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Der Verwaltungsjurist Adalbert Oehler, Oberbürgermeister der Städte Krefeld und Düsseldorf zwischen 1905 und 1919, unterscheidet sich von den meisten seiner Kollegen dadurch, dass er nicht nur als Verwaltungsbeamter tätig war. Parallel zu seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst, aber auch nach seiner Pensionierung, spielte er – aus familiären Gründen – eine zentrale Rolle im letzten Lebensabschnitt von Friedrich Nietzsche (1844-1900) als dessen (Gegen-)Vormund, später in der Stiftung Nietzsche-Archiv, der er lange Zeit vorstand.
Adalbert Oehler wurde am 13.4.1860 in Schildau (Kreis Torgau) geboren. Seine Eltern waren der Kanzleirat Adalbert Oehler (geboren 1830) und Ehefrau Emilie geborene Platz. Die Familie war evangelisch. Er besuchte das Stiftsgymnasium in Merseburg, legte dort Ostern 1878 die Reifeprüfung ab und studierte Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Halle. Dort trat er der Landsmannschaft Paleomarchia im Coburger Convent bei. Er absolvierte am 20.6.1881 die erste juristische Prüfung vor dem Oberlandesgericht Naumburg, in dessen Bezirk er auch den juristischen Vorbereitungsdienst (Vereidigung 4.7.1881 vor dem Amtsgericht Halle) leistete. Die Große juristische Staatsprüfung bestand er am 15.4.1886 mit dem Prädikat „Gut“. Bereits am 9.9.1881 war er in Halle „magna cum laude“ zum Dr. iuris promoviert worden.
Als Gerichtsassessor war er zunächst dem Amtsgericht Halle, ab Dezember 1886 dem Landgericht Rudolstadt und ab September 1887 dem Landgericht Magdeburg als Hilfsarbeiter zugeteilt. Am 28.5.1888 heiratete er Agnes Hilmer (1861–1934), Tochter eines Bergbauunternehmers aus Halle; aus der Familie gingen fünf Kinder hervor. Im Februar 1891 wurde er zum besoldeten Magistratsmitglied (Stadtrat) in Magdeburg gewählt; er trat dieses Amt nach Bestätigung (12. März) am 19. März an. In Magdeburg versah er in der Folgezeit alle wichtigen Dezernate einer großstädtischen Verwaltung.
Am 24.10.1899 erfolgte seine Wahl zum Ersten Bürgermeister der Stadt Halberstadt; dieses Amt trat er am 2.1.1900 an (ab 19.8.1903 mit dem Titel Oberbürgermeister). Das Recht zum Tragen der Amtskette war mit dem Amt verbunden. Ab März 1900 vertrat er Halberstadt im Preußischen Herrenhaus; diesem gehörte er bis November 1918 an, da auch die Städte Krefeld und Düsseldorf, in denen er in der Folgezeit tätig war, das Präsentationsrecht zum Herrenhaus besaßen.
Am 14.3.1905 wählte die Krefelder Stadtverordnetenversammlung Oehler einstimmig zum Bürgermeister. Nach Bestätigung der Wahl durch Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) am 12. April in Korfu mit Verleihung des Titels Oberbürgermeister„ auch für das neue Amt, wurde Oehler am 18. Mai durch den Düsseldorfer Regierungspräsidenten Dr. Arthur Schreiber (1849-1921) in sein Amt eingeführt. Während seines Besuches in Krefeld am 2.4.1906 verlieh ihm der Kaiser das Recht zum Tragen der Amtskette. Im gleichen Jahr verlieh Wilhelm II. ihm den Roten Adlerorden 3. Klasse. Später erhielt er die Schleife dazu (1914); weitere Auszeichungen waren das Komturkreuz des (niederländischen) Ordens von Oranje-Nassau (1906), der Kronenorden 3. Klasse (1910), das EK 2 am weißen Bande (1914/1918), die Rote Kreuz Medaille III. Klasse (1898) und II. Klasse (1916), der türkischer Orden des Eisernen Halbmondes am weißen Bande (1914/18), das bulgarisches Schwarzes Kreuz (1916), das Kriegskreuz für Zivildienste (1918) sowie das Verdienstkreuz für Kriegshilfe (1916).
In der Amtszeit Oehlers in Krefeld wurde die Infrastruktur der Stadt weiter ausgebaut, insbesondere durch die Ausweitung des Straßenbahnnetzes und die Anlage der Ringstraßen im Westen und Norden der Stadt. Weitere markante Ereignisse aus seiner Krefelder Amtszeit waren: Eröffnung des Rheinhafens und Einweihung des neu errichteten Krefelder Landgerichts, die Verlegung des zuvor in Düsseldorf stationierten 2. Westfälischen Husaren-Regiments Nr. 11 nach Krefeld (sämtlich 1906). Das Jahr 1907 brachte die Eingemeindung von Bockum mit Verberg und Oppum, den Abschluß der Höherlegung der Staatsbahn auf dem Krefelder Stadtgebiet und die Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs. 1908 wurden in Krefeld ein Bergrevier (später Bergamt) eingerichtet und die neue Stadthalle eingeweiht, 1909 das neue Dienstgebäude der Feuerwehr an der Florastraße seiner Bestimmung übergeben, 1910 öffnete der Neubau des Hauptzollamts in Krefeld seine Pforten.
Am 15.11.1910 wählte die Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung Oehler zum neuen Bürgermeister. Nach der königlichen Bestätigung der Wahl mit gleichzeitiger Verleihung des Titels Oberbürgermeister wurde er am 18. Januar in sein neues Amt eingeführt. In seine Düsseldorfer Amtszeit fielen die schwierigen Jahre des Weltkriegs, über die Oehler 1927– auf Veranlassung seines Amtsnachfolgers Dr. Robert Lehr – einen umfassenden Bericht vorlegte. Im Zusammenhang mit den inneren Unruhen nach Kriegsende erklärte der Vollzugsausschuss des Düsseldorfer Arbeiter- und Soldatenrats Oberbürgermeister Dr. Oehler am 10.1.1919 für abgesetzt. Dieser hatte sich einige Tage zuvor, um einer Verhaftung oder Geiselnahme durch den Arbeiter- und Soldatenrat zu entgehen, in das von den Belgiern besetzte Oberkassel begeben. In den folgenden Tagen stand er in Hamborn (heute Stadt Duisburg) und Mülheim an der Ruhr mehr oder weniger unter Aufsicht der Arbeiter- und Soldatenräte. Am 18. Januar gewährte ihm die Stadt Düsseldorf zunächst Urlaub auf unbestimmte Zeit, mit Wirkung vom 1.7.1919 wurde er in den dauernden Ruhestand versetzt.
Der damals 60-jährige Oehler ist dann nicht mehr in den öffentlichen Dienst zurückgekehrt. Stattdessen betätigte er sich wissenschaftlich, so verfasste er mehrere Bände von „Schaeffers“ Grundriß des privaten und öffentlichen Rechts sowie der Volkswirtschaftslehre. Von 1919 bis 1924 war er Dozent an der Hochschule für Staats- und Verwaltungswissenschaften in Detmold, wofür ihm die Lippische Landesregierung 1922 den Professorentitel verlieh; später (bis 1930) lehrte er noch an der Leibniz-Akademie in Hannover und der Verwaltungsakademie Düsseldorf. Im Zusammenhang mit der Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets 1929 konnte ihn sein Nachfolger im Amt des Krefelder Oberbürgermeisters, Dr. Johannes Johansen, als Sachverständigen und Berater in der komplizierten Frage der Ausarbeitung des Ortsrechts zur Ausgestaltung der Dachgemeinschaft der beiden zusammenzulegenden Städte Krefeld und Uerdingen gewinnen. Die von Oehler gemachten Vorschläge gingen im Wesentlichen in die 1930 beschlossenen Ortssatzungen ein. In seinen letzten Lebensjahren legte er umfassende handschriftliche Erinnerungen nieder.
Nach seiner Düsseldorfer Zeit lebte Oehler vorübergehend in Weimar, dann bis 1934 in Bad Oeynhausen, anschließend (mit Unterbrechungen) in Düsseldorf. Nach seinem Tod am 10.7.1943 in Berlin wurde seine Asche im Urnenhain auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beigesetzt.
Oehler und Friedrich Nietzsche
Franziska Nietzsche geborene Oehler (1826–1897) war eine ältere Schwester von Oehlers Vater Adalbert. Aufgrund dieser familiären Verhältnisse wurde Adalbert Oehler von seiner Tante 1891 gebeten, neben ihr der Gegenvormund von Friedrich Nietzsche (1844-1900) zu werden, der wegen seiner geistigen Erkrankung am 26.11.1889 vom Amtsgericht Jena entmündigt worden war. Neben den rein familiären Beziehungen scheint es auch einen offenbar engeren persönlichen Kontakts Oehlers zu seinem Vetter Friedrich gegeben zu haben, denn Franziska Nietzsche schrieb ihrem Neffen 1889, er sei „von der Familie wohl der Einzige, der ihn [Friedrich] in den letzten Jahren kennen und schätzen gelernt hat“. Die Bestellung Oehlers zum Gegenvormund erfolgte im Juni 1892. Seine Aufgabe bestand im Wesentlichen in der Verwaltung des Vermögens von Friedrich Nietzsche. Um das Werk und den großen noch unveröffentlichten Nachlass Nietzsches kümmerte sich seit 1893 dessen Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche (1846–1935), an die die Vormundschaft 1895 sämtliche Rechte des Werkes abtrat. Nach dem Tod Franziska Nietzsches 1897 wurde Oehler Nietzsches Vormund, den letzten Dienst, den er seinem Vetter leistete, war eine würdige Grabrede am 28. August bei der Beerdigung Nietzsches im Erbbegräbnis der Familie in Röcken.
Von 1909 bis 1923 war Oehler Vorsitzender der Stiftung Nietzsche-Archiv in Weimar; dieses Amt legte er im Mai 1923 nieder, nachdem ihm keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Elisabeth Förster-Nietzsche mehr möglich schien. 1930 trat er dem Vorstand der Stiftung wieder bei. Frau Förster-Nietzsche starb am 8.11.1935. An der Trauerfeier nahm Adolf Hitler (1889-1945) teil, den Oehler in seiner Gedächtnisrede bat, „das Nietzsche-Archiv, das seine Gründerin verloren hat, unter seinen besonderen Schutz zu nehmen“. In der Folgezeit verfasste Oehler eine (unveröffentlichte) Darstellung mit stark memoirenhaftem Charakter „Zur Geschichte des Nietzsche-Archivs“ (1936); 1940 veröffentlichte er eine Biographie über Franziska Nietzsche („Nietzsches Mutter“), in der er unter anderem das verzerrte Bild, das Elisabeth Förster-Nietzsche gezeichnet hatte, zu korrigieren versuchte.
Quellen
Teilnachlass (darunter handschriftliche Erinnerungen): Stiftung Weimarer Klassik/Goethe und Schiller-Archiv, Weimar (Bestand 100, Nietzsches Familie, Nrn. 1332–1371).
Kopie der Erinnerungen im Stadtarchiv Düsseldorf.
Gabel, Gernot U. /Jagenberg, Carl Helmuth, Der entmündigte Philosoph. Briefe von Franziska Nietzsche an Adalbert Oehler aus den Jahren 1889–1897, Hürth 1997.
Werke
Allgemeines Verwaltungs- und Reichsverwaltungsrecht ([Schaeffers] Grundriß des privaten öffentlichen Rechts sowie der Volkswirtschaftslehre 13.2), Leipzig 1930.
[Bearbeiter] Anton Müller: Der Staatsbürger, 4. Aufl., durchgesehen und ergänzt von Oberbürgermeister Professor Dr. Oehler, Trier 1928.
[Bearbeiter] Die Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853. Mit Ergänzungen und Erläuterungen von Oberbürgermeister, Geh.-Reg. Rat Dr. h.c. O[ttomar]. Oertel, 7. Auflage, bearbeitet von Dr. iur. Adalbert Oehler, Oberbürgermeister i.R., Professor, Leipzig 1931 (mit Nachtrag 1932).
Die Aufwertung der Sparguthaben der öffentlichen Sparkassen on Preußen, Lilienthal b. Bremen 1932.
Die besondere Gewerbesteuer in den Gemeinden des rheinisch-westfälischen Industriegebietes (Schriften der volkswirtschaftlichen Vereinigung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes 1), Jena 1922.
Düsseldorf im Weltkrieg (Düsseldorfer Jahrbuch 33), Düsseldorf 1927.
Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, Magdeburg 1920 (Privatdruck, überliefert u.a. im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland).
Nietzsches Werke und das Nietzsche-Archiv, Leipzig 1910.
Nietzsches Mutter, München 1940, 2. Auflage 1941.
Oberbürgermeister in Krefeld von 1905–1910 [von Karl Rembert redigierter Auszug aus den Erinnerungen], in: Die Heimat [Krefeld] 20 (1941), S. 330–343.
Soziale Versicherung ([Schaeffers] Grundriß des privaten öffentlichen Rechts sowie der Volkswirtschaftslehre 27), Leipzig 1930 (mit Nachtrag 1931, weitere Auflage 1941).
Verfassung und Verwaltung der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände ([Schaeffers] Grundriß des privaten öffentlichen Rechts sowie der Volkswirtschaftslehre 29), Leipzig 1929.
Literatur
Lilla, Joachim, Adalbert Oehler und Friedrich Nietzsche. Ein Beitrag zur Biographie des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Adalbert Oehler, in: Düsseldorfer Jahrbuch 71 (2000), S. 91–116 [mit weiteren Nachweisen].
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 660-661.
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Lilla, Joachim, Adalbert Oehler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adalbert-oehler/DE-2086/lido/57c955c96837c4.22179081 (abgerufen am 15.10.2024)