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Matthias Zender war ein deutscher Volkskundler des 20. Jahrhunderts, der über Jahrzehnte die Forschung nicht nur im Rheinland prägte. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit waren die Erzählforschung, die Heiligenverehrung und die Anwendung der kartographischen Methode, wie sie im „Atlas der deutschen Volkskunde“ angewandt worden ist. Sein Name ist mit diesem bedeutenden Kartenwerk zur mitteleuropäischen Volkskultur untrennbar verbunden.
Matthias Zender wurde am 20.4.1907 als Sohn einer bäuerlichen Familie in Niederweis (heute Kreis Bitburg-Prüm) in der Südwesteifel geboren. Bereits als Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Trier (1918-1926) erfuhr Zender durch seinen Trierer Gymnasiallehrer Josef Steinhausen von der Existenz des damals noch jungen Bonner Instituts für geschichtliche Landeskunde, und Steinhausen ermutigte den Schüler, Fragebögen für das rheinische Wörterbuch auszufüllen. Als Primaner trat er 1925 in den gerade erst gegründeten Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande ein. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er Volkskunde, Geschichte und Germanistik an den Universitäten Bonn, Innsbruck und Wien und wurde 1938 an der Bonner Universität promoviert. Am 20.12.1939 heiratete er die Lehrerin Clara Neyses (1909-1992). Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Tochter Adelheid (1943-1996) und Sohn Wolfgang (geboren 1950).
Am 1.4.1939 wurde Zender Assistent an der Universität Bonn. Wie aus einem Schreiben des SS-Ahnenerbes des gleichen Jahres hervorgeht, wurde ein beantragtes Habilitationsstipendium abgelehnt. Obwohl er 1938 der NSDAP beigetreten war, galt Zender dem NS-Regime als politisch unzuverlässig.
Zender wurde am 20.5.1940 zur Wehrmacht einberufen und am 1.4.1941 zum Kriegsverwaltungsrat in Arlon (Belgien) ernannt. Er agierte als Spezialreferent für Areler Volkstumsfragen bis 1944, danach wurde er als Soldat an der Front eingesetzt. Wegen seiner germanisierungspolitischen Tätigkeit in Arlon im Auftrag der deutschen Militärverwaltung wurde er 1946 in Belgien inhaftiert und ein Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet, das jedoch im August 1949 ohne Anklageerhebung eingestellt wurde.
1954 habilitierte sich Matthias Zender in Bonn mit der Untersuchung über „Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung". Sechs Jahre später wurde er zum außerordentlichen, 1963 zum ordentlichen Professor an der Universität Bonn ernannt. Bis zu seiner Emeritierung 1974 war er Direktor des Volkskundlichen Seminars und Abteilungsleiter für rheinische Volkskunde am Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn.
Seit Ende der 1950er Jahre leitete Matthias Zender die Volkskundliche Arbeitsstelle des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) beim Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zunächst als Landesverwaltungsrat (1954-1960) im Dienst des Landschaftsverbandes, später als Lehrstuhlinhaber. Diese Aufgabe prägte auch den Charakter seiner Lehrtätigkeit. So führte er die Studierenden bei Studienaufenthalten in der Eifel und im Selfkant in Methoden und Zielsetzungen empirischer Forschung ein.
Zenders Dissertation war der mündlichen Erzählüberlieferung gewidmet gewesen. Die Feldforschungen hatten ihn in die Westeifel, in die Kreise Ahrweiler, Mayen, Wittlich und Cochem , in die Region um Malmedy und St. Vith sowie in das deutschsprachige Gebiet um Arlon in Belgien und nach Luxemburg geführt. Seine für die spätere Forschung maßgeblichen Untersuchungen über die Sage als Spiegelbild des Volkslebens rückten die Beziehungen zwischen Erzähler, Erzählungen und Hörerkreis in den Vordergrund.
Schon als Gymnasiast hatte Matthias Zender mit dem damaligen Leiter des Rheinischen Wörterbuches in Bonn, Professor Dr. Josef Müller korrespondiert. Die Arbeit am Rheinischen Wörterbuch begleitete Zender bis zum Abschluss des neunbändigen Werkes. Nach dem Tod des langjährigen Bearbeiters Heinrich Dittmaier (1907-1970) betrachtete er es als selbstverständliche Pflicht, den letzten Band im Jahre 1971 zu Ende zu bringen. Im Jahre 1929 war Matthias Zender mit dem Aufbau der Landesstelle Rheinland des „Atlasses der deutschen Volkskunde“ betraut worden, wobei er ein dichtes Belegnetz geknüpft hatte. Zender übte durchaus Kritik an der vom Ahnenerbe protegierten Berliner Atlas-Zentralstelle. Er zeigte auf, dass „historische Strömungsrichtungen“ nicht „volkstumsgeographisch" durch Blut und Boden bedingt und nicht in grauer germanischer Vorzeit angesiedelt sind.
1954 erhielt Matthias Zender den Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Neue Folge des Volkskunde-Atlasses herauszugeben. Dieses voluminöse Werk brachte er mit 84 Kartenblättern, rund 2.000 Seiten umfassenden Erläuterungsbänden und drei Beiheften 1984 zum Abschluss. Seine wegweisenden Studien gaben der kartographischen Methode einen eigenständigen wissenschaftlichen Rang, losgelöst von der Dialektgeographie und der stammesgebundenen Volkstumsgeographie.
Zenders Arbeiten umfassten den gesamten mitteleuropäischen Raum. Daraus ergab sich konsequenterweise eine führende Rolle beim „Ethnologischen Atlas Europas“. Dieses Projekt blieb allerdings ein Torso, es erschien lediglich die erste Lieferung „Die Termine der Jahresfeuer in Europa“.
Matthias Zender prägte als langjähriger Mitherausgeber der „Rheinischen Vierteljahrsblätter“, der „Rheinisch-westfälischen Zeitschrift für Volkskunde“, der „Zeitschrift für Volkskunde“ sowie der „Ethnologia Europaea“ nicht nur die Volkskunde. Auch auf dem Gebiet der rheinischen Landesgeschichte nahm er eine hervorragende Stellung ein, wie seine Mitgliedschaften im Vorstand der „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“ (Köln) und des „Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande“ (Bonn) bezeugen. Zender war Mitglied der „Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung“ (Saarbrücken) und der „Volkskundlichen Kommission für Westfalen“ (Münster).
Sein hohes wissenschaftliches Ansehen bezeugen zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen: korrespondierendes Mitglied der „Akademie der Wissenschaften“ zu Göttingen, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des „Deutschen Sprachatlas“ (Forschungsinstitut für Deutsche Sprache in Marburg), korrespondierendes Mitglied des „Vereins für österreichische Volkskunde“ in Wien, korrespondierendes Ehrenmitglied der „Section de Linguistique de Folklore et de Toponomie de l'Institut Grand-Ducal de Luxembourg“, Ehrenmitglied der „Königlichen Gustaf -Adolfs-Akademie“ zu Uppsala, Ehrenmitglied der „Société Internationale d'Ethnologie et de Folklore“ der UNESCO sowie Mitglied der „Ständigen Internationalen Kommission für den Ethnologischen Atlas Europas und seiner Nachbarländer“. Zender war Inhaber der Artur Hazelius-Medaille des Nordiska-Müseet in Stockholm, Inhaber des großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und Comtur des päpstlichen St. Gregorius-Ordens.
Matthias Zender starb nach einem erfüllten, der Wissenschaft gewidmeten Leben am 20.12.1993 in Bonn. Er wurde auf dem Friedhof seines Geburtsortes Niederweis beigesetzt.
Werke (Auswahl)
Volkssagen der Westeifel, Bonn 1935.
Die Sage als Spiegelbild von Volksart und Volksleben im westlichen Grenzland. Ein Beitrag zur Volkskunde von Eifel und Ardennen, Dissertationschrift, Teildruck Bonn 1940.
Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung in ihrer Bedeutung für die Volkskunde. Die Heiligen des mittleren Maaslandes und der Rheinlande in Kultgeschichte und Kultverbreitung, Düsseldorf 1959, 2., erweiterte Auflage Köln 1973.
Die Verehrung des hl. Quirinus in Kirche und Volk, Neuss 1967.
Gestalt und Wandel. Aufsätze zur rheinisch-westfälischen Kulturraumforschung, hg. von Heinrich L. Cox und Günter Wiegelmann, Bonn 1977.
Volkskunde. Eine Einführung [zusammen mit Günter Wiegelmann und Gerhard Heilfurth], Berlin 1977.
Ethnologischer Atlas Europas. Die Termine der Jahresfeuer, Karte I-V, Göttingen 1979 [Redaktion].
Die Termine der Jahresfeuer in Europa. Erläuterungen zur Verbreitungskarte (Forschungen zum Ethnologischen Atlas Europas und seiner Nachbarländer), Göttingen 1980 [Redaktion].
Die Verehrung des hl. Maximin von Trier (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft XI/1), Köln 1982.
Volksmärchen und Schwänke aus Eifel und Ardennen, Bonn 1984.
Die Verehrung des hl. Severin von Köln (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft XI/2), Köln 1985.
Sagen und Geschichten aus der Westeifel, 3. verbesserte Auflage, Bonn 1986.
Festschrift, Schriftenverzeichnis
Ennen, Edith/Wiegelmann, Günter (Hg.), Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte. Festschrift Matthias Zender, 2 Bände, Bonn 1972.
Mangold, Josef, Schriftenverzeichnis Matthias Zender über die Jahre 1925-1987. Professor Dr. Matthias Zender zum 80. Geburtstag, Bonn 1987.
Nachrufe
Cox, Heinrich L., Matthias Zender 1907-1993, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 58 (1994), S: XVII-XXV.
Cox, Heinrich L., Nachruf Matthias Zender, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 39 (1994), S. 11-19.
Literatur
Fischer, Helmut, Zender, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hg. von Rolf W. Brednich (u.a.), Band 14, Berlin [im Druck].
Gansohr-Meinel, Heidi, „Fragen an das Volk“ Der Atlas der deutschen Volkskunde 1928-1945. Ein Beitrag zur Geschichte einer Institution, Würzburg 1993.
Lejeune, Carlo, Matthias Zender als Kriegsverwaltungsrat und seine Akte: Ein Helfer Hitlers oder ein aufrechter Humanist? In: Rheinische Vierteljahrsblätter 77 (2013), S. 130-157.
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Döring, Alois, Matthias Zender, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/matthias-zender/DE-2086/lido/57c827be1ab6f5.77104033 (abgerufen am 15.10.2024)