Die Ruhrlade - Vereinigung der „führenden Persönlichkeiten der Eisen- und Kohlenindustrie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet“

Joachim Lilla (Krefeld)

Paul Reusch (1868-1956), der Initiator der Ruhrlade. (CC-BY-SA 3.0 / MAN SE)

1. Einleitung

La­de ist ein alt­mo­di­sches Wort, nach dem Grimm­schen Wör­ter­buch „ein kis­ten­för­mi­ger grös­ze­rer oder klei­ne­rer be­häl­ter“. Heu­te ist es ge­le­gent­lich noch als Kran­ken- oder Ster­be­la­de be­kannt, ei­ne al­te Be­zeich­nung für ent­spre­chen­de Ver­si­che­run­gen, de­ren Gel­der und Ur­kun­den in ei­ner La­de auf­be­wahrt wur­den. Aber auch zwei wei­te­re Les­ar­ten der Brü­der Grimm sind er­wä­gens- oder zu­min­dest er­wäh­nens­wert: die zu­sam­men­kunft ei­ner zunft und die zunft selbst hiesz la­de: zu éi­ner la­de hal­ten ward von ver­schie­de­nen hand­wer­kern ge­sagt, die sich in éi­ne cor­po­ra­ti­on zu­sam­ment­ha­ten so­wie ei­ne nie­der­deut­sche Les­art: ei­ne ge­sell­schaft, ge­lag, mit ver­däch­ti­gem ne­ben­sin­ne, dat is en rech­te la­de, ei­ne un­recht­li­che, lie­der­li­che, ver­sof­fe­ne ge­sell­schaft.[1] Letz­te­res wa­ren die zwölf über­aus ho­no­ri­gen Her­ren, die sich An­fang 1928 zu der Ruhr­la­de zu­sam­men­ta­ten, ge­wiss nicht. Um Geld ging es je­doch auch bei der Ruhr­la­de, um zum Teil viel Geld, das die Her­ren dis­kret für ih­re wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Zwe­cke zu ver­wen­den ge­dach­ten, so dass ein „ver­däch­ti­ger Ne­ben­sin­n“ durch­aus blieb. Über die Ent­wick­lung und die Mit­glie­der der von 1927-1939 be­ste­hen­den Ruhr­la­de will die­ser Bei­trag nä­her in­for­mie­ren.

2. Gründung und Mitglieder der Ruhrlade

Auf den ers­ten Blick liest sich der Zweck der Ge­sell­schaft, der füh­ren­de Ei­sen- und Koh­len­in­dus­tri­el­le „all­mo­nat­lich ge­sell­schaft­lich zu­sam­men­zu­füh­ren“ be­ab­sich­tig­te, recht harm­los. Hin­ter­grund der In­itia­ti­ve von Paul Reusch (1868–1956), Vor­sit­zen­der des Vor­stan­des der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te AG (bis 1923 DVP), war es, die­sen Per­so­nen­kreis zu ei­ner bes­se­ren Ver­stän­di­gung und Ver­tre­tung der ge­mein­sa­men In­ter­es­sen in lo­cke­rer Run­de zu ver­ei­ni­gen. Die In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Schwer­in­dus­tri­el­len über das Re­vier hin­aus war nicht so, wie sie nach ih­rer Auf­fas­sung sein soll­te, zu­mal der Reichs­ver­band der Deut­schen In­dus­trie (RDI) sich zu­neh­mend als Sprach­rohr neu­er In­dus­trie­zwei­ge ver­stand, wie et­wa der Che­mi­schen In­dus­trie oder der Elek­tro­in­dus­trie. Ei­ne ver­gleich­ba­re In­sti­tu­ti­on hat­te es im Ruhr­ge­biet zwar schon ge­ge­ben, die 1920 ge­grün­de­te „Mon­tags­ge­sell­schaf­t“, die­se wur­de aber rasch mit 30 bis 40 Per­so­nen zu groß und war so­mit im Sin­ne Reuschs nicht brauch­bar, zu­dem war sie nach 1923 wie­der ein­ge­gan­gen.

Reusch schweb­te ein klei­ne­res Kränz­chen von ma­xi­mal zwölf Mit­glie­dern vor. Er er­ar­bei­te­te im Herbst 1927 ei­nen Sat­zungs­ent­wurf für die­se „Ruhr­la­de“ zu nen­nen­de Run­de und lei­te­te die­sen Ent­wurf im No­vem­ber Gus­tav Krupp von Boh­len und Hal­bach (1870–1950), Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats der Fried. Krupp AG (DVP) und Fritz Thys­sen (1873–1951), In­ha­ber und Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats der Ma­schi­nen­fa­brik Thys­sen & Co AG und der Stahl­werk Thy­sen AG, Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats der Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ke AG[2] (DNVP, 1933 NS­DAP) zu. Ge­mein­sam be­rie­ten sie am 19. No­vem­ber im Ber­li­ner Bü­ro der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te den Sat­zungs­ent­wurf und tra­fen fol­gen­de Aus­wahl der zur Mit­glied­schaft ein­zu­la­den­den In­dus­tri­el­len:

Fritz Thyssen (1873-1953), 1928. (Bundesarchiv, Bild 102-06788 / CC-BY-SA 3.0)

 

Erich Fick­ler (1874–1935), Ge­ne­ral­di­rek­tor der Har­pe­ner Berg­bau AG Dort­mund und Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats des Rhei­nisch-West­fä­li­schen Koh­le­syn­di­kats[3], Karl Ha­ni­el (1877–1944), Ge­schäfts­füh­rer der Fir­ma Ha­ni­el & Lueg, Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats der Gu­te­hoff­nungs­hüt­te, Lei­ter des In­dus­trie-Clubs Düs­sel­dorf[4], Pe­ter Klöck­ner (1863–1940, Grün­der und Klöck­ner-Wer­ke AG Düs­sel­dorf (Zen­trum)[5], Ar­thur Klotz­bach (1877–1938), Mit­glied des Di­rek­to­ri­ums der Fried. Krupp AG[6] , Ernst Po­ens­gen (1871–1949), stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Vor­stan­des der Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ke AG, Paul Sil­ver­berg (1876–1959), Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­rats der Rhei­ni­sche AG für Braun­koh­le­berg­bau und Bri­kett­fa­bri­ka­ti­on (Rhein­braun) (DVP), Fried­rich (Fritz) Sprin­g­o­rum (1886–1942), Ge­ne­ral­di­rek­tor und Vor­sit­zen­der des Vor­stands der Ei­sen- und Stahl­werk Hoesch AG[7] (DNVP, 1937 NS­DAP), Al­bert Vög­ler (1877–1945), Ge­ne­ral­di­rek­tor und Vor­sit­zen­der des Vor­stan­des der Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ke AG[8] (DVP), Fritz Wink­haus (1865–1932), Ge­ne­ral­di­rek­tor des Köln-Es­se­ner Berg­werks­ver­eins[9].

Sämt­li­che auf­ge­for­der­te Her­ren folg­ten der Ein­la­dung, und so traf sich die er­le­se­ne Run­de am 9.1.1928 in der Krupp­schen Vil­la Hü­gel in Es­sen zu ih­rer kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung, wo­bei die fol­gen­de Sat­zung die Bil­li­gung der Mit­glie­der fand[10]:

"Sat­zun­gen der Ge­sell­schaft ‚R­uhr­la­de‘.
§ 1. Die Ge­sell­schaft führt den Na­men ‚R­uhr­la­de.‘
§ 2. Zweck der Ge­sell­schaft ist, die füh­ren­den Per­sön­lich­kei­ten der Ei­sen- und Koh­len­in­dus­trie im rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie­ge­biet all­mo­nat­lich ge­sell­schaft­lich zu­sam­men­zu­füh­ren.
§ 3. Die Ge­sell­schaft darf nicht mehr als 12 Mit­glie­der ha­ben. Ent­sen­dung von Ver­tre­tern und Ein­füh­rung von Gäs­ten ist nicht ge­stat­tet.
§ 4. Im Fal­le, dass der Höchst­stand der Mit­glied­schaft noch nicht er­reicht ist oder ein Mit­glied aus­schei­det, hat je­des Mit­glied das Recht, Vor­schlä­ge für ei­ne Zu­wahl zu ma­chen.
§ 5. Die Wahl neu­er Mit­glie­der fin­det ge­le­gent­lich der re­gel­mä­ßi­gen Zu­sam­men­künf­te statt. Die Wahl ist ge­heim und be­darf ei­nes ein­stim­mi­gen Be­schlus­ses sämt­li­cher an­we­sen­der Mit­glie­der.
§ 6. All­jähr­lich bei der Ta­gung im Ja­nu­ar ist aus der Rei­he der Mit­glie­der ein Vor­sit­zen­der, ein stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der und ein Rech­nungs­wart zu wäh­len.
§ 7. Die Ge­sell­schaft tagt in der Re­gel am ers­ten Mo­nat ei­nes je­den Mo­nats. Ort und Zeit­punkt der Ta­gung wird von dem Vor­sit­zen­den oder im Fal­le sei­ner Be­hin­de­rung von dem Stell­ver­tre­ter des Vor­sit­zen­den be­stimmt, falls vor­her kei­ne an­der­wei­ti­ge Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen ist.
§ 8. Die Un­kos­ten der Ge­sell­schaft wer­den durch Bei­trä­ge auf­ge­bracht, de­ren Hö­he durch Be­schlüs­se der Mit­glie­der fest­ge­setzt wird.
§ 9. Der Rech­nungs­wart führt die Kas­se der Ge­sell­schaft. Er hat all­jähr­lich bei der Ta­gung im Fe­bru­ar über Ein­nah­men und Aus­ga­ben des ver­flos­se­nen Jah­res Rech­nung zu le­gen.
§ 10. Die Mit­glie­der kön­nen je­der­zeit durch ein­fa­che Mit­tei­lung an den Vor­sit­zen­den aus der Ge­sell­schaft aus­schei­den.
§ 11. Die Ge­sell­schaft kann durch Mehr­heits­be­schluss auf­ge­löst wer­den. Im Fal­le der Auf­lö­sung der Ge­sell­schaft wird der vor­han­de­ne Kas­sen­be­stand durch Mehr­heits­be­schluss ei­nem wohl­tä­ti­gen Zweck zu­ge­führt,
§ 12. Än­de­run­gen der Sat­zun­gen kön­nen nur mit drei­vier­tel Mehr­heit der Mit­glie­der be­schlos­sen wer­den.“ 

Die Villa Hügel in Essen, 1886.

 

In der Pra­xis schien es nicht not­wen­dig, die Zu­sam­men­künf­te zu stark zu re­gle­men­tie­ren, so wur­de kein Vor­sit­zen­der ge­wählt, Paul Reusch fun­gier­te als Schrift­füh­rer und küm­mer­te sich um Or­ga­ni­sa­to­ri­sches, Fritz Sprin­g­o­rum als „Sä­ckel­meis­ter“ um Be­schaf­fung und Ver­tei­lung der Gel­der. Der Kreis der Mit­glie­der blieb bis 1932 un­ver­än­dert, Er­gän­zungs­wah­len fan­den erst 1935 statt. Auch wenn es nicht in der Sat­zung steht, es fin­det sich aber in je­dem Bei­trag über die „Ruhr­la­de“ die Klei­der­ord­nung. Um den ge­sell­schaft­li­chen Cha­rak­ter der „Ruhr­la­de“ her­aus­zu­stel­len, war zu­nächst vor­ge­se­hen, sich im Abend­an­zug zu tref­fen. Da ei­ni­gen Mit­glie­dern, die von fer­ne­ren Or­ten an­reis­ten, es läs­tig fan­den, be­reits tags­über im Smo­king her­um­zu­lau­fen, ver­zich­te­te man spä­ter auf ei­ne be­stimm­te Klei­der­ord­nung. Die Tref­fen fan­den meis­tens reih­um in den Häu­sern der Mit­glie­der an Rhein und Ruhr statt. Ge­le­gent­li­che Ein­la­dun­gen er­folg­ten et­wa zur Jagd in Krupps Land­sitz Blühn­bach bei Salz­burg (wo­bei auch die Mit­nah­me der Jagd­waf­fen zu re­geln war) oder in das An­we­sen von Reusch im Schwarz­wald. Das Ver­bot des Ein­füh­rens von Gäs­ten wur­de ge­le­gent­lich, mit Zu­stim­mung al­ler Mit­glie­der, aus­ge­setzt, et­wa am 11.5.1929, als die Ruhr­la­de mit Fried­rich Flick (1883–1972) und Carl Fried­rich von Sie­mens (1872-1941) dis­ku­tie­ren woll­te.

3. Das Wirken der Ruhrlade

Die Ruhr­la­de war nach Hen­ry Ash­by Tur­ner „so­fort ein Er­folg. Sie er­wies sich schnell als ei­ne nütz­li­che Ein­rich­tung zur Be­wäl­ti­gung der ver­schie­dens­ten ge­mein­sa­men Wirt­schafts­pro­ble­me. Vor­rang hat­te die Ver­mei­dung oder Bei­le­gung von Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen den Fir­men der Mit­glie­der und den weit­ge­hend von­ein­an­der ab­hän­gi­gen Wirt­schafts­zwei­gen Koh­le- und Stahl­in­dus­trie.“[11] Die­ser per­ma­nen­te Pro­zess ge­gen­sei­ti­ger Ab­stim­mung war im Hin­blick auf po­li­ti­sche Fra­gen von „un­über­seh­ba­rer[r] Be­deu­tun­g“, we­ni­ger „aus ei­ner in­ne­ren Ge­schich­te die­ses Gro­ß­in­dus­tri­el­len­clubs […] als aus nach­weis­ba­ren Tä­tig­kei­ten der ihm Zu­ge­hö­ri­gen in den Ver­bän­den“.[12] Reusch bei­spiels­wei­se war von 1924-1930 Vor­sit­zen­der des Ver­eins zur Wah­rung der ge­mein­sa­men wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen in Rhein­land und West­fa­len, des so­ge­nann­ten Langnam­ver­eins, und der Nord­west­deut­schen Grup­pe des Ver­eins Deut­scher Ei­sen- und Stahli­dus­tri­el­ler (VDE­SI). Sein Nach­fol­ger in bei­den Ver­bän­den wur­de 1930 Fritz Sprin­g­o­rum. Po­ens­gen lei­te­te seit 1929 den Ver­ein Deut­scher Ei­sen- und Stahli­dus­tri­el­ler (VDE­SI) auf Reichs­ebe­ne, Al­bert Vög­ler war wäh­rend der gan­zen Wei­ma­rer Zeit Vor­sit­zen­der des Ver­eins Deut­scher Ei­sen­hüt­ten­leu­te. Fritz Wink­haus war bis En­de 1927 Vor­sit­zen­der des „Ver­eins für die berg­bau­li­chen In­ter­es­sen im Ober­berg­amts­be­zirk Dort­mun­d“ und als sol­cher auch Vor­sit­zen­der des Ze­chen­ver­ban­des. Meh­re­re Mit­glie­der der Ruhr­la­de spiel­ten im Reichs­ver­band der Deut­schen In­dus­trie (RDI) ei­ne Rol­le, an des­sen Spit­ze von 1931-1934 Gus­tav Krupp von Boh­len und Hal­bach stand. So hat­te die Ruhr­la­de durch ih­re Mit­glie­der zahl­rei­che Ge­le­gen­hei­ten, ih­re wirt­schafts­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen zur Gel­tung zu brin­gen.

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870-1950) als Präsident des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, 1931. (Bundesarchiv, Bild 102-12331 / CC-BY-SA 3.0)

 

Ih­ren ers­ten Test hat­te die Ruhr­la­de im Vor­feld der Reichs­tags­wahl 1928 zu be­ste­hen, als es um die Ver­tei­lung der Spen­den der In­dus­trie an die Par­tei­en ging. Reusch hat­te be­reits vor der Grün­dung der Ruhr­la­de zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass mit ihm ei­ne Un­ter­stüt­zung Al­fred Hu­gen­bergs (1865–1951), vor dem Welt­krieg Ge­ne­ral­di­rek­tor der Fried. Krupp AG, nun­mehr Chef des Hu­gen­berg-Me­di­en­kon­zerns und füh­ren­der Funk­tio­när der DNVP, nicht zu ma­chen sei. Al­ler­dings ließ sich der An­ti-Hu­gen­berg-Kurs in der Ruhr­la­de nicht völ­lig durch­set­zen, weil meh­re­re Mit­glie­der Vor­be­hal­te an­mel­de­ten, na­ment­lich Vög­ler, Krupp, Thys­sen und Wink­haus, de­ren Un­ter­neh­men mit de­nen Hu­gen­bergs ver­floch­ten wa­ren. Au­ßer­dem galt des­sen Stel­lung im Berg­bau wei­ter­hin als stark, auch war teil­wei­se Sym­pa­thie für Hu­gen­bergs deutsch­na­tio­na­le Pa­ro­len vor­han­den. Die Ruhr­la­de be­schloss am 5.3.1928, die ge­sam­te Wahl­kampf­fi­nan­zie­rung der In­dus­trie durch die La­de kon­trol­lie­ren zu las­sen und nur in­dus­triefreund­li­che Kan­di­da­ten zu un­ter­stüt­zen. Zu­dem wur­den der DNVP-Spit­ze 200.000 Mark an­ge­bo­ten, wenn sie fünf In­dus­tri­el­le auf si­che­re Lis­ten­plät­ze pla­zier­te, was nicht mög­lich war. Un­ter­stützt wur­den pri­mär Kan­di­da­ten der DVP und ge­mä­ßig­te Kan­di­da­ten der DNVP. Es er­hiel­ten DVP und DNVP schät­zungs­wei­se je 200.000 Mark und das Zen­trum ei­ne klei­ne­re Sum­me. Nach den Wah­len ge­währ­te man DVP und DNVP je 5.000 Mark als mo­nat­li­chen Zu­schuss, der Baye­ri­schen Volks­par­tei und mut­ma­ß­lich auch dem Zen­trum ähn­li­che Zah­lun­gen (3.000 Mark). Hu­gen­berg über­nahm trotz al­ler Sperr­feu­er sei­tens der Ruhr­la­de En­de 1928 den Vor­sitz der DNVP. Den­noch blie­ben die Mit­glie­der der Ruhr­la­de im Grund­satz den po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Zie­len der DNVP ge­wo­gen und er­hoff­ten ei­ne er­neu­te Re­gie­rungs­be­tei­li­gung der Par­tei.

Der Um­fang der von der Ruhr­la­de ver­wal­te­ten po­li­ti­schen Fonds ist nicht ge­nau zu er­mit­teln. Tur­ner kommt zu dem Er­geb­nis, dass für die Jah­re 1928-1930 die „Ei­sen­sei­te“, al­so die von den Ei­sen- und Stahl­in­dus­tri­el­len er­brach­ten Be­trä­ge, rund 620.000 Mark jähr­lich er­ga­ben. 1931 sank der Be­trag we­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se auf et­wa die Hälf­te, wäh­rend er 1932 wie­der 620.000 Mark er­reich­te. Über die von der „Koh­len­sei­te“ auf­ge­brach­ten Be­trä­ge lie­gen we­ni­ger In­for­ma­tio­nen vor, sie dürf­ten je­doch hö­her als die der „Ei­sen­sei­te“ ge­we­sen sein, Tur­ner schätzt sie für 1928-1930 auf jähr­lich et­wa 930.000 Mark, so dass sich die bei der Ruhr­la­de un­ter dem Deck­na­men „Kon­to Wirt­schafts­hil­fe“ lau­fen­den Be­trä­ge für 1928-1930 auf et­wa 1,2-1,5 Mil­lio­nen Mark be­lau­fen ha­ben dürf­ten. Für 1931 lie­gen kei­ne An­ga­ben vor, und 1932 hat­te für die „Koh­len­sei­te“ der Ver­ein für die berg­bau­li­chen In­ter­es­sen im Ober­berg­amts­be­zirk Dort­mund (Berg­bau-Ver­ein) die Ver­wal­tung der po­li­ti­schen Geld­mit­tel selbst in die Hand ge­nom­men.[13] Mit die­sen Mit­teln wur­den ne­ben Par­tei­en und Po­li­ti­kern auch Or­ga­ni­sa­tio­nen und Pu­bli­ka­tio­nen un­ter­stützt, die der „Ruhr­la­de“ ge­nehm wa­ren. Zu den ge­för­der­ten Per­so­nen ge­hör­te auch der Pu­bli­zist und Ver­tre­ter der „Kon­ser­va­ti­ven Re­vo­lu­ti­on“ Ed­gar Ju­li­us Jung (1894–1934), der 1927 durch sei­ne Ver­öf­fent­li­chung „Die Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen“ Auf­se­hen er­regt hat­te. Zu den ge­för­der­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen zähl­te un­ter an­de­rem der et­wa zeit­gleich mit der Ruhr­la­de ent­stan­de­ne „Bund zur Er­neue­rung des Rei­ches". Die Sub­ven­ti­on von na­he­ste­hen­den Zei­tun­gen nahm wäh­rend der Wirt­schafts­kri­se stark zu und be­an­spruch­te zeit­wei­se die be­trächt­li­chen Res­sour­cen der Ruhr­la­de stark.

Von Be­deu­tung war der 1928 aus­ge­bro­che­ne „Ruh­rei­sen­streit“, in dem Mit­glie­der der Ruhr­la­de, in ers­ter Li­nie Paul Reusch als Vor­sit­zen­der des Ar­beit­ge­ber­ver­bands der Nord­west­li­chen Grup­pe des Ver­eins deut­scher Ei­sen- und Stahl­in­dus­tri­el­ler (Ar­beit-Nord­west) in­vol­viert wa­ren. Als Ruh­rei­sen­streit wird die grö­ß­te und fol­gen­reichs­te Aus­sper­rung wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik be­zeich­net, von der zwi­schen dem 1.11. und 3.12.1928 über 200.000 Ar­bei­ter be­trof­fen wa­ren. Sie war zwar auf das Rhei­nisch-West­fä­li­sche In­dus­trie­ge­biet be­schränkt, hat­te aber Fol­gen für das ge­sam­te Reich. Den Ar­beit­ge­bern ging es we­ni­ger um die Lohn­er­hö­hun­gen als dar­um, das die Ta­rif­ho­heit und das Sys­tem der staat­li­chen Zwangs­sch­lich­tung aus­zu­he­beln. Reusch als Re­prä­sen­tant der star­ren Hal­tung der Ar­beit­ge­ber hat­te auch im bür­ger­li­chen La­ger ei­ne denk­bar schlech­te Pres­se, und ei­ne so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Zei­tung ti­tel­te am 20./21.11.1928 „12 ge­gen 230.000“ – ei­ne An­spie­lung auf die Ruhr­la­de?[14] 

Alfred Hugenberg (1865-1951) als Reichsminister im ersten Kabinett Adolf Hitlers, 1933. (Bundesarchiv, Bild 183-2005-0621-500 / CC-BY-SA 3.0)

 

Wie sah es aber mit dem Be­kannt­heits­grad der Ruhr­la­de aus? Als recht ge­schlos­se­ner Zir­kel wirk­te sie kaum in die Öf­fent­lich­keit, mied die­se so­gar. Ei­ni­gen Spit­zen­po­li­ti­kern dürf­te die La­de be­kannt ge­we­sen sein, et­wa den Reichs­kanz­lern Hein­rich Brü­ning (1885-1970, Reichs­kanz­ler 30.3.1930-30.3.1932) und Franz von Pa­pen (1879-1969, Reichs­kanz­ler 1.6.-3.12.1932). In der brei­te­ren po­li­ti­schen Öf­fent­lich­keit scheint die La­de nur sche­men­haft be­kannt ge­we­sen zu sein, wenn sich nicht um ih­re Exis­tenz so­gar aben­teu­er­li­che und ma­ß­los über­trie­be­ne Ge­rüch­te rank­ten. Selbst der gut ver­netz­te baye­ri­sche SPD-Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te und Nach­kriegs­mi­nis­ter­prä­si­dent Wil­helm Ho­eg­ner (1887–1980) schreibt von der „be­rühm­te[n] ‚Bun­des­la­de‘ Hu­gen­berg­s“[15], die zu den „Geld­quel­len“ ge­hör­te, die sich Hit­ler er­schlos­sen hät­ten. Und der ers­te Hit­ler-Bio­graph Kon­rad Hei­den (1901–1966) lässt die Ruhr­la­de gleich zu ei­nem „Ruhr­schat­z“ an­wach­sen, der von dem be­jahr­ten In­dus­tri­el­len Emil Kir­dorf (1847–1938) ge­hü­tet wor­den sein soll - ei­ne Be­haup­tung, die bis in die wis­sen­schaft­li­che Li­te­ra­tur (et­wa Karl-Diet­rich Bra­cher, Alan Bul­lock, Ge­or­ge W. Hall­gar­ten) „vor­ge­drun­gen, al­lein durch stän­di­ge Wie­der­ho­lung schlie­ß­lich ak­zep­tiert wor­den [ist] und […] vie­len ir­re­füh­ren­den Be­haup­tun­gen zu­grun­de“ liegt.[16] Un­ge­ach­tet da­von war der po­li­ti­sche Fonds der Ruhr­la­de der wohl grö­ß­te in­dus­tri­el­le För­der­topf wäh­rend der letz­ten Wei­ma­rer Jah­re.

4. Krise und Ende der Weimarer Republik 1930-1933

Nach der Auf­lö­sung des Reichs­ta­ges 1930 war die Ruhr­la­de be­strebt, die Zer­split­te­rung der nicht­so­zia­lis­ti­schen Par­tei­en zu ver­hin­dern, in der rich­ti­gen Ein­sicht, dass die­se Zer­split­te­rung ein (auch kost­spie­li­ger) Ana­chro­nis­mus sei, der durch ei­ne bür­ger­li­che Ein­heits­par­tei be­ho­ben wer­den müs­se Die Ab­spal­tung ei­ni­ger Grup­pen von der DNVP im Som­mer 1930 schien die­se Ab­sicht zu­nächst zu be­güns­ti­gen. Un­mit­tel­bar nach der Fest­set­zung von Neu­wah­len am 14. Sep­tem­ber ließ die Ruhr­la­de er­ken­nen, dass die bür­ger­li­chen Par­tei­en nur noch dann mit ih­rer Un­ter­stüt­zung rech­nen könn­ten, wenn sie zu­sam­men­ar­bei­te­ten. So be­schloss die Ruhr­la­de am 28. Ju­li, al­len zur Ko­ope­ra­ti­on be­rei­ten Par­tei­en fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen zu­kom­men zu las­sen, von der von Hu­gen­berg ge­führ­ten DNVP bis zur links­li­be­ra­len Deut­schen Staats­par­tei, der frü­he­ren Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Par­tei. In die­sem Spek­trum wa­ren von den be­deu­ten­de­ren Par­tei­en das Zen­trum, die Baye­ri­sche Volks­par­tei und die Deut­sche Volks­par­tei ver­tre­ten. Nach Tur­ner er­scheint im Rück­blick „die Po­li­tik der ‚R­uhr­la­de‘ wäh­rend des Wahl­kamp­fes von 1930 in po­si­ti­vem Licht. Ihr Ziel war, die ge­mä­ßig­te Mit­te des Reichs­tags zu stär­ken und Hu­gen­berg und die DNVP zu zwin­gen, sich die Mög­lich­keit der Zu­sam­men­ar­beit mit den ge­mä­ßig­ten Grup­pen of­fen­zu­hal­ten, statt sich in un­frucht­ba­re Op­po­si­ti­on zu­rück­zu­zie­hen.“[17] Trotz grund­sätz­li­cher Skep­sis ge­gen­über dem Par­la­men­ta­ris­mus schei­nen die Mit­glie­der der Ruhr­la­de, ob­wohl sie de­ren Ziel­set­zung bil­lig­ten, mit Brü­nings Not­ver­ord­nun­gen als haupt­säch­li­cher Form der Recht­set­zung nur vor­über­ge­hend ein­ver­stan­den ge­we­sen zu sein. Die Po­li­tik der Ruhr­la­de, wenn sie er­folg­reich ge­we­sen wä­re, hät­te mög­li­cher­wei­se ei­ne Rück­kehr zur par­la­men­ta­ri­schen Re­gie­rung er­leich­tert. Das Er­geb­nis der Reichs­tags­wahl er­brach­te in­des ei­nen Rück­gang der Stim­men des bür­ger­li­chen La­gers von rund 42 Pro­zent 1928 auf 30 Pro­zent. Ei­ne Re­gie­rungs­bil­dung wä­re theo­re­tisch nur mit Hil­fe der So­zi­al­de­mo­kra­ten mög­lich ge­we­sen, und die­se lehn­te die Ruhr­la­de na­tür­lich ka­te­go­risch ab. Die Hö­he der sei­tens der Ruhr­la­de an die Par­tei­en ge­zahl­ten Gel­der dürf­te in et­wa den Be­trä­gen von 1928 ent­spro­chen ha­ben.

Nach­dem auch durch das Wahl­er­geb­nis der Ver­such ge­schei­tert war, die bür­ger­li­chen Par­tei­en zur Zu­sam­men­ar­beit zu be­we­gen, such­te die Ruhr­la­de nach ei­ner po­li­ti­schen Al­ter­na­ti­ve. Die­se schien ih­nen zu­nächst die Re­gie­rung Brü­ning zu bie­ten, von der sie sich ei­ne Aus­ge­stal­tung der Wirt­schafts­po­li­tik in ih­rem Sin­ne er­hoff­te. Hier ging es vor al­lem um die staat­li­che Zwangs­sch­lich­tung bei Ta­rif­strei­tig­kei­ten und die Un­ver­letz­lich­keit der Ta­rif­ver­trä­ge, die aus Sicht der Ruhr­la­de wie auch wei­ter Krei­se der Wirt­schaft ei­nen wirt­schaft­li­chen Auf­schwung aus der De­pres­si­on ver­hin­der­ten, weil sie Löh­ne und Prei­se künst­lich stütz­ten. So spra­chen Mit­glie­der der Ruhr­la­de häu­fi­ger bei Brü­ning vor, der sie auch emp­fing und sich Ih­re An­re­gun­gen und Be­den­ken an­hör­te. Ih­re Vor­stel­lun­gen fass­ten sie in ei­ner um­fang­rei­chen Denk­schrift vom 30.7.1931 zu­sam­men,[18]  die un­ter an­de­rem von Krupp, Klöck­ner, Sil­ver­berg, Vög­ler, Sprin­g­o­rum und Reusch un­ter­zeich­net war. Kri­tik­punk­te wa­ren vor al­lem „der lohn­po­li­ti­sche Irr­gar­ten“, die „Er­star­rungs­er­schei­nun­gen“ durch die ho­hen staat­li­chen Aus­ga­ben, die Not­wen­dig­keit ei­ner um­fas­sen­den „Re­form der Ver­wal­tung von Reich, Län­dern und Ge­mein­den“, ei­ne „Ver­min­de­rung des Be­sol­dungs­auf­wan­des“, ei­ne „Re­form un­se­res So­zi­al­sys­tem­s“, ei­ne Auf­lo­cke­rung der „über­wu­chern­de[n] kol­lek­ti­vis­ti­schen[n] Zwangs­wirt­schaf­t“, vor al­lem bei Ar­beits­zeit und Löh­nen. Die­se Ein­ga­be blieb nach Ak­ten­la­ge un­be­ant­wor­tet, Brü­ning dürf­te den Wirt­schafts­ver­tre­tern aber mehr als ein­mal zu ver­ste­hen ge­ge­ben ha­ben, dass vor al­lem die ge­for­der­ten so­zi­al­po­li­ti­schen Maß­nah­men mit Rück­sicht auf die sei­ne Re­gie­rung to­le­rie­ren­de SPD nicht mach­bar sei­en. So ließ die Be­geis­te­rung der Ruhr­la­de für Brü­ning bald nach. Spä­tes­tens ab Herbst 1931 stan­den ih­re Mit­glie­der der Re­gie­rung Brü­ning ab­leh­nend-op­po­si­tio­nell ge­gen­über.

Heinrich Brüning (1885-1970). (Bundesarchiv, Bild 183-1989-0630-504 / CC-BY-SA 3.0)

 

Das Jahr 1932 sah die Ruhr­la­de in kei­ner gu­ten Ver­fas­sung. Gleich meh­re­re The­men wa­ren es, die den bis­her gu­ten Zu­sam­men­halt der Grup­pe trüb­ten und sie vor­über­ge­hend hand­lungs­un­fä­hig mach­ten. Un­ter an­de­rem die ne­ga­ti­ve fi­nan­zi­el­le Ent­wick­lung der teils im Be­sitz der Ruhr­in­dus­tri­el­len be­find­li­chen „Deut­schen All­ge­mei­nen Zei­tun­g“, die wei­ter­hin kri­tisch be­äug­te Po­li­tik Hu­gen­bergs an der Spit­ze der DNVP, die Ein­stel­lung ge­gen­über der NS­DAP (Fritz Thys­sen be­kann­te sich of­fen zu der Par­tei), schlie­ß­lich die Gel­sen­berg-Af­fä­re, der heim­li­che Ver­kauf ei­nes Ak­ti­en­pa­kets der Gel­sen­kir­che­ner Berg­werks AG und da­mit zu­gleich der Sperr­mi­no­ri­tät der Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ke AG durch Fried­rich Flick an die da­mals mehr­heit­lich staats­ei­ge­ne Dresd­ner Bank zu ei­nem über­teu­er­ten Preis. Die Dif­fe­ren­zen führ­ten da­zu, dass im ers­ten Halb­jahr 1932 die Wahl­kämp­fe vor der Wahl des Reichs­prä­si­den­ten und des Preu­ßi­schen Land­tags mehr oder we­ni­ger oh­ne spür­ba­re fi­nan­zi­el­le Mit­wir­kung der Ruhr­la­de ver­lie­fen, auch im zwei­ten Halb­jahr fan­den kei­ne Tref­fen statt. We­gen die­ser Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten, auch we­gen der wei­ter­hin ak­ti­ven Op­po­si­ti­on der Ruhr­la­de ge­gen Hu­gen­berg, ent­schloss sich der Vor­sit­zen­de des Ver­eins für die berg­bau­li­chen In­ter­es­sen im Ober­berg­amts­be­zirk Dort­mund, Karl Bran­di (1875–1937), Mit­te 1932, die Ver­tei­lung der be­trächt­li­chen Gel­der der „Berg­bau­sei­te“, die bis­lang über die Ruhr­la­de ver­teilt wur­den, in ei­ge­ner Re­gie fort­zu­füh­ren.[19] Bran­di ge­hör­te als be­am­te­ter Berg­bau-Funk­tio­när der eli­tä­ren Ruhr­la­de nicht an.

Die Re­gie­rung un­ter Franz von Pa­pen, die am 1.6.1932 in der Nach­fol­ge Brü­nings er­nannt wor­den war, stieß auf „be­geis­ter­te Zu­stim­mun­g“[20] der Ruhr­la­de. Man er­hoff­te von Pa­pen durch­grei­fen­de wirt­schafts­freund­li­che Maß­nah­men im Rah­men sei­ner au­to­ri­tä­ren Po­li­tik. Pa­pen wur­de von meh­re­ren Mit­glie­dern der Ruhr­la­de schon seit län­ge­rem un­ter­stützt, auch fi­nan­zi­ell, zu­dem durch För­de­rung sei­ner Ak­ti­en­mehr­heit im Auf­sichts­rat der Zen­trums­zei­tung „Ger­ma­ni­a“[21]. Ir­gend­ei­ne Mit­wir­kung am Sturz Brü­nings und der Er­nen­nung von Pa­pens ist aber aus­zu­schlie­ßen. Die Amts­ent­he­bung der preu­ßi­schen Staats­re­gie­rung un­ter Ot­to Braun (1872-1955, preu­ßi­scher Mi­nis­ter­prä­si­dent 1920-März 1921, er­neut ab No­vem­ber 1921) durch den „Preu­ßen­schlag“ am 20.7.1932 wur­de von der Ruhr­la­de be­grü­ßt, für die den Reichs­kanz­ler un­ter­stüt­zen­den Par­tei­en stell­te sie vor der Reichs­tags­wahl am 31. Ju­li 360.000 Mark zur Ver­fü­gung. Auch für die Reichs­tags­wahl im No­vem­ber sam­mel­te der Schatz­meis­ter Sprin­g­o­rum wie­der­um Mit­tel ein zur Un­ter­stüt­zung von Pa­pens. Das Geld wur­de aber – im Ge­gen­satz zum Som­mer – nicht mehr Reichs­wehr­mi­nis­ter Kurt von Schlei­cher (1882–1934, Reichs­wehr­mi­nis­ter 1.6.-3.12.1932, Reichs­kanz­ler 3.12.1932-28.1.1933) über­ge­ben, weil man mut­ma­ß­te, die­ser ha­be Gel­der aus dem Som­mer zweck­ent­frem­det. Dies trug mit da­zu bei, dass auch die Mit­glie­der der Ruhr­la­de, wie die ge­sam­te Gro­ß­in­dus­trie, die Feind­schaft ge­gen den nur kurz am­tie­ren­den Reichs­kanz­ler teil­ten, vor al­lem we­gen des­sen ge­werk­schafts­freund­li­cher Po­li­tik.

Franz von Papen (1879-1969) als Vizekanzler, 1933. (Bundesarchiv, Bild 183-1988-0113-500 / CC-BY-SA 3.0)

 

5. Die Ruhrlade und der Nationalsozialismus

Wie schon an­ge­deu­tet, war 1932 die Hal­tung der Mehr­heit der Mit­glie­der der Ruhr­la­de ge­gen­über dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus eher ab­leh­nend, wo­bei nicht nur des­sen un­aus­ge­go­ren wir­ken­des Wirt­schafts­pro­gramm ei­ne Rol­le spiel­te. Ein­zig Fritz Thys­sen galt spä­tes­tens seit 1931 als tat­kräf­ti­ger An­hän­ger und För­de­rer Hit­lers und sei­ner Be­we­gung. Die vor­über­ge­hen­de Mit­wir­kung Al­bert Vög­lers im „Kepp­ler Kreis“, dem von Wil­helm Kepp­ler (1882–1960) auf Ver­an­las­sung Adolf Hit­lers (1889-1945) im Früh­jahr 1932 ge­grün­de­ten „Stu­di­en­kreis für Wirt­schafts­fra­gen“ blieb oh­ne nen­nens­wer­te Er­geb­nis­se. Aus­ge­rech­net das ein­zi­ge jü­di­sche Mit­glied der Ruhr­la­de, Paul Sil­ver­berg, be­müh­te sich im Herbst 1932 um An­nä­he­rung an die NS­DAP. Ein Ge­spräch Sil­ver­bergs mit Hit­ler blieb er­geb­nis­los, eben­so ver­lief sei­ne Kon­takt­auf­nah­me mit Gre­gor Stras­ser (1892–1934), dem Reichs­or­ga­ni­sa­ti­ons­lei­ter der NS­DAP, nach­dem die­ser im De­zem­ber 1932 von sei­nen Äm­tern zu­rück­ge­tre­ten war. Die im No­vem­ber 1932 an Reichs­prä­si­dent Paul von Hin­den­burg (1847–1934, Reichs­prä­si­dent 1925-1934) ge­rich­te­te Ein­ga­be von In­dus­tri­el­len, Ban­kiers und Gro­ßa­gra­ri­ern, grö­ß­ten­teils Mit­glie­der des Kepp­ler-Krei­ses, in der die Über­tra­gung der Re­gie­rungs­ge­walt an Hit­ler ge­for­dert wur­de, weist aus dem Kreis der Ruhr­la­de nur die Un­ter­schrift von Fritz Thys­sen auf.[22] Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter wur­de dem Bü­ro des Reichs­prä­si­den­ten au­ßer­dem mit­ge­teilt, dass auch Reusch, Sprin­g­o­rum und Vög­ler grund­sätz­lich voll und ganz auf dem Bo­den der Ein­ga­be ste­hen, aber nicht zu un­ter­zeich­nen wün­schen, da sie po­li­tisch nicht her­vor­tre­ten wol­len.[23]

Über die Kon­tak­te von Pa­pens zu Hit­ler und die Ver­hand­lun­gen über die Bil­dung ei­ner „Re­gie­rung der na­tio­na­len Kon­zen­tra­ti­on“ wa­ren die Her­ren der Ruhr­la­de seit dem 7.1.1933 in­for­miert. Es spricht we­der für po­li­ti­schen Weit­blick noch die Men­schen­kennt­nis der Mit­glie­der der Ruhr­la­de, dass sie wei­ter­hin auf von Pa­pen setz­ten und so­gar in Er­wä­gung zo­gen, ihn an­stel­le des wei­ter­hin un­ge­lieb­ten Hu­gen­berg an die Spit­ze der DNVP zu set­zen. Auch wenn von Pa­pen dann als Vi­ze­kanz­ler in der Re­gie­rung Hit­ler und kurz­le­bi­ger Reichs­kom­mis­sar für das Land Preu­ßen nicht der star­ke Mann der Re­gie­rung war, als den er sich sah, hat die Ruhr­la­de mut­ma­ß­lich ih­re Gel­der für den Wahl­kampf vor der Reichs­tags­wahl am 5. März mehr­heit­lich oder gar in Gän­ze dem Vi­ze­kanz­ler zur Ver­fü­gung ge­stellt. Von ei­ner tä­ti­gen Mit­wir­kung der Ruhr­la­de in to­to oder ein­zel­ner Mit­glie­der an der Vor­be­rei­tung der Macht­über­nah­me Hit­lers am 30. Ja­nu­ar kann in­des kei­ne Re­de sein.

In der Fol­ge­zeit, un­ter der sich rasch kon­so­li­die­ren­den Herr­schaft der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, wur­de der vor­nehms­te Zweck der Ruhr­la­de, Geld zu in­ter­es­sen­po­li­ti­schen Zwe­cken rasch ge­gen­stands­los, da Adolf Hit­ler und Her­mann Gö­ring (1893-1946) ziem­lich klar zu er­ken­nen ga­ben, dass Zah­lun­gen, und zwar be­trächt­li­che, nur noch an die NS­DAP er­wünscht sei­en. Dies mün­de­te dann in die „Adolf-Hit­ler-Spen­de der deut­schen Wirt­schaf­t“, die vom Reichs­ver­band der Deut­schen In­dus­trie, an sei­ner Spit­ze Gus­tav Krupp von Boh­len und Hal­bach, ko­or­di­niert wur­de. Der Wirt­schaft kam es dar­auf an, so Krupp schon am 24.3.1933 an Hit­ler,[24] die Samm­lung und Mit­wir­kung al­ler auf­bau­wil­li­gen Kräf­te her­bei­zu­füh­ren. Die deut­sche In­dus­trie […] wird al­les tun, um der Reichs­re­gie­rung bei ih­rem schwe­ren Werk zu hel­fen. Sie tat dies mit ei­nem Jah­res­bei­trag in Hö­he von 5 Pro­mil­le der Jah­res­lohn- und Ge­halt­sum­me der Un­ter­neh­men.

6. Das Ende der Ruhrlade

Im Ge­gen­satz zu den an­de­ren In­ter­es­sen­ver­tre­tun­gen der Wirt­schaft, die im Zu­ge des so­ge­nann­ten stän­di­schen Auf­baus der Wirt­schaft gleich­ge­schal­tet wur­den, blieb der Ruhr­la­de die­ses Schick­sal er­spart. Al­ler­dings ging dies mit zu­neh­men­der Ein­fluss­lo­sig­keit der Ruhr­la­de ein­her. Sie dien­te mehr und mehr wie­der dem ur­sprüng­li­chen Sat­zungs­zweck, die Mit­glie­der „ge­sell­schaft­lich zu­sam­men­zu­füh­ren“. In ei­nem Fall klapp­te das al­ler­dings nicht mehr, bei Paul Sil­ver­berg. Die­ser hat­te im Früh­jahr 1933 auf sei­ne Äm­ter ver­zich­ten müs­sen und emi­grier­te spä­ter in die Schweiz. Qua­si zum Ab­schied lud Sil­ver­berg die Mit­glie­der Ruhr­la­de noch ein­mal auf sein ber­gi­sches An­we­sen Ho­ver­hof ein. Paul Reusch, ob­wohl mit Sil­ver­berg be­freun­det, nahm un­ter fa­den­schei­ni­gen ter­min­li­chen Grün­den nicht teil. Sil­ver­berg wur­de bis 1935 als Mit­glied der Ruhr­la­de wei­ter­ge­führt, er­hielt je­doch kei­ne Ein­la­dun­gen mehr. Im Üb­ri­gen wur­den die Tref­fen im Lau­fe der fol­gen­den Zeit deut­lich re­du­ziert.

Paul Silverberg (1876-1959), ca. 1930. (Bundesarchiv, Bild 183-1987-1217-504 / CC-BY-SA 3.0)

 

Nach­dem die Mit­glie­der Wink­haus 1932 und Fick­ler 1935 ver­stor­ben wa­ren, zu­dem für Sil­ver­berg ein Nach­fol­ger zu wäh­len war, fan­den im Som­mer 1935 Nach­wah­len zur Ruhr­la­de statt. Ge­wählt wur­den be­mer­kens­wer­ter­wei­se nur Ver­tre­ter der neue­ren In­dus­tri­en, der che­mi­schen und der Elek­tro­in­dus­trie: Carl Bosch (1874–1940) Vor­sit­zen­der des Auf­sichts- und Ver­wal­tungs­rats der IG Far­ben­in­dus­trie AG[25], Her­mann Bü­cher (1882–1951), Vor­sit­zen­der des Di­rek­to­ri­ums der AEG[26], Carl Fried­rich von Sie­mens, Vor­sit­zen­der der Auf­sichts­rä­te der Sie­mens & Hals­ke AG, der Sie­mens-Schu­ckert-Wer­ke AG und der Sie­mens-Pla­nia­wer­ke AG, von 1924-1934 zu­dem Vor­sit­zen­der des Ver­wal­tungs­rats der Deut­schen Reichs­bahn-Ge­sell­schaft.[27] 

Aber auch von die­sen neu­en Mit­glie­dern gin­gen kei­ne nen­nens­wer­ten Im­pul­se zu ei­ner Re­ak­ti­vie­rung der Ruhr­la­de mehr aus. Man traf sich wei­ter­hin ge­le­gent­lich im engs­ten Krei­se, bot auch hin und wie­der mitt­le­ren Funk­tio­nä­ren des Re­gimes ei­nen pracht­vol­len Rah­men zur Selbst­dar­stel­lung. Die Ab­sicht, die Mit­glie­der­zahl zu ver­grö­ßern, schei­ter­te im April 1938 kläg­lich. Zwar ver­stän­dig­te man sich noch auf ei­ne ent­spre­chen­de Än­de­rung der Sat­zung, die zur Mit­glied­schaft ein­ge­la­de­nen Her­ren, die­ses Mal wie­der­um aus den al­ten In­dus­tri­en, ga­ben je­doch zu er­ken­nen, dass sie kein In­ter­es­se hät­ten. Es han­del­te sich um: Erich Tgahrt (1882–1945), Ge­ne­ral­di­rek­tor und Vor­sit­zen­der des Vor­stands der Ei­sen- und Stahl­werk Hoesch AG[28], Wil­helm Zan­gen (1891–1971), Vor­sit­zen­der des Vor­stan­des der Man­nes­mann AG[29], Ernst Bus­kühl (1880–1945), Vor­sit­zen­der des Vor­stan­des der Har­pe­ner Berg­bau AG Dort­mund[30].

Im Herbst 1939 schlief die Ruhr­la­de „sang- und klang­los“ ein. Noch ter­mi­nier­te Sit­zun­gen wur­den ver­scho­ben, dann ab­ge­sagt, et­wa we­gen der „durch die Ver­dun­ke­lung er­schwer­ten Ver­kehrs­ver­hält­nis­se“ und we­gen der „ge­gen­wär­tig po­li­tisch au­ßer­or­dent­lich kri­ti­schen La­ge“, wie Paul Reusch an Vög­ler schrieb.[31] 

Ei­ne Bi­lanz der Tä­tig­keit der Ruhr­la­de muss er­nüch­ternd aus­fal­len. Trotz er­heb­li­cher Geld­mit­tel, die die Ruhr­la­de in die Hand nahm, um die Po­li­tik in ih­rem Sin­ne zu be­ein­flus­sen, blie­ben ih­re Ak­ti­vi­tä­ten im Grun­de er­geb­nis­los. Das lag vor al­lem dar­an, dass die Ruhr­la­de „im Ge­gen­satz zu weit­aus är­me­ren In­ter­es­sen­grup­pen nicht das bie­ten konn­te, wor­auf es in ei­ner von Wah­len ab­hän­gi­gen Po­li­tik vor al­lem an­kommt: gro­ße, ge­schlos­se­ne Wäh­ler­grup­pen“.[32] 

Ungedruckte Quellen

Rhei­nisch-West­fä­li­sches Wirt­schafts­ar­chiv, Köln 40010124/1: Sat­zun­gen der Ruhr­la­de.

Gedruckte Quellen/Online

Ak­ten der Reichs­kanz­lei. Wei­ma­rer Re­pu­blik: Das Ka­bi­nett Brü­ning I und II (1930-1932), be­arb. von Til­man Ko­ops, 3 Bän­de. Bop­pard 1982/1990. [on­line]

Literatur

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se
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Anmerkungen
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Die Ruhrlade - Vereinigung der „führenden Persönlichkeiten der Eisen- und Kohlenindustrie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet“, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-ruhrlade---vereinigung-der-fuehrenden-persoenlichkeiten-der-eisen--und-kohlenindustrie-im-rheinisch-westfaelischen-industriegebiet/DE-2086/lido/5c49a09fa17da5.20259260 (abgerufen am 05.12.2024)