Zu den Kapiteln
Es entbehrte nicht einer an Zynismus grenzenden Ironie, dass der im „Dritten Reich“ durch seinen besonders ausgeprägten Antisemitismus aufgefallene und nicht zuletzt auch dadurch zum Köln-Aachener Gauleiter aufgestiegene Josef Grohé nach kaum vierjährigen Internierung ab 1950 als kaufmännischer Angestellter und Vertreter in der Spielwarenbranche (!) sein langes, bis zum Ende des Jahres 1987 dauerndes Leben mit finanzieren konnte. „Immer dabei, immer vorneweg“ wenn es darum ging, Nichtnationalsozialisten und ganz besonders Juden und Kommunisten verbal oder auch handgreiflich zu attackieren, schlug er noch als arrivierter Gauleiter im Jahre 1934 einem Saalwächter, der ihm ohne Eintrittskarte den Zutritt zum Rosenmontagsball der traditionsreichen „Roten Funken“ verweigert hatte, eher unkarnevalistisch und entschieden humorlos mehrere Zähne aus, und als es Mitte September 1944 darum ging, die damals etwa 50.000 Einwohner zählende Mittelstadt Düren zu evakuieren, „überzeugte“ Grohé den dortigen NSDAP-Kreisleiter Franz Binz durch Androhung seiner sofortigen Erschießung vom Sinn und Zweck des nationalsozialistischen „Endkampfes“, was am 16.11.1944 für etliche Tausend Menschen den Tod im Bombenhagel der alliierten „Operation Queen“ bedeuten sollte.
Geboren am 6.11.1902 im naturnahen und nichturbanen Hunsrückort Gemünden als neuntes von 13 Kindern des Kleinbauern und Gemischtwarenhändlers Friedrich Jakob Grohé und seiner Ehefrau Maria Anna, geborene Ostien, erlebte Josef Grohé eine karge und dennoch wohlbehütete kleinbürgerliche Kindheit, lediglich getrübt durch den Umstand, dass die Armut seiner Eltern den Besuch einer höheren Schule unmöglich machte, obwohl Grohés volksschulische Leistungen hervorragend waren: Dadurch war Grohé der einzige unter den vier rheinischen Gauleitern (Friedrich Karl Florian, Josef Grohé, Gustav Simon und Josef Terboven), der ohne höheren Schulabschluss blieb. Prägender aber, ja geradezu traumatisch war es für Grohé, dass seine bereits im Frühjahr 1918 erfolgte freiwillige Meldung zur Kriegsmarine durch den am 11.11.1918 unterzeichneten Waffenstillstand obsolet wurde, da Grohé bis zur Vollendung seines 16. Lebensjahres am 6.11.1918 zurückgestellt worden war und so nicht mehr ins Kriegsgeschehen hatte eingreifen können, was den jungen und auch den älteren Grohé zeitlebens als verpasste Gelegenheit verfolgt hat: „Die Niederlage des Deutsches Reiches zerschlug seinen Soldatentraum!“ (Peter Schmidt 1936 im „Westdeutschen Beobachter“).
Hinzu kamen der lange vor 1914 in seinem Heimatort verbreitete dezidierte Antisemitismus und auch Antimarxismus und eine 1919 in Gemünden veranstaltete Kundgebung mit dem späteren fränkischen Gauleiter und „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher (1885-1946), was zusammengenommen eine stabile Basis für ein „völkisches“ Weltbild formte. Im gleichen Jahr zog Grohé aus wirtschaftlichen Gründen nach Köln, wo er einen beruflichen Weg als Volontär und im Anschluss als kaufmännischer Angestellter unter anderem bei der Eisenwaren- und Bauartikelhandlung Hermann Kiegel und der in Köln-Nippes beheimateten alteingesessenen Armaturenfabrik August Hömig GmbH einschlug,von dem er jedoch schon 1921 zugunsten seiner politischen und ideologischen Überzeugung abzuweichen begann, indem er sich im Alter von gerade einmal 18 Jahren dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ (DVSTB) anschloss. Dort leitete er bald die „Gefolgschaft Köln-Nippes“, nachdem er – so zumindest die Kölner NSDAP-Legende – in einem Haus am Rinkenpfuhl 17 einen „deutschvölkischen Buchhandel entdeckt“ und im Gürzenich eine Rede des DVSTB-Propagandisten Heinrich Dolle gehört hatte.
Durch den Kölner DVSTB-Gründer Oberleutnant a.D. Egon Lützeler, der im Sommer 1921 nebenbei die Entstehung einer ersten (offiziell im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Hitler-Vertrauten Hermann Esser am 3.3.1922 gegründeten) Kölner NSDAP-Ortsgruppe initiiert hatte, fand der junge „Deutschvölkische“ Grohé den Zugang zur jungen NSDAP, die durch das am 18.7.1922 (nach der Ermordung Walther Rathenaus) ergangene Verbot des DVSTB zunächst enormen Zulauf zu verzeichnen hatte (darunter auch der noch mehrfach zu erwähnende Heinz Haake), aber am 18. November desselben Jahres selbst in Preußen verboten wurde. Dem Sabotage-Verbot Hitlers (!) und der Anweisung des ersten Kölner NSDAP-Ortsgruppenleiters Hermann Breuer zum Trotz beteiligte sich der junge Grohé an Attentaten gegen die verhassten französischen Ruhrbesetzer und musste schließlich im Frühjahr 1923 nach München fliehen, wo er erstmals mit Hitler zusammentraf: „Wenn ältere Nationalsozialisten sich mit ihren Front- oder Freikorpszeit rühmten, so tat er [Grohé] dies fortan mit seiner Teilnahme am „Ruhrkampf“.“ (Rolf Zerlett). Um die Jahreswende 1923/1924 kehrte Grohé nach Köln zurück, wo er sich an der Formierung eines als Tarnorganisation fungierenden „Deutschvölkischen Blocks“ - der im Mai 1924 in einem „Völkisch-Sozialen Block“ und im August desselben Jahres in der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“ aufging - beteiligte und ab Herbst 1924 als „Gaugeschäftsführer“ des „Gauführers“ Heinz Haake einer bis dahin politisch bedeutungslosen völkischen „Splittergruppe“ (Horst Matzerath) agierte.
Analog zum „Reich“ und zum Rheinland begann der eigentliche „Take-Off“ der Kölner Nationalsozialisten erst nach der Haftentlassung Hitlers am 20.12.1924, indem Haake, Grohé und der überwiegende Teil der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“ zur NSDAP überwechselten, sodass der offiziell am 27.2.1925 mit der Mitgliedsnummer 13340 (zum zweiten Male) in die von Hitler „neugegründete“ NSDAP eingetretene Grohé nun zum offiziellen „Gaugeschäftsführer“ unter dem Gauleiter des nunmehrigen Gaues Rheinland-Süd, Heinz Haake, avancierte. Haake aber war 1925 zum vorerst einzigen NSDAP-Abgeordneten in den Preußischen Landtag gewählt worden und deshalb häufig in Berlin, sodass sich Josef Grohé nicht nur als stellvertretender Gauleiter aufspielte, sondern durch seine Eigenmächtigkeiten den bereits im Juni 1925 erfolgten Rückzug Haakes geradezu provozierte, und es konnte keine Rede davon sein, dass Haake – wie es die NS-Legende schönte – „infolge seiner Kriegsverletzung“ das Handtuch als Gauleiter Rheinland-Süd geworfen hatte. Sein Nachfolger wurde aber nicht der gerade erst 22-jährige Grohé, der zusätzlich zu seinem „Gaugeschäftsführer“-Posten die Schriftleitung des am 10.5.1925 bestehenden „Westdeutschen Beobachters“ übernommen und wohl deshalb im Herbst des Jahres seinen bürgerlichen Beruf bei der Firma Hömig gekündigt hatte, sondern der zwölf Jahre ältere, nach der „Machtergreifung“ als NSDAP-Reichsorganisationsleiter und DAF-Chef auf Reichsebene karrieremachende promovierte Chemiker Dr. Robert Ley. Mit dessen Amtsantritt erlangte die nationalsozialistische Propaganda im Rheinland in der Tat „eine neue Qualität“, und zusammen mit Grohé bildete Ley von nun an ein propagandistisches „duo infernale“, welches bis Ende der 20er Jahre „(…) durch rücksichtslose Demagogie, Verleumdungen und Saalschlachten von sich reden machen sollte“ (Rolf Zerlett). Dabei ging die Loyalität des Gauleiters Ley immerhin so weit, seinen nassforschen „Gaugeschäftsführer“ Grohé auch dann noch im Amt zu halten, als dieser im Frühjahr 1926 durch seinen anmaßenden arroganten Umgang mit renitenten Kölner Ortsgruppenfunktionären Hitlers Unwillen dergestalt auf sich gezogen hatte, dass ihn nur Leys Intervention vor der von Hitler gewünschten Absetzung bewahrte. Grohé aber vergaß diese Lektion nie, und fortan hatte die Hitler-Ergebenheit Grohés stets Züge hündischer Anhänglichkeit, wie sogar zeitgenössische Photographien durchaus dokumentieren.
Denn gerade jetzt begannen die politischen Anstrengungen und Aufwendungen Grohés, der nach der erwähnten, im Herbst 1925 erfolgten Kündigung seiner Stelle als kaufmännischer Angestellter noch kein offizielles Partei-Gehalt bezog und dessen Monatseinkommen von 500 Reichsmark (bei der Firma Hömig) auf dann gerade einmal 100 Reichsmark zusammengeschrumpft und der die ersten Ausgaben des Kölner NSDAP-Blattes „Westdeutscher Beobachter“ zunächst noch in seinem möblierten Zimmer in der Kempener Straße 42 zu redigieren gezwungen gewesen war, auch in finanzieller Hinsicht Früchte zu tragen, wie die Verdreifachung seines einstigen „bürgerlichen“ Gehaltes bis Herbst 1930 deutlich dokumentierte. Zwei Jahre zuvor – am 4.8.1928 - hatte Grohé die gerade promovierte Chemikerin Dr. Johanna (Hanny) Fremdling (1901-1978), die er in der am Ubierring gelegenen Geschäftsstelle des „Westdeutschen Beobachters“ kennengelernt hatte, geheiratet, war gut ein Jahr später – am 17.11.1929 – als Fraktionsvorsitzender der vier in die Kölner Stadtverordnetenversammlung gewählten nationalsozialistischen Abgeordneten in selbige eingezogen und folgte nach der (Zwei-)Teilung des „Gaues Rheinland-Süd“ Ende Mai 1931 dem nun in München auf Reichsebene NS-Karriere machenden Dr. Robert Ley als Leiter des nunmehrigen „Gaues Köln-Aachen“ nach, womit Grohé für die folgenden 14 Jahre zum „Statthalter Hitlers“ in diesem Gebiet avanciert war.
Wie die gesamte NS-„Bewegung“ von der politischen Flutwelle der Reichstagswahlen vom 14.9.1930 emporgetragen und 1931 mit gerade einmal 29 Jahren einer der jüngsten Gauleiter der ohnehin „jungen“ NSDAP aufgestiegen, wurde Grohé wie fast alle anderen Nationalsozialisten von der „Machtergreifung“ dennoch überrascht, sodass es beinahe eines Monats der Besinnung zu bedürfen schien, bis Grohé und seine „Kampfzeit“-Genossen realisierten, dass nun die Stunde der jahrelang propagierten „Abrechnung“ mit dem verhassten Weimarer „System“ gekommen war. „Tod dem Marxismus und Tod dem Zentrum als erstem Bundesbruder des Marxismus!“ hatte Grohés ebenso abstruse wie demagogische Losung gelautet, deren Verwirklichung nun in Gestalt von Prügelorgien an Kommunisten (im „Braunen Haus“ in der Kölner Mozartstraße) oder der staatsstreichartigen Ablösung des langjährigen (Zentrums-) Oberbürgermeisters Konrad Adenauer durch den weitgehend unbekannten und willfährigen „Märzgefallenen“ Günter Riesen (1892-1951) nun so gnadenlos und gründlich angegangen wurde, dass die „Gleichschaltung“ der Stadt Köln wie auch des Gaues Köln-Aachen schon im Sommer 1933 als gelungen gelten konnte, symbolisiert durch den Umzug der NS-Geschäftsstelle von der Mozartstraße in das rheinufergelegene repräsentative Gebäude der alten Handelshochschule. Dort führte nun über dem Eingang ein schmiedeeiserner Adler vor Augen, dass die Herrschaft unterm Hakenkreuz begonnen hatte: „Grohé stand im Zenit seiner Macht.“ (Matzerath, Köln, S. 172).
Solchermaßen „Statthalter Hitlers“ (wie Martin Schwaebe 1936 Grohé im „Westdeutschen Beobachter“ hagiographierte) und „Vizekönig“ in seinem Gau Köln-Aachen, widmete sich der Gauleiter fortan nicht nur dem Ausbau seiner „Gauhauptstadt“ zu einer „Hansestadt“ und „Metropole des Westens“, sondern auch und besonders seinen ideologischen Grundüberzeugungen in Gestalt von Kirchenfeindlichkeit und Judenhass. Schon im Sommer 1934 hatte er beispielsweise anlässlich einer HJ-Versammlung ausgerufen, dass „(…) der Jude sterben muss“, und wann immer sich die Gelegenheit bot, baute der 1936 aus der katholischen Kirche ausgetretene Kölner Gauleiter an der von Goebbels geforderten „NS-Kathedrale“ eines einzigen gelebten (Hitler-) Glaubens mit, weshalb Grohé Ende 1939 einen Dürener HJ-Bannführer, der Hitlerjungen in wüster Weise zum Austritt aus der Kirche aufgerufen hatte, gegen Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887-1941) und „Reichsjugendführer“ Baldur von Schirach (1907-1974) in Schutz nahm und schließlich im Postendickicht „seines“ Gaues sicher unterbrachte. Dergestalt voller „Hitler-Glaube“, Kirchen- und Juden-Hass erlebte der ämter- und titelbeladene Kölner Gauleiter (beispielsweise Staatskommissar der Universität zu Köln, Preußischer Staatsrat, NSKK-Obergruppenführer) dann im Juli 1944 einen neuerlichen und letzten Karriereschub, als Hitler ihn zum „Reichskommissar“ für Belgien und Nordfrankreich ernannte, ein Amt aber, das durch den zügigen Vormarsch der Alliierten ein Muster ohne Macht bleiben sollte.
Im Kontext seines „Führer“-Glaubens war es nur konsequent, wenn der Köln-Aachener Gauleiter Hitlers Befehl der „Verbrannten Erde“ radikal befolgte und so im Frühjahr 1945 die Sprengung der fünf großen Kölner Brücken veranlasste und zum „Endkampf“ aufrief. Als aber Anfang März 1945 der Vormarsch der US-Truppen auf Köln begann, setzte sich Grohé auf das rechtsrheinische Ufer und schließlich Mitte April nach Mitteldeutschland ab. Nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai kehrte er in den Westen zurück, unternahm einen Selbstmordversuch und tauchte letztlich im Juni 1945 in Hessen mit falscher Identität als Landarbeiter unter, bis er im Juli 1946 von den britischen Behörden festgenommen werden konnte. Mehrfach interniert und zwischenzeitlich an Belgien ausgeliefert, zeigte er sich in seinem Verfahren vor dem Spruchgericht Bielefeld im September 1950 so geschickt und mitnichten geläutert, dass er lediglich zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, die durch die Internierungen bereits verbüßt waren, sodass er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte. Grohé „widerrief“ nie und starb am 27.12.1987 im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Brück.
Literatur
Först, Walter, Die rheinischen Gauleiter, in: Först, Walter (Hg.), Städte nach zwei Weltkriegen, Köln u.a. 1984, S. 121-139, 229-230.
Höffkes, Karl, Hitlers politische Generale. Die Gauleiter des Dritten Reiches. Ein biographisches Nachschlagewerk, Tübingen 1986.
Hüttenberger, Peter, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969.
Lilla, Joachim (Bearb.), Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933-1945. Ein biographisches Handbuch, Düsseldorf 2004.
Matzerath, Horst, Grohé, Josef, in: Soénius, Ulrich S. /Wilhelm Jürgen (Hg.), Kölner Personen-Lexikon, Köln 2008, S. 194-195.
Matzerath, Horst, Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Köln 2009.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 480.
Schmidt, Peter, Zwanzig Jahre Soldat Adolf Hitlers – Zehn Jahre Gauleiter. Ein Buch von Kampf und Treue. Köln 1941.
Schmidt, Peter, Bilder vom Werdegang unseres Gauleiters: Der Lebensweg eines Kämpfers [sic]. Josef Grohé, der Führer und Mensch“, in: „Westdeutscher Beobachter“ Nr. 520 vom 6.11.1936.
Schwaebe, Martin, „Unser Gauleiter“, in: „Westdeutscher Beobachter“ Nr. 520 vom 6.11.1936.
Wallraff, Horst, Nationalsozialismus in den Kreisen Düren und Jülich. Tradition und „Tausendjähriges Reich“ in einer rheinländischen Region 1933 bis 1945, 2. Auflage, Düren 2000.
Zerlett, Rolf, Josef Grohé (1902-1987), in: Rheinische Lebensbilder 17 (1997). S. 247-276.
Online
Josef Grohe (Informationen auf NRW2000)
Josef Grohé (Informationen in der Datenbank der Reichstagsabgeordeneten)
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Wallraff, Horst, Josef Grohé, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/josef-groh%25C3%25A9/DE-2086/lido/57c6d70360f040.65100512 (abgerufen am 05.12.2024)