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Wilhelm Elfes mag als Prototyp eines Politikers gelten, der in der Weimarer Zeit als Quereinsteiger in ein hohes staatliches Amt berufen wurde. Der preußische Staat wollte in der inneren Verwaltung, insbesondere mit der Polizei ein Machtinstrument nicht nur zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, sondern auch zur Wahrung der demokratischen Ordnung in der Hand haben. Dem entsprach die Auswahl der leitenden Polizeiverwaltungsbeamten in den 1920er und frühen 30er Jahren, die nicht mehr zwingend aus dem Kreis der juristisch vorgebildeten höheren Verwaltungsbeamten kommen mussten, sondern deren Zugehörigkeit zu einer der die jeweilige preußische Staatsregierung tragenden Parteien (in der Regel Partei- oder Gewerkschaftssekretäre) zu einem wesentlichen Auswahlkriterium geworden war.
Wilhelm Albert Heinrich Elfes wurde am 5.6.1884 in Krefeld als ältestes von fünf Kindern des katholischen Seidenwebers Albert Elfes (gestorben 14.3.1897) und seiner Frau Anna (gestorben 25.3.1896), geborene Hellings, geboren. Nach dem Tod der Eltern wurde er als Vollwaise bis 1898 im Waisenhaus der Borromäerinnen (Nordstraße 109) erzogen. Obwohl er eigentlich Lehrer werden wollte, wurde er 1898 nach Beendigung der Volksschule zu einem Schmied in die Lehre geschickt. Anschließend arbeitete er als Schmied, Schlosser und Installateur, unter anderem in der Eisenbahnwerkstätte in (Krefeld-)Oppum. Ab 1904 engagierte er sich, nachdem er sich im Selbststudium weitergebildet hatte, in der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB). Am 1.2.1909 wurde er zweiter Bezirkssekretär der katholischen Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutschlands in Krefeld, ab 1.2.1911 arbeitete er in der Redaktion der „Westdeutschen Arbeiterzeitung (WAZ)“ in Mönchengladbach.
Am 7.10.1912 heiratete er im niederrheinischen Rheurdt Elisabeth Wormanns (1884-1949), nach deren Tod in zweiter Ehe 1950 die Realschuldirektorin Gertrud Lichtschlag.
Am Ersten Weltkrieg nahm Elfes 1915 bis 1918 zunächst mit Begeisterung teil, wandelte sich aber angesichts der Kriegserlebnisse zum Pazifisten. Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Redakteur bei der WAZ, ab Februar 1919 als verantwortlicher Leiter der Redaktion.
1905 war Elfes Mitglied des Zentrums geworden. Für seine Partei wurde er im Dezember 1919 in die Stadtverordnetenversammlung von Mönchengladbach gewählt, der er bis April 1927 angehörte, seit März 1923 als Vorsitzender der Zentrumsfraktion. Im Mai 1920 wurde er zum unbesoldeten Beigeordneten gewählt, vom 10.9.1923 bis 30.6.1924 versah er zudem das Amt eines hauptamtlichen Beigeordneten (Kulturdezernent). Während des Separatistenaufstandes in Mönchengladbach im Oktober 1923 organisierte Elfes den Widerstand der christlichen Gewerkschaften und des Zentrums.
Weitere öffentliche Mandate folgten: Von 1920 bis 1933 war er Mitglied des Rheinischen Provinziallandtages, von Dezember 1920 bis Januar 1926 auch stellvertretendes Mitglied des Provinzialausschusses. Dem Preußischen Staatsrat gehörte er als ein Vertreter der Rheinprovinz ab Mai 1921 zunächst als stellvertretendes Mitglied an, vom 18.1.1922 bis zur Aufhebung des Staatsrats 1933 als reguläres Mitglied, zudem war er stellvertretender Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Staatsrat. 1929 war er einer der Hauptreferenten des Staatsrats für die kommunale Neuordnung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets. Dem Reichsvorstand des Zentrums gehörte er von 1922 bis 1933 an. Mit der offiziellen Parteilinie kam Elfes öfter in Konflikt, etwa in der Frage der Fürstenenteignung, auch setzte er sich nachdrücklich für die Einführung von Einheitsgewerkschaften ein.
Bedingt durch den Ersten Weltkrieg und die innenpolitischen Wirren der Nachkriegszeit - im Rheinland kam noch die alliierte Besatzung hinzu - konnte die längst überfällige Verstaatlichung der Polizeiverwaltungen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet erst in den 1920er Jahren erfolgen: Düsseldorf (1.7.1926), Duisburg (1.3.1927), Krefeld, Mönchengladbach (1.7.1927). Hinsichtlich des genauen Beginns der Überleitung der kommunalen auf die staatliche Polizeiverwaltung in Krefeld bleiben wir einstweilen auf Mutmaßungen angewiesen. Oberbürgermeister Dr. Johannes Johansen berichtete im April 1927, dass ihm als Termin für die Durchführung der Verstaatlichung der Polizei zunächst schon der 1.8.1926 bezeichnet worden sei, tatsächlich verzögerte sich die Verstaatlichung bis zum 1.7.1927.
Ende 1926 meldete die Niederrheinische Volkszeitung, dass Elfes „zum ersten Polizeipräsident in Krefeld ernannt worden“ sei. Nach Elfes‘ Aufzeichnungen sei er von Innenminister Albert Grzesinski (1879-1947) als Polizeipräsident zunächst für Mönchengladbach, dann für Krefeld in Aussicht genommen worden, sodann zur Einarbeitung in die Geschäfte der staatlichen Polizeiverwaltung ab 15.3.1927 beim Polizeipräsidium in Recklinghausen probeweise beschäftigt worden.
Mit dem Wirksamwerden der Verstaatlichung der Polizei in Krefeld am 1.7.1927 wurde Elfes „kommissarisch mit der Verwaltung der Stelle des Polizeipräsidenten in Krefeld beauftragt“ und zum 1.12.1927 definitiv ernannt. Bei seiner Amtseinführung durch den Leiter der Polizeiabteilung im Preußischen Ministerium des Innern, Erich Klausener, versprach er, in seinem Amt eine unparteiische Haltung einzunehmen, seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und zum Zentrum seien seine „persönliche Überzeugung“. Er kündigte an, gegen diejenigen vorzugehen, die sich gewalttätig gegen die republikanische Ordnung erheben würden, was in den folgenden Jahren durch Gegner der Republik von rechts und links zunehmend auf die polizeiliche Agenda rückte. Dennoch geriet Elfes - der konkrete Anlass war nicht zu ermitteln - indirekt in das Visier von Karl Kraus (1874-1936), der in der „Dritten Walpurgisnacht“ notierte: „Die Polizeipräsidenten von Krefeld und von München-Gladbach haben die Abschaffung der Gummiknüppel angeordnet, mit der Begründung, daß diese Waffe eines Kulturvolkes unwürdig ist.“ (Karl Kraus, Schriften, Band 12, Frankfurt a.M. 1989, S. 208).
Die Schlagkraft der bis dahin republikanisch gesinnten preußischen Polizei war durch den „Preußenschlag“ vom 20.7.1932, durch den auch die Polizei nunmehr einem autoritären Regime unterstellt wurde, beeinträchtigt worden. Elfes selber konnte von Glück sagen, dass er bei dem anschließenden Revirement in vielen staatlichen Leitungspositionen nicht seines Amtes enthoben wurde. Auch im Februar 1933 blieb Elfes erneut von einem Revirement in zahlreichen Polizeipräsidien verschont, sein demokratisch gesinnter Vertreter Voß wurde jedoch versetzt, an seine Stelle trat der nationalgesinnte Regierungsassessor Joachim Freiherr von der Leyen (1897-1945). Als die SA eine Wahlkampfveranstaltung des Zentrums mit dem früheren Reichsminister Adam Stegerwald (1874-1945) in Krefeld sprengte, musste die Krefelder Polizei schon tatenlos zusehen. Ab Anfang März wurden auch im Krefelder Polizeipräsidium die ersten Schutzhaftbefehle gegen Kommunisten und Sozialdemokraten ausgefertigt.
Am 25.3.1933 wurde Elfes durch den Regierungspräsidenten mit Wirkung vom folgenden Tage in den einstweiligen Ruhestand versetzt; ob dies, wie häufiger kolportiert, mit seiner angeblichen Weigerung im Zusammenhang steht, der NSDAP beizutreten, ist zweifelhaft. Die Dienstgeschäfte übergab er seinem Stellvertreter Regierungsassessor von der Leyen. Die Entlassung aus dem Staatsdienst erfolgte am 11.9.1933 gemäß § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (als politisch unzuverlässig) zum 1.10.1933.
In der Folgezeit war Elfes Inhaber eines Tabakladens in Krefeld. Den Nationalsozialisten galt dieser Laden als „Giftbude und Widerstandsnest“, städtischen Beamten war der Besuch verboten. 1938 gab Elfes das Geschäft auf und arbeitete als Vermögensverwalter der katholischen Pfarrgemeinde St. Stephan in Krefeld und als Vertreter. Er hatte Kontakte zum rheinisch-katholischen Widerstand (Kölner Kreis), auch zum konservativen Widerstand im „Goerdeler-Kreis“, der wiederum mit dem militärischen Widerstand rund um Generaloberst Ludwig Beck (1880-1944) in Verbindung stand. Nach dem Scheitern des Hitler-Attentats am 20.7.1944 wurde Elfes verhaftet, kam jedoch auf Grund der Unterstützung von Polizeibeamten bald wieder frei. Vor seiner erneuten Verhaftung - ein weiterer Haftbefehl wurde am 7. Oktober erlassen - tauchte er ab und hielt sich bis zur Besetzung durch amerikanische Truppen in St. Tönis verborgen.
Im Zuge des Wiederaufbaus der Krefelder Stadtverwaltung versuchte der von den Amerikanern eingesetzte Bürgermeister Dr. Johannes Stepkes (1884-1966) im März 1945, Elfes als Polizeidezernenten zu gewinnen. Dieser lehnte jedoch ab, da sich ihm in Mönchengladbach eine interessantere berufliche Perspektive eröffnete: Am 2.4.1945 ernannten ihn die Amerikaner dort zum Oberbürgermeister. Da er sich der Ernennung zum Oberbürgermeister ohne Legitimation durch eine Wahl widersetzt hatte, bestätigte ihn zwei Tage später eine provisorische Stadtverordnetenversammlung im Amt, das er bis zum Wirksamwerden der neuen Kommunalverfassung mit der Doppelspitze Oberbürgermeister-Oberstadtdirektor inne hatte. Am 9.3.1946 wechselte er in das Amt des Oberstadtdirektors, aus dem er jedoch am 17.9.1946 wieder ausschied, um Mitglied der Stadtvertretung werden zu können, die ihn am 25.10.1946 zum nunmehr politischen Oberbürgermeister wählte.
Anfang Januar 1948 wurde ein Misstrauensantrag gegen Elfes gestellt, weil er durch seine „schwankende Politik“ die Akzeptanz der CDU in der Öffentlichkeit verringert habe. Da eine Abwahl nicht möglich war, konnte Elfes zunächst im Amt verbleiben. Nachdem er aber für die Kommunalwahl am 17. Oktober nicht mehr aufgestellt worden war, musste er am 3.11.1948 das Amt des Oberbürgermeisters niederlegen.
Mitte 1948 bis Januar 1950 war er gemeinsam mit Andreas Hermes erster Lizenzträger und Herausgeber der „Westdeutschen Zeitung“. 1945 war er Mitgründer der „Partei der Arbeit“ , wie die CDU in Mönchengladbach zunächst hieß; er gehörte dann zu den führenden Köpfen des linken Parteiflügels der CDU. Von 1947 bis 1950 war er Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, in dem er unter anderem dem Verfassungsausschuss angehörte. In der Frage der Westintegration und der Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik geriet er in Konflikt zu Konrad Adenauer und wurde 1951 aus der CDU ausgeschlossen. Schon 1949 hatte er sich an der Gründung der „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands“ beteiligt, die sich für die Aufnahme von Verhandlungen mit der DDR einsetzte.
1952 gründete Elfes gemeinsam mit dem früheren Reichskanzler Joseph Wirth (1879-1956) die außenpolitisch neutral ausgerichtete „Deutsche Sammlung“, ab 1953 „Bund der Deutschen für Einheit, Frieden und Freiheit“ (BdD), dem er bis 1956 zusammen mit Wirth, von 1956 bis 1963 mit Thea Arnold (1882-1966) vorstand. Für den Deutschen Bundestag kandidierte Elfes (jeweils erfolglos) 1953 für die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) in einem Wahlkreis in NRW und auf den Landeslisten in NRW, Bremen und Rheinland-Pfalz, 1957 für den Bund der Deutschen in einem Wahlkreis und auf der Landesliste in NRW, 1961 für die Deutsche Friedensunion (DFU) auf der Landesliste in NRW (Elfes hatte im Jahr zuvor die DFU mitbegründet). 1964 wurde er noch Mitglied des Weltfriedensrates, im selben Jahr erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig. 1968 war er an der Gründung des Wahlbündnisses Aktion Demokratischer Fortschritt im Vorfeld der Bundestagswahl 1969 beteiligt.
Als Elfes 1952/1953 am kommunistisch dominierten Kongress der Völker für den Frieden (Dezember 1952) und als deutscher Delegierter an einer Tagung des Weltfriedensrates (Juni 1953) hatte teilnehmen wollen, war ihm die Verlängerung des Reisepasses versagt worden. Die dagegen erhobene Klage blieb bis zum Bundesverwaltungsgericht erfolglos, ebenso die anschließende Verfassungsbeschwerde. Das Elfes-Urteil des Bundersverfassungsgerichts vom 16.1.1957 (BVerfGE 6, S. 32, http-blank://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006032.html) ist noch heute maßgeblich für Fälle, in denen aus außenpolitischen Gründen die Ausreisefreiheit (Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden soll.
Wilhelm Elfes verstarb am 22.11.1969 in Mönchengladbach. Zwei Tage später informierte das Polizeipräsidium Mönchengladbach unter anderem das Innenministerium hiervon; federführend war das 14. Kommissariat, zuständig für politische Delikte.
Quellen
Teilnachlässe befinden sich im Stadtarchiv Mönchengladbach und im Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland
Literatur
Wilhelm Elfes: Polizeipräsident in Krefeld 1927-1933, in: Die Heimat. Krefelder Jahrbuch 39 (1968), S. 53-64.
Esser, Albert, Wilhelm Elfes 1884–1969. Arbeiterführer und Politiker, Mainz 1990.
Lilla, Joachim, Krefelder Abgeordnete, Krefeld 2000, S. 236-237.
Lilla,Joachim, Der Preußische Staatsrat 1921–1933. Ein biographisches Handbuch. Mit einer Dokumentation der im „Dritten Reich“ berufenen Staatsräte, Düsseldorf 2005, S. 38-39.
Furth, Rainer Wilhelm Elfes. Krefelder Polizeipräsident und Widerständler, in: Die Heimat. Krefelder Jahrbuch 80 (2009), S. 26–28.
Internationales Biographisches Archiv 46/1978 vom 6. November 1978.
Löhr, Wolfgang, Mönchengladbach im 19./20. Jahrhundert, in: Loca Desiderata. Mönchengladbacher Stadtgeschichte, Band 3.1, Köln 2003, S. 9–240, hier: S. 206–213.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945, Düsseldorf 1994, S. 431-432.
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Lilla, Joachim, Wilhelm Elfes, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-elfes/DE-2086/lido/57c6a2bdaf3c55.12811993 (abgerufen am 07.10.2024)