Zu den Kapiteln
Die Familie Henckels war eine protestantische Schleiferfamilie aus Solingen, die das Schneidwarenunternehmen „Zwilling J.A. Henckels“ gegründet hat. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gelang es den Henckels, ihr Unternehmen zum größten Solinger Schneidwarenhandel auszubauen und ihr Fabrikzeichen, den „Zwilling“, weltweit als Markenzeichen zu etablieren.
Die Familie ist spätestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in Solingen nachweisbar. Der Name leitet sich vom Vornamen Heinrich ab, dessen Koseformen unter anderem Henckelein oder verkürzt Henckel waren. Im 15. Jahrhundert finden sich vor allem in Solingen und Lennep (heute Stadt Remscheid) Mitglieder der Henckels-Familie. In Solingen bildete sich durch die Zunftordnung innerhalb der Familie eine Linie der Schleifer und eine der Schmieder heraus. Die erstere gründete das spätere Unternehmen „Zwilling J. A. Henckels“.
Johann Abraham Henckels Sen. (1771-1850)
Das Zeichen des „Zwilling“ als Marke kommt erstmals in der Messermacherrolle 1731 vor. Peter Henckels zum Neuenhaus (gestorben 1759) ließ dieses am 13. Juni – im Sternzeichen des Zwilling - dort eintragen, um den Zwilling als Markenzeichen zu schützen. Der Erbe Peter Henckels verkaufte am 4.12.1760 das Zeichen an Johann Gottfried Henckels (1735-1811), einem entfernten Verwandten der Familie, welcher später seinen eigenen Namen zum Zeichen hinzufügte. Die Gründe dafür sind nicht überliefert, jedoch ist gesichert, dass sich Johann Gottfried anschließend als Messermacher und Reider selbstständig machte und der „Zwilling“ von diesem Zeitpunkt an im Besitz seiner Familienlinie blieb. Es dauerte dennoch eine weitere Generation, bis die Gründung der Firma „Zwilling J.A. Henckels“ durch den jüngsten Sohn Johann Gottfrieds und seiner Ehefrau Anna Maria Linders zu Linden (1728-1792) erfolgte: Johann Abraham Sen. (1771-1850) war der einzige überlebende Sohn des Ehepaares und erhielt neben der handwerklichen Lehre eine einfache Schulausbildung, die es ihm immerhin ermöglichte, grundlegende geschäftliche Dinge selbstständig zu erledigen. 1792 heiratete er Johanne Maria Schauf am Brühl (auch Johanna Maria Schauff, 1768-1852), die ebenfalls aus einer Solinger Schleiferfamilie stammte. Das Ehepaar bekam acht Kinder, fünf Mädchen und drei Jungen, von denen jedoch der erstgeborene Sohn, Johann Abraham (1795-1810), und die vierte Tochter, Henrietta (1808-1816), bereits im Kindesalter starben. Nachdem Johann Abraham sowohl im Hause seines Vaters als auch seines Schwiegervaters gearbeitet hatte, zog er 1808 mit seiner Familie in das Haus am Platzhof 611 in Solingen. Dort arbeitete er selbstständig zusammen mit seinem Vetter Peter Daniel Henckels (1774-1798). Während das Geschäft zunächst schlecht lief, änderte sich das nach dem Einzug der französischen Revolutionstruppen ins Rheinland. Die 1806 von Napoleon verhängte Kontinentalsperre gegen England wirkte sich positiv auf den Stahlwarenhandel in der Region um Solingen aus. Während zuvor die englischen Konkurrenzprodukte aus Sheffield die Solinger Schneidwaren immer weiter vom Markt verdrängt hatten, schützte die Kontinentalsperre die einheimische Wirtschaft und brachte ihr Aufschwung. Auch die Aufhebung des Zunftwesens und die Einführung der Gewerbefreiheit unter Napoleon beförderte das Wirtschaftsleben der Zeit.
Als der Vater 1811 verstarb, einigte sich Johann Abraham mit seinen Schwestern über die Erbschaft dahingehend, dass das Markenzeichen des Zwillings an ihn überging und er es unter seinem Namen in der Messermacherrolle eintragen lassen konnte. Anschließend suchte er neue Möglichkeiten, seine Produkte in den Handel zu bringen. Dabei hatte er hauptsächlich ostdeutsche Märkte im Blick, wie Magdeburg, Leipzig und allen voran Berlin. Johann Abraham reiste kontinuierlich in diese Städte und sah dort Chancen, seinen Absatzmarkt über das Bergische Land hinaus zu erweitern. Im Februar 1818 entschloss er sich, in Berlin ein Kommissionsgeschäft zu eröffnen und mietete dafür Räumlichkeiten auf der Poststraße 12. Das Geschäft lief anfangs jedoch schleppend und der Plan, einen Kommissionsnehmer zu finden, der ausschließlich die Zwillingsware verkaufte, schlug fehl. Dennoch hielt Johann Abraham daran fest, in Berlin geschäftlich Fuß zu fassen.
Johann Gottfried Henckels (1804-1858)
Zum Weihnachtsgeschäft 1818 nahm Johann Abraham erstmals seinen Sohn Johann Gottfried (1804-1858) mit nach Berlin, der so schon früh in das Familiengeschäft eingearbeitet wurde. Mitte des Jahres 1819 fanden Vater und Sohn auf der Scharrenstraße 1 geeignetere Ladenräume inklusive Lager und einer kleinen Wohnung. Kurze Zeit später erkrankte der Vater jedoch an einem Beinleiden und musste sich in Kur begeben. Sohn Johann Gottfried kehrte nach Solingen zurück, um seine Mutter bei der Geschäftsführung zu unterstützen. Die Leitung des Berliner Geschäfts oblag währenddessen seinem Schwager Johann Abraham Stutenbecker (1797-1835) und Ludwig Hoff, einem Mitarbeiter aus dem Solinger Geschäft. Als Johann Abraham Henckels ein Jahr später aus der Kur zurückkehrte, war die finanzielle Situation der Geschäfte in Solingen und Berlin kritisch, insbesondere die Konkurrenz anderer Solinger Schneidwarenhändler in Berlin schmälerte die Gewinne und führte sogar zu einer teilweisen Zahlungsunfähigkeit. Im April 1820 reiste Johann Abraham daher nach Berlin, wo er sich abermals für einen Umzug in einen größeren Laden entschied. Passende Räumlichkeiten fand er auf der Jägerstraße 52, die sogar ein Schaufenster zur Warenauslage boten. Außerdem ordnete er an, dass nur Ware von erstrangiger Qualität mit dem „Zwilling“ ausgezeichnet werden sollten, um ein hohes Niveau zu halten und den Ruf der Produkte zu verbessern. Sohn Johann Gottfried folgte ihm Mitte des Jahres 1820 nach Berlin und wurde in der Folgezeit immer mehr zur treibenden Kraft, zumal sich der Vater zwischen 1821 und 1824 auf Geschäftsreisen in Schlesien, Polen und Österreich befand. Spätestens mit 18 Jahren, also im Jahr 1822, war Johann Gottfried in der Lage, das Berliner Geschäft selbstständig zu führen. Er lernte seine kaufmännischen Fähigkeiten von Ludwig Hoff, der ihm sowohl die Buchhaltung als auch Französisch beibrachte. Ebenfalls beeinflusste Hoff Johann Gottfried in religiöser Hinsicht. Er war Mitglied der Sekte der „Gichtelianer“, der Johann Gottfried 1820 beitrat. Von da an waren seine „Engelsbrüder“, wie sich die „Gichtelianer“ auch nannten, nicht nur unter der Kundschaft des Berliner Geschäfts zu finden, sondern auch als Mitarbeiter. Durch den von ihm betriebenen Ausbau des Sortiments konnte Johann Gottfried seinen Eltern 1826 steigende Gewinne melden. Zum Angebot gehörten von da an nicht nur Schneidwaren, sondern auch modische Accessoires, wie Gürtel, Schnallen und Taschenbügel.
Johann Abraham Henckels Jr. (1813-1871)
Johann Abraham Henckels Jr. (1813-1871) trat wie sein älterer Bruder Johann Gottfried in jungen Jahren in das Familiengeschäft ein. 1829 reiste er das erste Mal zu seinem Bruder nach Berlin. Zuvor hatte er die Volksschule absolviert und sich in die Lehre seines Vaters begeben, wobei er insbesondere Kenntnisse in der Herstellung von Federmessern erwarb. Während seiner Berliner Zeit ergänzte er seine kaufmännische Ausbildung und lernte den Umgang mit Kunden. Aus Briefen der Henckels aus den Jahren 1830 und 1831 geht hervor, dass sich die beiden gut verstanden und Gottfried einen großen Einfluss auf seinen jüngeren Bruder hatte. Dies äußerte sich unter anderem darin, dass Johann Abraham Jr. ebenfalls eine Affinität zu den „Gichtelianer“ entwickelte. Beide Brüder lösten sich zunehmend von den Geschäftspraktiken des Vaters und entwickelten eigene Geschäftsstrategien und -praktiken: Gottfried sah die Notwendigkeit, die Zwilling-Produkte bei gleichbleibender Qualität zu niedrigeren Preisen zu verkaufen. Johann Abraham Jr. war der Ansicht, dass bei der Materialbeschaffung und Auftragsvergabe, die der Vater in Solingen vornahm, größere Sorgfalt walten und höhere Ansprüche gestellt werden mussten, um qualitativ hochwertigen Stahl zum günstigsten Preis zu erhalten. Als er 1831 wegen eines Ohrenleidens nach Solingen zurückkehren musste, übernahm er dort allmählich die Arbeit seines Vaters, der gesundheitlich beeinträchtigt war. Somit konnte Johann Abraham Jr. erste Änderungen in die Wege leiten.
1833 begann Johann Abraham Sen. über die Zukunft seines Unternehmens nachzudenken. Er setzte sein Testament auf und einigte sich mit seinen beiden Söhnen schnell über die Bestimmungen: Johann Gottfried und Johann Abraham Jr. bekamen das Unternehmen zu gleichen Teilen zum 1.1.1836 überschrieben. Die Zukunft des Unternehmens war damit gesichert, jedoch entwickelte sich die Zusammenarbeit der beiden Brüder mit dem Vater in den nächsten Jahren zunehmend schwieriger. Johann Abraham Sen. wollte weiterhin an der Geschäftsleitung beteiligt sein, während seine Söhne diese jedoch aufgrund seines Gesundheitszustandes - er litt an starkem Bluthochdruck - und den konträren Ansichten über die Geschäftspraktiken auf kleinere Aufgaben reduzieren wollten. Das Verhältnis zwischen Johann Abraham Sen. und seinem jüngeren Sohn, der während seiner Zeit in Solingen im elterlichen Haus wohnte, litt besonders in den Jahren nach der Unternehmensübernahme. Als sich Johann Abraham Jr. entschied, Henriette Nippes zu Grünewald (1821-1890), eine finanziell überaus gute Partie, zu heiraten, entbrannte Streit zwischen Vater und Sohn. Johann Abraham Sen. war der Meinung, dem jüngerer Sohn würde nur ein Viertel des Unternehmensgewinns zustehen, da er durch die reiche Heirat mehr Geld besitzen würde als die übrigen Geschwister. Diesen sollte zusammen ein Viertel übertragen werden, wohingegen Johann Gottfried eine Hälfte erhalten sollte. Der Streit endete damit, dass Johann Abraham Jr. zu seinen Schwiegereltern in deren Haus am Grünewald zog und der ältere Bruder die Vorstellungen des Vaters höflich, aber bestimmt ablehnte.
Die Hochzeit von Johann Abraham Jr. und Henriette fand am 9.10.1840 statt. Aus der Ehe gingen 15 Kinder hervor. Durch die räumliche Distanz zwischen Vater und Sohn entschärfte sich die Situation erheblich und die Eingriffe des Vaters in die Geschäftsführung nahmen kontinuierlich ab. Das lag nicht zuletzt auch an dessen sich verschlechternden Gesundheitszustand, aber auch an der Verlegung der Fabrikräume vom Platzhof, dem Wohnort der Eltern, nach Grünewald, dem heutigen Standort, im Jahre 1840. Am 6.4.1850 starb Johann Abraham Sen. an Brustwassersucht. Seine Frau Johanne Maria folgte ihm zwei Jahre später am 19.11.1852.
Nach dem Tod der Eltern konnten die Brüder Henckels das Unternehmen nach ihren eigenen Vorstellungen verändern und ausbauen. Johann Abraham Jr. erwies sich dabei als agiler und strebsamer als sein Bruder; er nahm in den 1840er Jahren und die Geschäfte in Solingen nahezu vollständig in die Hand. 1845 pachtete er einen Raffinierhammer in Müngsten (heute Stadt Solingen), ohne seinen Bruder darüber zu informieren. Sein Ziel war es, die Qualität ihrer Produkte weiter zu steigern. Dazu überlegte er, von dem bisher verwendeten raffinierten Stahl abzugehen und Gussstahl einzuführen, wie ihn auch die englische Konkurrenz benutzte. Ab 1847 war dieser in guter Qualität auch im Bergischen Land verfügbar und wurde von Johann Abraham Jr. zunehmend eingesetzt. 1851 reisten die Brüder nach England, vornehmlich, um die Weltausstellung in London zu besuchen. Dort stellten sie ihre Produkte aus, die mit einer bronzenen Medaille ausgezeichnet wurden. Dadurch konnte sich die Marke „Zwilling“ auch international etablieren. Außerdem reisten die Brüder nach Sheffield, dem Sitz der größten englischen Konkurrenz, um dort Einblicke in die Produktionsweisen zu erhalten. Dabei stellten sie angeblich fest, wie aus Briefen an ihre Ehefrauen hervorgeht, dass die englischen Produkte der Solinger Industrie qualitativ unterlegen seien. Johann Abraham Jr. sah jedoch in der zentralisierten Fabrikstruktur einen Vorteil der englischen Industrie. In der Solinger Industrie herrschte immer noch das Heimarbeitersystem vor, das durch die neuen technischen Möglichkeiten und die starke Konkurrenz aus dem Ausland aber bald vor dem Aus stand. Auch die Brüder Henckels verabschiedeten sich davon, als sie 1851, nach der Heimkehr aus England, den Grundstein für die Erweiterungen des Fabrikgebäudes legten, das nunmehr alle wichtigen Arbeitsschritte unter einem Dach vereinte. Die Erweiterungen bestanden aus einer Brunnenanlage, einem Maschinenhaus und einer Fabrikhalle. Zwei Jahre später erhielt das Unternehmen seine erste Dampfmaschine, die 16 PS stark war und als Antrieb der Schleifsteine diente. Diese Anschaffung wurde vor allem von Johann Abraham Jr. vorangetrieben, der sich schon 1850 bei dem Berliner Maschinenhersteller und Gründer der Borsig-Werke, August Borsig (1804-1854), über entsprechende Möglichkeiten informiert hatte. 1857 folgte das werkseigene Hammerwerk und 1867 ein Gussstahlwerk, das bis 1965 den Gussstahl für die Produktion lieferte. Damit war „Zwilling“ das erste Solinger Unternehmen mit einer Gesenkschmiede. Johann Gottfried kümmerte sich unterdessen weiter um das Geschäft in Berlin und ließ seinem Bruder freie Hand bei der Erweiterung des Unternehmens. Er starb am 14.2.1858 in Berlin an den Blattern. Seine Beerdigung fand auf dem Begräbnisplatz der Jerusalemskirche auf der Bergmannstraße in Berlin statt. Die Leitung der Berliner Filiale übernahm der Neffe von Johann Abraham, Robert Stutenbecker (1825-1883).
Johann Albert Henckels (1847-1891)
Johann Abraham Jr. baute das Unternehmen mit 1.400 Beschäftigten zum größten Arbeitgeber in Solingen und zum größten Schneidwarenhandel in Europa aus. Drei Jahre nach der Einrichtung des Gussstahlwerks erkrankte er jedoch erneut an dem Ohrenleiden, an dem er bereits in der Jugend gelitten hatte. Als er am 5.3.1870 an einer Blutvergiftung starb, hinterließ er die Nachfolge für das Unternehmen ungeklärt. Zunächst übernahm seine Witwe Henriette Henckels die Leitung, unterstützt von ihrem Neffen Robert Stutenbecker. Ihre ältesten Söhne Johann Albert (1847-1891) und Karl Otto (1849-1915) waren noch in der Ausbildung in England, wo sie in Sheffield und in Birmingham kaufmännische Fähigkeiten erwerben sollten. Erst 1879 konnte Johann Albert zusammen mit seinem Schwager Fritz Beckmann (1850-1918) die Leitung der Firma übernehmen. Drei Jahre später trat seine Mutter endgültig aus der Unternehmensleitung aus. Daraufhin gründete die Familie Henckels am 15.7.1882 eine Kommanditgesellschaft, deren Mitglieder ausschließlich Angehörige der Familie waren.
Johann Albert hatte ebenso wie sein Vater eine Affinität zu technischen Innovationen und nutzte diese für das Unternehmen. So etablierte er neue Dampf- und Federhämmer in der Fabrik und führte Fräsbänke ein, die das manuelle Feilen der Messer durch eine maschinelle Fräse ersetzten. Die Federhämmer hatte Johann Albert selbst entwickelt. Außerdem folgten bald darauf Holzbearbeitungswerkstätten und neue Werkzeugmaschinen. Insbesondere die Vierhämmer, die das Schmieden der Messerangeln verbesserten, waren für das Unternehmen ein Fortschritt in Qualität und Gleichförmigkeit der Messer. Neben den technischen Neuerungen fanden auch bauliche Veränderungen an den Fabrikgebäuden statt. So wurde das Gussstahlwerk kontinuierlich ausgebaut und auf dem Gelände entstanden regelrechte Straßennetze. 1890 wurde das Unternehmen an das Schienennetz des Bahnhofs Ohligs (heute Hauptbahnhof Solingen) angeschlossen, sodass Rohstoffanlieferungen erheblich vereinfacht wurden. Mit diesen Modernisierungen konnte „Zwilling“ nicht nur seine Position als europaweit größter Stahlwarenhandel verteidigen, sondern sich auch international stetig ausweiten. Zunächst wurde 1883 in New York eine Filiale auf der 107 Chambers Street eröffnet. Ein Jahr später folgte Wien (Kärntner Straße 24), dann der Neubau einer Filiale in der Leipziger Straße in Berlin (1889) sowie Neueröffnungen in Köln (1894), Hamburg (1895), Frankfurt a. M. (1898), Dresden (1900) und München (1911). International fasste das Unternehmen in Rotterdam (1897), Kopenhagen (1897) und San Francisco (1908) Fuß. Diese Entwicklung erlebte Johann Albert jedoch nicht mehr, da er bereits 1891 im Alter von 44 Jahren verstorben war. Sein Nachfolger wurde sein Schwager Alfred Wolters (1856-1934), der zusammen mit Fritz Beckmann die Leitung innehatte. Wolters tat sich insbesondere durch seine Nachwuchsförderung hervor, indem er die 1904 gegründete „Fachschule der Solinger Stahlwaren-Industrie“ - das heutige technische Berufskolleg Solingen - finanziell unterstützte. Auch setze sich die neue Leitung für die Arbeitssicherheit ein und sorgte für Vorkehrungen, um die Gesundheit der Arbeiter zu schützen. Dazu gehörte beispielsweise die Einrichtung von Luft-, Staub- und Dampfabsaugungen, wodurch die Möglichkeit an der „Schleiferkrankheit“, das heißt der Staublunge, zu erkranken, wesentlich verringert wurde.
Erster und Zweiter Weltkrieg
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 musste die Produktion auf Kriegswirtschaft umgestellt werden. Als Stahlwarenproduzent war das Zwillingswerk wichtig für die Kriegswirtschaft. Die Gesenkschmiede wurde ausgebaut und stellte nun Seitengewehre und Teile für Infanterie- und Maschinengewehre sowie für Feldkanonen her. Zu diesem Zwecke musste auch die Stahlglüherei vergrößert werden. Die Henckelschen Geschäfte im Ausland gingen zwar nicht verloren, allerdings gab es Gewinneinbußen bis hin zu Verlusten.
Nach dem Ersten Weltkrieg, Mitte der 1920er Jahre, erreichte „Zwilling“ eine Arbeiterzahl von knapp 3.000 und war damit das größte Schneidwarenunternehmen der Welt. Neben weiteren Filialeröffnungen, wie 1927 in Paris, versuchte das Unternehmen neueste Techniken für ihre Produktion zu entwickeln. So wurde 1939 als ein neues Eishärteverfahren, das sogenannte „Friodur“, für nichtrostende Schneidwaren in den Produktionsablauf integrierte. Dies geschah bereits unter der Führung von Paul Kind, Walter Gontermann (geboren 1884) und Paul Beckmann (1881-1963), alle drei Neffen von Johann Albert. 1951 erhielt „Zwilling“ für diese Prozedur Patentschutz.
Im Zweiten Weltkrieg war „Zwilling“ erneut Teil der Rüstungsindustrie. Dadurch wurden die Fabrikgebäude des Unternehmens zu einem Ziel der Alliierten. Bei den schweren Bombenangriffen der Alliierten im Jahr 1944 wurden die Gebäude zum größten Teil zerstört, die Produktion konnte nicht weitergeführt werden. Die Filialen, die das Unternehmen im Ausland in den vorhergehenden Jahren aufgebaut hatte, gingen - anders als im Ersten Weltkrieg - verloren.
Nachkriegszeit
„Zwilling“ konnte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur zögerlich und mühsamer als nach 1918 von den Folgen des Krieges erholen. 1947 lief die Produktion wieder an, in den 1950er Jahren konnten auch die Filialen im Ausland wieder öffnen. 1953 wandelte sich das Unternehmen von einer Kommandit-Gesellschaft in eine AG um, deren Anteile wie zuvor in Familienbesitz blieben. 1969 übernahm die Wilh. Werhahn AG die Aktienmehrheit des Unternehmens. Dieser Konzern ist, wie „Zwilling J.A. Henckels“, ein Familienunternehmen mit Sitz in Neuss. 1970 wurde sie schließlich Alleinaktionär, womit sich das Unternehmen nach fast 250 Jahren nicht mehr in Familienbesitz befindet.
Gleichzeitig mit der Übernahme der Aktienmehrheit modifizierte die Werhahn AG das Markenzeichen des „Zwillings“ in seine heutige Form: Während seit der Unternehmensgründung im Jahre 1731 die Zwillinge als schwarze Silhouetten dargestellt wurden, bekam das Logo nun weiße Zwillinge mit einem roten Hintergrund. Heute besitzt das Unternehmen Tochtergesellschaften unter anderem in den USA, Niederlanden, in Japan, Brasilien und Großbritannien und verkauft seine Produkte in über 100 Ländern. Firmensitz ist bis heute Solingen, wo es zu den größten Arbeitgebern der Stadt gehört.
Literatur
Kelleter, Heinrich, Geschichte der Familie J.A. Henckels in Verbindung mit einer Geschichte der Solinger Industrie, Solingen 1924.
Locht, Carl (Hg.), Hausgeschichte der Firma J.A. Henckels Berlin 1816-1911, Berlin 1911.
Lomberg, August, Bergische Männer. Ein Beitrag zur Geschichte der Heimat, Elberfeld 1921.
Rosenthal, Heinz, Solingen. Geschichte einer Stadt, 3 Bände, Duisburg 1972.
Sichelschmidt, Gustav, Bergische Gestalten, Wuppertal o.J.
Wechmar, Kurt [u.a.], 200 Jahre J.A. Henckels Zwillingswerk Solingen, Solingen 1931.
Weise, Jürgen, Johann Abraham Henckels (1771-1850) und seine Söhne Johann Gottfried (1804-1859) und Johann Abraham jun. (1813-1870), in: Stremmel, Ralf/Weise, Jürgen (Hg.), Bergisch-Märkische Unternehmer der Frühindustrialisierung, Münster 2004, S. 233–254.
Weyersberg, Albert, Johann Abraham Henckels der Jüngere, in: Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien 1 (1931), S. 214-229.
Online
Scherr, Louis, Henckels, Johann Abraham, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 520. [online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Saam, Alena, Familie Henckels, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-henckels/DE-2086/lido/5d5d2df87a6b27.24371619 (abgerufen am 09.11.2024)