Die Sozialstruktur Triers in der Spätphase des Alten Reiches

Daniel Kugel (Trier)

Ausschnitt des von Matthäus Merian geschaffenen Stichs von Trier aus dem Jahr 1646. (Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis)

1. Trier im späten 18. Jahrhundert

Die Stadt Trier be­fand sich im spä­ten 18. Jahr­hun­dert in ei­ner schwie­ri­gen La­ge. Zwar fir­mier­te sie nach wie vor stolz als Haupt- und Re­si­d­entz-Stadt[1] des gleich­na­mi­gen Kur­fürs­ten­tums, doch täusch­te die­se Ti­tu­la­tur in ge­wis­ser Wei­se über die his­to­ri­schen Rea­li­tä­ten hin­weg. Die Mo­sel­me­tro­po­le nahm in der ur­ba­nen Rang­fol­ge in­ner­halb des Kur­staa­tes in der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime hin­ter Ko­blenz klar den zwei­ten Rang ein und hat­te den Nim­bus als wich­tigs­tes städ­ti­sches Zen­trum be­reits län­ger ein­ge­bü­ßt.

Schon seit dem frü­hen 17. Jahr­hun­dert hat­te mit der schritt­wei­sen Ver­le­gung der kur­fürst­li­chen Re­si­denz mo­sel­ab­wärts je­ner Be­deu­tungs­ver­lust ein­ge­setzt, der im spä­ten 18. Jahr­hun­dert un­ter der Lan­des­herr­schaft von Cle­mens Wen­zes­laus von Sach­sen s­ei­nen Hö­he­punkt er­reich­te. Der letz­te Trie­rer Kur­fürst be­such­te die na­mens­ge­ben­de Ka­pi­ta­le sei­nes Kur­staa­tes und Ka­the­dral­stadt sei­nes Erz­bis­tums in den 26 Jah­ren sei­ner Amts­zeit ins­ge­samt nur drei­mal und nach 1775 bis zum En­de des Al­ten Rei­ches über­haupt nicht mehr. Trier, das noch im Spät­mit­tel­al­ter ei­ne der wich­tigs­ten und mit über 10.000 Ein­woh­nern auch ei­ne der grö­ße­ren Städ­te des Hei­li­gen Rö­mi­schen Rei­ches ge­we­sen war, sank so­mit im Lau­fe der Frü­hen Neu­zeit mehr und mehr auf den Rang ei­ner eher un­be­deu­ten­den Land­stadt in der äu­ßers­ten west­li­chen Pe­ri­phe­rie des Rei­ches – und da­mit in ge­fähr­li­cher Nach­bar­schaft zum ex­pan­die­ren­den Frank­reich – ab.

Was Trier bis zum En­de des An­ci­en Ré­gime von sei­ner ehe­ma­li­gen Be­deu­tung blieb, war ne­ben sei­nen zen­tral­ört­li­chen Funk­tio­nen für das so­ge­nann­te Ober­erz­stift, den süd­west­li­chen Lan­des­teil des Kur­fürs­ten­tums, die nach wie vor ge­ge­be­ne Funk­ti­on als geist­lich-spi­ri­tu­el­les Zen­trum des Erz­bis­tums. Der Trie­rer Dom war als Me­tro­po­li­tan­kir­che die Grab­le­ge zahl­rei­cher Erz­bi­schö­fe und mit dem Dom­ka­pi­tel, dem Of­fi­zialat und dem Pries­ter­se­mi­nar hat­ten die wich­tigs­ten geist­li­chen Gre­mi­en und In­sti­tu­tio­nen nach wie vor ih­ren Sitz in der Mo­sel­stadt. Fer­ner war Trier mit sei­nen zahl­rei­chen Klös­tern und Kir­chen Jahr für Jahr das Ziel zehn­tau­sen­der Pil­ger. Doch ver­moch­te die­se Be­deu­tungs­fül­le im geist­li­chen Be­reich nur schwer­lich dar­über hin­weg­zu­täu­schen, dass die Stadt an­ders als in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten für die welt­li­chen Ge­schi­cke des Kur­staa­tes nun­mehr von deut­lich nach­ran­gi­ger Be­deu­tung war.[2] 

Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Gemälde von Heinrich Foelix (1757-1821), um 1776, Original in der Domschatzkammer Essen. (Domschatzkammer Essen)

 

2. Die wirtschaftliche Lage der Stadt und ihrer Bewohner

Dar­über hin­aus ging der macht­po­li­ti­sche Be­deu­tungs­schwund auch in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht mit ei­ner ne­ga­ti­ven Ent­wick­lung ein­her, wel­che durch wei­te­re exo­ge­ne wie en­do­ge­ne Fak­to­ren ver­stärkt eben­falls im spä­ten 18. Jahr­hun­dert kul­mi­nier­te. Wäh­rend die Ur­sa­chen die­ser Kri­se in ei­ner durch lang­fris­ti­ge Trends und mit­un­ter weit zu­rück­lie­gen­de Er­eig­nis­se be­ding­ten Struk­tur­schwä­che zu su­chen sind, sorg­ten in der Spät­pha­se des Al­ten Rei­ches ei­ne Rei­he ak­tu­el­ler Ent­wick­lun­gen und ver­schär­fen­der Fak­to­ren für die kri­sen­haf­te Zu­spit­zung der La­ge.

Auf lan­ge Sicht struk­tur­schwä­chend wirk­ten sich ne­ben dem Ver­lust der Re­si­denz­funk­ti­on und den zahl­rei­chen Krie­gen des 17. und 18. Jahr­hun­derts, in de­nen die Stadt und ihr Um­land im­mer wie­der zum Auf­marsch­ge­biet wech­seln­der Ar­me­en wur­den, auch die bei­den Gro­ße­reig­nis­se der Trie­rer Stadt­ge­schich­te des 16. Jahr­hun­derts aus: der ge­schei­ter­te Re­for­ma­ti­ons­ver­su­ch Cas­par Ole­vi­ans und die Nie­der­la­ge der Stadt im Pro­zess um die Reichs­un­mit­tel­bar­keit (1580). Das Schei­tern Ole­vi­ans hat­te in wirt­schaft­li­cher Per­spek­ti­ve nicht zu­letzt des­halb ne­ga­ti­ve Fol­gen, weil un­ter den zahl­rei­chen aus Trier aus­ge­wie­se­nen Pro­tes­tan­ten vie­le öko­no­mi­sche Leis­tungs­trä­ger der Stadt­ge­sell­schaft wa­ren, de­ren Know­how und Ver­mö­gen dem städ­ti­schen Wirt­schafts­ver­bund da­mit ent­zo­gen wur­den. Fer­ner mach­te die fort­an fest­ge­schrie­be­ne ka­tho­li­sche Mo­no­kon­fes­sio­na­li­tät den Zu­zug pro­tes­tan­ti­scher Wirt­schafts­ak­teu­re bis ins spä­te 18. Jahr­hun­dert un­mög­lich, was die Ex­pan­si­ons- und Dy­na­mi­sie­rungs­mög­lich­kei­ten wei­ter ein­eng­te. Die end­gül­ti­ge Un­ter­wer­fung un­ter die kur­fürst­li­che Lan­des­herr­schaft hin­ge­gen schwäch­te das wirt­schaft­li­che Le­ben der Mo­sel­me­tro­po­le we­ni­ger au­gen­fäl­lig, da­für aber eben­so nach­hal­tig. Nur zwei Mo­na­te nach sei­nem Sieg vor dem Reichs­kam­mer­ge­richt hat­te Kur­fürst Ja­kob III. von Eltz Ein­zug in Trier ge­hal­ten und mit der Elt­zia­na ei­ne neue, nach ihm be­nann­te Stadt­ord­nung er­las­sen, wel­che die Stadt ei­ner stren­gen lan­des­herr­li­chen Kon­trol­le un­ter­warf – und da­mit nicht zu­letzt auch die au­ßen- und wirt­schafts­po­li­ti­schen Spiel­räu­me der Ka­pi­ta­le mas­siv ein­schränk­te. Durch die fort­an statt­ha­ben­de lan­des­herr­lich-ka­me­ra­lis­ti­sche Steue­rung er­fuhr das städ­ti­sche Wirt­schafts­le­ben ei­ne zu­neh­men­de Re­gle­men­tie­rung, wel­che sich letzt­lich für die kon­junk­tu­rel­le Ent­wick­lung als ab­träg­lich er­wies.

Caspar Olevian im 30. Lebensjahr, Porträt, 1566. (Stadtarchiv Trier)

 

Zu den lang­fris­tig struk­tur­schwä­chen­den Ent­wick­lun­gen und Er­eig­nis­sen, wel­che die Trie­rer Wirt­schaft na­he­zu die ge­sam­te Frü­he Neu­zeit über hemm­ten, ka­men in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts ei­ne Rei­he ver­schär­fen­der Fak­to­ren, die zum En­de des An­ci­en Ré­gime hin für ei­ne kri­sen­haf­te Zu­spit­zung der La­ge sorg­ten. Zu nen­nen sind un­ter an­de­rem die mer­kan­ti­lis­ti­sche Ab­schot­tung Loth­rin­gens und Lu­xem­burgs, wo­mit zwei der tra­di­tio­nell wich­tigs­ten Ab­satz­märk­te für Trie­rer Pro­duk­te weg­bra­chen, die im auf­ge­klär­ten Zeit­geist er­folg­ten Ein­schrän­kun­gen im Pro­zes­si­ons- und Wall­fahrts­we­sen, wel­ches bis da­hin eben­falls ein wich­ti­ger Wirt­schafts­fak­tor ge­we­sen war, so­wie der Nie­der­gang der Trie­rer Uni­ver­si­tät und die da­mit ver­bun­de­nen rück­läu­fi­gen Stu­den­ten­zah­len. Wei­ter ver­stärkt wur­den die Fol­gen die­ser ne­ga­ti­ven Ent­wick­lun­gen durch ei­ne Häu­fung kli­ma­ti­scher und me­teo­ro­lo­gi­scher Ex­tre­mer­eig­nis­se in den 1780er Jah­ren (ex­trem kal­ter Win­ter 1783/1784, so­ge­nann­tes Jahr­tau­send­hoch­was­ser von 1784, über­wie­gend kal­te, ver­reg­ne­te Som­mer und da­mit stei­gen­de Ge­trei­de­prei­se), so­dass sich die Stadt und vie­le ih­rer Be­woh­ner im spä­ten 18. Jahr­hun­dert in ei­ner wirt­schaft­lich pre­kä­ren La­ge be­fan­den.

Ei­nen an­schau­li­chen Be­leg für die schwie­ri­ge Ge­samt­si­tua­ti­on bie­tet der städ­ti­sche Schul­den­stand. Die­ser war im 18. Jahr­hun­dert trotz lan­des­herr­li­cher In­ter­ven­ti­ons­ver­su­che wie der Stadt­öko­no­mie­ver­ord­nung Cle­mens Wen­zes­laus‘ (1773) ste­tig an­ge­wach­sen und be­lief sich im Jahr 1783 auf über 21.000 Reichs­ta­ler – und da­mit auf mehr als das Dop­pel­te der durch­schnitt­li­chen städ­ti­schen Jah­res­ein­nah­men.[3] Doch nicht nur auf der Stadt­kas­se las­te­ten ho­he Schul­den, auch die meis­ten der Zünf­te und Bru­der­schaf­ten, in de­nen die Bür­ger­schaft or­ga­ni­siert war, wa­ren ver­schul­det. Ihr Ge­samt­schul­den­stand be­weg­te sich in ähn­li­chem Rah­men wie das auf der Stadt­kas­se las­ten­de Mi­nus. Im Jahr 1787 sum­mier­ten sich die Au­ßen­stän­de auf 20.825 Reichs­ta­ler – au­ßer den Bä­ckern (2.463 Reichs­ta­ler und 18 Al­bus Amts­ver­mö­gen) und den Fi­schern (200 Reichs­ta­ler Amts­ver­mö­gen), wa­ren al­le städ­ti­schen Kor­po­ra­tio­nen ver­schul­det[4].

Der wirt­schaft­li­che Nie­der­gang Triers hat sich je­doch nicht nur in dem enor­men Schul­den­stand der Stadt im All­ge­mei­nen und der bür­ger­li­chen Kor­po­ra­tio­nen im Be­son­de­ren nie­der­ge­schla­gen, son­dern ist auch an­hand der im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts sin­ken­den steu­er­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit der Trie­rer Bür­ger nach­zu­voll­zie­hen. Quel­len­mä­ßig greif­bar wird die­sel­be in den so­ge­nann­ten „Nah­rungs­geld­bü­chern“[5]. Das Nah­rungs­geld war ei­ne Art vor­mo­der­ner Ein­kom­mens- be­zie­hungs­wei­se Ge­wer­be­steu­er, die von den Bür­gern nach Zünf­ten und Bru­der­schaf­ten un­ter­teilt vier­tel­jähr­lich zu ent­rich­ten war. In der Ge­samt­schau lässt die­se Steu­er dank ih­rer Kopp­lung an den je­wei­li­gen Ver­dienst Rück­schlüs­se auf die kon­junk­tu­rel­le Ent­wick­lung der Stadt zu. Be­trach­tet man die Ent­wick­lung des Ge­samt­nah­rungs­steu­er­vo­lu­mens im 18. Jahr­hun­dert, so wird der ne­ga­ti­ve Trend mehr als au­gen­schein­lich: Hat­ten die Trie­rer Bür­ger 1719 noch ins­ge­samt 97 Reichs­ta­ler und 45 Al­bus ent­rich­tet, so wa­ren es 1784 ge­ra­de noch 51 Reichs­ta­ler und 8 Al­bus[6] – der Ge­samt­um­satz des städ­ti­schen Hand­werks und Han­dels hat­te sich al­so in nicht ein­mal 70 Jah­ren fast hal­biert.

Noch dra­ma­ti­scher wirkt die­ser Ein­bruch, wenn man ne­ben dem Ge­samt­steu­er­vo­lu­men auch die Ent­wick­lung der An­zahl von Steu­er­zah­lern im glei­chen Zeit­raum be­rück­sich­tigt. Wäh­rend sich das Steu­er­vo­lu­men fast hal­bier­te, wuchs die Zahl der Ge­schatz­ten, der zur Steu­er Her­an­ge­zo­ge­nen, so­gar von 895 (1719) auf 1465 (1784) – mit­hin um gut 64 Pro­zent. Das be­deu­tet, dass für den im­mer nied­ri­ger aus­fal­len­den Ge­samt­er­trag des Nah­rungs­gel­des im Lau­fe der Jahr­zehn­te im­mer mehr Bür­ger her­an­ge­zo­gen wer­den muss­ten, wäh­rend die An­zahl der steu­er­lich Leis­tungs­fä­hi­gen, al­so der­je­ni­gen, die ge­nug ver­dien­ten, um Nah­rungs­geld ent­rich­ten zu kön­nen mehr oder we­ni­ger kon­stant blieb (1719: 797 und 1784: 831). Da­mit sank al­so nicht nur das Ge­samt­steu­er­vo­lu­men, son­dern auch der Pro-Kopf-Steu­er­be­trag, was zu­sam­men­ge­nom­men die schlech­te wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung Triers im 18. Jahr­hun­dert mehr als deut­lich wi­der­spie­gelt.

Der Rück­gang der steu­er­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit bei gleich­zei­ti­gem Be­völ­ke­rungs­wachs­tum deu­tet dar­über hin­aus im Um­kehr­schluss auf ei­ne Zu­nah­me von Ar­mut in der Stadt hin, wel­che quel­len­mä­ßig eben­falls in den Nah­rungs­geld­bü­chern greif­bar wird. Die­se dif­fe­ren­zie­ren mit Blick auf die Ar­men zwi­schen zwei Grup­pen: Zum ei­nen füh­ren sie die­je­ni­gen Bür­ger auf, wel­che auf­grund ih­res ge­rin­gen Ver­diens­tes zwar kein Nah­rungs­geld, al­so kei­ne Ein­kom­mens- be­zie­hungs­wei­se Ge­wer­be­steu­er, aber im­mer­hin den so­ge­nann­ten Schirm- oder Ehe­gul­den ent­rich­ten konn­ten – ei­ne pau­scha­le Kopf­steu­er (für Ver­hei­ra­te­te 36 Al­bus und für Le­di­ge 18 Al­bus), die je­der Bür­ger jähr­lich für den Schutz durch den Lan­des­herrn zu ent­rich­ten hat­te. Zum an­de­ren wer­den in die­sen Steu­er­lis­ten ei­ni­ge Per­so­nen aber auch ex­pli­zit als „ar­m“ oder „pau­per“ be­zeich­net. Die­se Bür­ger wa­ren so­gar so un­be­mit­telt, dass sie we­der Nah­rungs­geld noch den Schirm­gul­den ent­rich­ten konn­ten. Fasst man bei­de Grup­pen zu­sam­men, so zähl­te aus­weis­lich der Be­rech­nun­gen Tho­mas Kohls[7] in der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime gut die Hälf­te der Bür­ger­schaft zu den Ar­men und Un­be­mit­tel­ten, wäh­rend de­ren für das frü­he 18. Jahr­hun­dert er­rech­ne­ter An­teil noch im nied­ri­gen ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich ge­le­gen hat­te.

Be­rück­sich­tigt man zu­dem, dass die un­ter­bür­ger­li­chen Schich­ten, wel­che ver­mut­lich rund zehn Pro­zent der Be­völ­ke­rung stell­ten und un­ter de­nen der An­teil an Ar­men durch­aus groß ge­we­sen sein dürf­te, in den Nah­rungs­geld­bü­chern nicht er­fasst wur­den, so dürf­te die Ar­men­quo­te für die ge­sam­te Stadt­be­völ­ke­rung wohl so­gar über 50 Pro­zent ge­le­gen ha­ben. Die­se Schät­zung wird ge­stützt durch die zeit­ge­nös­si­sche Bi­lanz ei­ner lan­des­herr­li­chen Kom­mis­si­on aus dem Jahr 1789[8], in der es über die Ein­woh­ner­schaft Triers hei­ßt, daß die Hälf­te der­sel­ben in Dürf­tig­keit le­bet, kaum der vier­te Theil sich ehr­bar zu ern­eh­ren im stand, und viel­leicht nicht der fünf­zigs­te Theil das sei, was man wohl­ha­ben­de Bur­ge­re nennt. Ei­ner gro­ßen Grup­pe Ar­mer und von Ar­mut Be­droh­ter stan­den dem­nach in der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime ei­ne klei­ne Grup­pe fis­ka­li­scher Leis­tungs­trä­ger und ein sehr klei­ner Kreis Wohl­ha­ben­der und Rei­cher ge­gen­über.

Ab­schlie­ßend gilt es fest­zu­hal­ten, dass von den skiz­zier­ten wirt­schaft­li­chen Ne­ga­tiv­ent­wick­lun­gen im 18. Jahr­hun­dert nicht al­le Mit­glie­der der Stadt­ge­sell­schaft in glei­chem Ma­ße be­trof­fen wa­ren. Denn zum ei­nen er­wie­sen sich ein­zel­ne Be­rufs­grup­pen als kri­sen­re­sis­ten­ter als an­de­re: Zu nen­nen sind hier ne­ben den Krä­mern mit den Metz­gern und den Bä­ckern vor al­lem die Hand­wer­ke des täg­li­chen Be­darfs, wäh­rend zu den gro­ßen Ver­lie­rern die in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten das Trie­rer Wirt­schafts­le­ben ma­ß­geb­lich prä­gen­den Wol­len­we­ber zu zäh­len sind. Und zum an­de­ren war es ei­ni­gen der we­ni­gen Wohl­ha­ben­den und Rei­chen im ge­frag­ten Zeit­raum so­gar ge­lun­gen, ihr Ver­mö­gen zu ver­meh­ren, wäh­rend die Mas­se der Be­völ­ke­rung an oder un­ter­halb der Gren­ze des Exis­tenz­mi­ni­mums leb­te.[9] Cha­rak­te­ris­tisch für die Ent­wick­lung der Trie­rer Stadt­ge­sell­schaft im 18. Jahr­hun­dert war dem­nach ein wach­sen­des Maß an öko­no­mi­scher Un­gleich­heit: Wäh­rend die we­ni­gen Rei­chen im­mer rei­cher wur­den, ge­rie­ten im­mer grö­ße­re Tei­le der Be­völ­ke­rung in Ar­mut oder droh­ten in die Be­dürf­tig­keit her­ab­zu­sin­ken.

Jakob III. von Eltz, Porträt, Kupferstich. (Stadtbibliothek Trier)

 

3. Formal-administrative Organisationsstrukturen und ständisch-korporative Gliederung der Stadtgesellschaft

In Tei­len quer zur ge­schil­der­ten öko­no­mi­schen Schich­tung la­gen die for­mal-ad­mi­nis­tra­ti­ven Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren und die stän­disch-kor­po­ra­ti­ve Glie­de­rung der Trie­rer Stadt­ge­sell­schaft am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on. Bei den Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren gilt es zwi­schen der geist­li­chen und der welt­li­chen Ad­mi­nis­tra­ti­on zu dif­fe­ren­zie­ren. Für die geist­li­che Ein­tei­lung wa­ren die fünf Stadt­pfar­rei­en St. Pau­lus, St. An­to­ni­us, St. Ger­va­si­us, St. Gan­golf und St. Lau­ren­ti­us kon­sti­tu­tiv, de­ren Pfar­rer für die städ­ti­sche Be­völ­ke­rung im All­tags­le­ben nicht nur seel­sor­ge­risch ver­ant­wort­lich wa­ren, son­dern auch wich­ti­ge ge­sell­schaft­li­che Funk­tio­nen (wie et­wa das Aus­stel­len von Ar­men­zeug­nis­sen) ver­sa­hen. Welt­lich hin­ge­gen war die Trie­rer Bür­ger­schaft für die Or­ga­ni­sa­ti­on des Wacht­diens­tes in ins­ge­samt vier Wacht­be­zir­ke, so­ge­nann­te Quar­tie­re oder Kan­to­ne, ein­ge­teilt, wel­che sich räum­lich nach den Stadt­to­ren (Si­me­ons­pfor­te, Neu- und Alt­pfor­te, Brü­cken­pfor­te, Krah­nen- und Mar­tins­pfor­te) struk­tu­rier­ten.[10] 

Das do­mi­nan­te Mo­ment bei der ge­sell­schaft­li­chen Glie­de­rung war in­des in Trier wie al­ler­or­ten im Al­ten Reich das stän­di­sche. An der Spit­ze der so­zia­len Hier­ar­chie stan­den Adel und Kle­rus. Der in Trier an­säs­si­ge rit­ter­schaft­li­che Adel wie die Fa­mi­li­en von Kes­sel­statt oder von Wal­der­dorff nahm ei­ne Son­der­stel­lung in­ner­halb der Stadt­ge­sell­schaft ein, da er 1729 end­gül­tig in die Reichs­stand­schaft ent­las­sen wor­den war und da­mit – an­ders als das Gros der Be­völ­ke­rung – nicht dem kur­fürst­li­chen Un­ter­ta­nen­ver­band an­ge­hör­te. Ei­ne Son­der­stel­lung be­an­spruch­ten auch die zahl­rei­chen Kle­ri­ker in der Stadt. Ih­re An­zahl be­lief sich im spä­ten 18. Jahr­hun­dert auf rund 500, wo­mit die Geist­li­chen bei ei­ner Ge­samt­ein­woh­ner­zahl von et­wa 7.500 bis 8.000[11] nicht nur qua­li­ta­tiv, son­dern auch quan­ti­ta­tiv ei­ne wich­ti­ge Be­völ­ke­rungs­grup­pe stell­ten, de­ren ab­so­lut wie re­la­tiv be­acht­li­che Grö­ße aus Triers Ge­prä­ge als geist­lich-spi­ri­tu­el­les Zen­trum des Erz­bis­tums re­sul­tier­te. Die kle­ri­ka­le Ein­woh­ner­schaft ver­teil­te sich auf ins­ge­samt 26 geist­li­che Ein­rich­tun­gen in­ner­halb und fünf au­ßer­halb der Stadt­mau­ern.

Wäh­rend der Adel und der Kle­rus als die bei­den füh­ren­den Stän­de von al­len bür­ger­li­chen Las­ten (wie dem Wacht­dienst) und auch den in­di­rek­ten Steu­ern be­freit wa­ren, war es in Trier wie an­dern­orts die Bür­ger­schaft, wel­che die ei­gent­li­che Stadt­ge­sell­schaft bil­de­te. Ih­rem ur­sprüng­lich ega­li­tä­ren Kon­struk­ti­ons­prin­zip als Schwur­ge­mein­schaft ent­ge­gen wies die­se da­bei ih­rer­seits ei­ne sta­tus­be­zo­ge­ne Bin­nen­glie­de­rung auf. Dem Rang nach an der Spit­ze der städ­ti­schen (bür­ger­li­chen) Ge­sell­schaft stand in Trier ei­ne klei­ne Grup­pe recht­lich Pri­vi­le­gier­ter, aus der sich die po­li­ti­sche und öko­no­mi­sche Eli­te re­kru­tier­te – wel­che in der Mo­sel­stadt be­zeich­nen­der­wei­se wei­test­ge­hend de­ckungs­gleich wa­ren. Ih­rer Zu­sam­men­set­zung und Grö­ße nach fass­bar wird die­se pri­vi­le­gier­te Grup­pe et­wa in den Steu­er­lis­ten des Jah­res 1784.[12] Sie kon­sti­tu­ier­te sich dem­nach aus den Ge­heim- und Hof­rä­ten (sie­ben Per­so­nen), den Bür­ger­meis­tern, Hoch­ge­richts­schöf­fen und Ma­gis­trats­mit­glie­dern (35 Per­so­nen), den Doc­to­res et Per­sonae pu­bli­cae (44 Per­so­nen), wel­che im We­sent­li­chen den Per­so­nal­be­stand der Uni­ver­si­tät bil­de­ten, den Ac­tua­rii et No­ta­rii (26 Per­so­nen), wo­bei es sich um No­ta­re und an­de­re Bür­ger mit öf­fent­li­chen Auf­ga­ben han­del­te, und den so­ge­nann­ten Da­mes (23 Per­so­nen), den Wit­wen und un­ver­hei­ra­te­ten weib­li­chen Ver­wand­ten ho­her städ­ti­scher oder lan­des­herr­li­cher Funk­ti­ons- und Wür­den­trä­ger. Ins­ge­samt um­fass­te der recht­lich pri­vi­le­gier­te Kreis an der Spit­ze der Bür­ger­schaft al­so 135 Haus­halts­vor­stän­de, wel­che wie Adel und Kle­rus vom Wacht­dienst be­freit wa­ren und kein Nah­rungs­geld zah­len muss­ten, son­dern nur den be­reits ge­nann­ten Schirm­gul­den – den sich frei­lich die Ma­gis­trats­mit­glie­der aus der Stadt­kas­se zu­rück­er­stat­ten lie­ßen und da­mit zwar nicht de ju­re, aber de fac­to Ab­ga­ben­frei­heit ge­nos­sen.

Die bür­ger­li­chen Las­ten hat­ten da­her die in Zünf­ten be­zie­hungs­wei­se Äm­tern und Bru­der­schaf­ten or­ga­ni­sier­ten Hand­wer­ker, Händ­ler und Ta­ge­löh­ner zu tra­gen, wel­che den Steu­er­lis­ten von 1784 zu­fol­ge in der Spät­pha­se des Al­ten Rei­ches gut 1.370 Haus­halts­vor­stän­de stell­ten. Sie ver­teil­ten sich auf ins­ge­samt 22 Kor­po­ra­tio­nen, zwi­schen de­nen es aber­mals Ran­gab­stu­fun­gen gab: An der Spit­ze stan­den die vier so­ge­nann­ten gro­ßen Äm­ter der Wol­len­we­ber, Bä­cker, Metz­ger so­wie Schuh­ma­cher und Lau­er, ge­folgt von den klei­nen Äm­tern der Ge­schenk­ter, Krä­mer, Fass­bin­der, Schnei­der, Ley­en­de­cker, Schmie­de und Schlos­ser, Zim­mer­leu­te und Schrei­ner, Schif­fer, Fi­scher, Stein­met­ze und Mau­rer so­wie Lei­nen­we­ber und den Bru­der­schaf­ten der Kö­che, Kar­cher, Bar­bie­re, Wein­schrö­ter, Sack­trä­ger, Gold­schmie­de und Pe­rü­cken­ma­cher. Über­wie­gend am un­te­ren En­de der so­zia­len Ska­la in­ner­halb der Bür­ger­schaft ran­gier­ten die so­ge­nann­ten Zen­ders­leu­te, das hei­ßt die­je­ni­gen Bür­ger, wel­che we­der der bür­ger­li­chen Eli­te noch ei­ner der ge­nann­ten Kor­po­ra­tio­nen an­ge­hör­ten und da­her der städ­ti­schen Po­li­zei­ge­walt, dem Zen­der, un­ter­stellt wa­ren.[13] 

Un­ter­halb und au­ßer­halb der Bür­ger­schaft leb­ten aber noch wei­te­re Grup­pen im Trier des spä­ten 18. Jahr­hun­derts: Ne­ben der jü­di­schen Be­völ­ke­rung (13 Fa­mi­li­en im Jahr 1785)[14] und den so­ge­nann­ten Beisas­sen, sprich den Ein­woh­nern oh­ne Bür­ger­recht, sind hier vor al­lem die Stu­den­ten zu nen­nen, de­ren An­zahl al­ler­dings be­dingt durch den all­ge­mei­nen Nie­der­gang der Uni­ver­si­tät zum En­de des An­ci­en Ré­gime hin stark zu­rück­ging.

Ih­re sicht­ba­re Ma­ni­fes­ta­ti­on fand die stän­di­sche Hier­ar­chie der städ­ti­schen Ge­sell­schaft in der seit 1593/1594 gül­ti­gen Klei­der­ord­nung, die al­len so­zia­len Grup­pen in­ner­halb der Stadt be­stimm­te Klei­dungs­vor­ga­ben mach­te und so­gar 1794 noch – nur gut ei­nen Mo­nat vor der Er­obe­rung Triers durch fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen – in Tei­len er­neut ein­ge­schärft wur­de. Be­son­ders die au­ßer­halb der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft und am un­te­ren En­de der so­zia­len Ska­la ste­hen­den Grup­pen hat­ten dem­nach ih­re Son­der­rol­le durch das äu­ßer­li­che Er­schei­nungs­bild kennt­lich zu ma­chen. So muss­ten et­wa die Ju­den, da­mit man sie er­kannt, zum un­ter­schied der chris­ten gel­be rin­ge ei­nes kö­nigs ta­lers breit vorn auf den män­teln oder klei­dern of­fen und un­ver­deckt tra­gen[15]; glei­ches galt für die of­fi­zi­ell zu­ge­las­se­nen Bett­ler.

Fer­ner dien­ten je­doch auch fest­li­che An­läs­se wie Pro­zes­sio­nen der öf­fent­li­chen Vi­sua­li­sie­rung und In­sze­nie­rung der stan­des- und sta­tus­be­zo­ge­nen ge­sell­schaft­li­chen Hier­ar­chie. Wie ex­em­pla­risch aus dem Jahr 1779 über­lie­fert ist, folg­ten bei der­ar­ti­gen Fest­zü­gen dem Rang nach ab­stei­gend auf das Al­ler­hei­ligs­te zu­nächst Adel und Kle­rus, de­nen sich die Hoff=Räth, die Stadt=Die­ner [...], die Raths=Her­ren, die Dom=Her­ren Be­dien­ten, die Zünf­ten [...] nach der ran­ge, als: Die Wol­len=We­ber, Be­cker, Metz­ger, Schue=Ma­cher und Lau­er, Ge­schenck­ter, Schnei­der, Krä­mer, Faß=Bin­der, Schlo­ßer, Schmitt, Kup­fer­sch­mitt, Tach=De­cker, Schrei­ner, Drechs­ler und Wag­ner, Schiff-Leutt, Bau­meis­ter, Stein­hau­er und Mau­rer, Lei­nen=We­ber, Fi­scher, Koch­bru­der­schaft und der­glei­chen[16] an­schlos­sen, be­vor die nicht­bür­ger­li­chen Ein­woh­ner Triers so­wie die Bau­ern des Um­lan­des den Ab­schluss bil­de­ten.

Wäh­rend die Stan­des­gren­zen in der Re­gel ver­hält­nis­mä­ßig starr wa­ren, war die Mög­lich­keit ei­nes so­zia­len Auf­stie­ges in­ner­halb der Bür­ger­schaft durch­aus ge­ge­ben – vor al­lem durch die Teil­ha­be am Stadt­rat. Die­ser kon­sti­tu­ier­te sich im 18. Jahr­hun­dert un­ter der Lei­tung ei­nes kur­fürst­li­chen Statt­hal­ters und des Stadt­schult­hei­ßen aus acht so­ge­nann­ten Rats­schöf­fen, die zu­gleich auch Schöf­fen am kur­fürst­li­chen Hoch­ge­richt wa­ren, und 20 so­ge­nann­ten Amts­meis­tern, bei de­nen es sich de ju­re um Ver­tre­ter der Trie­rer Bür­ger­schaft han­del­te. Die­se Kon­stel­la­ti­on er­öff­ne­te für am­bi­tio­nier­te Bür­ger zwei Zu­gangs­we­ge zur Teil­ha­be am obers­ten städ­ti­schen Gre­mi­um: Wer ei­ne der Rats­schöf­fen­stel­len er­lan­gen woll­te, muss­te über ein (in der Re­gel an der Lan­des­uni­ver­si­tät ab­sol­vier­tes) Ju­ra­stu­di­um ver­fü­gen und im kur­fürst­li­chen Dienst als Schöf­fe am Trie­rer Hoch­ge­richt tä­tig sein, da die dort tä­ti­gen Ju­ris­ten nach dem An­ci­en­ni­täts­prin­zip auf die vom Lan­des­herrn zu be­set­zen­den Rats­schöf­fen­stel­len nach­rück­ten. Die­sen Weg des so­zia­len Auf­stiegs hat bei­spiels­wei­se Franz-Lud­wig Wei­den­kranz (1730–1792) be­schrit­ten, des­sen Vor­fah­ren sich ih­ren Le­bens­un­ter­halt noch als Mül­ler in St. Mar­tin bzw. Bä­cker ver­dient hat­ten und der von 1755 bis 1763 an der Trie­rer ju­ris­ti­schen Fa­kul­tät im­ma­tri­ku­liert war, be­vor er es ab dem 8.3.1763 zu­nächst zum Hoch­ge­richts- und Rats­schöf­fen so­wie ab 1781 schlie­ß­lich so­gar zum Syn­di­kus der Stadt Trier schaff­te.[17] 

Wer in­des ei­ne der von den ein­zel­nen Äm­tern zu be­set­zen­den Amts­meis­ter­stel­len ein­neh­men woll­te, muss­te über kei­ne be­stimm­te Qua­li­fi­ka­ti­on, wohl aber über die nö­ti­ge fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung ver­fü­gen – denn an­ders als in der Elt­zia­na von 1580 vor­ge­se­hen, ent­sand­ten die bür­ger­li­chen Kor­po­ra­tio­nen am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on kei­ne Ver­tre­ter aus ih­ren ei­ge­nen Rei­hen mehr in den Ma­gis­trat, son­dern ver­kauf­ten ih­re Rats­man­da­te re­gel­mä­ßig meist­bie­tend an wohl­ha­ben­de, aber zunft­frem­de Mit­glie­der des städ­ti­schen Ho­no­ra­tio­ren­tums. Be­gon­nen hat­te die­se Ent­wick­lung be­reits im 16. Jahr­hun­dert, sich dann im 17. Jahr­hun­dert aus­ge­wei­tet, be­vor sie schlie­ß­lich im 18. Jahr­hun­dert an­ge­sichts der gro­ßen Schul­den­ber­ge, auf de­nen die meis­ten Äm­ter sa­ßen, ei­nen fast schon zwangs­läu­fi­gen Cha­rak­ter an­nahm und letzt­lich au­ßer dem Krä­mer­amt kei­ne Kor­po­ra­ti­on mehr ei­ge­ne Mit­glie­der in den Stadt­rat ent­sand­te be­zie­hungs­wei­se ent­sen­den konn­te. Die für die Rats­stel­len aus­ge­lob­ten und tat­säch­lich ge­zahl­ten Prei­se un­ter­strei­chen die wei­ter oben skiz­zier­ten gro­ßen öko­no­mi­schen Un­ter­schie­de in­ner­halb der Stadt­ge­sell­schaft. So hat­te et­wa der Bä­cker­amts­meis­ter Jo­hann Pe­ter Eschett 1765 fast 2.000 Reichs­ta­ler für sei­ne Amts­meis­ter­stel­le be­zahlt[18] – was mehr als dem Zwan­zig­fa­chen des durch­schnitt­li­chen Jah­res­ver­diens­tes ei­nes Hand­werks­meis­ters (rund 96 Reichs­ta­ler) ent­sprach.[19] 

4. Mobilisierung der Trierer Bürgerschaft im Übergang zur Französischen Revolution – Die innerstädtischen Konflikte der Jahre 1781 bis 1791

Für die po­li­ti­sche Re­prä­sen­ta­ti­on der Bür­ger­schaft in­des blieb die ge­üb­te Ver­kaufs­pra­xis na­tur­ge­mäß nicht oh­ne Fol­gen, denn die durch ih­re schie­re Pros­pe­ri­tät in das obers­te städ­ti­sche Gre­mi­um ge­lang­ten Ho­no­ra­tio­ren ver­tra­ten im Rat we­ni­ger die In­ter­es­sen ih­rer je­wei­li­gen Kor­po­ra­ti­on denn ih­re ei­ge­nen, was in der Kon­se­quenz im spä­ten 18. Jahr­hun­dert zu ei­ner tief­grei­fen­den Ent­frem­dung zwi­schen Bür­ger­schaft und Ma­gis­trat führ­te.

Die­se Ent­frem­dung bil­de­te in Kom­bi­na­ti­on mit der wei­ter oben ge­schil­der­ten an­ge­spann­ten Wirt­schafts­la­ge der Stadt und vie­ler ih­rer Bür­ger schlie­ß­lich am Vor­abend der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on das Fer­ment für ei­nen Kom­plex in­ner­städ­ti­scher Kon­flik­te, wel­cher die Trie­rer Stadt­ge­schich­te in den Jah­ren zwi­schen 1781 und 1791 ma­ß­geb­lich präg­te[20]. Aus­ge­löst wur­den die­se Kon­flik­te zu­nächst durch ei­ne Rei­he auf­ge­klärt-wohl­fahrts­staat­li­cher Re­form­maß­nah­men der Lan­des­herr­schaft, wel­che für Wi­der­stand in der Bür­ger­schaft sorg­ten: So lehn­ten die Trie­rer in den Jah­ren ab 1781 so­wohl die An­la­ge ei­nes neu­en Fried­hofs als auch die Ein­rich­tung ei­ner Brand­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft we­gen der da­mit ein­her­ge­hen­den fi­nan­zi­el­len Be­las­tun­gen und ih­res ok­troy­ier­ten Cha­rak­ters ab. Un­ter­stützt wur­den sie in ih­rem Wi­der­stand an­fangs auch vom städ­ti­schen Ma­gis­trat, der sich ge­gen­über der Lan­des­re­gie­rung mit Blick auf die ge­plan­ten Maß­nah­men eben­falls kri­tisch äu­ßer­te. Als sich der Ma­gis­trat je­doch im Lau­fe der Aus­ein­an­der­set­zun­gen schlie­ß­lich auf die Sei­te des Lan­des­herrn stell­te und die Vor­be­rei­tun­gen zur Ein­füh­rung der Brand­ver­si­che­rung ge­gen den Wil­len der Bür­ger­schaft wei­ter­ge­führt wur­den, rich­te­te sich der Un­mut ver­stärkt auch auf die Mit­glie­der des obers­ten städ­ti­schen Gre­mi­ums.

Von den ur­sprüng­li­chen Kon­flikt­ge­gen­stän­den los­ge­löst, er­fuhr der Wi­der­stand im Lau­fe der fol­gen­den Jah­re ei­ne Wen­dung ins Grund­sätz­li­che, in­dem sich die Bür­ger­schaft in hart­nä­cki­ger Op­po­si­ti­on nicht nur ge­gen den Lan­des­herrn als über­ge­ord­ne­te, son­dern auch ge­gen den Ma­gis­trat als lo­ka­le Ob­rig­keit wand­te. Kri­ti­siert wur­den ne­ben der lan­des­herr­li­chen Will­kür nun auch die Un­tä­tig­keit und Pflicht­ver­ges­sen­heit der Ma­gis­trats­mit­glie­der.

Um die Kon­flik­te zu lö­sen, setz­te die Lan­des­re­gie­rung schlie­ß­lich im Jahr 1787 ei­ne Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on ein, wel­che die bür­ger­schaft­li­chen Gra­va­mi­na prü­fen und im Be­rech­ti­gungs­fall für Ab­hil­fe sor­gen soll­te. Doch auch die Tä­tig­keit die­ser Kom­mis­si­on konn­te die Aus­ein­an­der­set­zun­gen letz­ten En­des nicht nach­hal­tig se­die­ren, son­dern ver­stärk­te den Un­mut in der Bür­ger­schaft so­gar noch, da sel­bi­ge de­ren Ar­beits­tem­po für zu lang­sam und die er­ar­bei­te­ten Lö­sungs­an­sät­ze für un­zu­rei­chend be­fand.

Nach­dem die Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on ih­re Er­geb­nis­se im Herbst 1789 vor­ge­stellt hat­te, ent­lu­den sich die an­ge­stau­te Ent­täu­schung und Ver­bit­te­rung – wohl auch vor dem Hin­ter­grund der Er­eig­nis­se im be­nach­bar­ten Frank­reich und im Fürst­bis­tum Lüt­tich – in ei­nem mehr­tä­gi­gen Auf­stand. Die Bür­ger­schaft ver­sam­mel­te sich am 23. Ok­to­ber auf dem Korn­markt, stürm­te das Rat­haus und zwang den Rat und die Un­ter­su­chungs­kom­mis­si­on zur Rück­nah­me der ge­fass­ten Be­schlüs­se und zu wei­te­ren Ent­schei­dun­gen in ih­rem Sin­ne. Erst die In­ter­ven­ti­on der Reichs­jus­tiz ver­moch­te es, die­sen Auf­stand nach gut ei­ner Wo­che zu be­en­den. Die er­zwun­ge­nen Zu­ge­ständ­nis­se wur­den an­nul­liert und die Bür­ger­schaft muss­te Ab­bit­te leis­ten. Doch auch die nun schein­bar wie­der­her­ge­stell­te Ru­he er­wies sich letzt­lich als trü­ge­risch, da die Kon­flik­te fort­schwel­ten und nicht eher ihr En­de fan­den, bis die Ob­rig­keit ei­nen neu­er­li­chen Tu­mult auf dem Korn­markt im Au­gust 1791 blu­tig nie­der­schla­gen ließ.

Der mehr als ein Jahr­zehnt wäh­ren­de Kon­flikt­kom­plex in­des hat­te in­ner­halb der Bür­ger­schaft für ei­ne nach­hal­ti­ge Mo­bi­li­sie­rung ge­sorgt. Über die meh­re­ren Hun­dert Be­tei­lig­ten bei den Auf­läu­fen von 1789 und 1791 hin­aus ha­ben sich im Rah­men des skiz­zier­ten Kon­flikt­kom­ple­xes 134 Bür­ger der Lan­des­herr­schaft und dem Ma­gis­trat ge­gen­über na­ment­lich als Vor­ste­her […] der gan­zen Bür­ger­schaft[21] und De­pu­tir­te ge­samb­ter Zünf­ten[22] ex­po­niert. Ei­ne ge­naue­re Ana­ly­se der Zu­sam­men­set­zung die­ser Grup­pe bür­ger­schaft­li­cher Wort­füh­rer er­mög­licht Ein­bli­cke in zen­tra­le Struk­tu­ren und Ent­wick­lun­gen im so­zia­len Ge­fü­ge der Stadt Trier in der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime.

Ih­rer Selbst­zu­schrei­bung nach stan­den die­sel­ben kurz da­vor mit Frau und Kin­dern den Bet­tel­stab[23] er­grei­fen zu müs­sen, wie sie im April 1785 in ei­nem Schrei­ben an den Lan­des­herrn aus­führ­ten. Über­prüft man die­se Selbst­zu­schrei­bung hin­ge­gen mit­hil­fe der be­reits mehr­fach ge­nann­ten Nah­rungs­steu­er­lis­te von 1784[24], dann er­gibt sich ein gänz­lich an­de­res und weit dif­fe­ren­zier­te­res Bild. Die Zah­len be­le­gen, dass die bür­ger­li­chen Ex­po­nen­ten ih­re wirt­schaft­li­che La­ge ge­gen­über dem Lan­des­herrn deut­lich dra­ma­ti­siert dar­ge­stellt ha­ben. Denn arm wa­ren aus­weis­lich der Steu­er­lis­te nur fünf der ins­ge­samt 134 Bür­ger­schafts­ver­tre­ter und da­mit nur et­wa 3,7 Pro­zent. Ganz im Ge­gen­teil ge­hör­te die über­wie­gen­de Mehr­heit der­sel­ben so­gar zu den Bes­ser­ver­die­nern in­ner­halb der je­wei­li­gen Kor­po­ra­tio­nen und in ei­ni­gen Fäl­len so­gar zu den Höchst­be­steu­er­ten. So zahl­ten na­he­zu 90 Pro­zent der­je­ni­gen, für die ein in­di­vi­du­el­ler Steu­er­be­trag aus­zu­ma­chen war, mehr Nah­rungs­geld als der Durch­schnitt ih­rer Amts­brü­der. Be­zieht man ne­ben der ge­nann­ten Steu­er­lis­te aus dem Al­ten Reich auch die ers­te Steu­er­lis­te aus fran­zö­si­scher Zeit[25]  mit ein, die ge­gen­über je­ner den Vor­zug hat, dass sie das Ver­mö­gen der zu Be­steu­ern­den ins­ge­samt zur Grund­la­ge nimmt und nicht nur ihr Ein­kom­men, wird deut­lich, dass ei­ni­ge der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter so­gar sehr reich ge­we­sen sein müs­sen. Fünf von ih­nen ge­hör­ten im Jahr 1800 zu den 100 höchst­be­steu­er­ten und da­mit reichs­ten Bür­gern Triers. Dar­aus er­gibt sich mit Blick auf die öko­no­mi­sche Aus­stat­tung ei­ne gro­be Drei­tei­lung der bür­ger­li­chen Ex­po­nen­ten: ei­ne gro­ße Mehr­heit fis­ka­li­scher Leis­tungs­trä­ger wur­de flan­kiert von ei­ner je­weils klei­nen Grup­pe be­son­ders ar­mer und be­son­ders rei­cher Bür­ger.

Si­gni­fi­kan­te Un­ter­schie­de er­ge­ben sich in­des nicht nur grup­pen­in­tern, son­dern vor al­lem auch im Ver­gleich der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter in ih­rer Ge­samt­heit mit den Ma­gis­trats­mit­glie­dern der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime. Letz­te­re bil­de­ten nicht nur die po­li­ti­sche, son­dern auch die wirt­schaft­li­che Eli­te der Stadt­ge­sell­schaft und wenn­gleich das Gros der bür­ger­li­chen Ex­po­nen­ten nicht arm war, konn­ten doch die we­nigs­ten von ih­nen von der öko­no­mi­schen Aus­stat­tung her mit den Ma­gis­trats­mit­glie­dern mit­hal­ten.

Trier, Stich von Matthäus Merian, 1646. (Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis)

 

Die an­ge­deu­te­ten Un­ter­schie­de zwi­schen den bei­den Grup­pen schlu­gen sich nicht zu­letzt auch in der Wahl des Wohn­or­tes nie­der, wie die fol­gen­de se­lek­ti­ve So­zi­al­to­po­gra­phie Triers im spä­ten 18. Jahr­hun­dert zu il­lus­trie­ren ver­mag.[26] Ver­zeich­net wur­den zum ei­nen die Wohn­häu­ser der Ma­gis­trats­mit­glie­der (blau) und zum an­de­ren die der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter (grün). Mit Blick auf die Wohn­or­te der Ma­gis­trats­mit­glie­der fällt vor al­lem de­ren ho­he Kon­zen­tra­ti­on in den re­prä­sen­ta­tivs­ten Stra­ßen­zü­gen des vor­mo­der­nen Triers ins Au­ge. Zu den be­vor­zug­ten La­gen ge­hör­ten dem­nach mit der Si­me­ons­gas­se (von Nor­den), der Neu­gas­se (von Sü­den) und der Brü­ck­er­gas­se (von Wes­ten) in ih­rer je­wei­li­gen Ver­län­ge­rung zum Haupt­markt als städ­ti­schem Zen­trum die wich­tigs­ten Ein­fall­stra­ßen in die Stadt, wel­che tra­di­tio­nel­ler­wei­se zu den Wohn­la­gen ge­hör­ten, mit de­nen das höchs­te Maß an So­zi­al­pres­ti­ge ver­bun­den war. Die so­zia­le Füh­rungs­stel­lung als lo­ka­le Ob­rig­keit und wirt­schaft­li­che Eli­te ma­ni­fes­tier­te sich bei den Ma­gis­trats­mit­glie­dern al­so nicht zu­letzt auch in der Wahl des Wohn­or­tes. Der Re­prä­sen­ta­ti­on zu­träg­lich, aber mit­un­ter auch von prag­ma­ti­schem Nut­zen, war dar­über hin­aus der Um­stand, dass die Wohn­häu­ser der Ma­gis­trats­mit­glie­der häu­fig in der Nä­he von städ­ti­schen Funk­ti­ons­ge­bäu­den wie der Stei­pe oder dem Rat­haus la­gen. Fer­ner­hin gibt die Kar­te ei­nen Ein­druck vom ho­hen Maß an Ver­net­zung un­ter den Ma­gis­trats­mit­glie­dern, die sich eben nicht nur auf Kon­nu­bi­um und die ge­mein­sa­me po­li­ti­sche Tä­tig­keit stütz­te, son­dern viel­fach auch durch nach­bar­schaft­li­ches Zu­sam­men­le­ben ge­stärkt wur­de. Für die Wohn­la­gen der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter hin­ge­gen ist zu­nächst ein­mal ei­ne im Ver­gleich mit den Ma­gis­trats­mit­glie­dern deut­lich brei­te­re Streu­ung zu kon­sta­tie­ren. Ge­mäß ih­rer breit ge­fä­cher­ten Be­rufs­struk­tur und ih­rer gro­ßen An­zahl ver­teil­ten sie sich na­he­zu über das ge­sam­te be­wohn­te Stadt­ge­biet. Trotz der gro­ßen Streu­ung las­sen sich aber auch hier ei­ni­ge Trends aus­ma­chen. So ist zum ei­nen zu be­ob­ach­ten, dass Mit­glie­der der glei­chen Zunft oder des glei­chen Ge­wer­bes häu­fig na­he bei­ein­an­der leb­ten, wie et­wa im Fall der Wol­len­we­ber, die al­le im Be­reich des We­ber­bach ihr Wohn­haus hat­ten. Da­mit zu­sam­men­hän­gend ist zum zwei­ten fest­zu­stel­len, dass die Wahl des Wohn­or­tes in der Re­gel mit den be­ruf­li­chen Er­for­der­nis­sen zu­sam­men­hing. Mit­hin ist es we­nig über­ra­schend, dass bei­spiels­wei­se die Schif­fer fast aus­nahms­los in der Krah­nen­gas­se und da­mit in un­mit­tel­ba­rer Mo­sel­nä­he leb­ten. Fer­ner­hin kor­re­lier­te die La­ge des Wohn­or­tes bei den Bür­ger­schafts­ver­tre­ten zum drit­ten in Ma­ßen aber auch mit ih­rem so­zia­len Sta­tus be­zie­hungs­wei­se ih­rer öko­no­mi­schen Aus­stat­tung. Die Wohl­ha­ben­de­ren und Rei­chen un­ter ih­nen leb­ten dem­nach häu­fig in den glei­chen Stra­ßen wie die Ma­gis­trats­mit­glie­der. Zwar hat es im Trier des Al­ten Rei­ches kei­ne Mi­lieu­bil­dung im en­ge­ren Sin­ne ge­ge­ben, doch las­sen sich – zu­min­dest in man­chen Stra­ßen­zü­gen – An­sät­ze da­zu be­ob­ach­ten.

Die skiz­zier­ten Be­fun­de zur Bin­nen­glie­de­rung der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter und ih­rer Ver­hält­nis­be­stim­mung zu den Ma­gis­trats­mit­glie­dern le­gen na­he, dass die Sub­sis­tenz­si­che­rung, wel­che die äl­te­re For­schung als Haupt­mo­vens des bür­ger­li­chen Wi­der­stan­des aus­ge­macht hat[27], wohl letz­ten En­des nur für den klei­nen Teil der ar­men Ak­teu­re im Vor­der­grund stand. Da­mit zu­sam­men­hän­gend stellt sich die Fra­ge, wel­che Mo­ti­ve und Am­bi­tio­nen der gro­ße Rest mit sei­nem En­ga­ge­ment in­ner­halb der bür­ger­li­chen Op­po­si­ti­on ver­band?

Zu dif­fe­ren­zie­ren ist bei der Be­ant­wor­tung die­ser Fra­ge zwi­schen den bei­den an­de­ren iden­ti­fi­zier­ten Sub­grup­pen. Der gro­ßen Mehr­heit der wohl­ha­ben­den, aber nicht rei­chen fis­ka­li­schen Leis­tungs­trä­ger ging es ih­rem Selbst­ver­ständ­nis als wah­re Re­prä­sen­tan­ten der Bür­ger­ge­mein­de ent­spre­chend dar­um, die In­ter­es­sen der­sel­ben ge­gen die Ein- und Über­grif­fe des Lan­des­herrn und des Ho­no­ra­tio­ren­ma­gis­trats zu wah­ren. Dies war der Grund für den ent­schie­de­nen Wi­der­stand ge­gen je­de Form der ob­rig­keit­li­chen Be­vor­mun­dung, wie sie et­wa zu Be­ginn der Kon­flik­te in Form der Zwangs­in­kor­po­rie­rung al­ler Häu­ser in die Brand­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft droh­te. Die bür­ger­li­chen Ex­po­nen­ten füll­ten da­mit je­nes Re­prä­sen­ta­ti­ons­va­ku­um aus, wel­ches aus der ge­schil­der­ten Ver­kaufs­pra­xis der Amts­meis­ter­stel­len re­sul­tier­te.

Für die we­ni­gen Rei­chen un­ter den Bür­ger­schafts­ver­tre­tern ist in­des ei­ne an­de­re Mo­tiv­la­ge zu kon­sta­tie­ren: Sie ver­folg­ten mit ih­rem En­ga­ge­ment in der bür­ger­li­chen Op­po­si­ti­on und den Kla­gen über die Miss­wirt­schaft der lo­ka­len Ob­rig­keit ei­ge­ne po­li­ti­sche Am­bi­tio­nen, für die sie die Be­schwer­den der üb­ri­gen Hand­wer­ker und Ta­ge­löh­ner letzt­lich nur in­stru­men­ta­li­sier­ten. Ih­re Kri­tik am Rat ver­band sich dem­nach mit der Hoff­nung, selbst in das obers­te städ­ti­sche Gre­mi­um auf­zu­stei­gen, wie die Kar­rie­re des Krä­mers Pe­ter Beer ex­em­pla­risch zu il­lus­trie­ren ver­mag. Die­ser hat­te sich 1785 noch mit den an­de­ren Bür­ger­schafts­ver­tre­tern über die Unt­hä­tig­keit der Rats­her­ren be­klagt, we­gen der man voll­kom­men den Muth und das Ver­trau­en auf den Stadt-Ma­gis­trat[28] ver­lo­ren ha­be, nur um ein Jahr spä­ter am 22.8.1786 als Ley­en­de­cker­amts­meis­ter selbst in den Stadt­rat ein­zu­zie­hen und fort­an des­sen Po­li­tik mit­zu­tra­gen. Beer und die an­de­ren Rei­chen un­ter den bür­ger­li­chen Op­po­nen­ten stan­den den Ma­gis­trats­mit­glie­dern von der öko­no­mi­schen Aus­stat­tung her nä­her als den üb­ri­gen Bür­ger­schafts­ver­tre­tern. Die­ser Um­stand schlug sich nicht zu­letzt auch in ih­rer Wohn­la­ge nie­der. So leb­ten et­wa der ge­nann­te Beer und mit den bei­den Bür­ger­schafts­ver­tre­tern Ni­co­laus Süß und Pau­lus Mül­ler zwei der Höchst­be­steu­er­ten von 1784 in der Si­me­ons­gas­se in un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zu den Rats­her­ren Bal­tha­sar Steitz, Jo­hann Ger­hard Grell, Chris­toph Phil­lip von Nell, Chris­toph Escher­mann, Jo­hann Pe­ter An­ton Her­mes und Franz Hein­rich An­ton von An­et­han. Um ih­re Pros­pe­ri­tät aber in po­li­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on und so­zia­len Sta­tus um­set­zen zu kön­nen, be­durf­ten die rei­chen Bür­ger­schafts­ver­tre­ter ei­nes Sit­zes im Ma­gis­trat. Durch die Un­ter­stüt­zung der bür­ger­schaft­li­chen Kri­tik am Ma­gis­trat ver­such­ten sie, des­sen Mit­glie­der ge­gen­über dem Lan­des­herrn zu des­avou­ie­ren, um so mög­li­cher­wei­se ei­ne Per­so­nal­ro­cha­de in Gang zu set­zen, die es ih­nen selbst er­mög­licht hät­te, ih­rer­seits in den Rat auf­zu­stei­gen. In Rech­nung zu stel­len ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass die War­te­zeit auf ei­nen Sitz im Ma­gis­trat oh­ne ei­nen sol­chen Schnitt an­ge­sichts der le­bens­lan­gen Man­dats­zeit der am­tie­ren­den Rats­her­ren mit­un­ter sehr lan­ge sein konn­te und die Rats­aspi­ran­ten in ih­rem En­ga­ge­ment als bür­ger­li­che Op­po­nen­ten die Mög­lich­keit sa­hen, die­se zu ver­kür­zen.

5. Ausblick

Bald nach dem En­de der ge­schil­der­ten Kon­flik­te, am 9.8.1794, er­ober­ten und be­setz­ten fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen die Stadt Trier. Die­se Er­obe­rung war gleich­be­deu­tend mit dem En­de der kur­fürst­li­chen Herr­schaft und da­mit dem Be­ginn ei­ner neu­en Epo­che. Nach meh­re­ren Jah­ren der Be­set­zung wur­den Trier und das üb­ri­ge Rhein­land schlie­ß­lich ab 1797 Teil der jun­gen Re­pu­blik Frank­reich. Die fran­zö­si­sche Herr­schaft brach­te ei­ne grund­le­gen­de Neu­struk­tu­rie­rung der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ord­nung mit sich. Aus Un­ter­ta­nen wur­den Bür­ger, die stän­di­schen Schran­ken fie­len, al­le Feu­dal­rech­te wur­den be­sei­tigt, die Zünf­te auf­ge­löst und die all­ge­mei­ne Ge­wer­be­frei­heit eben­so ein­ge­führt wie die Re­li­gi­ons­frei­heit. Hin­zu ka­men die Im­ple­men­tie­rung der fran­zö­si­schen Ge­richts­ord­nung und die ad­mi­nis­tra­ti­ve Neu­glie­de­rung des Rhein­lan­des mit der Schaf­fung der vier rhei­ni­schen De­par­te­ments Ro­er-Rhein-Mo­sel-, Don­ners­berg- un­d Saar-De­par­te­ment, des­sen Haupt­stadt Trier wur­de. Die po­li­tisch-ad­mi­nis­tra­ti­ve Neu­ord­nung kor­re­spon­dier­te mit ei­ner tief­grei­fen­den ge­sell­schaft­li­chen Um­struk­tu­rie­rung, im Rah­men de­rer es in Trier zur Be­schleu­ni­gung von Pro­zes­sen kam, die schon im Rah­men der Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Spät­pha­se des An­ci­en Ré­gime an­ge­sto­ßen wor­den wa­ren. Die rei­chen, nach Teil­ha­be am Stadt­re­gi­ment stre­ben­den Bür­ger­schafts­ver­tre­ter aus kur­fürst­li­cher Zeit konn­ten ih­re Pros­pe­ri­tät nun in­fol­ge der Zer­schla­gung der al­ten Ord­nung auf brei­te­rer Ba­sis in po­li­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on um­set­zen – sechs ehe­ma­li­ge Bür­ger­schafts­de­pu­tier­te ge­hör­ten im Fe­bru­ar 1801 zu den Grün­dungs­mit­glie­dern des un­ter fran­zö­si­scher Ägi­de neu kon­sti­tu­ier­ten Mu­ni­zi­pal­ra­tes.

We­ni­ger glück­lich mit den neu­en Ver­hält­nis­sen wa­ren in­des vie­le der üb­ri­gen ehe­ma­li­gen bür­ger­li­chen Op­po­nen­ten, wie ei­ne Bitt­schrift aus dem De­zem­ber 1797 be­legt, mit der sie sich im Na­men der Trie­rer Bür­ger­schaft an den fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­kom­mis­sar François Jo­seph Rud­ler (1757-1837) wand­ten. Vol­ler Weh­mut er­in­ner­ten sich die Bür­ger dar­in der Zeit des Al­ten Rei­ches, [...] als wir bey un­se­rer ehe­ma­li­gen Ver­fas­sung glück­lich leb­ten, der bür­ger­li­chen Frey­heit im gan­zen Um­fan­ge der Be­deu­tung uns freu­e­ten und nach be­stimm­ten und sanf­ten Ge­set­zen re­gie­ret wur­den.[29] Of­fen­bar hat­ten al­so nicht al­le Ein­woh­ner Triers in glei­chem Ma­ße von den Neue­run­gen und Um­struk­tu­rie­run­gen der fran­zö­si­schen Zeit pro­fi­tiert – wenn­gleich auch mit Blick auf die weh­mü­ti­gen Wor­te der Bür­ger­schafts­ver­tre­ter der Zeit­punkt ih­rer Äu­ße­rung in Rech­nung zu stel­len ist: Denn wäh­rend die An­fangs­jah­re der fran­zö­si­schen Herr­schaft in Trier durch ho­he Be­las­tun­gen in Form von Kont­ri­bu­tio­nen ge­prägt wa­ren, ent­fal­te­ten sich die ma­ß­geb­li­chen po­si­ti­ven Aus­wir­kun­gen des Herr­schafts­wech­sels erst nach der Ein­glie­de­rung in den fran­zö­si­schen Staat. Als Haupt­stadt des Saar-De­par­te­ments und Sitz wich­ti­ger Jus­tiz- und Ver­wal­tungs­be­hör­den nahm die Stadt in den ers­ten Jah­ren des 19. Jahr­hun­derts ei­nen nicht un­er­heb­li­chen wirt­schaft­li­chen Auf­schwung.

Quellen

Un­ge­druck­te Quel­len

Bis­tums­ar­chiv Trier (BAT): 50,23 Nr. 5: Be­schrei­bung der Haupt- und Re­si­d­entz Stadt Trier und da­zu ge­hö­ri­gen Ge­biets.
 
50,51 Nr. 5: Wi­der­stand der Trie­rer Bür­ger und Zünf­te ge­gen die Ein­füh­rung der Feu­er­ver­si­che­rung und Ta­xie­rung der Häu­ser (1784–1785).
 
Lan­des­haupt­ar­chiv Ko­blenz (LHA­Ko): 1C 805: Die Be­schwer­den der Zünf­te in der Stadt Trier we­gen Be­ein­träch­ti­gung in ih­ren Pri­vi­le­gi­en, Wi­der­stand ge­gen die lan­des­herr­li­chen An­ord­nun­gen und de­ren Be­stra­fung (1769, 1790).

1C 814: Strei­tig­kei­ten zwi­schen dem Ma­gis­trat zu Trier und den Zünf­ten über de­ren Pri­vi­le­gi­en und Rech­te und Un­ter­su­chung durch ei­ne lan­des­herr­lich er­nann­te Kom­mis­si­on (1786–1790).
1C 819: Ac­ta, be­tref­fend den, von der Bür­ger­schaft zu Trier we­gen Nicht­be­wil­li­gung oder zu lang­sa­mer Er­le­di­gung ih­rer Be­schwer­den er­reg­ten Auf­ruhr, des­sen Un­ter­drü­ckung und neu­er­li­che Aus­glei­chung der auf­ge­stell­ten For­de­run­gen. Vol. I: Ok­to­ber bis No­vem­ber 1789.

Stadt­ar­chiv Trier (StAT):
Fz 344: Lis­te der hun­dert Höchst­be­steu­er­ten im Kan­ton so­wie in der Stadt Trier, Trier o.J. [ca. 1800].
Kt: Num­mer 6/107: Plan der Stadt Trier, Trier o.J. [1784]. L 7, Nr. 3: Schirm­gul­den und Nah­rungs­geld, Stadt Trier 1784.

Stadt­bi­blio­thek Trier (StBT):

11/3767 8°: Adreß­buch der Stadt Trier 1785.

Ge­druck­te Quel­len

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se
 
Ken­te­nich, Gott­fried, Ei­ne trie­ri­sche Klei­der­ord­nung aus dem Jah­re 1794, in: Trie­ri­sche Chro­nik 15 (1918), S. 30–31.
 

_ Ken­te­nich_, Gott­fried, Aus ei­ner Trie­rer Fa­mi­li­en­chro­nik, in: Trie­ri­sche Chro­nik 8 (1912), S. 161–171.  
 

_ Ru­dolph_, Fried­rich (Hg.), Quel­len zur Rechts- und Wirt­schafts­ge­schich­te der rhei­ni­schen Städ­te. Kur­trie­ri­sche Städ­te, Band 1: Trier. Mit ei­ner Ein­lei­tung von Gott­fried Ken­te­nich und zwei Stadt­plä­nen, Bonn 1915.

Literatur

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se

_ Birtsch_, Gün­ter, So­zia­le Un­ru­hen, stän­di­sche Ge­sell­schaft und po­li­ti­sche Re­prä­sen­ta­ti­on. Trier in der Zeit der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on. 1781–1794, in: Men­ta­li­tä­ten und Le­bens­ver­hält­nis­se. Bei­spie­le aus der So­zi­al­ge­schich­te der Neu­zeit. Ru­dolf Vier­haus zum 60. Ge­burts­tag, Göt­tin­gen 1982, S. 143–159.

Cle­mens, Ga­brie­le B./Cle­mens, Lu­kas, Ge­schich­te der Stadt Trier, Mün­chen 2007.

Ger­t­eis, Klaus, So­zi­al­ge­schich­te der Stadt Trier 1580–1794, in: Düwell, Kurt/Ir­sig­ler, Franz (Hg.), 2000 Jah­re Trier, Band 3: Trier in der Neu­zeit, Trier 1988, S. 61–97.

Ir­sig­ler, Franz, Wirt­schafts­ge­schich­te der Stadt Trier 1580–1794, in: Düwell, Kurt/Ir­sig­ler, Franz (Hg.), 2000 Jah­re Trier, Band 3: Trier in der Neu­zeit, Trier 1988, S. 99–202.

Ken­te­nich, Gott­fried, Ge­schich­te der Stadt Trier. Von Ih­rer Grün­dung bis zur Ge­gen­wart. Denk­schrift zum hun­dert­jäh­ri­gen Ju­bi­lä­um der Zu­ge­hö­rig­keit der Stadt zum preu­ßi­schen Staat, Trier 1915, Un­ver­än­der­ter Nach­druck Trier 1979.

Kohl, Tho­mas, Fa­mi­lie und so­zia­le Schich­tung. Zur his­to­ri­schen De­mo­gra­phie Triers 1730–1860, Stutt­gart 1985.

Kohl, Tho­mas, Pro­ble­me der Lohn- und Preis­be­we­gung in Trier 1730–1860, in: Fried­rich, Leo [u.a.] (Hg.), Bei­trä­ge zur Trie­ri­schen Lan­des­kun­de. Un­ter­richts­ma­te­ria­li­en für Ge­schich­te und Geo­gra­phie, Trier 1979, S. 209–217.

La­ger, Jo­hann Chris­ti­an, So­zia­le Un­ru­hen in Trier vor der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on, in: Trie­ri­sche Chro­nik 8 (1912), S. 76–79, 116–120, 140–144; 9 (1913), S. 15–22, 54–57, 116–124.

Rapp, Wolf-Ul­rich, Stadt­ver­fas­sung und Ter­ri­to­ri­al­ver­fas­sung. Ko­blenz und Trier un­ter Kur­fürst Cle­mens Wen­zes­laus (1768–1794), Frank­furt am Main 1995.
  
Zi­wes, Franz-Jo­sef, Die Rent­meis­te­rei­rech­nun­gen und die Fi­nan­zen der Stadt Trier im 18. Jahr­hun­dert. In: Ger­t­eis, Klaus (Hg.), Stadt und früh­mo­der­ner Staat. Bei­trä­ge zur städ­ti­schen Fi­nanz­ge­schich­te von Lu­xem­burg, Lun­é­vil­le, Mainz, Saar­brü­cken und Trier im 17. und 18. Jahr­hun­dert, Trier 1994, S. 417–442.

Selektive Sozialtopographie Triers im späten 18. Jahrhundert. (Daniel Kugel)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Kugel, Daniel, Die Sozialstruktur Triers in der Spätphase des Alten Reiches, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-sozialstruktur-triers-in-der-spaetphase-des-alten-reiches/DE-2086/lido/5bd6f958190411.18013191 (abgerufen am 19.03.2024)