Romanisierung im Rheinland

Lennart Gilhaus (Bonn)

Das römische Weltreich von 200 v. Chr. bis 117 n. Chr. (Putzger, Atlas und Chronik zur Weltgeschichte, S. 46).

1. Einleitung

Ro­ma­ni­sie­rung ist ein zen­tra­les Kon­zept der al­ter­tums­wis­sen­schaft­li­chen For­schung zur Er­klä­rung der po­li­ti­schen, so­zia­len, kul­tu­rel­len und öko­no­mi­schen Wand­lungs­pro­zes­se in Ita­li­en und den Pro­vin­zen des rö­mi­schen Rei­ches in der Kai­ser­zeit.[1]  Der Be­griff wur­de um die Wen­de vom 19. zum 20. Jahr­hun­dert von Theo­dor Momm­sen und Fran­cis Ha­ver­field ge­prägt.[2]  Seit­dem hat sich das Ver­ständ­nis der Ent­wick­lun­gen in den Pro­vin­zen al­ler­dings mehr­fach grund­le­gend ge­wan­delt und bis heu­te be­steht kein Kon­sens über die Ur­sa­chen, Trä­ger und Fol­gen der Ro­ma­ni­sie­rung. Tei­le der For­schung leh­nen so­gar die Ver­wen­dung des Be­grif­fes selbst ab. Nichts­des­to­we­ni­ger ge­rät bei den vor­ge­schla­ge­nen Er­satz­be­grif­fen die ent­schei­den­de Macht, näm­lich das Im­pe­ri­um Ro­ma­num, aus dem Blick. Zwar be­trieb Rom kei­ne for­cier­te Kul­tur­po­li­tik, und vie­le Ver­än­de­run­gen sind durch das Be­stre­ben der pro­vin­zia­len Eli­ten nach An­schluss an das im­pe­ria­le Zen­trum er­klär­bar. Den­noch soll­te der Ein­fluss der kai­ser­li­chen Re­prä­sen­ta­ti­on und der rö­mi­schen Ad­mi­nis­tra­ti­on auf die Ver­hält­nis­se in den Pro­vin­zen nicht un­ter­schätzt wer­den. Da­für spricht auch, dass sich an­ti­ke Au­to­ren durch­aus der Ver­än­de­run­gen im Reich be­wusst wa­ren und die­se auf die Wir­kung Roms zu­rück­führ­ten, auch wenn sie da­für kei­nen über­ge­ord­ne­ten Be­griff kann­ten.[3] 

Die Eroberung Galliens von 58 vis 51 v. Chr. (Putzger, Atlas und Chronik zur Weltgeschichte, S. 49).

 

Weit­ge­hen­de Ei­nig­keit be­steht heu­te aber hin­sicht­lich der Chro­no­lo­gie der Ro­ma­ni­sie­rung. Um die Zei­ten­wen­de lässt sich näm­lich ei­ne Pha­se grund­le­gen­der Wand­lungs­pro­zes­se er­ken­nen, die gleich­zei­tig Rom, Ita­li­en und die Pro­vin­zen er­fass­te. In die­ser „Ro­man Cul­tu­ral Re­vo­lu­ti­on“ ent­stand ein reichs­wei­tes kul­tu­rel­les und so­zia­les Be­zugs­sys­tem.[4]  In­so­fern dür­fen die Ver­än­de­run­gen in den Pro­vin­zen nicht ein­fach als Ko­pie haupt­städ­ti­scher Ver­hält­nis­se an­ge­se­hen wer­den, die­se Ent­wick­lun­gen be­din­gen sich viel­mehr. Vor­aus­set­zun­gen für die ver­stärk­te In­te­gra­ti­on der Pro­vin­zen dürf­ten un­ter an­de­rem mit der Eta­blie­rung des rö­mi­schen Kai­ser­tums, den da­mit ein­her­ge­hen­den neu­en For­men der Reichs­ver­wal­tung so­wie der Aus­wan­de­rung und An­sied­lung von Ita­li­kern in den Pro­vin­zen zu­sam­men­hän­gen. Ent­spre­chend den je­wei­li­gen Vor­aus­set­zun­gen in den Pro­vin­zen ge­stal­te­te sich die­se for­ma­ti­ve Pha­se durch­aus un­ter­schied­lich und hat­te nicht über­all die glei­che Dau­er. Im An­schluss an die­se ers­te Pe­ri­ode gro­ßer Ver­än­de­run­gen bil­de­ten sich lang­sam dif­fe­ren­zier­te und durch­aus ei­gen­stän­di­ge rö­mi­sche Pro­vin­zi­al­kul­tu­ren aus – so auch in der Pro­vinz Ger­ma­nia In­fe­ri­or.

2. Die formative Phase: Von Augustus bis zum Bataveraufstand

Gallien Britannien und Germanien zur Römerzeit. (Westermann Grosser Atlas zur Weltgeschichte, S. 36).

 

2.1 Voraussetzungen und Ansiedlungen

Das Ge­biet der spä­te­ren Pro­vinz Nie­der­ger­ma­ni­en  um­fass­te west­lich be­zie­hungs­wei­se süd­lich des Rheins ge­le­ge­ne Ge­bie­te im heu­ti­gen Deutsch­land, in den Nie­der­lan­den so­wie in Nord­os­ten Bel­gi­ens. Im Sü­den bil­de­te der Vinxt­bach bei Bad Brei­sig die Gren­ze zu Ober­ger­ma­ni­en. In der Zeit vor den gal­li­schen Krie­gen Cae­sar wur­de die Re­gi­on von den Ebu­ro­nen  be­herrscht. Cae­sar (100-44 v. Chr.) zer­schlug die­sen Stam­mes­ver­band, und in der Fol­ge­zeit exis­tier­ten am Nie­der- und Mit­tel­rhein of­fen­bar kei­ne grö­ße­ren po­li­ti­schen Ver­bän­de mehr. Zu­dem ver­füg­te die Re­gi­on we­der über städ­ti­sche Ge­mein­we­sen noch über ei­ne ei­gen­stän­di­ge Schrift­kul­tur. Un­ter Au­gus­tus (63 v.-14 n. Chr., Kai­ser 31v.-14 n. Chr.), als sich die rö­mi­sche Herr­schaft am Rhein in­ten­si­vier­te, wur­de da­her ei­ne ad­mi­nis­tra­ti­ve Neu­or­ga­ni­sa­ti­on des Raums not­wen­dig, zu­mal von hier aus Feld­zü­ge ins rechts­rhei­ni­sche Ge­biet un­ter­nom­men wur­den, um Ger­ma­ni­en bis zur El­be zu er­obern. Dem­entspre­chend wur­den meh­re­re rechts­rhei­ni­sche Stäm­me im ehe­ma­li­gen ebu­ro­ni­schen Ge­biet an­ge­sie­delt. So er­hiel­ten die Ubier  das Ge­biet um Köln; die Cu­ge­ner, ei­ne Ab­spal­tung der Su­gam­brer, sie­del­ten bei Xan­ten, und die Can­ni­nefa­ten und Ba­ta­ver, die sich von den Chat­ten ge­trennt hat­ten, lie­ßen sich im Rhein­del­ta nie­der. Nach dem Vor­bild der ci­vi­ta­tes im In­ne­ren Gal­li­ens rich­te­te die rö­mi­sche Ver­wal­tung auch Zen­tra­lor­te für die neu­en Stäm­me ein, die eben­falls als Ver­kehrs­kno­ten­punk­te dien­ten.[5]  Als Zen­trum ei­ner ge­plan­ten gro­ß­ger­ma­ni­schen Pro­vinz, die bis zur El­be rei­chen soll­te, soll­te Köln fun­gie­ren, wo auch ein Pro­vin­zi­al­kult ein­ge­rich­tet wur­de.[6]

Gallien und Rätien zur Römerzeit. (Westermann Grosser Atlas zur Weltgeschichte, S. 37).

 

2.2 Die römische Militärpräsenz und das kriegerische Selbstverständnis der Stämme

Auch wenn die Er­obe­rung der Ger­ma­nia Ma­gna schei­ter­te und zu­nächst auch im Rhein­land kei­ne ei­ge­ne Pro­vinz ein­ge­rich­tet wur­de, son­dern die Re­gi­on mit der Pro­vinz Gal­lia Bel­gi­ca ver­bun­den war, blieb den­noch die star­ke Kon­zen­tra­ti­on rö­mi­schen Mi­li­tärs be­ste­hen, da sich der Fluss nach und nach zur fes­ten Gren­ze ent­wi­ckel­te. Das rö­mi­sche Heer war zu­nächst haupt­säch­li­cher Trä­ger rö­mi­scher Kul­tur im Rhein­land.[7]  Auf­grund der Be­dürf­nis­se der Le­gio­nä­re, die zum über­wie­gen­den Teil aus Nord­ita­li­en und Süd­gal­li­en stamm­ten, wur­den zahl­rei­che me­di­ter­ra­ne Kon­sum­gü­ter wie Wein, Oli­ven­öl und Tisch­ge­schirr an den Rhein ge­bracht. Da­ne­ben kam es auch zu ei­nem star­ken Zu­fluss rö­mi­scher Mün­zen, de­rer sich of­fen­bar auch die Ein­hei­mi­schen ger­ne be­dien­ten – zu­min­dest ver­schwan­den äl­te­re Geld­sys­te­me sehr schnell. Die meis­ten In­schrif­ten der ju­lisch-clau­di­schen Zeit wur­den auch von An­ge­hö­ri­gen des Mi­li­tärs ge­setzt, die mit die­sen Mo­nu­men­ten of­fen­bar ih­ren be­son­de­ren Sta­tus in der Pro­vinz deut­lich her­vor­he­ben woll­ten.

Der Limes in Germanien. (Der Grosse Ploetz - Atlas zur Weltgeschichte, S. 46).

 

Das rö­mi­sche Heer war aber auch der haupt­säch­li­che Mo­tor für die Ro­ma­ni­sie­rung der ger­ma­ni­schen Stäm­me. Im Ge­gen­zug für die Er­laub­nis zur An­sied­lung im rö­mi­schen Reich wa­ren die­se zur Stel­lung von Hilfs­trup­pen ver­pflich­tet, zu­gleich aber von wei­te­ren Ab­ga­ben be­freit. Die Ein­hei­ten wa­ren eth­nisch ein­heit­lich struk­tu­riert und wur­den von Ade­li­gen des Stam­mes ge­führt. Die Be­las­tung für die ger­ma­ni­schen Stäm­me war be­trächt­lich: Die Ba­ta­ver et­wa stell­ten acht oder neun Ko­hor­ten so­wie ei­ne Rei­ter­ein­heit (ala), ins­ge­samt al­so 4.500–5.000 Mann. Auch wenn zu ver­mu­ten ist, dass die Ba­ta­ver zu­dem Sol­da­ten bei den be­nach­bar­ten Stäm­men an­war­ben, kann man al­so da­von aus­ge­hen, dass je­de ba­ta­vi­sche Fa­mi­lie von den Re­kru­tie­run­gen be­trof­fen war.[8]  Den Ba­ta­vern wur­de so­gar ge­stat­tet, ihr Stam­mes­ge­biet mit der dort sta­tio­nier­ten Rei­te­ra­la selbst zu ver­tei­di­gen. Die Ko­hor­ten, die aus Fuß­sol­da­ten ge­bil­det wur­den, nah­men hin­ge­gen an ver­schie­de­nen aus­wär­ti­gen Ein­sät­zen teil und wa­ren vor al­lem län­ge­re Zeit in Bri­tan­ni­en sta­tio­niert; die Sol­da­ten kehr­ten nach ih­rem Mi­li­tär­dienst aber in die Hei­mat zu­rück.

Deutschland in römischer Zeit, zu sehen sind unter anderem die germanischen Siedlungsräume und die wichtigsten römischen Feldzüge zwischen 12 v. Chr. und 16 n. Chr. (Putzger, Atlas und Chronik zur Weltgeschichte, S. 59).

 

We­gen ih­res be­son­de­ren An­se­hens wur­den Ba­ta­ver und Ubier auch be­vor­zugt in die kai­ser­li­che Leib­gar­de auf­ge­nom­men. Ar­chäo­lo­gi­sche Fun­de zei­gen zu­dem ei­ne ho­he Dich­te an Mi­li­ta­ria im Sied­lungs­be­reich der Ba­ta­ver. Zen­tra­les Merk­mal der Iden­ti­tät der männ­li­chen Ba­ta­ver war al­so ihr Selbst­ver­ständ­nis als Eli­te­sol­da­ten, das aber in die­ser Form erst in Kon­takt und Aus­tausch mit Rom ge­schaf­fen wur­de.[9]  Nichts­des­to­we­ni­ger tru­gen die eth­ni­sche Ge­schlos­sen­heit der Ein­hei­ten und die Füh­rung durch die ei­ge­ne Eli­te zur Ei­gen­stän­dig­keit der Stäm­me bei. Auf der an­de­ren Sei­te wur­den wäh­rend des Hee­res­diens­tes die Sol­da­ten mit rö­mi­schen Kom­man­do­struk­tu­ren und In­sti­tu­tio­nen ver­traut ge­macht. Vor al­lem lern­ten sie die la­tei­ni­sche Spra­che, die sich da­her auch schnell zur Ver­kehrs- und Um­gangs­spra­che im Rhein­land ent­wi­ckel­te. Die häu­fi­gen Fun­de von Sie­gel­kap­seln zeu­gen zu­dem von ei­nem ho­hen Grad an Le­se- und Schreib­fä­hig­keit bei den Stäm­men in der Re­gi­on.[10]  Die Aris­to­kra­ten wur­den au­ßer­dem grö­ß­ten­teils mit dem rö­mi­schen Bür­ger­recht aus­ge­zeich­net und so­mit zu­sätz­lich an Rom ge­bun­den.

Ausrüstung eines Auxiliarsoldaten im 3. Jahrhundert, ausgestellt im Römerkastell Saalburg, 2011, Foto: Heribert Pohl. (CC BY-SA 2.0)

 

2.3 Die Schwächen der Integration und der Bataveraufstand

Be­zugs­punk­te des Selbst­ver­ständ­nis­ses der Stäm­me bil­de­ten al­so so­wohl Rom als auch der ei­ge­ne Stamm. So­lan­ge die­se Iden­ti­tä­ten nicht in Wi­der­spruch zu­ein­an­der ge­rie­ten, stan­den die Stäm­me loy­al zum Kai­ser. Die pre­kä­re In­te­gra­ti­on zeig­te sich al­ler­dings im Ba­ta­ver­auf­stand (69/70 n. Chr.).[11] Im Zu­ge der Thron­wir­ren nach Ne­ros (37-68 n. Chr., Kai­ser 54-68 n. Chr.) Selbst­mord woll­te der neue Kai­ser Au­lus Vi­tel­li­us (15-69 n. Chr., Kai­ser April-22.12.69 n. Chr.) Aus­he­bun­gen im ba­ta­vi­schen Ge­biet vor­neh­men (Ja­nu­ar 69 n. Chr.), was in den Au­gen der Ba­ta­ver ei­ne Ver­let­zung der be­ste­hen­den ver­trag­li­chen Ver­hält­nis­se mit Rom bil­de­te.[12] Die Ba­ta­ver be­trach­te­ten sich als pri­vi­le­gier­te Ver­bün­de­te, die Rö­mer sa­hen sie vor al­lem als Un­ter­ta­nen an. Vor der Er­he­bung der Ba­ta­ver war es auch schon zu Un­ru­hen bei den Frie­sen und Can­ni­nefa­ten ge­kom­men und der ba­ta­vi­sche Aris­to­krat Iu­li­us Ci­vi­lis (25-nach 70 n. Chr.), der ei­ni­ge De­mü­ti­gun­gen durch das nie­der­ger­ma­ni­sche Heer hat­te hin­neh­men müs­sen, stell­te sich rasch an die Spit­ze der Auf­stands­be­we­gung.[13]  Die Ba­ta­ver er­grif­fen Par­tei für den Thron­prä­ten­den­ten Ves­pa­si­an (9-79 n. Chr., Kai­ser 1.7.69-23.7.79 n. Chr.) und er­hoff­ten sich vom ihm die Be­stä­ti­gung ih­rer be­son­de­ren Stel­lung. Als die Ord­nung am Rhein in­fol­ge der an­hal­ten­den Bür­ger­kriegs­si­tua­ti­on aber weit­ge­hend zu­sam­men­brach, ver­folg­ten die Auf­stän­di­schen, de­nen sich bald auch Tre­ve­rer, Lin­go­nen und so­gar rechts­rhei­ni­sche Stäm­me an­schlos­sen, bald sehr un­ter­schied­li­che, im Ein­zel­nen aber kaum noch zu re­kon­stru­ie­ren­de Zie­le – je­den­falls kam es zur Es­ka­la­ti­on des Kon­flikts.[14] 

Die Verschwörung der Bataver unter Claudius Civilis, Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606–1669), Öl auf Leinwand, 196 x 309 cm, ca. 1660 (Nationalmuseum Stockholm).

 

Als Tei­le der Auf­stän­di­schen dann ent­ge­gen ei­ner eid­li­chen Zu­si­che­rung und ge­gen den Wil­len des Ba­ta­ver und ih­res An­füh­rers Iu­li­us Ci­vi­lis die rö­mi­sche Be­sat­zung des La­gers Ve­te­ra bei Xan­ten mas­sa­krier­ten (März 70 n. Chr.),[15] schick­te Ves­pa­si­an ein gro­ßes Auf­ge­bot un­ter dem Kom­man­do von Quin­tus Pe­til­li­us Ce­ria­lis (ge­bo­ren um 30 n. Chr.) an den Rhein, der den Auf­stand rasch nie­der­schla­gen konn­te (Sep­tem­ber/Ok­to­ber 70 n. Chr.).[16]  Die Ba­ta­ver sa­hen sich so­gar ge­zwun­gen, ih­ren Haupt­ort op­pi­dum Ba­ta­vo­r­um bei Nim­we­gen nie­der­zu­bren­nen,[17] was zeigt, dass trotz der Be­mü­hun­gen der rö­mi­schen Ad­mi­nis­tra­ti­on die Stam­me­se­li­ten die Stadt nicht als den wich­tigs­ten Zen­tra­lort des Stam­mes be­trach­te­ten, den es um je­den Preis zu ver­tei­di­gen galt.

Kaiser Vespasian (9-79 n. Chr.), Teil einer in der Anfangszeit seiner Regierung gefertigten Statue, Vatikanische Museen, 2015, Foto: Rabax63. (CC BY-SA 4.0)

 

Nur wi­der­wil­lig hat­ten sich hin­ge­gen die Ubier dem Auf­stand an­ge­schlos­sen. Ihr Haupt­ort bil­de­te das ad­mi­nis­tra­ti­ve Zen­trum Nie­der­ger­ma­ni­ens und war des­halb schon in au­gustei­scher Zeit re­prä­sen­ta­tiv aus­ge­stal­tet wor­den. Dort hat­te Kai­ser Clau­di­us (10 v.-54 n. Chr., Kai­ser 24.1.41-54 n. Chr.) 50 n. Chr. zu­dem ei­ne Ve­te­ra­nen­ko­lo­nie mit dem Na­men Co­lo­nia Clau­dia Ara Agrip­pi­nen­si­um an­ge­legt. Die Ubier ar­ran­gier­ten sich rasch mit den Neu­an­kömm­lin­gen und bis zum En­de des 1. Jahr­hun­derts ver­schwand der Ubi­er­na­me weit­ge­hend – die Ubier wa­ren in der co­lo­nia der Agrip­pi­nen­ses auf­ge­gan­gen.[18] Da­her wi­der­stan­den die Ubier auch der For­de­rung der Auf­stän­di­schen, al­le Rö­mer in der Stadt um­zu­brin­gen, weil sie schon längst Ehe­ge­mein­schaf­ten mit den an­ge­sie­del­ten Ve­te­ra­nen ge­schlos­sen hät­ten und aus die­sen Ver­bin­dun­gen Kin­der ent­stan­den sei­en, und nutz­ten die ers­te Ge­le­gen­heit, sich wie­der von den Auf­stän­di­schen los­zu­sa­gen.[19]

3. Ausbildungen einer Provinzialkultur nach dem Bataveraufstand

Rekonstruktion der römischen Colonia Claudia Ara Agrippinensium im 3. und 4. Jahrhundert, Römisch-Germanisches Museum, Köln, Foto: Nicolas von Kospoth.

 

3.1 Urbanisierung, Munizipalisierung und Gesellschaft

Nach dem Ba­ta­ver­auf­stand lässt sich kei­ne grund­sätz­li­che Ver­än­de­rung der rö­mi­schen Po­li­tik er­ken­nen. Zwar rück­te man nach und nach vom Prin­zip der eth­nisch ein­heit­li­chen mi­li­tä­ri­schen Ein­hei­ten ab, zu­nächst hat­te man aber of­fen­sicht­lich die Pri­vi­le­gi­en der Ba­ta­ver er­neu­ert. Auch ver­leg­te man je­weils ei­ne Le­gi­on in das Ge­biet der Ba­ta­ver bei Nim­we­gen und Lin­go­nen bei Mi­re­beau-sur-Bèze, ins­ge­samt sta­bi­li­sier­te sich die La­ge am Rhein aber sehr schnell und blieb bis zum 3. Jahr­hun­dert auch ru­hig. Die­se lan­ge Frie­dens­pha­se war Vor­aus­set­zung für die Aus­bil­dung ei­ner nie­der­ger­ma­ni­schen Pro­vin­zi­al­kul­tur.

Büste des Trajan (reg. 98-117 n. Chr.), mit Bürgerkrone, Schwertband und Aegis (Attribut des Jupiter und Symbol der Gottgleichen Allmacht des Kaisers), 2007 (Glyptothek München).

 

Die im Ba­ta­ver­auf­stand zer­stör­ten Städ­te wur­den wie­der auf- und mo­nu­men­tal aus­ge­baut, und um 85 n. Chr. rich­te­te Kai­ser Do­mi­ti­an (51-96 n. Chr., Kai­ser 81-96 n. Chr.) Nie­der­ger­ma­ni­en und Ober­ger­ma­ni­en als re­gu­lä­re Pro­vin­zen ein.[20] Sein Nach­fol­ger Tra­jan grün­de­te zu­dem bei Xan­ten ei­ne wei­te­re Ko­lo­nie na­mens Co­lo­nia Ul­pia Traia­na. Wie im Fall von Köln wur­den auch hier die ein­hei­mi­schen Cu­ger­ner schnell in­te­griert und bil­de­ten bald zu­sam­men mit den ­Ve­te­ra­nen den Ver­band der Traia­n­en­ses.

In den an­de­ren vier Selbst­ver­wal­tungs­ein­hei­ten (ci­vi­ta­tes) der Ba­ta­ver, Can­ni­nefa­ten, Fri­sia­vo­nen und Tungrer, die mög­li­cher­wei­se erst jetzt ei­ne fes­te Form er­hiel­ten, blie­ben die Stam­mes­na­men als Ei­gen­be­zeich­nun­gen be­ste­hen, auch wenn die­se Städ­te im Lau­fe des 2. Jahr­hun­derts ver­schie­de­ne Pri­vi­le­gi­en er­hiel­ten und wohl al­le zu Mu­ni­zi­pi­en er­ho­ben wur­den.[21] Zu­dem er­hiel­ten im­mer mehr Ein­hei­mi­sche das rö­mi­sche Bür­ger­recht, bis Kai­ser Ca­ra­cal­la (188-217, Kai­ser 211-217) im Jah­re 212 es al­len Pro­vin­zia­len ver­lieh.

Zeichnerische Rekonstruktion der Colonia Ulpia Traiana, mögliches Aussehen der römischen Stadt Xanten im 2. Jh. n. Chr., (LVR-Archäologischer Park Xanten, Zeichnung: Horst Stelter).

 

Wäh­rend die bei­den co­lo­niae Köln und Xan­ten und auch Ton­ge­ren (Atua­tu­ca Tungro­rum), der Haupt­ort der Tungrer, über ein gro­ßes re­prä­sen­ta­ti­ves Stadt­zen­trum ver­füg­ten, ent­wi­ckel­ten sich die städ­ti­schen Zen­tren im Nor­den der Pro­vinz nur lang­sam und selbst Ul­pia No­vio­ma­gus Ba­ta­vo­r­um (Nim­we­gen) wur­den wohl zu kei­ner Zeit zum be­vor­zug­ten Auf­ent­halts­ort der Eli­ten. Der Haupt­ort der Can­ni­nefa­ten (Fo­rum Ha­dria­ni beim heu­ti­gen Vo­or­burg-Ar­ents­burg) wuchs so­gar nie­mals über ei­ne Grö­ße von 15 Hekt­ar hin­aus, und der Haupt­ort der Fri­sia­vo­nes bleibt bis heu­te un­be­kannt.[22]

Aber selbst in Köln ent­wi­ckel­te sich an­ders als in den Städ­ten Ita­li­ens, Spa­ni­ens oder Nord­afri­kas we­der ei­ne stadt­bür­ger­li­che Re­prä­sen­ta­ti­ons­e­pi­gra­phik noch ein aus­ge­präg­tes Stif­ter­we­sen. De­men­spre­chend feh­len auch Hin­wei­se auf Eh­ren­mo­nu­men­te für ver­dien­te Bür­ger in den Städ­ten. Die lo­ka­len Eli­ten wa­ren of­fen­bar nicht be­reit, ih­re fi­nan­zi­el­len Mit­tel in die Aus­ge­stal­tung der Stadt zu in­ves­tie­ren. En­ga­ge­ment für die ei­ge­ne Stadt war al­ler­dings ei­ne wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für den Auf­stieg in die Reich­sa­ris­to­kra­tie. Da­her, aber auch we­gen der wei­ter­hin be­ste­hen­den star­ken mi­li­tä­ri­schen Prä­gung der Re­gi­on und ei­ner re­ser­vier­ten Hal­tung der füh­ren­den Krei­se in Rom ge­gen­über den Be­woh­nern der Grenz­pro­vin­zen, las­sen sich so gut wie kei­ne Mit­glie­der der Reich­se­li­te aus den ger­ma­ni­schen Pro­vin­zen nach­wei­sen.[23]  Un­klar bleibt, ob die lo­ka­len Eli­ten auf­grund der schlech­ten Kar­rie­re­chan­cen kei­nen An­reiz zur In­ves­ti­ti­on in die Städ­te hat­ten oder ob die füh­ren­den Fa­mi­li­en in Nie­der­ger­ma­ni­en über­haupt we­nig an ei­nem Auf­stieg in die Reich­se­li­te in­ter­es­siert wa­ren. Mög­li­cher­wei­se be­trach­te­ten vie­le Ein­hei­mi­sche auch wei­ter­hin ei­ne Lauf­bahn im Hee­res­dienst als er­stre­bens­wer­ter.

Karte des LVR-Archäologischen Parks Xanten. (Thomas Römer/OpenStreetMap data, CC BY-SA 3.0)

 

3.2 Religion und Kulte

An­sons­ten be­dien­te man sich im 2. Jahr­hun­dert n. Chr. in zu­neh­men­dem Ma­ße rö­mi­scher For­men, In­sti­tu­tio­nen und Gü­ter. Ins­be­son­de­re im re­li­giö­sen Be­reich ist ein ste­ti­ges Wachs­tum der In­schrif­ten­pro­duk­ti­on zu er­ken­nen.[24]  Viel­fach tau­chen nun ein­hei­mi­sche Gott­hei­ten wie die Ma­tro­nen oder spe­zi­el­le For­men wie die Ju­pi­ter­gi­gan­ten­säu­len auf. Auch wenn die meis­ten die­ser Gott­hei­ten und Mo­nu­ment­ty­pen nicht vor der Mit­te des 2. Jahr­hun­derts be­legt sind, hat man es hier nicht mit ei­ner „Re­nais­sance“ al­ter Kul­te oder gar ei­ner kul­tu­rel­len Wi­der­stands­be­we­gung ge­gen Rom zu tun.[25]  Viel­mehr wur­den be­ste­hen­de ein­hei­mi­sche Kul­te nun in rö­mi­schen, reichs­weit ver­ständ­li­chen For­men ge­pflegt, die da­durch ar­chäo­lo­gisch deut­li­cher sicht­bar wer­den. So war der Tem­pel­be­zirk von Net­ters­heim in der Nord­ei­fel schon si­cher län­ge­re Zeit in Be­nut­zung, be­vor hier in der Mit­te des 2. Jahr­hun­derts ein Stein­tem­pel er­rich­tet wur­de und die Kul­t­an­hän­ger mit In­schrif­ten und Re­li­efs ver­se­he­ne Al­tä­re für die auf­a­ni­schen Ma­tro­nen auf­stell­ten.[26] 

Matronenaltar in Nöthen-Pesch, Foto: Frank Biller.

 

Die so­zia­le Band­brei­te der Stif­ter von Ma­tro­nen­stei­nen war re­la­tiv groß. Nach Aus­kunft der In­schrif­ten war der Kult nicht nur bei den Ubi­ern, son­dern auch bei Mit­glie­dern der Pro­vinz­ver­wal­tung und bei An­ge­hö­ri­gen des Mi­li­tärs sehr ver­brei­tet, wo­bei al­ler­dings seit dem 2. Jahr­hun­dert oh­ne­hin vie­le Le­gio­nä­re aus der Re­gi­on selbst stamm­ten. Nichts­des­to­we­ni­ger ist der Ma­tro­nen­kult ein deut­li­cher In­di­ka­tor für das Zu­sam­men­wach­sen der un­ter­schied­li­chen Be­völ­ke­rungs­tei­le in der Pro­vinz.[27] 

Hercules Magusanus (LVR-Archäologischer Park Xanten), Foto: A. Thünker.

 

Wäh­rend sich die Hei­lig­tü­mer für Ma­tro­nen grö­ß­ten­teils in länd­li­chen Ge­bie­ten be­fan­den und auf äl­te­re Tra­di­tio­nen zu­rück­gin­gen, be­schränk­te sich die re­gio­na­le Ver­brei­tung von Gott­hei­ten mit rö­mi­schen Na­men auf die städ­ti­schen Zen­tren und Mi­li­tär­la­ger, und die­se Kul­te wur­den dem­entspre­chend auch in ers­ter Li­nie von den Sol­da­ten und den be­son­ders stark ro­ma­ni­sier­ten Stadt­be­woh­nern ge­pflegt. Ein­hei­mi­sche Göt­ter er­hiel­ten je­doch auch rö­mi­sche Na­men und tru­gen da­ne­ben ein­hei­mi­sche Bei­na­men – so et­wa Her­cu­les Ma­gus­a­nus, der Haupt­gott der Ba­ta­ver. In­di­ge­ne Gott­hei­ten wur­den aber auch von hoch­ste­hen­den Per­sön­lich­kei­ten ge­ehrt: Der Prä­to­ria­ner­prä­fek­ten Ti­tus Fla­vi­us Cons­tans et­wa stell­te in Köln der nur in Nie­der­ger­ma­ni­en be­leg­ten Dea Vag­da­ver­cus­tis ei­nen Al­tar auf.[28] 

Weihaltar der dea Vagdavercustis gestiftet von Titus Flavius Constans (Präfekt der Prätorianergarde) 165 n. Chr., Römisch-Germanisches Museum, Köln, 2010, Foto: D. Herdemerten. (CC BY-SA 3.0)

 

3.3 Alltagskultur

Im­mer mehr Ein­hei­mi­sche er­rich­te­ten im 2. Jahr­hun­dert auch Grab­denk­mä­ler ver­schie­de­ner For­men, die häu­fig mit In­schrif­ten ver­se­hen wa­ren. Die Tex­te sind meist sehr kurz und for­mel­haft, ent­hal­ten aber Ele­men­te wie die An­ru­fung an die Di Ma­nes, die To­ten­göt­ter, oder wei­sen auf die rö­mi­sche Pra­xis hin, sich schon zu Leb­zei­ten um die Er­rich­tung des ei­ge­nen Gra­bes ge­küm­mert zu ha­ben.[29] Auf den Grab­denk­mä­lern wa­ren die Ver­stor­be­nen ge­le­gent­lich in Re­li­efs ab­ge­bil­det. Die Por­träts kön­nen da­bei im be­grenz­ten Ma­ße Auf­schluss über die da­mals vor­herr­schen­de Tracht ge­ben. Ei­ni­ge Män­ner lie­ßen sich in ein­hei­mi­scher Klei­dung mit dem kur­zen gal­li­schen Ka­pu­zen­man­tel (cu­cul­lus) dar­stel­len, an­de­re mit der rö­mi­schen To­ga, dem Sym­bol des rö­mi­schen Bür­ger­sta­tus. Wäh­rend in der Re­gi­on um Mainz bei den Frau­en die ein­hei­mi­sche Tracht do­mi­nier­te, über­wog im Ge­biet der Ubier in Nie­der­ger­ma­ni­en das rö­mi­sche Ober­ge­wand. Ge­le­gent­lich fin­den sich aber auch Dar­stel­lun­gen von Ubie­rin­nen mit vo­lu­mi­nö­sen Kopf­be­de­ckun­gen, mit de­nen auch die Ma­tronae dar­ge­stellt wur­den. Wie häu­fig wel­che Klei­dung im All­tag ge­tra­gen wur­de und in­wie­fern mit den Klei­dungs­stü­cken ei­ne eth­ni­sche Iden­ti­tät aus­ge­drückt wur­de, lässt sich auf­grund der spär­li­chen Be­fun­de aber kaum klä­ren.[30]

Hochwertiges Rheinzaberner Terra Sigillata, Historisches Museum der Pfalz Speyer, 2011, Foto: Haselberg-Müller. (CC BY-SA 3.0)

 

Die Über­nah­me rö­mi­scher Kul­tur­prak­ti­ken lässt sich auch in an­de­ren Be­rei­chen fas­sen. So zei­gen ei­ni­ge Grab­s­te­len auch Ge­la­ge­sze­nen mit Kli­nen; im­por­tier­te Gü­ter wie Oli­ven­öl, Wein und Fisch­so­ße wur­den of­fen­bar von im­mer wei­te­ren Tei­len der Be­völ­ke­rung ge­schätzt. Von der Über­nah­me rö­mi­scher Spei­se­sit­ten zeugt ne­ben der Ver­wen­dung des reichs­weit ver­wen­de­ten rot glän­zen­den Ta­fel­ge­schirrs (Ter­ra Si­gil­la­ta) auch die Ein­füh­rung von Reib­scha­len, in de­nen vor al­lem Würz­so­ßen her­ge­stellt wur­den – ei­ne Prak­tik, die in die­ser Form zu­vor bei den Gal­li­ern und Ger­ma­nen un­be­kannt war. Auch wa­ren ab dem 2. Jahr­hun­dert die Städ­te und Vil­len nicht sel­ten mit be­heiz­ba­ren Ba­de­an­la­gen aus­ge­stat­tet. Zu­min­dest die bei­den co­lo­niae und der Haupt­ort der Ba­ta­ver ver­füg­ten zu­dem über ein Am­phi­thea­ter zur Ab­hal­tung von Tier­hat­zen und Gla­dia­to­ren­kämp­fen.

3.4 Wirtschaft und Villenkultur

So­wohl vor als auch nach der rö­mi­schen Er­obe­rung bil­de­te die Land­wirt­schaft die Grund­la­ge der Wirt­schaft. Durch die rö­mi­sche Herr­schaft ver­än­der­ten sich je­doch die Rah­men­be­din­gun­gen der Pro­duk­ti­on er­heb­lich und neue Me­tho­den und Prak­ti­ken wur­den ein­ge­führt, die zu ei­nem Über­gang von der Selbst­ver­sor­gung zur Über­schuss­pro­duk­ti­on führ­ten. Die­se zu­sätz­li­chen Le­bens­mit­tel wa­ren auch zen­tra­le Vor­aus­set­zung für den Un­ter­halt der neu­en Städ­te und vor al­lem des Mi­li­tärs, das enor­me Men­gen an Kon­sum­gü­tern be­nö­tig­te.[31] 

Symbol römischer Macht und Kultur: Die Stadtmauer im LVR-Archäologischen Park Xanten (LVR-Archäologischer Park Xanten), Foto: A. Thünker.

 

Al­ler­dings zei­gen sich deut­li­che re­gio­na­le Un­ter­schie­de. In der frucht­ba­ren Löss­zo­ne im Sü­den der Pro­vinz leg­te man in der ho­hen Kai­ser­zeit zahl­rei­che vil­lae rusti­cae an, die un­ter­schied­li­che Grö­ße und For­men an­nah­men und bei de­nen es sich teils um Neu­bau­ten, teils um Um- und Aus­bau­ten be­ste­hen­der Ge­höf­te han­del­te. Meist wa­ren die Haupt­ge­bäu­de ab dem 2. Jahr­hun­dert aber mit Stein­f­un­da­men­ten und ver­putz­ten Fach­werk­wän­den aus­ge­stat­tet, und grö­ße­re Vil­len ver­füg­ten über re­prä­sen­ta­ti­ve Wohn­räu­me mit Mo­sai­ken und Wand­ma­le­rei­en. Durch die Häu­fung an Vil­len be­kam der länd­li­che Raum in die­ser Re­gi­on ei­ne star­ke rö­mi­sche Prä­gung. Hin­ge­gen wur­de in den nörd­li­chen Ge­bie­ten vor al­lem Vieh­zucht be­trie­ben und grö­ße­re Hal­len­häu­ser und ein­fa­che Wohn­stall­häu­ser aus Holz do­mi­nier­ten die Land­schaft. Die her­ge­brach­te Bau­wei­se be­stand hier al­so fort, und rö­mi­sche Ar­chi­tek­tur­for­men gab es fast aus­schlie­ß­lich in den Zen­tra­lor­ten. Ob die ge­rin­ge Ver­brei­tung von Vil­len im Nor­den nur auf die schlech­te­re Bo­den­qua­li­tät in die­ser Re­gi­on zu­rück­zu­füh­ren ist oder ob bei der lo­ka­len Be­völ­ke­rung die rö­mi­sche Vil­len­kul­tur we­ni­ger An­klang fand, bleibt un­klar.[32]

Der Schutzbau über den großen Thermen am LVR-RömerMuseum im LVR-Archäologischen Park Xanten (LVR-Archäologischer Park Xanten), Foto: A. Thünker.

 

Schon in ju­lisch-clau­di­scher Zeit lässt in der Nä­he der Le­gi­ons­la­ger die Ent­ste­hung ei­nes dif­fe­ren­zier­ten Hand­werks er­ken­nen, das sich an den Be­dürf­nis­sen des Mi­li­tärs ori­en­tier­te. Weil das rö­mi­sche Heer auch sehr schnell ein Sys­tem von Stra­ßen auf­bau­te und vor al­lem die Flüs­se als Ver­kehrs­we­ge ge­nutzt wur­den, konn­ten auch zahl­rei­che Kon­sum­gü­ter aus dem me­di­ter­ra­nen Raum an den Rhein ge­bracht wer­den. Bald wur­den auch hand­werk­li­che Pro­duk­te wie Tisch­ge­schirr nach rö­mi­schem Ge­schmack in Köln und an­de­ren Städ­ten Ger­ma­ni­ens pro­du­ziert. Für den ger­ma­ni­schen Raum ent­wi­ckel­te sich im 2. und 3. Jahr­hun­dert das heu­ti­ge Rheinz­a­bern in Ober­ger­ma­ni­en zum wich­tigs­ten Pro­duk­ti­ons­ort von Ter­ra Si­gil­la­ta-Ke­ra­mik. Köln selbst wur­de in der glei­chen Zeit das be­deu­tends­te Zen­trum der Glas­ma­che­rei im ge­sam­ten Wes­ten des Rei­ches.[33] Die kunst­vol­len Trink­ge­fä­ße wur­den weit­hin ex­por­tiert, so­gar im rechts­rhei­ni­schen Ger­ma­ni­en und in Ägyp­ten hat man Ex­em­pla­re ge­fun­den. Die­se Han­dels­be­zie­hun­gen zei­gen die weit­rei­chen­de In­te­gra­ti­on des Rhein­lan­des in das Aus­tausch­sys­tem des Im­pe­ri­um Ro­ma­num, des­sen Funk­ti­ons­tüch­tig­keit die Vor­aus­set­zung für die Ent­ste­hung so spe­zia­li­sier­ter Hand­werks­be­trie­be war.

Das rekonstruierte Amphitheater im LVR-Archäologischen Park Xanten, 2005, Foto: Magnus Manske. (CC BY-SA 3.0)

 

4. Ausblick

Um die Mit­te des 3. Jahr­hun­derts kam es im­mer häu­fi­ger zu ger­ma­ni­schen Ein­fäl­len neu­ar­ti­ger Grup­pen in das Ge­biet der Pro­vinz. Die Be­dro­hung durch Fran­ken und Ale­man­nen, die sich aus klei­ne­ren Stäm­men zu grö­ße­ren, aber äu­ßerst mo­bi­len Krie­ger­ver­bän­den zu­sam­men­ge­schlos­sen hat­ten, zwan­gen die Rö­mer zur Re­or­ga­ni­sa­ti­on ih­rer Grenz­ver­tei­di­gung und der Pro­vinz­ver­wal­tung. So wur­den die Städ­te und Sied­lun­gen stär­ker be­fes­tigt und das Wirt­schafts­le­ben wie­der stär­ker an den Be­dürf­nis­sen des Mi­li­tärs und der Ver­wal­tung aus­ge­rich­tet. Wäh­rend die Fran­ken zu­nächst nur Plün­de­rungs­zü­ge un­ter­nah­men, ver­such­ten sie im 4. Jahr­hun­dert im­mer häu­fi­ger, auch Land in Be­sitz zu neh­men. Um die­se Be­we­gun­gen zu kon­trol­lie­ren und zu steu­ern, sie­del­ten ver­schie­de­ne Kai­ser dann auch ge­zielt frän­ki­sche Grup­pen an und ver­pflich­te­ten sie zum Hee­res­dienst.

Nachbau eines römischen Kriegsschiffes, getauft auf den Namen 'Victoria', 2009.

 

Ins­be­son­de­re in den nörd­li­chen Tei­len der Pro­vinz ver­schärf­te sich die Be­dro­hungs­la­ge für die ein­hei­mi­sche Be­völ­ke­rung zu­se­hends, so­dass Nim­we­gen (Ul­pia No­vio­ma­gus Ba­ta­vo­r­um) und an­de­re Sied­lun­gen of­fen­bar im spä­te­ren vier­ten und 5. Jahr­hun­dert auf­ge­ge­ben wur­de. Auch die Co­lo­nia Ul­pia Traia­na, die zum ers­ten Mal be­reits 275 n. Chr. zer­stört und nur in we­sent­lich klei­ne­rem Ma­ße wie­der­auf­ge­baut wur­de, wur­de En­de des 4. Jahr­hun­derts weit­ge­hend ver­las­sen. Durch den stän­di­gen Zu­zug rechts­rhei­ni­scher Ger­ma­nen und die Flucht von Orts­an­säs­si­gen ver­än­der­te sich auch die Be­völ­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung, und die al­ten Stam­mes­na­men tau­chen im 5. Jahr­hun­dert nicht mehr auf. Die Ein­woh­ner ver­stan­den sich im zu­neh­men­den Ma­ße als Fran­ken und spra­chen bald auch ei­ne ger­ma­ni­sche Spra­che. Lang­sa­mer ver­lief die „Fran­ki­sie­run­g“ im Raum von Köln. Die Stadt blieb ein be­deu­ten­des Zen­trum und wur­de ein wich­ti­ger Mit­tel­punkt des Chris­ten­tums. Ent­spre­chend lan­ge las­sen sich hier ro­ma­ni­sche Tra­di­tio­nen fas­sen – nichts­des­to­we­ni­ger ver­schmol­zen letzt­lich auch hier die Ein­hei­mi­schen mit den Neu­an­kömm­lin­gen zur neu­en Ein­heit der Fran­ken, die seit Kö­nig Chlod­wig (cir­ca 481/482–511 n. Chr.) auch in ei­nem Reich ver­eint wa­ren.[34]

Diatretbecher aus Köln-Braunsfeld, 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts, Glas, gegossen und geschliffen, 12,1cm hoch (Römisch-Germanisches Museum).

 

5. Zusammenfassung

Prä­gen­de Fak­to­ren der Ro­ma­ni­sie­rung im Rhein­land wa­ren die Ein­grif­fe der rö­mi­schen Ad­mi­nis­tra­ti­on in au­gustei­scher Zeit, die gro­ße Kon­zen­tra­ti­on von Mi­li­tär so­wie die Grenz­la­ge der Pro­vinz. Un­ter Au­gus­tus wa­ren die rö­mi­schen Macht­ha­ber dar­um be­müht, die Re­gi­on durch ge­ziel­te Um­sied­lun­gen und den Aus­bau ur­ba­ner Zen­tren be­herrsch­bar zu ma­chen und mit­hil­fe der an­ge­sie­del­ten Stäm­me die Re­gi­on zu si­chern. Weil die­sen im Ge­gen­zug um­fang­rei­che Pri­vi­le­gi­en ge­währt wur­den, be­hiel­ten sie ih­re eth­ni­sche Ei­gen­stän­dig­keit und bil­de­ten ein star­kes krie­ge­ri­sches Selbst­be­wusst­sein aus. Die Schwä­chen die­ser mi­li­tä­ri­schen In­te­gra­ti­on zeig­ten sich im Bür­ger­krieg nach dem Tod Ne­ros.

Erst die lan­ge Frie­dens­pha­se nach dem Ba­ta­ver­auf­stand er­mög­lich­te die Aus­bil­dung ei­ner ei­gen­stän­di­gen Pro­vinz­kul­tur. Die Mi­li­tär­prä­senz und die Grenz­la­ge blie­ben prä­gen­de Fak­to­ren, doch ent­wi­ckel­te sich da­ne­ben zu­min­dest im Raum von Köln ei­ne zi­vi­le Stadt- und Vil­len­kul­tur. Ins­be­son­de­re im Nor­den der Pro­vinz wur­de die Stadt aber nie zur be­vor­zug­ten Le­bens­form der Ein­hei­mi­schen und ih­rer Eli­ten, wie auch die schnel­le Auf­ga­be der ur­ba­nen Zen­tren und der grö­ße­ren Sied­lun­gen im vier­ten und frü­hen 5. Jahr­hun­dert zeigt. Nichts­des­to­we­ni­ger be­dien­te man sich in al­len Le­bens­be­rei­chen ab dem 2. Jahr­hun­dert im­mer stär­ker rö­mi­scher For­men, Gü­ter und In­sti­tu­tio­nen. Ent­spre­chend ent­wi­ckel­te sich ein spe­zia­li­sier­tes Hand­werk, des­sen Pro­duk­te zum Teil weit­hin ex­por­tiert wur­den.

Wäh­rend häu­fig ei­ne di­rek­te Über­nah­me oder An­pas­sung rö­mi­scher Ge­pflo­gen­hei­ten an lo­ka­le Ver­hält­nis­se zu er­ken­nen ist, weist ins­be­son­de­re der re­li­giö­se Be­reich ein ei­gen­stän­di­ges Pro­fil auf. Hier wur­den be­ste­hen­de Kul­te nun in rö­mi­schen For­men ze­le­briert, wo­durch ganz neue Mo­nu­m­ent­gat­tun­gen ent­stan­den, die so nur in den ger­ma­ni­schen Pro­vin­zen zu fin­den sind. Ab­seits der Ko­lo­ni­en blie­ben zu­dem die Stam­me­si­den­ti­tä­ten in­takt, auch wenn sich die Stäm­me nun im­mer we­ni­ger als aus­wär­ti­ge Part­ner, son­dern als An­ge­hö­ri­ge des Reichs, al­so als Rö­mer ver­stan­den. Das Rhein­land im 2. und 3. Jahr­hun­dert war fest in­te­griert in das kul­tu­rel­le und öko­no­mi­sche Sys­tem des Im­pe­ri­um Ro­ma­num.

Den­noch lag die Pro­vinz Ger­ma­nia In­fe­ri­or an der äu­ßers­ten Pe­ri­phe­rie des rö­mi­schen Reichs: Aris­to­kra­ten aus der Re­gi­on ge­lang so gut wie nie der Sprung in das Zen­trum der Macht, und den Städ­ten fehl­ten der Glanz und die Mo­nu­men­ta­li­tät der Me­tro­po­len des Mit­tel­meer­raums. Auch war die Re­gi­on in der Spät­an­ti­ke im be­son­de­ren Ma­ße von der sich zu­spit­zen­den äu­ße­ren Be­dro­hung durch neu­ar­ti­ge Stam­mes­ver­bän­de er­fasst und wur­de als ei­ne der ers­ten Pro­vin­zen An­fang des 5. Jahr­hun­derts fak­tisch auf­ge­ge­ben. Dass sich im Rhein­land ei­ne ger­ma­ni­sche und nicht ei­ne ro­ma­ni­sche Spra­che durch­setz­te, liegt aber nicht an ei­ner nur ober­fläch­li­chen Ro­ma­ni­sie­rung der Be­völ­ke­rung, son­dern an ei­nem mas­si­ven Be­völ­ke­rungs­um­bruch in der un­si­che­ren Zeit des spä­ten 4. und 5. Jahr­hun­derts.

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Anmerkungen
Zitationshinweis

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Gilhaus, Lennart, Romanisierung im Rheinland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/romanisierung-im-rheinland/DE-2086/lido/5b0541652102f3.51051923 (abgerufen am 05.12.2024)