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Reinhard Mannesmann jun. hat, vielfach in Zusammenarbeit mit einem seiner Brüder, zahlreiche wichtige Erfindungen gemacht. Durch das mit seinem Bruder Max erfundene Mannesmann-Verfahren zur Herstellung nahtloser Rohre aus dem massiven Stahlblock allein durch Walzen hat er die technische Welt revolutioniert. Sein erfolgreicher Versuch, Marokko wirtschaftlich zu entwickeln und dessen Erzvorkommen für die deutsche Wirtschaft nutzbar zu machen, ist durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen gescheitert.
Reinhard Mannesmann wurde am 13.5.1856 als ältester Sohn der Eheleute Reinhard Mannesmann sen. und Klara geborene Rocholl (1834-1910) in Remscheid-Bliedinghausen geboren. Die Familie war evangelisch. Reinhard wuchs mit bald acht Geschwistern in einem vergleichsweise bescheidenen Haus in unmittelbarer Nähe der vom Vater geleiteten Stahl- und Feilenfabrik auf. Der Vater, der jeden Luxus ablehnte, stand jeden Morgen um 6.00 Uhr auf und verlangte das auch von seinen Kindern. Sie waren mit dem Leben in der Fabrik, die zu den besten ihrer Art auf dem Kontinent zählte, von Kindheit an vertraut. 1870 zog die Familie in ein großes neu erbautes Haus, wo die beiden letzten Kinder der insgesamt fünf Töchter und sechs Söhne zählenden Nachkommen zur Welt kamen und groß wurden. Hier gab es unter anderem ein Musikzimmer mit zwei Klavieren zur Ausbildung der Mädchen sowie ein Billardzimmer, das später als Konstruktionsbüro genutzt wurde. Zentrale Wasser- und Gasversorgung fehlten damals noch in Remscheid; der Vater hatte jedoch bereits alle Leitungen installieren lassen, das Badezimmer wurde in der Zwischenzeit von einem von Hand aufgefüllten Behälter im obersten Stockwerk mit „fließendem“ Wasser versorgt. Schließlich wurde die Gasinstallation weitgehend für die Elektrifizierung verwendet.
Bei der Ausbildung seiner Söhne beschritt der Vater neue, für bergische Unternehmerfamilien höchst ungewöhnliche Wege. Während diese besonderen Wert auf kaufmännische Kenntnisse und die modernen Verkehrssprachen legten und daher ihre Söhne nach dem Erwerb der mittleren Reife in die Lehre, am liebsten bei einem ausländischen Handelshaus, gaben, bestand Vater Mannesmann auf einer Fortführung der real-gymnasialen Schulbildung bis zum Erwerb der Hochschulreife und einem anschließenden Studium an einer Hochschule. Er tat dies in der Überzeugung, dass die zur Lösung anstehenden Probleme nicht mehr allein durch Probieren, sondern vornehmlich durch grundlegende Ingenieurkenntnisse bewältigt werden könnten. Allerdings führte die Remscheider Bürgerschule nur bis zur Mittleren Reife; anschließend besuchten die ältesten Söhne die Höhere Bürgerschule im benachbarten Lennep (heute Stadt Remscheid) bis zur Unterprima und schließlich die Realschule I. Ordnung in Düsseldorf , wo Reinhard Mannesmann jun. 1874 mit 18 Jahren das Zeugnis der Hochschulreife erwarb. Soweit es der Schulunterricht zuließ, mussten die Söhne in der Fabrik die Stahlerzeugung und vor allem die Feilenfertigung erlernen.
Reinhard Mannesmann jun. studierte an der Polytechnischen Hochschule (der späteren TH) in Hannover, an der Königlich Preußischen Bergakademie und Universität zu Berlin sowie an der Universität zu Heidelberg. Als 21-Jähriger absolvierte er 1877 an der Bergakademie erfolgreich seine hüttenmännische Prüfung mit einer Arbeit über „Das Verhalten des reinen Kohlenstoffes zum reinen Eisen bei steigender Temperatur“. Damit gab er die wissenschaftliche Antwort auf die fortan nicht mehr gestellte Frage, ob das Eindringen des Kohlenstoffs in das Eisen, beispielsweise im Hochofen oder Tiegel, durch Gaskohlung oder durch Molekularwanderung erfolgt. Sein Ergebnis: durch Molekularwanderung; die praktische Auswirkung: man kann jeden Kohlenstoffgehalt in jede gewünschte Tiefe bringen. Das führte unter anderem zur Entwicklung von Compoundplatten, die außen hart und innen weich sind.
Nach Abschluss des Studiums wurde er Mitarbeiter in der vom Vater geleiteten Fabrik und befasste sich mit der Lösung der dort aufgetretenen technischen Probleme und verschiedenen Erfindungen. Am 1.10.1881 trat er als Einjährig-Freiwilliger in das 2. Bergische Grenadier-Regiment Kaiser Wilhelm Nr. 110 ein, um seiner Wehrpflicht zu genügen. Im Personalbogen ließ er in der Rubrik „Civil-Verhältniss“ die Angabe „Ingenieur“ streichen und durch „Fabrikant“ ersetzen. Spätestens 1882 begann er mit seinem Bruder Max mit Versuchen, die schließlich Ende 1884 zur Einreichung des Patentantrags für das Schrägwalz-Verfahren führten. Bereits 1878 hatten Reinhard und Max ihr erstes Patent für einen Schallverstärker für das neue Kommunikationsmittel Telefon erhalten; auch einen Torpedo, ein schweres Unterwassergeschoss mit eigenem Antrieb, hatten sie entwickelt. Ein enger Mitarbeiter, selbst ein begnadeter Konstrukteur und Maschinenbauer, hat die beiden als Menschen bezeichnet, die geboren wurden, um Probleme zu lösen, gleich welche.
Während Max die konstruktiven Lösungen fand, kamen von seinem Bruder Reinhard manche der zielführenden Ideen; auch an den praktischen Versuchen war er direkt beteiligt. Vor allem war er derjenige, der mit Investoren wie Eugen Langen , Werner von Siemens (1816-1892) sowie Friedrich Siemens (1826-1904) erfolgreich verhandelte. Seine Überzeugungskraft war so groß, dass es keine Schwierigkeiten bereitete, bereits Monate vor Abschluss der Versuche das Kapital zur Gründung von nach dem Mannesmann-Verfahren arbeitenden Gesellschaften in Deutschland, Österreich und Großbritannien zu erhalten und dabei auch noch durch Überlassung der Patentrechte der Familie die Hälfte der Gesellschaftsanteile zu sichern.
Als 1890 die kontinentalen Gesellschaften zur Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG, Berlin, einem der größten Unternehmen überhaupt, zusammengefasst wurden, übernahmen Reinhard und Max die Generaldirektion, während ihr Vater neben Eugen Langen den stellvertretenden Vorsitz im Aufsichtsrat führte (Vorsitzender war Werner von Siemens). Als die Investoren auf ein Ende der Versuche drängten und eine wirtschaftliche Fertigung anmahnten sowie zur Kontrolle der Generaldirektoren die Einstellung eines kaufmännischen Vorstands forderten, schieden die Brüder 1893 aus dem Vorstand aus und wechselten in den Aufsichtsrat; nach einigen Jahren verließen sie das Unternehmen ganz.
Reinhard reiste in die USA, um dort das Verfahren unter anderem auf der Weltausstellung von 1893 in Chicago vorzustellen – der erste Gast, der sich ins Besucherbuch eingetragen hat, war der berühmte Erfinder Thomas A. Edison (1847-1939). Als dieser beim Verlassen der Ausstellung von Reportern befragt wurde, was ihn am meisten beeindruckt habe, soll er geantwortet haben: „The Mannesmann-Tube – a Masterpiece of Men as Men should be“[1]. Obwohl insbesondere die Fahrrad- und Munitionsfabriken großes Interesse an einer Zusammenarbeit bekundeten, Reinhard mit seinen Brüdern Alfred (1859-1944) und Robert (1865-1913) sogar im Weißen Haus verkehrte und in die Senatorenloge des Kongresses eingeladen wurde, war ihnen in den USA kein dauerhafter Erfolg beschieden. Mit zwei Röhrenwerksgründungen scheiterten sie ebenso wie mit gigantischen Wasserversorgungsprojekten und dem Plan, die Wasserkräfte der Niagarafälle für die Stromerzeugung zu nutzen; für die Realisierung der ihnen übertragenen Großaufträge für Munition fehlten ihnen die Mittel. 1899 kehrte Reinhard nach Remscheid zurück.
Hier studierte er die Fachliteratur zum Berg- und Hüttenwesen, beteiligte sich an der gemeinsamen Erfindungsarbeit sowie am Betrieb von Erzgruben; außerdem half er bei den Vorbereitungen zur Errichtung weiterer Röhrenwerke im Ausland, insbesondere in Russland. Die Familien Rothschild und Nobel, die unter anderem Ölquellen im Kaukasus betrieben, waren an einer Pipelineverbindung zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer interessiert. Mit den Nobels, die in St. Petersburg wohnten, unternahm Reinhard mehrere ausgedehnte Jagdausflüge, beispielsweise im Winter 1904 nach Sibirien. Durch die dem jüngsten Bruder Dr. rer. nat. Otto Mannesmann (1874-1916) zugeschriebene Erfindung des hängenden Gasglühlichts, das eine Gasersparnis von 60 Prozent brachte und das elektrische Glühlicht entscheidend zurückwarf, erhielt die Familie weitere umfangreiche Geldmittel.
In Remscheid-Bliedinghausen errichtete Reinhard eine prächtige Villa mit einer von großen steinernen Löwen gesäumten Auffahrt und einer Parkanlage mit Schwimmbad und Tennisplätzen; hier besuchte ihn 1908 auf der Fahrt nach Berlin der marokkanische Außenminister Ben Asus. Das Haus war voller Erinnerungen an die Reisen und die Aufenthalte in fernen Ländern: im Treppenhaus stand ein ausgestopfter riesiger Braunbär aus Sibirien; in anderen Räumen hingen oder standen Jagdtrophäen aus dem Wilden Westen, dem Balkan und dem Kaukasus sowie aus Afrika und Südamerika, ferner kostbare Seidenteppiche und Gardinen aus Asien und Nordafrika, desgleichen Silberschmuck und kostbare Waffen.
Reinhard heiratete im Januar 1906 - er war inzwischen fast 50 Jahre alt - Marie Luise Eigen, die 23-jährige einzige Tochter eines früh verstorbenen Arztes, eine ebenso attraktive wie wohlhabende Frau. Das Paar machte seine Hochzeitsreise über Algerien nach Marokko. Reinhard hatte nämlich die begründete Hoffnung, dass sich die Vorkommen guter spanischer Erze auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar fortsetzen würden, eine Vermutung, die sich bestätigen sollte. Mit Hilfe einheimischer und insbesondere deutscher Fachleute entdeckte er Tausende von Fundstellen, deren Besitz er sich durch diplomatisches Geschick und bemerkenswertes Verständnis für die örtlichen Besonderheiten zu sichern wusste. Von Vorteil war auch seine ausgesprochene Sprachbegabung; er sprach ausgezeichnet Englisch und Französisch, vermochte sich gut in der spanischen und italienischen Sprache zu unterhalten und verfügte über Grundkenntnisse des Arabischen, so dass er sich auch mit der einfachen Bevölkerung ohne Dolmetscher zu verständigen vermochte.
Er war so beliebt und angesehen, dass der Sultan ihn nicht nur mit historischen Waffen und Schmuck beschenkte, sondern ein Berggesetz nach deutschem Vorbild erließ und den von ihm erworbenen Besitz legalisierte. Die Rifkabylen, die sich gegen Spanien erhoben hatten, wählten Reinhard Mannesmann zum Vermittler. Zwar wurde er bei Hofe empfangen, aber die spanische Regierung und insbesondere die Presse lehnten es empört ab, mit einem Deutschen über von ihnen beanspruchtes Gebiet zu verhandeln. In all den Jahren, in denen Reinhard Mannesmann und seine Frau in Marokko weilten und oft ohne Begleitschutz selbst in unsicheren Regionen unterwegs waren, ist ihnen kein Unheil widerfahren. Er hat es sogar geschafft, seinen im Innern des Landes in Gefangenschaft geratenen Bruder Alfred zu befreien.
Der gute Ruf des „Edelmannes aus Preußen“ war weit verbreitet; man achtete und man schätzte ihn. Er trat nicht als fordernder Kolonialherr auf, sondern handelte zum Besten des Landes und seiner Einwohner. Er ließ Straßen anlegen, Häuser und Handelsniederlassungen und Mühlen errichten, gründete Bergbau- und Handelsgesellschaften. Sein Plan, die deutsche Regierung zu bewegen, sich stärker für die deutschen Interessen einzusetzen, scheiterte. Obwohl der marokkanische Außenminister und ein weiterer hoher Würdenträger 1908 nach Berlin reisten, um darzulegen, dass dies auch der Wunsch des Sultans sei, hielt sich die deutsche Regierung mit Rücksicht auf Frankreich, das Marokko als sein Mandatsgebiet betrachtete und das Engagement von Reinhard Mannesmann und seiner Brüder Alfred, Robert und Otto, die sich als Großfarmer in Marokko betätigten, mit Argwohn betrachteten, bewusst zurück. Allerdings erlaubte das deutsch-französische Abkommen vom Februar 1909 das wirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmer in Marokko, während Deutschland die „besonderen politischen Interessen Frankreichs“ in Marokko anerkannte. Der Reichstag hat sich 1910 mit den Mannesmann-Ansprüchen befasst; dabei haben insbesondere Abgeordnete von Zentrum, National-Liberalen und SPD heftig miteinander debattiert.
Ob die Mannesmänner 1911 Einfluss auf die Entscheidung Kaiser Wilhelms II. (Regentschaft 1888-1918) genommen haben, das Kanonenboot „Panther“ nach Agadir zu entsenden und damit die zweite Marokkokrise auszulösen, ist nicht wahrscheinlich, zumindest umstritten. In der öffentlichen deutschen Diskussion war das Ansehen der Brüder Mannesmann nicht so eindeutig positiv – im Übrigen stellte die Besetzung der Hauptstadt Fez durch französische Truppen eine Verletzung des Vertrags von 1909 dar; außerdem hielten sich weitere deutsche Unternehmer, vor allem im Süden Marokkos, auf, deren Schutz in Anbetracht der gewaltsamen Auseinandersetzung zu gewährleisten war. Weil England, dem an einer weiteren Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich („Entente Cordiale“) und an von der deutschen Marine ungestörten Schifffahrtslinien gelegen war, das Vorgehen Frankreichs unterstützte, verzichtete Deutschland im Marokko-Kongo-Abkommen gegen eine territoriale Entschädigung in Äquatorialafrika auf seine Ansprüche in Marokko und erkannte dieses als französisches Protektorat an.
Reinhard Mannesmann und seine Brüder blieben bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Nordafrika. Reinhard verlor seinen gesamten Besitz in Marokko. Zwar wurden nach den Erfolgen von General Erwin Rommel (1891-1944) im Zweiten Weltkrieg noch einmal Vorbereitungen zur Nutzung der alten Bergbaukonzessionen getroffen, aber die weitere militärische Entwicklung machte die Planungen zunichte.
1910/1911, als die Mannesmann-Bergbaurechte in Marokko Gegenstand diplomatischer und rechtlicher Auseinandersetzungen waren, dachte Reinhard Mannesmann daran, sich in Südamerika eine neue beziehungsweise weitere wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Auf die Zusage der peruanischen Regierung hin, dass sie den Aufwand für den Bau einer Straße durch den Regenwald zum oberen Amazonas, wo sich ein noch unzugängliches Gebiet mit Kautschukbäumen, wilder Baumwolle und Kakao befand und außerdem reiche Erzvorkommen vermutet wurden, durch üppige Landzuweisungen vergüten werde, gründete er im Herbst 1910 die Marañon Land-Gesellschaft GmbH, Remscheid. Nachdem Fachleute die Wirtschaftlichkeit des Projekts und auch zwei Expeditionen an die Quellflüsse des Amazonas die erhofften Befunde bestätigt hatten, wurden Vorbereitungen für die Gewinnung von Rohkautschuk, die Anlage und den Betrieb von Plantagen mit etwa 3.000 Arbeitskräften sowie den Bau von Spezialbooten zur Befahrung der Stromschnellen getroffen.
1911 reiste Reinhard Mannesmann selbst nach Peru, stieg über die beiden Kordillerenketten und durchquerte den Regenwald, um am Rio Marañon und Rio Santiago die Pflanzungen zu besichtigen und die Erzvorkommen zu untersuchen. Trotz der Transportschwierigkeiten sah er lohnende Entwicklungsmöglichkeiten, zumal die klimatischen Verhältnisse ein Leben und Arbeiten auch für europäische und asiatische Arbeitskräfte begünstigten. Als jedoch der Kautschukpreis wegen des auf den Markt drängenden Plantagenkautschuks, vor allem aus Niederländisch Indien, ins Bodenlose fiel, fand er weder in Deutschland noch in Großbritannien Investoren, die bereit waren, sich zu beteiligen. So blieb Reinhard Mannesmann außer einem erlebnisreichen Abenteuer und einer Kette aus Nussschalen, die er seiner Frau mitgebracht hatte, ein Verlust von etwa 100.000 Mark.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Reinhard Mannesmann 58 Jahre alt. Der Reserve-Offizier fand wegen seiner Auslandserfahrung und seiner Sprachkenntnisse im Auftrag des Reichskolonialamts Verwendung auf dem Balkan, wo er einige Zeit mit seinem Freund Ludwig Roselius (1874-1943), dem Besitzer von Kaffee Haag, zusammenarbeitete. Das Mannesmann-Roselius-Büro und ab 1916 das unter maßgeblicher Beteiligung von Reinhard Mannesmann gegründete Institut für den Wirtschaftsverkehr mit Bulgarien beschafften in Rumänien und Bulgarien Getreide und industrielle Rohstoffe. Außerdem bemühte man sich um eine deutschfreundliche Stimmung. Dabei griff man auch zu ungewöhnlichen Mitteln: So kaufte man die Fabriken für die Herstellung von Druckerschwärze auf und teilte diese nur den Verlagen zu, deren Berichterstattung entsprechend war. Die Aktivitäten des genannten Instituts bildeten nach dem Krieg die Grundlage für die Mannesmann-Handelsgesellschaft in Sofia, die der Familie Mannesmann bis 1945 ein wirtschaftliches Auskommen sicherte.
Ferner errichtete Reinhard Mannesmann in Remscheid-Bliedinghausen die Mannesmann Waffen- und Munitions-Werke, wo mehrere 1.000 Arbeitskräfte Minenzünder, jedoch auch Anlagen für Gas- und elektrisches Glühlicht herstellten. Nachdem sein Bruder Max auf einer Erprobungsfahrt an die Front verstorben war, übernahm er die technische Leitung der Lastwagenwerke von Mannesmann-Mulag in Aachen und Porz bei Köln. Auch entwickelte er dessen Erfindungen weiter. Dazu gehörten Sparmotoren, Spezialwaffen, ein Flugzeug mit transkontinentaler Reichweite und Häuser aus industriell vorgefertigten Teilen; zu den selbständigen Erfindungen zählten unter anderem gefederte Lastwagenräder ohne Gummibereifung.
Nach dem Krieg flüchtete er in Sorge um eine Verhaftung durch französisches Militär mitsamt einem großen Möbelwagen voller technischer Zeichnungen, Modelle und anderer Dokumente ins Landesinnere, kehrte jedoch bald zurück und begann mit dem Neuanfang. In Aachen und Porz wurden weiter Lastwagen und außerdem Ackerschlepper sowie weitere landwirtschaftliche Maschinen gebaut. Die Waffen- und Munitionswerke fertigten neben den Lichtanlagen elektrische Kühlschränke und Personenkraftwagen; in unmittelbarer Nähe entstand eine Fabrik zur Herstellung von Teilen für den Fertighausbau, in der 1921 die Massenfabrikation aufgenommen wurde.
1920 verlieh ihm die TH (heute RWTH) Aachen den Titel eines Dr.-Ing. h.c. In den letzten Lebensjahren war er ein fanatischer Arbeiter; er starb am 20.2.1922 in Remscheid im Alter von 66 Jahren an den Folgen der Malaria, die er sich während seines Aufenthalts in Nordafrika zugezogen hatte. Er fand seine letzte Ruhe im Familiengrab auf dem Südfriedhof in Remscheid-Bliedinghausen. Die jüngste seiner insgesamt vier Töchter wurde am Sarg des Vaters getauft; sie war vier Jahre alt. Seine Frau starb 1936 im Alter von 54 Jahren an einem Herzschlag.
Quellen
Salzgitter AG-Konzernarchiv/Mannesmann-Archiv, Bestände M 20, 40 und 68.
Sondersammlungen des Deutschen Museums in München, Nachlass Mannesmann.
Literatur
Brandt-Mannesmann, Ruthilt, Dokumente der Erfinder, Remscheid 1965.
Wessel, Horst A., Die Familie Mannesmann, die Feilenfabrik und die Erfindung des Schrägwalz-Verfahrens (1772-1887), in: Wessel, Horst A., Die Geburtsstätte des nahtlos gewalzten Stahlrohres. Das Mannesmannröhren-Werk in Remscheid, die Erfinder und die Mechanische Werkstatt, Essen 2012, S. 13-52, bes. S. 29-44, 53-60.
Wessel, Horst A., Die Familie Mannesmann in Marokko 1907-1914. Ein Beispiel partnerschaftlicher Wirtschaftsentwicklung, Düsseldorf 1996.
Wessel, Horst A., Globale Unternehmensaktivitäten im Spannungsfeld von unternehmerischem Gestaltungswillen und (wirtschafts-) politischen Realitäten. Das Beispiel der Familie Mannesmann aus Remscheid, in: Hilger, Susanne/Soénius, Ulrich (Hg.) Netzwerke – Nachfolge – Soziales Kapital. Familienunternehmen im Rheinland im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2009, S. 66-102, bes. S. 67-70, 76-80, 83-102.
Wessel, Horst A., Die Techniker der Familie Mannesmann, in: Weber, Wolfhard (Hg.), Ingenieure im Ruhrgebiet, Münster 1999, S. 123-148, hier bes. S. 128-136, 139-144.
Wessel, Horst A., Tüchtige Handwerker – Geniale Ingenieure – Wagemutige Unternehmer. Vier Generationen der Familien Mannesmann in Remscheid (1768-1950), Essen 2019.
Wessel, Horst A., 100.000 Goldmark für eine Halskette aus Nusskernen. Der koloniale Blütentraum einer Remscheider Unternehmerfamilie, in: Feldenkirchen, Wilfried/Röhlk, Frauke/Schulz, Günther (Hg.), Wirtschaft, Gesellschaft, Unternehmen. Festschrift für Hans Pohl zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1995, S. 1193-1208.
Online
Hatzfeld, Lutz, „Mannesmann, Reinhard“, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 62 f. [Online]
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Wessel, Horst A., Reinhard Mannesmann jun., in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reinhard-mannesmann-jun./DE-2086/lido/57c9476bb00302.12395509 (abgerufen am 06.12.2024)