Zu den Kapiteln
Schlagworte
Hans Barion war ein ebenso herausragender wie politisch, theologisch und persönlich schillernder Intellektueller, der wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus nach 1945 nicht mehr auf seinen Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn zurück durfte. Zeitlebens fachlich und persönlich isoliert, wurde er erst nach seinem Tod – nicht zuletzt wegen seiner lebenslangen Freundschaft zu Carl Schmitt – als interessante Persönlichkeit der Zeitgeschichte und wissenschaftlicher Geheimtipp wieder entdeckt.
Hans Barion wurde als Sohn des Kaufmanns Heinrich Barion und seiner Ehefrau Wilhelma, geborene Müller, am 16.12.1899 in Düsseldorf geboren, wuchs dort auf und legte 1917 am Städtischen Reform-Realgymnasium an der Rethelstraße die Reifeprüfung ab. Nach Kriegsdienst 1917/ 1918 in Belgien und Frankreich sowie englischer Gefangenschaft bis Ende 1919 studierte er seit 1920 in Bonn Geschichte, Philosophie und Theologie. Am 14.8.1924 wurde er zum Priester des Erzbistums Köln geweiht.
In Bonn begann auch – nach dreijähriger Tätigkeit als Geistlicher Religionslehrer und Rektor am St. Augustinus-Stift in (Wuppertal-) Elberfeld – sein wissenschaftlicher Weg. 1928 wurde er mit einer kirchenrechtshistorischen Dissertation bei Albert Michael Koeniger (1874-1950) zum Dr. theol. promoviert. 1930 folgten die kanonistische Promotion zum Dr. iur can. an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und die Habilitation für das Fach Kirchenrecht in Bonn. Bereits seine Antrittsvorlesung über „Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts" machte Barion weit über den Kreis der Fachkollegen hinaus bekannt.
An der Staatlichen Akademie Braunsberg (Ostpreußen) wurde er Ende 1930 Lehrbeauftragter für Kirchenrecht und Patrologie, ein Jahr später Ordentlicher Professor für Kirchenrecht. Seine Braunsberger Jahre zeitigten für ihn schicksalhafte Spätfolgen. Wie die Mehrheit der Fakultät trat er auf Rat des dortigen Ortsbischofs Maximilian Kaller (1880-1947) 1933 in die NSDAP ein, zudem in den NS-Lehrerbund und 1937 in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Von 1938 bis 1941 wirkte er mit im Ausschuss für Religionsrecht der Akademie für Deutsches Recht, der dem Mangel an kirchenrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Sachkenntnis unter religionspolitisch tätigen Juristen abhelfen sollte.
Barion geriet ins Visier des Apostolischen Stuhls. Die genauen Gründe sind mangels Zugangs zum vatikanischen Archivmaterial nicht bekannt. Möglicherweise war er aufgefallen, weil er unter anderem das Reichskonkordat fachwissenschaftlich stark kritisierte. Es sei für den Staat zu schwach und für die Kirche zu günstig, Niederlage staatlicher und Sieg „cleverer" römisch-kurialer Diplomatie. Auch seine erst seit kurzem klar belegte geheime staatskirchenrechtliche Gutachtertätigkeit für die Regierung könnte auf kirchlicher Seite ruchbar geworden sein. Die römische Konzilskongregation untersagte Barion mit Wirkung vom 4.9.1934 strafweise die Ausübung seiner priesterlichen Vollmachten wegen schwerer (nicht weiter konkretisierter) Verfehlung gegen die kirchliche Disziplin. Obwohl von der Maßnahme rechtlich nicht umfasst, enthielt sich Barion auch der Lehrtätigkeit. Auf seine Bitte hin und nach Unterzeichnung der geforderten Unterwerfungserklärung mit dem Versprechen, künftig inner- und außerhalb seiner Lehrtätigkeit vorbehaltlos dem kirchlichen Geist zu entsprechen, wurde die Suspension im Oktober 1935 aufgehoben.
Zwar geriet Barion mit dem kirchlichen Lehramt nicht mehr in Konflikt, aber auch wer durch eine Strafe unter die kirchliche Ordnung zurückgebeugt und insoweit rehabilitiert wurde, bleibt für die kirchliche Autorität mit einem Makel behaftet, den sie bei ihr gelegenem Anlass erneut geltend machen kann. Dies tat der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber (1869-1952), der Barions staatlich unterstützte Bemühung um den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München vehement bekämpfte und sogar eine Protestnote des Apostolischen Stuhls erwirkte, bis unter anderem deswegen das Bayerische Kultusministerium die Fakultät am 13.2.1939 schloss.
Barion folgte noch im selben Jahr, vom zuständigen Kölner Erzbischof Kardinal Karl Joseph Schulte unbeanstandet, einem Ruf auf den kirchenrechtlichen Lehrstuhl seines Lehrers Koeniger an die Universität Bonn, wo er seither lehrte und von 1940 bis zur Schließung der Katholisch-Theologischen Fakultät im Herbst 1944 als Dekan amtierte.
Damit endete auch die Lehrtätigkeit Barions. Von der Militärregierung entlassen, bei der Entnazifizierung in die Gruppe der „Entlasteten" eingestuft, verwehrte das Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen ihm die Rückkehr auf seinen Lehrstuhl. Hauptvorwürfe waren seine NSDAP-Mitgliedschaft, die kirchliche Suspension und die Nichtberufung auf den Münchener Lehrstuhl. Im jahrelangen juristischen Kampf mit dem Land um seine Wiedereinstellung unterlag Barion 1957 endgültig.
Barion fühlte sich ungerecht behandelt und hat dies nie verwunden. Er betätigte sich seither als kanonistischer Privatgelehrter, staatskirchenrechtlicher Gutachter für das Land Hessen und pseudonymer Publizist. Intellektuell lebte er vor allem vom Austausch im Freundeskreis von Carl Schmitt. Barion starb 73-jährig, fachlich und menschlich isoliert, nach schwerer Krankheit am 15.5.1973. Auf eigenen Wunsch wurde er in aller Stille im Familiengrab auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof bestattet.
Hans Barion gilt als eine der schillerndsten wie interessantesten Persönlichkeiten nicht nur der kirchlichen Zeitgeschichte. Seine Würdigungen reichen von Bewunderung bis zu dämonisierender Parallelisierung mit Carl Schmitt und changieren auch je nach kirchlicher Bindung des Würdigenden.
Politisch gehört Barion zu den wenigen katholischen Theologen mit einem spezifischen Nahverhältnis zum Nationalsozialismus, ohne dass sich seine genauen Motivationen ausleuchten und seine Überzeugung von den Strategien zur Durchsetzung eigener Ziele trennscharf unterscheiden ließen. Politisierende Kirche und Katholizismus waren Barion ein Gräuel, die strikte Trennung von Kirche und Staat sein Ideal. Zu diesem Zweck ließ er die staatliche Seite durch seine scharfen Analysen die kirchlichen Absichten durchschauen. Gleichzeitig konnte er sich staatlicher Argumentationen bedienen, um theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten vor Beschränkungen zu bewahren. Persönlich war er überzeugt, es könne und müsse zwischen seinen Intentionen, von denen im Text nichts stehe, und seinen wissenschaftlichen Äußerungen ebenso streng unterschieden werden, wie zwischen Interessen des Staates als solchem und dessen nationalsozialistischer Manifestation.
Kirchenamtlich ist diese Haltung nicht akzeptabel. Der kirchlichen Autorität muss dies – gerade in den zutreffenden Punkten – als Verletzung jener Parteilichkeit erscheinen, zu der ein Katholik verpflichtet ist. Barion war nicht bereit, dem Staat vorzuenthalten, was nach kirchenamtlicher Auffassung nicht dessen ist, und verweigerte den vom kirchlichen Sinn geforderten parteilichen Einsatz seiner herausragenden wissenschaftlichen Kompetenz. Darüber hinaus wird häufig bezweifelt, ob Barions politische Position überhaupt möglich war und gelingen konnte, ob man auf dem staatlichen Klavier spielen konnte, ohne nationalsozialistische Töne zu erzeugen, ob man damals staatsnah sein konnte, ohne in NS-Nähe zu geraten, ob Barion seine politischen Einflussmöglichkeiten nicht über- und die Gefahr, vom Jonglieren ins Kollaborieren hinüber zu gleiten, unterschätzt, sich also verkalkuliert hat bei dem Versuch, seine eigenen kirchenpolitischen Ziele mit Hilfe der Partei durchzusetzen.
Trotz des hohen fachlichen Ansehens, dass Barion sich in den vier Schwerpunkten seiner Veröffentlichungen (Kirchenrechtsgeschichte, Verhältnis von Kirche und Staat, Grundfragen des Kirchenrechts, Zweites Vatikanisches Konzil) erworben hatte, wurde er in der eigenen kanonistischen Zunft totgeschwiegen. Im Fachurteil gilt er als ebenso geistig überlegener, wie kantiger und schwieriger Meister der Kanonistik, der analytische Brillanz, Abstraktionsfähigkeit und erhellenden systematischen Zugriff verband. Seinem Werk werden Streben nach Objektivität, juristischer Scharfsinn und theologische Zusammenschau attestiert. Nach dem Ausscheiden aus der Universität wurde die Lexikographie sein Forum. Allein seine 95 Artikel in dem groß angelegten evangelischen Lexikon „Religion in Geschichte und Gegenwart" gelten als sprachliche und fachliche Meisterleistungen.
Dass Barion seine analytische Schärfe auch sehr kritisch auf das in seinen Augen für die katholische Identität gefährlich progressive Zweite Vatikanische Konzil richtete – und dies in Distanz zum nachkonziliar real existierenden, in weiten Teilen konzilseuphorisierten Katholizismus – dürfte zu seiner Isolierung beigetragen und eine angemessene Würdigung verhindert haben. Dabei dürfte das bis heute unaufgeklärte, ebenso verbreitete wie grundlegende Missverständnis des Barionschen Ansatzes darin bestehen, als seine kirchenpolitische Meinung abzutun, was seine stringente Befundung des amtlichen Selbstverständnisses der römisch-katholischen Kirche war. Der Anerkennung oder Kritik dieses Selbstverständnisses enthebt man sich durch die Etikettierung Barions als Fundamental- oder Radikal-Konservativen und beantwortet so Wissenschaft mit Politik. Die römisch-katholische Rechtsentwicklung, insbesondere seit Papst Johannes Paul II. (Pontifikat 1978-2005), kann Korrektheit und Aktualität der Arbeiten Barions belegen. Diese bleiben in der unerbittlichen Stringenz des korrekten Kanonisten eine Herausforderung für Kanonistik, systematische Theologie und kirchliches Lehramt.
Barion hat eine ausgiebige Korrespondenz, insbesondere im Rahmen des so genannten Schmitt-Kreises, gepflegt, die erst nach und nach entdeckt wird. Leider sind ihre Gegenstücke wie der Nachlass Barions unauffindbar. Die Sammlung und Herausgabe der Barion-Briefe gilt nicht nur als für die Forschung lohnenswert, sondern verspräche auch Lesevergnügen. In ihnen zeigt sich auf eigene Weise Barions ungeheuer breite humanistische Bildung, seine Nähe zu Kunst, Museum, Oper und Konzert, seine erstaunliche Belesenheit sowie eine stilistische Eleganz, die sich mit sprühendem Witz und einer Tendenz ins Scharfe und Sarkastische verband. Seine Briefe lassen zudem jene persönlichen Ansichten und Abneigungen aufscheinen, von denen er seine wissenschaftlichen Texte konsequent frei hielt. Seine Urteile über Kollegen oder kirchliche Obere bestätigen manche in ihrem Unbehagen gegenüber einem als schwierig empfundenen Charakter.
Hans Barion schillert weiter und bleibt trotz seiner von Werner Böckenförde (1928-2003) 1984 herausgegebenen gesammelten Aufsätze und neuerdings vereinzelten monographischen Interesses ein „Geheimtipp".
Quellen
Böckenförde, Werner (Hg.), Hans Barion. Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, Paderborn 1984.
Literatur
Flatten, Heinrich, Hans Barion, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 142 (1973), S. 71-73.
Grote, Heiner, Fortgang der Neuscholastik. Zur Aktualität eines Unmodernen: Hans Barion, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 12 (1991), S. 103-106.
Marschler, Thomas, Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945, Bonn 2004.
Marschler, Thomas, Artikel "Barion, Hans", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 12 (2003), Sp. 53-56.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lüdecke, Norbert, Hans Barion, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-barion/DE-2086/lido/57c574dc6cb068.31936414 (abgerufen am 08.09.2024)