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Der Kölner Bauingenieur Max Zienow gehört zu den „stillen Helden“, der seine christliche Überzeugung in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Tod bezahlt hat.
Max Bernhard Friedrich Ernst Zienow kam am 12.3.1891 in Saerbeck im nördlichen Münsterland als Sohn des Bautechnikers Max Hermann August Zienow und seiner Ehefrau Auguste, geborene Salm zur Welt. Der Vater war evangelisch, die Mutter katholisch. Drei Tage nach der Geburt wurde Sohn Max in der Saerbecker Pfarrkirche St. Georg römisch-katholisch getauft. Max hatte zwei Geschwister: Ella Albertina Franziska (geboren 1892) und Franz Habbo Norbert (geboren 1893). Die Familien Zienow und Salm waren in Saerbeck nicht alteingesessen.
Noch vor der Einschulung von Max zog die Familie nach Münster. Hier besuchte er die vierklassige Volksschule, bevor er auf das Gymnasium wechselte, das er mit dem Zeugnis der Reife verließ. Nach dem Abitur studierte Max Architektur an der Ingenieurschule in Münster, die er erfolgreich abschloss. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Soldat in Frankreich. Anschließend kam er nach Köln, wo er seine spätere Frau Maria Berta Teuber (geboren 1890) kennenlernte, die aufgrund ihrer schwierigen familiären Lage in einem Waisenhaus groß geworden war. Die kirchliche Hochzeit fand am 20.3.1920 in der Pfarrkirche St. Agnes statt. Das junge Paar bezog eine Wohnung im Stadtteil Sülz, wo am 16.3.1921 die einzige Tochter Maria Augusta Elisabeth zur Welt kam. Sie wurde in der Pfarrkirche St. Nikolaus am 24.3.1921 getauft. Von 1915 bis 1935 war hier Karl Schwippert Pfarrer. Bald zog die Familie in Köln-Sülz um. In diesem Sprengel hat Zienow, der bei der Stadt Köln als Bauingenieur angestellt war, die Volksschule an der Kyllburger Straße gebaut, die im Jahre 1923 fertiggestellt werden konnte.
Wie Tochter Maria berichtet, war ihr Vater von Anfang an gegen die Ideologie der Nationalsozialisten, die am 30.1.1933 die Macht ergriffen hatte. Der christliche Glaube und die NS-Weltanschauung waren für den bekennenden Katholiken unvereinbar. Für die dreiköpfige Familie war der sonntägliche Kirchgang selbstverständlich. In der Pfarrei St. Nikolaus mit ihren damals 33.000 Katholiken wuchs die wirtschaftliche Not von Jahr zu Jahr. Zum Leidwesen von Pfarrer Schwippert, der 1935 in den Ruhestand ging, traten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Auch der Familie Zienow ging es in finanzieller Hinsicht schlechter, sodass sie in eine kleinere Wohnung wechseln musste, zunächst in Köln-Ehrenfeld. Später wohnte sie in einem hübschen Umfeld in Köln-Lindenthal.
Soweit bekannt, war Zienow in keiner wie immer gearteten Widerstandsgruppe organisiert, er gehörte auch keinem Verein an. Er handelte entsprechend seiner persönlichen Überzeugung. Das christliche Menschenbild gab ihm die nötige Orientierung. Das noch existierende Fotoalbum der Familie Zienow zeigt eine Aufnahme mit einem namentlich unbekannten, im gleichen Haus wohnenden Juden, der frühzeitig ins Exil ging. Das Foto aus den 1930er Jahren belegt, dass Zienow sich entgegen der NS-Ideologie nicht von seinen jüdischen Mitbürgern abgrenzte.
Zienow dachte und sagte, was seine Überzeugung war. Diese geistige Haltung, gegen den Strom zu schwimmen und Resistenz zu zeigen, war für den gläubigen Katholiken eine Selbstverständlichkeit. "Wenn mein Vater etwas sagen musste, dann hat er es gesagt, auch wenn ihn andere gewarnt haben: Du musst vorsichtig sein, du weißt nicht, was die wirklich denken, wenn du ihnen etwas sagst", erzählte Tochter Maria in großer Klarheit. Und weiter: "Die Warnungen machten ihm keine Angst, er sagte das, was ihm notwendig schien". Diese und andere Bekundungen werden durch die evangelische Zeitzeugin Irmgard Kremer (geboren 1928) bestätigt, die mit ihrer Familie seit 1942 ebenfalls in der Virchowstraße 1-3 wohnte. Sie hatte gehört, dass über Zienow gesagt wurde, er habe in seinem Büro Adolf Hitler ein Schwein genannt.
Zienow wurde wegen dieser Äußerung von einem Unbekannten angezeigt. Am 6.12.1943 drangen Nationalsozialisten in seine Wohnung an der Virchowstraße 1-3 ein, rissen die Schränke auf, durchsuchten alle Zimmer, fanden aber kein belastendes Material. Sie holten ihn ab und nahmen ihn mit. Diese Umstände hat Irmgard Kremer ebenfalls vom Hörensagen vernommen. Einige Wochen wurde Zienow in der Kölner Straf- und Untersuchungsanstalt Klingelpütz verhört, wo ihn seine Ehefrau und seine Tochter Maria besuchen konnten. Die Haftanstalt verfügte 1933 über 765 Zellen, die aber in den Folgejahren nicht ausreichten, um die gefangenen Männer und Frauen unterzubringen. Bisweilen lebten drei Personen in einer Zelle. Um die Geheimhaltung der Gefangenen zu gewährleisten, wurde ihnen jeglicher Kontakt zu anderen Mitgefangenen oder gar der Außenwelt untersagt, unabhängig davon, ob es sich um deutsche oder aus besetzten Gebieten kommende Personen handelte. Sogar bei den täglichen Hofgängen war ihnen jegliche Kontaktaufnahme verboten. Alle waren zur Arbeit verpflichtet. Neben den Arbeiten in ihren Zellen, wie dem Befestigen von Knöpfen durch weibliche Gefangene, wirkten die Männer oft in Außenkommandos, beseitigten nach Luftangriffen Bomben, holten Verschüttete aus den Kellern oder besserten während des Bombardements elektrische Anlagen aus. Nicht wenige von ihnen starben.
Vom Klingelpütz wurde Zienow in das Zuchthaus Siegburg verlegt. Auch hier konnten ihn Ehefrau und Tochter besuchen. Schließlich führte sein Leidensweg nach Berlin, wo er vor den Volksgerichtshof gestellt wurde. In jenen Tagen konnte Berta Zienow ihren Ehemann besuchen, die Tochter Maria begleitete sie allerdings nicht, aus Furcht, das Los ihres Vaters könnte in dem Kindergarten, in dem sie arbeitete, bekannt werden. Der Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Roland Freisler (1893-1945) warf Zienow vor, gegen § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung verstoßen zu haben, das heißt, er wurde wegen "Wehrkraftzersetzung" angeklagt. Laut Auszug aus dem Mordregister hat sich Zienow „im September 1943 zersetzend geäußert" (Mordreg. Nr. Z 412; Mordreg. Lfd. Nr. 2328). Daher lautete das Urteil: Todesstrafe. Freisler soll nach der Erinnerung der Tochter in seiner schäumenden Polemik ausgerufen haben: „Sie sind zu schade für eine deutsche Kugel, Sie werden verurteilt durch den Strang".
Die Exekution fand im Zuchthaus Brandenburg-Görden an der Havel statt. Obwohl dort Hinrichtungen in der Regel durch das Fallbeil vollzogen wurden, ist es dennoch möglich, dass Zienow gehängt worden ist. Das Zuchthaus nahm Kommunisten, Sozialisten, Christen sowie im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch auf Hitler vom 20.7.1944 Verhaftete auf. Die Gefangenen mussten für die Bereitstellung von Rüstungsprodukten arbeiten. Aufgrund der widrigen Lage regte sich Widerstand, bisweilen unterstützt durch Kalfaktoren. Das Zuchthaus Brandenburg-Görden war nach Berlin-Plötzensee die zweitgrößte Hinrichtungsstätte des „Dritten Reiches“. Zienows Todestag fiel auf den 9.10.1944. Er wurde nur 53 Jahre alt. Nach der Erinnerung von Tochter Maria wurde ihr Vater erhängt und seine Leiche anschließend im Krematorium verbrannt. Der katholische Pfarrer von Brandenburg, Albrecht Jochmann (1891-1960), der gelegentlich in besonderen Situationen im Zuchthaus Brandenburg-Görden Dienst tat, übersandte der Witwe die Urne mit der Post nach Köln.
Die Witwe lebte mit der Tochter 1946-1949 in Köln-Weiden in einer bescheidenen Dachkammer. Daher erfolgte die Beisetzung der Urne auf dem Weidener Ortsfriedhof, und zwar auf dem Ehrenfriedhofsteil. Als Berta Zienow 1955 nach Berlin fuhr, um die Dokumentation des Volksgerichtshofes einzusehen, wurde ihr mitgeteilt, dass alle diesbezüglichen Akten verbrannt seien. Sie erhielt schließlich über den Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegsbehinderten und Sozialrentner Deutschlands e.V. (VdK) eine monatliche kleine Rente, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten musste.
Anlässlich Zienows 75. Todestag wurde am 26.9.2019 vor dem damaligen Wohnhaus der Familie in Köln-Lindenthal, Virchowstraße Nr.1- 3, ein „Stolperstein“ in Gegenwart der 98-jährigen Tochter Maria verlegt.
Quellen
Pfarrarchiv Saerbeck, St. Georg, in: Bistumsarchiv Münster (matricula-online.eu).
Archiv des Heimatvereins Saerbeck e.V.
Pfarrarchiv Köln-Sülz-St. Nikolaus, KBNO 1595 (lf. Nr. 103, 1921), in: Historisches Archiv des Erzbistums Köln.
Adressbuch der Stadt Köln (Köln 1925).
Historisches Archiv der Stadt Köln, Personalakte Acc. 277 A 1760.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abt. Rheinland, Entschädigungsakte BR 2182, Nr. 25529.
Archiv der Gedenkstätte Brandenburg an der Havel; Bundesarchiv; Stadtarchiv Brandenburg; Brandenburgisches Landeshauptarchiv.
Hintergrundgespräche mit Maria Zienow, Köln-Lindenthal, am 7., 23.8.2019 und 10.9.2019; mündliche Mitteilungen der Zeitzeugin Irmgard Kremer, Köln-Lindenthal, vom 28.8.2019.
Literatur
Adenauer, Konrad/Gröbe, Volker, Lindenthal. Die Entwicklung eines Kölner Vorortes, 3. überarb. Auflage, Köln 2004.
Beuscher, Armin, Ein Stolperstein für einen mutigen Christen, in: Lindenblatt der Ev. Kirchengemeinde Köln-Lindenthal 48 (2019), S. 8-9.
Elten, Josef van/Witton, Rochus (Bearb.), 100 Jahre Pfarrgemeinde St. Nikolaus Köln-Sülz 1892-1992. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Pfarrei St. Nikolaus, Köln 1992.
Matzerath, Horst, Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Köln 2009.
Thiesen, Stefan, Strafvollzug in Köln 1933-1945. Eine Studie zur Normdurchsetzung während des Nationalsozialismus in der Straf- und Untersuchungshaftanstalt Köln-Klingelpütz, Berlin 2011.
Uhlmann, Walter (Hg.), Sterben um zu leben. Politische Gefangene im Zuchthaus Brandenburg-Görden 1933-1945, Köln 1983.
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Moll, Helmut, Max Zienow, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-zienow/DE-2086/lido/5f8ffa77d05027.33635444 (abgerufen am 05.12.2024)