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Als herausragender Wissenschaftler und Museumspädagoge leistete Albert Steeger einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der niederrheinischen Heimatforschung im 20. Jahrhundert. Während seine wissenschaftliche Forschung große Beachtung verdient, wurde seine Karriere im Nationalsozialismus lange Zeit wenig berücksichtigt. Zwar hat sich Steeger im „Dritten Reich“ nicht als überzeugter Nationalsozialist oder „brauner Heimatforscher“ profiliert, seine Distanz zum Nationalsozialismus war jedoch deutlich kürzer, als Steeger dies in den späten 1940er Jahren suggerierte und wie es lange Zeit angenommen wurde.
Albert Steeger kam am 1.11.1885 als drittes von zehn Kindern des Webereidirektors Konrad Steeger und seiner Ehefrau Maria geborene Lenssen in Lobberich auf die Welt. 1891-1900 besuchte er dort die Volksschule, der sich zwei Jahre Privatunterricht anschlossen. 1902-1905 absolvierte er das Lehrerseminar in Kempen. Ab 1905 war er Volksschullehrer in Nieukerk (heute Gemeinde Kerken), Baerl (heute Stadt Duisburg) und Meerbeck (heute Stadt Moers). 1908 legte er das zweite Lehrerexamen, 1911 das für Mittelschullehrer ab. 1912 wechselte Steeger an die Städtische Bürgerschule für Mädchen (heute Marianne-Rhodius-Schule) in Krefeld. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil und studierte anschließend in Köln (Geographie) und Bonn (Geologie). Als Externer 1923 an der Universität zu Köln mit einer naturwissenschaftlichen Dissertation über „Das glaciale Diluvium des Niederrheinischen Tieflandes und seine Beziehungen zum niederländischen und norddeutschen Diluvium“ zum Dr. rer.nat. promoviert, übernahm der fünffache Familienvater – 1916 hatte er Katharina Capell aus Kempen geheiratet – 1926 die Leitung der heutigen Marianne-Rhodius-Schule und setzte gleichzeitig seine wissenschaftliche Forschung im Raum Krefeld fort. Er befasste sich dabei mit biologischen, botanischen und geologischen Themen und nahm sich insbesondere der Archäologie und Siedlungsgeschichte des linken Niederrheins an. Ab 1934 konzentrierte sich Albert Steeger auf die Ausgrabungen im römischen Kastell Gelduba (Krefeld-Gellep).
Noch im Frühjahr 1933 gehörte der katholische Rektor der Zentrumspartei an. Trotzdem arrangierte Steeger sich schnell mit den neuen „braunen Machthabern“: 1933 schloss er sich der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.475.356) und der Nationalsozialistischen Kriegsversorgung (NSKOV) an. Als Lehrer trat er in den NS-Lehrerbund und als Kriegsveteran in den NS-Reichskriegerbund ein. Darüber hinaus gehörte er dem Reichskolonialbund an.
Während der NS-Zeit agierte Steeger sehr vorsichtig, vermied nach Möglichkeit die völkische Rhetorik und befasste sich vor allem mit der Heimatforschung. Er profitierte dabei von einer günstigen politischen Konjunktur, dem hohen Stellenwert „germanischer Themen“ im Nationalsozialismus und ihm wohlwollend gesinnten NS-Funktionären wie dem Krefelder Oberbürgermeister, SA-Obersturmbannführer Dr. Alois Heuyng (1890–1973), dem NSDAP-Gauleiter von Düsseldorf, Friedrich Karl Florian (1894–1975) sowie dem „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, Reichsleiter Alfred Rosenberg (1893–1946), die das Propagandapotential seiner Forschungsprojekte erkannten und unterstützten, um das völkische Gedankengut zu verbreiten.
Zur Krefelder nationalsozialistischen Stadtverwaltung pflegte Steeger bereits in den frühen 1930er Jahren eine enge Beziehung. Seine Ausgrabungen in Gellep und sein Ausstellungsprojekt „2000 Jahre germanisches Bauerntum am linken Niederrhein“ (Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld, 27.10.-30.11.1935) wurden von der Stadt Krefeld unterstützt. 1936 verließ Steeger den Schuldienst und wurde mit der Leitung der Heimatforschung in Krefeld betraut. In dieser Funktion war er für die Einrichtung eines Heimathauses des Niederrheins am Krefelder Nordwall (1938-1943) zuständig, in dem die von ihm kuratierte Ausstellung „Burg und Stadt am Niederrhein – 1000 Jahre deutsches Handwerk“ im Sommer 1938 gezeigt wurde. Schirmherr der Ausstellung war Reichsleiter Alfred Rosenberg.
Als Heimatforscher und Museumspfleger begeisterte sich Steeger für das Konzept eines Freilichtmuseums, das er unbedingt in Krefeld errichten wollte. Während die Krefelder Stadtverwaltung sich für dieses ambitionierte Projekt aufgeschlossen zeigte, suchte Steeger die Unterstützung des Landeshauptmannes der Rheinprovinz, SA-Obergruppenführer Heinrich Haake (1892–1945), und vor allem des Landesrats und Leiters der Kulturabteilung der Provinzialverwaltung, des Kunsthistorikers und NSDAP-Mitglieds ab 1927, Hans Joachim Apffelstaedt (1902–1944), die wiederum ihre wohlwollende Haltung signalisierten. Die Krefelder Stadtverwaltung unterstützte 1938 Steegers Studienreisen nach Skandinavien (Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland), wo die ersten Freilichtmuseen bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstanden waren. In den 1930er und den früheren 1940er Jahren hielt sich der Heimatforscher außerdem in Belgien und vor allem in den Niederlanden auf, wo er nach eigenen Angaben geologisch-agronomische und archäologische Studien sowie Bauernhausstudien betrieben habe, Modelle von Städten und Burg hatte anfertigen und „antike häusliche Geräte“ und „niederrheinische Karten“ für seine Krefelder Projekte ankaufen lassen. Die im Museum Burg Linn erhalten gebliebenen Inventare bestätigen seine rege Ankaufstätigkeit im deutsch-niederländischen Grenzraum (Venlo, Roermond) vor und nach der deutschen Okkupation der Niederlande im Mai 1940.
Im Oktober 1943 erhielt der promovierte Geologe Steeger die Ehrendoktorwürde seiner Alma Mater, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Diese Ehrenpromotion, die Steegers wissenschaftliche Karriere im „Dritten Reich“ krönte, lässt sich primär auf Steegers beachtliche Forschungsleistungen zurückführen. Allein zwischen 1933 und 1942 erschienen mehr als 30 Publikationen, in denen sich der Verfasser – so Steeger im Jahr 1948 – „ausschließlich auf Spezialfragen zur Geographie, Geologie, Archäologie und Siedlungsgeschichte des linken Niederrheins“ konzentriert habe. Er habe darüber hinaus Vorträge „vornehmlich in naturwissenschaftlichen, archäologischen, historischen und heimatkundlichen Gesellschaften und Vereinen“ gehalten, ebenso auf Ortsgruppen- beziehungsweise Zellenabenden der NSDAP und im NS-Lehrerbund gesprochen.
Durch den Entnazifizierungsausschuss im März 1948 als „Mitläufer“ eingestuft, konnte Albert Steeger seine Karriere in der Bundesrepublik fortsetzen. In den späten 1940er Jahren stieg er zum Museumsleiter der Stadt Krefeld auf und war 1952 bei der Einrichtung des Landschaftsmuseums federführend. Wie schon in der NS-Zeit setzte er sich unermüdlich für das Projekt eines rheinischen Freilichtmuseums in Krefeld ein, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Bei der Errichtung des Archäologischen Museums des Museumszentrums Burg Linn (früher Niederrheinisches Landschaftsmuseum, 1952) spielte er die maßgebliche Rolle.
In der Bundesrepublik der 1950er Jahre genoss Steeger großes Ansehen: 1954 wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Seinen Namen tragen sowohl eine Straße (seit 1966 die frühere Greiffenbergstraße) als auch die Heimatschule bei Burg Linn (seit 1958). Die Stadtsparkasse Krefeld gab 1986 eine Albert-Steeger-Gedenkmedaille heraus. Seit 1958 beziehungsweise 1960 verleiht der Krefelder Verein Niederrhein e.V. die Albert-Steeger-Plakette für besondere Verdienste auf dem Gebiet der Heimatkulturpflege. Hinzu kommt der Albert-Steeger-Preis (früher Albert-Steeger-Stipendium), mit dem der Landschaftsverband Rheinland 1956 bis 2019 besonders qualifizierte wissenschaftliche Arbeiten zu Themen der Rheinischen Landeskunde auszeichnete. 2021 wurde der Preis umbenannt (vgl. Gutachten unter "siehe auch").[1] Albert Steeger starb am 15.3.1958 in Krefeld.
Noch am 15.3.2008 würdigte die „Westdeutsche Zeitung“ „den wohl letzten Universalgelehrten vom Niederrhein“, „der sich auf allen Gebieten der Volks- und Heimatkunde auskannte“, der „der gesamten Landschaft seinen Stempel aufgedrückt“ und „wissenschaftliche Texte über die Geologie, die Botanik und über Siedlungsgeschichte“ verfasst habe, „die größtenteils auch noch heute gelten“. Gemeint war der niederrheinische Heimatforscher Albert Steeger.
Quellen
Archiv des Landschaftsverbands Rheinland, Nr. 12632, 12634, 17091, 80211.
Universitätsarchiv Bonn, PF 77-646: Ehrenpromotion Steeger.
Landesarchiv NRW R 1010 Nr. 11849, Entnazifizierungsverfahren Albert Steeger.
Bundesarchiv Berlin. BArch R 9361-VIII Karteikarte 22890047, BArch R. 9361 – IX Kartei 42551217: Albert Steegers NSDAP-Mitgliederkarteikarten (NSDAP-Gaukartei, NSDAP-Zentralkartei).
Werke (Auswahl)
2000 Jahre germanisches Bauerntum am linken Niederrhein. Festschrift zur Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld 27. Oktober bis Ende November 1935 (Sonderheft der Krefelder Zeitschrift für Niederrheinische Heimatpflege „Die Heimat“, Heft 3-4), Krefeld 1935.
Festschrift Ausstellung Burg und Stadt am Niederrhein – 1000 Jahre Deutsches Handwerk. Heimathaus des Niederrheins, Krefeld, Nordwall, Juni bis September 1938 (Sonderheft der Krefelder Zeitschrift für Niederrheinische Heimatpflege „Die Heimat“ 17, Heft 2–3), Krefeld 1938.
Steeger, Albert, Studien zur niederrheinischen Landeskunde, Kevelaer 1981 [mit Schriftenverzeichnis].
Literatur
Borger, Hugo, Albert Steeger (1885–1958), in: Steeger, Albert, Studien zur niederrheinischen Landeskunde, Kevelaer 1981, S. 13–23.
Friedman, Alexander, Heimatforscher Professor Dr. Dr. h.c. Albert Steeger (1885–1958) und seine Rolle im Nationalsozialismus.
Ingenpahs, Heinz-J., Todestag von Albert Steeger – Krefelds letztes Universalgenie, in: Westdeutsche Zeitung, 14.3.2008.
Kremers, Elisabeth, Das Gedenken an Albert Steeger (1. November 1895 – 15. März 1958), in: Die Heimat 79 (2008), S. 110–112.
Reichmann, Christoph, Das „Heimatmuseum des Niederrheins“ in Krefeld, in: Cilleßen, Wolfgang (Hg.), „Heimatliebe & Vaterlandstreue“. Niederrheinische Museen vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus, Wesel 2000, S. 346–353.
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Friedman, Alexander, Albert Steeger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-steeger-/DE-2086/lido/60cc6477cd2b56.87759495 (abgerufen am 07.09.2024)