Zu den Kapiteln
Heinrich Heine gehört zu den bedeutenden europäischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts und war einer der Hauptvertreter der deutschen Vormärzliteratur. Noch in der Romantik wurzelnd, ließen ihn seine in der Form innovativen und inhaltlich gesellschaftskritischen Werke in seiner Zeit zu einem gleichermaßen beliebten wie angefeindeten Wegbereiter der Moderne werden. Heute ist er weltweit neben Goethe der bekannteste deutsche Autor, nicht zuletzt auch wegen der vielen Vertonungen seiner Gedichte.
Betrachtet man das Leben Heinrich Heines, so findet sich darin jene Gebrochenheit, jener „Weltenriss" wieder, den er selbst zur Signatur seiner Epoche erklärte. Einerseits sehen wir den Liebling der Götter und der Musen, der sich lange Zeit auf der Sonnenseite des Lebens aufhielt: Harry Heine - Heinrich hieß er erst seit der Taufe im Jahr 1825 - wurde am 13.12.1797 als ältestes von vier Kindern des Textilkaufmanns Samson Heine (1764-1828) und seiner Frau Betty (Peira), geborene van Geldern (1771-1859) in Düsseldorf geboren. Das Geburtsdatum ist nicht amtlich dokumentiert und darum mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.
Beide Eltern entstammten bedeutenden jüdischen Familien, wobei die Familie der Mutter eine Reihe bekannter Ärzte und Geschäftsleute in Düsseldorf und am Niederrhein hervorgebracht, in der Zeit von Heines Geburt aber an Einfluss verloren hatte; die Familie des Vaters dagegen, deren Stammsitz in Bückeburg lag, entwickelte sich gerade damals zu voller Blüte, stellte mit Heines Onkel Salomon (1767-1844) einen der reichsten Bankiers Deutschlands und verfügte über vielfältige Verbindungen in ganz Europa. Heine verlebte eine insgesamt glückliche Kindheit am Rhein, und Düsseldorf ist neben Paris die einzige Stadt, die er nie verspottet hat, über die er im Reisebild „Ideen. Das Buch Legrand" (1826) vielmehr schrieb, es werde ihm „wunderlich zumute", wenn er „in der Ferne" an sie denke.
Den Schulbesuch absolvierte er zusammen mit den christlichen Kindern und der französische Einfluss, Düsseldorf war von 1806 bis 1813 französisch, sorgte mit dafür, dass der Antisemitismus sich in Grenzen hielt. Auch seine Verbindung zum Rheinland insgesamt behielt diese positive Färbung, noch 1844 nannte er sich im Vorwort zu „Deutschland. Ein Wintermärchen" „des freien Rheins noch weit freieren Sohn."
Der reiche und familienbewusste Bankiers-Onkel finanzierte dem Neffen einen rasch abgebrochenen Start ins Hamburger Kaufmannsleben, dann ab 1819 ein ausgiebiges Studium in Bonn, Berlin und Göttingen mit dem Abschluss 1825 als Dr. jur. und anschließende Reisen quer durch Europa. Die daraufhin entstandenen „Reisebilder" (1830) machten Heine zu einem berühmten Schriftsteller, dessen Beliebtheit als Dichter des „Buchs der Lieder" (1827) im Publikum über die Jahre kontinuierlich anstieg, dessen satirische und polemische Angriffe auf die Reaktion in Politik und Geistesleben gleichzeitig auch die Zahl seiner Feinde stetig vermehrte. Heine ging im Mai 1831 nach Paris, damals das geistige Zentrum Europas, fand sofort Anschluss an die dortige Szene, fühlte sich ausgesprochen wohl im „Foyer der europäischen Gesellschaft", dem „Jerusalem der Freiheit".
Anfang der 1830er Jahre war er ein beliebter Gast in den Salons der französischen Hauptstadt, gefürchtet wegen seines Witzes und seiner Schlagfertigkeit, mehr oder weniger befreundet oder verfeindet mit Victor Hugo (1802-1885) und Alexandre Dumas (1802-1870), Théophile Gautier (1811-1872) und Gérard de Nerval (1808-1855), mit George Sand (1804-1876) und Eugène Delacroix (1798-1863), mit Frédéric Chopin (1809-1844) und Franz Liszt (1811-1886).
Mit der sehr viel jüngeren Augustine Crescence Mirat (1815-1883), die er Mathilde nannte, einem Mädchen vom Lande, lebte er seit 1835 in einer glücklichen Beziehung zusammen und zog sich zunehmend aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. 1841 heiratete er sie am Vorabend eines Duells. Er schrieb für die Franzosen über deutsche Poesie und Philosophie („Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" (1835) „Die romantische Schule" (1836)), für die Deutschen in mehreren Artikelserien für die bedeutendsten Zeitungen über französische Politik („Französische Zustände" (1833), „Lutezia" (1854)), aber auch über Kunst, Theater, Musik in Paris („Französische Maler" (1833), „Über die französische Bühne" (1838)).
Im Deutschland der 1830er Jahre wurde Heine der Heros einer jungen Schriftstellergeneration, in Paris war er begehrtes Ziel vieler deutscher Reisender, stand in Kontakt zu anderen Emigranten wie Ludwig Börne (1786-1837) oder Richard Wagner (1813-1883), zu den Vorvätern der deutschen Arbeiterbewegung, auch zu Karl Marx und seinen radikalen Freunden. Als Anfang der 1840er Jahre die literarisch-politische Debatte in Deutschland neu eröffnet wurde, erhob Heine von Paris aus mit vieldiskutierten Beiträgen wie „Ludwig Börne" (1840), „Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" (1843), „Deutschland. Ein Wintermärchen" (1844) und den „Zeitgedichten" (1844) seine Stimme. Damals verstärkten sich Symptome einer Krankheit, bei denen es sich um Spätfolgen einer Syphilis handelte, die 1848 voll zum Ausbruch kam und ihn für den Rest seines Lebens ans Krankenlager, an seine „Matratzengruft" fesseln sollte.
In den Jahren 1843 und 1844 hatte Heine noch zwei Reisen nach Hamburg unternommen, insbesondere, um seine alte Mutter und einige Freunde und Verwandte wiederzusehen. Die seiner Krankheit zum Tode buchstäblich abgerungene Gedichtsammlung „Romanzero" (1851) wurde sein letzter großer Erfolg: innerhalb von zwei Monaten verkauften sich sensationelle 21.000 Exemplare. Heine starb am 17.2.1856 in Paris und wurde auf dem Montmartre-Friedhof beigesetzt.
Soweit die überwiegend positive Lesart dieses Lebens. Es gibt aber auch eine andere, dunklere Version von Heines Biographie. Bei aller Behütetheit der Düsseldorfer Jahre hatte er doch schon als Kind die Erfahrung der jüdischen Außenseiterexistenz gemacht. Das steigerte sich durch die Studienjahre und gipfelte 1825 in der demütigenden Taufzeremonie vor der Promotion, die Heine zum „Entréebillet zur europäischen Kultur" sublimierte, während er gleichzeitig in Briefen an seine jüdischen Freunde über den „nie abzuwaschenden Juden" klagte.
Wie viele Angehörige seiner Generation litt er zudem am Polizeistaat-Klima im nach-napoleonischen Deutschland der Restauration. Zensur, Verfolgung, Unterdrückung begleiteten seine literarische Arbeit. Nicht nur die Verheißungen der Juli-Revolution von 1830 lockten ihn schließlich nach Paris; er wurde zugleich getrieben von Frustration und Enttäuschung über die deutschen Verhältnisse, die für einen wie ihn keinen Platz ließen. Paris ist zwar bis zuletzt die geliebte Stadt; spätestens nachdem Haftbefehle und Polizeimaßnahmen ihm den Rückweg abgeschnitten hatten, wurde Frankreich aber auch zum Exil mit dessen Qualen und Bedrückungen.
Als deutscher Dichter war Heine auf ein deutsches Publikum angewiesen; deshalb traf ihn das Berufsverbot schwer, das die deutschen Behörden im Dezember 1835 gegen ihn und vier weitere, jüngere Schriftsteller des „Jungen Deutschland" verhängten, auch wenn er außer Landes war. Die Abhängigkeit von seinem Hamburger Bankiers-Onkel, ohne dessen permanente finanzielle Unterstützung er trotz seiner hohen Honorare nicht hätte überleben können, wurde noch größer. Mit Zensur und Beschlagnahmung hatte Heine bis zuletzt zu kämpfen, einmal sogar mit dem kompletten Verbot seines Hamburger Verlages Hoffmann und Campe. Verschiedentlich richteten die Preußen Ausweisungsersuche an die französische Regierung. Auch den Kranken, der wegen einer Augenbehandlung nach Berlin kommen wollte, ließen sie nicht ins Land. Wirklich schwierig wurde Heines materielle Existenz, als der Onkel 1844 starb und die Erben mit dem Geldhahn spielten. Mit dem Verleger Campe gab es Streit, und Heine wartete so vergeblich auf eine deutsche Gesamtausgabe seiner Werke, während er die französische noch erlebte.
Zunehmend enttäuschte ihn auch die politische Entwicklung in Frankreich nach der Revolution von 1848. Desillusioniert und angeekelt entwarf der weitgehend gelähmte und von Schmerzen geplagte Dichter zum Schluss voller Sarkasmus und Ironie das Bestiarium einer verkommenen und hässlichen Welt oder stellte ihr die verklärten Bilder der Düsseldorfer Kindertage entgegen.
Die Gebrochenheit dieses Lebens, dessen heiterste Seiten noch eine dunkle Grundierung haben und dessen tiefste Enttäuschungen von einem spöttischen Seitenblick begleitet waren, prägte das Bild des Dichters. Im Publikum gab es lange Zeit den „guten" und den „bösen Heine". Für den „guten" Heine stand vor allem die frühe Liebeslyrik des „Buchs der Lieder" und des „Neuen Frühlings", die nicht zuletzt durch tausende von Vertonungen – Heine ist der meistvertonte deutsche Dichter – weltweite Verbreitung fand. Für den „bösen" Heine standen die politischen Texte in Vers und Prosa mit ihrem ironischen Blick auf die bürgerliche Gesellschaft und den satirischen Ausfällen gegen jede Form von Unterdrückung.
Aber schon Heine hatte – im Vorwort zu einer Ausgabe des „Buchs der Lieder" – darauf bestanden, dass sein Werk als Ganzes gelesen werden sollte. Und in der Tat: In ihrem anti-bourgeoisen Impuls, ihrem tiefen Wissen um die enge Verflochtenheit von Sein und Schein, ist Heines frühe Liebeslyrik zugleich eminent politisch. Das zeigte bereits die zeitgenössische Rezeption. Zusammen mit den „Reisebildern" gab sie einer ganzen Generation nicht nur von Autoren den Ton vor. Und mit denselben Mitteln, mit denen die Liebesgedichte sich in die Kulissenwelt der schönen romantischen Gefühle eindrängten, demontierten die politischen Texte die Mächtigen und ihre Helfershelfer, die ihren engherzigen Nationalismus als Patriotismus ausgaben. Nichts verachtete Heine mehr als den Nationalismus, für dessen Vernichtung er sogar mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen bereit war, obwohl er fürchtete, sie würden aus dem „Buch der Lieder" Tüten drehen, um Schnupftabak darin zu verkaufen.
Er selbst verstand sich als Patriot in weltbürgerlicher Absicht. Dorthin konnten ihm nur wenige Deutsche folgen. Wie kein anderer Großer unserer Literatur ist Heine erst Recht nach seinem Tod zum Gegenstand von Hass und Verfolgung durch einen Teil des deutschen Publikums geworden, bis hin zum Totalverbot während des Nationalsozialismus, zu absurden Streitereien um Heine-Denkmäler und die Benennung der Düsseldorfer Universität und sehr mühsamen Annäherungsversuchen in Westdeutschland fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.
Heine selbst hatte sich stets voller Stolz als deutscher Dichter definiert: „Es ist nichts aus mir geworden, nichts als ein Dichter", schreibt er in den Geständnissen von 1854, und fährt fort: „Nein, ich will keiner heuchlerischen Demut mich hingebend, diesen Namen geringschätzen. Man ist viel, wenn man ein Dichter ist, und gar wenn man ein großer lyrischer Dichter ist in Deutschland, unter dem Volke, das in zwei Dingen, in der Philosophie und im Liede, alle anderen Nationen überflügelt hat." An diese Sätze sollte denken, wer im großen Leichenhaus der Poesie dem toten Heinrich Heine im Vorübergehen flüchtig die blassen Lippen küsst.
Werke
Sämtliche Werke. Düsseldorfer Ausgabe, hg. von Manfred Windfuhr, 16 Bände, Hamburg 1973-1997.
Werke, Briefe, Lebenszeugnisse. Säkularausgabe, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar/ Klassik Stiftung Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris, 27 Bände, Berlin und Paris, seit 1970.
Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, 6 Bände, München 1968-1976.
Literatur
Hädecke, Wolfgang, Heinrich Heine. Eine Biographie, München 1985.
Hauschild, Jan-Christoph / Werner, Michael, `Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst." Heinrich Heine. Eine Biographie, Köln 1997.
Höhn, Gerhard, Heine-Handbuch. Zeit - Person - Werk, Stuttgart und Weimar 2006.
Kortländer, Bernd, Heinrich Heine, Stuttgart 2003 .
Liedtke, Christian, Heinrich Heine, Hamburg 1997.
Mende, Fritz, Heinrich Heine. Chronik seines Lebens und Werks, Stuttgart 1981.
Online
Galley, Eberhard, "Heine, Heinrich", in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 286-291.
Heinrich Heine Portal (Wissenschaftliche Gesamtausgabe von Heines Werken durch das Heinrich-Heine Institut Düsseldorf und die Universität Trier).
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Kortländer, Bernd, Heinrich Heine, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-heine/DE-2086/lido/57c82947cc8189.90141056 (abgerufen am 08.09.2024)