Johann Carl Fuhlrott

Naturforscher (1803-1877)

Gerd Christian Weniger (Mettmann)

Johann Carl Fuhlrott, Porträtfoto.

Jo­hann Carl Fuhl­rott war ein be­deu­ten­der Na­tur­wis­sen­schaft­ler des 19. Jahr­hun­derts. Be­kannt ist er ins­be­son­de­re durch sei­ne weg­wei­sen­de wis­sen­schaft­li­che Be­schäf­ti­gung mit dem Fund de­s Ne­an­der­ta­lers 1856. 

Fuhl­rott ent­stamm­te ei­ner ka­tho­li­schen Fa­mi­lie aus Lei­ne­fel­de im Eichs­feld, ver­lor noch im kind­li­chen Al­ter sei­ne El­tern, Jo­han­nes Phil­ipp Fuhl­rott (1764-1813) und Ma­ria Mag­da­le­na Fuhl­rott ge­bo­re­ne Nuß­baum (1773-1812) und wuchs bei sei­nem On­kel, dem ka­tho­li­schen Pries­ter Carl Bern­hard Fuhl­rott (ge­stor­ben 1839) in dem klei­nen Ort Seu­lin­gen auf. Er ab­sol­vier­te das ka­tho­li­sche Gym­na­si­um in Hei­li­gen­stadt und ver­ließ nach be­stan­de­ner Ab­schluss­prü­fung im Jah­re 1824 sei­ne en­ge­re Hei­mat, um an die Uni­ver­si­tät Bonn zu ge­hen. Dort schrieb er sich für das Stu­di­en­fach ­Ka­tho­li­sche Theo­lo­gie ein, wo­mög­lich un­ter fa­mi­liä­rem Druck. Denn be­reits im zwei­ten Stu­di­en­jahr wand­te er sich den Na­tur­wis­sen­schaf­ten und der Ma­the­ma­tik zu. Er hat­te das Glück, an der Uni­ver­si­tät Bonn auf be­son­ders re­nom­mier­te aka­de­mi­sche Leh­rer zu tref­fen wie Chris­ti­an Nees von Esen­beck, Ja­cob No­eg­gerath oder Ge­org Au­gust Gold­fuß. So er­hielt er ei­nen pro­fun­den Ein­blick in die Bo­ta­nik, die Geo­lo­gie und Pa­lä­on­to­lo­gie. 

Mit dem Uni­ver­si­täts­ex­amen in der Ta­sche be­gab sich Fuhl­rott zu­rück nach Hei­li­gen­stadt, wo er am dor­ti­gen Gym­na­si­um sei­ne Re­fe­ren­dar­zeit ab­sol­vier­te. Be­reits in der Be­ur­tei­lung durch sei­nen Schul­di­rek­tor in Hei­li­gen­stadt er­scheint Fuhl­rott als über­aus en­ga­gier­ter Päd­ago­ge. Mit Be­en­di­gung der Re­fe­ren­dar­zeit blieb er nicht in sei­ner al­ten Hei­mat und nahm auch nicht ei­ne be­reits zu­ge­sag­te Stel­le an ei­nem Er­fur­ter Gym­na­si­um an, son­dern trat 1830 auf Ver­mitt­lung ei­nes Bon­ner Stu­di­en­kol­le­gen ei­ne Stel­le an der Hö­he­ren Bür­ger­schu­le in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) an. 

Was ihn zu die­ser - aus der his­to­ri­schen Dis­tanz her­aus be­trach­tet - eher un­ver­ständ­li­chen Ent­schei­dung ver­an­lasst hat, ist un­klar. Hin­wei­se aus sei­ner Kor­re­spon­denz le­gen pri­va­te Grün­de na­he, die aber im Dun­keln blei­ben. Sei­ne Stel­le in El­ber­feld war schlech­ter do­tiert als die an dem Er­fur­ter Gym­na­si­um. Er war in El­ber­feld der ein­zi­ge Ka­tho­lik in ei­nem pro­tes­tan­ti­schen Kol­le­gi­um und sei­ne Schu­le war so­eben ge­grün­det wor­den, da­her oh­ne Aus­stat­tung und oh­ne Re­nom­mee. Die fol­gen­den 47 Jah­re soll­te er hier bis zu sei­nem To­de leh­ren. Die El­ber­fel­der Re­al­schu­le war im Auf­bau be­grif­fen, dem sich Fuhl­rott of­fen­bar in­ten­siv wid­me­te, der ihm aber of­fen­sicht­lich auch ge­nü­gend Zeit ließ, an ei­ner Dis­ser­ta­ti­on zu ar­bei­ten, die er 1835 im Jahr sei­ner Ehe­schlie­ßung mit Jo­se­pha Ama­lia Kell­ner (1812-1850) an der Uni­ver­si­tät Tü­bin­gen ein­reich­te. Der Ti­tel sei­ner Dis­ser­ta­ti­on lau­tet: „Die Na­tur­ge­schich­te als Wis­sen­schaft und als Ge­gen­stand des hö­he­ren Un­ter­richts. Ei­ne päd­ago­gisch-phi­lo­so­phi­sche Ab­hand­lung". Auf 30 Sei­ten legt Fuhl­rott hier sein zen­tra­les An­lie­gen dar, die schu­li­sche Ver­mitt­lung der Na­tur­ge­schich­te. Er schil­dert sie als „herr­li­che Wis­sen­schaft" und räumt ihr ei­ne zen­tra­le Rol­le in der Aus­bil­dung jun­ger Men­schen ein. Ein Haupt­ziel des na­tur­kund­li­chen Un­ter­richts sieht er in der Ver­mitt­lung der „Idee der Ein­heit der Na­tur" und for­dert zu­gleich ei­ne „wis­sen­schaft­li­che Form und Hal­tung" des Na­tur­kun­de­un­ter­richts bis in die obe­ren Klas­sen der ­Schu­le. Für Fuhl­rott war der Mensch ganz selbst­ver­ständ­lich Teil des na­tür­li­chen Sys­tems und eben­so zu be­trach­ten wie die an­de­ren le­ben­den Or­ga­nis­men. Es fehlt je­der Hin­weis auf ei­ne an­thro­po­zen­tri­sche Sicht­wei­se oder ei­ne Po­si­tio­nie­rung des Men­schen au­ßer­halb des na­tür­li­chen Sys­tems. Aus die­ser Hal­tung her­aus wird auch die ein­deu­ti­ge Stel­lung­nah­me Fuhl­rotts im An­ge­sicht der mensch­li­chen Fos­si­li­en aus dem Ne­an­der­tal ver­ständ­lich: Die Idee der Ein­heit der Na­tur war Fuhl­rotts Cre­do. Und die­sen Leit­satz ver­such­te er in sei­ner päd­ago­gi­schen und wis­sen­schaft­li­chen Ar­beit zu ver­mit­teln. Fuhl­rott war zwei­fel­los ge­trie­ben von sei­nen wis­sen­schaft­li­chen In­ter­es­sen. So er­staunt es auch nicht, dass er 1843 zu den Grün­dungs­mit­glie­dern des „Na­tur­his­to­ri­schen Ver­eins der preu­ßi­schen Rhein­lan­de" ge­hör­te, des­sen Gel­tungs­be­reich auf Be­trei­ben Fuhl­rotts spä­ter um West­fa­len er­wei­tert wur­de. Drei Jah­re spä­ter grün­de­te er den Na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ver­ein für El­ber­feld und Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal), den er bis zu sei­nem To­de führ­te. 

Die wis­sen­schaft­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen bo­ten ihm die Platt­form, um Kon­tak­te mit Ge­lehr­ten zu pfle­gen, ei­ge­ne For­schun­gen durch­zu­füh­ren bis hin zu - heu­te wür­de man sa­gen - „öko­lo­gi­schen Gut­ach­ten" und vor al­lem konn­te er sei­ne na­tur­kund­li­chen Er­kennt­nis­se leh­rend ver­mit­teln. For­schung und Ver­mitt­lung ge­hör­ten für Fuhl­rott im­mer zu­sam­men. Wie frucht­bar sei­ne Rol­le als po­pu­lä­rer Wis­sens­ver­mitt­ler schlie­ß­lich war, do­ku­men­tiert die Auf­fin­dung der 16 mensch­li­chen Kno­chen aus der klei­nen Feld­ho­fer Grot­te 1856. Der Fund wä­re zwei­fel­los ver­lo­ren ge­gan­gen, wenn nicht die bei­den Stein­bruch­be­sit­zer Wil­helm Be­ckers­hoff und Fried­rich Wil­helm Pie­per Mit­glie­der in Fuhl­rotts Na­tur­wis­sen­schaft­li­chem Ver­ein ge­we­sen wä­ren. Durch das Ein­grei­fen von Be­ckers­hoff wur­den die Fun­de ge­si­chert. Der Mit­ge­sell­schaf­ter Pie­per ver­wahr­te die Kno­chen und be­nach­rich­tig­te Fuhl­rott. Es ist an­zu­neh­men, dass bei­de Stein­bruch­be­sit­zer auf­grund ih­rer Mit­glied­schaft im Na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ver­ein über das Vor­kom­men fos­si­ler Tier­kno­chen ins­be­son­de­re von Bä­ren- und Mam­mut­kno­chen in Höh­len­leh­men in­for­miert wa­ren. Als Fuhl­rott 1856 die Kno­chen in Hoch­dahl im Emp­fang nahm, scheint er nicht so­gleich zur Fund­stel­le ge­eilt zu sein, um nach wei­te­ren Fun­den zu su­chen. Die­ses feh­len­de ar­chäo­lo­gi­sche In­ter­es­se er­klärt sich viel­leicht aus dem bo­ta­ni­schen Schwer­punkt der Fuhl­rott­schen For­schun­gen. Erst nach der Ent­de­ckung im Ne­an­der­tal wid­met er sich auch pa­lä­on­to­lo­gi­schen Fra­ge­stel­lun­gen. Jo­hann Carl Fuhl­rott war mit der Si­cher­stel­lung der Fun­de aus dem Ne­an­der­tal an ei­nem for­schungs­ge­schicht­li­chen Gro­ße­reig­nis be­tei­ligt – der wis­sen­schaft­li­chen An­er­ken­nung der Evo­lu­ti­ons­theo­rie. Es war zwei­fel­los sei­ne grö­ß­te wis­sen­schaft­li­che Leis­tung, dass er die Fun­de aus dem Ne­an­der­tal so­fort wis­sen­schaft­lich kor­rekt ein­ord­ne­te und die Exis­tenz des fos­si­len Men­schen für be­wie­sen hielt. Da­mit war er vie­len in­ter­na­tio­nal an­er­kann­ten Na­tur­for­schern sei­ner Zeit weit vor­aus. Sein Auf­satz zur Ein­ord­nung der Fun­de aus dem Ne­an­der­tal er­schien 1859. Im sel­ben Jahr ver­öf­fent­lich­te Charles Dar­win (1809-1882) sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie. 

Der Fund aus dem Ne­an­der­tal er­höh­te Fuhl­rotts Be­kannt­heits­grad in der wis­sen­schaft­li­chen Welt. Da die Be­deu­tung des Fun­des höchst kon­tro­vers dis­ku­tiert wur­de, er­hielt er für sei­ne wis­sen­schaft­li­che Stel­lung­nah­me zu dem Fund aber vor al­lem Kri­tik und we­nig An­er­ken­nung. Die Aus­ein­an­der­set­zung um den Ne­an­derthal­er­fund hat Fuhl­rott die letz­ten 20 Jah­re sei­nes Le­bens be­glei­tet. Er hat­te zwar per­sön­li­chen oder brief­li­chen Kon­takt zu ei­ni­gen der be­kann­tes­ten Ge­lehr­ten Eu­ro­pas wie Charles Ly­ell (1797-1875) oder Tho­mas Hux­ley (1825-1895), aber die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem gro­ßen deut­schen Ge­lehr­ten Ru­dolf Vir­chow (1821-1902) be­schä­dig­te sein An­se­hen, wo­bei Fuhl­rott in die­ser Kon­fron­ta­ti­on auch stra­te­gi­sche Feh­ler un­ter­lie­fen. Aus den Ak­ten der El­ber­fel­der Re­al­schu­le wird er­sicht­lich, das Fuhl­rott ei­ne streit­ba­re Per­son war, die sich im Schul­all­tag auch hart­nä­ckig ge­gen die Schul­lei­tung auf­lehn­te und schar­fe Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht scheu­te. Wie er den wis­sen­schaft­li­chen Streit um den Ne­an­der­ta­ler und da­mit auch um sei­ne Per­son emp­fun­den hat, wis­sen wir nicht. 

Als Fuhl­rott am 17.10.1877 starb, war er ein hoch an­ge­se­he­ner Bür­ger, des­sen päd­ago­gi­sches und na­tur­kund­li­ches Wir­ken für die Re­gi­on um­fas­send ge­wür­digt wur­de. Sein Cre­do lau­te­te in sei­nen ei­ge­nen Wor­ten: „Ar­bei­ten wir al­so, ein je­der nach sei­nen Kräf­ten/ an dem gro­ßen Werk der Na­tur­kun­de:/ auf je­der neu­en Stu­fe, die wir er­klim­men,/ winkt uns ei­ne neue stets hö­he­re Freud:/ die Freu­de der Wis­sen­schaft und der Er­kennt­nis". Die­se Freu­de an der wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis hat ihn sein gan­zes Le­ben be­glei­tet. Die wis­sen­schaft­li­che An­er­ken­nung des Ne­an­der­ta­lers – sei­nes grö­ß­ten Fun­des - hat er aber nicht mehr er­le­ben dür­fen. 

Werke (Auswahl)

Der fos­si­le Mensch aus dem Ne­an­der­thal und sein Ver­hält­nis zum Al­ter des Men­schen­ge­schlechts, Duis­burg 1865.
Die Na­tur­ge­schich­te als Wis­sen­schaft und als Ge­gen­stand des hö­he­ren Un­ter­richts. Ei­ne päd­ago­gisch-phi­lo­so­phi­sche Ab­hand­lung, Dis­ser­ta­ti­on T­ü­bin­gen 1835.
Mensch­li­che Ue­ber­res­te aus ei­ner Fel­sen­grot­te des Düs­selt­hals. Ein Bei­trag zur Fra­ge über die Exis­tenz fos­si­ler Men­schen, in: Ver­hand­lun­gen des na­tur­his­to­ri­schen Ver­eins der preus­si­schen Rhein­lan­de und West­pha­lens 16. (1859), S. 132-153 Nach­druck Bonn 1992.

Literatur

Möhl­mann, Ro­man, Jo­hann Carl Fuhl­rott (1803-1877): Ein deut­scher Na­tur­for­scher und die For­schungs­ge­schich­te, Ham­burg 2009.
Narr, K. J./We­ni­ger, Gerd-Chris­ti­an (Hg.), Der Ne­an­dertha­ler und sein Ent­de­cker. Jo­hann Carl Fuhl­rott und die For­schungs­ge­schich­te, Mett­mann 2001.
Vo­gel, Kurt, Fuhl­rotts Doc­tor-Ar­beit von 1835; mit ei­nem An­hang, ent­hal­tend das voll­stän­di­ge Re­gis­ter der Pu­bli­ka­tio­nen Fuhl­rotts mit über­prüf­ter An­ga­be al­ler Fin­d­or­te, Wup­per­tal 1996.

Online

Bür­ger, Wil­ly, Ar­ti­kel „Fuhl­rott, Jo­hann", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 5 (1961), S. 724. [On­line]
We­ni­ger, Gerd-Chris­ti­an, Jo­hann Carl Fuhl­rott (1803-1877): Pio­nier und Päd­ago­ge der Na­tur­ge­schich­te, in: Mu­se­en im Rhein­land 1/2004, S. 12-19 (Text als PDF-Da­tei auf der Web­site Rhei­ni­sche Mu­se­en des LVR). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Weniger, Gerd Christian, Johann Carl Fuhlrott, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-carl-fuhlrott/DE-2086/lido/57c6c1fb1472d8.75713051 (abgerufen am 06.12.2024)