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Das Verhältnis von Kirche und Staat ist in der frühen Bundesrepublik maßgeblich von dem rheinischen Prälaten Wilhelm Böhler geprägt worden. Als Leiter des Katholischen Büros Bonn vertrat er von 1950 bis zu seinem Tod im Jahr 1958 die Interessen der katholischen Kirche gegenüber den staatlichen Verfassungsorganen und den politischen Parteien. Doch schon zu Zeiten der Weimarer Republik hatte sich der umtriebige Geistliche insbesondere auf dem Feld des Schulwesens als versierter Kirchenpolitiker profiliert.
Am 18.11.1891 wurde Wilhelm Johannes Böhler wenige Kilometer nordwestlich von Euskirchen in dem kleinen Dorf Wichterich geboren. An der dortigen Volksschule lehrte sein Vater, Wilhelm Böhler (1858-1940), der zugleich als Organist, Kirchenrendant sowie im Kirchenchor tätig war. Seine Mutter Katharina (1865-1954), geborene Jülich, stammte aus dem benachbarten Frauenberg und engagierte sich ebenfalls kirchlich. Böhler wuchs somit im Milieu des rheinischen Katholizismus auf, in dem der Bismarcksche Kulturkampf auch nach seiner offiziellen Beendigung im Jahr 1887 präsent blieb.
Vom Umzug der Familie Böhler in das damals noch selbständige Rath bei Düsseldorf, wo der Vater weiterhin als Volksschullehrer, später im Amt des Konrektors, arbeitete, profitierte vor allem die Schulbildung Wilhelm Böhlers. Seit 1902 besuchte er das „Königliche Hohenzollern-Gymnasium“. An diesem ältesten humanistischen Gymnasium Düsseldorfs, das bereits 1545 gegründet und lange Zeit von Jesuiten geführt worden war, hatten vor Böhler zahlreiche bekannte und gelehrte Persönlichkeiten die Schulbank gedrückt, unter ihnen Heinrich Heine, Carl Sonnenschein oder Johannes Maria Verweyen. Unmittelbar nach seinem Abitur immatrikulierte sich Böhler im Mai 1911 an der Universität Bonn für ein Studium der katholischen Theologie. Zu seinen akademischen Lehrern zählte unter anderem der damals renommierte Kirchenhistoriker Heinrich Schrörs. Kriegsbedingt verkürzten sich sowohl Böhlers Studium als auch seine Ausbildung im Priesterseminar, so dass er bereits am 24.6.1915 vom Kölner Erzbischof Felix Kardinal von Hartmann zum Priester geweiht und zum Kaplan an der Münsterkirche in Mönchengladbach berufen wurde.
Die 1917 erfolgte nebenamtliche Übernahme des Postens als Caritasdirektor in Mönchengladbach erweist sich rückblickend als Beginn seiner Karriere in der Organisations- und Verbandsarbeit der katholischen Kirche. Der nächste Schritt folgte 1920 mit der Ernennung zum Generalsekretär der Katholischen Schulorganisation Deutschlands, die ihren Sitz in Düsseldorf hatte und der die Bischöfliche Zentrale für Ordensschulen und Ordensinternate angegliedert war. Die unter Böhler vollzogene strukturelle Aufbautätigkeit der 1911 gegründeten Schulorganisation stand im Zeichen der Verwissenschaftlichung, Publizitätssteigerung und Koordinierung der katholischen Schularbeit in Deutschland, deren Interessen auch gegenüber der Politik vertreten werden sollten. Böhlers Kernanliegen während der 1920er Jahre, die Verabschiedung eines die Bekenntnisschulen stärkenden Reichsschulgesetzes, scheiterte zwar an parteipolitischen und interkonfessionellen Konflikten, doch erwies sich sein jahrelanger Einsatz in dieser Sache in vielerlei Hinsicht als prägend für seine weitere kirchenpolitische Tätigkeit. Zunächst gilt dies für seine strikte Orientierung an den Vorgaben des Episkopates. Da für Böhler kirchliches Engagement niemals ohne oder gar gegen den Willen der Bischöfe vorstellbar gewesen wäre, vollzog sich auch die von ihm betriebene Einbindung der Laien ganz auf der hierarchieorientierten Linie der Katholischen Aktion, als deren deutscher Generalsekretär Böhler seit 1922 zusätzlich amtierte.
Darüber hinaus lernte er bereits zu Weimarer Zeiten jenes Handwerkszeug, das ihm später als Leiter des Katholischen Büros zugutekommen sollte: Er baute reichsweit ein Netz katholischer Kontaktpersonen vornehmlich aus den Bereichen von Politik und Wissenschaft auf, vertrat mit deren Unterstützung die kirchlichen Anliegen bei den zuständigen staatlichen Stellen und knüpfte Kontakte zu den der katholischen Kirche nahestehenden Parteien. Der Zentrumspartei kam hierbei die Rolle als gleichsam natürlicher Partner auch deswegen zu, weil Wilhelm Marx, der viermalige Reichskanzler der Weimarer Republik, Gründer und erster Vorsitzender der Katholischen Schulorganisation war. Schließlich beeinflusste auch der inhaltliche Gegenstand von Böhlers Tätigkeit seinen weiteren Lebensweg: Bis zu seinem Tod im Jahr 1958 galt sein Hauptinteresse der Kulturpolitik, insbesondere der Schulpolitik; über die politischen Umbrüche hinweg gehörte Böhlers „Kampf“ für die Bekenntnisschule zu den Konstanten seines kirchenpolitischen Engagements.
Nach der NS-Machtübernahme kam es erzwungenermaßen zu einer Neustrukturierung des katholischen Verbands- und Organisationswesens. Um angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus weiterhin auf die Infrastruktur der Schulorganisation zurückgreifen zu können, wurde sie in die im Oktober 1933 gegründete und von Böhler geleitete Bischöfliche Hauptarbeitsstelle für die Katholische Aktion eingegliedert.
Die im März 1935 erfolgte Ernennung Böhlers zum Pfarrer der Gemeinde St. Mariä Himmelfahrt in Essen-West ist offensichtlich als Schutzmaßnahme für den exponierten Kirchenpolitiker zu betrachten. Dennoch bewahrte ihn der Rückzug aus der Organisationstätigkeit nicht vor einer mehrwöchigen „Schutzhaft“, die Böhler vom 15.1.-19.3.1938 im Düsseldorfer Polizeigefängnis erdulden musste. Gesundheitlich angeschlagen, verbrachte Böhler die Tage nach seiner Haftentlassung im Düsseldorfer St. Martinskrankenhaus, wo ihn Ende März eine Nachricht der Gestapo erreichte, dass die Bischöfliche Hauptarbeitsstelle samt der Katholischen Schulorganisation, dessen Vorstandsmitglied Böhler geblieben war, aufgelöst worden seien, da ihnen staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wurde. Am Einspruch der Nationalsozialisten scheiterte auch der Versuch von Erzbischof Josef Frings, Böhler in das Kölner Domkapitel zu berufen. Im Oktober 1945 stand diesem Schritt nichts mehr im Wege. Als Domkapitular und Leiter der Schulabteilung des Generalvikariats avancierte Böhler in der Nachkriegszeit mehr und mehr zum engsten Berater des Kölner Kardinals in politischen Fragen. Die von Frings am 25.10.1948 vorgenommene Ernennung Böhlers zum Vertreter und Ansprechpartner der katholischen Kirche gegenüber dem Parlamentarischen Rat unterstreicht einerseits das kirchenpolitische Renommee des Beauftragten, andererseits aber auch den Willen der Fuldaer Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Frings war, an der Gestaltung des zu konstituierenden Staatswesens in Deutschland aktiv mitzuwirken. Davon zeugt auch die nach Gründung der Bundesrepublik erfolgte Einrichtung des Katholischen Büros in Bonn, dessen erster Leiter Böhler wurde.
Das Katholische Büro diente als Schnittstelle zwischen der Kirche auf der einen und staatlichen Verfassungsorganen, Ministerialbürokratie und politischen Parteien auf der anderen Seite. Es kam darauf an, die laufenden Gesetzgebungsverfahren auf ihre kirchliche Relevanz hin zu beobachten, um möglichst frühzeitig Ansprüche geltend machen beziehungsweise mit Expertisen bereitstehen zu können, wobei die Grenzen zum Zuständigkeitsbereich der Apostolischen Nuntiatur in Bad Godesberg nicht überschritten werden durften. In der Praxis entwickelte sich so eine oftmals mit dem Begriff der „Partnerschaft“ umschriebene Beziehung zwischen Kirche und Staat in der Bundesrepublik. Für zahlreiche Politiker der CDU/CSU wurde darüber hinaus das im Katholischen Büro beherbergte, 1951 gegründete „Klubhaus Bonn“ (heute: Wilhelm-Böhler-Klub) zu einem bedeutenden informellen Forum. Einmal wöchentlich kamen sie dort zusammen, um im geselligen Rahmen mit Vertretern der Kirche und kirchennahen Wissenschaftlern über anstehende Fragen der Tagespolitik zu diskutieren. Mitglieder des Klubhauses waren unter anderem Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano (1904-1964), Hans Globke, Kurt Georg Kiesinger (1904-1988) oder auch Franz Josef Strauß (1915-1988).
Vergleichbare Beziehungen zwischen der katholischen Amtskirche und Vertretern von SPD und FDP gab es in den 1950er Jahren nicht. Versuche beider Parteien zur offiziellen Kontaktaufnahme scheiterten nicht zuletzt am Veto Böhlers, der insbesondere auf dem Feld der Kulturpolitik keinerlei Annäherungsmöglichkeiten zwischen den Forderungen der katholischen Kirche und denen der Sozialdemokratie und des Liberalismus sah.
Nicht spannungsfrei, aber konstruktiv gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Böhler und seinem evangelischen Amtsbruder Hermann Kunst (1907-1999), der als „Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am Sitz der BRD“ versuchte, dem deutlich vielstimmigeren westdeutschen Protestantismus im politischen Bonn Gestalt und Stimme zu verleihen.
Auch wenn sich die katholische Kirche im Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik noch vergleichsweise geschlossen zeigte, versuchte Böhler, die innerkatholische Meinungsbildung bezeihungsweise die kirchliche Präsenz im politischen Raum im Umfeld seines Katholischen Büros zu koordinieren. Von zentraler Bedeutung waren in diesem Zusammenhang zwei von Böhler führend mitgestaltete Neugründungen aus dem Jahr 1952. Einerseits kam es zur Gründung der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), die ihren Sitz ebenfalls im Katholischen Büro hatte und von der sich Böhler eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung versprach. Andererseits konstituierte sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das sich nach seinem Statut als von der Autorität der Bischöfe getragener Zusammenschluss der im Laienapostolat der katholischen Kirche in Deutschland tätigen Kräfte betrachtete – eine Definition, die ganz im Sinne der von Böhler mitgetragenen Katholischen Aktion war.
Bonn war in jenen Jahren indes nur eines von drei rheinischen Zentren seiner Tätigkeit. In Düsseldorf hatte Böhler als Leiter eines weiteren Katholischen Büros die Interessen der nordrhein-westfälischen Diözesen gegenüber der Landesregierung zu vertreten, und im Kölner Generalvikariat in der Marzellenstraße nahm sich der Domkapitular seiner Aufgaben innerhalb des Erzbistums an. Auf seine angeschlagene Gesundheit hat der schwer Zuckerkranke dabei wenig Rücksicht genommen. Am 25.7.1958 starb Böhler im Kölner Marienhospital an den Folgen einer Operation. Im Anschluss an ein Pontifikalrequiem, das im Kölner Dom im Beisein zahlreicher Politiker und Regierungsvertreter aus Bonn und Düsseldorf von Kardinal Frings zelebriert worden war, wurde Böhler am 30.7.1958 auf dem Domherrenfriedhof beigesetzt.
Bei allen Erfolgen, die Böhler als Interessenvertreter der katholischen Kirche erzielen konnte, blieb sein Wirken nicht unumstritten. So sah er sich aus den Reihen einer kritischen Öffentlichkeit den Vorwürfen klerikaler Machtambitionen sowie einer konfessionalistischen Blickverengung ausgesetzt. Gleichwohl fand sein Werk insbesondere seitens des Heiligen Stuhls schon zu Lebzeiten eine umfassende Würdigung. Papst Pius XII. (Pontifikat 1939-1958) ernannte Böhler 1948 zum Päpstlichen Hausprälaten, vier Jahre später zum Apostolischen Protonotar, bevor er ihm 1956 den seltenen persönlichen Ehrentitel „Exzellenz“ verlieh. Darüber hinaus war Böhler Ehrendomherr der Kathedrale in Le Mans, Offizier der französischen Ehrenlegion sowie Komtur und Prior der rheinisch-westfälischen Provinz des Ritterordens vom Heiligen Grabe zu Jerusalem.
Schriften
Böhler, Wilhelm, Die katholische Schulorganisation, Düsseldorf 1922.
Böhler, Wilhelm, Katholische Kirche und Staat in Deutschland. Erinnerungen, Feststellungen, Grundsätzliches, in: Politische Bildung. Schriftenreihe der Hochschule für Politische Wissenschaften München 44 (1953), S. 123-146.
Literatur
In Memoriam Wilhelm Böhler. Erinnerungen und Begegnungen. In Verbindung mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken hg. v. Bernhard Bergmann u. Josef Steinberg, Köln 1965. van Schewick, Burkhard, Wilhelm Böhler (1891-1958), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 4, hg. von Jürgen Aretz, Rudolf Morsey u. Anton Rauscher, Mainz 1980, S. 197-207.
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Buchna, Kristian, Wilhelm Böhler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-boehler/DE-2086/lido/57c58544401766.29800528 (abgerufen am 13.11.2024)