Großherzogtum Berg (grüne Umrandung), Ausschnitt aus der Karte 'Staatsgebiete im Rheinland 1811', Bonn 2010. (LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte)

1. Bezeichnung und Vorgeschichte

Der Na­me „Gro­ßher­zog­tum Ber­g“ geht auf das al­te Her­zog­tum Berg zu­rück. An­fangs war es mit die­sem räum­lich wie be­griff­lich zwar iden­tisch. Tat­säch­lich aber han­delt es sich bei dem noch im Som­mer 1806 vom Her­zog­tum zum „Gro­ßher­zog­tum“ um­be­nann­ten Herr­schafts­ge­biet um ei­ne von Na­po­le­on Bo­na­par­te (1769-1821) vor­ge­nom­me­ne staat­li­che Neu­schöp­fung un­ter ei­nem bis da­hin un­be­kann­ten Herr­scher. Sie folg­te auf die Auf­lö­sung des Hei­li­gen Rö­mi­schen Reichs deut­scher Na­ti­on (1806), in des­sen Stan­des­ord­nung es den Ti­tel ei­nes „Gro­ßher­zogs“ nicht ge­ge­ben hat­te. Man be­zeich­net da­her das Gro­ßher­zog­tum Berg auch als ei­nen der vom „Kai­ser der Fran­zo­sen“ per­sön­lich ab­hän­gi­gen „Na­po­leo­ni­den“.

Die Ent­ste­hung des Gro­ßher­zog­tums war ei­ne Fol­ge der Aus­brei­tung der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen rechts des Rheins und der nach­fol­gen­den Herr­schafts­über­nah­me Na­po­le­ons im „Di­rek­to­ri­um“ (Re­gie­rungs­or­gan) in Pa­ris. Nach der voll­stän­di­gen Be­set­zung der lin­ken Rhein­sei­te im Herbst 1794 setz­ten die Sol­da­ten im Sep­tem­ber 1796 bei Düs­sel­dorf über den Fluss und nah­men ei­nen Teil des Her­zog­tums Berg ein. 1801, nach dem Frie­dens­schluss von Lun­é­vil­le in Loth­rin­gen, ver­lie­ßen die Trup­pen den rechts­rhei­ni­schen Raum zu­nächst wie­der. Im Her­zog­tum Berg folg­te nun ein In­ter­mez­zo un­ter der Herr­schaft des Kur­fürs­ten Ma­xi­mi­li­an IV. von Bay­ern (1799-1806), dem Rechts­nach­fol­ger des letz­ten Her­zogs von Berg, Karl Theo­dor. 1806 eig­ne­te sich Na­po­le­on das Her­zog­tum je­doch an, in­dem er im Ver­trag von Schön­brunn in Wien (15.3.1806) den in­zwi­schen zum Kö­nig er­ho­be­nen Ma­xi­mi­li­an von Bay­ern ver­an­lass­te, Berg ge­gen das im vier­ten Ko­ali­ti­ons­krieg (1806-1807) von Preu­ßen er­ober­te Fürs­ten­tum Ans­bach zu tau­schen. We­der jetzt noch spä­ter aber wur­de Berg recht­lich dem fran­zö­si­schen Kai­ser­reich zu­ge­schla­gen.

2. Joachim Murat als Großherzog von Berg

Als re­gie­ren­den Her­zog in Berg setz­te Na­po­le­on den Ka­val­le­rie­of­fi­zier und Mar­schall Joa­chim Mu­rat (1767-1815) ein, den er da­mit für sei­ne be­währ­ten mi­li­tä­ri­schen Diens­te be­lohn­te. Mit der Ver­pflich­tung Mu­rats ver­schaff­te Na­po­le­on gleich­zei­tig sei­ner seit 1800 mit Mu­rat ver­hei­ra­te­ten jüngs­ten Schwes­ter Ca­ro­li­ne (1782-1839) ei­nen stan­des­ge­mä­ßen Un­ter­halt. Hein­rich Hei­ne schuf dem Ein­zug Mu­rats in der künf­ti­gen Re­si­denz­stadt Düs­sel­dorf in sei­nem Werk „Le Gran­d“ ein li­te­ra­ri­sches Denk­mal (Ka­pi­tel 6). In hin­ter­grün­dig-iro­ni­scher Wei­se nahm Hei­ne da­bei selbst die Po­si­ti­on des er­staun­ten Be­richt­er­stat­ters ein, der das Ge­sche­hen auf der Rei­ter­sta­tue des Kur­fürs­ten Jo­hann Will­helm („Jan Wel­le­m“) auf dem Markt­platz ver­folg­te. Düs­sel­dorf blieb bis zu­letzt Haupt­stadt, doch wur­de Mu­rat dort nur sel­ten vor­stel­lig. Na­po­le­on selbst soll­te die Stadt im No­vem­ber 1811 ein ein­zi­ges Mal zur In­spi­zie­rung der Ver­hält­nis­se im Gro­ßher­zog­tum be­su­chen.

Da Mu­rat und sei­ne Frau von An­fang an un­zu­frie­den mit dem Ti­tel ei­nes „Her­zogs“ wa­ren, be­för­der­te Na­po­le­on den Her­zog im Ju­li 1806 zum „Gro­ßher­zo­g“. Er war nun der Form nach eben­bür­tig mit den Fürs­ten der an­de­ren Ter­ri­to­ri­en, an de­ren Sei­te Berg im gleich­zei­tig ge­grün­de­ten „Rhein­bund“ stand, ei­nem Mi­li­tär­bund un­ter Na­po­le­ons Füh­rung.

3. Gebietsveränderungen

Mit der Er­hö­hung des Her­zog­tums zum Gro­ßher­zog­tum ver­band Na­po­le­on die ers­te von meh­re­ren Ge­biets­ver­än­de­run­gen. Schon 1806 füg­te er im Nor­den den ver­blie­be­nen rechts­rhei­ni­schen Teil de­s Her­zog­tums Kle­ve hin­zu. Im Süd­os­ten er­gänz­te er das Gro­ßher­zog­tum um die Fürs­ten­tü­mer Nas­sau und Dil­len­burg. Im Nord­os­ten schlug er ihm ei­nen Ge­biets­teil aus west­fä­li­schen Herr­schaf­ten um Stein­furt zu, der mit dem Gro­ßher­zog­tum kei­ne geo­gra­phi­sche Ver­bin­dung be­saß.

Die Schlach­ten von Je­na und Au­er­städt im Ok­to­ber und im ost­preu­ßi­schen Fried­land im Ju­ni 1807, schlie­ß­lich der dar­auf fol­gen­de Frie­den von Til­sit 1807, in dem Preu­ßen al­le Ge­bie­te west­lich der El­be ver­lor, mar­kier­ten auch im rhei­nisch-west­fä­li­schen Raum ei­nen Ein­schnitt: Na­po­le­on ver­dop­pel­te im Ja­nu­ar 1808 den Um­fang des Gro­ßher­zog­tums un­ter Hin­zu­fü­gung so­eben er­wor­be­ner preu­ßi­scher Län­der in den Nach­bar­ge­bie­ten Bergs: die Graf­schaft Mark mit Lipp­stadt, die vor­ma­li­ge Reichs­stadt Dort­mund, ei­nen Teil des Fürst­bis­tums Müns­ter, die Graf­schaf­ten Teck­len­burg, Lin­gen und die Reichs­ab­tei­en Es­senEl­ten un­d Wer­den. Die wich­ti­ge Fes­tungs­stadt We­sel da­ge­gen war schon im Ja­nu­ar als rechts­rhei­ni­scher Brü­cken­kopf in das Kai­ser­reich Frank­reich ein­ge­glie­dert wor­den. Das Gro­ßher­zog­tum hat­te 1808 da­her sei­ne grö­ß­te Aus­deh­nung. Es um­schloss mit 315 Qua­drat­mei­len (17.325 Qua­drat­ki­lo­me­ter) und 878.000 Ein­woh­nern fast das Drei­fa­che sei­ner ur­sprüng­li­chen Di­men­sio­nen im Früh­jahr 1806.

Für Joa­chim Mu­rat bil­de­te das Gro­ßher­zog­tum nur ei­ne Zwi­schen­sta­ti­on. Am 15.7.1808 trat er es im Ver­trag von Ba­yon­ne an Na­po­le­on ab, um auf den bour­bo­ni­schen Kö­nigs­thron von Nea­pel zu wech­seln. Na­po­le­on über­nahm das Gro­ßher­zog­tum nun for­mell per­sön­lich, setz­te vor Ort al­ler­dings mit Graf Jac­ques Clau­de Beug­not (1761-1835) ei­nen Re­gie­rungs­kom­mis­sar ein.

1810 nahm Na­po­le­on ei­ne letz­te, ein­schnei­den­de Um­ge­stal­tung des Gro­ßher­zog­tums vor, als er den nord­deut­schen Raum an das Kai­ser­reich an­schloss. Da­bei schnitt er den Nord­teil des Gro­ßher­zog­tums auf ei­ner Li­nie ober­halb von Dins­la­ken, Reck­ling­hau­sen und Wa­ren­dorf ab. Sein Ziel war es, die fran­zö­si­sche Wirt­schaft zu schüt­zen, der „Kon­ti­nen­tal­sper­re“ (Sper­rung Groß­bri­tan­ni­ens vom eu­ro­päi­schen Kon­ti­nent) Gel­tung zu ver­schaf­fen und so­mit den Han­del von und nach Eng­land zu un­ter­bin­den. Das flä­chen­mä­ßig grö­ß­te Ems-De­par­te­ment wur­de nun vom Gro­ßher­zog­tum ab­ge­trennt und mit sei­ner Haupt­stadt Os­na­brück als Dé­par­te­ment Ems-Su­pé­ri­eur dem Kai­ser­reich zu­ge­schla­gen.

4. Krise und Untergang

Das En­de des Gro­ßher­zog­tums folg­te auf die schwe­ren Nie­der­la­gen der na­po­leo­ni­schen Ar­me­en im Russ­land­feld­zug 1812/1813 und in der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig (Ok­to­ber 1813). In die Zwi­schen­zeit fie­len Auf­stän­de der Be­völ­ke­rung ge­gen die Be­sat­zer, die zu den ers­ten Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen in den von Na­po­le­on be­setz­ten Ge­bie­ten über­haupt ge­hör­ten. Sie nah­men in Tei­len der spä­te­ren Groß­städ­te Wup­per­tal un­d So­lin­gen im Ja­nu­ar 1813 ih­ren An­fang und dehn­ten sich in den ober­ber­gi­schen und mär­ki­schen Raum aus. Der An­lass der teils spon­ta­nen, teils or­ga­ni­sier­ten Aus­schrei­tun­gen, die sich in ers­ter Li­nie ge­gen die lo­ka­len Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen rich­te­ten, war die 1812/1813 ver­schärf­te Pra­xis der mi­li­tä­ri­schen Re­kru­tie­rung. Dar­über hin­aus hat­te die ri­gi­de Wirt­schafts­po­li­tik Na­po­le­ons in den stark auf den Ex­port ori­en­tier­ten Ge­wer­be­or­ten der Re­gi­on ei­ne mas­si­ve Ver­schlech­te­rung der so­zia­len Ver­hält­nis­se be­wirkt. Na­po­le­on be­or­der­te von der Fes­tung We­sel ein mas­si­ves Mi­li­tär­kom­man­do, das die Auf­stän­de der im Volks­mund so ge­nann­ten „Knüp­pel­rus­sen“ mit Ge­walt nie­der­schlug und nach­fol­gend stand­recht­li­che Be­stra­fun­gen der Auf­rüh­rer vor­nahm.

We­nig spä­ter, in der zwei­ten Ok­to­ber­hälf­te 1813, nah­men ver­ei­nig­te Trup­pen das Ge­biet des Gro­ßher­zog­tums ein. Am 10. No­vem­ber stan­den Ko­sa­ken als ers­te der Ver­bün­de­ten in Düs­sel­dorf. Das Gro­ßher­zog­tum wur­de schon am 15.11.1813 for­mell auf­ge­löst und durch Preu­ßen in Per­son von Jus­tus Gru­ner (1777-1822) als „Ge­ne­ral­gou­ver­ne­ment Ber­g“ in Be­sitz ge­nom­men. Die­ses pro­vi­so­ri­sche Ge­bil­de­te fiel auf Be­schluss des Wie­ner Kon­gres­ses (Sep­tem­ber 1814 – Ju­ni 1815) dau­er­haft dem preu­ßi­schen Staat zu und ver­teil­te sich künf­tig auf die Pro­vinz West­fa­len und die spä­ter so­ge­nann­te Rhein­pro­vinz.

5. Bilanz und Nachwirkung

Die Ge­schich­te des Gro­ßher­zog­tums wur­de auf deut­scher Sei­te lan­ge als ne­ga­ti­ve Epi­so­de im Zu­sam­men­hang der na­po­leo­ni­schen „Fremd­herr­schaf­t“ ge­se­hen. Hin­ge­gen voll­zo­gen sich un­ter der fran­zö­si­schen Herr­schaft wich­ti­ge Re­for­men in den Be­rei­chen Recht und Ver­wal­tung. De­ren An­fän­ge ver­zö­ger­ten sich al­ler­dings bis No­vem­ber 1808, nach­dem Na­po­le­on das Gro­ßher­zog­tum nach dem Vor­bild Frank­reichs ver­wal­tungs­tech­nisch in die De­par­te­ments Rhein, Sieg, Ruhr und Ems mit ins­ge­samt 12 Ar­ron­dis­se­ments hat­te auf­tei­len las­sen.

Vor al­lem wur­de nun das tra­di­tio­nel­le ad­li­ge Pri­vi­le­gi­en­sys­tems be­schnit­ten. An die Schaf­fung ei­ner Ver­fas­sung hat­te Na­po­le­on al­ler­dings nicht ge­dacht: Erst 1812 ließ er ein Stän­de­kol­le­gi­um ver­mö­gen­der Bür­ger zu, das un­ter dem Druck der Er­eig­nis­se aber nie­mals zu­sam­men­kom­men soll­te. Wäh­rend es in man­chen Be­rei­chen schier an der Zeit und Ge­le­gen­heit zur Um­set­zung der Re­for­men fehl­te, kann ins­ge­samt kein Zwei­fel dar­an be­ste­hen, dass das Gro­ßher­zog­tum in den Au­gen Na­po­le­ons von An­fang bis En­de vor­ran­gig mi­li­tä­ri­sche Zwe­cke hat­te.

Literatur

En­gel­brecht, Jörg, Das Gro­ßher­zog­tum Berg als na­po­leo­ni­scher Mo­dell­staat, in: Klu­e­ting, Harm (Hg.), 200 Jah­re Reichs­de­pu­ta­ti­ons­haupt­schluß. Sä­ku­la­ri­sa­ti­on, Me­dia­ti­sie­rung und Mo­der­ni­sie­rung zwi­schen Al­tem Reich und neu­er Staat­lich­keit, Müns­ter i.W. 2005, S. 253-264.
Kan­dil, Mahmoud, So­zia­ler Pro­test ge­gen das na­po­leo­ni­sche Herr­schafts­sys­tem. Äu­ße­run­gen der Be­völ­ke­rung des Gro­ßher­zog­tums Berg 1808-1813 aus dem Blick­win­kel der Ob­rig­keit, Aa­chen 1995.
Rob, Klaus (Hg.), Re­gie­rungs­ak­ten des Gro­ßher­zog­tums Berg, Mün­chen 1992.
Schmidt, Charles, Le Grand-Du­ché de Berg. Étu­de sur la do­mi­na­ti­on françai­se en Al­le­ma­gne sous Na­po­lé­on Ier, Pa­ris 1905 (dt. Aus­ga­be un­ter dem Ti­tel: Das Gro­ßher­zog­tum Berg 1806-1813, hg. von Burk­hard Dietz/Jörg En­gel­brecht, Neu­stadt/Aisch 1999).

Online

Ber­ding, Hel­mut, Das Kö­nig­reich West­pha­len als na­po­leo­ni­scher Mo­dell­staat (1807-1813) (Ab­druck ei­nes Vor­trags des Ver­fas­sers, Göt­tin­gen 1973). [On­line]
Kan­dil, Mahmoud, So­zia­ler Pro­test ge­gen das na­po­leo­ni­sche Herr­schafts­sys­tem im Gro­ßher­zog­tum Berg 1808-1813(2003) (Web­site der Fried­rich-Ebert-Stif­tung). [On­line]

Zitationshinweis

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Laux, Stephan, Großherzogtum Berg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Orte-und-Raeume/grossherzogtum-berg/DE-2086/lido/57d11981116210.76405013 (abgerufen am 19.03.2024)