Albert Steeger

Niederrheinischer Heimatforscher, Museumsleiter (1885–1958)

Alexander Friedman (Düsseldorf)

Porträtfoto von Albert Steeger. (LVR-Fachbereich Kommunikation)

Als her­aus­ra­gen­der Wis­sen­schaft­ler und Mu­se­ums­päd­ago­ge leis­te­te Al­bert Stee­ger ei­nen we­sent­li­chen Bei­trag zur Ent­wick­lung der nie­der­rhei­ni­schen Hei­mat­for­schung im 20. Jahr­hun­dert. Wäh­rend sei­ne wis­sen­schaft­li­che For­schung gro­ße Be­ach­tung ver­dient, wur­de sei­ne Kar­rie­re im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus lan­ge Zeit we­nig be­rück­sich­tigt. Zwar hat sich Stee­ger im „Drit­ten Reich“ nicht als über­zeug­ter Na­tio­nal­so­zia­list oder „brau­ner Hei­mat­for­scher“ pro­fi­liert, sei­ne Dis­tanz zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus war je­doch deut­lich kür­zer, als Stee­ger dies in den spä­ten 1940er Jah­ren sug­ge­rier­te und wie es lan­ge Zeit an­ge­nom­men wur­de.

Al­bert Stee­ger kam am 1.11.1885 als drit­tes von zehn Kin­dern des We­be­rei­di­rek­tors Kon­rad Stee­ger und sei­ner Ehe­frau Ma­ria ge­bo­re­ne Lens­sen in Lob­be­rich auf die Welt. 1891-1900 be­such­te er dort die Volks­schu­le, der sich zwei Jah­re Pri­vat­un­ter­richt an­schlos­sen. 1902-1905 ab­sol­vier­te er das Leh­rer­se­mi­nar in Kem­pen. Ab 1905 war er Volks­schul­leh­rer in Nieu­kerk (heu­te Ge­mein­de Kerken), Ba­erl (heu­te Stadt Duis­burg) und Meer­beck (heu­te Stadt Mo­ers). 1908 leg­te er das zwei­te Leh­rer­ex­amen, 1911 das für Mit­tel­schul­leh­rer ab. 1912 wech­sel­te Stee­ger an die Städ­ti­sche Bür­ger­schu­le für Mäd­chen (heu­te Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Schu­le) in Kre­feld. Er nahm am Ers­ten Welt­krieg teil und stu­dier­te an­schlie­ßend in Köln (Geo­gra­phie) und Bonn (Geo­lo­gie). Als Ex­ter­ner 1923 an der Uni­ver­si­tät zu Köln mit ei­ner na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Dis­ser­ta­ti­on über „Das gla­cia­le Di­luvi­um des Nie­der­rhei­ni­schen Tief­lan­des und sei­ne Be­zie­hun­gen zum nie­der­län­di­schen und nord­deut­schen Di­luvi­um“ zum Dr. rer.nat. pro­mo­viert, über­nahm der fünf­fa­che Fa­mi­li­en­va­ter – 1916 hat­te er Ka­tha­ri­na Ca­pell aus Kem­pen ge­hei­ra­tet – 1926 die Lei­tung der heu­ti­gen Ma­ri­an­ne-Rho­di­us-Schu­le und setz­te gleich­zei­tig sei­ne wis­sen­schaft­li­che For­schung im Raum Kre­feld fort. Er be­fass­te sich da­bei mit bio­lo­gi­schen, bo­ta­ni­schen und geo­lo­gi­schen The­men und nahm sich ins­be­son­de­re der Ar­chäo­lo­gie und Sied­lungs­ge­schich­te des lin­ken Nie­der­rheins an. Ab 1934 kon­zen­trier­te sich Al­bert Stee­ger auf die Aus­gra­bun­gen im rö­mi­schen Kas­tell Gel­du­ba (Kre­feld-Gel­lep). 

Noch im Früh­jahr 1933 ge­hör­te der ka­tho­li­sche Rek­tor der Zen­trums­par­tei an. Trotz­dem ar­ran­gier­te Stee­ger sich schnell mit den neu­en „brau­nen Macht­ha­bern“: 1933 schloss er sich der NS­DAP (Mit­glieds­num­mer 3.475.356) und der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kriegs­ver­sor­gung (NS­KOV) an. Als Leh­rer trat er in den NS-Leh­rer­bund und als Kriegs­ve­te­ran in den NS-Reichs­krie­ger­bund ein. Dar­über hin­aus ge­hör­te er dem Reichs­ko­lo­ni­al­bund an. 

Wäh­rend der NS-Zeit agier­te Stee­ger sehr vor­sich­tig, ver­mied nach Mög­lich­keit die völ­ki­sche Rhe­to­rik und be­fass­te sich vor al­lem mit der Hei­mat­for­schung. Er pro­fi­tier­te da­bei von ei­ner güns­ti­gen po­li­ti­schen Kon­junk­tur, dem ho­hen Stel­len­wert „ger­ma­ni­scher The­men“ im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und ihm wohl­wol­lend ge­sinn­ten NS-Funk­tio­nä­ren wie dem Kre­fel­der Ober­bür­ger­meis­ter, SA-Ober­sturm­bann­füh­rer Dr. Alois Heuyng (1890–1973), dem NS­DAP-Gau­lei­ter von Düs­sel­dorf, Fried­rich Karl Flo­ri­an (1894–1975) so­wie dem „Be­auf­trag­ter des Füh­rers für die Über­wa­chung der ge­sam­ten geis­ti­gen und welt­an­schau­li­chen Schu­lung und Er­zie­hung der NS­DA­P“, Reichs­lei­ter Al­fred Ro­sen­berg (1893–1946), die das Pro­pa­gan­d­a­po­ten­ti­al sei­ner For­schungs­pro­jek­te er­kann­ten und un­ter­stütz­ten, um das völ­ki­sche Ge­dan­ken­gut zu ver­brei­ten.

Zur Kre­fel­der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stadt­ver­wal­tung pfleg­te Stee­ger be­reits in den frü­hen 1930er Jah­ren ei­ne en­ge Be­zie­hung. Sei­ne Aus­gra­bun­gen in Gel­lep und sein Aus­stel­lungs­pro­jekt „2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein“ (Kai­ser-Wil­helm-Mu­se­um Kre­feld, 27.10.-30.11.1935) wur­den von der Stadt Kre­feld un­ter­stützt. 1936 ver­ließ Stee­ger den Schul­dienst und wur­de mit der Lei­tung der Hei­mat­for­schung in Kre­feld be­traut. In die­ser Funk­ti­on war er für die Ein­rich­tung ei­nes Hei­mat­hau­ses des Nie­der­rheins am Kre­fel­der Nord­wall (1938-1943) zu­stän­dig, in dem die von ihm ku­ra­tier­te Aus­stel­lung „Burg und Stadt am Nie­der­rhein – 1000 Jah­re deut­sches Hand­wer­k“ im Som­mer 1938 ge­zeigt wur­de. Schirm­herr der Aus­stel­lung war Reichs­lei­ter Al­fred Ro­sen­berg.

Als Hei­mat­for­scher und Mu­se­ums­pfle­ger be­geis­ter­te sich Stee­ger für das Kon­zept ei­nes Frei­licht­mu­se­ums, das er un­be­dingt in Kre­feld er­rich­ten woll­te. Wäh­rend die Kre­fel­der Stadt­ver­wal­tung sich für die­ses am­bi­tio­nier­te Pro­jekt auf­ge­schlos­sen zeig­te, such­te Stee­ger die Un­ter­stüt­zung des Lan­des­haupt­man­nes der Rhein­pro­vinz, SA-Ober­grup­pen­füh­rer Hein­rich Haa­ke (1892–1945), und vor al­lem des Lan­des­rats und Lei­ters der Kul­tur­ab­tei­lung der Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung, des Kunst­his­to­ri­kers und NS­DAP-Mit­glieds ab 1927, Hans Joa­chim Apf­fel­sta­edt (1902–1944), die wie­der­um ih­re wohl­wol­len­de Hal­tung si­gna­li­sier­ten. Die Kre­fel­der Stadt­ver­wal­tung un­ter­stütz­te 1938 Stee­gers Stu­di­en­rei­sen nach Skan­di­na­vi­en (Dä­ne­mark, Nor­we­gen, Schwe­den, Finn­land), wo die ers­ten Frei­licht­mu­se­en be­reits vor dem Ers­ten Welt­krieg ent­stan­den wa­ren. In den 1930er und den frü­he­ren 1940er Jah­ren hielt sich der Hei­mat­for­scher au­ßer­dem in Bel­gi­en und vor al­lem in den Nie­der­lan­den auf, wo er nach ei­ge­nen An­ga­ben geo­lo­gisch-agro­no­mi­sche und ar­chäo­lo­gi­sche Stu­di­en so­wie Bau­ern­haus­stu­di­en be­trie­ben ha­be, Mo­del­le von Städ­ten und Burg hat­te an­fer­ti­gen und „an­ti­ke häus­li­che Ge­rä­te“ und „nie­der­rhei­ni­sche Kar­ten“ für sei­ne Kre­fel­der Pro­jek­te an­kau­fen las­sen. Die im Mu­se­um Burg Linn er­hal­ten ge­blie­be­nen In­ven­ta­re be­stä­ti­gen sei­ne re­ge An­kaufs­tä­tig­keit im deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­raum (Ven­lo, Ro­er­mond) vor und nach der deut­schen Ok­ku­pa­ti­on der Nie­der­lan­de im Mai 1940.

Im Ok­to­ber 1943 er­hielt der pro­mo­vier­te Geo­lo­ge Stee­ger die Eh­ren­dok­tor­wür­de sei­ner Al­ma Ma­ter, der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn. Die­se Eh­ren­pro­mo­ti­on, die Stee­gers wis­sen­schaft­li­che Kar­rie­re im „Drit­ten Reich“ krön­te, lässt sich pri­mär auf Stee­gers be­acht­li­che For­schungs­leis­tun­gen zu­rück­füh­ren. Al­lein zwi­schen 1933 und 1942 er­schie­nen mehr als 30 Pu­bli­ka­tio­nen, in de­nen sich der Ver­fas­ser – so Stee­ger im Jahr 1948 – „aus­schlie­ß­lich auf Spe­zi­al­fra­gen zur Geo­gra­phie, Geo­lo­gie, Ar­chäo­lo­gie und Sied­lungs­ge­schich­te des lin­ken Nie­der­rhein­s“ kon­zen­triert ha­be. Er ha­be dar­über hin­aus Vor­trä­ge „vor­nehm­lich in na­tur­wis­sen­schaft­li­chen, ar­chäo­lo­gi­schen, his­to­ri­schen und hei­mat­kund­li­chen Ge­sell­schaf­ten und Ver­ei­nen“ ge­hal­ten, eben­so auf Orts­grup­pen- be­zie­hungs­wei­se Zel­len­a­ben­den der NS­DAP und im NS-Leh­rer­bund ge­spro­chen. 

Durch den Ent­na­zi­fi­zie­rungs­aus­schuss im März 1948 als „Mit­läu­fer“ ein­ge­stuft, konn­te Al­bert Stee­ger sei­ne Kar­rie­re in der Bun­des­re­pu­blik fort­set­zen. In den spä­ten 1940er Jah­ren stieg er zum Mu­se­ums­lei­ter der Stadt Kre­feld auf und war 1952 bei der Ein­rich­tung des Land­schafts­mu­se­ums fe­der­füh­rend. Wie schon in der NS-Zeit setz­te er sich un­er­müd­lich für das Pro­jekt ei­nes rhei­ni­schen Frei­licht­mu­se­ums in Kre­feld ein, das je­doch nicht um­ge­setzt wur­de. Bei der Er­rich­tung des Ar­chäo­lo­gi­schen Mu­se­ums des Mu­se­ums­zen­trums Burg Linn (frü­her Nie­der­rhei­ni­sches Land­schafts­mu­se­um, 1952) spiel­te er die ma­ß­geb­li­che Rol­le. 

In der Bun­des­re­pu­blik der 1950er Jah­re ge­noss Stee­ger gro­ßes An­se­hen: 1954 wur­de er mit dem Gro­ßen Ver­dienst­kreuz des Ver­dienst­or­dens der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aus­ge­zeich­net. Sei­nen Na­men tra­gen so­wohl ei­ne Stra­ße (seit 1966 die frü­he­re Greif­fen­berg­stra­ße) als auch die Hei­mat­schu­le bei Burg Linn (seit 1958). Die Stadt­spar­kas­se Kre­feld gab 1986 ei­ne Al­bert-Stee­ger-Ge­denk­me­dail­le her­aus. Seit 1958 be­zie­hungs­wei­se 1960 ver­leiht der Kre­fel­der Ver­ein Nie­der­rhein e.V. die Al­bert-Stee­ger-Pla­ket­te für be­son­de­re Ver­diens­te auf dem Ge­biet der Hei­mat­kul­tur­pfle­ge. Hin­zu kommt der Al­bert-Stee­ger-Preis (frü­her Al­bert-Stee­ger-Sti­pen­di­um), mit dem der Land­schafts­ver­band Rhein­land 1956 bis 2019 be­son­ders qua­li­fi­zier­te wis­sen­schaft­li­che Ar­bei­ten zu The­men der Rhei­ni­schen Lan­des­kun­de aus­zeich­ne­te. 2021 wur­de der Preis um­be­nannt (vgl. Gut­ach­ten un­ter "sie­he auch").[1] Al­bert Stee­ger starb am 15.3.1958 in Kre­feld.

Noch am 15.3.2008 wür­dig­te die „West­deut­sche Zei­tun­g“ „den wohl letz­ten Uni­ver­sal­ge­lehr­ten vom Nie­der­rhein“, „der sich auf al­len Ge­bie­ten der Volks- und Hei­mat­kun­de aus­kann­te“, der „der ge­sam­ten Land­schaft sei­nen Stem­pel auf­ge­drück­t“ und „wis­sen­schaft­li­che Tex­te über die Geo­lo­gie, die Bo­ta­nik und über Sied­lungs­ge­schich­te“ ver­fasst ha­be, „die grö­ß­ten­teils auch noch heu­te gel­ten“. Ge­meint war der nie­der­rhei­ni­sche Hei­mat­for­scher Al­bert Stee­ger. 

Quellen

Ar­chiv des Land­schafts­ver­bands Rhein­land, Nr. 12632, 12634, 17091, 80211.
Uni­ver­si­täts­ar­chiv Bonn, PF 77-646: Eh­ren­pro­mo­ti­on Stee­ger.
Lan­des­ar­chiv NRW R 1010 Nr. 11849, Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren Al­bert Stee­ger.
Bun­des­ar­chiv Ber­lin. BArch R 9361-VIII Kar­tei­kar­te 22890047, BArch R. 9361 – IX Kar­tei 42551217: Al­bert Stee­gers NS­DAP-Mit­glie­der­kar­tei­kar­ten (NS­DAP-Gau­kar­tei, NS­DAP-Zen­tral­kar­tei). 

Werke (Auswahl)

2000 Jah­re ger­ma­ni­sches Bau­ern­tum am lin­ken Nie­der­rhein. Fest­schrift zur Aus­stel­lung im Kai­ser-Wil­helm-Mu­se­um Kre­feld 27. Ok­to­ber bis En­de No­vem­ber 1935 (Son­der­heft der Kre­fel­der Zeit­schrift für Nie­der­rhei­ni­sche Hei­mat­pfle­ge „Die Hei­ma­t“, Heft 3-4), Kre­feld 1935.

Fest­schrift Aus­stel­lung Burg und Stadt am Nie­der­rhein – 1000 Jah­re Deut­sches Hand­werk. Hei­mat­haus des Nie­der­rheins, Kre­feld, Nord­wall, Ju­ni bis Sep­tem­ber 1938 (Son­der­heft der Kre­fel­der Zeit­schrift für Nie­der­rhei­ni­sche Hei­mat­pfle­ge „Die Hei­ma­t“ 17, Heft 2–3), Kre­feld 1938.

Stee­ger, Al­bert, Stu­di­en zur nie­der­rhei­ni­schen Lan­des­kun­de, Keve­la­er 1981 [mit Schrif­ten­ver­zeich­nis].  

Literatur

Bor­ger, Hu­go, Al­bert Stee­ger (1885–1958), in: Stee­ger, Al­bert, Stu­di­en zur nie­der­rhei­ni­schen Lan­des­kun­de, Keve­la­er 1981, S. 13–23. 

Fried­man, Alex­an­der, Hei­mat­for­scher Pro­fes­sor Dr.  Dr. h.c. Al­bert Stee­ger (1885–1958) und sei­ne Rol­le im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus.

In­gen­pahs, Heinz-J., To­des­tag von Al­bert Stee­ger – Kre­felds letz­tes Uni­ver­sal­ge­nie, in: West­deut­sche Zei­tung, 14.3.2008.

Kre­mers, Eli­sa­beth, Das Ge­den­ken an Al­bert Stee­ger (1. No­vem­ber 1895 – 15. März 1958), in: Die Hei­mat 79 (2008), S. 110–112.

Reich­mann, Chris­toph, Das „Hei­mat­mu­se­um des Nie­der­rhein­s“ in Kre­feld, in: Cil­le­ßen, Wolf­gang (Hg.), „Hei­mat­lie­be & Va­ter­land­streu­e“. Nie­der­rhei­ni­sche Mu­se­en vom Kai­ser­reich zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, We­sel 2000, S. 346–353.

 
Zitationshinweis

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Friedman, Alexander, Albert Steeger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-steeger-/DE-2086/lido/60cc6477cd2b56.87759495 (abgerufen am 08.05.2024)