Der anarchosyndikalistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Rheinland

Yannic Biernat (Bonn)

Angehörige der Wuppertaler Edelweißpiraten am Rhein, ca. 1939, Hans Schmitz ist in der Mitte zu erkennen. (FAU-IKA (fau.org) / Nachfolgeorganisation der FAUD/AS)

1. Einleitung und Forschungsstand

Der an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­sche Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ist oh­ne Zwei­fel ein weit­ge­hend un­be­kann­ter Teil des Wi­der­stands. Schon die Fra­ge nach dem An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­mus dürf­te weit­ge­hend auf Un­kennt­nis sto­ßen. Trotz­dem bil­de­te der An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­mus be­zie­hungs­wei­se über­ge­ord­net der An­ar­chis­mus ne­ben der So­zi­al­de­mo­kra­tie und dem Kom­mu­nis­mus den drit­ten Zweig der deut­schen Ar­bei­ter­be­we­gung, der al­ler­dings in der Ge­schichts­wis­sen­schaft prak­tisch kei­ne Be­rück­sich­ti­gung fand und fin­det. Nur we­ni­ge His­to­ri­ker ha­ben sich bis­lang mit dem The­ma be­schäf­tigt. Zu den wich­tigs­ten Ar­bei­ten ge­hö­ren die von ei­nem Köl­ner Au­to­ren­kol­lek­tiv stam­men­de Un­ter­su­chung „An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ti­scher Wi­der­stand an Rhein und Ruhr“ von 1980, fer­ner „Es lebt noch ei­ne Flam­me. Rhei­ni­sche An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten/-in­nen in der Wei­ma­rer Re­pu­blik und im Fa­schis­mus“ von Ul­rich Klan und Die­ter Nel­les, 1990 in zwei­ter Auf­la­ge er­schie­nen. Am ak­tu­ells­ten sind die Wer­ke von Hel­ge Döh­ring, ins­be­son­de­re die 2013 er­schie­ne­ne Un­ter­su­chung „An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­mus in Deutsch­land 1933–1945“.

Um ei­ne ein­füh­ren­de Er­läu­te­rung zum An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­mus und zur Ge­ne­se der deut­schen an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Ge­werk­schaft, der "Frei­en Ar­bei­ter Uni­on Deutsch­land" (FAUD) zu ge­ben, ist vor der Be­hand­lung des Wi­der­stands noch ein kur­zes Ka­pi­tel vor­an­ge­stellt. Da­nach folgt das Wi­der­stands­ka­pi­tel, in dem die un­ter­schied­li­chen As­pek­te des an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Wi­der­stands im Rhein­land vor­ge­stellt wer­den. Als geo­gra­phi­scher Rah­men dient das Rhein­land, ins­be­son­de­re wird der Blick auf die Or­te ge­lenkt, die in der Wei­ma­rer Zeit un­ter der "Pro­vin­zi­al Ar­beits­bör­se Rhein­land", ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ein­heit der FAUD, zu­sam­men­ge­fasst wa­ren. Die­se kon­zen­trier­ten sich na­he­zu aus­schlie­ß­lich auf das rhei­ni­sche und teil­wei­se west­fä­li­sche Ruhr­ge­biet. Es folgt ein gro­ber Ab­riss über die Ge­schich­te der FAUD vor 1933, eben­falls nur knapp wird dann ein Blick auf die Ent­wick­lun­gen im Rhein­land ge­wor­fen.[1] 

2. Historische und theoretische Genese der FAUD bis 1933

Nach der end­gül­ti­gen Spal­tung der So­zi­al­de­mo­kra­tie Ei­se­nach­er und Las­sal­lea­ni­scher Rich­tung na­he­ste­hen­den Ge­werk­schafts­ver­ei­ne in 26 "Zen­tral­ver­ei­ne" und fünf "Lo­kal­ver­ei­ne" auf dem Ge­werk­schafts­kon­gress von Hal­ber­stadt 1877 ent­wi­ckel­te sich aus den "Lo­kal­ver­ei­nen" 1897 die "Freie Ver­ei­ni­gung deut­scher Ge­werk­schaf­ten" (FVdG). Ih­re Auf­fas­sung von ge­werk­schaft­li­cher Ar­beit un­ter­schied sich be­reits stark von den der So­zi­al­de­mo­kra­tie na­he­ste­hen­den Ge­werk­schaf­ten. So pro­pa­gier­ten sie un­ter an­de­rem ei­nen re­vo­lu­tio­nä­ren Klas­sen­kampf, die "Di­rek­te Ak­ti­on"[2], sie wa­ren kon­se­quent an­ti­mi­li­ta­ris­tisch, ba­sis­de­mo­kra­tisch, fö­de­ra­tiv und lehn­ten die Er­obe­rung po­li­ti­scher Macht strikt ab. Die end­gül­ti­ge Tren­nung von der So­zi­al­de­mo­kra­tie zeigt ein Be­schluss der SPD von 1908, der ei­ne Dop­pel­mit­glied­schaft in SPD und FVdG aus­schloss. Da­durch ver­lor die FVdG cir­ca die Hälf­te ih­rer Mit­glie­der und konn­te zu Kriegs­be­ginn cir­ca 6.000 Ar­bei­ter in 65 Orts­ver­ei­nen or­ga­ni­sie­ren. Die­se ka­men in der Mehr­zahl aus tra­di­tio­nel­le­ren, hand­werk­li­chen und hoch­qua­li­fi­zier­ten Be­rufs­grup­pen wie Kup­fer-, Gold- und Sil­ber­schmie­de, Kla­vier­ma­cher, Band­we­ber oder Flie­sen­le­ger. Ihr Ver­ständ­nis vom So­zia­lis­mus un­ter­schied sich von dem des "Mas­sen­ar­bei­ter­ty­pus".

In der Vor­kriegs­zeit wen­de­te sich die Ver­ei­ni­gung ver­mehrt dem aus der fran­zö­si­schen Ar­bei­ter­schaft stam­men­den re­vo­lu­tio­nä­ren Syn­di­ka­lis­mus zu, der sich in sei­nen Grund­prin­zi­pi­en auf die Ers­te In­ter­na­tio­na­le be­rief und des­sen Auf­ga­ben mit den fol­gen­den zwei Punk­ten zu­sam­men­zu­fas­sen sind: 1. Den For­de­run­gen der Pro­du­zen­ten nach Si­che­rung und An­he­bung des Le­bens­stan­dards Gel­tung zu ver­schaf­fen. 2. Die Ar­bei­ter mit dem tech­ni­schen Ma­nage­ment der Pro­duk­ti­on und des öko­no­mi­schen Le­bens all­ge­mein ver­traut zu ma­chen und sie dar­auf vor­zu­be­rei­ten, den so­zio-öko­no­mi­schen Or­ga­nis­mus in ih­re Hän­de zu neh­men und nach so­zia­lis­ti­schen Prin­zi­pi­en zu ge­stal­ten.[3] 

Verbreitung anarchosyndikalistischer Ortsvereine in der Rheinprovinz um 1927, rote Markierungen vom Autor. (Gemeinfrei)

 

Die FVdG ent­wi­ckel­te sich auf die­sen Grund­sät­zen nach dem En­de des Ers­ten Welt­krie­ges zu ei­ner Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on, da sich die vie­len ra­di­ka­li­sier­ten Ar­bei­ter un­ter an­de­rem ihr zu­wand­ten. Aus 60.000 Mit­glie­dern am En­de des Krie­ges wur­den im Lau­fe des Jah­res 1919 be­reits bis zu 110.000 Mit­glie­der, die sich in der nun zu "Freie Ar­bei­ter Uni­on Deutsch­land" (FAUD) um­be­nann­ten Ge­werk­schaft or­ga­ni­sier­ten. Als theo­re­ti­sche Grund­la­ge fun­gier­te die "Prin­zi­pi­en­er­klä­rung des Syn­di­ka­lis­mus" von Ru­dolf Ro­cker (1873-1958).[4] 

Im Jahr 1921 er­reich­te die FAUD mit bis zu 150.000 Mit­glie­dern und ei­ner Auf­la­ge von 120.000 Ex­em­pla­ren ih­rer Zei­tung "Der Syn­di­ka­list" ih­ren or­ga­ni­sa­to­ri­schen Hö­he­punkt. Die Zu­sam­men­set­zung der Ge­werk­schaft än­der­te sich na­tur­ge­mäß, so ka­men nun in ho­her Zahl un­ge­lern­te, öko­no­misch ver­elen­de­te und po­li­tisch ver­bit­ter­te Ar­bei­ter zur FAUD. Für das Rhein­land ist zu be­ob­ach­ten, dass haupt­säch­lich Berg­ar­bei­ter und Ar­bei­ter aus der ei­sen- und stahl­pro­du­zie­ren­den Gro­ß­in­dus­trie des Ruhr­ge­biets in gro­ßer Zahl in die Or­ga­ni­sa­ti­on ein­tra­ten. Ge­mes­sen an den Mit­glie­der­zah­len und dem be­trieb­li­chen Ein­fluss bil­de­te das Rhein­land, ge­nau­er das Ruhr­ge­biet, ei­nen Schwer­punkt der Be­we­gung, so stamm­ten von den 110.000 Mit­glie­dern En­de des Jah­res 1919 al­lein 50.000 aus dem Rhein­land.

Die Grö­ße und der be­trieb­li­che Ein­fluss san­ken aber im Lau­fe der Wei­ma­rer Re­pu­blik ra­pi­de, zeit­gleich mit dem ge­ne­rel­len Ab­flau­en der re­vo­lu­tio­nä­ren Stim­mung im Land. Auch die Zu­sam­men­set­zung ver­än­der­te sich wie­der hin zur Vor­kriegs­si­tua­ti­on, da sich der Mas­sen­ar­bei­ter­ty­pus mit ten­den­zi­ell kurz­fris­ti­gen Zie­len und drän­gen­den Nö­ten ei­ne zä­he und auf lang­fris­ti­ge Ar­beit aus­ge­leg­te Ge­werk­schaft schlicht nicht leis­ten konn­te. Den­noch konn­te die FAUD ei­nen fes­ten und sta­bi­len Kreis an Mit­glie­dern, oft durch bio­gra­phi­sche Be­ge­ben­hei­ten be­dingt, bis in die 1930er Jah­re hal­ten. Für die il­le­ga­len Ak­ti­vi­tä­ten wäh­rend der NS-Zeit spiel­ten haupt­säch­lich die jun­gen Mit­glie­der ei­ne Rol­le, die in der Wei­ma­rer Zeit und un­ter an­de­rem in Feind­schaft zur NS­DAP be­zie­hungs­wei­se zur SA po­li­ti­siert wur­den. Da­zu kam noch die "Al­te Rie­ge", die be­reits in der Vor­kriegs­zeit und teil­wei­se so­gar noch wäh­rend der So­zia­lis­ten­ge­set­ze po­li­ti­siert wor­den und hoch­gra­dig ideo­lo­gi­siert war.

Die An­fän­ge ei­ner re­gio­na­len rhein­län­di­schen Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur der Syn­di­ka­lis­ten gin­gen der Grün­dung der FAUD vor­aus. Be­reits im Sep­tem­ber 1919 tra­fen sich in Düs­sel­dorf 105 De­le­gier­te von mehr als 130 Orts­grup­pen des Rhein­lands zur Grün­dung ei­nes re­gio­na­len Zu­sam­men­schlus­ses.

In den zahl­rei­chen Streiks der frü­hen 1920er Jah­re im Rhein­land nah­men in gro­ßem Um­fang auch die An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten teil, so zum Bei­spiel 1921 in Düs­sel­dorf, als ins­ge­samt 20.000 Me­tall­ar­bei­ter streik­ten, 1922, eben­falls in Düs­sel­dorf, als ins­ge­samt zwi­schen 45.000 (Zahl der Po­li­zei) und 100.000 (Zahl der Streik­lei­tung) Ar­bei­ter der Me­tall- und Bau­in­dus­trie streik­ten oder bei ei­nem kurz dar­auf statt­fin­den­den Streik der Me­tall- und Tex­til­ar­bei­ter in Oedt, Süch­teln (heu­te Stadt Vier­sen), Dül­ken (heu­te Stadt Vier­sen), Lob­be­rich (heu­te Stadt Net­te­tal), Mön­chen­glad­bach, Vier­sen und Kre­feld. Auch wenn die­se Streiks meist nicht auf In­itia­ti­ve der FAUD statt­fan­den und nicht kom­plett von ihr ge­tra­gen wur­den, so konn­te sie den­noch gro­ßen Ein­fluss dar­auf aus­üben, ins­be­son­de­re, wenn die Er­war­tun­gen der Ar­bei­ter von den Ta­rif­ver­ei­ni­gun­gen der Zen­tral­ge­werk­schaf­ten ent­täuscht wur­den oder bei wil­den Streiks. Eben­falls kam es im Gro­ß­raum Köln zu ei­ni­gen Streiks mit Be­tei­li­gung der Syn­di­ka­lis­ten, so un­ter an­de­rem bei den Far­ben­fa­bri­ken in Le­ver­ku­sen An­fang 1921 oder 1922 in Knap­sack (heu­te Stadt Hürth).

Auf dem Ge­biet der 1924 ge­grün­de­ten Pro­vin­zi­al Ar­beits­bör­se Rhein­land, die die Pro­vinz Rhein­land und West­fa­len (bis es dort zu ei­ner PAB-Grün­dung kam) ab­de­cken soll­te, gab es 1922 110 Orts­ver­ei­ne, haupt­säch­lich aus der Me­tall- und Berg­bau­bran­che mit noch cir­ca 23.500 Mit­glie­dern. Zur Auf­ga­be der PAB Rhein­land ge­hör­ten zu­al­ler­erst die Pro­pa­gan­da und die Agi­ta­ti­on ih­rer Ide­en, ab 1926 auch die Zah­lun­gen von So­li­da­ri­täts­gel­dern im Streik­fall und Re­ge­lung or­ga­ni­sa­to­ri­scher Fra­gen. Wie im ge­sam­ten Reichs­ge­biet gin­gen die Mit­glieds­zah­len bis 1930 ra­pi­de zu­rück, so wa­ren in den Struk­tu­ren der PAB Rhein­land 1927 noch 58 Orts­ver­ei­ne mit cir­ca 2.500 Mit­glie­dern, En­de 1930 46 Orts­ver­ei­ne mit 1.380 Mit­glie­dern or­ga­ni­siert.

3. Im Widerstand

Schon vor 1933 be­gann die an­ti­fa­schis­ti­sche Agi­ta­ti­on der An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten. Bei­spiel­haft hier­für sol­len die so­ge­nann­ten "Schwar­zen Scha­ren" vor­ge­stellt wer­den, die 1929 so zum ers­ten Mal im für die FAUD ei­gent­lich un­be­deu­ten­den Ober­schle­si­en auf­tra­ten. Die ein­zi­ge be­leg­te Grup­pe des Rhein­lands kam aus der Wup­per­ta­ler Ju­gend­be­we­gung der FAUD, der so­ge­nann­ten Syn­di­ka­lis­tisch-An­ar­chis­ti­schen Ju­gend Deutsch­land (SA­JD), mit der die Schwar­ze Schar dort wohl auch per­so­nell iden­tisch war und cir­ca 20–25 Mit­glie­der ver­ein­te. Die Schwar­zen Scha­ren ver­stan­den sich als an­ti­fa­schis­ti­sche Kampf­or­ga­ni­sa­ti­on, ver­gleich­bar mit dem Rot­front­kämp­fer­bund der KPD. Zu die­sem Zweck be­saß die Grup­pe in Wup­per­tal auch meh­re­re Re­vol­ver und ei­nen Ka­ra­bi­ner, in de­ren Be­nut­zung sie un­ter­rich­tet wor­den wa­ren. Al­ler­dings rich­te­te sich die Grup­pe nicht al­lein ge­gen An­grif­fe der ört­li­chen SA, auch Schutz vor den Kom­mu­nis­ten war not­wen­dig. Die Grün­dung der Schwar­zen Scha­ren nur auf ei­ne rei­ne Funk­ti­on als "Saal­schutz­trup­pe" zu re­du­zie­ren, wür­de al­ler­dings zu kurz grei­fen. Sie ver­deut­lich­te den Ver­such ei­ner Neu­aus­rich­tung in der Zeit, als der be­trieb­li­che Ein­fluss nur noch punk­tu­ell exis­tent war. Es zeigt sich, dass die sie tra­gen­den Ju­gend­li­chen al­le­samt nicht im Ers­ten Welt­krieg ge­kämpft hat­ten, son­dern in den po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Wir­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik und ins­be­son­de­re durch die po­li­ti­sche Ge­walt auf den Stra­ßen ge­prägt und po­li­ti­siert wur­den. In Wup­per­tal war die Schwar­ze Schar durch be­son­ders ho­he Ak­ti­vi­tät und Ent­schlos­sen­heit ge­kenn­zeich­net. Dies zeigt un­ter an­de­rem der Ge­brauch von Schuss­waf­fen zur Ver­tei­di­gung ge­gen die SA. Ih­re Mit­glie­der ver­such­ten, durch kom­plett schwar­ze Klei­dung in­klu­si­ve schwar­zem So­wjet­stern und ei­ner Fah­ne mit der Auf­schrift „Tod dem Fa­schis­mus" ein ein­heit­li­ches Bild ab­zu­ge­ben, das al­ler­dings auf­grund knap­per fi­nan­zi­el­ler Mit­tel nicht kom­plett um­ge­setzt wer­den konn­te. Die SA hielt die Schwar­ze Schar auch nach der Aus­sa­ge ei­nes An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten für weit­aus grö­ßer als sie ei­gent­lich war und hat­te des Öf­te­ren Pro­ble­me mit ihr.

Die Grup­pe führ­te, ne­ben den pro­le­ta­ri­schen Ar­beits­ver­hält­nis­sen, ei­nen höchst ak­ti­vis­ti­schen All­tag mit un­ter­schied­li­chen For­men der Be­tä­ti­gung, der im Klei­nen zeigt, dass es sich bei der an­ar­cho-syn­di­ka­lis­ti­schen Be­we­gung An­fang der 1930er Jah­re um mehr als ei­ne po­li­ti­sche Sek­te han­del­te. Fol­gen­des Zi­tat ei­nes Ta­pe­ten­dru­ckers aus Sonn­born (heu­te Stadt Wup­per­tal) ver­deut­licht das ein­drucks­voll: „Mor­gens mu­ßt ich um 6 raus – wenn ich ver­schla­fen hab, hieß es oh­ne Früh­stück auf's Fahr­rad sprin­gen und nach Sonn­born. Nach der Ar­beit ha­ben wir [die SA­JD] uns meis­tens gleich ir­gend­wo ge­trof­fen – da­mals war ja im­mer was los: Schlä­ge­rei­en mit den Na­zis, Dis­kus­sio­nen am Rat­haus mit den Ka­kao­phi­lo­so­phen, Flug­blät­ter ma­chen oder ver­tei­len, am Ge­werk­schafts­haus oder auf der Stra­ße. Abends gin­gen wir im­mer zu den an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen in ih­re Ver­samm­lun­gen, um uns da ein­zu­mi­schen. Oder wir wa­ren un­ter uns zu­sam­men. Ich bin da­mals glaub ich sel­ten vor zwölf ins Bett ge­kom­men – und dann hab ich oft noch bis 3 ge­le­sen[...].“[5] Da­zu ka­men noch au­ßer­or­dent­li­che Ver­an­stal­tun­gen wie De­mons­tra­tio­nen, an de­nen sich die Schwar­ze Schar als sol­che be­tei­lig­te, so­wohl in Wup­per­tal selbst als auch im na­hen Um­feld.

Be­reits En­de 1932 hat­te die FAUD be­schlos­sen, sich im Fal­le ei­nes na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wahl­sie­ges recht­zei­tig selbst auf­zu­lö­sen, um ei­nem Ver­bot zu­vor­zu­kom­men, da sie mit ei­ner län­ge­ren Dik­ta­tur rech­ne­te. So ge­schah es dann auch im Fe­bru­ar 1933, die Grup­pen der FAUD lös­ten sich of­fi­zi­ell auf und über­führ­ten ih­re Struk­tu­ren in die Il­le­ga­li­tät.

Spon­ta­ne Ak­tio­nen ge­gen die Wahl Adolf Hit­lers (1889-1945) zum Reichs­kanz­ler durch An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten sind bei­spiel­haft in Wup­per­tal gut durch Zeit­zeu­gen­be­rich­te greif­bar. Hans Schmitz, ein jun­ger An­ar­cho-Syn­di­ka­list aus der SA­JD und der Schwar­zen Schar aus Wup­per­tal, be­rich­te­te, wie er sich am 31.1.1933 an­läss­lich ei­nes Fa­ckel­zugs der SA durch El­ber­feld mit Ge­nos­sen traf und sie durch Sei­ten­stra­ßen meh­re­re Ma­le von hin­ten auf die fei­ern­de Mas­se am Ran­de dräng­ten, die­se da­mit in den Fa­ckel­zug schubs­ten und so­mit den Zug stör­ten. Be­reits am Tag zu­vor war es zu spon­ta­nen De­mons­tra­tio­nen in ganz Wup­per­tal ge­kom­men, an de­nen auch ört­li­che an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­sche Grup­pen teil­ge­nom­men hat­ten.

Die im Fol­gen­den be­schrie­be­nen Wi­der­stands­ak­tio­nen las­sen sich al­le un­ter der Ka­te­go­rie „Um­sturz­ver­su­ch“ zu­sam­men­fas­sen. Wie auch das OLG Hamm fest­stell­te, ging es den An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten haupt­säch­lich um die Auf­recht­er­hal­tung der Struk­tu­ren der FAUD. Die Zie­le und Be­stre­bun­gen wa­ren wei­ter­hin dar­auf aus­ge­rich­tet, den frei­heit­li­chen So­zia­lis­mus zu er­rei­chen, der dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus dia­me­tral ge­gen­über­stand. Dar­aus re­sul­tier­te auch, dass (fast) al­le An­ge­klag­ten im gro­ßen Pro­zess 1937 we­gen „Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­ra­t“ ver­ur­teilt wur­den.

Im Rhein­land kam es in der ers­ten Hälf­te des Jah­res 1933 zu ei­ner über­re­gio­na­len Neu­ver­net­zung, die haupt­säch­lich von dem Duis­bur­ger Au­to­schlos­ser Ju­li­us Nol­den (1875-1973) auf­ge­stellt und ge­hal­ten wur­de. Als Grab­red­ner der deut­schen Feu­er­be­stat­tungs­kas­se und als ehe­ma­li­ger Kas­sie­rer der Pro­vin­zi­al Ar­beits­bör­se Rhein­land hat­te er die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen, um halb­wegs un­auf­fäl­lig mit dem Rad die ein­zel­nen Or­te, in de­nen es wi­der­stän­di­ge Grup­pen gab, zu er­rei­chen. Auch wei­te­re An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten wa­ren am re­gio­na­len Netz­werk be­tei­ligt. Die meis­ten kann­te Nol­den per­sön­lich und sie bil­de­ten dann den Ver­bin­dungs­kno­ten in die je­wei­li­gen Or­te hin­ein. Über die­ses Netz­werk wur­den un­ter an­de­rem il­le­ga­le Schrif­ten ge­schmug­gelt und ver­teilt, Gel­der ge­sam­melt und ver­teilt oder In­for­ma­tio­nen aus­ge­tauscht, wor­auf noch zu kom­men zu sein wird.

3.1 Fluchthilfe

Zur wich­tigs­ten Auf­ga­be der il­le­ga­len Or­ga­ni­sa­ti­on, auch be­dingt durch die grenz­na­he La­ge, zähl­te die Flucht­hil­fe. Be­reits auf dem letz­ten of­fi­zi­el­len Kon­gress der FAUD 1932 wur­de in ge­hei­men Ab­spra­chen ei­ne Flucht­rou­te für ge­fähr­de­te Mit­glie­der über Duis­burg, Vier­sen, Dül­ken, Kal­den­kir­chen (heu­te Stadt Net­te­tal) nach Ven­lo auf­ge­stellt. Als zen­tra­le An­lauf­stel­le für Flüch­ten­de aus dem Reichs­ge­biet dien­te Nol­dens Woh­nung in Duis­burg. Ab Ju­ni 1933 hat­te er re­gel­mä­ßig Kon­takt zur Ge­schäfts­kom­mis­si­on (GK, die reichs­wei­te Ko­or­di­nie­rungs­stel­le der FAUD) in Er­furt und ab Ju­li zu Al­bert de Jong (1891-1970), ei­nem nie­der­län­di­schen An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten, der wie­der­um Kon­takt zum neu ge­grün­de­ten Aus­lands­ko­mi­tee der FAUD in Ams­ter­dam hat­te. Da­mit wa­ren die lo­gis­ti­schen Struk­tu­ren vor­han­den, um ef­fek­ti­ve Flucht­hil­fe zu leis­ten. Im Ab­stand von cir­ca vier bis sechs Wo­chen tra­fen An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten und An­ar­chis­ten in Nol­dens Woh­nung ein. Von dort wur­den sie dann in ei­nen grenz­na­hen Ort ge­bracht, mit Rei­se­gel­dern aus­ge­stat­tet und von orts­an­säs­si­gen Ge­nos­sen über die Gren­ze ge­bracht.

Porträtfoto von Rudolf Rocker, ca. 1930. (Gemeinfrei)

 

Der An­ar­cho-Syn­di­ka­list Hel­mut Kir­schey (1913-2003) be­rich­te­te 2001, wie er per Mo­tor­rad von Duis­burg nach Vier­sen ge­fah­ren, dort von zwei Frau­en ein paar Ta­ge ver­sorgt und an­schlie­ßend zu ei­nem güns­ti­gen Zeit­punkt von zwei mit Pis­to­len be­waff­ne­ten Män­nern zu Fuß über die grü­ne Gren­ze ge­bracht wur­de. Sie ent­ka­men nur knapp ei­ner SS–Pa­trouil­le, die be­reits auf sie ziel­te, es aber nicht wag­te, über die Gren­ze zu schie­ßen. In Ven­lo wur­de Kir­schey in Emp­fang ge­nom­men und mit ei­ner Fahr­kar­te nach Ams­ter­dam aus­ge­stat­tet, wo ihn dann zwei Exi­lan­ten in Emp­fang nah­men. Bis April 1934 ge­lang be­reits cir­ca 50 An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten über die­se Nie­der­rhein-Rou­te die Flucht ins Aus­land, ab Herbst 1934 nahm die Flucht­be­we­gung aber stark ab, um dann im Som­mer 1936 im Rah­men der Spa­ni­schen Re­vo­lu­ti­on wäh­rend des Bür­ger­kriegs noch ein­mal kurz an­zu­stei­gen, da die deut­schen An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten auf Sei­ten der spa­ni­schen Schwes­ter­ge­werk­schaft CNT-FAI ge­gen den Fa­schis­mus kämp­fen woll­ten.[6] 

Ei­ne zwei­te Flucht­rou­te lief über Düs­sel­dorf und Aa­chen. Zwar hat­te die Orts­grup­pe der FAUD in Aa­chen kei­nen Kon­takt zum Netz­werk im Rhein­land, je­doch nach Süd- und Mit­tel­deutsch­land. Bis 1934 ge­lang­ten 30-40 Flüch­ten­de (zu­meist Ge­nos­sen, ver­ein­zelt aber auch Men­schen jü­di­schen Glau­bens) über den di­rek­ten Weg nach Vaals be­zie­hungs­wei­se Kel­mis (La Ca­la­mi­ne), 1934–1936 et­wa 20 über Merk­stein (heu­te Stadt Her­zo­gen­rath) und bis 1940 nur noch Ver­ein­zel­te über die Ei­fel ins Aus­land. Al­ler­dings be­stand in Aa­chen ei­ne Grup­pe der „Fö­de­ra­ti­on Kom­mu­nis­ti­scher An­ar­chis­ten" (FKA), die Kon­takt nach Düs­sel­dorf und dar­über zum Netz­werk der ehe­ma­li­gen PAB Rhein­land hat­te. Als Start­punkt für die­se Rou­te dien­te die Woh­nung von Ernst Bin­der (geb. am 30.07.1899) aus Düs­sel­dorf und die Flüch­ten­den wur­den von dort aus von dem Aa­che­ner Si­mon Weh­ren nach Aa­chen und über die Gren­ze ge­bracht. Ei­ne ge­naue An­zahl ist schwer zu er­mit­teln. Nach Aus­sa­gen Bin­ders wa­ren es Hun­der­te, die Zahl ist im Ver­gleich zu den an­de­ren Rou­ten je­doch wohl weit über­trie­ben. Die­se Rou­te kam spä­tes­tens mit der Flucht Si­mon Weh­rens und sei­ner Fa­mi­lie En­de 1936 im Rah­men der Zer­schla­gung des Netz­werks zum Er­lie­gen. Ob es da­nach noch Flucht­hil­fe gab, ist nicht zu er­mit­teln. Falls ja, dann ist sie un­ter dem Ra­dar der Ver­fol­gungs­be­hör­den ge­blie­ben und wohl auch nicht so um­fang­reich ge­sche­hen als vor­her. Spä­tes­tens mit dem Be­ginn des Zwei­ten Welt­krie­ges und den da­mit ein­her­ge­hen­den Grenz­ver­schie­bun­gen konn­te es lo­gi­scher­wei­se kei­ne di­rek­te Flucht­hil­fe mehr im Rhein­land ge­ben. 

Porträtfoto von Helmut Kirschey. (Privatarchiv Dieter Nelles)

 

3.2 Schriftenschmuggel

Ei­nen zwei­ten für den or­ga­ni­sa­to­ri­schen Zu­sam­men­halt wich­ti­gen Zweig des an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Wi­der­stands im Rhein­land bil­de­te der Schrif­ten­schmug­gel. Über die glei­chen Ver­bin­dun­gen, über die die Flüch­ten­den aus dem Reich flo­hen, ka­men Schrif­ten nach Deutsch­land. Für den Schmug­gel aus Ven­lo war haupt­säch­lich Hein­rich Hil­le­brandt (geb. am 6.12.1900) aus Dül­ken ver­ant­wort­lich, der per Fahr­rad nach Ven­lo fuhr, das Schmug­gel­gut zwi­schen Rei­fen und Fel­gen sei­nes Fahr­rads ver­steck­te und dann das Ma­te­ri­al an Nol­den wei­ter­gab. Von Nol­den wur­de das Ma­te­ri­al dann ver­teilt und wur­de so von Per­son zu Per­son be­zie­hungs­wei­se von Fa­mi­lie zu Fa­mi­lie wei­ter­ge­ge­ben, bis es am En­de des Netz­werks an­kam. Dann wur­de das Ma­te­ri­al ent­we­der ver­nich­tet oder wie­der zu­rück­ge­ge­ben, um in an­de­re Or­te ge­bracht zu wer­den. Falls mög­lich, ga­ben die ein­zel­nen Le­sen­den ein frei­wil­li­ges Le­se­geld mit den Schrif­ten wie­der zu­rück. Die­ses Geld wur­de dann ent­we­der für die Flucht­hil­fe oder als Un­ter­stüt­zung für die Fa­mi­li­en von In­haf­tier­ten ein­ge­setzt. Da­ne­ben kam es aber auch zu in­di­vi­du­el­len Schmug­gel­ak­tio­nen, wie zum Bei­spiel durch die Köl­ne­rin Mar­ga­re­te Sa­bal­la. Sie fuhr per Zug oder An­hal­ter di­rekt nach Ams­ter­dam und schmug­gel­te, wohl be­güns­tigt durch ge­schlechts­spe­zi­fi­sche Rol­len­zu­tei­lun­gen der Ge­sell­schaft, Schrif­ten auf dem­sel­ben Weg zu­rück.

Zu den ein­ge­schmug­gel­ten und an­schlie­ßend ver­teil­ten Schrif­ten zähl­ten ne­ben un­ter­schied­li­cher an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­scher Li­te­ra­tur auch so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Schrif­ten oder Zeit­schrif­ten deut­scher Emi­gran­ten, die in Ven­lo frei käuf­lich wa­ren. Die am wei­tes­ten ver­brei­te­te, an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­sche Schrift war die un­ter dem Na­men "Eßt deut­sche Früch­te und ihr bleibt ge­sund" ge­tarn­te Bro­schü­re, die die an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Zie­le ver­deut­li­chen soll­te und zum Wi­der­stand ge­gen den NS-Staat auf­rief. Im spä­te­ren gro­ßen Syn­di­ka­lis­ten­pro­zess wur­den sie al­ler­dings zum Haupt­be­weis­mit­tel ge­gen die An­ge­klag­ten. Sol­che Bro­schü­ren oder ähn­li­che Flug­blät­ter ge­lang­ten durch die Ak­ti­vis­ten auch über Brief­käs­ten oder durch Tür­schlit­ze in die Woh­nun­gen der Ar­bei­ter­schaft. Es ist je­doch da­von aus­zu­ge­hen, dass dies auf­grund der ho­hen Ge­fahr der Ent­de­ckung und des recht ho­hen Auf­wands, vie­le Men­schen zu er­rei­chen, nicht im gro­ßen Stil be­trie­ben wur­de, son­dern eher klan­des­tin und in klei­ne­rem Um­fang.

Auch über Aa­chen wur­den Schrif­ten ein­ge­schmug­gelt. So ließ ei­ne Düs­sel­dor­fer Grup­pe rund um An­ton Ro­sin­ke (1881-1937) und die Ge­brü­der Fritz, Wil­ly und Au­gust „Eu­gen“ Ben­ner bis 1934 über ih­ren Kon­takt nach Aa­chen ein ei­ge­nes Mit­tei­lungs­blatt in Vaals dru­cken und ein­schmug­geln. Sie ver­teil­ten es un­ter zu­ver­läs­si­gen Ge­nos­sen be­zie­hungs­wei­se ga­ben sie über Ro­sin­ke an Ger­hard Las­ar­zick (geb. am 10.1.1901), der sei­ner­seits mit Nol­den und der Wup­per­ta­ler Grup­pe im Kon­takt stand.

Ne­ben der Ein­fuhr von Schrif­ten pro­du­zier­ten und ver­viel­fäl­tig­ten die ein­zel­nen Orts­grup­pen in der Il­le­ga­li­tät auch ei­ge­ne Schrif­ten. So be­saß prak­tisch je­de noch exis­tie­ren­de Grup­pe im Rhein­land ei­ne Mög­lich­keit zur Ver­viel­fäl­ti­gung, vom im­pro­vi­sier­ten Dru­cken mit­hil­fe ei­ner Wring­ma­schi­ne in Wup­per­tal, sim­plem Ab­schrei­ben auf Schreib­ma­schi­nen durch die Düs­sel­dor­fe­rin­nen Ma­rie und Lot­te Gott­schalk, ei­ner ei­ge­nen Dru­cke­rei beim Düs­sel­dor­fer Paul Hel­berg (1905-1989) oder ei­ner Ab­zugs­ma­schi­ne zur Pro­duk­ti­on von Flug­blät­tern in ei­nem Eh­ren­fel­der Gar­ten­häus­chen.

3.3 Lokaler Widerstand

Dar­aus ist zu er­ken­nen, dass es ne­ben der re­gio­na­len Ebe­ne des Netz­werks auch lo­ka­le Ak­tio­nen wi­der­stän­di­ger Na­tur in den ein­zel­nen Kno­ten des Netz­werks gab. Wei­te­re sol­che Ak­tio­nen sol­len nun vor­ge­stellt wer­den, oh­ne in ei­ner zu klein­tei­li­gen und lis­ten­haf­ten Auf­zäh­lung zu ver­sump­fen. Hier dient zu­erst die Wup­per­ta­ler Grup­pe wie­der als Mög­lich­keit, po­li­ti­schen Wi­der­stand auf klei­ner Ebe­ne zu be­leuch­ten.

Der Bru­der ei­nes Wup­per­ta­ler An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten war bei der SA, dem er ge­le­gent­lich beim Ver­tei­len von NS-Zeit­schrif­ten half; da­bei merk­te er sich die Adres­sen von füh­ren­den SA-Mit­glie­dern in Wup­per­tal. Die­se ließ er dann über das Netz­werk an Köl­ner Ge­nos­sen wei­ter­lei­ten, wel­che selbst im Be­sitz von Adres­sen füh­ren­der SA-Mit­glie­der aus Köln wa­ren. Nun schrie­ben die Köl­ner An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten Brie­fe an die Wup­per­ta­ler SA-Leu­te im Na­men ih­rer Köl­ner Ka­me­ra­den, in de­nen sich die an­geb­li­chen Ab­sen­der ne­ga­tiv und kri­tisch über ak­tu­el­le po­li­ti­sche Er­eig­nis­se äu­ßer­ten. Ob und wie sehr die heu­te wohl als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gue­ril­la be­zeich­ne­te Tak­tik für Ver­wir­rung oder gar für Span­nun­gen in­ner­halb der SA sorg­te, ist nicht be­kannt, aber an­zu­neh­men.

In­ner­halb Wup­per­tals gin­gen die Ak­ti­vis­ten rasch da­zu über, nicht mehr die mit He­rings­brü­he und Kalk in der Stadt ge­kleb­ten Pro­pa­gan­da­zet­tel­chen zu ver­wen­den, da die­se von Ge­fan­ge­nen mit blo­ßem Fin­ger wie­der ab­ge­kratzt wer­den muss­ten, son­dern sie schrie­ben mit Far­be kur­ze Bot­schaf­ten di­rekt auf die Wän­de der Stadt, so­zu­sa­gen an­ti­fa­schis­ti­sche Graf­fi­ti.

Hans Schmitz be­rich­te­te au­ßer­dem von ei­ner Me­tho­de, die er selbst als "Kof­fer ab­stel­len" be­zeich­ne­te. Da­für wur­den al­te, far­be­sau­gen­de Ma­te­ria­li­en in Form von Buch­sta­ben, die kur­ze Bot­schaf­ten bil­de­ten, un­ter ei­nen Kof­fer ge­klebt. Mit die­sem Kof­fer zo­gen die Ak­ti­vis­ten des Abends durch die Vor­städ­te, tunk­ten die Buch­sta­ben in Far­be, gin­gen an den ge­wünsch­ten Platz, stell­ten den Kof­fer ab und ver­schwan­den in ei­nem güns­ti­gen Zeit­punkt rasch wie­der in ei­ne dunk­le Sei­ten­gas­se, um das Pro­ze­de­re zu wie­der­ho­len. Be­son­ders er­folg­ver­spre­chend scheint die­se Me­tho­de nicht ge­we­sen zu sein, sie un­ter­streicht aber den Ein­falls­reich­tum, der an den Tag ge­legt wer­den muss­te.

In Düs­sel­dorf konn­ten die An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten auf ein ver­gleichs­wei­se gu­tes fi­nan­zi­el­les Pols­ter zu­rück­grei­fen, das auf der lan­gen be­trieb­li­chen Bin­dung der FAUD bei den Düs­sel­dor­fer Flie­sen­le­gern ba­sier­te. Nach Aus­sa­gen von Karl Wind­hoff (1872-1941) lag der Kas­sen­be­stand der an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Flie­sen­le­ger in Düs­sel­dorf zum Zeit­punkt der Auf­lö­sung 1933 bei 2.000 RM. Die­se hat­te er zwar, laut sei­ner ei­ge­nen An­ga­be, mit der Auf­lö­sung an die ehe­ma­li­gen Mit­glie­der li­qui­diert, es ist aber an­zu­neh­men, dass ein nicht un­be­trächt­li­cher Teil da­von für Ak­tio­nen ge­gen den NS-Staat zur Ver­fü­gung stand. Da­mit wä­re auch zu er­klä­ren, dass die Düs­sel­dor­fer die klam­men Wup­per­ta­ler Ge­nos­sen fi­nan­zi­ell un­ter­stüt­zen konn­ten und in der La­ge wa­ren, das Mit­tei­lungs­blatt in Vaals dru­cken zu las­sen. Zu­sätz­lich sam­mel­ten sie, wie al­le an­de­ren Orts­grup­pen auch, bis mög­li­cher­wei­se En­de 1936, das hei­ßt bis zur Ver­haf­tungs­wel­le, Spen­den­gel­der ein. Die Spen­den ge­lang­ten über die­sel­ben We­ge wie die Le­se­gel­der an Nol­den, der sie an die Stel­len wei­ter­gab, die die­se Gel­der be­nö­tig­ten. Für die Dau­er der Samm­lungs­tä­tig­kei­ten wi­der­spre­chen sich die Aus­sa­gen; das ist je­doch ein­fach durch ei­ne un­ter­schied­lich lan­ge Spen­den­tä­tig­keit der ein­zel­nen Mit­glie­der be­zie­hungs­wei­se Orts­grup­pen zu er­klä­ren. Die­se Sam­mel- und Ver­tei­lungs­tä­tig­kei­ten un­ter­strei­chen er­neut den gu­ten or­ga­ni­sa­to­ri­schen Zu­sam­men­halt und den Grad an Or­ga­ni­sa­ti­on der il­le­ga­len PAB Rhein­land in der NS-Zeit.

Für ei­ne wei­te­re fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung sorg­te Schwarz­ar­beit, wie Hans Schmitz aus Wup­per­tal be­rich­te­te. Durch die Schwarz­ar­beit, die an sich schon ei­ne Form von Wi­der­stand dar­stell­te, konn­ten sich die Wup­per­ta­ler meh­re­re Fahr­rä­der leis­ten, mit de­ren Hil­fe sie als Ama­teur­sport­ler ge­tarnt, Bo­ten­gän­ge für die FAUD durch­führ­ten. Auch beim The­ma Spen­den­samm­lung kam es im Som­mer 1936 zu ei­nem er­neu­ten Auf­schwung der Tä­tig­kei­ten, da Gel­der für Spa­ni­en ge­sam­melt wur­den. Für Düs­sel­dorf be­rich­te­te Ernst Bin­der über ei­ne „rüh­ri­ge Sam­mel­tä­tig­keit"[7], mit der mehr­mals ei­ni­ge hun­dert und bis zu tau­send Reichs­mark ge­sam­melt wur­den. Die­se Gel­der wur­den mit Hil­fe von Si­mon Weh­ren über Aa­chen ins Aus­land und wahr­schein­lich durch die Frei­wil­li­gen nach Spa­ni­en ge­bracht.

Aufnahme aus einem Fotoalbum von Hans Schmitz von einem Ausflug nach Kaub (früher: Caub), ca. 1935. (FAU-IKA (fau.org) / Nachfolgeorganisation der FAUD/AS)

 

In ei­ni­gen Fäl­len ver­la­ger­ten be­zie­hungs­wei­se er­wei­ter­ten sich die Ak­ti­vi­tä­ten der (jun­gen) An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten im Lau­fe der Zeit. So ist so­wohl für die Wup­per­ta­ler als auch die Köl­ner Grup­pe be­kannt, dass sie sich in der auf­kom­men­den Be­we­gung un­an­ge­pass­ter Ju­gend­li­cher wie den Edel­weiß- oder Düs­sel­pi­ra­ten en­ga­gier­ten und ei­ge­ne Fahr­ten aus Wup­per­tal be­zie­hungs­wei­se Köln or­ga­ni­sier­ten. Es ist al­ler­dings fest­zu­hal­ten, dass es sich hier­bei nicht um an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Wi­der­stand han­del­te, son­dern eher um ei­ne an­ar­cho­syn­di­ka­lis­tisch be­grün­de­te Mo­ti­va­ti­on für un­an­ge­pass­tes Ver­hal­ten Ju­gend­li­cher.

Die ein­zi­ge Grup­pe, die ei­nen fes­te­ren Kon­takt über die ei­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Ideo­lo­gie­g­ren­zen hin­aus hat­te, kam aus Mön­chen­glad­bach. Dort traf man sich re­gel­mä­ßig mit ört­li­chen Kom­mu­nis­ten der KAPD und der KPDO an öf­fent­li­chen Or­ten wie dem Kai­ser­park, vor dem Ar­beits­amt oder in ei­ner Bil­lard­hal­le, um über po­li­ti­sche Ge­scheh­nis­se zu dis­ku­tie­ren, den an­de­ren von den In­hal­ten des Mos­kau­er Sen­ders zu be­rich­ten oder ge­le­se­ne (il­le­ga­le) Schrif­ten wei­ter­zu­ge­ben, die un­ter an­de­rem die Mön­chen­glad­ba­cher An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten von den Ge­nos­sen aus Dül­ken, Süch­teln und Vier­sen be­ka­men. Der Grund für die in der Form für das Rhein­land ein­zig­ar­ti­gen Kon­tak­te zu an­de­ren Grup­pie­run­gen liegt wohl an per­so­nel­len Über­schnei­dun­gen be­zie­hungs­wei­se „Über­läu­fern", die die Grup­pen wäh­rend der Wei­ma­rer Zeit ver­ban­den und zu­dem an ei­ner Un­ter­schät­zung der Sta­bi­li­tät und Ge­fähr­lich­keit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, da sie der Mei­nung wa­ren, die­ser hät­te rasch ab­ge­wirt­schaf­tet.

Trotz der un­ste­ten und ver­gleichs­wei­se of­fe­nen Form der Dis­kus­si­ons­run­den wur­de die Ge­sta­po erst ge­gen En­de 1936 durch ei­nen Spit­zel auf die Tref­fen auf­merk­sam, wor­auf­hin die Ver­haf­tungs­wel­le be­gann, die auch die rest­li­chen an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Grup­pie­run­gen des Rhein­lan­des er­fass­te. Zu­erst ka­men die Ver­fol­gungs­be­hör­den über Mön­chen­glad­bach je­doch nur an die Vier­sener, Dül­ke­ner und Süch­tel­ner Grup­pen. Zur sel­ben Zeit er­litt Ju­li­us Nol­den al­ler­dings ei­nen Ver­kehrs­un­fall und bei ihm wur­de ein klei­ner Zet­tel ge­fun­den, der die Da­ten zum "Sen­der Bar­ce­lo­na" ent­hielt. Bei der dar­auf­fol­gen­den Haus­durch­su­chung wur­de ein Ver­tei­ler­schlüs­sel der Schrif­ten und für die ein­ge­nom­me­nen Le­se­gel­der ge­fun­den. Da­her konn­te nun auch der Rest der rhein­län­di­schen An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten ver­haf­tet und mit den be­reits ver­haf­te­ten Grup­pen in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den.

3.4 Der Prozess

Der dar­auf­fol­gen­de Syn­di­ka­lis­ten­pro­zess wur­de in zwei Etap­pen An­fang 1937 vor dem OLG Hamm ver­han­delt. An­ge­klagt wa­ren 88 Per­so­nen, wo­von sechs frei­ge­spro­chen wur­den, der Gro­ß­teil aber we­gen Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat zu mehr­jäh­ri­gen Zucht­haus- oder Ge­fäng­nis­stra­fen ver­ur­teilt wur­de. Al­ler­dings wa­ren be­reits im Vor­feld meh­re­re Ver­haf­te­te un­ter teil­wei­se un­ge­klär­ten Um­stän­den zu To­de ge­kom­men. Da­zu ge­hör­ten Mi­cha­el De­lis­sen aus Mön­chen­glad­bach (nach „ver­schärf­tem Ver­hör" in der Zel­le er­hängt), An­ton Ro­sin­ke aus Düs­sel­dorf (sein „gan­ze[r] Kör­per war mit Schlag­wun­den, wie von Sei­ten­ge­wehr­hie­ben be­deckt"[8]) und Emil Mah­nert (gest. am 26.1.1937) aus Duis­burg (Sturz aus dem zwei­ten Stock des Duis­bur­ger Ge­fäng­nis, un­klar ob Selbst­mord, Un­fall oder Mord). Der Pro­zess ge­gen Ju­li­us Nol­den fand nicht in Hamm, son­dern in Ber­lin vor dem Volks­ge­richts­hof statt. Nol­den wur­de zu zehn Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Beim gro­ßen Pro­zess wur­den die An­ge­klag­ten zu ins­ge­samt 168 Jah­ren und sechs Mo­na­ten Zucht­haus so­wie 25 Jah­ren und neun Mo­na­ten Ge­fäng­nis ver­ur­teilt.

Mitglieder der Anarcho- und Düsselpiraten nach 1933 in Dünntal. (FAU-IKA (fau.org) / Nachfolgeorganisation der FAUD/AS)

 

Da­nach war die il­le­ga­le Or­ga­ni­sa­ti­on der FAUD im Rhein­land de fac­to zer­schla­gen. Es gibt zwar noch ver­ein­zel­te Be­rich­te dar­über, dass die nicht an­ge­klag­ten Frau­en der In­haf­tier­ten wei­ter Flucht­hil­fe leis­te­ten, wor­über aber lei­der kei­ne ge­si­cher­ten In­for­ma­tio­nen ver­füg­bar sind. Es kam noch zu in­di­vi­du­el­len For­men des an­ar­cho­syn­di­ka­lis­tisch mo­ti­vier­ten Wi­der­stands, wie bei­spiels­wei­se die Köl­ner Mar­ga­re­te und Jo­hann Sa­bal­la be­rich­te­ten. Sie leg­ten im Köl­ner Haupt­bahn­hof Hand­zet­tel in die Wag­gons, die die Sol­da­ten für die West­front über ih­re Rol­le im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus auf­klä­ren soll­ten oder es kam zu Schwarz­ar­beit, Krank­ma­chen etc. Hans Schmitz aus Wup­per­tal be­rich­te­te noch, dass er nach Ent­las­sung aus dem Zucht­haus wei­ter­hin mit un­an­ge­pass­ten Ju­gend­li­chen wie den Düs­sel­pi­ra­ten un­ter­wegs war und klei­ne­re Bo­ten­gän­ge für sei­ne kom­mu­nis­ti­sche Tan­te mach­te. Wei­te­res ist dar­über aber nicht be­kannt und fällt auch nicht in den hier be­han­del­ten The­men­kom­plex.

Die Rol­le der Frau­en im an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Wi­der­stand stellt ein noch we­nig un­ter­such­tes Feld der For­schung dar. In der Li­te­ra­tur wird äu­ßerst sel­ten ex­pli­zit dar­auf ein­ge­gan­gen. Im­mer­hin gibt es in ei­ni­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen ein­zel­ne Ka­pi­tel über die Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen der FAUD wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Al­ler­dings ist es auch noch schwie­ri­ger, stich­hal­ti­ge Quel­len für den Wi­der­stand von Frau­en zu fin­den. In den Ak­ten der Ver­fol­gungs­be­hör­den tau­chen sie sel­ten auf. So wa­ren un­ter den 88 An­ge­klag­ten des gro­ßen Pro­zes­ses le­dig­lich zwei Frau­en. Ob dies auch den rea­len An­tei­len ent­sprach, kann nicht ab­schlie­ßend ge­klärt wer­den. Es ist al­ler­dings an­zu­neh­men, dass Frau­en ei­ne grö­ße­re Rol­le am Wi­der­stand hat­ten, als aus den Ak­ten zum Pro­zess er­kenn­bar ist. So wa­ren nach den meis­ten Zeit­zeu­gen­be­rich­ten oft Frau­en ak­tiv; be­reits ge­nannt wur­den Lot­te und Ma­rie Gott­schalk und Mar­ga­re­te Sa­bal­la. Im Pro­zess wa­ren da­zu Kä­the Wind­hoff aus Düs­sel­dorf und El­le­wi­ne Rei­chen­bach aus Duis­burg-Ham­born an­ge­klagt. Auf­fäl­lig ist, dass es sich meis­tens um Frau­en von an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­schen Ak­ti­vis­ten han­del­te. Nur bei Lot­te und Ma­rie Gott­schalk ist un­ge­klärt, ob sie mit zwei Brü­dern, die je­doch nicht be­kannt sind, ver­hei­ra­tet oder aber Schwes­tern wa­ren. Ei­ne ge­naue­re Un­ter­su­chung die­ses ge­schlech­ter­ge­schicht­li­chen As­pekts wä­re wün­schens­wert.

4. Schlussbetrachtung

Nach­dem der Ge­ne­se und der Struk­tur der Frei­en Ar­bei­ter-Uni­on Deutsch­lands nach­ge­gan­gen wur­de, folg­te die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Wi­der­stand der An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­tin­nen und Syn­di­ka­lis­ten und ih­rer Neu­or­ga­ni­sa­ti­on im Rhein­land. Die­se nutz­ten sie zur Auf­recht­er­hal­tung der Struk­tu­ren der FAUD, ob­wohl sie stark per­so­nell be­schränkt wa­ren. Den­noch ent­sprach die grund­le­gen­de Struk­tur der il­le­ga­len Or­ga­ni­sa­ti­on die der le­ga­len. Ih­ren Kern bil­de­ten die Orts­grup­pen, die wei­ter­hin ih­re Au­to­no­mie be­hiel­ten.

Die über­re­gio­na­le Po­si­ti­on, die Nol­den ein­nahm, war nicht wei­sungs­be­fugt oder gar herr­schend über die Orts­grup­pen, son­dern bil­de­te auf der ei­nen Sei­te ei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­keit zwi­schen den Orts­grup­pen, um so Wi­der­stands­ak­tio­nen durch­füh­ren zu kön­nen, die über ei­ne Stadt hin­aus­gin­gen. Da­zu fiel dem Netz­werk die Auf­ga­be zu, Schrif­ten, In­for­ma­tio­nen und Geld von der ei­nen Stel­le an die an­de­re zu brin­gen. Das war ei­ne not­wen­di­ge neue Struk­tur, da dies auf „of­fi­zi­el­le­m“ We­ge nicht mit der il­le­ga­len Or­ga­ni­sa­ti­on ver­ein­bar ge­we­sen wä­re. Die über­re­gio­na­le Ver­net­zung war ein wich­ti­ger As­pekt im Wi­der­stand. Sie un­ter­stüt­ze den Wil­len zum Wi­der­stand durch die Mög­lich­keit zur Flucht, da sie die fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on von Fa­mi­li­en­mit­glie­dern ver­bes­ser­te und auf ei­ne brei­te­re Un­ter­stüt­zer­ba­sis stel­len konn­te. Aber auch die Mög­lich­keit, an­ar­cho­syn­di­ka­lis­ti­sche Pro­pa­gan­da le­sen und ver­brei­ten zu kön­nen, stärk­te die Or­ga­ni­sa­ti­on und den Wil­len zum Wi­der­stand.

In den ein­zel­nen Or­ten war es enorm hilf­reich, dass sich die ein­zel­nen Per­so­nen be­reits lan­ge vor 1933 kann­ten und ver­trau­en konn­ten. Da­durch konn­te lan­ge Zeit ein Zu­griff der Ver­fol­gungs­be­hör­den ver­hin­dert wer­den und erst durch ei­nen Spit­zel, Fol­ter und durch ei­nen Un­fall Nol­dens wur­de ei­ne so gro­ße Ver­haf­tungs­wel­le mög­lich, dass da­nach kein or­ga­ni­sa­to­ri­scher Zu­sam­men­halt mehr zu­stan­de kam.

Der Wi­der­stand der An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten fand nicht auf öko­no­mi­schem Feld statt, wie es noch vor der of­fi­zi­el­len Auf­lö­sung der FAUD ge­for­dert wur­de. Sie muss­ten zwangs­läu­fig auf po­li­ti­sche Pro­pa­gan­da um­stel­len, die dann in den Orts­grup­pen durch­ge­führt wur­de. Da­bei lässt sich al­ler­dings kein star­ker Bruch er­ken­nen. Viel­mehr war die Macht­über­nah­me durch den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus der End­punkt ei­ner Ent­wick­lung der FAUD, die be­reits in den 1920er Jah­ren be­gann und sich mit den Stich­wor­ten Mit­glie­der­ver­lust, Be­deu­tungs­ver­lust in den Be­trie­ben und dem da­mit ein­her­ge­hen­den Ver­lust von Reich­wei­te zu­sam­men­fas­sen lässt.

An ih­ren Zie­len hiel­ten sie al­ler­dings fest. Die Auf­recht­er­hal­tung der Or­ga­ni­sa­ti­on war ver­bun­den mit der Vor­stel­lung, dass nach die­ser Kri­se die Mög­lich­keit für ei­ne frei­heit­lich-so­zia­lis­ti­sche Ge­sell­schaft ge­ge­ben war. Zu­min­dest je­doch tru­gen sie die Or­ga­ni­sa­ti­on wei­ter, um in ei­ner post­na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ge­sell­schaft die Idee des frei­heit­li­chen So­zia­lis­mus wie­der ver­brei­ten zu kön­nen. Da­für spricht auch die Grün­dung der „Fö­de­ra­ti­on Frei­heit­li­cher So­zia­lis­ten“ (FFS) im Jah­re 1947 aus den Rei­hen der Über­le­ben­den. Wie weit die­se neue Or­ga­ni­sa­ti­on Cha­rak­te­ris­ti­ka be­zie­hungs­wei­se Merk­ma­le der al­ten FAUD auf­wies oder wie sie sich ver­än­der­ten wä­re ei­ne wich­ti­ge Un­ter­su­chungs­fra­ge un­ter an­de­rem für die Un­ter­su­chung der Bio­gra­phi­en der über­le­ben­den An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten, der hier aber nicht nach­ge­gan­gen wer­den soll.

Im End­ef­fekt ha­ben sie aber mit ih­rem Wi­der­stand nicht viel nach au­ßen er­rei­chen kön­nen. Die Pro­pa­gan­da un­ter­stütz­te die in­ne­re Über­zeu­gung der Teil­neh­mer der Ver­tei­ler­krei­se und half da­bei, der geis­ti­gen Iso­la­ti­on ent­ge­gen­zu­wir­ken. Für ei­ne breit ge­fä­cher­te, öf­fent­lich­keits­wirk­sa­me Pro­pa­gan­da, die tat­säch­lich die Mög­lich­keit ge­habt hät­te, zu ei­nem Um­sturz auf­zu­ru­fen, war sie al­ler­dings (ge­zwun­ge­ner­ma­ßen) zu klan­des­tin.

Die Wirk­sam­keit des Wi­der­stan­des, die prak­ti­sche So­li­da­ri­tät der ge­gen­sei­ti­gen Hil­fe, lässt sich sehr gut an­hand der So­li­da­ri­täts­samm­lun­gen und -zah­lun­gen er­ken­nen. Die­se hat, bei ei­nem Blick von au­ßen auf die il­le­ga­le Or­ga­ni­sa­ti­on, den An­schein der Selbst­be­haup­tung. Da es sich aber um kei­ne or­ga­ni­sche Grup­pe han­del­te, son­dern um un­ter­schied­li­che, meist sich un­be­kann­te Men­schen, die sich auf Grund der sel­ben Über­zeu­gung hal­fen um dem Staats­ter­ror ent­ge­gen zu wir­ken und zu­dem die il­le­ga­le Or­ga­ni­sa­ti­on stütz­ten, ist hier­bei von Wi­der­stand zu re­den.

Ei­nen ähn­li­chen Cha­rak­ter be­saß die Flucht­hil­fe, die wich­tigs­te Ein­rich­tung der il­le­ga­len Or­ga­ni­sa­ti­on. Da­durch wur­den nicht nur zahl­rei­che An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­tin­nen und Syn­di­ka­lis­ten vor den Ver­fol­gungs­be­hör­den in Si­cher­heit ge­bracht, son­dern auch der Wil­le zu il­le­ga­len, wi­der­stän­di­gen Ak­tio­nen ge­stärkt. Durch die ein und aus ge­schmug­gel­ten In­for­ma­tio­nen über die Kon­tak­te über die Gren­zen konn­ten die An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten in Deutsch­land die Falsch­in­for­ma­tio­nen der deut­schen Pres­se um­ge­hen und die Men­schen au­ßer­halb Deutsch­lands un­ver­fälsch­te In­for­ma­tio­nen aus Deutsch­land er­hal­ten. Ei­ne tie­fer­grei­fen­de Ana­ly­se des In­for­ma­ti­ons­flus­ses und der Ver­wer­tung und Wir­kung die­ser in aus­län­di­schen Pres­se­er­zeug­nis­sen er­folgt hier nicht. Ei­ne sol­che könn­te aber ei­nen zu­sätz­li­chen As­pekt der Wi­der­stands­ar­beit der deut­schen und rhei­ni­schen An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­tin­nen und Syn­di­ka­lis­ten zu Ta­ge brin­gen.

Eben­falls un­ter­su­chens­wert wä­re die Ein­ord­nung und der Ver­gleich der il­le­ga­len FAUD mit ähn­lich aus­ge­rich­te­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen links der KPD. Da­durch wür­de ei­ne brei­te­re Sicht auf die Ar­beit der An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­ten und bei­spiels­wei­se der Unio­nis­ten im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­lie­fert wer­den kön­nen.

Un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Er­fol­ge des Wi­der­stands be­zie­hungs­wei­se des Nicht-Er­folgs ih­res Um­sturz­ziels durch die An­ar­cho-Syn­di­ka­lis­tin­nen und Syn­di­ka­lis­ten kann re­sü­miert wer­den, dass ein wirk­lich ef­fek­ti­ver Wi­der­stand, der den Sturz ei­nes to­ta­li­tä­ren Sys­tems nach sich zie­hen wür­de, kaum mehr mög­lich ist, wenn der Staat kom­plett ver­ein­nahmt ist. Ein Ein­grei­fen vor der ab­so­lu­ten und sta­bi­li­sier­ten Herr­schaft ei­nes to­ta­li­tä­ren, men­schen­feind­li­chen Sys­tems ist der weit­aus öko­no­mischs­te Wi­der­stand.

Anhang

Lis­te der An­ge­klag­ten: Die­se wird ver­grö­ßer­bar in der rech­ten Mar­gi­nalspal­te an­ge­zeigt.

Gedruckte Quellen

Bar­wich, Franz/Stu­di­en­kom­mi­si­on der Ber­li­ner Ar­bei­ter­bör­se. "Das ist Syn­di­ka­lis­mus". Die Ar­bei­ter­bör­sen des Syn­di­ka­lis­mus, Frank­furt a.M. 2005.
Der Syn­di­ka­list. Or­gan der FAUD (AS), Ber­lin, Jg. 8 (1926) Nr. 12; Jg. 9 (1927) Nr. 43; Jg. 13 (1931) Nr. 10; Jg. 14 (1932) Nr. 21-25, 48, 52. 

Ungedruckte Quellen

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In­ter­na­tio­nal In­sti­tu­te of So­ci­al His­to­ry (ILSG) Ams­ter­dam, Ru­dolf Ro­cker Pa­pers:
Fritz Ben­ner. Gö­te­borg, 17.9.1939, Nr. 56.
Fritz Ben­ner an Ru­dolf Ro­cker, 21.9.1947.Nr. 56.
Fritz Ben­ner an Ru­dolf Ro­cker, un­da­tiert, Nr. 56.
Be­richt von Ernst Bin­der, 24.8.1946, Nr. 59.
An­to­nie und Ernst Bin­der an Ru­dolf Ro­cker, 24.8.1946, Nr. 59.
Ernst Bin­der an Ro­dulf Ro­cker, 26.5.1947, Nr. 59.
Gus­tav Dos­ter an Ru­dolf Ro­cker, 12.4.1934, Nr. 85.
Gus­tav Dos­ter an Ru­dolf Ro­cker, Ams­ter­dam, 20.11.1934, Nr. 85.
Au­gust Ben­ner an Fritz Ben­ner, 17.7.1945, Nr. 234.
Ein­ga­be Karl Wind­hoff. Ernst Bin­der an Ru­dolf Ro­cker, 13.6.1947, Nr. 606. 

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StaPo-Foto von Hans Schmitz (1914-2007), Angehöriger der SAJD und der "Schwarzen Schar Wuppertal". (FAU-IKA (fau.org) / Nachfolgeorganisation der FAUD/AS)

 
Zitationshinweis

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Biernat, Yannic, Der anarchosyndikalistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Rheinland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-anarchosyndikalistische-widerstand-gegen-den-nationalsozialismus-im-rheinland/DE-2086/lido/5f92a36f426e52.28133255 (abgerufen am 05.12.2024)