Siegburger Reform
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1. Die cluniazensischen Klosterreformen in Deutschland
Das richtige Verhältnis zwischen Welt und Spiritualität war schon immer ein Thema für das christliche Mönchtum. Weltlicher Schutz und ausreichende wirtschaftliche Fundierung waren erwünscht, nicht hingegen säkulare Einflussnahme auf das Leben hinter den Klostermauern. Eine zunehmende Verweltlichung beziehungsweise laikale Einmischung in Klosterangelegenheiten und ein Nachlassen der monastischen Disziplin ließen daher Anfang des 10. Jahrhunderts im westlichen Europa den Ruf nach Reformen immer lauter werden.
Herzog Wilhelm III. von Aquitanien (um 900-963) verzichtete im Jahre 910 bei der Gründung eines Klosters im burgundischen Cluny auf seine eigenkirchlichen Rechte, sicherte ihm die freie Abtswahl zu und unterstellte es dem päpstlichen Schutz. Damit sollte es der Einmischung der Welt in die monastische Sphäre weitgehend enthoben sein. Das kontemplative Leben und die liturgischen Handlungen sollten ins Zentrum der mönchischen Tätigkeiten rücken. Die in der Benediktregel geforderte Handarbeit trat dahinter zurück. In dem sich entwickelnden Klosterverband breitete sich diese klösterliche Verfassung rasch weit über Burgund hinaus bis nach Spanien, England, Italien, Deutschland und schließlich sogar Polen aus.
Cluny blieb aber nicht das einzige Reformzentrum im Osten Frankreichs. Ebenfalls in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts entwickelten sich Gorze (bei Metz) und St. Benigne (Dijon) zu Zentren von monastischen Reformen, die ebenfalls nach Deutschland hin ausstrahlten. Besonders Gorze war in Deutschland erfolgreich darin, Klöster für seine Reformrichtung zu gewinnen.
Allen gemeinsam war der Wille zu einer inneren und äußeren Erneuerung des westlichen Mönchtums. In Detail unterschieden sie sich aber durch ihre spezielle Auslegung der Benediktregel, in den sogenannten Consuetudines, die das tägliche Leben der Mönche regelten, sowie in ihrer Verfasstheit.
Die cluniazensiche Klosterreform breitete sich ab dem 11. Jahrhundert auch nach Deutschland aus. Vier Klöster bilden die Basis für die jeweils mit ihnen in Zusammenhang stehenden Reformgruppen: Anchin (Commune Pecquencourt, Nord-Pas-de-Calais), St. Blasien (Stadt St. Blasien), Hirsau (heute Große Kreisstadt Calw) und Siegburg. Sie führten die cluniazensischen Reformvorstellung in den ihnen jeweils eigenen Ausprägung weiter. Dies geschah teilweise in deutlicher Abgrenzung zu den Gorzer Reformkreisen. Klöster, die sich vor ihrer Übernahme durch Siegburger Mönche an Gorze orientiert hatten, wurden konsequent von diesen Einflüssen befreit, da man der Gorzer Ausrichtung eine zu große disziplinarische Laxheit vorwarf.
Der Kölner Erzbischof Anno II. wollte Siegburg zu einem Reformzentrum im Rheinland machen. Dabei spielten nicht nur religiöse Motive eine Rolle. Sicher ist es ihm ein persönliches Bedürfnis gewesen, seine Reformgesinnung und damit seine Frömmigkeit zu demonstrieren. Man muss ihm darüber hinaus jedoch auch territorialpolitische Motive unterstellen, die sich unter anderem in der mit Siegburger Hilfe praktizierten bischöflichen Klosterpolitik äußerten.
2. Die Gründung Siegburgs
Das erste cluniazensische Reformkloster in Deutschland war Siegburg. Die Abtei wurde von Erzbischof Anno II. vermutlich 1064 auf einem alleinstehenden Berg errichtet, den er von dem ezzonischen Pfalzgrafen Heinrich (Regierungszeit 1045-1060, gestorben 1061) als Sühneleistung erhalten hatte und auf dem ursprünglich dessen Burg gewesen war. Anno ersetzte diese Burg durch ein Kloster und besetzte es mit Mönchen aus St. Maximin in Trier. Er gab dem Berg außerdem den Namen Michaelsberg.
Die Trierer Mönche blieben nicht lange dort, denn bereits 1070 wurden sie durch eine zwölfköpfige Gründungsmannschaft aus dem italienischen Reformkloster Fruttuaria ersetzt und wieder in Ehren nach Hause geschickt, wie Lampert von Hersfeld in seinen Annalen überliefert. Lediglich der aus Gorze stammende Abt Erpho (gestorben 1076) habe in Siegburg bleiben können. Unter seiner Leitung begannen die fruttuarischen Mönche mit ihrem Reformwerk.
Dies war ein programmatischer Schritt Annos, denn durch den Austausch der Mönche wandte er sich gegen die Gorzer Reformrichtung, der St. Maximin verpflichtet war und sprach sich für die cluniazensiche Variante aus. Er hatte Fruttuaria auf seiner dritten Italienreise besucht und kennengelernt. Diese Art der Reform gefiel ihm offensichtlich so gut, dass er neben Siegburg auch noch St. Pantaleon in Köln mit Mönchen von dort besetzten ließ.
3. Das Siegburger Reformprogramm
Die Gewohnheiten Siegburgs, die auf denen der italienischen Abtei Fruttuaria beruhten, sind in einer Handschrift festgehalten, von der nicht klar ist, ob sie von dem Prior von St. Pantaleon, Sigibert (genannt zwischen 1107-1141), oder einem Mönch aus Siegburg verfasst wurde. In jedem Fall nahm der Siegburger Abt Kuno (Abbatiat 1105-1125) diese Kompilation nach St. Emmeram mit, als er Bischof von Regensburg (Episkopat 1126-1132) wurde. Als Problem für die Forschung stellt sich die Tatsache heraus, dass keine weitere programmatische Zusammenfassung des Siegburger Reformprogramms überliefert ist. Sowohl über die Consuetudines hinausgehender Inhalt als auch Ausbreitung der Reform sind daher mühsam aus einer Vielzahl von Quellen zu rekonstruieren.
Im Zentrum der Siegburger Reform stand die Ablehnung jeglichen laikalen Eigenkirchenrechts. Schutz gegen die Einflussnahme weltlicher Großer suchten die Siegburger Reformklöster beim zuständigen Diözesanbischof, dem sie ihr Kloster übertrugen. Das traf sich passenderweise mit der älteren Kölner Klosterpolitik, die ohnehin darauf abzielte, die Klöster im Kölnischen Einflussbereich zu bischöflichen Eigenklöstern zu machen. Weiteren Schutz gegen Bedrängung durch den Laienadel verschaffte die Kontrolle des Vogts (eines Laien) durch den Bischof, was durch die Ausgabe der Klostervogtei als bischöfliches Lehen erreicht werden sollte. Dazu sollten Abt und Konvent aber ihre Zustimmung geben. Auch sollte die Vogtei nicht erblich sein, was sich aber nicht immer durchsetzen ließ. So konnten sich beispielsweise in Siegburg die Grafen von Berg als Erbvögte durchsetzen, auch wenn sie dem Kloster immer wieder zusicherten, die Vogtei nicht nach Erbrecht erhalten zu haben. Schließlich versuchte Siegburg auch die Einsetzung von Untervögten zu verhindern und außerdem durfte nur ein Vogtplacitum im Jahr abgehalten werden.
Da für Siegburg auch die Ministerialität einen zu weitgehenden weltlichen Einfluss bedeutete, lehnte man diese folgerichtig ab. Statt einer solchen weltlichen Dienstmannschaft sollte die klösterliche familia deren Aufgaben übernehmen. Siegburg tat aber nichts dagegen, dass sich aus eben dieser familia Ministerialen entwickelten, woraus zu schließen ist, dass nur die kriegerische Dienstmannschaft abgelehnt wurde, nicht hingegen eine solche, die sich nach wie vor bewusst war, Diener ihres Klosters zu sein.
Durch die Befreiung von verschiedenen Dienstverpflichtungen am bischöflichen Hof wurden den Klöstern der Siegburger Observanz weitere Freiheiten gewährt, die ein klösterliches Leben getreu der Benediktregel und abseits der Welt gewährleisten sollten. Der Abt müsse sich auf diese Weise nicht mehr so oft und so lange zur Erfüllung seiner Hofdienste vom Konvent entfernen, sodass eine bessere Disziplin dort gewährleistet werden könne. Die Anordnung, der Bischof dürfe sich nur mit Erlaubnis des Abts im Kloster aufhalten, findet sich nur für Siegburg. Für die anderen Klöster der Siegburger Gruppe ist diese Regelung nicht bekannt.
Die Abkehr von weltlichen Belangen ging in Siegburg aber nicht so weit, dass man – wie in cluniazensischen Kreisen üblich – auch die Seelsorge für Laien ablehnte. So war beispielsweise das Kloster Saalfeld ausdrücklich mit Seelsorgerechten ausgestattet und die erfolgreiche Mission der Sorben ist Saalfelder Mönchen zuzuschreiben. Auch das Kloster Mondsee praktizierte Seelsorge in den benachbarten Gemeinden. Und schließlich bemühte sich Siegburg selbst, die Seelsorge an Eigenkirchen, welche Pfarrechte innehatten, zu erlangen, so zum Beispiel für die Propsteien Zülpich, Remagen und Oberpleis (heute Stadt Königswinter).
Besonders wichtig war die freie Wahl des Abts, die durch den Konvent zu erfolgen hatte. Darin weicht der Siegburger Ordo deutlich von seinem Vorbild Fruttuaria ab, denn dort wurde der Abt durch seinen Vorgänger designiert und, nachdem der Konvent zugestimmt hatte, von einem beliebigen Bischof geweiht und in ihr Amt eingeführt. Fruttuaria wollte nur dem Papst unterstellt sein. Siegburg hingegen profitierte von der „Libertas Coloniensis“. Sie erlaubte in allen Kölner Eigenklöstern die freie Abtswahl, die jedoch dann durch Zustimmung, Einsetzung und Weihe des Gewählten durch den Erzbischof insofern wieder eingeschränkt wurde, als ihm diese erhebliche Möglichkeiten zur Einflussnahme bot. Daher war Siegburg schon 1066 von Papst Alexander II. (Pontifikat 1061-1073) die „freie Abtswahl“ gewährt worden, also bereits bevor es zu einem Reformkloster geworden war. Allen der Siegburger Reform angeschlossenen Klöstern wurden bei ihrer Gründung oder Übernahme durch die Siegburger Mönche im Folgenden ebenfalls die „freie Abtswahl“ zugestanden. Faktisch jedoch wurde der Abt durch den Bischof ernannt.
Zur „Libertas Coloniensis“ gehörte auch die Auswahl des Vogtes durch den Erzbischof. Was zunächst wie eine Einschränkung der „Libertas“, also der Freiheit klingt, wirkte sich tatsächlich als Befreiung von allzu weitgehender weltlicher Mitherrschaft in klösterlichen Angelegenheiten aus. Denn letztlich unterstand der weltliche Vogt dadurch der Kontrolle des Erzbischofs.
Bedenkt man nun, dass die Klöster des Siegburger Ordo in Vermögensdingen vergleichsweise wenig Freiheit besaßen und der Kontrolle durch den Erzbischof unterstanden, so wird immer deutlicher erkennbar, dass es sich bei der Siegburger um eine bischöfliche Klosterreform handelte. So verwundert es auch nicht, dass nicht um das bei anderen cluniazensischen Reformrichtungen so bedeutsame päpstliche Privileg von den Siegburger Klöstern dringend nachgesucht wurde. Viel wichtiger war der Schutz durch den zuständigen Ortsbischof. Päpstlichen Privilegien kam eine ergänzende Funktion zu.
Anno II. gelang es somit, die bereits seit langem praktizierte Klosterpolitik der Kölner Erzbischöfe, die im Bemühen bestand, dem Erzbischof die in der Kölner Diözese gegründeten nicht-bischöflichen Klöster und Stifte zu übertragen, mit der cluniazensischen Reformbewegung zu verknüpfen. Er verband eine neue monastische Strenge der Regelauslegung und die Opposition gegen weltliche Einflussnahme mit den Bedürfnissen der Kölner Metropoliten, Klöster für die herrschaftliche Erschließung des Territoriums zu benutzen. So wurde die Siegburger Reform zu einer „bischöflichen Klosterreform“, was deren rasche Ausbreitung beförderte, denn die Klöster in der Kölner Diözese waren somit für die Reform bereits vorbereitet.
4. Ausbreitung der Reform
Der Siegburger Konvent wuchs rasch. Bereits 1076 sind 40 Mönche belegt, um 1100 waren es schon 70 bis 80. Wiederum 20 Jahre später erreichte den Konvent mit 120 Mönchen seine Höchstzahl. Ebenso rasch breitete sich die Siegburger Observanz im Rheinland und zum Teil weit darüber hinaus aus, und zwar zunächst durch Gründung und Reformierung anderer Klöster mit Hilfe von Mönchen aus den der Observanz bereits angehörenden Klöstern aus. Um die Reformen zu vertiefen und die reformierten Klöster auch weiterhin näher an Siegburg zu binden, entsandte man bei sich bietender Gelegenheit zwei Äbte nacheinander in die neue Gemeinschaft.
In einer zweiten Phase begann die Abtei unter dem Abbatiat Kunos mit einer regelrechten Verbandsbildung, indem sie selbst von ihr abhängige Zellen einrichtete, die mit den eigenen Mönchen besetzt wurden. Der Konvent einer Zelle war Teil des Mutterkonvents und diesem untergeordnet. Sie hießen im Siegburger Sprachgebrauch Propsteien und übernahmen im Gegensatz zu den cluniazensischen Zellen auch seelsorgerische Aufgaben. Außerdem dienten sie neben der Verbreitung des Siegburger Reformprogramms der wirtschaftlichen Absicherung der Mutterabtei. Noch vor 1100 wurde die Propstei Hirzenach (heute Stadt Boppard) gegründet. Um 1110 folgten Remagen und Oberpleis, 1117 Fürstenberg (bei Xanten), 1120 Zülpich und Stockum (Stadt Geseke) sowie kurz darauf Millen (heute Gemeinde Selfkant). In diese Zeit dürfte auch die Einrichtung von Krucht (knapp außerhalb von Siegburg) und Güls (heute Stadt Koblenz) fallen. Etwas später, um 1140, wurde die Propstei Thidrode (unbekannt, Dierath bei Burscheid?) eingerichtet und schließlich 1256 Overath. Weitere Propsteien wurden von den von Siegburg reformierten Klöstern aufgebaut. Folgte die Gründung von Zellen zunächst keinem Plan, so änderte sich dies spätestens mit der Einrichtung Zülpichs, das auch der besseren Raumerfassung des linkrheinischen Teils des Erzbistums dienen sollte.
Die Abtei Siegburg selbst trug aber weniger zur Ausbreitung der Reform bei als Erzbischof Anno. Seine direkten Nachfolger Hildolf und Sigewin von Are überließen die Abtei hingegen wieder sich selbst. Trotzdem entwickelte die Siegburger Gewohnheit eine Anziehungskraft auf andere Klöster, sodass sich die Reformideen auch ohne bischöfliche Förderung weiter ausbreiteten. Erst seit Erzbischof Hermann III. setzten sich die Erzbischöfe wieder aktiv für die Verpflanzung der Siegburger Gewohnheiten in andere Klöster ein.
4.1 Köln
Schon kurz nach 1070 führte Erzbischof Anno II. in St. Pantaleon mit einigem Nachdruck die Reform Siegburger Prägung ein. Nach einigen Auseinandersetzungen innerhalb des Konvents konnte sich der Siegburger Ordo durchsetzen und machte erst 1458 der Bursfelder Reform Platz. Kurz nach St. Pantaleon wurde auch (Groß-) St. Martin zur Reform der siegburgischen Prägung geführt, und zwar durch Äbte aus St. Pantaleon und Brauweiler (heute Stadt Pulheim). Zu 1106 ist die Unterstellung des Kanonissenstifts St. Ursula unter den Abt von St. Pantaleon belegt. Ob sich dadurch die Gewohnheiten in St. Ursula änderten, darf bezweifelt werden. Um 1144 erhielt der Abt von St. Pantaleon außerdem die Aufsicht über einen Konvent Nonnenwerther Schwestern, die der Erzbischof in St. Mauritius angesiedelt hatte. Die Aufsicht übte er wohl während des ganzen 12. Jahrhunderts aus. Die Einführung des Siegburger Ordos in St. Maria im Kapitol lässt sich nur aufgrund dürftiger Hinweise vermuten.
Das letzte Kölner Kloster, das nach Siegburger Art reformiert wurde, war Deutz. Erst nach 1110 konnte der neue Ordo dort Fuß fassen. Damit folgten alle kölnischen Bischofsklöster der Siegburger Observanz. Der bekannteste Abt von Deutz und Vertreter der Siegburger Reform ist der Theologe Rupert von Deutz. Bevor er Abt wurde, hatte er einige Jahre dem Siegburger Konvent angehört und war dort geprägt worden. Nach seiner Amtszeit werden die Nachrichten über Deutz immer weniger, sodass bis zur Einführung der Bursfelder Reform 1491 kaum noch etwas über die innere Entwicklung des Deutzer Konvents zu erfahren ist.
Ab etwa 1100 lebten auch die Mönche in Brauweiler nach den Siegburger Bräuchen, die wahrscheinlich Wezelo, ein Professe von St. Pantaleon, der 1095 in Brauweiler Abt wurde (Abatiat bis 1110), dort eingeführt hatte. Brauweiler hat im 12. und 13. Jahrhundert als einer der deutlichsten Vertreter des siegburgischen Reformmönchtums zu gelten und dort erst 1469 durch die Bursfelder Reform verdrängt wurde.
4.2 Rheinland
1136 gründete Abt Gerhard von St. Pantaleon (Abbatiat 1123-1147) mit 15 der dieser Abtei angeschlossenen Nonnen ein Kloster in Königsdorf (heute Stadt Frechen), das der Kölner Abtei bis zum Übertritt zur Bursfelder Reform 1473 untergeordnet blieb.
Zwar gibt es einige Hinweise auf Verbindungen zwischen einem Frauenkonvent in Schwarzrheindorf (heute Stadt Bonn) und Siegburg. Darauf kann man jedoch nicht auf eine direkte und nachhaltige Beeinflussung durch die Siegburger Gewohnheiten schließen. Ebenso dürftig sind die Belege für Beziehungen des Klosters Dietkirchen (heute Stiftskirche in der Bonner Nordstadt) sowie des Frauenkonvents in Villich (heute Stadt Bonn) zur Siegburger Reform.
Das Frauenkloster Nonnenwerth (Stadt Remagen) hingegen war ein Kölnisches Eigenkloster Erzbischof Friedrichs I., das auf Initiative „frommer Laien“ – wie es in der erzbischöflichen Urkunde heißt – vor 1126 gegründet wurde und von Anfang an der Siegburger Observanz angehörte. Besiedelt wurde es wahrscheinlich mit Nonnen aus Rolandswerth und Siegburg. Die Siegburger Nonnen waren dem dortigen Männerkonvent angeschlossen und wurden wahrscheinlich 1112 auf die Rheininsel versetzt. Damit gehörte nun auch ein Frauenkloster der Siegburger Observanz an, womit sich Siegburg aber überfordert zeigte. Und so entglitt die Abtei auch schon bald seiner Kontrolle. Es gelang nicht dauerhaft, den Nonnenwerther Konvent als Priorat – Nonnenwerth sollte keine eigene Äbtissin haben, sondern nur eine Priorin – an Siegburg zu binden. Bereits 1134 wurde ihm die Wahl einer Äbtissin ebenso wie die freie Vogtwahl gewährt. Mit der Annahme der Bursfelder Reform 1466/1467 ging die Aufsicht über Nonnenwerth von Siegburg an St. Martin in Köln über.
Die bei Aachen gelegene Reichsabtei Burtscheid war von den Gorzer Consuetudines geprägt. Um 1090 bemühte sich ein Mönch der Abtei, selbst Verbindungen nach Siegburg herzustellen, stieß aber zunächst auf den Widerstand des Konvents. Erst unter Abt Folkard (genannt 1133 ), einem Siegburger Professmönch, konnte sich die Reform in den 1130er Jahren durchsetzen.
In den 1090er Jahren erreichte die Siegburger Reformwelle das Kloster Gladbach (heute Stadt Mönchengladbach), das sich um diese Zeit dem Siegburger Ordo anschloss. Dieser hielt sich bis zur dortigen Durchsetzung der Bursfelder Reform im Jahre 1510. Dem Gladbacher Männerkonvent scheint ein kleinerer Frauenkonvent angeschlossen gewesen zu sein, der um 1135 in das nahegelegene Neuwerk (heute Stadt Mönchengladbach) verlegt wurde. Er blieb unter der Aufsicht Gladbachs, bis es sich 1446/1467 der Bursfelder Reform anschloss und dem Abt von Brauweiler unterstellt wurde.
Möglicherweise unterstand das in Neuss gelegene Benediktinerinnenkloster St. Quirin im 12. Jahrhundert dem Gladbacher Abt, was die Einführung der Siegburger Reformgewohnheiten nahelegen würde. Ein eindeutiger Nachweis kann jedoch nicht geführt werden. Für die Zugehörigkeit des Nonnenklosters Hagenbusch bei Xanten zur Siegburger Reform gibt es einige Hinweise, die aber ebenso wenig eindeutig sind.
4.3 Im Nordwesten des Reichs
Noch vor 1118 wurde in dem Utrechter Kloster St. Paul die Siegburger Observanz durch den Siegburger Professmönch Gerwik, der nun Abt von St. Paul geworden war (Abbatiat vor 1118, eingeführt. Diese Reform scheint sich dort rasch durchgesetzt zu haben und so erfolgreich gewesen zu sein, dass man bei der Neugründung des Klosters Weerselo assistieren konnte. Ob sich die Siegburger Gewohnheiten nach dem 12. Jahrhundert noch hielten, ist nicht bekannt. Spätestens mit dem Anschluss St. Pauls an die Bursfelder Kongregation 1469 dürften sie aufgehoben worden sein.
Weerselo wurde um 1140 mit Hilfe von Mönchen aus dem Utrechter Kloster St. Paul als Doppelkloster gegründet. Um 1150 erbat man ebenfalls aus St. Paul einen Abt, als der Prior Hildebrand vorgesehen wurde. Nachdem er sich zunächst geweigert hatte Weerselo zu übernehmen, trat er jedoch 1152 sein Abbatiat in Weerselo und in Personalunion in Wietmarschen an (Abbatiat 1152-1168/1169).
Als 1259 die Benediktiner Wietmarschen verließen, wurde in Weerselo und Wietmarschen, das im Übrigen auch ein Doppelkloster war, also aus einem Frauen- und einem Männerkonvent bestand, die Personalunion der Klosterleitung aufgehoben. Die zurückbleibenden Nonnen dürften die Siegburger Gewohnheiten bald aufgegeben haben.
Ebenfalls aus St. Paul stammte der Gründer und erste Abt des Klosters Holwierde (auch Oudeklooster), Hadebrand (Abbatiat 1183-1198). Die weitere Geschichte der im Norden von Groningen gelegenen Abtei ist nicht bekannt.
4.4 Im Osten des Reichs
Das um die Mitte des 12. Jahrhunderts gegründete Kloster Altenburg (heute Stadt Lich in Hessen) wurde auf Bitten des Gründers mit Mönchen aus Siegburg besiedelt. Nach dem Tod des Gründers mussten jedoch die Siegburger Mönche die Abtei wieder verlassen. Sie ging an die Zisterzienser über, die sie nach Arnsburg verlegten.
Für das hessische Gronau (heute Gemeinde Heidenrod) stellte Siegburg die Gründungsmannschaft zur Verfügung, die 1130 das katzenelnbogische Eigenkloster besiedelten. Wie sich die Beziehungen zwischen Gronau und Siegburg danach entwickelten, ist weitgehend unbekannt, sie scheinen jedenfalls bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts bestanden zu haben. Nach der Reform durch die Bursfelder Kongregation dürfte von Siegburger Gebräuchen nichts mehr übrig geblieben sein.
Kloster Iburg, 1080 auf einem Berg in der heutigen Stadt Bad Iburg nahe Osnabrück gegründet, wurde zwar nicht mit einem Siegburger Gründungskonvent, aber mit einem Abt aus Siegburg versehen. Zwischen ihm und den Mönchen sowie den ebenfalls beteiligten Mönchen des Mindener Moritzkloster kam es zum Konflikt, sodass alle wieder in ihre Mutterklöster zurück gesandt wurden. In einem zweiten Versuch wurde Iburg 1082 nur mit einer Siegburger Mannschaft besiedelt. Nach dem Tod des aus Siegburg stammenden Abts Norbert (Abbatiat ab 1085) im Jahre 1117 erlosch die Verbindung zu Siegburg. 1468 schloss sich Iburg der Bursfelder Reform an.
Der dritte Abt des Klosters St. Moritz in Minden lässt sich als Professmönch von St. Pantaleon nachweisen, der wohl noch vor 1080 den Siegburger Ordo im Moritzkloster einführte. Spätestens seit 1140 dürfte dieser jedoch wieder abgeschafft worden sein.
Als laikales Eigenkloster des Grafen Erpo von Padberg (gestorben 1113) um 1100 gegründet, ging Flechtdorf (heute Gemeinde Diemelsee, Sauerland) bald schon in den Besitz des Kölner Erzbischofs über, der es mit einem Abt aus Siegburg versah. Die Siegburger Observanz scheint jedoch nicht lange praktiziert worden zu sein, denn wahrscheinlich kehrte man in Flechtdorf schon nach 1135 wieder zu den cluniazensischen Gewohnheiten zurück. 1469 schloss sich das Kloster Flechtdorf der Bursfelder Kongregation an.
Das bei Schmallenberg im Sauerland von Erzbischof Anno II. gegründete Kloster Grafschaft wurde noch vor 1072 mit Siegburger Reformmönchen besiedelt. Bis zur Übernahme der Bursfelder Reform 1507/1508 lebten die Mönche dort nach der Siegburger Gewohnheit.
Das Kloster im Thüringischen Saalfeld war das erste Kloster, das die Siegburger Reformgewohnheiten übernahm. Erzbischof Anno hatte es selbst kurz nach 1056 als Kanonikerstift gegründet, sich aber alsbald umentschieden und es wohl noch vor 1071 mit Siegburger Mönchen besetzt. Die Reformgewohnheiten wurden wahrscheinlich bis zur erneuten Umwandlung in ein Kanonikerstift im Jahre 1516 gepflegt.
Das um 1070 in der Nähe von Halberstadt gegründete Kloster Huysburg wurde in seinen frühen Jahren durch die Neigung seines Gründungskonventualen Thiezelinus zur Siegburger Reform beeinflusst. Die Reform konnte sich nach dessen Tod 1080 jedoch nicht weiter durchsetzen.
Der Mainzer Erzbischof Siegfried I. (Episkopat 1060-1084) hatte das im 7./8. Jahrhundert gegründete Kollegiatstift St. Peter in Erfurt in ein Benediktinerkloster umgewandelt und führte dort wahrscheinlich in den 1080er Jahren die Siegburger Gewohnheiten ein. Sie wurden aber schon bald wieder durch die Hirsauer Observanz ersetzt, die seit spätestens 1127 als gesichert anzusehen ist.
4.5 Im Süden und Südosten des Reichs
Auch in Lorsch versuchte Siegburg Fuß zu fassen. In diesem Fall kam der Vertreter der Siegburger Gewohnheiten nicht aus Siegburg selbst, sondern aus St. Pantaleon. Der 1119 durch Kaiser Heinrich V. (Regierungszeit als römisch-deutscher König 1106-1125, ab 1111 als Kaiser) eingesetzte Abt Heidolf (Abbatiat 1119-ca. 1124)wurde aber bald wieder aus der Reichsabtei vertrieben. 1151 dann wählte der Lorscher Konvent selbst einen Mönch des siegburgisch beeinflussten Sinsheim (Stadt Sinsheim). Eine Reform der Lorscher Klostergewohnheiten konnte er jedoch nicht durchsetzen. Sein Nachfolger führte schließlich 1167 die Hirsauische Reformvariante in Lorsch ein.
Sinsheim wurde nach seiner Umwandlung in eine Benediktinerabtei 1092 mit Mönchen aus Siegburg besetzt. Wie lange die neuen Gewohnheiten dort praktiziert wurden, ist nicht mehr festzustellen. Endgültig beendet wurden sie durch die Umwandlung Sinsheims in ein Stift 1496.
Sogar bis ins ferne Regensburg breitete sich die Reform aus. So kann man zwischen 1126 und 1143, als Hirsauer Mönche die Leitung des Klosters übernahmen, durchaus Siegburger Einflüsse in der Benediktinerabtei St. Emmeram nachweisen. Die Siegburger Gewohnheiten konnten sich jedoch nicht durchsetzen.
Anders dagegen in der Abtei Mondsee (Salzkammergut), im Einflussbereich des Bischofs Kuno I. gelegen, der vor seiner Stuhlerhebung ab 1106 Abt in Siegburg gewesen war. Er installierte in Mondsee den Siegburger Professen Konrad als Abt (Abbatiat 1127-1145) . Er und seine Nachfolger reformierten das Kloster bis Ende des 12. Jahrhunderts im Siegburger Sinne. 1425 nahm es die Melker Observanz an.
Von Mondsee aus wurde ein Mönch in das in der Nähe gelegene Kloster Seitenstätten entsandt. Mehr als diese personelle Beziehung ist jedoch nicht bekannt.
Ebenfalls unter Mitwirkung des Regensburger Bischofs Kuno I. und eines weiteren Siegburger Mönchs wurde um 1130 Waldsassen (Stadt Waldsassen) gegründet, ging aber schon wenige Jahre nach seiner Gründung an den Zisterzienserorden über.
Wahrscheinlich versuchte Kuno ab 1128 auch in Weltenburg (heute Stadt Kelheim an der Donau) die Siegburger Observanz einzuführen, indem er Siegburger Mönche in dem Konvent platzierte, die dessen Gewohnheiten langsam gleichsam „von unten“ ändern sollten. Ob dieser Versuch erfolgreich war, ist nicht mehr nachzuvollziehen. In jedem Fall nahm Weltenburg 1448 die Kastler Reform an.
5. Wirksamkeit und Bedeutung der Reform
Die wie keine andere durch die Bischöfe geförderte Reformbewegung erlahmte schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts deutlich und war bis zu dessen Ende gänzlich zum Erliegen gekommen. Zwar lässt sich in den meisten Fällen die Aufgabe der Siegburger Gewohnheiten quellenmäßig erst mit dem Übertritt der einzelnen Klöster zu anderen Reformrichtungen vornehmlich im 15. und 16. Jahrhundert eindeutig belegen. Es ist aber mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Siegburger Ordo wohl spätestens im 13. Jahrhundert nicht mehr angewendet wurde. Die Zisterzienser, deren erste Ansiedlung in Kamp (heute Stadt Kamp-Lintfort) ausgerechnet durch den Kölner Erzbischof Friedrich I. ermöglicht wurde, scheinen Siegburg als Reformzentrum den Rang abgelaufen zu haben. Ihr Reformprogramm war noch radikaler und ihre Beliebtheit sorgte für eine äußerst rasche Ausbreitung über ganz Europa. Dem hatte Siegburg nichts entgegen zu setzen. Damit blieb die Siegburger Reform im Wesentlichen auf das Rheinland beschränkt. Nur dort konnte sie mit tatkräftiger Unterstützung der Kölner Erzbischöfe größere Wirksamkeit entfalten. Mit dem Theologen Rupert von Deutz hatte die Siegburger Reform jedoch einen bedeutenden Fürsprecher gefunden, der sie und das Benediktinertum wortreich und gelehrt gegen die Zisterzienser verteidigte, letztlich jedoch ohne Wirkung.
Quellen
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Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band 2, bearb. von Richard Knipping, Bonn 1901, Nachdruck Düsseldorf 1985, S. 1-42 [= Erzbischof Friedrich I. von Köln].
Wisplinghoff, Erich (Bearb.), Urkunden und Quellen zur Geschichte von Stadt und Abtei Siegburg, Band 1: (948) 1065-1399, Siegburg 1964.
Literatur
Groten, Manfred, Reformbewegungen und Reformgesinnung im Erzbistum Köln, in: Weinfurter, Stefan (Hg.), Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich. Vorträge der Tagung der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte vom 11. bis 13. September 1991 in Trier, Mainz 1992, S. 97-118.
Hallinger, Kassius, Gorze-Kluny, Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter, 2 Bände, Rom 1950/1951, Nachdruck Graz 1971.
Klueting, Edeltraut, Monasteria semper reformanda. Kloster- und Ordensreformen im Mittelalter, Münster 2005.
Semmler, Josef, Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Reformprogramm im 11. und 12. Jahrhundert, Bonn 1959.
Sonntag, Jörg, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit, Berlin 2008.
Wisplinghoff, Erich, Die Benediktinerabtei Siegburg (Germania Sacra NF 9, 2), Berlin/New York 1975.
Online
Lampertus Hersfeldensis, Annales (MGH SS rer. Germ. 38), a. 1074, S. 244-245. [Online]
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Hillen, Christian, Siegburger Reform, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/siegburger-reform/DE-2086/lido/57d11f9fdddd33.24318833 (abgerufen am 06.12.2024)