.
Ge­sam­mel­te Ab­hand­lun­gen II, hg. von Diet­rich Höroldt / Franz Ir­sig­ler, Bonn 1987.
Ge­schich­te der Stadt Bonn, Teil 2, Bonn 1962.
Ge­schich­te der Stadt Bonn, hg. von Diet­rich Höroldt / Man­fred van Rey, Band 3: Bonn als kur­k­öl­ni­sche Haupt- und Re­si­denz­stadt 1597-1794, hg. von Diet­rich Höroldt, Bonn 1989, [dar­in von] Edith En­nen: S. 7-349, 537-546; Band 4: Bonn. Von ei­ner fran­zö­si­schen Be­zirks­stadt zur Bun­des­haupt­stadt 1794-1789, hg. von Diet­rich Höroldt, Bonn 1989, [dar­in von] Edith En­nen [zu­sam­men mit] Ar­nold E. Mau­rer und Clau­dia Val­der-Knecht­ges: S. 9-71.
[Zu­sam­men mit]: Wal­ter Jans­sen, Deut­sche Agrar­ge­schich­te. Vom Neo­li­thi­kum bis zur Schwel­le des In­dus­trie­zeit­al­ters, Wies­ba­den 1979.

Festschrift, Gedenkschrift

Besch, Wer­ner / Klaus Fehn / Diet­rich Höroldt / Franz Ir­sig­ler / Mat­thi­as Zen­der (Hg.), Die Stadt in der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te. Fest­schrift Edith En­nen, Bonn 1972.
Jans­sen, Wil­helm /Wens­ky, Mar­g­ret (Hg.), Mit­tel­eu­ro­päi­sches Städ­te­we­sen in Mit­tel­al­ter und Früh­neu­zeit. Edith En­nen ge­wid­met, Köln / Wei­mar / Wien 1999 [mit Schrif­ten­ver­zeich­nis].

 
Zitationshinweis

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Wensky, Margret, Edith Ennen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/edith-ennen/DE-2086/lido/57c6a4e7a892a5.07381897 (abgerufen am 13.11.2024)