Ernst Moritz Roth

Priester, Künstler, NS-Widerständler (1902-1945)

René Schulz (Bonn)

Ernst Moritz Roth, 14. Juli 1931, Foto: Wilhelm Roth. (Familienarchiv Josef Roth / CC BY-SA 3.0)

Der aus ei­ner Köl­ner Fa­mi­lie von De­ko­ra­ti­ons­ma­lern stam­men­de Ernst Mo­ritz Roth war ka­tho­li­scher Pries­ter, Ma­ler, Ly­ri­ker und Wi­der­ständ­ler ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Ins­be­son­de­re wäh­rend sei­ner Jah­re als Vi­kar in Wind­eck-Dat­ten­feld 1932-1935 ge­riet er mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in hef­ti­gen Kon­flikt. Trotz fol­gen­der Ver­set­zun­gen und per­sön­li­cher Ge­fahr hielt er an sei­ner Geg­ner­schaft zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus fest, pro­tes­tier­te wie­der­holt ge­gen die men­schen­ver­ach­ten­de NS-Po­li­tik und half Ver­folg­ten des Re­gimes. Er starb kurz vor Kriegs­en­de im März 1945 auf tra­gi­sche Art und Wei­se in sei­nem Ver­steck in Wind­eck-Drei­sel, in das er vor der Ge­sta­po ge­flo­hen war, durch ei­nen Bom­ben­tref­fer.

 

Ernst Mo­ritz Roth kam am 31.1.1902 als fünf­tes von sie­ben Kin­dern des aus dem Wei­ler Hons­ba­cher­müh­le (heu­te Stadt Loh­mar) im Ag­ger­tal stam­men­den De­ko­ra­ti­ons­ma­lers Wil­helm Roth (1870-1948) und sei­ner Frau Mar­ga­re­the, ge­bo­re­ne Kruth in Köln zur Welt. Wil­helm Roth hat­te nach sei­ner Aus­bil­dung 1894 zu­sam­men mit dem Nie­der­län­der Wil­lem van der Kaaij (1831-1918) den rasch wach­sen­den und bald kunst­ge­werb­lich ori­en­tier­ten De­ko­ra­ti­ons­ma­ler­be­trieb „Roth & van der Kaai­j“ be­grün­det. Der Be­trieb si­cher­te der gro­ßen, fest im ka­tho­li­schen Mi­lieu und Ver­bands­we­sen ver­wur­zel­ten Fa­mi­lie ei­nen ge­wis­sen Wohl­stand und den Kin­dern die Mög­lich­keit ei­ner so­li­den und um­fas­sen­den Aus­bil­dung.

Ernst Mo­ritz Roth wuchs in be­hü­te­ten und von eben­so tie­fer wie ge­leb­ter Re­li­gio­si­tät ge­präg­ten Ver­hält­nis­sen auf. Das Wohn­haus der Fa­mi­lie in der Hän­del­stra­ße 12 im Bel­gi­schen Vier­tel der Dom­stadt, na­he dem Do­mi­ni­ka­ner­klos­ter und der Pfarr­kir­che Sankt Mi­cha­el, dien­te zu­min­dest teil­wei­se auch als Fir­men­sitz. Wie sei­ne Ge­schwis­ter be­such­te Ernst Mo­ritz die Städ­ti­sche Mitt­le­re Kna­ben­schu­le I. Da der zu­sam­men mit dem kin­der­lo­sen van der Kaaij ge­führ­te Be­trieb ei­nen Nach­fol­ger be­nö­tig­te und der äl­te­re Bru­der Al­bert (1897-1914) das Ma­l­er­hand­werk gern er­lern­te, blieb den an­de­ren Kin­dern die Be­rufs­wahl vor­erst frei­ge­stellt. So konn­te der erst­ge­bo­re­ne Jo­seph (1986-1945) den Weg auf das Kö­nig­li­che Leh­rer­se­mi­nar in Eus­kir­chen be­schrei­ten und der drit­te Bru­der Wil­helm, ge­nannt Wil­li (1898-1952), sei­ner frü­hen Be­geis­te­rung für den Do­mi­ni­ka­ner­or­den fol­gen, um dort ein­zu­tre­ten - ein, wie auch die Ent­wick­lung der an­de­ren Kin­der zei­gen soll­te, ein­drucks­vol­ler Be­weis des fes­ten, in der Fa­mi­lie prak­ti­zier­ten Glau­bens. Der jüngs­te Bru­der Karl-Gus­tav (1905-1987) folg­te dem Bei­spiel der bei­den Äl­te­ren und wur­de 1930 Pries­ter.

Die Familie Roth, 1910. V. l. n. r. Ernst Moritz, Adelheid (1903-1978), Wilhelm (1898-1952), Albert (1897-1914), Joseph (1896-1945), Karl-Gustav (1905-1987), Margarethe (1866-1932), Wilhelm (1870-1948), Elisabeth (1899-1968). (Familienarchiv Josef Roth / CC BY-SA 3.0)

 

Der Ers­te Welt­krieg, ei­nes der ers­ten ein­schnei­den­den Er­leb­nis­se im Le­ben des noch jun­gen Ernst Mo­ritz, führ­te auch in der Fa­mi­lie Roth zu Trau­ma­ta: Kurz nach Kriegs­be­ginn fiel sein Bru­der Al­bert am 20.10.1914 im Front­ab­schnitt von Ar­ras und La Bas­sé in Nord­frank­reich. Die­ser schmerz­li­che Ver­lust griff nicht nur die Ge­sund­heit der von den Kin­dern ver­göt­ter­ten Mut­ter an, er warf auch die Nach­fol­ge­fra­ge im vä­ter­li­chen Be­trieb wie­der auf. Der Va­ter dräng­te so den sen­si­blen und früh künst­le­risch ver­an­lag­ten Ernst Mo­ritz, der eben­so ger­ne wie Wil­li so­fort ei­ne Lauf­bahn als Geist­li­cher ein­ge­schla­gen hät­te, in die hand­werk­li­che Aus­bil­dung, die zwar sei­nem spä­te­ren Kunst­schaf­fen zu­gu­te­kam, ihm aber zu­gleich ob des Er­war­tungs­drucks tie­fe Sor­gen be­rei­te­te. In der Ly­rik fand er zeit­le­bens die be­vor­zug­te Aus­drucks­form sei­nes In­nen­le­bens und ver­ar­bei­te­te auch die fa­mi­liä­ren Ver­hält­nis­se in ei­nem, wie so vie­le, na­men­los ge­blie­be­nen Ge­dicht, in dem es un­ter an­de­rem hei­ßt: Va­ter sagt im­mer, // ich soll den­ken: // aber er hat al­les schon ge­dacht, // hat ei­nen Ham­mer, // hat ei­nen Am­boss, // hat auch Feu­er schon für mich ge­macht.

Nach­dem er seit 1912 das Köl­ner Apos­tel­gym­na­si­um be­sucht hat­te, wech­sel­te Ernst Mo­ritz Roth auf die Kunst­ge­wer­be­schu­le der Dom­stadt, die er am 1.4.1921 mit der Ge­sel­len­prü­fung zum De­ko­ra­ti­ons- und Kir­chen­ma­ler ab­schloss. Zur Ver­tie­fung sei­ner hand­werk­li­chen Aus­bil­dung schick­te ihn der Va­ter an die Kunst­ge­wer­be­schu­le in Nürn­berg. Gleich­wohl blieb der Wunsch des jun­gen Ma­ler­ge­sel­len, Geist­li­cher zu wer­den, be­ste­hen und der Va­ter er­kann­te das auch schlie­ß­lich an. Wil­helm Roth ver­kauf­te sei­ne An­tei­le an dem Be­trieb, der Welt­krieg, In­fla­ti­on und Welt­wirt­schafts­kri­se über­stan­den hat­te, nach dem Tod sei­ner Frau 1932 an zwei Ma­ler­meis­ter. Nach dem Ab­itur an der Or­dens­schu­le der Do­mi­ni­ka­ner im ol­den­bur­gi­schen Ve­ch­ta, die auch schon Wil­li be­sucht hat­te, stu­dier­te Ernst Mo­ritz Roth als Pries­ter­amtskan­di­dat des Erz­bis­tums Köln an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn und leb­te im dor­ti­gen Col­le­gi­um Al­ber­ti­num, ehe er 1924 an das Pries­ter­se­mi­nar in Bens­berg (heu­te Stadt Ber­gisch Glad­bach) wech­sel­te. Ne­ben dem Stu­di­um der Theo­lo­gie, un­ter an­de­rem bei dem be­kann­ten Fun­da­men­tal­theo­lo­gen und Phi­lo­so­phen Ar­nold Ra­de­ma­cher (1873-1939), des­sen um re­li­giö­se Ein­heit und Ab­wehr des neu­en, völ­ki­schen Na­tio­na­lis­mus be­müh­tes Den­ken er­kenn­ba­re Spu­ren im Wir­ken des spä­te­ren Pries­ters hin­ter­ließ, be­leg­te Roth Zei­chen­stu­di­en bei dem Bild­hau­er Karl Men­ser und ent­wi­ckel­te so­mit zu­gleich sein nach Aus­druck stre­ben­des künst­le­ri­sches Ta­lent wei­ter.

Auftragsarbeit der Firma „Roth und van der Kaaij“, 1927. In der Bildmitte oben Ernst Moritz Roth, rechts stehend sein Vater Wilhelm. (Familienarchiv Josef Roth / CC BY-SA 3.0)

 

Seit sei­ner Ju­gend ma­lend und zeich­nend, wur­de Roth am stärks­ten von der Stil­strö­mung des Ex­pres­sio­nis­mus ge­prägt. Cha­rak­te­ris­tisch für sei­nen Stil sind aus­ge­präg­te Kon­trast- und Kon­tu­ren­spie­le, die mit dem spar­sams­ten Ein­satz von Far­ben ein­her­ge­hen. Die wie sei­ne Ge­dich­te meist na­men­lo­sen Zeich­nun­gen, Gra­phi­ken und Bil­der ver­wei­sen den Be­trach­ter auf be­deu­ten­de Ein­fluss­ge­ber: Vin­cent van Gogh (1853-1890), Fer­di­nand Hod­ler (1853-1918), Jan Thorn-Prik­ker, Hein­rich Nau­en (1880-1940) und Emil Nol­de (1867-1956) mar­kie­ren Weg­ab­schnit­te sei­nes sich durch ver­schie­de­ne Krei­se zie­hen­den künst­le­ri­schen Schaf­fens, das auch nach sei­ner Pries­ter­wei­he am 6.8.1929 im Dom zu Köln nicht ab­riss. Mit dem Düs­sel­dor­fer Ma­ler und Gra­phi­ker Wal­ter Ophey (1882-1930), ei­nem der her­aus­ra­gen­den Köp­fe des „Rhei­ni­schen Ex­pres­sio­nis­mus“, ver­band ihn ei­ne en­ge Freund­schaft.

Sei­ne ers­ten Jah­re als Vi­kar ver­brach­te er an Sankt Bar­ba­ra in Mül­heim-Dümp­ten (1929/1930), Sankt An­to­ni­us in Düs­sel­dorf-Ober­kas­sel (1930/1931) und Sankt An­to­ni­us in Es­sen-Frohn­hau­sen (1931/1932), ehe er nach Sankt Lau­ren­ti­us in Wind­eck-Dat­ten­feld ver­setzt wur­de. Als für die dor­ti­ge Ju­gend­ar­beit ver­ant­wort­li­cher und über­aus ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter Vi­kar sah sich Ernst Mo­ritz Roth bald vor die Her­aus­for­de­rung ge­stellt, die Ju­gend ge­gen den wach­sen­den Ein­fluss der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zu schüt­zen. Die Pre­dig­ten des mit­rei­ßen­den und lei­den­schaft­li­chen Red­ners Roth ver­ra­ten, wie er die La­ge des durch das NS-Re­gime und sei­ne Po­li­tik her­aus­ge­for­der­ten christ­li­chen Glau­bens ein­schätz­te. Er nahm sie mit sei­nem aka­de­mi­schen Leh­rer Ra­de­ma­cher und in­spi­riert von der Re­li­gi­ons­kri­tik der Phi­lo­so­phen Fried­rich Nietz­sche (1844-1900) und Ni­co­lai Hart­mann (1882-1950) als ei­ne tief­grei­fen­de Kri­se der re­li­giö­sen Bin­dun­gen und des Ver­lusts ethi­scher Ge­wiss­hei­ten wahr. Im Jahr der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nah­me 1933 er­klär­te er in ei­ner Pre­digt in der Kir­che Ma­riä Heim­su­chung in Leu­scheid (heu­te Ge­mein­de Wind­eck): So liegt das Volk zwar auf den Kni­en vor je­dem hei­li­gen oder un­hei­li­gen Bild, Chris­ti rea­le Ge­gen­wart aber und die Ver­gött­li­chung in Chris­tus für al­le als We­sens­sinns emp­fin­det und lebt es nicht. Hin­ter re­li­giö­sen Me­ta­phern, Zi­ta­ten aus der Hei­li­gen Schrift oder Fra­gen ver­barg er sei­ne war­nen­de Kri­tik und hielt sich durch die­ses „un­ei­gent­li­che Spre­chen“ (Tho­mas Bre­chen­ma­cher) für den Not­fall in­ter­pre­ta­to­ri­sche Frei­räu­me of­fen, um den NS-Ver­fol­gungs­be­hör­den durch all­zu of­fen ar­ti­ku­lier­te Geg­ner­schaft kei­nen Vor­wand zu lie­fern. Da­bei ließ sei­ne Hal­tung, nicht zwei Her­ren die­nen zu kön­nen, kei­ner­lei Kom­pro­miss­be­reit­schaft er­ken­nen.

Der to­ta­li­tä­re Macht­an­spruch der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, die ge­sam­te Ju­gend durch ih­re Or­ga­ni­sa­tio­nen zu er­fas­sen, zu kon­trol­lie­ren und ideo­lo­gisch zu for­men, führ­te im Zu­ge der rasch nach 1933 ein­set­zen­den Be­mü­hun­gen um Gleich­schal­tung der üb­ri­gen Ju­gend­ver­bän­de und ih­re Über­füh­rung in die Hit­ler­ju­gend zu ers­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen Roths mit den neu­en Macht­ha­bern und ih­ren ört­li­chen Ver­tre­tern. So be­schwer­te sich der NS­DAP-Zel­len­lei­ter Camminecci bei sei­ner Orts­grup­pen­lei­tung bit­ter­lich über den über­aus ein­fluss­rei­chen Vi­kar, der nach sei­ner Ein­schät­zung das grö­ß­te Hin­der­nis für den Auf- und Aus­bau der Par­tei­ju­gend in Dat­ten­feld sei. Öf­fent­lich be­zeich­ne­te Roth Adolf Hit­ler (1889-1945) und sei­ne An­hän­ger als Hohl­köp­fe. Die vie­len nach den März­wah­len 1933 in die NS­DAP Ein­ge­tre­te­nen wa­ren für ihn nur Ham­pel­män­ner. Re­gel­mä­ßig ver­wei­ger­te er sich Ver­an­stal­tun­gen der Par­tei und er­wi­der­te auch nicht den Hit­ler­gruß. Die Ant­wort der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ließ nicht lan­ge auf sich war­ten: Sie ver­such­ten ei­nen Keil zwi­schen die ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rung und den von ih­nen als schwar­zen Hetz­ka­plan ver­leum­de­ten Geist­li­chen zu trei­ben, in­dem sie mit Pro­pa­gan­da­vor­trä­gen und Flug­blät­tern Lü­gen und Zwei­fel über Roths Ju­gend­ar­beit und sei­ne per­sön­li­che In­te­gri­tät streu­ten. Sol­che Dis­kre­di­tie­rungs­ver­su­che lie­fen je­doch bei der ihm zu­ge­neig­ten Dat­ten­fel­der Be­völ­ke­rung mehr­heit­lich ins Lee­re. Wa­ren die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu­nächst noch ver­ba­ler Na­tur, spitz­te er sich durch die Ge­walt­be­reit­schaft der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten und den ge­gen Roth in Stel­lung ge­brach­ten Ver­fol­gungs­ap­pa­rat bald zu. Die Hit­ler­ju­gend pro­vo­zier­te Zu­sam­men­stö­ße mit An­ge­hö­ri­gen des Jung­män­ner­ver­eins, die nicht sel­ten in Schlä­ge­rei­en mün­de­ten. Roths Ju­gend­ar­beit wur­de nun im­mer wie­der von der HJ und ört­li­chen An­hän­gern des Re­gimes ge­stört und sa­bo­tiert. Ih­rer Tak­tik der Pro­vo­ka­ti­on und wei­te­ren Es­ka­la­ti­on fol­gend, schu­fen die NS-Be­hör­den voll­ende­te Tat­sa­chen und be­schlag­nahm­ten am 21.6.1933 das Ju­gend­heim in der Dat­ten­fel­der Schu­le samt sei­nem In­ven­tar für die HJ. Die Vor­fäl­le zo­gen nicht nur die Auf­merk­sam­keit der na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ge­lenk­ten Pres­se auf sich, son­dern weck­ten auch die sorg­sa­me Be­ob­ach­tung des Köl­ner Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats.

Im Mai 1934 ließ Roth zahl­rei­che Flug­schrif­ten mit dem Ti­tel „Vom gu­ten Recht der ka­tho­li­schen Ju­gend“ in der Ge­mein­de ver­tei­len, die aus der von Jo­seph Teusch ge­lei­te­ten Ab­wehr­stel­le des Erz­bis­tums Köln ge­gen die kir­chen- und chris­ten­tums­feind­li­che Pro­pa­gan­da des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus stamm­ten und ei­ne pu­bli­zis­ti­sche Ge­gen­öf­fent­lich­keit zur vom Re­gime be­herrsch­ten öf­fent­li­chen Sphä­re schu­fen. Als Ge­gen­re­ak­ti­on ver­teil­te die HJ ih­rer­seits Flug­schrif­ten, in de­nen sie den schwar­zen Schuft Roth of­fen an Leib und Le­ben be­droh­ten. Nach der Ver­fü­gung der Staats­po­li­zei zur Un­ter­bin­dung der wei­te­ren Ver­tei­lung ka­tho­li­scher Flug­schrif­ten muss­te er sich Ver­hö­ren beim Amts­ge­richt als auch bei der Ge­sta­po stel­len. Zu­neh­mend be­sorgt um sei­ne per­sön­li­che Si­cher­heit und Ge­sund­heit, die durch die Aus­ein­an­der­set­zun­gen in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen wur­de, än­der­te der in sei­ner Über­zeu­gung fes­te Roth nichts an der Ent­schie­den­heit sei­nes Ver­hal­tens, moch­ten sei­ne Pre­dig­ten auch mits­te­no­gra­phiert wer­den.

Un­ter­stüt­zung er­hielt Roth in die­ser schwe­ren Zeit, in der sich das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at und sein di­rek­ter Vor­ge­setz­ter De­chant Ju­li­us Menghi­us be­deckt oder gar ma­ß­re­gelnd ver­hiel­ten, le­dig­lich von Sei­ten der Be­völ­ke­rung. Im Krei­se der Freun­de Ru­di Gei­mer, Wil­li We­ber, Jo­sef Gör­gen und Pe­ter Si­mon fand der zu­neh­mend see­lisch und kör­per­lich An­ge­schla­ge­ne Halt und Si­cher­heit von den Schi­ka­nen, Mü­hen und Ängs­ten. Wie sehr Roths Über­zeu­gungs­kraft und Cha­ris­ma trotz al­ler Här­ten der Zeit auf sein Um­feld wir­ken konn­ten, zeigt die Tat­sa­che, dass sich Gei­mer, We­ber und Gör­gen eben­falls zum Pries­ter­tum be­ru­fen fühl­ten. Gör­gen fiel ge­gen En­de des Zwei­ten Welt­kriegs als Front­sol­dat, Gei­mer und We­ber wur­den nach dem Krieg als „Spät­be­ru­fe­ne“ zu Pries­tern ge­weiht.

Roths Kon­flikt mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in Dat­ten­feld fand sei­nen Hö­he­punkt 1935, als sich die Un­zu­frie­den­heit vie­ler El­tern aus Wind­eck-Drei­sel über den mit dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus sym­pa­thi­sie­ren­den Volks­schul­leh­rer Schwein­heim in ei­nem Pro­test­schrei­ben an den Amts­bür­ger­meis­ter Pott ent­lud. Dar­in for­der­ten sie un­ter Be­zug­nah­me auf die Be­stim­mun­gen des Reichs­kon­kor­dats das Recht auf ei­ne ka­tho­li­sche Schul­bil­dung ih­rer Kin­der und die Er­set­zung Schwein­heims ein, an­dern­falls wür­den sie den Un­ter­richt boy­kot­tie­ren. Das zwecks Un­ter­schrift­leis­tung im Um­lauf be­find­li­che Schrift­stück, das mitt­ler­wei­le die Na­men von 26 Un­ter­zeich­nern trug, wur­de am 3.4.1935 bei ei­nem Be­tei­lig­ten be­schlag­nahmt und führ­te zu ei­nem Ver­fah­ren we­gen Nö­ti­gung, in dem es zu An­kla­ge und teil­wei­sen Ver­ur­tei­lung von 30 mu­ti­gen Frau­en und Män­nern kam. Die Be­hör­den sa­hen in Ernst Mo­ritz Roth ei­nen der Draht­zie­her und Haupt­ver­ant­wort­li­chen für die­sen Akt des öf­fent­li­chen Pro­tests. Wel­che Rol­le Roth tat­säch­lich bei der Pla­nung und Ab­fas­sung der Be­schwer­de ge­spielt hat, lässt sich nicht mehr ge­nau fest­stel­len. Nach Zeu­gen­aus­sa­gen soll er vor dem Pro­test und sei­nen Fol­gen ge­warnt und nur die Ab­fas­sung des Tex­tes über­nom­men ha­ben. Ob­gleich die Be­schlag­nah­mung des Schrei­bens der ei­gent­li­chen Ein­ga­be zu­vor­kam und die Be­weis­la­ge dürf­tig er­schien, sah das zu­stän­di­ge Schöf­fen­ge­richt Sieg­burg die Nö­ti­gung wie auch die Be­tei­li­gung Roths als er­wie­sen an und ver­ur­teil­te ihn und ei­ni­ge wei­te­re Dat­ten­fel­der zu 30 Reichs­mark Geld­stra­fe, er­satz­wei­se zu sechs Ta­gen Haft. Au­ßer­dem ent­zog das Schul­amt Sieg­burg Roth am 15.6.1935 die Un­ter­richts­er­laub­nis.

Roths Stel­lung in Dat­ten­feld war da­mit un­ter fort­ge­setz­ten Dro­hun­gen und Schmä­hun­gen kaum mehr zu hal­ten, so dass er 1936 vom Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at als Haus­geist­li­cher an das Sankt Eli­sa­beth-Kran­ken­haus in Bonn ver­setzt wur­de. Ob­wohl er un­ter stän­di­ger Be­ob­ach­tung stand, hielt er ver­deck­ten Kon­takt zu sei­ner al­ten Wir­kungs­stät­te und wi­der­setz­te sich dem ver­stärkt ge­gen die jü­di­sche Be­völ­ke­rung vor­ge­hen­den Re­gime, in­dem er den be­freun­de­ten jü­di­schen Arzt Kurt Ge­org Lei­chen­tritt tauf­te, um ihn – in voll­kom­me­nem Miss­ver­ste­hen der ras­sen­ideo­lo­gi­schen Mo­ti­va­ti­on und Sto­ß­rich­tung des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ju­den­has­ses – vor der Ver­fol­gung zu be­wah­ren, und ver­half ihm mit Hil­fe der Fa­mi­lie zur Aus­wan­de­rung nach New York, wo Lei­chen­tritt mit ei­ner Arzt­pra­xis Fuß fas­sen konn­te.

Auch setz­te Roth wei­ter­hin in sei­nen Pre­dig­ten Zei­chen des Pro­tests ge­gen die NS-Po­li­tik, die nach dem Be­ginn ih­res Ver­nich­tungs- und Er­obe­rungs­krie­ges mit der sys­te­ma­ti­schen Er­mor­dung von kör­per­lich und geis­tig be­hin­der­ten Men­schen, der so­ge­nann­ten „Eu­tha­na­sie“, dar­an ge­gan­gen war, ih­re ras­sis­tisch-so­zi­al­dar­wi­nis­ti­sche Welt­an­schau­ung in die Wirk­lich­keit um­zu­set­zen. Mu­tig klag­te der 1940 nach Schwarz­rhein­dorf (heu­te Stadt Bonn) ver­setz­te Ka­plan auch hier den Wahn an und frag­te in ei­ner Pre­digt am 1.5.1941 nach der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über den Mit­men­schen: Nein, die cau­sa lae­ti­tiae des mo­der­nen Men­schen, das ist er selbst […], sein gren­zen­lo­ses Selbst­ge­fühl, aus dem sei­ne mass­lo­se Herrsch­sucht, sein Neid, sei­ne Un­sitt­lich­keit wächst. […] Wis­sen wir schon ob un­se­re Zeit es nicht bald ganz ab­leh­nen wird, al­te, schwa­che, kran­ke Men­schen als Mit­glie­der ih­rer Ge­sell­schaft zu be­trach­ten und sie ih­rem Schick­sal über­las­sen wird?

Auf dem Weg zur Priesterweihe im Kölner Dom: Pater Thaddäus Maria Roth, Joseph Roth, Karl Gustav Roth, Ernst Moritz Roth mit Weihekranz (v. r.). (Familienarchiv Josef Roth / CC BY-SA 3.0)

 

In noch stär­ke­rem Ma­ße er­leb­te der äl­tes­te Bru­der Jo­seph Roth, ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der der Go­des­ber­ger Zen­trums­par­tei, in den Kriegs­jah­ren die Re­pres­sio­nen des Re­gimes. Als im Zu­ge der Ak­ti­on „Ge­wit­ter“ nach dem miss­glück­ten At­ten­tat auf Hit­ler vom 20. Ju­li 1944 im gan­zen Reich ver­blie­be­ne und ver­däch­tig­te Re­gi­me­fein­de ver­haf­tet wur­den, traf es auch den über­zeug­ten Hit­ler­geg­ner Jo­seph Roth, der über das Sam­mel­la­ger auf dem Köln-Deut­zer Mes­se­ge­län­de in das KZ Bu­chen­wald de­por­tiert wur­de. Nach sei­ner Ent­las­sung im Ok­to­ber 1944 half Ernst Mo­ritz, den durch die Fol­ter und ei­ne ver­ab­reich­te Gift­sprit­ze ster­bens­kran­ken Bru­der in der Nä­he von Dat­ten­feld vor wei­te­ren Re­pres­sa­li­en zu ver­ste­cken, be­vor die­ser nach Bonn-Fries­dorf zu­rück­kehr­te, wo er am 22.1.1945 ver­starb. Er be­er­dig­te sei­nen Bru­der auf dem Fries­dor­fer Fried­hof. Als ihm selbst die Ver­fol­gung durch die Ge­sta­po droh­te, floh er An­fang März 1945 nach Wind­eck-Drei­sel und hielt sich im Haus sei­nes Freun­des Wil­li We­ber ver­steckt. Ei­ne ver­irr­te Flie­ger­bom­be traf am 12.3.1945 das Haus, un­ter des­sen Trüm­mern er um­kam. Ernst Mo­ritz Roth fand sei­ne letz­te Ru­he am Fu­ße von Sankt Lau­ren­ti­us in Dat­ten­feld.

Werk und Nach­lass Ernst Mo­ritz Roths sind in al­le Win­de zer­streut wor­den. Erst vom 15.-23.6.1968 fand die ers­te und lan­ge Zeit ein­zi­ge Aus­stel­lung ei­ni­ger sei­ner Wer­ke im Rat­haus von Beu­el (heu­te Stadt Bonn) statt. Seit 2010 trägt die Grund­schu­le Dat­ten­feld sei­nen Na­men. Zwei Stol­per­stei­ne, am Ster­be­haus in Drei­sel und vor der Kir­chen­trep­pe in Dat­ten­feld, er­in­nern an ihn. Seit dem 12.3.2018 wid­met sich ei­ne vom Land­schafts­ver­band Rhein­land auf In­itia­ti­ve und im Ver­bund mit ört­li­chen In­itia­to­ren ge­stal­te­te Aus­stel­lung in der Al­ten Vi­ka­rie in Dat­ten­feld dem Le­ben und Wir­ken Roths als Pries­ter, Künst­ler und Wi­der­ständ­ler.

Quellen

His­to­ri­sches Ar­chiv des Erz­bis­tums Köln, Nach­lass Karl-Gus­tav Roth
Pri­vat­ar­chiv der Fa­mi­lie Roth
Samm­lun­gen in Pri­vat­be­sit­z 

Literatur

Flo­er, Bernd, Kol­lek­ti­ver Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus aus dörf­lich-ka­tho­li­schem Mi­lieu im Erz­bis­tum Köln: Ein Fall­bei­spiel aus dem Jah­re 1935, Mün­chen 2008.
Hund­hau­sen, Emil, Ernst Mo­ritz Roth als Vi­kar und Geg­ner des Drit­ten Rei­ches, Strom­berg/Sieg 1979.
Hund­hau­sen, Emil, Ernst Mo­ritz Roth 1902-1945. Ein Bei­trag zur Dat­ten­fel­der Kir­chen­ge­schich­te, in: Hei­mat­blät­ter des Rhein-Sieg-Krei­ses 48 (1980), S. 197-204.
Roth, Jo­sef, Ernst Mo­ritz Roth, in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon, Band 33, Nord­hau­sen 2012, Spal­ten 1138–1140.
Sie­ring, Theo/Ste­ger, Hans, Ernst Mo­ritz Roth 1902–1945, Bonn 1978.
Zim­mer­mann, Rai­ner, Die Kunst der ver­schol­le­nen Ge­ne­ra­ti­on. Deut­sche Ma­le­rei des Ex­pres­si­ven Rea­lis­mus von 1925 bis 1975, Düs­sel­dorf/Wien 1980. 

Joseph Roth, 1930. (Familienarchiv Josef Roth / CC BY-SA 3.0)

 
Zitationshinweis

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Schulz, René, Ernst Moritz Roth, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ernst-moritz-roth/DE-2086/lido/5d0a003062a953.93728176 (abgerufen am 19.03.2024)