Räuber und Gauner im Rheinland 1798-1814

Astrid Küntzel (Düsseldorf)

Bild eines Gendarmen, aus: Vernet/Lami, Collection des Uniformes des Armées françaises de 1791 à 1814, Paris 1822, Tafel 40.

1. Einleitung

Das or­ga­ni­sier­te Ban­den­we­sen er­leb­te um 1800 ei­ne Blü­te­zeit. Räu­ber­ban­den tra­ten zwar schon seit dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg auf, doch erst im 18. Jahr­hun­dert wuchs die Zahl ih­rer Mit­glie­der be­denk­lich an. Die Be­set­zung des Rhein­lan­des durch fran­zö­si­sche Trup­pen und die dar­aus fol­gen­de Ge­men­ge­la­ge aus al­ter und neu­er Ord­nung be­güns­tig­te zu­sätz­lich kri­mi­nel­les Ver­hal­ten. Dies stell­te die Be­hör­den so­wohl des An­ci­en Ré­gimes als auch der so­ge­nann­ten „Fran­zo­sen­zeit“ vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen.

Über die Räu­ber­ban­den im Rhein­land um 1800 ist be­reits viel ge­schrie­ben wor­den. Nicht nur die Wis­sen­schaft, son­dern auch die Bel­le­tris­tik hat sich des The­mas an­ge­nom­men. Die Ge­schich­ten und My­then um ein­zel­ne Räu­ber und die „he­roi­schen“ Über­fäl­le ha­ben seit je­her die Phan­ta­sie be­flü­gelt. Hin­ge­wie­sen sei nur auf die un­zäh­li­gen Ro­ma­ne und Fil­me rund um Jo­han­nes Bück­ler, den Schin­der­han­nes. Ähn­lich re­zi­piert wur­den auch sei­ne Kol­le­gen aus dem nörd­li­che­ren Teil des Rhein­lands. Die zen­tra­le Fi­gur ist hier – wenn auch nicht ganz so be­rühmt – Ma­thi­as We­ber, ge­nannt der Fet­zer. Von ihm wird noch die Re­de sein.

Be­trach­tet wird im Fol­gen­den die staat­li­che Sicht­wei­se auf die Ban­den­kri­mi­na­li­tät im Spe­zi­el­len und auf die mo­bi­len Grup­pen im All­ge­mei­nen. Wer war ei­gent­lich un­ter­wegs? Wie wur­den die Leu­te auf der Stra­ße von den Po­li­zis­ten, Gen­dar­men, Bür­ger­meis­tern, Un­ter­prä­fek­ten, Prä­fek­ten usw. wahr­ge­nom­men? Wel­che Ei­gen­schaf­ten wur­den ih­nen zu­ge­schrie­ben? Und vor al­lem – wel­che Kon­se­quen­zen wur­den dar­aus ge­zo­gen?

In den Jah­ren 1798-1814 wur­de das ge­sam­te Staats­we­sen in den von Frank­reich er­ober­ten Ge­bie­ten neu or­ga­ni­siert. Al­te In­sti­tu­tio­nen wur­den ab­ge­schafft, neue ent­stan­den. Al­les war im Fluss. Auch die Ver­fol­gung ver­däch­ti­ger Per­so­nen wur­de auf neue Fü­ße ge­stellt. Tat­säch­lich ge­lang es, das Ban­den­we­sen so weit ein­zu­däm­men, dass es nach 1815 kei­ne be­son­de­re Be­dro­hung mehr dar­stell­te.

Der Kampf ge­gen Räu­ber­ban­den war je­doch kein spe­zi­fisch rhei­ni­sches oder deut­sches Phä­no­men. Na­po­le­on kämpf­te an vie­len Fron­ten, nicht nur bei sei­nen Feld­zü­gen, son­dern auch in­ner­halb der er­ober­ten Ge­bie­te. Be­son­ders hef­tig wa­ren die Kon­fron­ta­tio­nen in Spa­ni­en und Ita­li­en, in de­nen das Räu­ber­we­sen in Ver­bin­dung mit Auf­stän­den ge­gen die fran­zö­si­sche Be­sat­zung stand. Die­se in­ne­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen kön­nen mit Mi­cha­el Bro­ers als „Na­po­le­ons an­de­rer Krie­g“ be­zeich­net wer­den.[1]

Die früh­neu­zeit­li­che Ge­sell­schaft war kei­nes­wegs ei­ne un­fle­xi­ble und star­re Ge­sell­schaft. Vor al­lem die His­to­ri­sche Mi­gra­ti­ons­for­schung hat den Blick auf die mo­bi­len Ele­men­te ge­lenkt. Et­li­che Leu­te wa­ren aus un­ter­schied­li­chen Grün­den un­ter­wegs. Die­ser Bei­trag be­trach­tet je­ne Grup­pen, die von den Be­hör­den als po­ten­zi­ell ge­fähr­lich ein­ge­stuft wur­den. Da­zu zäh­len vor al­lem Men­schen aus der so­zia­len Un­ter­schicht wie Räu­ber, Bett­ler, Va­ga­bun­den, Wan­der­händ­ler und De­ser­teu­re. Ein­be­zo­gen wer­den je­doch auch die wan­dern­den Hand­werks­bur­schen, da sie auf­grund ih­rer be­son­de­ren so­zia­len Stel­lung vom Staat nur schwer zu kon­trol­lie­ren wa­ren und eben­falls ein ge­wis­ses Ge­fah­ren­po­ten­zi­al in sich bar­gen. Nicht be­rück­sich­tigt wer­den die sons­ti­gen Rei­sen­den, Pil­ger und un­be­schol­te­nen Leu­te, die sich im nä­he­ren Um­kreis ih­res Wohn­or­tes be­weg­ten und nicht ak­ten­kun­dig ge­wor­den sind.

 

2. Die Entwicklung des Bandenwesens und die Maßnahmen des Staates bis 1798

Or­ga­ni­sier­te Grup­pen, die Ei­gen­tums- und Ge­walt­de­lik­te ver­üb­ten, tra­ten vor al­lem in wirt­schaft­li­chen Kri­sen­zei­ten auf. Ei­nen ers­ten Hö­he­punkt er­reich­ten sie nach dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, als zahl­rei­che Men­schen auf­grund der durch den Krieg her­vor­ge­ru­fe­nen bit­te­ren Ar­mut zu ei­nem Le­ben auf der Stra­ße ge­zwun­gen wur­den. Ei­ne ähn­li­che Pau­peri­sie­rung in Kom­bi­na­ti­on mit Krie­gen lässt sich im 18. Jahr­hun­dert be­ob­ach­ten, wel­che das er­neu­te An­wach­sen mo­bi­ler Rand­grup­pen und or­ga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät be­güns­tig­te. Im Ge­fol­ge des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges for­mier­te sich et­wa die so­ge­nann­te „Mehl­beu­tel­ban­de“ um Ni­ko­laus Ar­nold, ge­nannt „Mehl­beu­tel“. Die Ban­de war zwi­schen 1756 und 1763 im heu­ti­gen deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­ge­biet un­ter­wegs und ver­üb­te auch Über­fäl­le und Dieb­stäh­le im Düs­sel­dorf und Köln. In ih­ren Rei­hen be­fan­den sich auf­fal­lend vie­le De­ser­teu­re, was auf ei­nen Zu­sam­men­hang mit den Kriegs­er­eig­nis­sen hin­weist.

Be­reits in der Zeit vor Aus­bruch der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on 1789 lie­gen die An­fän­ge der gro­ßen Ban­den, die das Rhein­land bis in die Fran­zo­sen­zeit hin­ein un­si­cher mach­ten. So for­mier­te sich in den spä­ten 1780er Jah­ren in der Nä­he von Gro­nin­gen ei­ne Räu­ber­ban­de um Ja­kob Mo­y­ses. Sie bil­de­te den Kern der spä­te­ren Gro­ßen Nie­der­län­di­schen Ban­de, die die Nie­der­lan­de und das Rhein­land bis nach Mainz un­si­cher ma­chen soll­te. Die Gro­ße Nie­der­län­di­sche Ban­de war ein Ober­be­griff für vie­le Räu­ber­ban­den vom Nie­der­rhein bis nach Köln. Im Ber­gi­schen war zwi­schen 1796 und 1802 vor al­lem die Kre­fel­der und Neus­ser Ban­de un­ter ih­rem An­füh­rer Ma­thi­as We­ber, dem Fet­zer, ak­tiv.

Die kri­sen­haf­ten Wel­len las­sen sich auch an der Ge­setz­ge­bung der früh­neu­zeit­li­chen Staa­ten ab­le­sen. Et­wa seit dem 17. Jahr­hun­dert wur­den reichs­weit in den ein­zel­nen Ter­ri­to­ri­en und Reichs­städ­ten ver­stärkt Ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen zur Be­kämp­fung frem­der Bett­ler, her­ren­lo­sen Ge­sin­dels und sons­ti­ger ver­däch­ti­ger Per­so­nen er­las­sen. In der ers­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts nahm die Ver­ord­nungs­dich­te zwar ab, stei­ger­te sich aber ab cir­ca 1770 wie­der deut­lich. Die­se Ver­ord­nun­gen wur­den zu­nächst in um­fang­rei­chen „Po­li­cey-Ord­nun­gen“ ver­öf­fent­licht, die al­le Be­rei­che mensch­li­chen Le­bens re­gel­ten.

In Kur­k­öln wid­me­ten sich in der Frü­hen Neu­zeit 87 Po­li­ce­y­ge­set­ze den mo­bi­len Rand­grup­pen und der Va­gan­ten­pro­ble­ma­tik. 53 wur­den al­lein von 1723, dem Amts­an­tritt des Kur­fürs­ten Cle­mens Au­gust bis zur Auf­lö­sung des Staa­tes 1806 er­las­sen. Be­son­de­res Au­gen­merk galt da­bei den frem­den, ar­beits­fä­hi­gen Bett­lern, den „Mü­ßig­gän­gern“ so­wie den „her­ren­lo­sen“ Va­gan­ten und Zi­geu­nern. Die­se stell­ten das ge­naue Ge­gen­teil ei­ner or­dent­li­chen, flei­ßi­gen und sess­haf­ten Ge­sell­schaft dar, und wur­den da­her mit dra­ko­ni­schen Stra­fen be­droht, wenn sie den Kur­staat nicht so­fort ver­lie­ßen. Die Stra­fen reich­ten von Ar­beits­stra­fen, Pran­ger, Brand­mar­kung bis hin zur To­des­stra­fe für frem­de Bett­ler und Zi­geu­ner.[2]

Die Po­li­ce­y­ge­set­ze ziel­ten aber nicht nur auf die Ab­schre­ckung der mo­bi­len Rand­grup­pen, son­dern hiel­ten der „or­dent­li­chen“ Be­völ­ke­rung vor Au­gen, was sie bei ei­ner Ab­wen­dung von den bür­ger­li­chen Mo­ral­vor­stel­lun­gen er­war­ten wür­de. Dass ei­ne so ho­he Zahl an Po­li­ce­y­ge­set­zen mit grö­ß­ten­teils iden­ti­schem In­halt in ei­nem re­la­tiv kur­zen Zeit­raum er­las­sen wur­de, er­weckt zu­nächst den Ein­druck der Ohn­macht und Hilf­lo­sig­keit des Kur­staa­tes ge­gen­über den fah­ren­den Leu­ten. Wenn die ein­zel­nen Ge­set­ze strikt be­folgt wür­den, wä­re ih­re per­ma­nen­te Wie­der­ho­lung ja nicht not­wen­dig.

Die neue­re his­to­ri­sche For­schung sieht in die­sen Wie­der­ho­lun­gen al­ler­dings kei­ne Schwä­che des Staa­tes mehr, son­dern sie be­tont sei­ne Fä­hig­keit, sich im­mer wie­der in die Pro­ble­ma­tik re­gu­la­tiv ein­zu­brin­gen. Tat­säch­lich las­sen sich bei ge­naue­rem Hin­schau­en gra­du­el­le Un­ter­schie­de in den Po­li­ce­y­ord­nun­gen fest­stel­len, sei es bei der Be­stim­mung der­je­ni­gen, die be­kämpft wer­den sol­len, sei es bei der Art und Wei­se wie das Ge­setz um­ge­setzt wer­den kann oder sei es bei der Form der an­ge­droh­ten Stra­fe. Bis 1798 lässt sich – auch auf­grund der wach­sen­den Be­dro­hungs­la­ge durch die nä­her rü­cken­den fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen – ei­ne zu­neh­men­de Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Frem­den­po­li­cey fest­stel­len. Die Lis­ten der ver­däch­ti­gen Frem­den wur­den län­ger und de­tail­lier­ter, die Ver­fol­gungs­in­stru­men­te dif­fe­ren­zier­ter.

Die große jülich-bergische Policeyordnung von 1751. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 

Ein Bei­spiel für den un­be­ding­ten Wil­len, das Pro­blem der Va­gan­ten an­zu­ge­hen, ist die von Kur­fürst Cle­mens Au­gust 1751 auf­ge­stell­te Hu­sa­ren­kom­pa­nie,  ei­ne vom Mi­li­tär un­ab­hän­gi­ge Trup­pe mit uni­for­mier­ten und fest be­sol­de­ten Män­nern, die im Erz­stift für Si­cher­heit auf dem Lan­de sor­gen soll­te. Die Hu­sa­ren­kom­pa­nie er­setz­te die sonst üb­li­chen, aber un­zu­rei­chen­den Strei­fen und Nacht­wa­chen in den ein­zel­nen Dör­fern.

Es man­gel­te aber vor al­lem an ei­nem ef­fi­zi­en­ten Jus­tiz­sys­tem, das die ver­haf­te­ten De­lin­quen­ten hät­te schnell und zu­ver­läs­sig ab­ur­tei­len kön­nen. So kam es im­mer wie­der zu Be­schwer­den, die Ge­mein­den wür­den gar kein Straf­ver­fah­ren an­stren­gen, son­dern ei­ni­ge Va­gan­ten gleich wie­der frei­las­sen. Zu ei­ner ef­fek­ti­ven Be­kämp­fung der Kri­mi­na­li­tät mo­bi­ler Rand­grup­pen kam es nicht, die Zahl der Fest­nah­men blieb dau­er­haft gleich hoch. Wäh­rend sich die Ob­rig­keit noch mit Ver­ord­nun­gen al­ten Stils ab­müh­te, war die Kre­fel­der und Neus­ser Ban­de be­reits gut im Ge­schäft.

3. Charakterisierung der umherziehenden Leute und Entwicklung des Bandenwesens nach 1798

Va­gan­ten üb­ten häu­fig am­bu­lan­te Dienst­leis­tun­gen aus als Sche­ren­schlei­fer, Pfan­nen- und Kes­sel­fli­cker, Sä­gen­fei­ler oder Vieh­kas­trie­rer oder han­del­ten mit Wa­ren al­ler Art wie Ge­schirr aus Por­zel­lan, Ton oder Zinn, mit Zun­der, Blas­roh­ren, Käm­men, Bürs­ten, Be­sen, Kör­ben, Sie­ben, Mau­se­fal­len, Knöp­fen und Schnal­len, oft auch mit ge­stoh­le­nen Wa­ren. In­dem sie die Land­be­völ­ke­rung mit Wa­ren al­ler Art ver­sorg­ten, er­füll­ten sie ei­ne wich­ti­ge öko­no­mi­sche Funk­ti­on. Doch auch hier lie­ßen sich kei­ne Reich­tü­mer ver­die­nen, da die Bau­ern oft selbst kaum Geld hat­ten und die Wan­der­händ­ler sich ge­gen­sei­tig Kon­kur­renz mach­ten.

Wei­ter­hin wa­ren die „klas­si­schen“ Fah­ren­den un­ter­wegs, die Gauk­ler, die mit al­ler­lei Kunst­stü­cken für Un­ter­hal­tung auf dem Lan­de sorg­ten. Hier­zu zähl­ten auch die Quack­sal­ber, Zahn­bre­cher und Ocu­lis­ten, die mit viel Schau auf ih­re an­geb­li­chen oder auch tat­säch­lich vor­han­de­nen me­di­zi­ni­schen Fä­hig­kei­ten auf­merk­sam mach­ten. Schlie­ß­lich gab es noch die Hau­sie­rer mit Nach­rich­ten und Neu­ig­kei­ten, die ge­wis­ser­ma­ßen als vor­mo­der­ne Zei­tun­gen fun­gier­ten.

Oft reich­ten die­se Tä­tig­kei­ten al­ler­dings nicht aus, um über die Run­den zu kom­men, wes­halb sehr vie­le auf das Bet­teln an­ge­wie­sen wa­ren und zu Klein­kri­mi­nel­len wur­den. Von die­sen äu­ßerst be­dürf­ti­gen Va­gan­ten ging al­ler­dings nur ei­ne Min­der­heit zum ban­den­mä­ßig or­ga­ni­sier­ten, ge­walt­tä­ti­gen Raub über. Die­je­ni­gen Va­ga­bun­den, die kri­mi­nell wur­den, be­fan­den sich in al­ler Re­gel in ei­ner pre­kä­ren öko­no­mi­schen Si­tua­ti­on. Auch die mit dem Um­her­zie­hen ver­bun­de­ne Bin­dungs­lo­sig­keit so­wie die Aus­gren­zung aus der Ge­sell­schaft mach­ten die Va­gan­ten an­fäl­lig für das Ab­sin­ken in die Kri­mi­na­li­tät.

Dies soll am Bei­spiel der Kre­fel­der und Neus­ser Ban­de nä­her er­läu­tert wer­den. Keim­zel­le der Kre­fel­der Ban­de wa­ren die Sche­ren­schlei­fer Fried­rich der Ein­äu­gi­ge und Fran­zis von Dah­len. Sie ver­üb­ten be­reits 1793 ers­te Über­fäl­le. Da sie über ein Pa­tent ih­res Ge­wer­bes – und da­mit über re­gu­lä­re Pa­pie­re – ver­füg­ten, war es nicht leicht, sie als Übel­tä­ter zu iden­ti­fi­zie­ren. Wei­te­re Mit­glie­der der Ban­de wa­ren im Lau­fe der Zeit vor al­lem ehe­ma­li­ge Sol­da­ten, Hand­wer­ker und Ju­den, das hei­ßt An­ge­hö­ri­ge ver­arm­ter Schich­ten.

1796 stieß Ma­thi­as We­ber, der den Bei­na­men „Fet­zer“ be­kam, 18-jäh­rig zur Ban­de. 1797 ging die Kre­fel­der Ban­de in der Neu­wie­der Ban­de auf, die durch ih­re Zu­ge­hö­rig­keit zur Gro­ßen Nie­der­län­di­schen Ban­de ei­nen we­sent­lich grö­ße­ren Ak­ti­ons­ra­di­us hat­te. Ihr Ge­biet um­fass­te Tei­le der Nie­der­lan­de, den ge­sam­ten Nie­der­rhein, das Ber­gi­sche Land und die Rhein­schie­ne bis hin­un­ter nach Mainz. In Neu­wied hat­te die Ban­de ih­ren ei­gent­li­chen Stütz­punkt. Da­ne­ben hat­te sie wei­te­re Schlupf­win­kel un­ter an­de­rem in Neuss und Deutz (heu­te Stadt Köln).

Die Struk­tur der Ban­de darf man sich nicht als fest­ge­fügt vor­stel­len. Sie be­stand viel­mehr aus mo­bi­len Ein­hei­ten, die sich aus den für ei­nen be­stimm­ten Über­fall ge­eig­ne­ten und ge­ra­de ver­füg­ba­ren Mit­glie­dern zu­sam­men­setz­te. Es wur­de al­ler­dings dar­auf ge­ach­tet, dass zu­min­dest ei­ne Füh­rungs­per­sön­lich­keit da­bei war, die das Kom­man­do über­nahm. Sol­che Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten wa­ren ne­ben dem Fet­zer zum Bei­spiel der An­füh­rer der Gro­ßen Nie­der­län­di­schen Ban­de, Abra­ham Pi­card, Da­mi­an Hes­sel, ge­nannt das Stu­dent­chen, und Carl Heck­mann. Oh­ne ei­nen wa­ge­mu­ti­gen An­füh­rer wur­de ein ge­plan­ter Über­fall nicht durch­ge­führt.

Zu Be­ginn des Jah­res 1803 wur­de der Fet­zer mit ei­ni­gen Kom­pli­zen im Amt Ber­gen bei Frank­furt fest­ge­nom­men. Zu­fäl­lig in­spi­zier­te zu die­sem Zeit­punkt der öf­fent­li­che An­klä­ger An­ton Keil aus Köln die dor­ti­gen Ge­fäng­nis­se. Die­ser konn­te den Fet­zer zwei­fels­frei iden­ti­fi­zie­ren. Nur we­nig spä­ter wur­de der Fet­zer über den Rhein nach Köln trans­por­tiert, wo er am 19. Fe­bru­ar durch die Guil­lo­ti­ne nur 25-jäh­rig hin­ge­rich­tet wur­de. Nach ei­ge­nen An­ga­ben hat­te er in sei­nem kur­zen Le­ben ins­ge­samt 192 De­lik­te ver­übt.

Die an­de­ren Mit­glie­der der gro­ßen Räu­ber­ban­den er­fuh­ren ein ähn­li­ches Schick­sal. Da­mi­an Hes­sel wur­de En­de Ok­to­ber 1810 zum To­de durch die Guil­lo­ti­ne ver­ur­teilt. Abra­ham Pi­card wur­de 1805 eben­falls im Amt Ber­gen ver­haf­tet und starb 1807 im Ge­fäng­nis in Mar­burg. Nur we­ni­ge Mo­na­te nach dem Fet­zer, am 21.11.1803, wur­de auch Jo­han­nes Bück­ler, der Schin­der­han­nes, in Mainz hin­ge­rich­tet.

Das Jahr 1803 gilt all­ge­mein als das Jahr, in dem die Zeit der gro­ßen Räu­ber­ban­den end­gül­tig zu En­de ging. Tat­säch­lich nahm die Ban­den­kri­mi­na­li­tät in den Jah­ren da­nach deut­lich ab. Sie ver­la­ger­te sich je­doch zu­neh­mend auf den ein­fa­chen Stra­ßen­raub und den or­ga­ni­sier­ten Schmug­gel. Ins­be­son­de­re die Er­rich­tung der Kon­ti­nen­tal­sper­re 1806 sorg­te für ein Auf­blü­hen des Schmug­gels.

Auch die er­neu­te ra­di­ka­le Neu­ord­nung der rhei­ni­schen Ter­ri­to­ri­en be­güns­tig­te das Ab­neh­men der Ban­den­kri­mi­na­li­tät. Bis 1806 konn­ten sich die Räu­ber be­quem von der lin­ken Rhein­sei­te auf die rech­te und um­ge­kehrt ab­set­zen. Der Rhein war die Gren­ze zwi­schen ver­fein­de­ten Mäch­ten. Nach Auf­lö­sung des Al­ten Reichs und der ter­ri­to­ria­len Neu­ord­nung ge­riet nun auch das rech­te Rhein­ufer un­ter fran­zö­si­schen Ein­fluss. Nach und nach wur­den auch dort die fran­zö­si­schen Ge­set­ze ein­ge­führt. Nun war es für Kri­mi­nel­le im Rhein­land nicht mehr so leicht, den Be­hör­den zu ent­kom­men.

Zwi­schen 1810 und 1813 leb­te das Ban­den­we­sen er­neut auf. Dies­mal han­del­te es sich al­ler­dings vor al­lem um Re­frak­tä­re und De­ser­teu­re so­wie um ver­arm­te Leu­te, de­nen die Kon­ti­nen­tal­sper­re mit den da­mit ver­bun­de­nen Be­las­tun­gen die letz­te Le­bens­grund­la­ge ge­nom­men hat­te. Be­son­ders das be­reits in­dus­tri­ell ent­wi­ckel­te Gro­ßher­zog­tum Berg mit sei­ner Tex­til­pro­duk­ti­on hat­te dar­un­ter zu lei­den. Dort fan­den 1813 rich­ti­ge Ar­bei­ter­pro­tes­te, wie sie kenn­zeich­nend für das 19. Jahr­hun­dert wa­ren, statt.

Edikt des Kurfürsten Clemens August vom 25.9.1751, in dem er befiehlt, die Verordnung zur Errichtung der Husarenkompanie zu publizieren, und zwar zu '„Verfolg und Ausrottung der Vagabunden“'. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 

4. Wahrnehmung der Räuber durch Staat und Gesellschaft

Wie schon im Al­ten Reich, so be­schränk­ten sich auch die fran­zö­si­schen Be­hör­den auf die dif­fu­se Kon­trol­le ver­däch­ti­ger Frem­der, der Va­ga­bun­den, von sons­ti­gem Ge­sin­del etc. Die durch­füh­ren­den Ver­wal­tun­gen vor Ort hat­ten al­so ei­nen nicht un­er­heb­li­chen Er­mes­sens­spiel­raum, wen sie un­ter die­se Ka­te­go­ri­en fas­sen woll­ten.

Wenn kon­kre­te An­wei­sun­gen er­teilt wur­den, dann ge­schah dies auf­grund kon­kre­ter, meis­tens krie­ge­ri­scher An­läs­se. So war zum Bei­spiel die Er­obe­rung Mal­tas durch die Bri­ten 1798 ein Grund, um Durch­su­chun­gen nach Frem­den mal­te­si­scher Her­kunft an­zu­wei­sen. Dies wur­de dann gleich zum Rund­um­schlag ge­nutzt, um nach al­len Fein­den Frank­reichs, das hei­ßt Emi­gran­ten, De­ser­teu­ren, Pries­tern, Va­ga­bun­den und sons­ti­gem Ge­sin­del so­wie nach Eng­län­dern, Ame­ri­ka­nern und Rus­sen zu su­chen. Die Durch­su­chun­gen wa­ren vor al­lem po­li­ti­scher Na­tur und dien­ten dem Auf­spü­ren von Spio­nen.

Wäh­rend die Staats­fein­de Frank­reichs klar de­fi­niert wa­ren, blieb die Be­stim­mung der Va­ga­bun­den nach wie vor recht va­ge. Erst in ei­nem pro­vi­so­ri­schen Re­gle­ment zur Ar­men­für­sor­ge, das 1811 pu­bli­ziert wur­de, wur­de die Ka­te­go­rie des va­ga­bun­die­ren­den Bett­lers ge­nau­er de­fi­niert: Hier­zu zähl­ten die­je­ni­gen, die nicht in dem be­tref­fen­den Ar­ron­dis­se­ment ge­bo­ren wa­ren, die mit Un­ver­schämt­heit bet­tel­ten, sich als Sol­da­ten oder Krüp­pel aus­ga­ben oder in Grup­pen von mehr als vier Per­so­nen auf­tra­ten. Ein­hei­mi­sche ar­beits­fä­hi­ge Bett­ler soll­ten je­doch in die zu­stän­di­ge Ar­men­an­stalt, das so­ge­nann­te Bett­ler­de­pot auf­ge­nom­men wer­den. Die Ar­beits­fä­hig­keit, die noch vor 1798 über die Teil­ha­be an der Ar­men­für­sor­ge ent­schied, trat als Kri­te­ri­um ge­gen­über der ter­ri­to­ria­len Fremd­heit zu­rück. Die­se frem­den, um­her­zie­hen­den Bett­ler und Va­ga­bun­den wur­den viel­mehr als prin­zi­pi­ell ge­fähr­lich ein­ge­stuft und soll­ten der Gen­dar­me­rie über­ge­ben wer­den.

Aus­gren­zung er­folg­te auch da­durch, dass man be­stimm­ten Per­so­nen ei­ne Her­kunft aus fer­ne­ren Län­dern zu­schrieb. So wa­ren 1811 und 1812 an­geb­lich „ita­lie­ni­sche Kup­fer­wa­ren­händ­ler“ und „un­ga­ri­sche Schar­la­ta­ne“ un­ter­wegs. Die­se dien­ten wie­der­um als Be­grün­dung, al­le Ar­bei­ter und Wan­der­händ­ler zu kon­trol­lie­ren und ge­ge­be­nen­falls di­rekt an der Gren­ze ab­zu­wei­sen. Die Be­zeich­nun­gen sa­gen al­ler­dings nicht un­be­dingt et­was über die na­tio­na­le Her­kunft der Grup­pen aus. Sie sind ver­mut­lich eher Be­rufs­be­zeich­nun­gen, die sich ver­selbst­stän­digt ha­ben. Das glei­che Phä­no­men be­geg­net uns bei den Zi­geu­nern, eng­lisch „gyp­sies“. Die Be­zeich­nung „gyp­sy“ weist auf die ur­sprüng­li­che Her­kunft aus Ägyp­ten, „Egyp­t“ hin, wur­de spä­ter aber un­ab­hän­gig von der Her­kunft ver­wen­det.

Ei­ne zu­sätz­li­che Kri­mi­na­li­sie­rung er­fuh­ren die Va­gan­ten da­durch, dass sich vie­le Ju­den in ih­ren Rei­hen be­fan­den. Vie­le Ju­den wa­ren auf­grund der dau­er­haf­ten Aus­gren­zung aus der Ge­sell­schaft in der Frü­hen Neu­zeit in ei­ne so­zi­al pre­kä­re La­ge ge­ra­ten. Man schätzt ih­ren An­teil an den Fah­ren­den auf bis zu 20 Pro­zent. Nicht we­ni­ge da­von wur­den zu Mit­glie­dern der ge­fürch­te­ten Räu­ber­ban­den. Von 205 Ban­den­mit­glie­dern, die 1805 be­kannt wa­ren, wa­ren 112 jü­disch, was den Glau­ben un­ter­stütz­te, das Ban­den­we­sen sei ma­ß­geb­lich von Ju­den be­ein­flusst. Vor­ur­tei­le ge­gen­über Va­gan­ten und Ju­den ver­stärk­ten sich so ge­gen­sei­tig. Ju­den wa­ren aber nicht nur Tä­ter, son­dern auch häu­fig Op­fer ge­walt­sa­mer Über­fäl­le. Ju­den aus­zu­rau­ben hat­te für die Ban­di­ten zu­dem den Vor­teil, mit ei­ner we­ni­ger in­ten­si­ven Straf­ver­fol­gung rech­nen zu kön­nen. So teil­te der Schul­meis­ter von Sö­dern im Tau­nus dem über­fal­le­nen Mo­y­ses Löw mit, dass er die Sturm­glo­cke nur für Chris­ten und kei­nes­wegs für Ju­den läu­ten dür­fe.[3]  Ins­be­son­de­re die Ban­de des Schin­der­han­nes hat­te sich auf Über­fäl­le auf Ju­den spe­zia­li­siert. Doch auch im Rhein­land wa­ren im­mer wie­der Ju­den Op­fer der Räu­ber­ban­den. Er­wähnt sei­en hier nur ein Über­fall auf ei­nen Ju­den in Net­tes­heim durch die Kre­fel­der Ban­de so­wie der ge­schei­ter­te Über­fall auf ei­nen jü­di­schen La­den­be­sit­zer in Hörst­gen (heu­te Stadt Kamp-Lint­fort).

Das Bild, das von den Räu­ber­ban­den ge­zeich­net wur­de, war na­tür­lich über­wie­gend ne­ga­tiv. Die Ver­bre­chen wa­ren durch nichts zu ent­schul­di­gen. Un­ter­stüt­zung bei ih­ren Vor­ha­ben er­fuh­ren die Ban­den nur durch An­ge­hö­ri­ge der Un­ter­schicht, die sich zu­min­dest ei­nen klei­nen Vor­teil da­von ver­spra­chen oder de­ren Neid und Hass auf die Rei­chen be­reits so­weit ge­die­hen war, dass sie eben­falls zu Kri­mi­nel­len wur­den. Wei­te­re Un­ter­stüt­zung be­ka­men die Räu­ber nur durch Ein­schüch­te­rung bei­spiels­wei­se der Nach­barn, die Zeu­ge ei­nes Über­falls wur­den.

Die Pro­fes­sio­na­li­tät, mit der die Über­fäl­le teil­wei­se ver­übt wur­den, nö­tig­te al­ler­dings selbst dem öf­fent­li­chen An­klä­ger An­ton Keil Re­spekt ab. Vor al­lem in sei­nen Be­schrei­bun­gen des Fet­zers scheint so et­was wie Be­wun­de­rung her­vor: „Ma­thi­as We­ber ge­nannt Fet­zer ver­dient viel­leicht al­len un­ter Räu­bern, die in die­ser Ge­schich­te vor­kom­men, am meis­ten, daß man von ihm ein aus­führ­li­ches Ge­mähl­de ent­wer­fe; denn er ge­hört un­ter die we­ni­gen Men­schen, die sich im To­de wie im Le­ben treu blie­ben und bey gro­ßen Las­tern ei­ne gro­ße Fes­tig­keit der See­le be­sa­ßen.“[4]

Edikt des Kurfürsten Maximilian Friedrich vom 5.4.1762 bezüglich der 'Vertilg- und Ausrottung deren auswärtige Bettler und Müßiggänger fort nichtsnutzigen herrenlosen Gesindels und Vagabunden'. Eine Besonderheit ist hier, dass bei Verstoß gegen dieses Edikt nicht konkrete Körperstrafen angedroht wurden, sondern die Delinquenten ins Stockhaus nach Kaiserswerth gebracht werden sollten. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 

5. Kontrollmaßnahmen des Staates und dessen Vorstellungen von Ordnungspolitik mit Rückblick auf das Ancien Régime

Die Maß­nah­men ge­gen die Räu­ber­ban­den und ge­gen Va­gan­ten im All­ge­mei­nen las­sen sich gut un­ter dem Be­griff der Frem­den­po­li­zei fas­sen. Wie be­reits er­läu­tert wur­de, ver­such­te die Ob­rig­keit im Al­ten Reich das Ge­mein­we­sen mit Hil­fe von Po­li­ce­ynor­men in Ord­nung zu brin­gen und zu hal­ten. „Po­li­ce­y“ war vor al­len Din­gen auf die Re­gu­lie­rung na­he­zu sämt­li­cher Le­bens­be­rei­che an­ge­legt. Nach 1798 setz­te zu­erst in den vier neu­en De­par­te­ments und ab 1806 schlie­ß­lich auch im Gro­ßher­zog­tum Berg ein Wan­del hin zu ei­ner Po­li­zei ein, die vor al­lem für die Ge­fah­ren­ab­wehr und die Auf­klä­rung von Ver­bre­chen zu­stän­dig war. 1804 schrieb der Köl­ner Mai­re Jo­hann Ja­kob Witt­gen­stein (1754-1823): „Es [ist] ei­ne der Haupt­auf­ga­ben ei­ner gut or­ga­ni­sier­ten Po­li­zei, ge­nau­so über die öf­fent­li­che Ru­he wie die Si­cher­heit der Ein­woh­ner und ihr Ei­gen­tum zu wa­chen, und ge­eig­ne­te Me­tho­den ein­zu­set­zen, um nicht nur den De­lik­ten vor­zu­beu­gen, son­dern auch um die­je­ni­gen in ih­ren ver­steck­tes­ten Win­keln zu ent­de­cken, die be­reits be­gan­gen wur­den, da­mit sie von dem zu­stän­di­gen Ge­richt ver­folgt wer­den kön­nen.“[5]

Ein ers­ter Schritt war die Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der fran­zö­si­schen Gen­dar­me­rie im Jahr 1798. Ge­grün­det wor­den war die Gen­dar­me­rie 1791 in Frank­reich. Sie ent­wi­ckel­te sich aus der ehe­ma­li­gen kö­nig­li­chen Ma­ré­chaus­sée, die für die Si­cher­heit auf den gro­ßen Stra­ßen zu­stän­dig ge­we­sen war. 1798 stell­te Bri­ga­de­ge­ne­ral Wiri­on die Gen­dar­me­rie neu auf – par­al­lel zu ih­rer Ein­füh­rung in den vier neu­en rhei­ni­schen De­par­te­ments. In dem da­zu an­ge­fer­tig­ten Zir­ku­lar-Schrei­ben vom 6. Fruc­tidor VI (23.8.1798) hei­ßt es: „Die Na­tio­nal-Gen­dar­me­rie ist haupt­säch­lich ein­ge­setzt, um auf die Si­cher­heit der Land­ge­gen­den und der gro­ßen Stra­ßen zu wa­chen“.[6]

Um die Si­cher­heit auf dem Land zu ge­währ­leis­ten, wur­den der Gen­dar­me­rie zwei Auf­ga­ben­fel­der zu­ge­wie­sen:

  1. die Auf­ga­ben ei­ner ad­mi­nis­tra­ti­ven Po­li­zei, um Ge­fah­ren ab­zu­weh­ren (all­ge­mei­ne Über­wa­chung, Be­kämp­fung des Va­gan­ten­tums, as­sis­tie­ren­de Auf­ga­ben, Es­kor­tie­rung von Kon­vois, Si­che­rung der Ord­nung auf Märk­ten, Jahr­märk­ten, Fes­ten und sons­ti­gen Ver­samm­lun­gen)
  2. die Auf­ga­ben ei­ner jus­ti­zi­el­len Po­li­zei, zur Ein­däm­mung von Ta­ten, die nicht ver­hin­dert wer­den konn­ten (Fest­stel­lung von Ver­bre­chen und De­lik­ten, Durch­füh­rung von Ver­hö­ren, Auf­nah­me von Kla­gen und Zeu­gen­aus­sa­gen, Ver­haf­tung von Kri­mi­nel­len).

Da­mit sind im Prin­zip die Auf­ga­ben ei­ner mo­der­nen Po­li­zei ziem­lich ge­nau be­schrie­ben.

Die neu­en Her­ren aus Frank­reich stütz­ten sich bei der Ein­rich­tung ei­ner pro­fes­sio­nel­le­ren Po­li­zei in den vier rhei­ni­schen De­par­te­ments auf die be­reits vor­han­de­nen Struk­tu­ren. So wur­den die Bür­ger­haupt­leu­te der ehe­ma­li­gen frei­en Reichs­stadt Köln kur­zer­hand zu be­sol­de­ten Po­li­zei­kom­mis­sa­ren. Auch be­reits im Ent­ste­hen be­grif­fe­ne Ent­wick­lun­gen wur­den auf­ge­grif­fen, wie die Zen­tra­li­sie­rung des In­for­ma­ti­ons­flus­ses über ver­däch­ti­ge Per­so­nen und de­ren de­tail­lier­te Er­fas­sung. Wohn­ort­wech­sel wur­den mel­de­pflich­tig. An­sons­ten wur­den die vor­han­de­nen Me­tho­den der Frem­den­über­wa­chung nur mit mehr Nach­druck ver­kün­det, was manch­mal er­folg­reich war, manch­mal we­ni­ger. Die weit­aus häu­figs­te ver­häng­te Stra­fe war der Ver­weis aus der Stadt oder Ge­mein­de. Erst nach und nach be­griff man, dass da­mit das Pro­blem nicht ge­löst, son­dern nur ver­la­gert wur­de. Die ter­ri­to­ria­le Zer­split­te­rung des Al­ten Reichs hat­te der Aus­wei­sung ja noch ei­ne ge­wis­se Be­rech­ti­gung ge­ge­ben. Das Mit­tel der Aus­wei­sung war recht sim­pel und kos­ten­scho­nend. Es muss­ten kei­ne Ge­rich­te be­müht und kei­ne Ge­fan­ge­nen ver­kös­tigt wer­den. Vom ad­mi­nis­tra­ti­ven Auf­wand ganz zu schwei­gen. Un­ter den neu­en Um­stän­den in ei­nem gro­ßen Staats­ver­band aber war die­ses Mit­tel al­ler­dings nicht mehr taug­lich.

Die­se auf klei­ne­re ter­ri­to­ria­le Ein­hei­ten zu­ge­schnit­te­ne Pra­xis wur­de nach 1798 al­ler­dings nicht voll­stän­dig ab­ge­schafft. Um­her­zie­hen­de Ar­me und Bett­ler wur­den jetzt nur dann ab­ge­scho­ben, wenn sie aus ei­nem an­de­ren De­par­te­ment oder aus dem Aus­land stamm­ten. Wenn die Bett­ler aber aus dem De­par­te­ment stamm­ten, in dem sie un­ter­wegs wa­ren, so stand ih­nen ei­ne Un­ter­stüt­zung zu. Die Kos­ten für die Ver­haf­tung und Ab­schie­bung de­par­te­ments­frem­der Bett­ler über­nahm der Staat. Da­mit wur­den die kom­mu­na­len Kas­sen ent­las­tet und für die Ge­mein­den ein An­reiz zur Ko­ope­ra­ti­on ge­schaf­fen.

Verordnung des Ministers des Innern des Großherzogtums Berg aus dem Jahr 1808, in der die Aufnahme von Bezeichnungen verdächtiger Personen angeordnet wird. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 

Ei­ne bis heu­te zen­tra­le Me­tho­de, um mo­bi­le Men­schen zu kon­trol­lie­ren, ist die Aus­stat­tung die­ser Men­schen mit Päs­sen. Der Pass be­geg­net uns erst­mals im aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter als Aus­weis­pa­pier für Bo­ten. Da­nach wur­den Päs­se vor al­lem zur Kon­trol­le von Sol­da­ten ver­wen­det, die da­mit be­wei­sen muss­ten, dass sie sich er­laub­ter­wei­se von der Trup­pe ent­fernt hat­ten. Doch nach und nach wur­den Päs­se auch für an­de­re Be­völ­ke­rungs­grup­pen ver­wen­det, de­ren Kon­trol­le im In­ter­es­se der Ob­rig­keit lag. Da­zu zähl­ten bald die um­her­zie­hen­den Bett­ler, die mit dem Pass nach­wei­sen muss­ten, ob sie in ei­ner Ge­mein­de un­ter­stüt­zungs­be­rech­tigt wa­ren. Der Pass soll­te da­zu die­nen, sei­nen Trä­ger als den aus­zu­wei­sen, der er zu sein vor­gibt. Par­al­lel da­zu wur­den bei den Be­hör­den Re­gis­ter an­ge­legt, in de­nen theo­re­tisch al­le aus­ge­stell­ten Päs­se re­gis­triert wur­den. Ein Pass war er­for­der­lich, so­bald man sei­ne Hei­mat­ge­mein­de ver­ließ.

Die Ein­glie­de­rung der links­rhei­ni­schen Ge­bie­te in den fran­zö­si­schen Staat im Jahr 1798 brach­te ei­ne Ver­staat­li­chung des Pass­we­sens mit sich. Nun wur­de von Pa­ris aus be­stimmt, wie das Pass­we­sen ge­re­gelt wer­den soll­te. Dies hat­te den ent­schei­den­den Vor­teil, dass es nun im Links­rhei­ni­schen, ab 1806 auch im Rechts­rhei­ni­schen, ein­heit­li­che Vor­schrif­ten gab. Zu­dem wur­de die Pas­ser­tei­lung zen­tra­li­siert und ra­tio­na­li­siert.

Die Päs­se dien­ten der Kon­trol­le der Mo­bi­li­tät. Da­von ver­sprach man sich ei­ne wirk­sa­me Be­kämp­fung der Kri­mi­na­li­tät, das schnel­le Auf­spü­ren von De­ser­teu­ren und Wehr­dienst­ver­wei­ge­rern, so­ge­nann­ten Re­frak­tä­ren, so­wie die Ver­hin­de­rung oder zu­min­dest Re­du­zie­rung des Va­gan­ten­tums. Doch die Räu­ber und Gau­ner wa­ren nicht auf den Kopf ge­fal­len, son­dern ih­nen ge­lang es ziem­lich oft, die Be­hör­den übers Ohr zu hau­en. Sie ga­ben sich als ehr­ba­re Wan­der­händ­ler aus oder ver­wen­de­ten Pa­pie­re für Hand­werks­ge­sel­len auf Wan­der­schaft. Un­ter die­sem Deck­man­tel ge­lang es ih­nen auch, sich in frem­de Häu­ser ein­zu­schlei­chen und dort ih­re Raub­über­fäl­le aus­zu­üben.

Ge­ra­de die­se Fehl­schlä­ge aber wa­ren es, die die Be­hör­den da­zu an­sporn­ten, das Pass­we­sen zu ver­bes­sern oder be­stimm­te Be­rei­che über­haupt erst staat­lich zu re­gu­lie­ren. So war dem Pro­vin­zi­al­rat von Sieg­burg ei­ne Rei­he von Kla­gen zu Oh­ren ge­kom­men, dass vie­le Bett­ler un­ter dem Na­men von Hand­werks­bur­schen bet­teln wür­den. Es sei schwie­rig, dies zu kon­trol­lie­ren, da die Hand­werks­bur­schen le­dig­lich mit ei­ner Kund­schaft ih­res Meis­ters aus­ge­stat­tet sei­en. Aus Sieg­burg kam der Vor­schlag an den Mi­nis­ter des In­nern des Gro­ßher­zog­tums Berg, die­se Kund­schaf­ten nicht als Päs­se an­zu­er­ken­nen, son­dern den Hand­werks­bur­schen, so­weit sie arm sind, un­ent­gelt­lich Päs­se aus­zu­stel­len.

Die­ser Vor­schlag, der in­ten­siv dis­ku­tiert wur­de, wur­de schlie­ß­lich um­ge­setzt. Die Aus­weis­pflicht wur­de so­mit auf ei­nen wei­te­ren Per­so­nen­kreis aus­ge­dehnt.

6. Fazit

Im Al­ten Reich be­stand ein struk­tu­rel­les Un­ver­mö­gen der Ob­rig­kei­ten, das Va­gan­ten­tum nach­hal­tig zu be­kämp­fen. Die Vor­stel­lung von ei­ner gu­ten Po­li­cey, die sämt­li­che Le­bens­be­rei­che re­gelt, wur­de den am En­de des 18. Jahr­hun­dert her­vor­bre­chen­den Kon­flik­ten nicht mehr ge­recht. Doch muss fest­ge­hal­ten wer­den, dass es be­reits mehr oder we­ni­ger er­folg­rei­che Be­mü­hun­gen gab, das Va­gan­ten­tum zu be­kämp­fen und für mehr Si­cher­heit vor al­lem auf dem Lan­de zu sor­gen. Er­in­nert sei nur an die kur­k­öl­ni­sche Hu­sa­ren­kom­pa­gnie.

Die­se An­sät­ze wur­den un­ter den neu­en fran­zö­si­schen Her­ren durch­aus fort­ge­führt. Jetzt wur­den sie al­ler­dings mit mehr Här­te und grö­ße­rer Kon­se­quenz um­ge­setzt. Dies er­for­der­ten al­lein schon die im Ge­fol­ge der Ko­ali­ti­ons­krie­ge ent­stan­de­nen Räu­ber­ban­den. Sie stell­ten ei­ne gro­ße Her­aus­for­de­rung für den Staat dar, der sich nun aber zu weh­ren wuss­te. Die Furcht vor den ge­fähr­li­chen Ban­den zog ei­ne ge­stei­ger­te Kri­mi­na­li­sie­rung al­ler Va­gan­ten nach sich. Die Ban­den­kri­mi­na­li­tät sorg­te auf die­se Wei­se für ei­nen Aus­bau der In­stru­men­te zur Wah­rung der in­ne­ren Si­cher­heit.

Wich­ti­ge As­pek­te zur Er­hö­hung der all­ge­mei­nen Si­cher­heit wa­ren der Auf­bau ei­ner gut funk­tio­nie­ren­den Po­li­zei bzw. Gen­dar­me­rie so­wie die Eta­blie­rung ei­nes bis ins De­tail ge­re­gel­ten Pass­we­sens. Oh­ne die ter­ri­to­ria­le Ver­ein­heit­li­chung der links­rhei­ni­schen Ge­bie­te  und die recht­li­che An­glei­chung der rechts­rhei­ni­schen Ge­bie­te wä­ren die­se An­stren­gun­gen al­ler­dings nur schwer durch­zu­set­zen ge­we­sen. Die Räu­ber hat­ten nun kei­ne Chan­ce mehr, sich in ein Ge­biet ab­zu­set­zen, das nicht von Frank­reich kon­trol­liert wur­de.

Eben­so re­le­vant zur dau­er­haf­ten Nie­der­schla­gung des Ban­den­we­sens tru­gen noch an­de­re Fak­to­ren bei, die hier nicht be­rück­sich­tigt wer­den konn­ten oder nur am Ran­de er­wähnt wur­den. Da­zu zäh­len die Neu­or­ga­ni­sa­ti­on des Jus­tiz­we­sens, die Eta­blie­rung von Ge­fäng­nis­sen an­stel­le von Kör­per­stra­fen und die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung des Ar­men­we­sens. Das Übel wur­de zu­neh­mend an der Wur­zel ge­packt. Nicht zu­letzt ge­lang es vor al­lem dem öf­fent­li­chen An­klä­ger An­ton Keil durch be­harr­li­che Nach­for­schun­gen, die Rä­dels­füh­rer der Ban­den zu er­mit­teln und aus dem Weg zu räu­men.

Zum Schluss soll noch ein­mal der Fet­zer zu Wort kom­men: „Ich ha­be es aus der Ge­schich­te von mei­nes Glei­chen be­stä­tigt ge­fun­den, daß, so­bald der Ruhm ei­nes Räu­bers zu groß zu wer­den an­fängt, er nicht mehr lan­ge mit­macht, und der Jus­tiz bald in die Hän­de fällt; so ging es auch mir. […] Mein Ruhm er­scholl im­mer mehr und mehr; al­lein die­ses zog auch mei­nen Un­ter­gang nach sich.“[7]

Quellen

Un­ge­druck­te Quel­len
Lan­des­ar­chiv NRW Ab­tei­lung Rhein­land (LAV NRW R), Ro­er­de­par­te­ment, Gro­ßher­zog­tum Berg, Ge­rich­te Rep. 12 (Tri­bu­nal Cri­mi­nel Aa­chen)
His­to­ri­sches Ar­chiv der Stadt Köln (HAStK), 350-FV (Fran­zö­si­sche Ver­wal­tung)

Ge­druck­te Quel­len
Be­cker, Jo­hann Ni­ko­laus: Ac­ten­mä­ßi­ge Ge­schich­te der Räu­ber­ban­den an den bey­den Ufern des Rheins. Zwey­ter Teil. Ent­hal­tend die Ge­schich­te der Bra­b­än­ti­schen, Hol­län­di­schen, Mer­sener, Crevel­der, Neu­ßer, Neu­wie­der und West­phä­li­schen Räu­ber­ban­de; aus den Kri­mi­nal-Pro­to­col­len und ge­hei­men No­ti­zen des Br. Keil, ehe­ma­li­gen öf­fent­li­chen An­klä­ger im Ro­er-De­par­te­men­te, zu­sam­men­ge­tra­gen von ei­nem Mit­glie­de des Be­zirks-Ge­richts in Cöln, Cöln 1804. 

Literatur

Bro­ers, Mi­cha­el, Na­po­le­on’s Other War. Ban­dits, Re­bels and their Pur­su­ers in the Age of Re­vo­lu­ti­ons, Ox­ford 2010.
Finzsch, Nor­bert,brig­keit und Un­ter­schich­ten. Zur Ge­schich­te der Rhei­ni­schen Un­ter­schich­ten ge­gen En­de des 18. und zu Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts, Stutt­gart 1990.
Finzsch, Nor­bert, Räu­ber und Gen­dar­me im Rhein­land: Das Ban­den­we­sen in den vier rhei­ni­schen De­par­te­ments vor und wäh­rend der Zeit der fran­zö­si­schen Ver­wal­tung (1794-1814), in: Fran­cia 15 (1987), S. 435-470.
Här­ter, Karl, „... zum Bes­ten und Si­cher­heit des ge­mei­nen We­sens ...“. Kur­k­öl­ni­sche Po­li­ce­y­ge­setz­ge­bung wäh­rend der Re­gie­rung des Kur­fürs­ten Cle­mens Au­gust, in: Zehn­der, Frank Gün­ter (Hg.), Im Wech­sel­spiel der Kräf­te. Po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen des 17. und 18. Jahr­hun­derts in Kur­k­öln, Köln 1999, S. 203-235.
Künt­zel, As­trid, Frem­de in Köln. In­te­gra­ti­on und Aus­gren­zung zwi­schen 1750 und 1814, Köln/Wei­mar/Wien 2008.
Küt­her, Cars­ten, Räu­ber und Gau­ner in Deutsch­land. Das or­ga­ni­sier­te Ban­den­we­sen im 18. und frü­hen 19. Jahr­hun­dert, Göt­tin­gen 1976.
Lan­ge Kat­rin, Ge­sell­schaft und Kri­mi­na­li­tät. Räu­ber­ban­den im 18. und frü­hen 19. Jahr­hun­dert, Frank­furt a. M. [u. a.] 1994.

Pass für August Zabel, Generaldirektor im Finanzministerium des Großherzogtums Berg, für eine Reise in die Schweiz, 1810.

 
Zitationshinweis

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Küntzel, Astrid, Räuber und Gauner im Rheinland 1798-1814, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/raeuber-und-gauner-im-rheinland-1798-1814/DE-2086/lido/57d124ad931b74.08562974 (abgerufen am 08.12.2024)