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Helene Klostermann gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Fröbelbewegung. Sie leitete über 20 Jahre eine Mädchenschule in Bonn, die weit über die Grenzen der Stadt hinaus hohes Ansehen genoss. Die Auseinandersetzung der „Post-Fröbelianerin“ mit der Pädagogik des „Kindergartenstifters“ Friedrich Fröbel (1782-1852) schlug sich in vielfältigen Veröffentlichungen und Editionen sowie der Aufarbeitung seines Nachlasses nieder.
Helene Louise Klostermann erblickte am 29.7.1858 als zweites von vier Kindern des aus Bochum stammenden Kaufmanns Julius Klostermann und seiner Ehefrau Emilie, geb. von Gonzenbach, im sizilianischen Messina das Licht der Welt. Der Vater war als junger Mann nach Messina übergesiedelt, nachdem er sich in die dort lebende Magdalene Gonzenbach verliebt hatte. Das gutbürgerliche Elternhaus gehörte der deutschsprachigen evangelischen Gemeinschaft in Messina an. Die Familie wohnte im Hochsommer und im Winter in einer repräsentativen Stadtwohnung, im Frühjahr und im Herbst übersiedelte sie in ein Landhaus, eingerahmt von einem großen Garten an den Abhängen des Ätnas. Neben Deutsch und Sizilianisch – beide als Muttersprachen – beherrschte Helene Französisch und Italienisch. Ihre Tante war Laura Gonzenbach (1842-1878), die sizilianische Märchen sammelte und veröffentlichte. Als Mädchen begleitete Helene die Tante oft auf ihren Wanderungen durch die Dörfer. Die glückliche Kindheit wurde früh durch Trauer überschattet: 1863 starben zwei Schwestern der Mutter, der kleine Bruder und schließlich auch die Mutter. Im Sommer 1864 verlor Helene ihre jüngste Schwester. 1869 heiratete der Vater erneut. Aus der Ehe gingen drei weitere Kinder hervor. Mit ihrem Vater wie mit ihrer Stiefmutter und ihren Halbgeschwistern verband Helene Klostermann zeitlebens eine innige Beziehung. Helene und ihre ältere Schwester wurden zusammen mit Vettern und Basen von einem deutschen Pfarrer unterrichtet. Privaten Unterricht erhielten die Mädchen auch in Mathematik bis zu den Logarithmen − ein absolutes Novum, denn dieses Unterrichtsfach war seinerzeit für das weibliche Geschlecht geradezu tabu. Um ihre Ausbildung zu vervollständigen, schickte der Vater 1872 seine Töchter nach Bonn, wo seine Schwester Julie seit einem Jahr eine Schule leitete, das weit über Bonn hinaus bekannte vierklassige „Lyzeum Klostermann“. Helene Klostermann bedauerte in ihren späteren Lebensjahren immer wieder, dass in den Bonner Schuljahren Mathematik nicht zu den Lehrfächern der Mädchenschule zählte und somit das Studium der Mathematik den Frauen verschlossen blieb.
Nach der Konfirmation kam die 16-Jährige nach Messina zurück und führte einige Zeit das Leben einer höheren Tochter, kümmerte sich um den elterlichen Haushalt, die jüngeren Halbgeschwister, bildete sich in Sprachen und vor allem im musischen Bereich weiter. Obgleich an eine eigentliche Berufsausbildung und Berufsausübung nicht gedacht war, kehrte Helene Klostermann im Frühjahr 1878 an das Bonner Lyzeum Klostermann zurück, um sich auf das Lehrerinnenexamen vorzubereiten. Nach bestandener Prüfung unterrichte sie dort ein halbes Jahr und kehrte wiederum in ihr Elternhaus zurück, um den Unterricht ihrer Halbgeschwister und anderer Kinder zu übernehmen.
Als die Geschäfte des Vaters in Schwierigkeiten gerieten, übersiedelte die Familie nach Berlin. Dort fasste Helene Klostermann den Entschluss, für sich selbst zu sorgen. Sie nahm eine Stelle als Privaterzieherin in einer irisch-englischen Grafenfamilie an. Nach ungefähr einem Jahr suchte sie sich eine neue Tätigkeit. Sie lernte in London Julie Salis-Schwabe (1819-1896) kennen, eine Deutsche, die durch Heirat nach England gekommen war und ihr beträchtliches Vermögen ganz für soziale und pädagogische Zwecke einsetzte. Die äußerst gutsituierte Philanthropin stellte Helene Klostermann als ihre Privatsekretärin an. Julie Salis-Schwabe hatte 1871 in Neapel eine Fröbelsche Erziehungs- und Bildungsanstalt (Kindergarten, Knabenschule, Höhere Mädchenschule und Kindergärtnerinnenseminar) ins Leben gerufen. Dort lernte Helene Klostermann 1888 im sogenannten „Istituto Froebeliano“, das von der Fröbelepigonin Adele von Portugal (1818-1910) geleitet wurde, zum ersten Mal die lebendige Verwirklichung der Geistes- und Gedankenwelt Friedrich Fröbels kennen.
1898 übernahm Helene Klostermann das Lyzeum ihrer Tante in Bonn, das wirtschaftlich nicht mehr erfolgreich war. Sie rettete die Schule und baute sie in fast 25-jähriger Amtszeit beachtenswert auf- und aus. 1903 übernahm sie das von Friedrich Zimmer (1855-1919) in Kassel gegründete „Comenius-Seminar“, das nach Bonn verlegt wurde. Hinzu kam eine Übungsschule (Mittelschule für Knaben und Mädchen), zum Kindergärtnerinnen-Seminar ein Volkskindergarten, ein Hort, ein Tagesheim für Kinder, eine Krippe und für auswärtige Schülerinnen ein Internat. Alle Einrichtungen basierten auf Fröbelschen Erziehungsgrundsätzen.
Aufgrund der Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens von 1909 musste das private Klostermannsche Lehrerinnenseminar schließlich Ostern 1914 den Betrieb einstellen. Die Forderung nach Einstellung akademischer Lehrkräfte überforderte dessen finanzielle Möglichkeiten. Die Schließung ihrer Schule war ein harter Schlag für Helene Klostermann, die sich berufen gefühlt hatte, gerade der Lehrerinnenausbildung neue Wege im Sinne der Fröbelpädagogik zu weisen. Als Folge der Akademisierung der Frauenbildung befürchtete Helene Klostermann, „daß wir in 12-15 Jahren eine Schar von jungen wissenschaftlich zwar hochgebildeten, aber vielleicht auch etwas lebensfremden und unerfahrenen Lehrerinnen haben werden, die für die erziehliche Seite des Unterrichts weit weniger geeignet sind als die jetzt kämpfende Lehrerinnenwelt“.[1]
Ein kleiner Trost dürfte gewesen sein, dass das Comenius-Kindergärtnerinnenseminar, welches im Schatten des Lehrerinnenseminars stand, die staatliche Anerkennung erhielt und sich eines enormen Zuspruchs erfreute. Auf Anregung von Helene Klostermann wurde in der finanziellen Notzeit 1922 der „Evangelische Schulverein e.V. Bonn“ gegründet, der die wirtschaftliche Führung ihrer Bildungseinrichtung übernahm. Maria Key, eine langjährige Mitarbeiterin und Schülerin, übernahm die pädagogische Verantwortung und führte das Seminar im bewährten Geiste weiter. Noch lange kehrte Helene Klostermann alljährlich für einige Zeit an die Stätte ihres Wirkens zurück und stand mit vielen ehemaligen Schülerinnen in regem Austausch.
Nach ihrem Rücktritt von der Schularbeit fand Helene Klostermann eine neue Heimat in Putbus auf der Insel Rügen. Ihre letzten Lebensjahre widmete sie der Fröbelpädagogik, insbesondere leistete sie durch die Herausgabe von „Friedrich Fröbels Werdegang und sein Wirken als Knabenerzieher“, erschienen 1927, einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung von dessen Leben und Wirken. Auch besorgte sie die Archivierung des Fröbelnachlasses im Fröbelhaus in Bad Blankenburg. Das von ihr erarbeitete Findbuch wird noch heute verwendet. Als in den 1920er Jahren die Montessori-Pädagogik immer mehr in den Mittelpunkt der kleinkindpädagogischen Diskussion geriet, versuchte die überzeugte Fröbelpädagogin, mehr Verwandtes zwischen Montessori und Fröbel als Trennendes aufzuzeigen. Helene Klostermann arbeitete jahrelang leitend im Deutschen Fröbel-Verband mit, war 1919-1923 dessen Vorsitzende und anschließend Ehrenvorsitzende. Außerdem gehörte sie dem Vorstand des „Bundes Deutscher Privatmädchenschulen“ an.
Helene Klostermann starb am 27.5.1935 in Putbus.
Werke
Wie können nach den neuen Bestimmungen die Fröbelschen Ideen in der Schule eingeführt werden?, in: Die Lehrerin in Schule und Haus 1909, S. 1-12.
Die Bestimmungen über die Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens in ihrer Einwirkung auf die Privatschule, in: Die Lehrerin in Schule und Haus 1909, S. 419-425, 453-458.
Spiel und Arbeit, in: Kindergarten 1913, S. 12-14, 37-40.
Was verleiht den Fröbelschen Bewegungsspielen ihren Wert?, in: Kindergarten 1914, S. 2-12.
Einfluß auf die Entwicklung des Volkscharakters durch die Pflege der Selbsttätigkeit in Kindergarten und Schule, in: Kindergarten 1920, S. 57–69.
Montessori oder Fröbel?, in: Kindergarten 1920, S. 155–157.
Zum neuen Jahr, in: Kindergarten 1921, S. 1–3.
Fünfzig Jahre Fröbel-Verband, in: Kindergarten 1923, S. 1–3.
Henriette Schrader-Breymann, in: Kindergarten 1923, S. 45–48.
Kann uns Fröbel Wege weisen aus unserer Not?, in: Kindergarten 1924, S. 125–129.
Die seelischen Bedürfnisse des kleinen Kindes, in: Kindergarten 1925, S. 209–218.
Ausgangspunkt und Zielsetzung der frühkindlichen Entwicklung bei Fröbel und Montessori, in: Die Erziehung 1927, S. 395–414.
Friedrich Fröbels Werdegang und sein Wirken als Knabenerzieher, Leipzig 1927.
Fröbels Idee des Kindergartens, wie sie sich in der Lebens- und Weltanschauung ihres Schöpfers darstellte, in: Kindergarten 1927, S. 222–227.
Der Name „Kindergarten eine Offenbarung, in: Kindergarten 1928, S. 213–217.
Friedrich Fröbels Ideen über das Spiel des Kindes, in: Kindergarten 1932, S. 83–88.
Friedrich Fröbel, in: Kindergarten 1935, S. 162–163.
Grundlagen des Rechenunterrichts, in: Kindergarten 1935, S. 178-184.
Einleitung, in: Blochmann, Elisabeth/Nohl, Herman/Weninger, Erich (Hg.), Fröbels Theorie des Spiels II, Langensalza/Berlin/Leipzig [o.J.], S. 3-6.
Literatur
Berger, Manfred, Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995, S. 107-111.
Franke-Meyer, Diana, Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule, Bad Heilbrunn 2011.
Heiland, Helmut, Literatur und Trends in der Fröbelforschung, Weinheim 1972.
Hoffmann, Erika, Letzte Begegnung mit Helene. L. Klostermann, in: Kindergarten 1935, S. 161–162.
Hoffmann, Erika, Nachwort, in: Blochmann, Elisabeth/Geißler, Georg/Nohl, Herman/Weniger, Erich (Hg.), Kleine Pädagogische Texte Fröbels. Theorie des Spiels II, Weinheim 1962, S. 7-8.
Kley, Maria, Helene L. Klostermann, in: Die Erziehung 1935, S. 540-542.
Kley, Maria, Festschrift zum 80-jährigen Bestehen des Lyzeums Klostermann in Bonn, Bonn 1927.
Lück, Conradine, Helene Luise Klostermann, in: Die Frau 1934/35, S. 631-639.
Lück, Conradine, Helene Luise Klostermann. Ein Lebensbild, in Kindergarten 1935, S. 141–161.
Lück, Conradine, Frauen. Acht Lebensschicksale, Reutlingen 1937, S. 285-330.
Schulte, Klara, Helene L. Klostermann zum 70. Geburtstage, in: Kindergarten 1928, S. 142-145.
Steinen, Carla. V., Helene Klostermann und die Kinder, in: Kindergarten 1935, S. 159-161.
Strnad, Elfriede, Helene L. Klostermann zu ihrem Hundertsten Geburtstag, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbelverbandes 1958, S. 118-122.
Wiener-Pappenheim, Anna, Helene L. Klostermann zum 70. Geburtstage. 29. Juli 1928, in: Kindergarten 1928, S. 141.
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Berger, Manfred, Helene Klostermann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/helene-klostermann/DE-2086/lido/5e0ddefd7fa072.08784069 (abgerufen am 06.12.2024)