Die Zisterzienserabtei Marienstatt
Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Einleitung
Die Abtei Marienstatt wurde 1212 von Heisterbacher Mönchen in der Nähe von Neunkhausen im Westerwald gegründet. Schon bald musste der Standort verlegt werden. Graf Heinrich III. von Sayn und seine Frau Mechthild statteten sie großzügig mit Besitzungen im Nistertal aus. Dorthin übersiedelten die Mönche und errichteten eine der frühesten gotischen Kirchen rechts des Rheins. Die Grafen von Sayn empfanden sich seitdem als Schutzherren der Abtei, was deren Geschichte über Jahrhunderte prägen sollte. Die teilweise heftigen Auseinandersetzungen, vor allem nachdem die Grafen zum Protestantismus konvertiert waren, zogen sich bis zur Aufhebung Marienstatts 1803 hin. 1888 wurde Marienstatt als erstes Zisterzienserkloster nach den Verboten des „Kirchenkampfs“ von Wettingen-Mehrerau aus wiedergegründet. Die Abtei besteht noch heute und betreibt das einzige humanistische Gymnasium der Region.
2. Die Gründung
Das genaue Gründungsjahr Marienstatts ist umstritten. Wahrscheinlich muss man von Vorbereitungen im Jahr 1212 ausgehen, die dann 1215 in die Tat umgesetzt wurden. Dies ist nicht ungewöhnlich bei mittelalterlichen Klostergründungen, die sich oft über Jahre erstreckten und einen erheblichen organisatorischen und nicht zuletzt auch logistischen Aufwand verursachten. Ebenfalls nicht selten war die Verlegung eines Klosters an einen anderen als den ursprünglichen Gründungsort. Auch die Abtei Heisterbach wurde kurz nach ihrer Errichtung vom Berg ins Tal verlegt und ähnlich geschah auch mit Marienstatt.
Immerhin war der Vorgang für die Beteiligten doch so ungewöhnlich, dass sie ihn ausführlich in Bild und Schrift festhielten. Die sogenannten Marienstatter Tafeln sind daher die wichtigste Quelle für die Gründung der Abtei. Das Leben in der Neugründung, so berichten die Tafeln in sagenhafter Ausschmückung der Begebenheit, sei so beschwerlich und entbehrungsreich gewesen, dass die Mönche die Rückkehr in ihre Mutterabtei geplant hätten. Doch der Abt gab noch nicht auf. Er bat, da er zu allem Überfluss auch noch krank wurde, um drei Tage Bedenkzeit, die alle Mönche in gemeinsamem Gebet verharren und die Barmherzigkeit Gottes erflehen sollten. Der sich anbahnende Konflikt zwischen Abt und Konvent über die Frage der Rückkehr ins Mutterkloster wurde dann tatsächlich durch eine Vision des Abtes gelöst. In ihr versprach die Muttergottes Hilfe und Trost und bezeichnete dem Abt eine Stelle im Tal der Nister, an der ein blühender Weißdornzweig zu finden sei. Dort solle er das neue Kloster errichten. Im tiefsten Winter machten sich Abt und Konvent auf die Suche und fanden tatsächlich an der vorhergesagten Stelle den besagten Weißdornzweig. Somit wurde die Verlegung Marienstatts beschlossen.
So einfach wie es die Gründungslegende uns glauben machen will, war die Verlegung aber nicht. Das ursprünglich von dem Kölner Burggrafen Eberhard von Aremberg und seiner Frau Adelheid von Molsberg gegründete und dotierte Kloster hatte im Nistertal keinen Besitz. Außerdem lag es in der Erzdiözese Trier, der neue Standort hingegen – obwohl nur wenige Kilometer vom alten entfernt – in der Erzdiözese Köln. Es ist daher wahrscheinlicher anzunehmen, Graf Heinrich III. von Sayn und seine Frau Mechthild hätten die Verlegung aus territorialpolitischen Gründen betrieben und zugleich für die Zustimmung des Trierer Erzbischofs zu diesem Schritt geworben. Heinrich von Sayn stiftete zu diesem Zweck am 27.2.1222 seine Besitzungen an der Nister. Der Kölner Erzbischof stimmte der Verlegung noch am selben Tag zu, der Trierer nur wenig später.
Der saynische Graf konnte sich von der Verlegung einige Vorteile für seine Landesherrschaft in diesem Teil des Westerwaldes versprechen. Marienstatt diente ihm im Zusammenspiel mit dem gegen Ende des 12. Jahrhunderts gegründeten Hachenburg, das auf dem besten Wege war, sich zu einer regelrechten Stadt zu entwickeln, der Festigung seiner Herrschaft im Osten seines Herrschaftsgebietes. Zusammen mit dem weltlichen Zentrum Hachenburg sollte Marienstatt auch dem weiteren Ausbau und der Erschließung des Landes dienen. Mit der Niederlegung der Burg Nister, die in unmittelbarer Nähe des neuen Marienstatter Standortes gelegen war, schuf er ein machtpolitisches Vakuum, das er mithilfe des Klosters zu seinen Gunsten gleich wieder schloss.
Zwar starb die Linie der älteren Grafen von Sayn im männlichen Stamm mit Heinrich III. 1247 aus und das Erbe zerstreute sich in den folgenden Jahrzehnten rasch zwischen nachfolgenden Linien, deren Geschichte im Spätmittelalter sehr unübersichtlich wird, aber dennoch gab es immer ein enge Verbindung zwischen den gerade regierenden Grafen von Sayn zu Marienstatt. Nach einem anfänglich guten Verhältnis entstanden ab dem 15. Jahrhundert immer wieder Konflikte, die sich ab dem 16. Jahrhundert zu einem Dauerstreit über die Frage der Stellung Marienstatts zum Grafenhaus entwickeln sollte, und der erst mit dem Aussterben aller Neben- und Seitenlinien beziehungsweise der Aufhebung der Abtei im Jahre 1803 enden sollte.
Doch zunächst übersiedelten die Mönche 1227 an die Nister, nachdem man dort einigermaßen geeignete – wahrscheinlich zunächst noch provisorische – Gebäude errichtet hatte. Um 1246 begann man mit dem Bau einer steinernen Kirche, für deren Errichtung der Graf von Sayn erneut großzügig spendete. Sie wurde in mehreren Bauphasen bis Anfang des 15. Jahrhunderts fertiggestellt, konnte aber bereits seit dem 14. Jahrhundert in voller Länge genutzt werden. Architekturgeschichtlich orientierte sie sich besonders im Bereich des Chors an der Kirche der Mutterklosters Heisterbach. Das einheitliche äußere Erscheinungsbild könnte darauf schließen lassen, dass man sich im Verlauf der etwa 200-jährigen Bauzeit nach den ursprünglichen Plänen gerichtet hat. Nach dem Abschluss der aufwändigen Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten im Jahre 2008 kann eine der bedeutendsten frühgotischen Kirchen östlich des Rheins wieder angemessen bewundert werden.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Standortwahl und Auseinandersetzungen mit den Verwandten der Stifterin Adelheid von Molsberg gedieh die Abtei aber gut. Zahlreiche Große der Region fügten der ursprünglichen Ausstattung weitere Besitzungen durch Schenkung hinzu. Die Abtei betrieb aber auch selbst eine aktive Erwerbspolitik, die durch gezielten Kauf oder Tausch darum bemüht war, den eigenen Besitz zu arrondieren.
3. Die Ausstattung: Äcker, Wiesen, Wälder, Stadthöfe
Wenngleich die Marienstatter Besitzungen in einem geographisch vergleichsweise engumrissenen Umkreis, mit Schwerpunkten um die Abtei selbst, Koblenz und das Mittelrheintal bis Leutesdorf und nördlich der Lahn um Dorchheim (heute Gemeinde Elbtal) im Mittelhessischen lagen, so kann man jedoch keinesfalls von einem arrondierten Besitzkomplex ausgehen. Der Streubesitz machte die Einhaltung der zisterziensischen Idealvorstellung von der vollständigen Eigenwirtschaft bei gleichzeitiger Beachtung der Gebets- und Gottesdienstzeiten unmöglich und so richtete auch Marienstatt Grangien oder Eigenbauhöfe ein. Diese waren zunächst mit einem Mönch oder einem Konversen (einem Laienbruder) als Leiter besetzt. Später wurden sie auch häufig an einen Verwalter verpachtet. Diese Grangien dienten nicht nur als Eigenwirtschaftsbetrieb, sondern oft auch als Zentrum, von dem aus die in der Umgebung liegenden Höfe verwaltet und betreut wurden. Grangien beziehungsweise deren funktionale Äquivalente besaß Marienstatt in Gehlert (südlich Hachenburg), Metternich (heute Stadt Koblenz), Hönningen (heute Bad Hönningen), Altenklosterhof (ursprünglicher Standort der Abtei bei Neunkhausen), Hohensayn (Gemeinde Lautzenbrücken), Idelberg, Arienheller (Gemeinde Rheinbrohl) und Dorchheim. Einige dieser Höfe waren nicht nur mit den für die Landwirtschaft nötigen Gebäuden ausgestattet, sondern boten auch Unterkünfte für eine größere Zahl von Mönchen. Sie wurden als Herberge und Ausweichquartier im Falle der Bedrohung der Abtei genutzt.
Neben Besitzungen in Form von Äckern, Wiesen oder Wäldern, suchte Marienstatt auch gezielt in den Städten der Region Fuß zu fassen. Zu den bedeutendsten Stadthöfen Marienstatts zählten die in Koblenz, Andernach und Köln. Weitere gab es in Sinzig, Limburg und Wetzlar. Sie dienten nicht nur dem Absatz der erzeugten Produkte auf den Marktplätzen der Städte oder der Nutzung der Häfen für den Fernhandel, sondern im Falle von Andernach und besonders von Koblenz als Refugium im Falle von Gefahr. Innerhalb der schützenden Stadtmauern fühlte man sich nicht nur vor den schwedischen Besetzern im Dreißigjährigen Krieg sicher, sondern auch vor dem Grafen von Sayn flüchtete der Konvent mehrfach in die Stadthöfe. Der Kölner Stadthof hatte zusätzlich die Funktion, den Kontakt zum Erzbischöflichen Hof nicht abreißen zu lassen, wichtiger war aber mit Sicherheit die Bedeutung Kölns als Handelsplatz. Bezeichnend ist, dass Marienstatt keinen Stadthof in Trier unterhielt.
4. Schulden, Krisen und Konflikte
Verliefen die ersten beiden Jahrhunderte der Marienstatter Geschichte in einigermaßen ruhigen Bahnen, so traten im 15. Jahrhundert erstmals ernstere Probleme auf. Bereits 1436 gab es Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten. Man saldierte eine Gesamtschuld von etwa 9.000 Mark. Das Kloster begann, Besitzungen zu verkaufen oder zu verpachten. 1490 konstatierte der Graf von Sayn eine erhebliche Schuldenlast des Klosters. Die Krise vertiefte sich im 16. und 17. Jahrhundert. Die steigende Anzahl der Verlehnungen und Verpachtungen von Gütern deutet darauf hin, dass sich Marienstatt in einer Phase des Strukturumbruchs befand: weg von der Eigenwirtschaft, hin zur Rentenwirtschaft. Der Dreißigjährige Krieg tat sein Übriges, um die wirtschaftliche Situation zu verschärfen. Erst danach ging es wieder aufwärts. Bei ihrer Auflösung im Zuge der Säkularisation stand die Abtei wirtschaftlich gesund da.
Die Grafen von Sayn wussten jedenfalls die Situation Marienstatts zu ihren Gunsten auszunutzen, denn zu den schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen der Abtei kamen gravierenden Probleme mit der Klosterdisziplin hinzu. So hatten die ersten beiden bezeugten Visitationen durch die Mutterabtei Heisterbach in den Jahren 1436 und 1452 neben Versäumnissen bei der Bewirtschaftung solcherlei Mängel festgestellt. Da entsprechende Ermahnungen seitens Heisterbachs und des Erzbischofs nicht fruchteten, wurde der Graf von Sayn 1457 mit der Durchführung der Reformen beziehungsweise deren Überwachung beauftragt. Die Chance, sich in die Angelegenheiten Marienstatts einzumischen und die seit jeher beanspruchten Herrschaftsrechte durchzusetzen, ließ sich das Grafenhaus nicht entgehen. Doch auch ihm gelang es nicht, den Konvent zu einer grundlegenden Erneuerung von Klosterdisziplin und Wirtschaftsführung anzuhalten. Nachdem er bereits den Ordensobersten um Unterstützung gebeten hatte, wandte sich der Graf sogar an den Papst und bat ihn, Nikolaus von Kues mit einem Reformauftrag für Marienstatt auszustatten. Da dieser zu beschäftigt war, um die Reformen selbst durchzuführen, beauftragte er seinerseits eine Kommission mit der Durchführung von Maßnahmen. Doch diese spielten den Ball wieder zurück an den Grafen, dem sie nun die Gewalt des weltlichen Arms gegen die ungehorsamen Mitbrüder verliehen.
Die Situation war ziemlich verfahren, zumal nun das zisterziensische Generalkapitel den Konvent aufforderte, gegen die Einmischung des Grafen Widerstand zu leisten. Unter dem neuen Abt Friedrich Scharnekell entspannte sich das Verhältnis zwischen Graf und Konvent wieder etwas, Marienstatt schien die Herrschaftsansprüche des Grafen zu akzeptieren. Doch der Streit ruhte lediglich. 1476 wurden abermals gravierende Disziplinprobleme festgestellt und dem Grafen erneut ein Eingreifen in die Angelegenheiten des Konvents gestattet. Dieses Mal scheinen dauerhaftere Lösungen gefunden worden zu sein, denn es sollte längere Zeit einigermaßen ruhig bleiben, jedoch auf Kosten der Eigenständigkeit Marienstatts, die nun nicht mehr unangetastet war.
Doch Mitte des 16. Jahrhunderts flammten die Konflikte zwischen Grafenhaus und Konvent wieder auf. Wie schon zuvor ging es neben dem ernstgemeinten Bemühen, den disziplinarischen und wirtschaftlichen Zustand des Konvents zu verbessern, auch dieses Mal um die Fragen der Landeshoheit über die Abtei. In der Zwischenzeit hatte die Abtei ihren Kurs gegenüber den Einmischungen der saynischen Grafen insofern geändert, als sie Eingriffe und Einflussnahme zumindest de facto gestattete. So fungierten die Grafen als Vermittler in Rechtsstreitigkeiten mit Dritten oder sie beziehungsweise ihre Vertreter nahmen sogar an Abtswahlen teil. Durch die Reformation änderten sich jedoch die Vorzeichen für Marienstatt. Denn das Grafenhaus war zum Protestantismus konvertiert und hatte 1560/1561 diesen auch in der Grafschaft eingeführt. Nun wurde der Konflikt zwischen Marienstatt und den Grafen von Sayn auch noch durch die konfessionelle Differenz angeheizt. Die Konfessionshoheit des Landesherrn gab den Grafen ganz neue Mittel in die Hand, die Abtei zusätzlich unter Druck zu setzen.
Marienstatt versuchte sich dagegen durch Schutzurkunden beziehungsweise Schutzersuchen des Kaisers und der Erzbischöfe von Köln und Trier zu wappnen, die jedoch ohne unmittelbaren Effekt blieben. Graf Adolph setzte das Kloster immer wieder mit neuen Abgaben und Diensten unter Druck. 1568 ließ er in einem Handstreich sogar das Klosterarchiv nach Hachenburg überführen. Als er aber 1573 versuchte, die Entscheidung über die Vorwürfe gegen die Abtei, den 13-jährigen Michael Bierbaum misshandelt zu haben, an sein Gericht zu ziehen, wehrte sich der Konvent und reichte Klage beim Reichskammergericht ein.
Damit war das Tischtuch zwischen der Abtei und dem saynischen Grafenhaus bis zum Ende des Alten Reiches endgültig zerschnitten. Zwar wurde auf Druck des Kaisers 1582 eine Einigung erzielt, die zugunsten Marienstatts und seiner Eigenständigkeit ausfiel und die Grafen von Sayn in ihre Schranken wies. Doch diese Regelung wurde von den Grafen immer wieder übertreten oder ignoriert, sodass Marienstatt dagegen Klage vor dem Reichskammergericht oder dem Reichshofrat erheben musste. Zwar sicherte dieser Rückgriff auf die höchsten Reichsgerichte auf Dauer die Unabhängigkeit der Abtei, weil sich die Grafen letztlich doch nicht trauten oder in der Lage sahen, offen gegen deren Anordnungen zu verstoßen, er band aber auch für diese Zeit die Kräfte der Abtei. Von der Komplexität der juristischen Auseinandersetzungen zeugen die erhaltenen umfangreichen Streitschriften, die zur öffentlichen Rechtfertigung der eigenen Position verfasst wurden. Der letzte Prozess war seit 1786 vor dem Reichskammergericht anhängig, wurde dort aber nicht mehr entschieden, denn 1806 wurde das Gericht aufgelöst.
5. Marienstatt im Dreißigjährigen Krieg
Die wirtschaftliche Situation Marienstatts hatte sich noch nicht dauerhaft verbessert, als der Dreißigjährige Krieg ausbrach. Marienstatt war praktisch von Anfang an davon betroffen. Zwar hatte sich 1619 eine Schwadron niederländischer Kavallerie auf dem Weg nach Böhmen für kurze Zeit dort einquartiert. Sie zog jedoch ohne viel Aufheben weiter. Die kaiserlichen Truppen hingegen, die 1621 und 1622 den Gegenfeldzug führten und Marienstatt als Quartier nutzten, richteten erheblichen Schaden an und zwangen den Konvent zur Flucht. Die Verwüstung der Besitzungen und Behinderung der Bauern bei den Feldarbeiten durch die Kriegsparteien trugen nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Abtei in dieser Zeit bei. 1625 wurde Marienstatt ein weiteres Mal überfallen und geplündert. Die Lage spitzte sich aber erst mit der Besetzung durch den schwedischen Bevollmächtigten Goswin Grimme richtig zu. Der Konvent hatte sich nach Koblenz und Andernach zurückgezogen und musste hilflos mitansehen, wie Grimme das kurkölnische Wappen gegen das schwedische austauschen ließ. Der Spuk dauerte jedoch nicht langen, denn nach dem Zusammenbruch der schwedischen Position am Mittelrhein mit der Schlacht von Nördlingen 1634 konnte sich Grimme nicht mehr lang halten.
6. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Säkularisation
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges brauchte Marienstatt einige Jahrzehnte, bis es sich von den Folgen erholt hatte, befand sich aber schon Ende des 17. Jahrhunderts wieder in einer so guten Verfassung, dass man größere Instandsetzungs- und Umbauarbeiten an den Konventsgebäuden durchführen konnte. Zwischen 1734 und 1751 wurden die Konvents- und Wirtschaftsgebäude vollständig niedergelegt und im barocken Stil neu errichtet. Den Abschluss bildete 1754 das Pfortenhaus. Damit erhielt Marienstatt die äußere Gestalt, die es – abgesehen von den Schulan- und Umbauten – heute noch hat. Vom mittelalterlichen Erscheinungsbild ist lediglich die Abteikirche erhalten geblieben.
Sieht man einmal von den verschiedenen Prozessen vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat ab, die Marienstatt nicht nur mit den Grafen von Sayn, sondern auch mit den umliegenden Gemeinden führte, verlief das 18. Jahrhundert ruhig und war von einer deutlichen wirtschaftlichen Erholung gekennzeichnet. Erst die Französische Revolution sollte wieder für Aufregung sorgen. Der Beschuss Limburgs durch französische Revolutionstruppen im November 1792 veranlasste den Abt, das Kloster räumen zu lassen und den Konvent nach Arienheller zu evakuieren. Ein österreichisch-kaiserliches Husarenregiment nahm die Abtei auch prompt in Beschlag, sodass man erst im Februar 1793 zurückkehren konnte. In den folgenden Jahren wechselten sich kaiserliche und französische Truppen in der Belegung der Abtei ab, die dadurch und durch gezielte Plünderungen im Oktober 1795 großen Schaden nahm.
Der Konvent hatte keine Zeit mehr, die Schäden zu beheben, denn am 19.10.1802 ergriff der Fürst von Nassau-Weilburg von Marienstatt Besitz und löste auf der Grundlage der Vereinbarungen des Reichs mit Frankreich die Abtei am 3.1.1803 auf. Am 13.4.1803 wurde in Marienstatt der letzte Gottesdienst gehalten.
7. Die Wiedergründung
In den über 80 Jahren, die bis zur Wiedergründung Marienstatts als Abtei vergehen sollten, wurden die Klostergebäude in vielfältiger Weise genutzt. Nachdem sich die neuen Landesherren zunächst um die Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben auf dem Abteigelände bemüht hatten, was von wenig Erfolg gekrönt war, standen die Gebäude längere Zeit leer, bevor das zum Herzogtum aufgestiegene Nassau die Abtei zurückkaufte, um dort ein Alten- und Armenheim einzurichten. In der Zwischenzeit war Marienstatt dem 1827 gegründeten Bistum Limburg zugeschlagen und 1831 die Pfarrei Marienstatt gegründet worden.
Das geplante Heim wurde nie verwirklicht, die Abtei stattdessen 1864 erneut verkauft, und zwar an das neue Limburger Bistum, das dort nach einigen Schwierigkeiten eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder einrichtete. Diese wurde von den Vätern der Kongregation vom Heiligen Geist (Spiritaner) geleitet. Der Wechsel Nassaus unter preußische Herrschaft im Jahre 1868 und die Gesetzgebung des sogenannten Kulturkampfs, die insbesondere gegen katholische Orden gerichtet war, veranlassten die Spiritaner jedoch schon 1873, die Abtei wieder zu verlassen. Erst die schrittweise Zurücknahme der Maßnahmen des Kulturkampfs eröffnete die Gelegenheit, in Marienstatt wieder Zisterzienser anzusiedeln.
1887 entstand bei einem Kuraufenthalt in Bad Wörishofen bei Abt Maurus von Wettingen-Mehrerau (Abbatiat 1878-1893) der Plan, in Deutschland wieder eine Zisterzienserabtei einzurichten. Aus Koblenz stammend, konnte er sich schnell für den Standort Marienstatt begeistern und traf auch beim nunmehr zuständigen Limburger Bischof auf großes Interesse. Ganz so schnell, wie sich Abt Maurus die Wiederbesiedlung gewünscht hatte, ging diese doch nicht vonstatten, denn zuvor waren noch finanzielle und administrative Probleme zu klären. Besonders schwierig entwickelte sich die Frage der Staatsangehörigkeit der Mitglieder des Gründungskonvents, denn immerhin lag Wettingen-Mehrerau in Österreich und hatte zahlreiche schweizerische Mönche. Nachdem diese Probleme gelöst waren, konnten zwölf Mönche unter Leitung des Priors Dominikus Willi (1844-1913) am 20.8.1888 wieder in die Abtei einziehen.
Nach zunächst bescheidenen Anfängen entwickelte sich Marienstatt aber in der Folge sehr gut. Willi, bereits 1889 zum Abt erhoben, 1898 dann zum Bischof von Limburg, hatte eine stabile Grundlage für die weitere Entwicklung gelegt. Schon unter seinem Abbatiat gab es zahlreiche Pläne zur Erweiterung der Kongregation, des Klosterverbandes, der heute als Mehrerauer Kongregation bezeichnet wird. Kaum einer ließ sich jedoch verwirklichen. Willi spielte auch eine Rolle bei den Auseinandersetzungen zwischen den beiden Observanzen des Zisterzienserordens, die schließlich zur Abspaltung der Trappisten im Jahre 1892 führen sollten.
Bereits im neuen Jahrhundert stand Marienstatt wieder auf so sicheren Füßen, dass man die Abtei baulich erweitern konnte. 1908 wurde der Bibliotheksflügel errichtet, 1911 nahm die Oblatenschule ihren Betrieb auf. Aus ihr ging nach vielen weiteren Um- und Anbauten sowie organisatorischen Veränderungen das heutige Gymnasium hervor. Unter Dominikus Willis Nachfolger Konrad Kolb (1852-1918) wurde die Frage der Korporationsrechte immer dingender, denn deren Fehlen machte es Marienstatt unmöglich, selbständig Grundbesitz zu erwerben oder zu veräußern und andere Rechtsgeschäfte zu tätigen. Stets war man abhängig von der Mutterabtei Wettingen-Mehrerau, die beispielsweise als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen war. Streit war dadurch vorprogrammiert, der noch dadurch befeuert wurde, dass Abt Konrad ohnehin mit wachsendem Selbstbewusstsein mehr Unabhängigkeit von der Mutterabtei forderte. Die rechtlichen Fragen wurden 1939 dadurch gelöst, dass man die Vermögensverwaltungsgesellschaft Abtei Marienstatt mbH (VVG) gründete, der 1949 endlich die Grundstücke übertragen wurden. Die VVG verwaltet bis heute die Betriebe und das bewegliche Vermögen der Abtei. Sie ist die Holding für alle anderen klösterlichen Betriebe.
8. Marienstatt in zwei Weltkriegen
Der Erste Weltkrieg berührte die Abtei lediglich indirekt, indem Rohstoffe und Lebensmittel knapp wurden. Auch die Mönche litten Hunger und sahen sich – wie später im Zweiten Weltkrieg – gezwungen, zur Aufrechterhaltung der Landwirtschaft auf kriegsgefangene Zwangsarbeiter zurückzugreifen. Wieder wurde die Abtei zum Lazarett umfunktioniert. Nachdem man auch dies und die revolutionären Nachkriegswirren unbeschadet überstanden hatte, gelang es 1927, die Abtei Hardehausen (Stadt Warburg) zu erwerben und mit einem Marienstatter Gründungskonvent wiederzubesiedeln. Damit hatte Marienstatt sein erstes vollgültiges Tochterkloster. Da Hardehausen aber von Anfang an mit Schulden belastet war, sahen die Nationalsozialisten einen guten Ansatz, die Entwicklung der Abtei zu behindern, was schließlich 1938 zu deren erneuter Aufhebung führte.
Auch Marienstatt selbst hatte unter den Nationalsozialisten zu leiden, die nichts unversucht ließen, um die Abtei zu behindern und die Mönche zur Aufgabe zu bewegen. Marienstatt musste Devisen- und Sittlichkeitsprozesse über sich ergehen lassen, die Schule wurde 1939 geschlossen und die Gestapo stand des Öfteren vor der Tür. Der Konvent verfolgte – bewusst oder unbewusst – eine Strategie der geschmeidigen Anpassung an die Vorgaben des Regimes, ohne die eigenen Überzeugungen aufzugeben. Der Rückhalt in der katholischen Bevölkerung erleichterte es der Abtei, den Nationalsozialisten gelegentlich auch entgegenzutreten.
Anders als im Ersten Weltkrieg blieb Marienstatt diesmal nicht von direkten Auswirkungen des Kriegs verschont. Man beherbergte Ausgebombte aus einem Altersheim, war Hilfs- und Ausweichkrankenhaus sowie Ausweichdepot für die Stadtbibliotheken Trier und Düsseldorf sowie das Rheinische Landesmuseum Bonn. Von Bomben- und Tieffliegerangriffen blieb man weitgehend verschont. Der größte Schaden wurde durch eine abgestürzte V2-Rakete verursacht, die lediglich 600 Meter von der Abtei entfernt beim Stall niederging und die Scheiben zu Bruch gehen ließ.
9. Marienstatt seit 1945
Unmittelbar nach Kriegsende konnte die Schule ihren Betrieb wieder aufnehmen. Bereits am 18.10.1945 erhielt man die Genehmigung zur Wiedereröffnung. Sie wurde in den 1950er und 1960er Jahren für die Abtei zur wichtigsten Aufgabe, besonders nachdem 1971 die Landwirtschaft nach annähernd 800 Jahren aufgegeben worden war. Die Schule, die bis 1982 noch ein angegliedertes Internat hatte, hat heute etwa 900 Schüler. Aus einer reinen Oblatenschule für katholische Jungen entwickelte sich ein vollgültiges Gymnasium für Jungen und Mädchen aller Konfessionen.
Zu den großen Kraftanstrengungen der letzten Jahre gehörte die Renovierung und Restaurierung der Abteikirche. Sie erstreckte sich über mehr als 20 Jahre und wurde erst 2008 vollendet. In Rheinland-Pfalz gilt die Renovierung auch wegen der Methodik der Instandsetzung und der Verwendung nachgestellter historischer Materialien als Jahrhundertprojekt.
Quellen
Sublimis Advocatia ecclesiastica ordninaria Illustrissimo Comiti Saynensi in Coenobium Marienstadt vigore Fundationis ac Superioritatis territorialis vindicata. Das ist Gruendlicher Beweis, Daß das Closter zu Marienstadt, Cistertienser Ordens, von seinem ersten Ursprung her denen Herren Grafen zu Sayn, als seinen alleinigen wahren Fundatoren, und hohen Erb-Schutz- und Landesherrn unterworfen, auch immerfort in & de Territorio dererselben gewesen seye, mithin neuerlich deren Landeshoheit sich zu entziehen zur aeußersten Ungebuehr und zum sichersten Merckmal seines schaendlichsten Undanckes gegen seine beständige Gutthaeter sich anmaße: Wobei zugleich der handgreifliche Ungrund und Grundlosigkeit der Cloesterlichen Beschwerden ueber angeblich erleidende Hochgraeflich Saynische harte Bedruckungen unumstoeßlich dargethan wird. Der juengst bey Kayserlichem Reichshofrath ad praetensam causam Rescripti super diversis gravaminibus uebergebenen Marienstaedter so rubricirten kurzen Beschreibung, vom Ursprung, Plantation und Transplantation des Closters Marienstadt, zur erforderlichen Belehrung derer hoechsten Reichs-Gerichten und des ganzen Publici, entgegen gesetzt. In Sachen des Herrn Grafen Hermans zu Sayn, modo der Burggraeflich Sayn-Hachenburgischen hohen Vormundschaft, contra das Closter Marienstadt, Wetzlar 1765.
Struck, Wolf Heino, Das Cisterzienserkloster Marienstatt im Mittelalter. Urkundenregesten, Güterverzeichnis und Nekrolog, Wiesbaden 1965.
Literatur
Hillen, Christian, „Sehet hier ist die Stätte...“ Geschichte der Abtei Marienstatt, Köln [u.a.] 2012.
Hillen, Christian, Das Erzbistum Köln 7: Die Zisterzienserabtei Marienstatt (Germania Sacra. Dritte Folge 14), Berlin, Boston 2017.
Wellstein, Gilbert, Die Cisterzienserabtei Marienstatt im Westerwald, Limburg a. d. Lahn 1955.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hillen, Christian, Die Zisterzienserabtei Marienstatt, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-zisterzienserabtei-marienstatt/DE-2086/lido/5df297991633f3.51637963 (abgerufen am 05.12.2024)