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Der aus Sachsen „zugereiste“ Ökonom Otto Most war ein am Niederrhein einflussreicher Wirtschaftsfunktionär und Kommunalpolitiker sowie langjähriges Reichstagsmitglied der nationalliberalen „Deutschen Volkspartei“ (DVP) und schließlich ein in der Bundesrepublik hochangesehener Verkehrsexperte.
Geboren wurde er am 13.9.1881 im sächsischen Makranstädt in die Familie des Unternehmers Otto Most (1840-1918) und seiner Frau Helene, geborene Heyner (1842-1912), die aus einer sächsischen Akademikerfamilie stammte. Die Familie Most war evangelisch. Da der Vater geschäftlich wenig erfolgreich war, musste der gleichnamige Sohn nach dem Abitur auf der Schule der Franckeschen Stiftungen ab 1899 in Halle sein Geschichts- und Nationalökonomiestudium am gleichen Ort selbst finanzieren. 1903 wurde er mit einer volkswirtschaftlichen Untersuchung zum Dr. phil. promoviert und zum 1.4.1904 − entgegen seinem Berufswunsch Journalist − in den Dienst des Kaiserlichen Statistischen Amtes aufgenommen. Von dort wechselte er zum 1.3.1905 in die Leitung des Statistikamtes der Stadt Posen und zum 3.6.1907 in gleicher Funktion in die Dienste der Stadt Düsseldorf. Auf Vorschlag des dortigen Oberbürgermeisters Wilhelm Marx wurde er am 13.12.1910 zum besoldeten Beigeordneten mit den Ressorts Statistik, Sozialpolitik und außerschulische Bildung gewählt; in dieser Funktion war er einer der ersten Ökonomen. Im Ersten Weltkrieg wurde der ungediente und nun unabkömmlich gestellte Otto Most auch für Versorgungsfragen zuständig und sah sich selbst als „Erfinder“ der berühmt-berüchtigten „Brotkarte“.
Mitten im Krieg wurde der Protestant Most am 1.10.1915 mit knapper Mehrheit als zum Bürgermeister der mehrheitlich katholischen Stadt Sterkrade (heute Stadt Oberhausen) gewählt (bestätigt am 28.10.1915). Damit wurde er auch automatisch Mitglied des Rheinischen Provinziallandtags. Unterstützung erhielt Most dabei von dem Schwerindustriellen Paul Reusch (1868-1956), Vorstandsvorsitzender der Oberhausener Gute-Hoffnungs-Hütte (GHH). Ein zentrales Ziel des neuen Bürgermeisters war, Sterkrade durch Eingemeindungen größer und so „kreisfrei“ zu machen, was bereits 1917 gelang und Most die Ernennung zum Oberbürgermeister einbrachte.
Mit der Wahlrechtsreform von 1919 verschwand aber die ihn unterstützende liberal-konservative Mehrheit im Stadtrat. Reusch vermittelte Most, der sich 1910 am der Universität Bonn habilitiert hatte, deshalb zum 1.1.1920 als geschäftsführenden Syndikus an die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel, deren Präsident er selbst war. Zwischen beiden kam es zu einem von gegenseitiger Eifersucht freien Zusammenwirken, das Most zufolge auch das Klima in dieser IHK über Reuschs Ausscheiden 1929 hinweg prägte.
Bereits 1919 hatte es eine weitere Wende in der Karriere von Otto Most gegeben: Parteipolitisch bis dahin wenig vorgetreten, hatte ihn nach eigenem Bekunden weltanschaulich der neuplatonische Idealismus des Jenenser Philosophen Rudolf Eucken (1846-1926) beeinflusst, der 1908 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden war. Most schloss sich nun der DVP, Nachfolgerin der Nationalliberalen Partei des Kaiserreiches, an und wurde für diese im Wahlkreis Düsseldorf-West, zu dem auch Duisburg und Sterkrade gehörten, in die Weimarer Nationalversammlung gewählt.
Obwohl als amtierender Oberbürgermeister zwangsläufig oft fehlend, hatte er in Weimar das Gefühl, eine entscheidende Stunde nationalen Geschehens mitzuerleben. Innerparteilich galt er wie sein im benachbarten Wahlkreis Düsseldorf-Ost gewählter Fraktionskollege Adolf Kempkes als „industrienah“ (Ludwig Richter). Wie dieser stand er aber keineswegs auf dem rechten, von den westdeutschen Schwerindustriellen dominierten Flügel seiner Partei. Vielmehr lehnte Most gerade auf Grund seiner heimatlichen Erfahrung den rechtsgerichteten Kapp-Putsch vom März 1920 ab. Er begrüßte dann den von der DVP unter der Führung Gustav Stresemanns (1878-1929) mehrheitlich gegangenen Weg aus der grundsätzlichen Opposition zur positiven, verantwortungsbewußten Mitarbeit. Entsprechend unterstützte Most Mitte der 1920er Jahre den von Stresemann als Außenminister verfolgten Entspannungskurs, mit dem das Verhältnis zwischen Deutschen und den westlichen Siegermächten, insbesondere Frankreich auf eine neue tragfähige Basis gestellt werden sollte. Nach Stresemanns Tod leitete Most im Oktober 1929 die lokale Trauerfeier in der Duisburger Tonhalle.
Während der Zeit der Ruhrbesetzung 1923 bildete der 1920 in seinem Wahlkreis als Reichstagsabgeordneter wiedergewählte Most eine wichtige Scharnierfunktion zwischen dem Westen und Berlin. Mehrfach prangerte er, der seine Dienstwohnung mit belgischen Besatzungsoffizieren teilen musste, im Reichstag die Verhältnisse im Besatzungsgebiet an. Mitte 1923 unternahm er auf amerikanische Einladung eine Reise durch die USA, um Sympathien für die Sache Deutschlands einzuwerben. Nach seiner Rückkehr wurde er durch die Belgier in Geiselhaft genommen und musste einige Wochen als eine Art Kugelfang in den Zügen der Besatzungsmacht mitfahren, um Attentäter abzuschrecken.
Ob er tatsächlich dann als Staatssekretär der Reichskanzlei unter dem Kanzler Stresemann im Gespräch war, wie Most selbst behauptet, ist fraglich. Das Amt ging schließlich für kurze Zeit an seinen Freund Adolf Kempkes. Ein innerparteilicher Aufstieg ist allerdings nicht zu bestreiten. So hielt Most bei einer zentralen Veranstaltung, auf der es um die politisch-ideologische Standortbestimmung der DVP ging, die Hauptrede. Hier plädierte er für einen eher konservativ grundierten Liberalismus, der durch die zwei großen Gedanken der freiheitlichen Entwicklung im Innern und der nationalen Stärke nach außen bestimmt werde und der sich in unüberwindlichem Gegensatz zum Sozialismus, aber zu den reinen Interessenparteien befinde. Ab 1928 gehörte er auch dem Zentralvorstand seiner Partei an.
Großen Einfluss übte er auch in seinem Wahlkreisverband, wo er lange Jahre stellvertretender Vorsitzender war, und im übergeordneten Provinzialverband der Rheinprovinz aus. Dies hing damit zusammen, dass Most „einer der bedeutendsten Kommunalpolitiker der DVP überhaupt“ war (Stephanie Günther) und in Westdeutschland ihre Kommunalpolitik koordinierte. Als er Ende 1930 seine Position als Vorsitzender der DVP-Stadtratsfraktion in Duisburg aufgab, lobte sein Parteifreund Oberbürgerbürgermeister Karl Jarres die wertvollen Dienste, die Most mit ganz seltener Sachkenntnis und Erfahrung auf dem kommunalpolitischen Gebiete der Stadt geleistet habe.
Ende der 1920er Jahre zog sich Most immer mehr aus der Politik zurück; bereits für die Reichstagswahl 1928 kandidierte er nicht mehr, um sich vorrangig seinen beruflichen und wissenschaftlichen Aufgaben zu widmen. 1927 war eine Umhabilitation an die Universität Münster erfolgt, wo er zunächst als Privatdozent, dann als Honorarprofessor Verkehrswissenschaft und Statistik lehrte. Bereits Anfang der 1920er Jahre hatte er die „Volkswirtschaftliche Vereinigung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet“ ins Leben gerufen und Forschungen zur regionalen Wirtschaft initiiert, an denen er sich selbst beteiligte.
Allerdings war Most zunächst noch im Zentralvorstand der DVP aktiv; dort warnte er im Sommer 1930 aufgrund seiner kommunalpolitischen Erfahrungen sehr hellsichtig vor einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe allerersten Ranges. Ein halbes Jahr später bewarb er sich als Kandidat der Rechtsparteien um den Posten des Oberbürgermeisters von Dresden, unterlag aber dem von den demokratischen Kräften der Weimarer Koalition unterstützten, früheren linksliberalen Reichsinnenmister Wilhelm Külz (1875-1948). Erstaunlicherweise erwähnte Most diese Episode in seinen Erinnerungen nicht, möglichweise weil sie in das dort gezeichnete Bild einer durchgängigen Gegnerschaft gegen den Rechtsextremismus nicht so ganz passte.
Diesem widerspricht auch, dass Most 1933 einen Aufnahmeantrag für die NSDAP stellte, der aber wegen seiner Logenmitgliedschaft zunächst dilatorisch behandelt wurde. Aus diesem Grund musste er 1937 auch seine Honorarprofessur aufgeben, in die er aber wiedereingesetzt wurde, nachdem seine NSDAP-Mitgliedschaft 1939 dann doch genehmigt worden war. 1944 wechselte er an das „Institut für Großraumwirtschaft“ der Universität Heidelberg. Als Honorarprofessor für Betriebswirtschaft konnte er von 1947 bis 1958 seine Lehrtätigkeit an der Universität Mainz fortsetzen; diese zeichnete ihn 1955 mit einem Ehrendoktor aus.
Wegen seines rechtlich gesehen „späten“ NSDAP-Eintritts galt Most nach 1945 als „unbelastet“ und gewann neuerliches Ansehen vornehmlich als Verwaltungs- und Verkehrsexperte. Von 1949 bis 1961 stand er an der Spitze des Zentralvereins für deutsche Binnenschifffahrt, lange Jahre gehörte er dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn und dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums an. Hinzu kamen zahlreiche Mitgliedschaften in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftsnahen Institutionen, 1954 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz und zwei Jahre später die Ausführung mit Stern verliehen, 1956 die Mercator-Medaille der Stadt Duisburg.
Begleitet war diese breit angelegte Karriere in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über Jahrzehnte von einer ungemein fruchtbaren Publizistik, die ebenfalls breit gefächert war. Sie drehte sich um kommunal- und verkehrspolitische Fragen, umfasste aber auch mehrfach aufgelegte Lehrbücher zur Statistik und Bevölkerungswissenschaft sowie zum Teil voluminöse Darstellungen zur Geschichte des Niederrheins, etwa zur Entwicklung Düsseldorfs im 19. Jahrhundert. Offenbar wollte Most der Region etwas zurückgeben, die ihm zur zweiten Heimat geworden war und die er in den Mittelpunkt seiner Erinnerungsschrift stellte.
Weniger glücklich verlief die 1906 eingegangene Ehe mit der Pfarrerstochter Elisabeth Parrey (1880-1963): Von seinen beiden Söhnen starb der erste bereits in jugendlichem Alter, der 1911 geborene Sohn Rolf, ein angehender Historiker, fiel 1941.
Otto Most selbst, der auch über die Handelskammern international, insbesondere im Benelux-Raum, gut vernetzt war und ein Jahrzehnt Mitglied der Internationalen Handelskammer in Paris gewesen war, starb hochgeehrt am 18.12.1971 – ein Vierteljahr nach seinem 90. Geburtstag - in Duisburg, seiner „zweiten“, niederrheinischen Heimat, wo auf dem Duisburger Waldfriedhof eine Trauerfeier „im engsten Familienkreis“ stattfand. Über den Verbleib seines Grabes ist nichts mehr bekannt.
Werke (Auswahl)
Der Nebenerwerb in seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung, Jena 1903.
Die Gemeindebetriebe der Stadt Düsseldorf, Leipzig 1909.
Die Gemeindefinanzstatistik in Deutschland. Ziele, Wege, Ergebnisse, Leipzig 1910, Nachdruck Vaduz 1991
Bevölkerungswissenschaft. Eine Einführung in die Bevölkerungsprobleme der Gegenwart, Berlin/Leipzig 1913.
Geschichte der Stadt Düsseldorf, Band 2: Von 1815 bis zu Einführung der Rhein. Städteordnung (1856), Düsseldorf 1921.
Der liberale Gedanke in der Deutschen Volkspartei, in: Deutscher Liberalismus. Reden der Reichstagsabgeordneten Oberbürgermeister Dr. Most, Geheimrat Prof. Dr. Kahl, Reichsminister Dr. Stresemann, Berlin 1925, S. 5-23.
Die Selbstverwaltung der Wirtschaft in den Industrie- und Handelskammern, Jena 1927.
(Mit-Herausgeber) Wirtschaftskunde für Rheinland und Westfalen, Berlin 1931.
Handelskammer und Wirtschaft am Niederrhein. Zum hundertjährigen Bestehen der niederrheinischen Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel, Duisburg 1931.
Der Rhein als Wirtschaftsgestalter, Duisburg 1937.
Verwaltungsreform. Gutachten erstattet unter besonderer Berücksichtigung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1949.
Allgemeine Statistik (zuerst 1946), 8. Auflage, Baden-Baden 1966.
Drei Jahrzehnte an Niederrhein, Ruhr und Spree. Aus den Lebenserinnerungen von Professor Dr. Dr. h.c. Otto Most, Duisburg 1969.
Literatur
Baumann, Carl Friedrich, Otto Most, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 219−220.
Burkhard, Wolfgang, Niederrheinische Unternehmer. 111 Persönlichkeiten und ihr Werk, Duisburg 1990, S. 232−233.
Günther, Stephanie, Unpolitische Kommunalpolitik? Die Deutsche Volkspartei in der Weimarer Republik, Marburg 2011.
Kolb, Eberhard/Richter, Ludwig (Hg.), Nationalliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1999.
Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, Band 2, Berlin 1931, S. 1273.
Richter, Ludwig, Die Deutsche Volkspartei 1918-1933, Düsseldorf 2002.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 641-642.
Online
Verzeichnis der Professorinnen und Professoren der Universität Mainz. [online]
Vossische Zeitung zur Oberbürgermeisterwahl in Dresden 1931. [online]
Martin Wolf: Zum Gedenken an Otto Most. [online]
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Frölich, Jürgen, Otto Most, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-most/DE-2086/lido/5e661fa944c418.53355978 (abgerufen am 07.10.2024)