Zu den Kapiteln
Schlagworte
Der wohl einflussreichste der humanistisch geprägten und aus dem Bürgertum stammenden Räte im Herzogtum Jülich-Kleve war zweifelsohne der im Jahre 1500 in Wesel geborene Heinrich Bars genannt Olisleger (Alysleger). Sein Vater war ein ungemein erfolgreicher und vermögender Kaufmann, der in zweiter Ehe mit Odilia van Dript (gestorben vor 1529) verheiratet war. Als Sohn eines lebenslang amtierenden Schöffen war Heinrich Senior eigentlich prädestiniert für eine politische Karriere in Wesel. Aufgrund einer schweren Verfehlung wurde er erst spät – von 1499 bis 1501 – als Ratsmann gewählt. Diese Wahl löste innerstädtische Querelen um seine Vergangenheit aus, die vor dem herzoglichen Gericht in Kleve glücklich endeten. Er stieg auf und wurde klevischer Landrentmeister, was automatisch seine Karriere in Wesel beendete.
Heinrich Junior schrieb sich nach Schulbesuchen in Wesel und Rees bereits sehr früh, am 31.10.1511, für ein Jurastudium an der Universität in Köln ein, wo der Vater ein Haus besaß. 1515 besuchte er die Universität Orléans und 1518 die in Bologna. Er promovierte zum Doktor der Rechte und war 1525 Dekan der Universität Köln, an der er Recht lehrte. In dieser Zeit – 1529 – starb auch in Köln sein Vater und hinterließ ihm und seinen beiden Brüdern aus der zweiten Ehe sein enormes Vermögen; seine Halbbrüder waren schon früh abgefunden worden. Sein ererbtes Vermögen steckte auch weiterhin im Handel, das heißt, er war zumindest als stiller Teilhaber an Geschäften beteiligt.
1531 ernannte Herzog Johann III. von Jülich-Kleve Olisleger zum klevischen Rat. Bereits 1534 trat er als kleve-märkischer Kanzleiverweser die Nachfolge des Kanzlers Sibert von Ryswick (gestorben wohl 1534) an. Er stand der Landeskanzlei vor und war Stellvertreter des Herzogs in dessen Abwesenheit. Kanzler der Vereinigten Herzogtümer wie auch von Jülich-Berg war bis zu seinem Tod im Jahre 1554 Johann Gogreve (um 1499-1554), der zwischen 1540 und 1545 gemeinsam mit Olisleger auch die klevische Kanzlei führte. Erst nach Gogreves Tod führte er den Titel Kanzler und übernahm im Wechsel mit dem jülich-bergischen Kanzler die Geschäftsführung bei Hof.
Mehr als vier Jahrzehnte bestimmte Heinrich Olisleger die Außen-, Heirats-, Innen- und Kirchenpolitik der Vereinigten Herzogtümer mit. So war er Unterhändler bei den Verhandlungen für ein geheimes Bündnis katholischer Reichsfürsten 1537/1538, geleitete Anna von Kleve 1539/1540 zur Heirat mit Heinrich VIII. von England (Regierungszeit 1509-1547) nach London, verhandelte 1541 als außerordentlicher Gesandter anlässlich der Heirat Herzog Wilhelms mit Jeanne d’Albret (1528-1572), der Nichte des französischen Königs, in Frankreich und handelte nach der Niederlage im Geldrischen Erbfolgekrieg 1544 in Brüssel das ewige Freundschafts- und Schutzbündnis mit dem Hause Habsburg aus.
Im Zeitalter der Reformation war Olisleger vielfach mit religiösen Fragen befasst. Er wirkte bei der Landesvisitation mit und war 1534/1535 an den Verhandlungen über kirchliche Reformen mit dem Erzstift Köln in Neuss beteiligt. An den Düsseldorfer Verhandlungen 1564–1567, die sich mit einer neuen Kirchen- und Reformordnung beschäftigten, nahm er aktiv teil wie auch der Humanist und Reformtheologe Georg Cassander, den er in seinem Haus in Köln aufgenommen hatte und bereits 1557/1558 zusammen mit Konrad Heresbach zu Konsultationen nach Xanten eingeladen hatte. Kirchenpolitisch vertrat Olisleger, anfangs eher den Lutheranern zugeneigt, wie die anderen humanistisch geprägten klevischen Räte auch die auf Erasmus von Rotterdam (1466/1469-1536) zurückgehende via media, einen ausgleichenden Reformweg zwischen den beiden polarisierenden Lagern. Diese Politik gegen die Spaltung der Kirche scheiterte mit dem Abschluss des Trienter Konzils (1545-1563), das neben einigen Werken von Erasmus bald auch Cassander auf den Index setzte. Um die kirchlichen Auseinandersetzungen in seiner Heimatstadt Wesel, der größten Stadt in den Vereinigten Herzogtümern, kümmerte er sich intensiv. 1532 griff er im Auftrag des Herzogs ein, nachdem der Pastor die Exkommunizierung des Augustinerklosters durchgesetzt hatte, vermittelte 1534 bei der gescheiterten Bestellung eines – evangelisch gesinnten – Kaplans, den er wohl aus seiner Kölner Zeit kannte, und setzte 1535/1536 schließlich seinen Kandidaten, Iman Ortzen genannt Zelandus (gestorben nach 1571), gegen den Pfarrer der Weseler Stadtkirche durch. Gemeinsam mit Konrad Heresbach war er nach der Einführung der Reformation an der Absetzung des Kaplans der Weseler Vorstadtkirche beteiligt. Die Berufung Ortzens führte vermutlich zu einer den konfessionellen Streitigkeiten geschuldeten Verleumdung, die Olisleger in zweifacher Weise betraf. Seinem Schützling Ortzen wurde 1539 ein Verhältnis mit Aleit van Blitterswick, Tochter seines Halbbruders Johann, nachgesagt. Er klärte diese Angelegenheit in Wesel als familiärer Rechtsbeistand und setzte sich zugleich erfolgreich für seinen Neffen Thomas Bars genannt Olisleger, Bruder Aleits und später Landrentmeister von Dinslaken, ein, der sich wegen versuchten Totschlags an seinem Stiefvater zu verantworten hatte.
Im Kampf gegen die Wiedertäufer war er in Wesel und Münster tätig und gehörte zu den vier, mit den Weseler Verhältnissen vertrauten Vertretern des Herzogs in der Kommission, die Anfang 1535 die Vorgänge um die Wiedertäufer in Wesel untersuchte. Die beiden Weseler Ratsmitglieder, die neben anderen zum Tode verurteilt und trotz zahlreicher Bemühungen der Verwandtschaft hingerichtet wurden, gehörten nicht zu Olislegers Familie.
Der Kanzleiverweser bestellte Anfang 1540 einer in Kleve weilenden Weseler Delegation im Auftrage des Herzogs, dass die Zuwendung zur Reformation eine Entscheidung ihres Gewissens sei, woraufhin der Magistrat Ostern 1540 die Reformation einführte. Er führte auch die schwierigen politischen Verhandlungen mit den habsburgischen Niederlanden, als seit 1543 vermehrt niederländische Religionsflüchtlinge in Wesel nicht nur Zuflucht fanden, sondern auch noch öffentliche Funktionen wahrnahmen. 1545 musste er sich auf einer Anhörung in Arnheim deswegen und wegen der Aufnahme von steckbrieflich gesuchten Flüchtlingen Vorhaltungen gefallen lassen und behauptete dort sogar – wohl wider besseres Wissen –, in Wesel würde man immer noch überwiegend dem Katholizismus zuneigen. Den habsburgischen Forderungen nach einer Verfolgung oder gar Ausweisung beugte man sich in Kleve nicht.
Olisleger war dreimal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit Margaretha, einer Tochter des Kölner Bürgermeisters Adolf Rinck stammte der 1560 verstorbene Sohn Adolf. Gottfrida, zweite Ehefrau und Tochter des Xantener Richters Gottfried van Bemmel und der Elisabeth von Kleve, einer unehelichen Tochter Herzog Johanns II., starb bereits 1554 und fand ihre letzte Ruhestätte in der Xantener Stiftskirche. In dritter Ehe heiratete der Siebzigjährige am 29.6.1570 Anna, Tochter des Kölner Bürgermeisters Hermann Sudermann. Hinter dieser letzten Verbindung dürften, wie vermutlich auch schon bei der ersten Ehe, handfeste kaufmännische Interessen gestanden haben. Sudermann und die anderen im Stahlhandel mit England tätigen Kölner Kaufleute standen unter starkem Druck eines in Wesel, Münster und Hamm ansässigen Konsortiums unter der Führung des aus Hamm stammenden und zeitweiligen Weseler Bürgermeisters Franz Brecht (gestorben 1597). Dieser war mit Odilia van Orsoy (um 1524-1581/1582), einer Nichte des Kanzlers, verheiratet. Olisleger, der Brecht 1565 zu einem Vertrag mit den ihm persönlich bekannten und mit ihm befreundeten Kölnern – eigentlich Brechts Konkurrenten – überredet hatte, nahm eine ambivalente Rolle ein. Als die Kölner den Vertrag nicht erfüllen konnten, nutzte er seine außergewöhnliche politische, familiäre und wirtschaftliche Stellung, um den 1572 gestorbenen Sudermann und seine Erben, darunter der Hansesyndikus Heinrich Sudermann, zu schützen, indem er beschwichtigend auf Brecht einwirkte, anstatt ihm, dem klevischen Untertan, bei der Eintreibung der Schulden behilflich zu sein. Solange der Kanzler lebte, ging Brecht nicht gerichtlich gegen die vertragsbrüchigen Kölner vor.
Heinrich Olisleger starb am 15.2.1575 in Kleve und wurde in der Willibrordi-Kirche in Wesel begraben. Er ruhte in der von seinem Vater gestifteten Alyschläger-Kapelle, wo noch heute die überdimensionale elterliche Grabplatte das mittlerweile leere Familiengrab bedeckt. Er hinterließ keine direkten Erben; seine Witwe heiratete Arnold von Rottkirchen, einen Schwager ihres Bruders Heinrich Sudermann, und starb 1585.
Wie sein Vater stiftete auch Olisleger in Wesel bereits 1561 eine soziale Einrichtung. Er erweiterte das väterliche Olisleger-Männergasthaus um ein Frauengasthaus. Diese beiden Stiftungen sind heute aufgegangen in der städtischen Allgemeinen Armenstiftung.
Literatur
Bambauer, Klaus, Die Verwaltungsstruktur im Herzogtum Kleve von 1480–1770 und Heinrich Bars gen. Olisleger, in: Mitteilungen aus dem Schloßarchiv Diersfordt 5 (1994), S. 78–87.
Kipp, Herbert, „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600), Bielefeld 2004.
Pohl, Meinhard (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis, Bielefeld 1997.
Prieur, Jutta (Hg.), Humanismus als Reform am Niederrhein. Konrad Heresbach 1496–1576, Kalkar 1996.
Schleidgen, Wolf-Rüdiger, Kanzleiwesen, in: de Werd, Guido (Red.), Land im Mittelpunkt der Mächte. Die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg, Kleve 1984, S. 99–108.
Schnurmann, Claudia, Ghen Engellandt. Der Weseler Stahlhändler Franz Brecht und seine Kölner Konkurrenz 1565–1594, in: „zu Allen theilen Inß mittel gelegen“. Wesel und die Hanse an Rhein, IJssel & Lippe, hg. von Werner Arand und Jutta Prieur, Wesel 1991, S. 156–167.
Warthuysen, Günter: Folter und Todesstrafe für Wiedertäufer. Der Weseler Täuferprozeß des Jahres 1535, in: Heimatkalender des Kreises Wesel 1984, Kleve 1983, S. 72–83.
Wolters, Albrecht, Konrad von Heresbach und der Clevische Hof zu seiner Zeit, nach neuen Quellen geschildert. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformationszeitalters und seines Humanismus, Elberfeld 1867.
Online
Harleß, Woldemar, „Olisleger, Heinrich Bars“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 24 (1887), S. 303-305. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Roelen, Martin, Heinrich Olisleger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-olisleger/DE-2086/lido/57c9567e3d7010.96535356 (abgerufen am 07.10.2024)