Zu den Kapiteln
Schlagworte
Theodor Wiegand fiel als Reisestipendiat des Deutschen Archäologischen Instituts unversehens die Grabungsleitung in Priene zu, als die Kräfte von Carl Humann, dem Entdecker des Pergamonaltars, krankheitsbedingt erschöpft waren. Wiegand wurde einer der erfolgreichsten Ausgräber seiner Zeit. Er konnte bedeutende antike Stätten erforschen, die Grabungsergebnisse angemessen publizieren und schließlich die Funde in modernen Museen zeitgemäß präsentieren.
Theodor Wiegand wurde am 30.10.1864 in Bendorf am Rhein geboren. Dort war der Vater Konrad Wiegand (1835-1896) als praktischer Arzt tätig; seine Mutter Ida war die Tochter des Fabrikbesitzers Theodor Neizert, dessen Kalk- und Ziegelbrennerei Schamottesteine für die Schwerindustrie herstellte. Mehr als für den Unterricht der evangelischen Privatschule in Bendorf, die Theodor Wiegand von 1870-1874 besuchte, interessierte er sich für die Dampfmaschinen und Brennöfen der großväterlichen Fabrik. Viele Stunden trieb sich der Knabe lieber dort herum, als zur Schule zu gehen. Die unbeschwerte Zeit endete mit dem Umzug nach Wiesbaden, wo sich der Vater als Badearzt niederließ. Dort besuchte Theodor wenig erfolgreich 1875-1882 das Königliche Gymnasium. Die Leistungen in Griechisch, Geschichte und Geographie waren „wenig befriedigend“. Der Direktor riet dem Vater, der Sohn solle besser einen praktischen Beruf ergreifen. Konrad Wiegand, wie viele seiner Berufskollegen dem Morphium verfallen und wenig an der Erziehung seines Jungen interessiert, schickte ihn auf das Friedrichsgymnasium nach Kassel. Hier hatte er Freunde aus der Studienzeit. Diesen Beziehungen verdankte Theodor den Umstand, dass der Direktor der Anstalt, Dr. Gideon Vogt, ihn probeweise in die Untersekunda aufnahm, obwohl das Zeugnis aus Wiesbaden auf Nichtversetzung lautete. Wiegand wohnte in Pension bei einem früheren Lehrer des Gymnasiums, Dr. Hölting, der für ihn Ersatzvater und Mentor zugleich wurde. Wiegands Persönlichkeit konnte sich fern von seinem schwierigen Elternhaus uneingeschränkter entfalten. Er, wandte sich jetzt Literatur und Kunst zu und trat der literarischen Vereinigung für Schüler der höheren Klassen „Amicitia“ bei, die in der Tradition studentischer Verbindungen eine Mischung aus Literaturabenden und zufälligen Besäufnissen veranstaltete. Im Frühjahr 1886 legte Wiegand die Reifeprüfung ab.Theodor Wiegand wurde am 30.10.1864 in Bendorf am Rhein geboren. Dort war der Vater Konrad Wiegand (1835-1896) als praktischer Arzt tätig; seine Mutter Ida war die Tochter des Fabrikbesitzers Theodor Neizert, dessen Kalk- und Ziegelbrennerei Schamottesteine für die Schwerindustrie herstellte. Mehr als für den Unterricht der evangelischen Privatschule in Bendorf, die Theodor Wiegand von 1870-1874 besuchte, interessierte er sich für die Dampfmaschinen und Brennöfen der großväterlichen Fabrik. Viele Stunden trieb sich der Knabe lieber dort herum, als zur Schule zu gehen. Die unbeschwerte Zeit endete mit dem Umzug nach Wiesbaden, wo sich der Vater als Badearzt niederließ. Dort besuchte Theodor wenig erfolgreich 1875-1882 das Königliche Gymnasium. Die Leistungen in Griechisch, Geschichte und Geographie waren „wenig befriedigend“. Der Direktor riet dem Vater, der Sohn solle besser einen praktischen Beruf ergreifen. Konrad Wiegand, wie viele seiner Berufskollegen dem Morphium verfallen und wenig an der Erziehung seines Jungen interessiert, schickte ihn auf das Friedrichsgymnasium nach Kassel. Hier hatte er Freunde aus der Studienzeit. Diesen Beziehungen verdankte Theodor den Umstand, dass der Direktor der Anstalt, Dr. Gideon Vogt, ihn probeweise in die Untersekunda aufnahm, obwohl das Zeugnis aus Wiesbaden auf Nichtversetzung lautete. Wiegand wohnte in Pension bei einem früheren Lehrer des Gymnasiums, Dr. Hölting, der für ihn Ersatzvater und Mentor zugleich wurde. Wiegands Persönlichkeit konnte sich fern von seinem schwierigen Elternhaus uneingeschränkter entfalten. Er, wandte sich jetzt Literatur und Kunst zu und trat der literarischen Vereinigung für Schüler der höheren Klassen „Amicitia“ bei, die in der Tradition studentischer Verbindungen eine Mischung aus Literaturabenden und zufälligen Besäufnissen veranstaltete. Im Frühjahr 1886 legte Wiegand die Reifeprüfung ab.
Im gleichen Jahr begann er das Studium der Kunstgeschichte in München und hörte bei Berthold Riehl (1858-1911) und Heinrich Brunn (1822-1894). In München war er zunächst ganz in seinem Element. Er leistete ab April 1886 beim Königlich-bayerischen 1. Infanterieregiment König seinen Einjährig-Freiwilligen Militärdienst ab und trat 1887 der Studentenverbindung „Suevia“ bei. Er war weniger im Hörsaal als auf dem Fechtboden anwesend, sodass das Studium in den Hintergrund trat. Nach fünf Semestern und ohne Abschluss wollte er von seinem bisherigen Leben und Treiben Abstand gewinnen. Mit Einwilligung des Vaters setzte er sich mit seinem alten Schulfreund Theodor Fischer in Verbindung, der als Buchhändler in Athen arbeitete. Wiegand wollte sich an der Quelle der griechischen Kunst die Frage stellen, ob er zum Archäologen tauge.
Wieder war es ein väterlicher Freund, der ihn unter seine Fittiche nahm: Wilhelm Dörpfeld, der Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen. Dörpfeld führte Wiegand an die griechische Baukunst heran und gab dem praktisch Veranlagten eine Aufgabe: Er sollte die archaische Porosarchitektur auf der Akropolis untersuchen. Diese Fragmente aus grobem Kalkstein stammten von dem alten Tempel der Stadtgöttin Athena Polias. Wiegand blieb diesem Thema jahrelang verbunden. Wichtiger aber war, dass Dörpfeld ihn an einen geregelten Tagesablauf gewöhnte und ihn lehrte, selbständig zu arbeiten. Dieses halbe Jahr in Athen, in dem er auch Heinrich Schliemann (1822-1890) traf, stellte endgültig die Weichen für Wiegands Leben. Er wollte Archäologe werden, erkannte aber auch, dass ihm dazu bis jetzt alle wissenschaftlichen Voraussetzungen fehlten.
Zum Wintersemester 1889/1890 schrieb er sich an der Universität Berlin ein, wo er nun alle Bereiche der klassischen Altertumswissenschaften studierte. Er besuchte die archäologischen Übungen von Karl Robert (1850-1922) und Reinhard Kekulé von Stradonitz (1839-1911) ebenso wie die altphilologischen Seminare bei Hermann Diels (1848-1922). Am meisten aber profitierte er von den Veranstaltungen Otto Puchsteins (1856-1911), der mit Carl Humann 1883 den Nemrud Dağ erforscht hatte und Wiegand die antike Architektur wissenschaftlich näherbrachte. Seine freie Zeit verbrachte Wiegand mit Besuchen des Alten Museums sowie der Lektüre griechischer und römischer Autoren. Er hatte begriffen, dass nur die genaue Kenntnis der alten Schriftsteller ein Fundament für wissenschaftliche Forschungen bilden konnte. Andererseits war der Praktiker Wiegand entschlossen, die Philologie als Mittel zum Zweck einzusetzen.
Anfang des Sommersemesters 1891 nahm Wiegand an einer Reserveübung teil, die ihm die Beförderung zum Skondeleutnant einbrachte. Zum Wintersemester 1891/1892 schrieb er sich in Freiburg ein. Hier fand er in Ernst Fabricius (1857-1942) und Franz Studniczka (1860-1929) die Lehrer, die nach Dörpfeld und Puchstein seine weitere Entwicklung als Archäologe entscheidend beeinflussten. Bei dem als streng bekannten Studniczka promovierte Wiegand 1893 über eine Bauinschrift von Puteoli.
1894 reiste Wiegand für einen dreimonatigen Studienaufenthalt nach London. Nach dem Vorbild der Hauptstadt des Empire wollte er durch seine Entdeckungen Berlin in eine Stadt der Künste verwandeln.
Theodor Wiegand fehlte der überragende analytische Intellekt seines jungen Kollegen August Frickenhaus, auch konnte er sich nicht mit dem Instinkt Carl Humanns oder der methodischen Strenge Wilhelm Dörpfelds messen. Für eine große Karriere schien er nicht prädestiniert. Seine Bewerbung auf ein Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts für das Jahr 1894 scheiterte. Die über die Vergabe entscheidenden Herren konnten ihn sich eher als Beamten an einem kleinen deutschen Museum mit Nebenbeschäftigung am Limes vorstellen. Wiegand blieb hartnäckig und versuchte es erneut für das Jahr 1895. Diesmal erfolgreich, weil das Athener Institut die Fortsetzung der von ihm begonnenen Untersuchungen über die archaischen Architekturfragmente des alten Athenatempels wünschte. Die Skepsis aber blieb. Am 7.12.1894 trat der nunmehr 30-jährige Wiegand seine zweite Fahrt nach Athen an.
Als Carl Humann wegen seines schlechten Gesundheitszustandes darum bat, einen Assistenten für die Grabungen in Priene, die am 16.9.1895 begonnen hatte, zu entsenden, war Wiegand nicht die erste Wahl. Der Reisestipendiat Hans Schrader (1869-1948), der die Aufgabe übernehmen sollte, war noch mit anderer Arbeit befasst. Kekulé von Stradonitz kam mit Dörpfeld überein, Schrader bis zur Fertigstellung seiner Untersuchung von Wiegand in Priene vertreten zu lassen.
Humann war begeistert von dem zupackenden und robusten Wesen Wiegands. In Priene traf er in dem Jüngeren einen Bruder im Geiste. Aber schon am 5.10.1895 fühlte sich Humann so krank, dass er nach Smyrna (heute Izmir) abreisen musste. Wiegand übernahm für den Sterbenskranken die Vertretung in Priene und beendete dort die erste Grabungskampagne. Kurz nach Beginn der zweiten Kampagne am 22.3.1896 starb Humann am 12. April in Smyrna; die Verantwortung für den Fortgang der Arbeiten lag nun bei Wiegand. Er erwirkte von Kekulé von Stradonitz die offizielle Bestätigung seiner Funktion als Grabungsleiter in Priene. Das erwies sich als außerordentlicher Glücksfall für die Wissenschaft, denn diesmal war Wiegand die Idealbesetzung.
Jetzt konnte er die Stärken seines Charakters im Verbund mit seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten voll zur Geltung bringen. Neben der Grabungsarbeit oblag ihm die Organisation aller übrigen Belange. Das bedeutete, mit der unübersichtlichen türkischen Verwaltung über Landkauf zur Ausdehnung der Grabung zu verhandeln. Er betrachtete die eigenartigen Gepflogenheiten des Gastlandes als etwas Unabänderliches, das durch schonende Rücksichtnahme zum eigenen Vorteil genutzt werden konnte. Sein zähes und pragmatisches Naturell ließ ihn diese Nervenproben meistern und seine Mittel dafür waren die Überredung, das Argument und die unausweichliche Logik. Charme, Warmherzigkeit und sein ruhiges, aber bestimmtes Auftreten machten ihn bei seinen Arbeitern und der Bevölkerung sehr beliebt. Selbst bei den Räuberbanden stand Wiegand in hohem Ansehen. 1922 fiel ein französischer Archäologe in Mazedonien in die Hände einer Bande. Der Hauptmann fragte ihn, ob er den Dr. Wiegand kenne. Der Franzose bejahte, obschon ihm nur der Name geläufig war. Daraufhin erklärte ihm der Hauptmann: „Wenn sie den Dr. Wiegand kennen, sind Sie frei; denn er ist der edelste und beste Mensch, den ich kenne“.[1]
1897 trat Wiegand auch die Nachfolge Humanns als Abteilungsleiter der Berliner Museen in Smyrna an. Damit war er offiziell der Vermittler zwischen der deutschen Archäologie und der Osmanischen Regierung. Auch auf diesem Felde erwies er sich als geschmeidiger Diplomat und glänzender Organisator. Mit seinem Ansprechpartner auf türkischer Seite, Osman Hamdi Bey (1842-1910), verhandelte er 1898 als ehrlicher Makler die Fundteilung von Priene. Wiegand scheute sich auch nicht, die Interessen der Archäologie auf der großen politischen Ebene zu vertreten. Durch seine Bekanntschaft mit dem Botschafter des Deutschen Reiches in Istanbul, Adolf Hermann Freiherr Marschall von Bieberstein (1842-1912), nahm er den Besuch Kaiser Wilhelms II. (Regentschaft 1888-1918) 1898 in Istanbul zum Anlass, diesen zu bewegen, beim Sultan Sonderkonditionen für die Fundteilung zu erwirken. Ähnlich wie beim türkisch-russischen Abkommen sollten die Funde je zur Hälfte geteilt werden, wobei dem Ausgräber das Recht der Auswahl vorbehalten war. Am 1.4.1899 wurde Wiegand zum Direktor der Königlichen Berliner Museen in der Türkei mit Sitz in Istanbul ernannt. Nun konnte ein kühner Plan in die Tat umgesetzt werden.
Beim großen Spiel der Nationen um archäologische Meriten wurde das Deutsche Reich die weltweit führende Grabungsnation zwischen 1899 und 1914. Denn es hatte zwei Asse im Ärmel: seine guten Beziehungen zum Osmanischen Reich und Theodor Wiegand. Auf dem Territorium des Osmanischen Reiches lagen viele bedeutenden Ruinenstätten, und zwar sowohl die der klassischen Antike als auch jene der altorientalischen und mesopotamischen Kulturen. So sollten jetzt zwei konzertierte Aktionen die ganze Spannweite deutscher Grabungstätigkeit entfalten. Das Deutsche Archäologische Institut plante die Ausgrabung der antiken Weltstadt Milet an der ionischen Küste durch Theodor Wiegand. Gleichzeitig begann Robert Koldewey (1855-1929) im Auftrag der 1898 gegründeten Deutschen Orientgesellschaft die Erforschung von Babylon am Euphrat.
Am 3.10.1899 wurde die Grabung in Milet durch von Bieberstein feierlich eröffnet. Die Hoffnungen Wiegands, unter der hellenistischen Stadt die Überreste des im 5. Jahrhundert von den Persern zerstörten Milets des Thales und Anaximander zu finden, erfüllte sich nicht. Erst 1950 bestätigten Tiefenbohrungen im Mäandertal zur Wassergewinnung für die Baumwollanpflanzung diese Annahme Wiegands. Aber die Grabung ergab dennoch einen der spektakulärsten Funde der Archäologie. Gemeinsam mit dem Bauforscher Hubert Knackfuß erkannte Wiegand in architektonischen Bruchstücken, die an der südlichen Agora gefunden wurden, die Fragmente eines prächtigen Fassadenbaus aus der römischen Zeit (2. Jahrhundert n. Chr.). Die schiere Menge und die Qualität der Fundstücke ließen in Wiegand den Plan reifen, den Fund insgesamt nach Berlin zu schaffen, weil ein vollständiger Wiederaufbau möglich schien. Ab Dezember 1907 wurden die Trümmer in Kisten verpackt und als Architekturstücke deklariert. So kamen 533 Kisten von 750 Tonnen Gewicht bis 1911 nach Berlin, wo das Markttor von Milet im Pergamonmuseum rekonstruiert wurde. Zwar einigte man sich mit Hamdi Bey gemäß dem Abkommen über die Fundteilung, aber die Türken hatten dennoch keine Vorstellung davon, dass sie den Deutschen ein Monument von der Größe des Konstantinbogens in Rom überlassen hatten.
Auch privat hatte Wiegands Engagement im Osmanischen Reich Folgen. Im Gefolge des Kaiserbesuches von 1898 befand sich der Bankier Georg Siemens (1839-1901). Der Gründer und Direktor der Deutschen Bank hatte ein Teilstück der Bagdadbahn finanziert, das vom Kaiser 1898 eingeweiht wurde. Im November besuchte Siemens mit seinen beiden Töchtern Lili und Marie die Ausgrabungen in Priene. Zwei Jahre später heirateten Theodor Wiegand und Marie von Siemens (1876-1960), deren Vater mittlerweile in den Adelsstand erhoben worden war. Aus der Ehe gingen die Söhne Georg und Gerhard hervor.
Noch während der Grabungen in Milet fasste Wiegand den Plan, das zu vollbringen, was Humann versagt geblieben war: die Ausgrabung von Didyma, dem Apollonorakel mit einem der größten Tempel der Antike. Als Wiegand durch seine guten Beziehungen 1906 erfuhr, dass in Didyma Grundbesitz versteigert wurde, zögerte er keine Sekunde. Parallel führte er mit Knackfuß Untersuchungen im Latmosgebirge am See von Herakleia und auf Samos durch. Um die immensen Kosten zu decken, die besonders durch den ausgedehnten Landkauf für die Grabung in Milet entstanden, griff Wiegand auf eine Idee Dörpfelds zurück. 1904 organisierte er eine Bildungskreuzfahrt auf dem Passagierschiff „Schleswig“ des Norddeutschen Lloyd, um Sponsoren zu gewinnen. Auf diese Weise kamen immerhin 40.000 Reichsmark zusammen.
Bei den Grabungen in Milet bildete sich unter Wiegand ein neuer Ansatz in der archäologischen Forschung heraus. Er emanzipierte das römische Kaiserreich gegenüber der klassischen Zeit und auch alle anderen Epochen gegenüber der Antike für die Archäologie. Diese für die Zeit ungewöhnliche Auffassung wurde sichtbar in der Rekonstruktion des Markttores in Berlin und der Wiederherstellung der verfallenen Eljas Bey Moschee in Milet. Wiegands Eintreten für das Miteinander verschiedener Zeiten gipfelte schließlich im Denkmalschutzgesetz von 1910, das er im Auftrag der Osmanischen Regierung ausarbeitete. So konnten im allerletzten Moment wenigstens die wichtigsten Altertümer vor der Geschichtsvergessenheit der Türken gerettet werden.
1912 ging Wiegand zurück nach Deutschland, um am 1. Juli die Leitung der Antikensammlung der Berliner Museen zu übernehmen. Ihm standen ereignisreiche Zeiten bevor. Seit 1906 schwelte der Konflikt über den Neubau des Pergamonmuseums, dessen Vorgänger 1908 abgerissen wurde. All das aber überdeckte dann der Erste Weltkrieg. Pflichtgemäß meldete sich der Hauptmann der Landwehrartillerie Theodor Wiegand bei seinem Bezirkskommando zum Fronteinsatz, wurde aber auf die Zeit nach der Mobilmachung vertröstet. An die Stelle des Nervenkitzels der Front trat zunächst ein Wissenschaftsthriller. Eine 1911 in Tarent gefundene spätarchaische Sitzstatue - später als „Thronende Göttin“ berühmt geworden - wurde vom Besitzer, dem Kunsthändler Jacob Hirsch aus München, im Mai 1914 im Pariser Kunsthandel angeboten. Nachdem der Louvre im September 1914 vergeblich versucht hatte, das Stück zu beschlagnahmen, wurde es heimlich in die Schweiz verbracht. Nun schlug abermals die Stunde des brillanten Organisators Theodor Wiegand. Sogleich sammelte er unter den schweren Bedingungen des Krieges die Kaufsumme von 1,4 Millionen Mark und erwarb die Statue für Berlin. Aber auf Wiegand wartete eine noch größere Aufgabe.
1916 wurde er Leiter des Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommandos. Dieses war dem deutschen Asienkorps angeschlossen und der türkischen 4. Armee unter Cemal Pascha (1872-1922) in Damaskus unterstellt. Während der Kriegshandlungen des Palästinafeldzuges sollte das Kommando Vermessungen und wissenschaftliche Aufnahmen antiker Denkmäler durchführen. Von Ende 1916 bis 1917 organisierte Wiegand den Denkmalschutz in Syrien, Palästina und im Ostjordanland. Er setzte zur Untersuchung von Stätten wie Baalbek, Petra und Palmyra erstmals Luftbilder ein, die von Flugzeugen oder mit „Kite Aerial Photography“ gewonnen wurden. Bei dem letzteren Verfahren wurde eine Kamera durch einen Fesseldrachen in eine erhöhte Position gebracht. So wurde Wiegand ein Pionier der Luftbildarchäologie und Teil einer Legende, denn auf der anderen Seite der Front operierte ein Kollege Wiegands, der britische Oberst Thomas Edward Lawrence (1888-1935), berühmt geworden als „Lawrence of Arabia“.
1910 hatten die Bauarbeiten für den Neubau des Pergamonmuseums begonnen. Die Inflation hemmte 1922 die Vollendung des Rohbaus; 1923 wurden alle staatlichen Museumsneubauten eingestellt. Obwohl Wiegand sich gesundheitlich angeschlagen und gealtert fühlte, zog er die Fäden im Hintergrund so erfolgreich, dass 1924 die Finanzierung des Weiterbaus zunächst gesichert war. Überdies landete er einen weiteren Coup, als er gegen den massiven Widerstand von linken und völkischen Kreisen die altattische „Stehende Göttin“ erwarb. Dass Wiegand hierfür nicht nur Mittel aus Wirtschafts- und Finanzkreisen, sondern auch aus dem städtischen Kulturfond eingesetzt hatte, trieb viele in diesen schwierigen Zeiten auf die Barrikaden. Letztlich gab die Geschichte Wiegand Recht. Die „Berliner Göttin“ gehört heute zu den weltweit berühmtesten antiken Kunstwerken. Ende der 1920er Jahre entwickelte sich der Kampf um das Pergamonmuseum zunehmend günstig, und die Eröffnung konnte für 1930 in Aussicht gestellt werden. 1929 erreichte Wiegand das Pensionsalter. Um aber zu gewährleisten, dass das Antikenmuseum anlässlich seiner Hundertjahrfeier 1930 mit der bedeutenden Persönlichkeit Theodor Wiegand an der Spitze die Eröffnung des Pergamonmuseums feiern konnte, wurde durch eine Ausnahmeregelung erwirkt, dass er erst zum 1.4.1931 ausschied.
Sein Ruhestand währte nur kurz, denn 1932 wurde Wiegand zum Präsidenten des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches gewählt. Seinen letzten Kampf führte er für die Unabhängigkeit des Instituts vor dem Zugriff der neuen Herren in Deutschland. Es ist nicht zu klären, ob Wiegand mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hat. Er widersetzte sich jedoch dem Versuch des Amtes Rosenberg, die archäologische Forschung nach rassekundlichen Grundlagen zu betreiben. Andererseits war er wie viele andere der Ansicht, durch ein bestimmtes Maß an Kooperation Schlimmeres verhindern zu können.
Im Frühjahr 1934 initiierte Wiegand eine Kundgebung deutscher Wissenschaftler zugunsten der Wahl Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichspräsidenten nach dem Tod Paul von Hindenburgs (1847-1934, Reichspräsident seit 1925). Am 18.4.1934 wurde ein Aufruf im Völkischen Beobachter veröffentlicht: „Wir haben Vertrauen zu Adolf Hitler als Staatsführer, daß er das deutsche Volk aus seiner Not und Bedrückung herausführen wird. Wir vertrauen auf ihn, daß auch die Wissenschaft unter seiner Führung die Förderung erfahren wird, deren sie in ihrer Gesamtheit bedarf, um die hohe Aufgabe zu erfüllen, die ihr beim Wiederaufbau der Nation zukommt“.[2]
In seinen letzten Lebensjahren wurde Theodor Wiegand durch seine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Wissenschaft zu vielen Projekten als Berater hinzugezogen. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er seiner rheinischen Heimat. Er nahm 1934 an Besprechungen in Köln und Düsseldorf zum Abschluss der Trierkommission teil. Diese Kommission sollte die archäologischen Denkmäler des römischen Trier untersuchen und als Schutzzonen bewahren. Gleichfalls war er bei der Eröffnung des neugeordneten Landesmuseums Bonn (heute LVR-LandesMuseum) anwesend. Auch in den vorbereitenden Ausschuss der XI. Olympiade wurde er gewählt und setzte sich noch für die Wiederaufnahme der deutschen Grabungen in Olympia ein. Eine verschleppte Malariaerkrankung setzte seinem Leben am 19.12.1936 in Berlin ein Ende.
Theodor Wiegands Zähigkeit verdankt die Welt den Wiederaufbau des Pergamonaltars. Er war ein Mann des Kaiserreichs, ohne sich dezidiert gegen den Nationalsozialismus zu wenden. Gleichwohl blieb er seinem universalistischen wissenschaftlichen Ansatz stets treu, der jeden Gegenstand und jede Epoche als gleichwertig erachtete.
Werke (Auswahl)
Bericht über die Ausgrabungen in Pergamon 1927, Berlin 1928.
[zusammen mit] Schrader, Hans (Hg.), Priene. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen in den Jahren 1895–1898, Berlin 1904.
[zusammen mit] Schuchardt, Carl (Hg.), Der Entdecker von Pergamon Carl Humann. Ein Lebensbild, Berlin 1931.
Palmyra. Ergebnisse der Expeditionen von 1902 und 1917, 2 Bände, Berlin 1932.
Die Denkmäler als Hilfsmittel der Altertumsforschung, München 1939.
Literatur
Althoff, Johannes, Ein Meister des Verwirklichens. Der Archäologe Theodor Wiegand, in: Rheidt, Klaus/Lutz, Barbara, (Hg.), Peter Behrens, Theodor Wiegand und die Villa in Dahlem. Im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts anlässlich seines 175jährigen Bestehens, Mainz 2004, S. 134-159.
Auf den Spuren der Antike. Theodor Wiegand, ein deutscher Archäologe, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Städtischen Museum Bendorf vom 22. März bis 30. September 1985, Bendorf 1985.
Bittel, Kurt, Theodor Wiegand, in: Lullies, Reinhard/Schiering, Wolfgang (Hg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache, Mainz 1988, S. 154-155.
Bode, Wilhelm von, Mein Leben, 2. Band, Berlin 1930.
Gaethgens, Thomas W./Schieder, Martin (Hg.), Theodor Wiegand und der Erwerb der „Thronenden Göttin“ für das Berliner Antikenmuseum, in: Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Festschrift für Günter Braun zum 70. Geburtstag, Berlin 1998, S. 82-104.
Lietzmann, Hans/Schede, Martin/Wieckert, Karl/Schmidt-Ott, Friedrich, Gedächtnisreden für Theodor Wiegand. Archäologisches Institut des Deutschen Reiches, Berlin 1937.
Rodenwaldt, Gerhart, Gedächtnisrede auf Theodor Wiegand. Sonderausgabe aus den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Öffentliche Sitzung vom 1. Juli 1937, Berlin 1937.
Trümpler, Charlotte, Das Deutsch-Türkische Denkmalschutz-Kommando und die Luftbildarchäologie, in: Trümpler, Charlotte (Hg.), Das Große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860-1940). Begleitbuch zur Ausstellung "Das Große Spiel - Archäologie und Politik", Ruhr-Museum, Weltkulturerbe Zollverein, Essen, 11. Februar - 13. Juni 2010, Köln 2008, S. 474-483.
Watzinger, Carl, Theodor Wiegand. Ein deutscher Archäologe, München 1944.
Wickert, Lothar, Beiträge zur Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts 1879 bis 1929, Mainz 1979.
Wiegand, Gerhard (Hg.), Halbmond im letzten Viertel. Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand 1895 bis 1918, München 1970.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Kirschbaum, Markus, Theodor Wiegand, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/theodor-wiegand-/DE-2086/lido/60e69e82591f22.92452152 (abgerufen am 09.12.2024)