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Paul Humburg war ein reformierter Theologe und Pfarrer, Mitglied der ersten Vorläufigen Kirchenleitung der Bekennenden Kirche und seit 1934 Präses der rheinischen Bekenntnissynode. Bekannt ist seine 1936 gehaltene "Knospenfrevelpredigt" gegen die unchristliche Beeinflussung der Jugend durch das NS-Regime.
Paul Walther Humburg wurde am 22.4.1878 als Sohn des Fabrikanten und Kaufmanns Otto Humburg (1851–1898) und seiner Ehefrau Hulda Siebel in Mülheim am Rhein (heute Stadt Köln) geboren. Humburg wuchs in einem pietistischen Elternhaus mit reformierter Prägung auf. Beide Elternteile hatten Beziehungen zur Rheinischen Mission. Als 1898 der Vater starb, studierte Paul Humburg gerade im zweiten Semester Theologie an der Universität Halle. Er hatte sich früh dazu berufen gefühlt, Gott zu folgen und war von der Obersekunda des Realgymnasiums in die Untersekunda des Gymnasiums gewechselt, um die Qualifikation und die Sprachkenntnisse in Griechisch und Hebräisch zu erlangen. Humburg studierte bis 1899 in Halle, von Ostern 1899-1900 in Erlangen und bis 1901 zwei Semester an der Universität Bonn. Besondere Prägung erhielt er in Halle durch den Dogmatiker Martin Kähler (1835-1912) und in Erlangen durch den reformierten Systematiker Ernst Friedrich Karl Müller (1863-1935). Das erste theologische Examen bestand Humburg Ostern 1902 in Koblenz. Anschließend studierte er bis 1904 mit dem Stipendium Bernardinum in Utrecht weiter. Sein Vikariat absolvierte er 1904-1905 in Viersen bei Pfarrer Ernst Vits (1868-1939), dem späteren Berliner Domprediger und Generalsuperintendenten. Vom 1.6.-31.10.1905 wirkte Humburg als Hilfsprediger an der unierten Christuskirche in Unterbarmen (heute Stadt Wuppertal). Am 7.1.1906 trat er eine Pfarrstelle in Dhünn (heute Stadt Wermelskirchen) im Kirchenkreis Lennep an, 1909 wechselte er zur reformierten Gemeinde Elberfeld (heute Stadt Wuppertal).
1906 heiratete Paul Humburg in Moers Marie Louise Hirschberg (1883-1958), Tochter des Moerser Gymnasialprofessors und Historikers Karl Hirschberg. Aus der Ehe gingen drei Söhne und drei Töchter hervor.
Bereits während seiner Studienzeit war Humburg aktives Mitglied in der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV) und Vertreter der Studenten in dessen Vorstand. Im Auftrag der DCSV richtete er von 1915 bis zum Kriegsende 1918 Soldatenheime an der Ostfront ein. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, stand Paul Humburg im Dienst der Gemeinde Elberfeld und konnte dort seinen Aufgaben zunächst noch weitgehend nachgehen. Ab dem 1.1.1916 übernahm er offiziell die Soldatenheimarbeit an der Ostfront. Er meldete sich freiwillig als Feldprediger beim Stab eines Oberkommandos und richtete bis Kriegsende 250 Soldatenheime ein. Er gewann damit eine einflussreiche Stellung im deutschen Heer sowie unter den Offizieren und Soldaten. Im Hinblick auf den Krieg und die Kriegsschuldfrage sah Humburg England als den Verursacher. In der Vermischung von Theologie und Zeitgeist verkörperte er seinerzeit den „Mainstream“ des deutschen Protestantismus. Viele deutsche Pfarrer glaubten sowohl an eine Rechtmäßigkeit des Krieges, an einen gottgewollten Kampf gegen die Verursacher des Krieges, als auch an die Ungerechtigkeit des Versailler Vertrags.
Nach Kriegsende standen die deutschen Theologen vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Das Kriegsgeschehen hatte viele Menschen desillusioniert und geistige Umbrüche verunsicherten gerade das traditionelle kirchliche Milieu. Die erfolgreiche Arbeit im DCSV hatte Paul Humburg für einen Wechsel in den Westdeutschen Männerbund (CVJM) empfohlen, in dem er 1921-1929 als Bundeswart fungierte, bis er überraschend seine Kündigung einreichte und in die Gemeinde Barmen-Gemarke wechselte. So schied er als Bundeswart aus, behielt aber dennoch einen Sitz im Bundesvorstand des CVJM.
Mit 51 Jahren trat Humburg seinen Dienst im zweiten Bezirk der Gemeinde Gemarke an, den er mit großer Ernsthaftigkeit ausübte. Das „Dritte Reich“ begrüßte er anfangs als Chance eines neuen Aufbruchs, was insbesondere das von ihm komponierte Adolf-Hitler-Lied ausdrückt, das am 2.5.1933 veröffentlicht wurde. Die volksmissionarische Neigung der Deutschen Christen (DC) wie auch der messianisch wirkende Adolf Hitler (1889-1945) weckten bei Humburg zunächst große Begeisterung. Auch als sich im Laufe des Jahres 1933 immer mehr staatliche Sanktionen und Eingriffe in die kirchlichen Strukturen abzeichneten und es offensichtlich wurde, dass sich hier kein Staat im christlichen Sinne entwickelte, rückte der deutschnational geprägte Humburg von dieser Haltung nicht ab. Vielmehr sah er das Verschulden nicht in der Person Hitlers, sondern vielmehr in den ihn beratenden Kirchenführern. Mit diesem Denken und politischem Urteil steht er beispielhaft für viele seiner Zeitgenossen.
Erst Ende 1933 kam es bei ihm zum Umdenken. Anstoß war die zwangsweise Eingliederung der Evangelischen Jugendverbände in die Hitlerjugend. Auch das Jahr 1934 war geprägt von weiteren Eingriffen und Rechtsverstößen gegen kirchliche Strukturen. Humburg zeigte sich zunehmend enttäuscht und desillusioniert und ging auf Abstand zum Nationalsozialismus. Bei der ersten freien Reformierten Synode vom 3. und 4.1.1934 wurde Humburg in den Vorsitz gewählt und entwickelte sich in der Folgezeit zu einem der führenden Gestalten im Kampf gegen die Deutschen Christen. Zunehmend fanden Gemeindetage statt, so beispielsweise im März 1934 in der Westfalenhalle Dortmund. Humburg hielt einen Vortrag, um die Gemeindemitglieder wachzurufen und über Wahrheit und Irrglaube zu informieren. Ende Mai nahm er an der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen teil, bei der die wegweisende Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde. Auf der dritten Tagung der Evangelischen Bekenntnissynode im Rheinland am 12. und 13.8.1934 in Gemarke wurde Paul Humburg zum Präses gewählt.
Am 3.5.1936 hielt Paul Humburg eine Predigt, die großes Aufsehen erregte und als „Knospenfrevelpredigt“ bekannt wurde. Darin kritisierte er die feierliche Massenvereidigung von Kindern anlässlich der Aufnahme in der Hitlerjugend, bei der sowohl Adolf Hitler, als auch weiteren nationalsozialistischen Größen des Regimes der unbedingte Gehorsam mitsamt der christlichen Formel geschworen wurde. Für Paul Humburg glich dies einer Herabwürdigung des Eides und zugleich einer Vergewaltigung der Kinder. Das ist Knospenfrevel! Für ihn war klar, dass Kinder nicht in der Lage seien, die Tragweite der Handlung zu erfassen. Weiterhin prangerte er an, dass sich deutliche Zeichen einer gegenchristlichen Welt abzeichneten, die Werte wie Volk und Staat religiös überhöhten und somit in seinen Augen ein Missbrauch des christlichen Vokabulars seien.
Die Knospenfrevelpredigt zirkulierte reichsweit in über 200.000 Exemplaren. Als Reaktion kam es zu zahlreichen Drohungen und Beschimpfungen von Seiten der nationalsozialistischen Presse, dennoch hielten sich die Repressalien de facto in Grenzen. So erhielt er für die Evangelische Woche in Stuttgart 1936 ein Teilnahmeverbot und wurde darüber hinaus aus Stuttgart hinaus eskortiert. Wider Erwarten wurde ihm gestattet, nach Baden-Baden zu fahren, wo er im Anschluss an die Evangelische Woche Urlaub machen wollte. Er wurde nicht verhaftet, dennoch war abzusehen, dass sich Konflikte mit dem Regime künftig mehren würden. In der Folge kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Paul Humburg musste zu diversen Vernehmungen auf das Polizeirevier, wurde mehrfach verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Er galt bei den Parteistellen als ein gefährlicher Regimegegner. Dies spiegelt sich auch in seiner Gestapoakte wider, die vom 11.9.1934 bis 25.2.1942 über fünf Seiten Überwachungsdaten enthält. Die Akten dokumentieren auch, dass Humburg selbst im Krankenbett stets jegliche Aussagen verweigerte.
Alle diese Konflikte zehrten am Gesundheitszustand von Paul Humburg. Hinzu kamen Sorgen um seine Frau Marie Luise und seine Kinder. 1939 musste er auf Grund von körperlicher Erschöpfung zwei Monate Urlaub erbitten. Im April 1940 nahm er seinen Dienst wieder auf. 1942 ließ er sich erneut suspendieren. Das bewog ihn dazu, sein Amt als Präses niederzulegen und kurze Zeit später auch sein Pfarramt aufzugeben.
Um sich zu erholen, zog es ihn 1943 in ein Pfarrhaus nach Ostfriesland, so dass er den verheerenden Bombenangriff auf Barmen in der Nacht vom 29. auf den 30.5.1943 nicht miterlebte. Nach diesem Ereignis suchte sich die Familie Humburg einen Wohnort, von dem sie sich erhoffte, vor Fliegerangriffen geschützt zu sein. So fanden sie ein neues Zuhause in Detmold, wo Paul Humburg in ein Landeskrankenhaus eingeliefert wurde. 1944 wurde er entlassen und kehrte zu seiner Familie in die Wohnung zurück, die den Wetterbedingungen im Winter nicht entsprach, kalt und nass war. Im Februar 1945 musste er erneut in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Sein Zustand verschlechterte sich zusehends und am Morgen des 21.5.1945 starb er im Alter von 67 Jahren.
Paul Humburg gilt heute als ein Kämpfer für die reformierte Sache und die presbyterial-synodale Ordnung. Laut den Akten der Gestapo genoß Humburg in seinem Umfeld durch seine Stellung und liebenswürdige Natur hohes Ansehen. Zu Beginn des Kirchenkampfes lässt sich Humburg noch als Kämpfer für die Kirche charakterisieren, der dabei in der Lage war, seine Ergebenheit für Hitler zu bewahren. Die Eingriffe des Staates in die Selbständigkeit der Kirche und die steigende Bedrohung ließen ihn am Ende zu einem Pfarrer werden, der nicht nur für die Freiheit der Kirche und seines Glaubens plädierte, sondern versuchte, diese aktiv zu verteidigen und sich mit seiner berühmten Knospenfrevelpredigt auch klar gegen das NS-Regime zu positionieren.
Nach Paul Humburg sind Straßen in Köln und Wuppertal, eine Schule in Köln-Longerich und das Gemeindehaus der Evangelischen Gemeinde Altenessen-Karnap (Stadt Essen) benannt.
Schriften (Auswahl)
„Friedensarbeit im Kriege.“ Über die Arbeit in Soldatenheimen im Osten 1915-1918. Hg. u. kommentiert v. Martin Humburg u. Jens Ebert, Bonn 2014.
Literatur
Ebert, Jens/Humburg, Martin, Friedensarbeit im Kriege. Über die Arbeit in Soldatenheimen im Osten 1915-1918, Bonn 2014.
Gruch, Jochen (Bearb.), Die Evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, Band 2, Bonn 2013, S. 434, Nr. 5875.
Hasenknopf, Gisela, Aus dem Familienleben von Paul Humburg. Erinnerungen seiner Tochter, Düsseldorf 2000.
Humburg, Werner/Pagel, Arno, Es geschah in Barmen und Stuttgart 1936. Die „Knospenfrevelpredigt“ von Paul Humburg und ihre Folgen. Eine Dokumentation aus der Zeit des Kirchenkampfes, Marburg 1985. Lekebusch, Sigrid, Paul Humburg. „Durchhalten“ - Seelsorger und Kämpfer für die Kirche, in: Kampmann, Jürgen (Hg.), Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Band 4: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Teilung Deutschlands, Frankfurt am Main 2011, S. 127-148.
Schmidt, Walter, Humburg, Paul, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 51-52 [Online-Version].
Schoppmann, Bernd, Paul Humburg, in: Schneider, Thomas Martin/Conrad, Joachim/Flesch, Stefan (Hg.), Zwischen Bekenntnis und Ideologie. 100 Lebensbilder des rheinischen Protestantismus im 20. Jahrhundert, Leipzig 2018, S. 76-78.
Online
Paul Humburg: Führender Bekenntnispfarrer, abgerufen am 7.10.2022 [Online].
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Hansen, Annika, Paul Humburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-humburg/DE-2086/lido/63e619b959ea73.92154617 (abgerufen am 06.12.2024)