Gottfried Kinkel

Schriftsteller und Revolutionär (1815-1882)

Björn Thomann (Suderburg)

Gottfried Kinkel in der Frankfurter Paulskirche, Porträt von Bernhard Hoefling (um 1850 in Bonn tätig). (Kölnisches Stadtmuseum)

Der Theo­lo­ge, Kunst­his­to­ri­ker und Dich­ter Jo­hann Gott­fried Kin­kel zählt zu den be­deu­ten­den Per­sön­lich­kei­ten der Re­vo­lu­ti­on 1848/1849 im Rhein­land. Ob­wohl er nach sei­ner Ver­haf­tung und sei­ner Flucht aus dem Ge­fäng­nis in Span­dau zu ei­ner Sym­bol­ge­stalt der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung er­ho­ben wur­de, blieb ihm ei­ne Ver­wirk­li­chung sei­ner po­li­ti­schen Vi­sio­nen zeit­le­bens ver­sagt.

Gott­fried Kin­kel wur­de am 11.8.1815 in Ober­kas­sel bei Bonn als Sohn des gleich­na­mi­gen Pfar­rers Kin­kel und des­sen Frau Si­byl­la Ma­ria Beck­mann ge­bo­ren. Ab 1825 be­such­te er das Bon­ner Gym­na­si­um, an dem er 1831 die Rei­fe­prü­fung ab­leg­te. Dem Vor­bild des Va­ters fol­gend, im­ma­tri­ku­lier­te er sich noch im glei­chen Jahr an der Evan­ge­lisch-Theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn. Ein zwei­se­mest­ri­ger Stu­di­en­auf­ent­halt in Ber­lin zwi­schen 1834 und 1835 för­der­te aber auch sein In­ter­es­se für Kunst und Li­te­ra­tur. Nach er­folg­rei­chem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums fand Kin­kel 1837, im Al­ter von nur 22 Jah­ren, ei­ne An­stel­lung als Do­zent für Kir­chen­ge­schich­te an der Evan­ge­lisch-Theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn.

 

Die Be­kannt­schaft mit der Pia­nis­tin Jo­han­na Mo­ckel gab Kin­kels Le­ben ab 1839 ei­ne ent­schei­den­de Wen­dung. Zu­nächst nur freund­schaft­lich ver­bun­den, grün­de­ten sie am 29.6.1840 ge­mein­sam den „Mai­kä­fer­bund". Die­sem li­te­ra­ri­schen Zir­kel zum Vor­trag und zur Be­spre­chung von Ly­rik und Pro­sa ge­hör­ten be­deu­ten­de Ver­tre­ter der jün­ge­ren Rhein­ro­man­tik an. Zu den wich­tigs­ten Mit­glie­dern zähl­ten Karl Sim­rock, Wolf­gang Mül­ler von Kö­nigs­win­ter und Ni­ko­laus Be­cker. Der bis 1847 be­ste­hen­den Mai­kä­fer­bund mit sei­ner Zeit­schrift „Der Mai­kä­fer: ei­ne Zeit­schrift für Nicht-Phi­lis­ter" gilt als ei­ner der wich­tigs­ten Dich­ter­krei­se des Vor­märz.

Kin­kels Hei­rat mit der in ers­ter Ehe ge­schie­de­nen Jo­han­na im Mai 1843 stell­te ei­nen ge­sell­schaft­li­chen Skan­dal dar. Als Do­zent der von ihm oh­ne­hin un­ge­lieb­ten Theo­lo­gie war Kin­kel da­mit nicht län­ger trag­bar. Statt­des­sen trat er zur phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät über, wur­de 1845 pro­mo­viert und 1846 zum Pro­fes­sor für Kunst- und Li­te­ra­tur­ge­schich­te er­nannt. Sei­ne po­li­ti­sche Kar­rie­re be­gann mit dem Aus­bruch der Re­vo­lu­ti­on im Früh­jahr 1848. Am 20.3.1848 bil­de­te er, ei­ne schwarz-rot-gol­de­ne Fah­ne tra­gend, ne­ben Ernst Mo­ritz Arndt und Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann die Spit­ze ei­nes Fest­zu­ges zum Bon­ner Rat­haus. Kin­kel, der zu­nächst noch ein Be­für­wor­ter der Mon­ar­chie war, stieg schnell zu ei­ner Leit­fi­gur der de­mo­kra­tisch-re­pu­bli­ka­ni­schen Be­we­gung auf. Er for­der­te die Grün­dung ei­nes deut­schen Na­tio­nal­staa­tes, Volks­sou­ve­rä­ni­tät und die Be­sei­ti­gung der Fürs­ten­herr­schaft. Die Um­set­zung die­ser Zie­le glaub­te er durch schritt­wei­se Re­for­men er­rei­chen zu kön­nen. Da­mit stand er in star­kem Wi­der­spruch zu dem in Köln agie­ren­den Kom­mu­nis­ten Karl Marx. Ne­ben sei­ner Frau Jo­han­na avan­cier­te der Ge­schichts­stu­dent Carl Schurz zu Kin­kels wich­tigs­tem Be­ra­ter und Mit­ar­bei­ter.

Kin­kel ver­stand es, die re­pu­bli­ka­ni­schen Strö­mun­gen Bonns in dem von ihm ge­grün­de­ten „de­mo­kra­ti­schen Ver­ein" zu bün­deln. Als Re­dak­teur der „Bon­ner Zei­tung", die ab 1849 un­ter dem Na­men „Neue Bon­ner Zei­tung" er­schien, stand er au­ßer­dem an der Spit­ze ei­nes der wich­tigs­ten de­mo­kra­ti­schen Blät­ter der Re­vo­lu­ti­on. Kin­kels Be­liebt­heit grün­de­te sich je­doch nicht al­lein auf sei­ne Qua­li­tä­ten als po­li­ti­scher Red­ner und Pu­bli­zist. Er galt auch als volks­nah und be­saß „in ho­hem Ma­ße die hei­te­re Un­ge­bun­den­heit des Rhein­län­ders", neig­te je­doch da­bei zu Selbst­ge­fäl­lig­keit und über­trie­be­nem Ehr­geiz. Als Po­li­ti­ker man­gel­te es ihm an tak­ti­schem Kal­kül so­wie an der Fä­hig­keit zur sach­li­chen Ana­ly­se des po­li­tisch Mach­ba­ren.

Am 5.2.1849 wur­de Kin­kel als Ab­ge­ord­ne­ter in die zwei­te Kam­mer der preu­ßi­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung in Ber­lin ge­wählt. Er setz­te sich da­bei mit 236:214 Stim­men ge­gen den Ju­ris­ten Jo­hann Brau­er­band (1800-1878) durch. Die Wahl stell­te Kin­kels grö­ß­ten po­li­ti­schen Er­folg dar. In sei­ner kur­zen Zeit als Par­la­men­ta­ri­er im La­ger der Lin­ken über­zeug­te er er­neut als po­li­ti­scher Red­ner. Nach der Auf­lö­sung der Na­tio­nal­ver­samm­lung im April 1849 kehr­te er nach Bonn zu­rück und rief zum be­waff­ne­ten Wi­der­stand ge­gen die preu­ßi­sche Re­gie­rung auf. In ei­nem Ar­ti­kel in der Neu­en Bon­ner Zei­tung schrieb er am 6.5.1849: „Nur vor uns liegt Land, liegt ei­ne Ret­tung, und sie hei­ßt Re­pu­blik. Wir wer­den nicht mehr ge­fragt, was wir wol­len oder wün­schen, nur um ein Müs­sen han­delt es sich, und dies Müs­sen lau­tet: Un­ter­ge­hen oder Durch­schwim­men, Knu­te oder Frei­heits­müt­ze, Bür­ger­krieg oder Ein­heit."

Un­ge­ach­tet ei­ge­ner Zwei­fel nahm Kin­kel am 10.5.1849 an der ge­plan­ten Er­stür­mung der Rüst­kam­mer des Sieg­bur­ger Zeug­haus teil. Nach dem Schei­tern des schon im Vor­feld der Stadt auf­ge­hal­te­nen An­griffs be­gab sich Kin­kel mit Schurz nach Süd­deutsch­land und nahm am ba­di­schen Auf­stand als An­ge­hö­ri­ger der Frei­schär­ler­kom­pa­nie Be­sançon teil. Nach ei­ner am 29.6.1849 an der Murg er­lit­te­nen Ver­wun­dung ge­riet er in preu­ßi­sche Ge­fan­gen­schaft und wur­de im Au­gust 1849 in Ras­tatt zu le­bens­lan­ger Zucht­haus­stra­fe ver­ur­teilt.

Als ihm im Früh­jahr 1850 in Köln der Pro­zess we­gen sei­ner Be­tei­li­gung am Zug nach Sieg­burg ge­macht wur­de, stell­te er sei­ne rhe­to­ri­schen Qua­li­tä­ten aber­mals un­ter Be­weis. Sei­ne Ver­tei­di­gungs­re­de gilt als rhe­to­ri­sches Meis­ter­stück. Der Pro­zess en­de­te mit sei­nem Frei­spruch, das Ur­teil von Ras­tatt blieb da­von je­doch un­be­rührt.

In der Nacht vom 6.11. auf den 7.11.1850 wur­de Kin­kel durch Carl Schurz aus der Fes­tung Span­dau be­freit. Schurz war es ge­lun­gen, ei­nen Wär­ter zu be­ste­chen, mit de­ren Hil­fe sich Kin­kel vom Dach des Ge­fäng­nis­ses ab­sei­len konn­te. Bei­den ge­lang die Flucht nach Eng­land, von wo sich Kin­kel zu­nächst um ei­ne Fort­füh­rung der Re­vo­lu­ti­on be­müh­te. Es ge­lang ihm je­doch nicht, die zer­strit­te­nen Grup­pie­run­gen po­li­ti­scher Emi­gran­ten zu ei­nen. Nach ei­ner sechs­mo­na­ti­gen Rei­se durch Ame­ri­ka, wo er ver­geb­lich um Geld­an­lei­hen zur Auf­stel­lung ei­nes In­va­si­ons­hee­res ge­wor­ben hat­te, gab er sei­ne po­li­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten auf und ließ sich mit sei­ner Fa­mi­lie in Lon­don nie­der. In den fol­gen­den, von Exis­tenz­nö­ten und schwe­ren Schick­sals­schlä­gen ge­präg­ten Jah­ren ar­bei­te­te Kin­kel zu­nächst als Leh­rer. Jo­han­na Kin­kel, die zu­vor meh­re­re Herz­in­fark­te er­lit­ten hat­te, starb am 15.11.1858 bei ei­nem Sturz aus dem Fens­ter ih­res Schlaf­zim­mers. Nach ih­rem Tod hei­ra­te­te Kin­kel 1860 die Kö­nigs­ber­ge­rin Min­na Wer­ner (1829-1907) und trat 1863 in den Dienst der Lon­do­ner Uni­ver­si­tät.

1866 über­nahm Kin­kel ei­ne Pro­fes­sur für Kunst- und Li­te­ra­tur­ge­schich­te am Po­ly­tech­ni­kum in Zü­rich. Die letz­ten Jah­re sei­nes Le­bens ver­brach­te er als wohl­ha­ben­der und an­ge­se­he­ner Bür­ger in der Schweiz. Gott­fried Kin­kel starb am 13.11.1882 in sei­nem Haus in Un­ter­straß bei Zü­rich an den Fol­gen ei­nes Schlag­an­falls. Er wur­de in ei­nem Eh­ren­grab auf dem Zü­ri­cher Zen­tral­fried­hof bei­ge­setzt.

Quellen

Klaus, Mo­ni­ca, Lie­be treue Jo­han­na! Liebs­ter Got­tit! Der Brief­wech­sel zwi­schen Gott­fried und Jo­han­na Kin­kel 1840-1858, 3 Bän­de, Bonn 2008.

Werke (Auswahl)

Die Ahr (1846).
Ge­dich­te (1852).
Dok­tor Ypo­cras (1877).
Der Grob­schmied von Ant­wer­pen (1842).
Kö­nig und Dich­ter (1851).
Das Mo­sa­ik in der Kunst­ge­schich­te (1876).
Ot­to der Schütz. Ei­ne rhei­ni­sche Ge­schich­te in zwölf Aben­teu­ern (1846).
Vom Rhein (1847).

Literatur

Böhm, Ro­land, Ar­ti­kel „Kin­kel, Gott­fried", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 3 (1992), Sp. 1499-1503.
En­nen, Edith, Gott­fried Kin­kel (1815-1882), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 1 (1961), S. 168-188.
Ker­s­ken, Hans, Stadt und Uni­ver­si­tät Bonn in den Re­vo­lu­ti­ons­jah­ren (1848/49), Bonn 1931.
Nie­sen, Jo­sef, Ar­ti­kel "Kin­kel, Gott­fried", in: Jo­sef Nie­sen, Bon­ner Per­so­nen­le­xi­kon, Bonn 2007, S. 163-165.
Schmidt, Klaus, Ge­rech­tig­keit – das Brot des Vol­kes. Jo­han­na und Gott­fried Kin­kel. Ei­ne Bio­gra­phie, Stutt­gart 1996
Schnel­ling-Rei­ni­cke, In­ge­borg, Gott­fried Kin­kel (1815-1882), in: Schnel­ling-Rei­ni­cke, In­ge­borg/Da­scher, Ott­fried (Hg.), Pe­ti­tio­nen und Bar­ri­ka­den. Rhei­ni­sche Re­vo­lu­tio­nen 1848/49, Müns­ter i.W. 1998, S. 288-290.

Online

Brandt-Schwar­ze, Ul­ri­ke (Be­arb.), Nach­lass Gott­fried und Jo­han­na Kin­kel: Find­buch, Bonn 2001 (Um­fas­sen­de In­for­ma­ti­on auf der Home­page der Uni­ver­si­täts- und Lan­des­bi­blio­thek Bonn). [On­line
En­nen, Edith, "Kin­kel, Gott­fried", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 11 (1977), S. 623-624. [On­line]
Klaus, Mo­ni­ca, Jo­han­na und Gott­fried Kin­kel (Bio­gra­phi­sche und bi­blio­gra­phi­sche In­for­ma­ti­on auf der Home­page des Stadt­mu­se­ums Bonn). [On­line]
Nach­lass von Gott­fried und Jo­han­na Kin­kel in der Uni­ver­si­täts- und Lan­des­bi­blio­thek Bonn. [On­line]

Gottfried Kinkel, Porträt, Stahlstich von Theodor Kühner. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Thomann, Björn, Gottfried Kinkel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gottfried-kinkel-/DE-2086/lido/57c9346d84d030.44827723 (abgerufen am 12.10.2024)