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Trude Herr war eine Komödiantin, Theaterdirektorin und Autorin aus Köln. Sie begann ihre Karriere als Schauspielerin und Büttenrednerin und sorgte in den späten 1950er Jahren als Darstellerin im Film sowie als Schlagersängerin für Furore. Später gründete sie in Köln das „Theater im Vringsveedel“, das wegen seiner modernen Inszenierungen zu den am stärksten frequentierten Privatbühnen der Bundesrepublik Deutschland zählte.
Gertrud Herr wurde am 4.5.1927 als drittes Kind des Lokomotivführers Robert Herr (1891-1961) und dessen Ehefrau Agathe (1893-1973) in Köln-Kalk geboren. Einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend verlebte sie in einem Arbeiterviertel in Köln-Mülheim, wo sie ab 1933 die Volksschule besuchte. Ihr Vater wurde im gleichen Jahr wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD von den Nationalsozialisten verhaftet und gefoltert. Er verbrachte nahezu die gesamte Dauer des NS-Regimes im Zuchthaus, seine Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen. Die Entbehrungen und Demütigungen dieser Jahre prägten Trude Herr entscheidend.
Nach Beendigung ihrer Schulzeit arbeitete sie zunächst in einer Bäckerei und begann danach eine Lehre bei der in Köln ansässigen „Theodor Bender Handelsvertretung“. Nachdem die Wohnung ihrer Familie im Sommer 1943 während eines Bombenangriffs zerstört worden war, wurde Trude Herr mit ihrer Mutter und den beiden Geschwistern in das hessische Dorf Ewersbach evakuiert. In der Verwaltung der nahegelegenen Kreisstadt Dillenburg erhielt sie die Gelegenheit, ihre Ausbildung fortzusetzen. Sie fungierte zunächst als Schreibkraft im städtischen Krankenhaus und wechselte im April 1944 in das örtliche Einwohnermeldeamt. Als die Familie nach Kriegsende in ihre Heimatstadt zurückkehren konnte, fand Trude Herr eine Anstellung in der Anzeigenabteilung der von der KPD herausgegebenen Zeitung „Die Volksstimme“.
Gegen den Willen ihres Vaters schloss sie sich jedoch bereits 1946 einer Wanderbühne aus Aachen an, um Schauspielerin zu werden. Nur ein Jahr später sprach sie bei Willy Millowitsch vor, der sich von ihrem komödiantischen Talent begeistert zeigte und sie in das Ensemble seines Theaters aufnahm. 1949 gründete sie an der Seite ihres Kollegen und langjährigen Förderers Gustav Schellhardt (1908-1967) mit der „Kölner Lustspielbühne“ ihr erstes eigenes Theater. Nachdem das Unternehmen in Konkurs gegangen war, hielt sich Trude Herr über einen Zeitraum von zwei Jahren als Bardame in der Homosexuellenkneipe „Barberina“ über Wasser.
Der künstlerische Durchbruch gelang ihr in der Mitte der 1950er Jahre als Büttenrednerin im Kölner Karneval. Bereits zu diesem Zeitpunkt mangelte es ihren umjubelten Parodien als „Madame Wirtschaftswunder“ oder „Besatzungskind“ nicht an gesellschaftskritischen Zwischentönen. An der Seite von Grete Fluss avancierte sie ab 1955 auch zum Star der populären Karnevalsrevuen im Varietétheater Kaiserhof. Trotz ihres großen Erfolges betrachtete sie die Auftritte während der „fünften Jahreszeit“ nur als Etappe auf dem Weg ihrer künstlerischen Entwicklung. Zudem brachten sie ihre kompromisslosen und unkonventionellen Ansichten wiederholt in Konflikt mit den konservativen Karnevalsgesellschaften. Nachdem ihr 1959 die Aufführung der parodistischen Nummer „Die Karnevalspräsidentengattin“ untersagt worden war, verzichtete sie auf weitere Auftritte als Büttenrednerin. Dennoch gehörte sie auch in der Folgezeit zu den gefeierten Stars des Kölner Karnevals. Nach dem Rücktritt von Grete Fluss war sie das Zugpferd der Revuen und brillierte unter anderem bei der Premiere der „Lachenden Sporthalle“ im Jahr 1964 als „Cleopatra von Niehl“.
Mit der auf hochdeutsch vorgetragenen Parodie „Die Fernsehansagerin“ hatte sie bereits 1957 die Aufmerksamkeit des Kabarettisten Willi Schaeffers (1884-1962) auf sich gelenkt. Er engagierte sie im darauffolgenden Jahr für sein Theater „Tingel-Tangel“ in Berlin und ebnete ihr damit zugleich den Weg zu einer kommerziell erfolgreichen Karriere im westdeutschen Unterhaltungsfilm. Zwischen 1959 und 1964 wirkte sie in insgesamt 31 Komödien mit, wobei sie stets die Rolle der ebenso temperamentvollen wie resoluten rheinischen „Ulknudel“ verkörperte. Auch als Schlagersängerin wusste sie dieses Image geschickt zu nutzen. Mit dem 1958 veröffentlichten Titel „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“ feierte sie ihren größten Publikumserfolg.
In den 1960er Jahren unternahm Trude Herr ausgedehnte Reisen nach Afrika. Hier lernte sie den Tuareg Ahmed M`Barek kennen, den sie 1969 heiratete. Die Ehe nahm jedoch einen unglücklichen Verlauf und wurde 1976 geschieden. In dieser Zeit versuchte sie sich beharrlich vom Image der „komischen Dicken“ zu lösen und alternative künstlerische Wege zu beschreiten. In den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rückte dabei die Idee eines „reformierten Volkstheaters“. Die traditionellen bürgerlichen Schwänke hielt sie sowohl inhaltlich wie auch dramaturgisch für nicht mehr zeitgemäß. Nach ihrer Vorstellung sollte das Volkstheater moderner Prägung die Lebenswirklichkeit des 20. Jahrhunderts ungeschminkt widerspiegeln und dabei auch sozialkritische Themen nicht aussparen. Als sie 1972 damit begann, ihre eigenen Bühnenstücke zu schreiben, ließ sie sich von den Charakteren und Stimmungen des Kölner Milieus inspirieren, dem sie sich zeitlebens zugehörig fühlte. Dem ebenso derben wie sentimentalen kölschen Lokalkolorit verdanken die Werke Trude Herrs, die selbst in der Großen Brinkgasse unweit des städtischen Rotlichtviertels wohnte, ihre besondere Authentizität.
Zwischen 1970 und 1976 spielte sie mit ihrem eigenen Ensemble im Millowitsch-Theater. Hier inszenierte sie im Jahr 1970 mit großem Erfolg das Lustspiel „Die Perle Anna“ des französischen Autors Marc Camoletti (1923-2003). Auch ihre ersten eigenen Bühnenstücke „Familie Pütz“ (1972), „Scheidung auf kölsch“ (1973) und „Pflaumenschwemme“ (1975) erwiesen sich als Publikumsmagneten. Konflikte mit Willy Millowitsch auf der einen und die bürgerliche Atmosphäre seines Theaters auf der anderen Seite veranlassten Trude Herr schließlich dazu, den Schritt zur Gründung einer eigenen Bühne zu wagen.
Im Juli 1977 pachtete sie ein leerstehendes Kino in der Kölner Severinstraße und gestaltete es innerhalb weniger Wochen nach ihren Vorstellungen um. Die Eröffnung des „Theaters im Vringsveedel“ erfolgte am 9.9.1977 mit der Uraufführung des Stücks „Die kölsche Geisha“. Unter ihrer Leitung entwickelte sich die 500 Zuschauer fassende Bühne in kurzer Zeit zu einer der bedeutendsten kulturellen Institutionen in Nordrhein Westfalen. Dennoch sah sich Trude Herr auch hier zu ungeliebten Kompromissen gezwungen, noch immer wurde sie auf die Rolle der „Ulknudel“ reduziert. Ihr 1980 uraufgeführter Einakter „Et versoffe Lenche“ ließ das Dilemma offensichtlich werden. Die melodramatische Geschichte einer sich zu Tode tanzenden Alkoholikerin wurde zwar von den Kritikern gefeiert, verfehlte jedoch ihre Wirkung auf das Publikum und erwies sich als ein kommerzieller Misserfolg.
In den 1980er Jahren begann Trude Herr in zunehmendem Maße unter den Folgen ihres jahrzehntelangen Nikotinkonsums zu leiden. Auch der kräftezehrende Kampf um den Fortbestand ihres Theaters, in dem sie in Personalunion als Intendantin, Regisseurin und Hauptdarstellerin fungierte, wirkte sich negativ auf ihre Gesundheit aus. Nach mehreren Operationen gab sie im Februar 1986 die Schließung des Theaters bekannt und übersiedelte im darauffolgenden Jahr auf die Fidschi-Inseln, um sich vollständig der Schriftstellerei zu widmen. Der Abschied aus ihrer Heimatstadt ging mit der Veröffentlichung des Albums „Ich sage was ich meine“ einher. Mit der Singleauskopplung „Niemals geht man so ganz“ erreichte sie einen respektablen 20. Platz in den bundesdeutschen Charts. 1988 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Zu Beginn des Jahres 1991 kehrte Trude Herr nach Europa zurück. Nach einem kurzen Aufenthalt in ihrer Heimatstadt zog sie sich in ein Ferienhaus im südfranzösischen Lauris zurück, wo sie in der Nacht vom 15. auf den 16.3.1991 an Herzversagen starb. Ihr Leichnam wurde nach Köln überführt und im Grab ihrer Familie auf dem Nordfriedhof beigesetzt. Die Kölner Band L.S.E. setzte Trude Herr auf ihrer 1992 erschienenen Debüt-CD "Für et Hätz un jäjen d’r Kopp" mit dem Stück "Trudi" ein musikalisches Denkmal. In der Severinstraße erinnert seit 2012 eine Bronzetafel an das „Theater im Vringsveedel“ und seine Gründerin. Bereits im Jahr 2002 wurde in der Kölner Südstadt ein Denkmal für Trude Herr errichtet, das sich jedoch über mehrere Jahre in einem unfertigen Zustand befand und erst im Mai 2013 vollendet wurde.
Werke
„Und plötzlich kippt es um.“ Zwei Erzählungen, Hannover 1987.
Literatur
Beutel, Heike/Hagin, Anna Barbara (Hg.): Trude Herr. Ein Leben. Zeitzeugen und Bilder erzählen, Köln 1997.
Schmidt, Gérard: Trude Herr. Ihr Leben, Köln 1991.
Online
Kölsches Original wider Willen (Kurzbiographie auf WDR.de)
Wingender, Dirk: Gertrud Herr, Verwaltungslehrling (Artikel über die Lehrzeit Trude Herrs in Dillenburg auf mittelhessen.de)
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Thomann, Björn, Trude Herr, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/trude-herr/DE-2086/lido/57c82d8f42ab75.72668780 (abgerufen am 09.10.2024)