Die Steingutfabrik Franz Anton Mehlem in Bonn 1838-1931
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Südlich des Hafengebietes ist das Bonner Rheinufer heute an beiden Stromseiten frei von industrieller Nutzung. Dies ist, verfolgt man den Flusslauf zwischen Düsseldorf und Koblenz, durchaus nicht selbstverständlich und trägt viel zur Attraktivität der Bundesstadt bei. Letzte Schritte waren Stilllegung und Abriss der Oberkasseler Zementfabrik (1988) sowie die gelungene Umgestaltung der ehemaligen Verladeanlagen im “Bonner Bogen”. Während hier zumindest einige denkmalgeschützte Gebäudeteile in die neue Bürobebauung integriert wurden, erinnert nichts mehr daran, dass fast 100 Jahre lang auf der linken Rheinseite an der Stelle des späteren Postministeriums ein ähnlich bedeutendes Industrieunternehmen existiert hatte. In seiner Blütezeit war es mit circa 1.000 Beschäftigten lange Jahre der größte Produktionsbetrieb am Ort. Seine Produkte verbesserten seinerzeit den Wohnkomfort der Städter und sind heute begehrte Sammlerstücke.
1. Die Gründung 1838/1839
Im September 1838 annoncierten die Brüder Paul Joseph (1779-1853) und Everhard Joseph (gestorben 1865) Mehlem im “Bonner Wochenblatt” ihre Absicht, südlich der Zweiten Fährgasse zwischen Rheinufer und Koblenzer Straße (heute: Adenauerallee) eine Fayence-, Steingut- und Porzellanfabrik errichten zu wollen. Zusammen mit ihrem Schwager Gustav von Recklinghausen (Lebensdaten unbekannt) hatten sie zwei Jahre zuvor als Hauptgläubiger die heruntergewirtschaftete Rosenkranz’sche Fayencerie im benachbarten Poppelsdorf (heute Stadt Bonn) übernommen, sich jedoch wegen der schlechten Verkehrsanbindung und fehlender Reserveflächen bald für eine Verlagerung an einen günstigeren Standort entschieden. Das neue aus dem Besitz der Familie Weber erworbene Grundstück erschien zu diesem Zeitpunkt ideal: am äußeren Rand der damaligen Bonner Bebauung gelegen, auf dem Landweg durch die breite Chaussee Köln-Koblenz, auf dem Wasserweg durch den Rhein erschlossen. Doch bereits 30 Jahre später produzierte die Ausdehnung des flussnahen Villenviertels nach Süden die ersten Konflikte mit der vermögenden Nachbarschaft. Zudem machte sich der fehlende Eisenbahnanschluss hemmend bemerkbar, während sich die Straßenanbindung immer stärker zu einer viel befahrenen städtischen Hauptachse entwickelte, auf der die zahlreichen Fuhrwerke der Firma den Verkehrsfluss störten.
Am Neujahrstag 1840 zog die Produktion von Poppelsdorf in die neuen Fabrikationsanlagen am Rhein. Die nicht mehr benötigten Grundstücke und Gebäude wurden an die Porzellan- und Steingutfabrik Ludwig Wessel verkauft. Trotz der bescheidenen Anfänge - man begann mit zwei Öfen und besaß noch keine Antriebsmaschine - gab es in Bonn vor der Jahrhundertmitte keine vergleichbare industrielle Gründung von Bedeutung. Für vier Jahrzehnte sollte daher die nach dem Vater der Gründer benannte Steingutfabrik Franz Anton Mehlem (1754-1821) der einzige nennenswerte Industriebetrieb in der Universitäts-, Rentner- und Garnisonsstadt bleiben.
2. Die erste Ausbaustufe (1840-1874)
Bis 1848 verdreifachte sich die Zahl der Brennöfen. Die Aufbereitung der Tonmasse wurde durch eine 1846 installierte Dampfmaschine von 12 PS unterstützt. Bei guter Konjunktur beschäftigte das Unternehmen circa 150 Kräfte. Nach dem Tode des letzten Mitgliedes der Gründerfamilie verkaufte die Erbengemeinschaft die Anlage an den Kölner Kaufmann Ferdinand Frings (Lebensdaten unbekannt), der die Handmalerei einführte, für eine Vergrößerung des Absatzgebietes sorgte und weitere Investitionen tätigte. Dies führte 1869 zu ersten Konflikten mit den Anliegern. In einem vierseitigen Protestschreiben an die Stadtspitze beklagten sie Ruß und schweren, schwarzen Rauch, der sich nicht nur in unmittelbarer Werksnähe, sondern auch in benachbarten Straßenzügen niederschlug.
1874 nahm Frings den jungen Franz Guilleaume (1848-1914) als Teilhaber in die Firma. Der Sohn des Kölner Industriellen Theodor Guilleaume hatte nach einer kaufmännischen Ausbildung mehrere Jahre in England und den USA gearbeitet und suchte eine Betätigung in einem zukunftsträchtigen Fabrikationsfeld. Die machtvoll einsetzende Urbanisierung, wachsende bürgerliche Wohn- und Hygienebedürfnisse und nicht zuletzt der Massenbedarf der expandierenden Hotellerie versprachen gute Absatzchancen für feinkeramische Produkte als Zierelemente oder Gebrauchsgegenstände. In der Herstellung günstiger als Porzellan, konnte Steingut zudem den schnell wechselnden Dekorationswünschen des Publikums leichter angepasst werden. Als der Seniorpartner 1874 im Alter von nur 40 Jahren verstarb, übernahm der 25-jährige Guilleaume in alleiniger Verantwortung die Leitung der Geschäfte. Später übernahm er auch den von der Witwe Marie Frings (circa 1841-1917) gehaltenen Anteil. Auf eine erste Periode mehrfacher Wechsel in der Führung der Firma folgten jetzt 40 Jahre Kontinuität, in denen das Bonner Unternehmen sein volles Potenzial entfalten konnte.
3. Die zweite Ausbaustufe (1875-1896)
Mitte der 1870er Jahre begann eine Periode zügiger Ausweitung der Werksanlagen am Rhein. Unbeirrt durch die gerade überwundene Gründerkrise setzte man darauf, durch Vergrößerung der Kapazität die Profitabilität im Massengeschäft zu steigern, wobei wegen des hohen Lohnniveaus in Bonn der Schwerpunkt auf Qualitätserzeugnissen liegen musste. Die Rechnung ging auf: Als 1895 die fast zwei Jahrzehnte anhaltende Periode praktisch ungebrochenen national- und weltwirtschaftlichen Wachstums einsetzte, hatte sich die Belegschaft von F. A. Mehlem mehr als verfünffacht. Ständige Neu- und Umbauten dienten der optimalen Ausnutzung des nur circa 14 000 Quadratmeter großen Areals mit seinen drei- bis fünfstöckigen Gebäuden, unter denen sich die geräumigen, teilweise in mehreren Etagen übereinander liegenden Keller ausdehnten.
Voraussetzung für die Kapazitätserweiterung war die gründliche Modernisierung der veralterten Mahl- und Aufbereitungsanlagen für Rohstoffe. 1885 lösten neue Kugelmühlen die alten Schleppmühlen ab. Eine 30 PS starke Dampfmaschine trieb sowohl Tonknetmaschinen als auch die neuen groß dimensionierten Steinbrecher und Walzwerke zur Zerkleinerung des Rohmaterials an. Die gleichzeitige Vergrößerung der Brennkapazität durch ein neues Glattbrennhaus, dessen drei Öfen in einen 41 Meter hohen Schornstein mündeten, erforderte den vorübergehenden Umzug der Malerei in das ehemalige Wohngebäude an der Koblenzer Straße. 1892 hatte die Nachfrage nach handdekorierter höherwertiger Ware schließlich so zugenommen, dass ein separates Malergebäude errichtet wurde. Seine drei hohen Geschosse mit 19 Metern Straßenfront zur Koblenzer Straße und 43,5 Metern zur Zweiten Fährgasse bildeten einen deutlichen Blickfang an der Nordwestecke der Fabrik. Die Außenfronten präsentierten sich nahezu komplett verglast; zur Vermeidung störender Sonneneinstrahlung war die Hauptlichtfront nach Norden ausgerichtet. Hier fand sich auch der Firmenname in Form eines Frieses über der dritten Etage. Ebenso dekorativ wurde die Rheinfront umgestaltet. An die Stelle der bemoosten Pfannendächer des ehemaligen Rohmaterialienlagers trat 1888-1896 das zweigeschossige Rheingebäude im Stile der Neugotik. Wie eine hoch aufragende, turmbewehrte und zinnengekrönte Festungsmauer schloss die 21-achsige Gebäudefront die Fabrik optisch zum Fluss hin ab.
Ersatz für den fehlenden Gleisanschluss fand sich an der Trajektbahn, der Verbindung zwischen der 1871 eröffneten Eisenbahnfähre Oberkassel-Gronau und dem Bonner Hauptbahnhof. Kurz hinter der Abzweigung der Nebenstrecke von der linksrheinischen Hauptlinie Köln-Koblenz entstand auf Kessenicher Gebiet zwischen Eisenbahn und der heutigen Bundesstraße 9 ein werkseigener Güterbahnhof. Die hier zwischen 1891 und 1915 errichteten Schuppen dienten als Lager für Fertigware, als Packerei und als Zwischenlager für Kohle, Tonerden, Packstroh und Pferdefutter und entlasteten so die beengten Räumlichkeiten an der Koblenzer Straße.
4. Arbeitskräfteversorgung
Konnten es sich die Bonner Steingutproduzenten 1890 noch leisten, Arbeiter allein auf Grund ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu entfernen, so hatten sich in den im konjunkturellen Aufschwung 189518/96 bis 1899 die Gewichte gründlich verschoben. Die vergrößerten und modernisierten Anlagen hätten die steigende Nachfrage sehr wohl bewältigen können, wären nur genug Arbeitskräfte vorhanden gewesen. Doch diese wurden in einer Periode stürmischer Urbanisierung rar. Denn dasselbe Städtewachstum, welches F. A. Mehlem als Hersteller von Einrichtungsgegenständen volle Auftragsbücher bescherte, bewirkte deutliche Lohnsteigerungen und mit ihnen eine verstärkte Abwanderung von qualifizierten Arbeitern und Hilfskräften zum boomenden Baugewerbe. Hinzu trat die lästige Lohnkonkurrenz der staatlichen Munitionsfabriken im benachbarten Siegburg. Trotz einer fünfprozentigen Lohnerhöhung konnte bei F.A. Mehlem 1897 die Versorgung mit Facharbeitern nicht sichergestellt werden, so dass Qualitätseinbußen in der Produktion hingenommen werden mussten. Auch im Folgejahr wurden zahlreiche Kontraktbrüche gemeldet. Konkurrenten versuchten gar, vor Ort Arbeitkräfte abzuwerben. Im Juli und August 1898 mussten Leute aus Hessen, der Eifel und dem Westerwald angeworben werden, weil in den ersten Arbeitstagen der Woche oft mehrere hundert Arbeiter fehlten. Erst mit dem Konjunktureinbruch des Jahres 1900, als die abflauende Nachfrage nach Steingutprodukten die Produktionsengpässe verringerte, erreichte die Belegschaft der Firma mit circa 1.000 Köpfen wieder den Sollstand. Zwei Jahre später konnte sogar ein Teil der beim Konkurrenten Ludwig Wessel entlassenen Arbeiter übernommen werden. Überkapazitäten und starke Konkurrenz auf dem deutschen Markt und im Export kennzeichnen das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhundert. Die schlechte Baukonjunktur ließ 1908 die Zahl der bei Mehlem beschäftigten Arbeiter auf 775 sinken, bevor mit dem Aufschwung der letzten Friedensjahre die alten Höchststände noch einmal erreicht wurden.
5. Die Fabrik im Jubiläumsjahr 1899
Der volle Ausbau der Werksanlagen am Rhein fällt zeitlich zusammen mit der Feier der 25-jährigen Tätigkeit des Eigentümers Franz Guilleaume im Unternehmen. Die zu diesem Ereignis herausgebrachte Festschrift vermittelt, unterstützt durch zahlreiche Photos, Einblicke in den Herstellungsprozess, die Produktpalette und das Selbstverständnis des Fabrikanten. Wesentliche betriebliche Veränderungen über den hier erreichten Stand hinaus sind bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs hinein nicht erfolgt.
Auf der Höhe der Zeit zeigte sich der Einsatz der Elektrizität. Insgesamt 31 Telephonanschlüsse verbanden die verschiedenen Abteilung des Werks. Die zentrale Dampfmaschine trieb zwei mit einer Akkumulatorenbatterie verbundene Dynamos an, die Strom für Arbeitsmaschinen sowie die Beleuchtung aller Räume durch 1.400 Glüh- und mehrere Bogenlampen lieferten. Es ist verständlich, dass die Firmenleitung nicht bereit war, ihre gerade erst mit großem Aufwand modernisierte Fabrik zu verlegen und folglich 1899 die von der Stadt Bonn angebotenen Industrieflächen im Norden der Stadt ablehnte. Man verzichtete bewusst auf die hier vorhandenen Erweiterungsmöglichkeiten, um weiter vom kostengünstigen Rohstoffbezug per Schiff zu profitieren: Kaolin und Feldspat aus Cornwall, Ton aus Dorset und Feuersteine von der französischen Kanalküste wurden auf dem Wasserwege direkt an die Fabrik herangeführt und auf eiserne Kippwagen verladen. Ein elektrischer Aufzug von 100 Tonnen Tageskapazität hob diese auf das Niveau der Fabrik an und beförderte sie über die Rheinuferstraße hinweg in die Lagerkeller des Rheingebäudes.
Auf der Höhe der Zeit zeigte sich der Einsatz der Elektrizität. Insgesamt 31 Telephonanschlüsse verbanden die verschiedenen Abteilung des Werks. Die zentrale Dampfmaschine trieb zwei mit einer Akkumulatorenbatterie verbundene Dynamos an, die Strom für Arbeitsmaschinen sowie die Beleuchtung aller Räume durch 1.400 Glüh- und mehrere Bogenlampen lieferten. Es ist verständlich, dass die Firmenleitung nicht bereit war, ihre gerade erst mit großem Aufwand modernisierte Fabrik zu verlegen und folglich 1899 die von der Stadt Bonn angebotenen Industrieflächen im Norden der Stadt ablehnte. Man verzichtete bewusst auf die hier vorhandenen Erweiterungsmöglichkeiten, um weiter vom kostengünstigen Rohstoffbezug per Schiff zu profitieren: Kaolin und Feldspat aus Cornwall, Ton aus Dorset und Feuersteine von der französischen Kanalküste wurden auf dem Wasserwege direkt an die Fabrik herangeführt und auf eiserne Kippwagen verladen. Ein elektrischer Aufzug von 100 Tonnen Tageskapazität hob diese auf das Niveau der Fabrik an und beförderte sie über die Rheinuferstraße hinweg in die Lagerkeller des Rheingebäudes.
Im Bereich der Haushaltsartikel unterscheidet die Festschrift ausdrücklich billige Stapelware für das Überseegeschäft und die Passagierschifffahrt von der großen Auswahl an geschmackvoller gestalteten Geschirren “für den deutschen und englischen Tisch”. Einen zweiten Schwerpunkt bildeten Waschgeschirre, also vor allem Waschschüsseln und Wasserkrüge für Räume ohne eigenen Wasseranschluss sowie Bettpfannen und Nachttöpfe. Auch hier hatte der Konsument die Wahl zwischen einfacher weißer Ware, bedruckten oder gar handbemalten Gefäßen. Eine dritte Fabrikationslinie vereinigte sogenannte “Fassungsartikel” wie Lampenkörper, Biskuitdosen oder Uhrgehäuse. Die prestigeträchtigsten und bei heutigen Sammlern beliebtesten Produkte -prächtigst verzierte Vasen, Säulen, Schirmständer, Blumentöpfe, Kübel in der jeweiligen Mode angepassten Formen und Dekors - stammten aus der Abteilung “Kunstgegenstände“. In diesem Luxussegment finden sich auch namentlich signierte Stücke. Doch trotz hoher Qualifikation sah sich auch die kleine, gut bezahlte Elite unter den Steingutmalern eher als Handwerker denn als Künstler.
6. Der Unternehmer Franz Guilleaume
1865 übertrug Theodor Guilleaume seinem erstgeborenen Sohn Franz Carl (1834-1887) das Kölner Seil- und Kabelunternehmen und zog sich als Rentner nach Bonn zurück. Im selben Jahr, in dem der ältere Sohn mit der Gründung des “Carlswerks” (1874) in (Köln-)Mülheim den Grundstein für den schnellen Aufstieg der Firma legte, erwarb der Vater zur Versorgung des einzigen Sohn aus der zweiten Ehe - der Witwer war seit 1844 mit Henriette Büttgen (1823-1902) verheiratet - die Teilhaberschaft an der Steingutfabrik Franz Anton Mehlem. 1875 heiratete der junge Industrielle Leonie Frings (1855-1917), Tochter von Engelhard (1824-1887) und Amalie (1835-1911) Frings, und begründete mit den gemeinsamen vier Kindern die Bonner Linie der Unternehmerfamilie. 1881 bezogen die Guilleaumes das 1856/1857 erbaute “Château du Rhin” in der Nordwestecke des erweiterten Fabrikareals. Erst 1892, nachdem der Investitionsbedarf der Fabrik gedeckt war, gönnte man sich jenen zeittypischen großbürgerlichen Wohnluxus, den die Photographien in der 1899 erschienenen Festschrift dokumentieren. Das “Château du Rhin” wurde umgebaut und um Wintergarten, Kegelbahn sowie ein Stall- und Remisengebäude erweitert.
Die unternehmerische Leistung des Fabrikanten ist um so höher einzuschätzen, als Franz Guilleaume anfangs keine Kenntnisse der Steingutindustrie besaß. Sein Erfolg beruhte auf dem geschickten Einsatz technischer Neuerungen und einem sicheren Gespür für Kundenwünsche und Märkte. Die während der Ausbildungszeit erworbenen Auslandserfahrungen waren nützlich beim Aufbau eines weit verzweigten Netzes von Auslandsvertretungen. Er verfolgte die kunstgewerblichen Reformbewegungen als Reaktion auf den überladenen Prunkstil des Historismus und reagierte früh mit eigenen Produkten im neuen Stil, obwohl an den Verkaufszahlen gemessen die traditionellen Kollektionen überwogen. Belegt ist für 1901 eine Zusammenarbeit mit Peter Behrens (1868-1940), der für sein eigenes Wohnhaus entworfene keramische Formen bei Mehlem ausführen ließ. Auch der Bonner Expressionist August Macke arbeitete 1912 eine Zeit lang in den Betriebsräumen der Steingutfabrik am Rhein.
Über die Interessen der eigenen Firma hinaus setzte sich Guilleaume für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Bonn ein. 1889 gehörte er zu den Initiatoren der zwei Jahre später vom Preußischen Handelsministerium genehmigten [Industrie- und] Handelskammer Bonn (Stadt- und Landkreis Bonn, Siegburg, Bergheim, Waldbröl, Rheinbach). Von 1902 bis 1904 und wieder von 1905 bis 1914 stand er, den der Bonner Oberbürgermeister zu den “angesehensten Großindustriellen der Rheinprovinz” zählte, als ehrenamtlicher Kammervorsitzender an der Spitze der Institution, die neben ihrer Aufgabe als Interessenvertretung der Regionalwirtschaft in beträchtlichem Umfang auch behördliche Aufgaben wahrnahm. Bereits 1897 war Franz Guilleaume in Anerkennung seiner Leistung als Unternehmer und Arbeitgeber der Titel eines Kommerzienrats verliehen worden.
Die für einen solchen Beweis königlicher Huld erwartete finanzielle Zuwendung hatte der Geehrte 1895 in Form einer “Bismarckspende” (zum 80. Geburtstag des Reichsgründers) geleistet. 50.000 Goldmark bildeten den Grundstock für eine betriebliche “Pensions- und Hinterbliebenen-Kasse” für langjährig beschäftigte Angestellte und Arbeiter der Firma Mehlem. Keinesfalls hat sich Guilleaume durch diese Stiftung den begehrten Titel erkauft: Mehrfach stockte er in den folgenden Jahren zu unterschiedlichen Anlässen den Kapitalfonds auf, da der erfolgreiche Aufbau einer betriebstreuen Stammbelegschaft langfristig höhere Leistungen für Kranke, Arbeitsunfähige, Witwen und Waisen erforderte. Die hier aufgewandten Mittel schmälerten indes das Privatvermögen des Unternehmers nur unwesentlich: Nach knapp 40 Jahren an der Spitze der Firma wurde es 1913 auf vier bis fünf Millionen Goldmark geschätzt. Die zum selben Zeitpunkt versteuerten 400.000 Mark Jahreseinkommen belegen die Profitabilität des Werks am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
7. Arbeitsverhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg
Wichtigster Einzelfaktor bei der Sicherung der Rentabilität blieb angesichts des relativ hohen Lohnniveaus am Standort Bonn (“da bei dem ganzen Charakter der Stadt Arbeiterverhältnisse nicht gerade günstig liegen”) die Kontrolle der Arbeitskosten mittels starker Lohndifferenzierung. Mit einem Frauenanteil an der Belegschaft von circa einem Drittel lag die Steingutfabrik an der Spitze der Bonner Industrie. Um teuren Ausschuss zu vermeiden, musste man an unterschiedlichen Stellen des Produktionsprozesses qualifizierte Kräfte beschäftigen und entsprechend bezahlen. Die benötigten Facharbeiter versuchte man selbst auszubilden. Jedes Jahr stellte man eine hohe Zahl von Lehrlingen ein, so dass die Firma zu Beginn der 1890er Jahre bis zur Hälfte aller in der Bonner Industrie tätigen Jugendlichen beschäftigte. Trotz der gestaffelten, zu dieser Zeit keineswegs verbreiteten Vergütung von 0,50 bis 1,50 Mark pro Tag kündigten viele Eltern nach einem Jahr das Lehrverhältnis und ließen die Söhne lieber als Handlanger auf dem Bau oder in Ziegelgruben arbeiten. Wenn sie zum Winter eine Rückkehr in die Fabrik versuchten, wurden sie abgewiesen. Besonders lukrativ für den Arbeitgeber war das vierte und letzte Lehrjahr, in dem die Jugendlichen bereits im Akkord zum halben Stücklohn arbeiteten. Für circa 30 “Töchter der mittleren Volksklasse” richtete man bei Mehlem 1894 ein besonderes Malerinnen-Atelier (mit separatem Ein- und Ausgang) ein. Die Mädchen galten als Lehrlinge und wurden bei einem Wochenverdienst von 6 Mark von einem Obermaler angelernt. Später verdienten sie bis zu 18 Mark im Akkord, ein Spitzenwert für Frauen: Weibliche Taglöhner erhielten 1888 mit 1,20 Mark pro Tag nur halb so viel Lohn wie ihre männlichen Kollegen. Handwerker und Ofenarbeiter trugen 3,50 Mark nach Hause, Maler und Dreher bis zu 4 Mark. Zum Vergleich: Der Durchschnittsverdienst für Fabrikarbeiter lag in Bonn während der 1880er Jahre bei 2,00 bis 2,50 Mark.
Gegen die gefürchteten Kontraktbrüche half man sich durch Einbehaltung von Lohnansprüchen. Der Abrechnungstermin war so gelegt, dass am Zahltag immer ein Wochenlohn in der Firma verblieb. Vom Unternehmer ersetzte Fahrtkosten für Eisenbahn oder Tram banden solche Arbeiter an die Firma, die wegen der hohen Mieten im Bonner Süden oder einer Nebenerwerbslandwirtschaft aus größerer Entfernung einpendeln mussten. Guilleaume bot Badegelegenheiten für die Belegschaft an und ließ für das Mittagessen einen Speisesaal errichten, in dem mitgebrachte Speisen aufgewärmt werden konnten. Die Verwendung von Geschirr aus Mehlem’scher Produktion verbot die Arbeitsordnung ausdrücklich. Wie alle größeren Industrieunternehmen der Zeit besaß die Firma eine eigene, den gesetzlichen Vorschriften entsprechend verwaltete Fabrikkrankenkasse. Weitere Sozialleistungen wurden in der paternalistischen Tradition der wilhelminischen Zeit vom Eigentümer nach Gutdünken gewährt. Den Abstand der Belegschaft zur Unternehmensleitung in einem Großbetrieb verdeutlicht der vorgeschriebene Beschwerdeweg. Er lief über den direkten Vorgesetzten, in nächster Instanz den Vorsteher des Fabrik-Büros zum “Fabrikherrn”, dessen Anrufung - als weiteres Hindernis - nur schriftlich möglich war.
8. Umweltbelastungen
Im Unterschied zu Fabriken, in denen lediglich die Kesselfeuerung störende Emissionen verursachte, war die Porzellan- und Steingutherstellung von periodisch starker Rauchentwicklung begleitet. Der lange Brennprozess erforderte hohe Temperaturen, die nur durch den Einsatz rußender Gasflammkohle zu erreichen waren. In Bonn konzentrierte sich die öffentliche Anfeindung überwiegend auf die Wessel-Werke im 1904 eingemeindeten Poppelsdorf, wo im Jahresmittel 20.000 Tonnen Kohle verfeuert wurden. Nachbarschaftsklagen gegen Rauch und Ruß zogen sich durch mehrere Instanzen. Obwohl die Firma Mehlem im Villenviertel am Rhein ebenso exponiert gelegen war wie der Konkurrent Wessel am Botanischen Garten der Universität, zeigte die Unternehmensleitung größeres Geschick im Umgang mit Anliegern. 1880 bot man zur Entlastung der Koblenzer Straße den Neubau eines höheren Schornsteins an (“wodurch die nächsten Nachbarn weniger incommodiert werden“). 1896 wurden die alten Muffelöfen mit direkt abziehenden Gasen durch fünf Öfen mit rückschlagenden, mehrfach ausgebrannten Gasen ersetzt und an einen 35 Meter hohen Kamin angeschlossen. Auf Betreiben der Gewerbeaufsicht, die sich am jeweiligen Stand der Technik orientierte, erfolgten ständige Veränderungen an den Öfen und Muffeln. Günstigere Mischungen der verwendeten Brennmaterialien und der Einbau einer fast rauchlosen Kettenrostfeuerung reduzierten die Emissionen kontinuierlich. Zu diesen technischen Maßnahmen trat, wie der Gewerbeinspektor 1907 vermerkte, die natürliche Begünstigung durch die vorherrschenden Westwinde: “Die Firma hat aber den Vorteil, dass […] die Rauchschwaden über den Rhein nach der Beueler Seite getrieben werden, wie […] die Bebauung und die Empfindlichkeit der Bewohner geringer ist.”
Eine Erweiterung der Fabrikanlagen am alten Standort hat die Bonner Stadtverwaltung konsequent verweigert, obwohl Franz Guilleaume in den Verhandlungen als Gegenleistung eine optische Aufwertung der Front zur südlichen Prachtallee anbot sowie weitere Maßnahmen, um “den störenden Anblick und etwaige Belästigungen der eigentlichen Fabrikanlage von dem auf der Coblenzerstraße verkehrenden Publikum sowie den Bewohnern des benachbarten Gebietes fernzuhalten”. Auch der Versuch, die auf dem Stammareal unerwünschten neuen Produktionsanlagen auf dem Gelände des firmeneigenen Güterbahnhofs unterzubringen, scheiterten am Veto der Kommune. Anders als 1838 wollte die steuerstarke Universitäts- und Rentnerstadt die Ansiedlung “belästigender Industrie” mit allen Mitteln verhindern und nahm hierzu auch langwierige Gerichtsverfahren in Kauf. Die abgewiesene Firma Mehlem begnügte sich schließlich damit, entlang der firmeneigenen Gleise zusätzliche Güterschuppen zur Vermietung zu errichten.
9. Kriegswirtschaft 1914-1918
Der Kriegsausbruch im August 1914 führte zu erheblichen Verwerfungen: Die Produktion litt unter Einberufungen, Verkehrssperren und dem Ausfall von importierten Rohstoffen, auf der Absatzseite büßte die Firma wichtige Exportmärkte ein. Ein Fünftel der Belegschaft wurde sofort entlassen. Nach Ende der Kurzkrieg-Illusionen warben die benachbarten Rüstungsunternehmen massiv Arbeitskräfte ab. Allein die - per Straßenbahn von Bonn leicht erreichbaren - Siegburger Werke (Königliche Geschoßfabrik und Feuerwerkslaboratorium) wuchsen innerhalb von Monaten von 4.000 auf 15.000 Beschäftigte an. Zusammen mit der Pulverfabrik in Troisdorf und dem dortigen Eisenwalzwerk Mannstaedt banden sie 1917 mit circa 40.000 Arbeitskräften das Sechsfache der Friedensbelegschaften. Die hier gebotenen Löhne lagen erheblich über jenen 24 bis 40 Mark, die Mehlem gelernten Arbeitern für die 59-Stunden-Woche zahlte.
Ende 1914 stabilisierte sich die Lage auf niedrigem Niveau. Mit halbierter Belegschaft erreichte das Unternehmen 50 Prozent der Vorjahresproduktion. Große Vorräte ausländischer Rohmaterialien erleichterten die zeitraubende und kostspielige Umstellung auf böhmische Kaoline und sächsische Tone. Auch waren der Wasserweg und die werkseigenen Entladevorrichtungen weniger störanfällig als das durch militärische Beanspruchung überlastete Eisenbahnsystem. Der Verlust des englischen und des französischen Marktes, in Friedenszeiten Abnehmer vor allem gehobener Qualitäten, führte zu Entlassungen in der kostenintensiven Malerei. Nachfragestützend wirkten Bestellungen aus den Niederlanden und Skandinavien. Noch Mitte 1916 wurden vor Kriegsausbruch fertig gestellte Partien für die USA und Indien in der Hoffnung auf baldige Verschiffungsmöglichkeit bereitgehalten.
In der zweiten Kriegshälfte drängten Lieferungen von mittelbarem oder unmittelbarem Kriegsbedarf - Teller, Waschschüsseln, Waschtische, Urinals und Klosetts für die Marine und die preußischen Eisenbahnen - die Wünsche des zivilen Sektors und des neutralen Auslands weiter zurück. Ersatz für einberufene Facharbeiter zu finden wurde immer schwieriger, zumal solche Kräfte nach der Anlernphase häufig in die Siegburger Munitionsfabriken abwanderten. So ist es verständlich, dass die Firma ihre Werbung bis ins besetzte Russisch-Polen ausdehnte, wo die Stilllegung einer Steingutfabrik Keramikarbeiter und Kapselfüllerinnen freisetzte. 1917 ließ der vermehrte Einsatz unqualifizierter Frauen sowie von Kriegsgefangenen aus dem “Industrie-Kriegsgefangenenlager der Stadt Bonn” die Produktivität weiter absinken. Die Nachfrage konnte nicht annähernd gedeckt werden. Hinzu traten immer häufiger Stockungen in der Kohleversorgung. Wegen der langen, energieintensiven Brennprozesse konnte die Firma nicht auf Holzfeuerung oder Braunkohlebriketts ausweichen. Im Januar/Februar 1918 lagen die Brennöfen für sechs Wochen still. Mehr als 100 Arbeitskräfte waren ohne Beschäftigung. Hatten sich bereits vor 1914 Wachstum und relative Bedeutung der Bonner Steingutindustrie abgeschwächt, so führten die Belastungen der Kriegsjahre zu einem deutlichen Rückschlag, vom dem sich der Industriezweig - anders als die Metallverarbeitung und die Bonner Schreibwarenindustrie - auch nach 1918 nicht wieder erholen sollte.
10. Unter Leitung von Villeroy & Boch 1920-1931
Am 3.1.1914 war Franz Guilleaume nach kurzer Krankheit in Bonn verstorben. Seinen Platz an der Spitze der Firma übernahm der älteste, bereits als Prokurist im Unternehmen tätige, Sohn Walter (1876-1955). Erfolgreiche Versuche mit Schleifmitteln für Industrieabnehmer mündeten 1916 in die Gründung einer eigenen Abteilung für Schleifscheiben, bei deren Herstellung man auf die lange Erfahrung in der Produktion von Keramik zurückgreifen konnte. Die ungewissen Zukunftsaussichten des Stammgeschäfts vor Augen, wagten Walter Guilleaume und sein Schwager, der Jurist Dr. Otto Goertz (1871-1934) einen Neuanfang im rechtsrheinischen Beuel. Zum 20.4.1920 gliederten sie die Abteilung aus und überführten sie komplett in die neu gegründete Schleifscheibenfabrik “Guilleaume-Werk”. 1927 trat der frischgebackene Ingenieur Dr. Alexander Guilleaume (1892-1958), der jüngere Sohn des Kommerzienrats, in die Firma ein.
Das benötigte Kapital erbrachte der Verkauf der Steingutfabrik an Villeroy & Boch. Der frühere Konkurrent hatte mit der politischen und wirtschaftlichen Abtrennung des Saargebiets den deutschen Markt und mit ihm sein Hauptabsatzgebiet verloren. Geschirr und Zierkeramik aus der Fabrikation von F. A. Mehlem sollten den Ausfall der Lieferungen aus den Werken Mettlach und Wallerfangen wettmachten und die Position der Firma bis zu einer Rückgliederung der Saar sichern helfen. Diese Hoffnung wurde nicht erfüllt. Die neuen Besitzer mussten bald erkennen, wie technisch veraltert die Bonner Anlagen waren. Die sich beschleunigende Inflation verhinderte die wirtschaftlich gebotene Modernisierung. Nach der Markstabilisierung war Kapital knapp, und die Zweifel am Sinn einer solchen Investition an einem Standort ohne Gleisanschluss wuchsen. Mit der Normalisierung der Handelsbeziehungen des Saargebiets zum Reich konnten Kunden zudem wieder auf die gewohnten Produkte aus Mettlach zurückgreifen. Die Konkurrenz billiger Stapelware, mit der die großen Warenhäuser den Markt überschwemmten, führte 1925 zur Einstellung der Produktion von Steingutgeschirr. Es blieben Sanitärwaren aus Hartsteingut, wie zum Beispiel Flachspüler, Toilettenbecken und Waschtische. Ihr großes Gewicht erforderte den Ersatz der alten Holzdecken in der Dreherei durch eine Stahlbetonkonstruktion.
Misstrauisch beäugte die Nachbarschaft die Umstellung der Produktion. Noch bevor er sein neues Wohngebäude (rheinab neben dem Arndt-Haus) bezog, beklagte sich der einflussreiche Zeitungsverleger Hermann Neusser (1879-1937) über Geräusche der 1926 zur Elektrizitätsversorgung für das ganze Werk installierten Dampfmaschine. Andere Anwohner vermerkten mehr Rauch, Staub und Lärm, unter anderem durch die Kohleverladung und die Fabriksirene. Ständiger Stein des Anstoßes blieb der störende Werksverkehr über die verkehrsreiche Koblenzer Straße. Auch bei den Behörden war die Fabrik nicht länger wohl gelitten: “Von den im Wohnhaus- und Landhausgebiet gelegenen Werken macht sich besonders unangenehm bemerkbar die Fabrik von Villeroy & Boch”, schrieb Mitte 1929 die örtliche Baupolizei. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich schon ein Ende der Produktion ab. Zwischen 1926 und 1928 war die Belegschaft bereits um die Hälfte reduziert worden. Die Weltwirtschaftskrise traf ein ohnehin geschwächtes Unternehmen. Anfang 1931 wurde wegen der schlechten Baukonjunktur das Bonner Werk stillgelegt - vorübergehend, wie es zunächst hieß. Ein Teil der Arbeiter kam im sächsischen Torgau unter.
11. Abriss der Fabrikanlagen und neue Nutzung des Grundstücks
Als sich die Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Belebung nicht erfüllten, begannen die Eigentümer ab Dezember 1933 mit dem Abriss der Fabrikgebäude. Als Interessenten für das wertvolle Grundstück wurden zunächst ein Krankenhausorden, dann das Arbeitsamt, später das Bonner Finanzamt genannt. 1935 legte man sich unter Beifall der Presse (“Niemand wird dem Fabrikkasten eine Träne nachweinen, denn eine Zierde ist dieser Bau nie gewesen.”) auf eine überwiegende Nutzung zu Wohnzwecken fest, wie es dem Charakter der Umgebung entsprach. Zwei Wohnstraßen sollten das Gelände erschließen. Obwohl bereits Verkaufsschilder aufgestellt waren, wurden Abschlüsse zurückgestellt, um dem Bonner Finanzamt genügend Zeit für eine Neubauplanungen zu verschaffen. Seit 1936 nutzte die Wehrmacht das Gelände, zum Beispiel als Abstellfläche für Fahrzeuge. 1941 wurde auf dem - inzwischen zum überwiegenden Teil an den Fiskus verkauften - Abbruchgrundstück ein öffentlicher Luftschutz-Deckungsgraben ausgehoben.
Angesichts der starken Kriegszerstörungen entlang der Koblenzer Straße (Gebäude der Lese, Beethoven-Gymnasium, Arndt-Haus) war die unterbliebene Wiederbebauung kein Schaden gewesen. So bildete das freie Areal in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland eine willkommene Verlängerung jener Achse entlang des Rheins, auf der sich zwischen Gronau und Zweiter Fährgasse Verfassungsorgane und Ministerien (Bundestag, Bundesrat, Bundeskanzler, Bundespräsident, Auswärtiges Amt) in Szene setzten. Wenige Monate nach Gründung des deutschen Weststaates drängte die Bonner Stadtverwaltung den Bund zum Erwerb von Restgrundstücken, damit nicht durch vorschnelle Wiederbebauung die bestmögliche Verwertung dieses “Filetstücks” gefährdet würde. Der größte Teil des einstigen Mehlem-Geländes befand sich als ehemaliger Reichsbesitz ohnehin in der Verfügung des Finanzministers. Noch vor der Kabinettsentscheidung zu Gunsten eines Neubaus für das unzureichend untergebrachte Ministerium ließ die Postverwaltung umfangreiche Erdbohrungen und Vermessungsarbeiten auf dem ehemaligen Fabrikgelände durchführen. Als Sondervermögen des Bundes war die Behörde berechtigt, in eigener Regie zu planen, unterlag also nicht den strengen Restriktionen, die in der provisorischen Hauptstadt für Neubauten galten. Die eigentlichen Arbeiten an dem breit gelagerten Baublock mit insgesamt 350 Räumen begannen erst im Mai 1953. Das ehemalige Fabrikareal wird von der kompakten Vierflügelanlage vollständig ausgefüllt, so dass heute jeglicher Hinweis auf fast 100 Jahre Steingutproduktion an diesem Ort fehlt.
Quellen
Die Bonner Porzellan-Steingutfabrik von Franz Ant. Mehlem, Bonn, Coblenzerstraße 79. Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Steingut-Fabrik von Franz Ant. Mehlem in Bonn von 1755-1880, Bonn o.J. [1880].
Jahresberichte der Handelskammer zu Bonn, Bonn 1892-1913.
Jahresberichte der preußischen Gewerbe-Aufsichtsbeamten und Bergbehörden, Berlin 1882-1908.
Stadtarchiv Bonn Pr 24/133 (Bauakte)
Steingutfabrik und Kunsttöpferei von Franz Anton Mehlem in Bonn. Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des derzeitigen Inhabers Kommerzienrath Franz Guilleaume 1. Juli 1899, Altenburg o.J [1899].
Literatur
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Online
Steingutfabrik F.A. Mehlem auf Porcelain Marks & More. [Online]
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Vogt, Helmut, Die Steingutfabrik Franz Anton Mehlem in Bonn 1838-1931, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-steingutfabrik-franz-anton-mehlem-in-bonn-1838-1931/DE-2086/lido/57d12a44aebcc1.96530689 (abgerufen am 09.12.2024)