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Johann Carl Fuhlrott war ein bedeutender Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Bekannt ist er insbesondere durch seine wegweisende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Fund des Neandertalers 1856.
Fuhlrott entstammte einer katholischen Familie aus Leinefelde im Eichsfeld, verlor noch im kindlichen Alter seine Eltern, Johannes Philipp Fuhlrott (1764-1813) und Maria Magdalena Fuhlrott geborene Nußbaum (1773-1812) und wuchs bei seinem Onkel, dem katholischen Priester Carl Bernhard Fuhlrott (gestorben 1839) in dem kleinen Ort Seulingen auf. Er absolvierte das katholische Gymnasium in Heiligenstadt und verließ nach bestandener Abschlussprüfung im Jahre 1824 seine engere Heimat, um an die Universität Bonn zu gehen. Dort schrieb er sich für das Studienfach Katholische Theologie ein, womöglich unter familiärem Druck. Denn bereits im zweiten Studienjahr wandte er sich den Naturwissenschaften und der Mathematik zu. Er hatte das Glück, an der Universität Bonn auf besonders renommierte akademische Lehrer zu treffen wie Christian Nees von Esenbeck, Jacob Noeggerath oder Georg August Goldfuß. So erhielt er einen profunden Einblick in die Botanik, die Geologie und Paläontologie.
Mit dem Universitätsexamen in der Tasche begab sich Fuhlrott zurück nach Heiligenstadt, wo er am dortigen Gymnasium seine Referendarzeit absolvierte. Bereits in der Beurteilung durch seinen Schuldirektor in Heiligenstadt erscheint Fuhlrott als überaus engagierter Pädagoge. Mit Beendigung der Referendarzeit blieb er nicht in seiner alten Heimat und nahm auch nicht eine bereits zugesagte Stelle an einem Erfurter Gymnasium an, sondern trat 1830 auf Vermittlung eines Bonner Studienkollegen eine Stelle an der Höheren Bürgerschule in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) an.
Was ihn zu dieser - aus der historischen Distanz heraus betrachtet - eher unverständlichen Entscheidung veranlasst hat, ist unklar. Hinweise aus seiner Korrespondenz legen private Gründe nahe, die aber im Dunkeln bleiben. Seine Stelle in Elberfeld war schlechter dotiert als die an dem Erfurter Gymnasium. Er war in Elberfeld der einzige Katholik in einem protestantischen Kollegium und seine Schule war soeben gegründet worden, daher ohne Ausstattung und ohne Renommee. Die folgenden 47 Jahre sollte er hier bis zu seinem Tode lehren. Die Elberfelder Realschule war im Aufbau begriffen, dem sich Fuhlrott offenbar intensiv widmete, der ihm aber offensichtlich auch genügend Zeit ließ, an einer Dissertation zu arbeiten, die er 1835 im Jahr seiner Eheschließung mit Josepha Amalia Kellner (1812-1850) an der Universität Tübingen einreichte. Der Titel seiner Dissertation lautet: „Die Naturgeschichte als Wissenschaft und als Gegenstand des höheren Unterrichts. Eine pädagogisch-philosophische Abhandlung". Auf 30 Seiten legt Fuhlrott hier sein zentrales Anliegen dar, die schulische Vermittlung der Naturgeschichte. Er schildert sie als „herrliche Wissenschaft" und räumt ihr eine zentrale Rolle in der Ausbildung junger Menschen ein. Ein Hauptziel des naturkundlichen Unterrichts sieht er in der Vermittlung der „Idee der Einheit der Natur" und fordert zugleich eine „wissenschaftliche Form und Haltung" des Naturkundeunterrichts bis in die oberen Klassen der Schule. Für Fuhlrott war der Mensch ganz selbstverständlich Teil des natürlichen Systems und ebenso zu betrachten wie die anderen lebenden Organismen. Es fehlt jeder Hinweis auf eine anthropozentrische Sichtweise oder eine Positionierung des Menschen außerhalb des natürlichen Systems. Aus dieser Haltung heraus wird auch die eindeutige Stellungnahme Fuhlrotts im Angesicht der menschlichen Fossilien aus dem Neandertal verständlich: Die Idee der Einheit der Natur war Fuhlrotts Credo. Und diesen Leitsatz versuchte er in seiner pädagogischen und wissenschaftlichen Arbeit zu vermitteln. Fuhlrott war zweifellos getrieben von seinen wissenschaftlichen Interessen. So erstaunt es auch nicht, dass er 1843 zu den Gründungsmitgliedern des „Naturhistorischen Vereins der preußischen Rheinlande" gehörte, dessen Geltungsbereich auf Betreiben Fuhlrotts später um Westfalen erweitert wurde. Drei Jahre später gründete er den Naturwissenschaftlichen Verein für Elberfeld und Barmen (heute Stadt Wuppertal), den er bis zu seinem Tode führte.
Die wissenschaftlichen Vereinigungen boten ihm die Plattform, um Kontakte mit Gelehrten zu pflegen, eigene Forschungen durchzuführen bis hin zu - heute würde man sagen - „ökologischen Gutachten" und vor allem konnte er seine naturkundlichen Erkenntnisse lehrend vermitteln. Forschung und Vermittlung gehörten für Fuhlrott immer zusammen. Wie fruchtbar seine Rolle als populärer Wissensvermittler schließlich war, dokumentiert die Auffindung der 16 menschlichen Knochen aus der kleinen Feldhofer Grotte 1856. Der Fund wäre zweifellos verloren gegangen, wenn nicht die beiden Steinbruchbesitzer Wilhelm Beckershoff und Friedrich Wilhelm Pieper Mitglieder in Fuhlrotts Naturwissenschaftlichem Verein gewesen wären. Durch das Eingreifen von Beckershoff wurden die Funde gesichert. Der Mitgesellschafter Pieper verwahrte die Knochen und benachrichtigte Fuhlrott. Es ist anzunehmen, dass beide Steinbruchbesitzer aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Naturwissenschaftlichen Verein über das Vorkommen fossiler Tierknochen insbesondere von Bären- und Mammutknochen in Höhlenlehmen informiert waren. Als Fuhlrott 1856 die Knochen in Hochdahl im Empfang nahm, scheint er nicht sogleich zur Fundstelle geeilt zu sein, um nach weiteren Funden zu suchen. Dieses fehlende archäologische Interesse erklärt sich vielleicht aus dem botanischen Schwerpunkt der Fuhlrottschen Forschungen. Erst nach der Entdeckung im Neandertal widmet er sich auch paläontologischen Fragestellungen. Johann Carl Fuhlrott war mit der Sicherstellung der Funde aus dem Neandertal an einem forschungsgeschichtlichen Großereignis beteiligt – der wissenschaftlichen Anerkennung der Evolutionstheorie. Es war zweifellos seine größte wissenschaftliche Leistung, dass er die Funde aus dem Neandertal sofort wissenschaftlich korrekt einordnete und die Existenz des fossilen Menschen für bewiesen hielt. Damit war er vielen international anerkannten Naturforschern seiner Zeit weit voraus. Sein Aufsatz zur Einordnung der Funde aus dem Neandertal erschien 1859. Im selben Jahr veröffentlichte Charles Darwin (1809-1882) seine Evolutionstheorie.
Der Fund aus dem Neandertal erhöhte Fuhlrotts Bekanntheitsgrad in der wissenschaftlichen Welt. Da die Bedeutung des Fundes höchst kontrovers diskutiert wurde, erhielt er für seine wissenschaftliche Stellungnahme zu dem Fund aber vor allem Kritik und wenig Anerkennung. Die Auseinandersetzung um den Neanderthalerfund hat Fuhlrott die letzten 20 Jahre seines Lebens begleitet. Er hatte zwar persönlichen oder brieflichen Kontakt zu einigen der bekanntesten Gelehrten Europas wie Charles Lyell (1797-1875) oder Thomas Huxley (1825-1895), aber die Auseinandersetzung mit dem großen deutschen Gelehrten Rudolf Virchow (1821-1902) beschädigte sein Ansehen, wobei Fuhlrott in dieser Konfrontation auch strategische Fehler unterliefen. Aus den Akten der Elberfelder Realschule wird ersichtlich, das Fuhlrott eine streitbare Person war, die sich im Schulalltag auch hartnäckig gegen die Schulleitung auflehnte und scharfe Auseinandersetzungen nicht scheute. Wie er den wissenschaftlichen Streit um den Neandertaler und damit auch um seine Person empfunden hat, wissen wir nicht.
Als Fuhlrott am 17.10.1877 starb, war er ein hoch angesehener Bürger, dessen pädagogisches und naturkundliches Wirken für die Region umfassend gewürdigt wurde. Sein Credo lautete in seinen eigenen Worten: „Arbeiten wir also, ein jeder nach seinen Kräften/ an dem großen Werk der Naturkunde:/ auf jeder neuen Stufe, die wir erklimmen,/ winkt uns eine neue stets höhere Freud:/ die Freude der Wissenschaft und der Erkenntnis". Diese Freude an der wissenschaftlichen Erkenntnis hat ihn sein ganzes Leben begleitet. Die wissenschaftliche Anerkennung des Neandertalers – seines größten Fundes - hat er aber nicht mehr erleben dürfen.
Werke (Auswahl)
Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältnis zum Alter des Menschengeschlechts, Duisburg 1865.
Die Naturgeschichte als Wissenschaft und als Gegenstand des höheren Unterrichts. Eine pädagogisch-philosophische Abhandlung, Dissertation Tübingen 1835.
Menschliche Ueberreste aus einer Felsengrotte des Düsselthals. Ein Beitrag zur Frage über die Existenz fossiler Menschen, in: Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preussischen Rheinlande und Westphalens 16. (1859), S. 132-153 Nachdruck Bonn 1992.
Literatur
Möhlmann, Roman, Johann Carl Fuhlrott (1803-1877): Ein deutscher Naturforscher und die Forschungsgeschichte, Hamburg 2009.
Narr, K. J./Weniger, Gerd-Christian (Hg.), Der Neanderthaler und sein Entdecker. Johann Carl Fuhlrott und die Forschungsgeschichte, Mettmann 2001.
Vogel, Kurt, Fuhlrotts Doctor-Arbeit von 1835; mit einem Anhang, enthaltend das vollständige Register der Publikationen Fuhlrotts mit überprüfter Angabe aller Findorte, Wuppertal 1996.
Online
Bürger, Willy, Artikel „Fuhlrott, Johann", in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 724. [Online]
Weniger, Gerd-Christian, Johann Carl Fuhlrott (1803-1877): Pionier und Pädagoge der Naturgeschichte, in: Museen im Rheinland 1/2004, S. 12-19 (Text als PDF-Datei auf der Website Rheinische Museen des LVR). [Online]
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Weniger, Gerd Christian, Johann Carl Fuhlrott, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-carl-fuhlrott/DE-2086/lido/57c6c1fb1472d8.75713051 (abgerufen am 06.12.2024)