Schach am Mittelrhein
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1. Das Schachspiel am Mittelrhein vor 1800
Seit dem 9. Jahrhundert breitete sich das Schachspiel über den arabischen Raum in Mitteleuropa aus, besonders in der Zeit der Kreuzzüge. Ein frühes Sachzeugnis aus dem 11. Jahrhundert stellt ein kleiner Bronzeläufer aus der untergegangenen Burganlage Harpelstein bei Horath (Verbandsgemeinde Thalfang) dar. Diese Anlage war seit der Spätkarolingerzeit und dann für die Trierer Erzbischöfe von großer Bedeutung. Das auf einer Klerikersynode in Trier 1310 ergangene Verbot für alle Geistlichen, Schach zu spielen, zeigt, dass das königliche Spiel nicht nur der höfischen Sphäre zuzurechnen ist, sondern auch der klerikalen.
Auch für die Produktion von Schachhandschriften war Köln das Zentrum am Rhein. Die grundlegende Umstellung der bis heute gültigen Schachregeln um 1500 lässt sich sehr bald auch in rheinischen Handschriften und Frühdrucken nachvollziehen. Ausdruck einer immer größeren Verbürgerlichung des Schachspiels danach ist, dass sich die öffentlichen Orte des Spiels hauptsächlich in den Kaffeehäusern der rheinischen Residenzstädte finden lassen.
2. Organisiertes Schachspielen im 19. Jahrhundert – Honoratiorenklubs
Für das rheinische Schachleben stellt der Erwerb der Rheinprovinz durch Preußen 1815 einen lang andauernden Aufschwung dar. Freilich sind die Zeugnisse darüber auch in dieser Region für die Zeit vor 1860 eher spärlich. Aus den teils noch privaten Schachzirkeln in den bürgerlichen Salons und Lesegesellschaften und den Bürger- und Militärkasinos ist vor allem der für 1819/1820 bezeugte Bonner „Schachverein“ von August Wilhelm Schlegel herauszuheben. Angesichts dieser Bindung an die Universität ist es verständlich, dass sich zum Beispiel in Bonn erst 1905 ein regelrechter Schachverein endgültig etablierte. In Koblenz hatte die alte bürgerliche Casino-Gesellschaft von 1808 dem Schachspiel in dem 1871 fertiggestellten Kasinogebäude sogar eigene Räumlichkeiten („den Billard-, Schach- und Skatfreunden“) zur Verfügung gestellt, so dass auch hier erst 1903 endgültig die Gründung eines regelrechten Schachklubs erfolgte. Die großbürgerliche Koblenzer Kasinogesellschaft muss zeitweise geradezu als ein Treffpunkt des rheinischen Schachlebens bezeichnet werden. 1855 spielte etwa der bekannte Schachhistoriker, der Wiesbadener Bibliothekar Antonius van der Linde (1833-1897), im Kasino seine erste Schachpartie. 1822 war es das Kasinomitglied und Stadtrat Valentin Mosler (1786-1850), der seine Übersetzung der wichtigen schachtheoretischen Schriften („Das Schachspiel nach dem Italienischen des Autore Modenese“) des Lorenzo Ponziani (1719-1796) herausgab. Hierbei zeigte sich der Koblenzer Konditor und Kaffeehausbesitzer in seinem Vorwort als überaus sachkundiger und umfassender Kenner der internationalen Schachliteratur seiner Zeit. Bis Ende der 1840er Jahre sind diesem Koblenzer ’Kreis’ zeitweise immer wieder zum Teil spielstarke Mitglieder der Berliner Schachgesellschaft zuzurechnen, die an den Rhein versetzt wurden: etwa der geheime Obertribunalrat und Mitarbeiter der Deutschen Schachzeitung Otto von Oppen (1783-1860), der Diplomat und „Weltklassespieler“ Thassilo von Heydebrand und der Lasa (1818-1899), der (spätere General) Hermann von Hanneken (1810-1886) sowie der Leutnant und vormalige Bonner Student Alexander von der Goltz (1819-1858). Letzterer hatte durch seine Dienstreisen einen guten Überblick über die Schachzirkel der rheinischen Städte vor 1850 erhalten. In seinem Aufsatz „Schachleben am Rheine“ zog er den Koblenz-Ehrenbreitsteiner Schachzirkel, zu dem auch der Schulrat Dr. Dietrich Landferman (1800-1882) gehört haben dürfte, sogar denjenigen aus Mainz, Worms, Mannheim oder Köln vor.
Als der Breslauer Mathematiklehrer Adolph Anderssen (1818-1879) das erste Weltschachturnier in London 1851 - kurz zuvor hatte der Spitzenbeamte von der Lasa noch in Betracht gezogen, dieses Turnier in Aachen oder Trier auszutragen - gewonnen hatte, kam es über die deutsche Schachwelt hinaus nicht nur zu nationalen „Aufwallungen“, sondern auch zur ersten Gründungswelle regulärer Schachvereine im Deutschen Bund (1851 Barmen, Elberfeld, Köln, Krefeld; 1854 Düsseldorf, 1856 Aachen, 1857 Wesel, 1859 Bonn, 1860 Idar-Oberstein). Diese Honoratiorenvereine gründeten am 22.9.1861 in Düsseldorf den Westdeutschen Schachbund, der bis 1880 jährlich glanzvolle Schachkongresse (insgesamt 13) organisieren sollte. Bei diesen den gesellschaftlichen Verkehr betonenden Kongressen bildete der Schachsport nur einen Teilaspekt. An den gut dotierten Turnieren nahmen zunehmend auch (teilweise professionelle) Spitzenspieler wie der Leipziger Dr. Max Lange (1832-1899), Gustav Neumann (1838-1881) aus Berlin, der „Weltmeister“ Adolph Anderssen, der polnisch-deutsche Johannes Zukertort (1842-1888) aus London oder Louis Paulsen (1833-1891) aus Lippe teil. Da sich hieraus internationale „Großmeister“turniere entwickelten (Barmen 1869), wurden für die starken Amateure ’Hauptturniere’ eingerichtet, die bis in die 1930er Jahre die Amateurmeisterkategorie blieb.
Der Deutsche Schachbund richtete zwischen 1879 und 1943 38 große Kongresse aus, an denen rheinische Spieler mit bedeutenden Erfolgen teilnahmen. Die Kurorte Baden-Baden, Bad Ems und Wiesbaden aus dem Nachbarbereich des 1873 gegründeten Südwestdeutschen Schachbundes richteten solche Großmeisterturniere ab 1870 häufiger aus. Da die gerade vom Westdeutschen Schachbund betriebene Gründung des Deutschen Schachbundes schließlich 1877 gelang, löste der 1880 gegründete, regional enger gefasste Bergisch-Märkische Schachverband (bis 1899) seinen Westdeutschen Vorgänger ab. In nördlicher Abgrenzung dazu gab es ab 1887 den Westfälischen Schachbund. Im nördlichen Rheinland existierten vor 1900 nur in Trier und 1883/84 in Koblenz Schachklubs. Unter den Gründungsmitgliedern des echten Honoratiorenvereins SV 03 Koblenz befanden sich unter anderem der rheinische Käfer- und Faunaforscher Justizrat Karl Röttgen (1859-1925) und der bekannte Tuberkulosearzt Oskar Salomon (1875-1933). Der noch ältere SK Trier 1877 war quasi nur durch die Initiative seines Vorsitzenden gegründet und dessen 50jähriges Engagement fortbestehen geblieben.
Einen großen Anschub für das rheinische Schachleben bedeutete der XI. Schachkongress des DSB 1898 in Köln, so dass 1901 in Düsseldorf der Niederrheinische Schachbund (bis 1912) gegründet wurde, dessen gut dotierte internationale Hauptturniere als „Meisterschaft von Rheinland und Westfalen“ galten. Der NSRV umfasste Ende 1904 nur 21 Vereine mit 709 Mitgliedern im Gebiet der preußischen Rheinprovinz (einschließlich Trier), der DSB Mitte 1907 nur 118 Vereine mit 3.752 Mitgliedern. Ein Verein konnte einem Landesverband angehören, ohne gleichzeitig Mitglied des DSB sein zu müssen, weshalb die Zahl der Vereine insgesamt um einiges höher anzusetzen ist. Die Veranstaltungen dieses regen honorigen Verbandes – insbesondere die „Massenkämpfe" gegen den Niederländischen Schackbond – waren so attraktiv, dass neben dem SV 1903 Koblenz auch SK 1907 Andernach, SC 1908 Neuwied und SC 1909 Mayen beitraten. Um seiner wachsenden Nord-Ost Ausdehnung gerecht zu werden, nannte sich der NRSV 1912 um in Rheinisch-Westfälischer Schachbund, was aber Personen etwa aus Traben-Trarbach nicht hinderte, Einzelmitglieder zu werden. Während des Krieges wurde Schach gerade in den Garnisonsstädten zur Truppenbetreuung besonders gepflegt.
3. Der Aufschwung nach 1918 bis 1933 – Bürgertum neben Arbeiterschach
Trotz aller Hemmnisse durch die französische Besatzungspolitik gründete am 23. 5. 1920 der Koblenzer Kaufmann und Vereinsvorsitzende (1920-1936) Rudolf Nonne (1890-1936) in Bad Ems den Mittelrheinischen Schachverband mit den Gründungsmitgliedern Arenberg/Koblenz, Darmstadt, Gießen, Hofheim, 03 Koblenz, Lonnig/Mosel, Mayen, Neuwied, Wiesbaden. Die deutlich südlichere Ausrichtung des Verbandes auch über die Grenzen der Rheinprovinz hinaus zeigt sich auch beim Hauptort Bad Ems, wo – unterstützt durch ortansässige Mäzene und die Kurverwaltung – bis 1934 sehr gut organisierte Einzelmeisterschaften (Marmorsaal) ausgerichtet wurden. Seine südliche Abgrenzung hatte der MRSV, dessen Bundesgebiet weit über den Mittelrhein hinaus bis Frankfurt, Marburg und Trier reichte, in den 1921 gegründeten Saarländischen und Pfälzischen Schachverbänden, wobei letzterer bis 1939 einen Unterverband des Bayerischen Schachverbandes darstellte.
Der vor 1924 gegründete „Hessische Turnierverband“ und besonders der „Kölner Zweckverband“ waren dagegen dem MRSV teilweise eng angeschlossen. Dem Motto („Hebung und Förderung des Schachspiels am Mittelrhein“) des neuen Verbandes gemäß, begann eine vom Verbandsvorstand stark geförderte, historisch einmalige Gründungswelle von Schachvereinen, die bis in die 30er Jahre anhielt. Vereinsmannschaftsmeisterschaften gab es im Rheinland vor 1927 nur in Form von Freundschafts-Städtekämpfen, die immer auch einen Fest- und Ausflugscharakter (häufig zwischen Frühjahr und Herbst) hatten. Das stand in Einklang mit der damals schon veralteten Auffassung einiger älterer rheinischer Meister wie der des Kölner Verbandsvorsitzenden Prof. Dr. Karl Deichmann (1870-1940) oder des Frankfurter Mathematikers Dr. Nathan Mannheimer (geboren 1860), dass der neuartige Sport- und Proficharakter des Spitzenschachs abzulehnen sei und man weiterhin am „romantischen“ Kunstcharakter des Spiels festhalten sollte. Die letztlich erfolgreiche moderne Auffassung vom Wettkampf- und Wissenschaftscharakter des „Schachsports“ vertraten dagegen die jüngeren Meister, etwa der Düsseldorfer Dr. Alfred van Nüß (1896-1961), der gegen den späteren holländischen Weltmeister (aber Amateur!) Dr. Max Euwe (1900-1980) im Wettkampf ein 1-1 erreichte. Neben dem Kongressort Bad Ems waren Köln, wo die Rheinische Schachzeitung bis 1933 erschien und die Weltklassespieler Richard Reti (1889-1929), Aron Nimzowitsch (1886-1935) und Rudolf Spielmann (1882-1943) zeitweilig wohnten beziehungsweise Meisterschulungen abhielten, und Wiesbaden (internationale Meisterturniere, Weltmeisterschaft 1929 Aljechin – Bogoljubow) auch nach 1933 die wichtigsten Zentren im MRSV. Zurecht kann die ab 1924 (bis 1938) ausgetragene hoch dotierte Rheinmeisterschaft als westdeutsche Amateurmeisterschaft bezeichnen werden, da sie von qualifizierten Spielern aus dem Bereich Badens, Hessens, Nordrheins, Saarlands und von Rheinland-Pfalz ausgespielt wurde. Sieger wurden hier unter anderem Dr. Deichmann, Dr. van Nüß, Wilhelm Orbach (Offenbach 1894 – Auschwitz 1944), Otto Walter (03 Koblenz, 1894-1973), Hugo Hussong (Ludwigshafen 1902-1943), Ludwig Engels (Düsseldorf 1905-1967 Sao Paulo), Gerhard Weißgerber (Saarbrücken 1905-1937) und Günther Michalowski (Düsseldorf 1911-1940 Selbstmord Paris).
Da der MRSV also traditionellerweise zunächst nur Einzelmeisterschaften organisierte, wurde am 3.7.1927 in Ehrenbreitstein der nicht dem DSB angehörende Rheinisch-Nassauische Schachverband nördlich der Lahn und Mosel und der Umgebung von Koblenz und Neuwied gegründet, … damit die so beliebten Vereinswettkämpfe in geordnete Weise zum Austrag kommen. Da der RNSV eher dem ’Breitensportgedanken’ nahe stand und der MRSB eher dem des Amateur-Spitzensports, konkurrierten beide Verbände in den Jahren vor 1933 derart miteinander, dass in Koblenz zum Beispiel zwei Stadtmeisterschaften nebeneinander ausgetragen wurden. Der MRSV zog 1929 in seinen des Öfteren umbenannten Unterverbänden (Frankfurt, Main-Taunus, Rhein-Mosel, Rhein-Nahegau, Rhein-Westerwald) bei den Mannschaftskämpfen nach. Gespielt wurde in der Regel an sechs Brettern; einen Aufstieg zu einer Deutschen Vereinsmannschaftsmeisterschaft, die erstmals 1938 ausgetragen wurde, gab es noch nicht. 1932 erreichte der MRSV mit der Ausrichtung des 27. DSB-Kongresses an Ostern in Bad Ems seinen absoluten Höhepunkt (Live-Radioreportage von Dr. Laven), eine Vorrangstellung im deutschen Schachleben. Es war nämlich durch die Zusagen der Bad Emser Kurdirektion und von Baurat Karl Otto (gestorben 1935) gelungen, das Aufstiegsturnier zur Deutschen Einzelmeisterschaft endgültig, alle zwei Jahre alternierend nach Ems zu holen.
Der allgemeine Aufschwung des Schachspiels in seiner Verbreitung und Mitgliederzahl lässt sich insgesamt nicht nur im „bürgerlichen“ Lager konstatieren. Wie in den Massensportarten, die nach dem Ersten Weltkrieg einen immer größeren Raum in den Tageszeitungen einnahmen, findet sich in der Weimarer Republik eine heute schwer verständliche Diversifizierung der Verbände nach Weltanschauung und Berufen auch im Schach.
Am weitaus wichtigsten war hier der 1909/1911 gegründete Deutsche Arbeiterschachbund, der trotz einer frühen Nachricht 1913/1914 für Koblenz südlich von Köln (Fordwerke) im Rheinland nicht sehr mitgliederstark war und blieb. Immerhin konnte der Kölner Stadtverband (III. Kreis Westdeutschland) bereits 1923 Mannschaftskämpfe („Wanderbrett“) austragen. Die in Koblenz und Köln erscheinenden SPD – Gewerkschaftsnahen „Rheinische Warte“ und „Rheinische Zeitung“ sorgten mit ihren wöchentlichen großen Schachspalten für einen Organisationsgrad, der im „bürgerlichen Lager“ niemals erreicht wurde. Im zentral gesteuerten Arbeitersport hatte das geistig schulende Schach einen Sonderstatus; der Breitensportcharakter wurde dabei bewusst angestrebt (Arbeiter lerne denken) und der bürgerliche Leistungsgedanke abgelehnt. Im III. Kreis (1927: 3.000 Mitglieder in 78 Ortsgruppen), 2. Bezirk (Regierungsbezirk Koblenz und Trier) gelang erst 1927 mit großen Anstrengungen durch Neuwied und Vallendar die endgültige Gründung der Ortsgruppe Koblenz. Grundlegende Probleme des Arbeiterschachs auch im Rheinland waren die Spaltungstendenzen zwischen Kommunisten und SPD/Gewerkschaften bis in die Ortsgruppen hinein. Die daraus resultierenden Diskussionen überwucherten ab 1928 öfters den Spielbetrieb, so dass spätestens nach 1933 die stärkeren Spieler in das „bürgerliche Lager“ wechselten, was zuvor strikt verboten war.
Gerade im Rheinland stellten der Katholische Jungmännerverband und der Katholische Gesellenverein seit der Weltwirtschaftkrise 1929 eine weitere wichtige Schachorganisation auf Pfarreibasis dar. Hier stand unter Leitung der Pfarrer der Gedanke sinnvoller Beschäftigung und geistiger Schulung im Vordergrund. Neben Köln mit über 500 Spielern verfügte zum Beispiel Koblenz in allen Pfarreien über Ortsgruppen, die sich allgemein bis 1937 in Mannschafts- und Einzelmeisterschaften über Bezirke zu Deutschen Meisterschaften qualifizieren konnten.
Schließlich existierten im Rheinland auch einige Schachgruppen des konservativ-deutschvölkischen Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands, was wahrscheinlich nach 1933 in den Betriebschachgruppen der Versicherungen (Allianz) in Koblenz und Köln seinen Niederschlag fand.
Mit dem Aufkommen des Rundfunks nach 1920 nutzten die oftmals den Naturwissenschaften nahestehenden Schachspieler wie auch später bei Computer und Internet diese neue Technologie gleich für ihre Zwecke in Form des sogenannten „Funkschachs“. Das heißt, es konnten so Partien gespielt, regelmäßig Übungsabende veranstaltet und über Wettkämpfe live berichtet werden.
4. Die Nationalsozialistische Zeit – Schach als Sport
Die grundlegenden Veränderungen nach dem 30. 1. 1933 betrafen im Schach besonders die städtischen Vereine und Organisationen. Sehr viele ältere – auch nichtjüdische Funktionäre und Spitzenspieler traten freiwillig „wegen Erkrankung“ zurück; oftmals konnten die Ämter dann über Jahre hinweg nicht wiederbesetzt werden – aus Protest (?). Im SV 03 Koblenz etwa trat der jüdische 1. Vorsitzende - der nach Holland geflohene Rechtsanwalt wurde 1944 mit seiner Familie im KZ ermordet – zurück, während der 2. Vorsitzende als KPD -Stadtratsmitglied gleich verhaftet und schwer misshandelt wurde, woran er 1935 in Südfrankreich verstarb. Im Hauptort des MRSV Bad Ems wurden nach Rücktritten des nichtjüdischen und durchaus deutschnationalen Kurdirektors und des Baurats Otto die glanzvollen Kongresse beendet.
Trotz aller Unterdrückung und Diskriminierung gab es auch am Mittelrhein weiterhin jüdische Schachvereine, ja bis 1938 konnten gar drei „jüdische Meisterschaften von Deutschland“ ausgetragen werden mit Beteiligung rheinischer Spieler. Der jüngeren und teilweise schneidig nationalsozialistischen DSB-Führung gelang es zwar kurzzeitig die unselige Zersplitterung im Schachleben endgültig zu beseitigen, doch verließen sowohl Spitzenspieler als auch viele freigiebige bürgerliche Funktionäre das deutsche Schachleben. Von dem versprochenen qualitativen wie auch quantitativen Aufschwung kann im Schach am Mittelrhein sicherlich nicht gesprochen werden.
Nach 1933 wurden die alten Rheinmeisterschaften des Öfteren durch die Westdeutschen Zonenturniere annähernd ersetzt, die eine eindeutige Qualifikation zur Deutschen Einzelmeisterschaft darstellten. Der MRSV war 1936 in fünf Unterverbände gegliedert, wovon West sich wiederum aus den Bezirken Andernach, Koblenz, Kreuznach, Idar-Oberstein und Trier zusammensetzte. Zwar bestand der MRSV trotz seiner Überdimensioniertheit im Großdeutschen Schachverband weiterhin fort, doch entwickelte sich ab 1935 in der durch Goebbels geförderten finanzkräftigen KdF-Organisation (Amt Feierabend) mit der DSG (Deutschen Schachgemeinschaft) eine starke Konkurrenz, die sogar über hochwertige eigene Monatszeitschriften (Schach; Schachecho) verfügte. Um Koblenz herum gründete sich der eigene Schachkreis „Deutsches Eck“. Der Niedergang in den Mannschaftsmeisterschaften jedenfalls am Mittelrhein vor 1939 ließ sich damit aber nicht stoppen. Mit Kriegsbeginn brach – wie auch sonst in allen Sportarten - zunächst das organisierte Schachleben zusammen. Ab 1941 übernahm dann die KdF – DSG auf lokaler Ebene häufig im Zusammenhang von Truppenbetreuung die Organisation von Einzel- und Mannschaftsturnieren. Das Vereinsleben war aber in dieser Hinsicht erloschen.
5. Die Bundesrepublikanische Zeit bis 1982
Nach der Stunde Null scheiterten zunächst alle Vereinsmannschaftsmeisterschaften an der gerade durch die von den Franzosen restriktiv gehandhabten Wiedergründungsanträge der Vereine und Verbände; sogar die vorausschauende Gründung eines „Schachverbandes Rheinland-Pfalz“ wurde 1946 (!) abgelehnt. Die Grundstrukturen des alten MRSV blieben auch nach der Gründung des Hessischen Schachverbandes 1946 bestehen, da dieser einen eigenen (bis heute bestehenden) Unterverband Mittelrhein gründete und der Schachverband Nordrhein-Westfalen ebenfalls über einen solchen verfügt. Allerdings war dieser Unterverband bis 1978 wegen seines südlichen Teils (Regierungsbezirke Koblenz und Trier) wesentlich umfangreicher und überschritt die Grenzen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz bei weitem. Nachdem der davon völlig abgekoppelte Pfälzische Schachbund sich bereits 1973 in „Schachbund Rheinland-Pfalz“ umbenannt hatte, erfolgte die Gründung des regelrechten Schachbundes Rheinland-Pfalz mit den drei Unterverbänden Rheinland, Rheinhessen und Pfalz erst 1982 gegen erhebliche Widerstände rheinischer Vertreter – von einer völlig harmonischen Einheit kann bis heute keine Rede sein.
Der 1947 gegründete Schachverband Rheinland (Regierungsbezirke Koblenz und Trier), in dem auch der alte Rheinisch-Nassauische SV wieder auflebte und der ab dann auch seine Meisterschaften ausrichtete, wurde quasi 1955 durch die Expansion der beiden Großverbände aus Hessen und Nordrhein-Westfalen „zerrissen.“ Im ’Brennpunkt’ wurde zwar der Schachkreis Koblenz „im Schachverband Mittelrhein“ gegründet, aber der SV 03/25 Koblenz und einige Lahn-Vereine waren bis 1959 Mitglieder im Hessischen Schachverband! Zwischen den 50er bis 80er Jahren dominierten in der Spitze des SVM im SV NRW die Kölner Vereine und hier insbesondere die erfolgreichste deutsche Nachkriegsmannschaft der SG Porz, die sich als dauerhafter Sieger der Oberligen Mittelrhein und später der II. Liga West/Südwest zu Deutschen Mannschaftsmeisterschaften qualifizierte und öfters siegte. In diesem Zusammenhang waren auch am Mittelrhein Anfänge einer Professionalisierung zu erkennen, was aber noch durch starke Amateure beziehungsweise „Semiprofis“ (häufig Studenten) überspielt wurde. Herauszuheben ist hierbei der erfolgreichste deutsche Spieler seit der Zeit des einzigen deutschen Schachweltmeister Dr. Emanuel Lasker (1868-1941), der Kölner Altphilologe Dr. Robert Hübner (geboren 1948) aus Bonn, der 1980 das Kandidatenfinale um die Weltmeisterschaft erreichte.
6. Die neuesten Entwicklungen – Öffnung des Ostens und „Profischwemme“
Erst nach der Zäsur von 1982 bildeten sich die Landesverbände innerhalb der Ländergrenzen endgültig und in der heutigen Form heraus. Im südwestlichen NRW blieb die dem Namen nach fortbestehende Oberliga Mittelrhein mit ihren Unterverbänden. Für Rheinland-Pfalz und Saarland gibt es bis heute die Oberliga Südwest. Die obersten Schachspielklassen blieben davon aber unbenommen. So spielte der erfolgreichste rheinland-pfälzische Schachverein der Nachkriegszeit, der SV 03/25 Koblenz, zwischen 1982 bis 1994 in der 1981 begründeten einteiligen I. Bundesliga. Dort hatte sich auch das „Schachdorf“ Kettig (bei Koblenz) bis Ende der 80er Jahre halten können. Beide waren dorthin aufgestiegen aus einer der vier II. Bundesligen (hier Südwest), die es seit 1974 gab. Erst nach der Wiedervereinigung wurde daraus II. Bundesliga West. Der DSB konnte nach der politischen Zäsur von 1990 und der Erweiterung seiner Landesverbände seine Mitgliederzahl von circa 100.000 halten. Allerdings wurde so nur das Abflachen des großen Schachbooms der 1970/80er (Bobby Fisher und Dr. Hübner) im Westen Deutschlands kompensiert.
Zwei wesentliche Veränderungen, die auch das rheinische (Spitzen)Schach betrafen und betreffen, sollen noch dargestellt werden. Zum ersten das ganz besonders im Schachsport anzutreffende soziologische und leistungsrelevante Phänomen der „Ost-Profischwemme“ nach dem Fall des Ostblocks. Dort wurde schon lange gemäß kommunistischer Tradition (Arbeiterschach) nicht nur in der Sowjetunion, sondern überall das Schachspiel staatlich enorm gefördert, etwa flächendeckend mit hauptamtlichen Schachtrainern und teilweise kompletter Verschulung. Diese nun arbeitslosen Profis siedelten entweder nach Westeuropa über oder konnten/können als Gastarbeiter hier mit Visum ihren Lebensunterhalt im Osten bestreiten. Auf diese sehr „preiswerte“ Art und Weise entstanden und entstehen in einigen Kleinstädten oder sogar Dörfern, die bis dahin ganz ohne Traditionsverein waren, Mannschaften, die vollständig von der wechselhaften Gunst ihres Privatmäzens abhängen – eine dauerhafte Unterstützung durch Wirtschaftsunternehmen kommt wegen der geringen Medienwirksamkeit des Spiels kaum je in Frage, obwohl fast jeder zweite erwachsene Deutsche die Regeln kennt. Hinzu kam nach dem eigentlich für den Fußball bestimmten Bosman-Urteil, das die freie Berufswahl in der EU vorschreibt, nunmehr die Möglichkeit für die sozial „abstiegsbedrohten“ westlichen Halb-Profis, in verschiedenen Schachligen in ganz Europa ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So sind etwa die heutigen Erstliga-Mannschaften aus Trier und Remagen mit Halb/Profis aus ganz Europa besetzt, während der alte Rekordmeister Porz auf Weisung seines Mäzens mit einer aus holländischen Nationalspielern und anderen russischen Spitzenspielern bestehenden Mannschaft in der II. Liga West als Dauermeister „verharrt“, weil sich ihr Mäzen mit dem Modus der I. Liga nicht anfreunden konnte. Der kleine Traditionsverein SV 03/25 Koblenz versucht dagegen als „Fahrstuhlmannschaft“ zwischen Oberliga Südwest und II. Liga ebenfalls im Westen wie schon seit jeher mit einer Mannschaft, die nur aus heimischen berufstätigen Spielern besteht, den Anschluss zu halten.
Eine zweite Veränderung, die sowohl das Breiten- wie auch Spitzenschach nachhaltig beeinflusste, war die Ausbreitung des Internets und die Entwicklung hochleistungsfähiger Computer ab Mitte der 90er Jahre. Dass das Internet nunmehr jedem Spieler den Zugang zu unzähligen Spielpartnern weltweit möglich machte, hatte auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen der Vereine sicherlich keine positive Auswirkung, ermöglichte aber die enorm gut besuchten Live-Übertragungen der Großereignisse. Hinzu kommt, dass die tatsächliche Unschlagbarkeit des Computers und seine in gewissen Grenzen Unfehlbarkeit dem Schachspiel einiges an Zauber nahm. Der Trend im Profi- wie auch Spitzenamateurschach hin zu immer effektiverem Training und Eröffnungsvorbereitung ist ebenfalls dem Computer als Datenbank zu verdanken. Damit geht vor allem bei den Spitzenjugendspielern vielfach auch ein Wandel in der Spielauffassung einher – weg vom aus Lehrbüchern erlernten Spielen nach klassischen Prinzipien hin zum rein optisch aufgefassten Memorieren von Eröffnungsbildern und Varianten einhergehend mit „prinzipienlosem“ Spielen nach Berechnung.
Online
Bohn, Thomas, Geschichte des SV 03/25 Koblenz e. V. und des Schachspiels am Mittelrhein (1808-2010), Koblenz 2010. [Online]
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Bohn, Thomas, Schach am Mittelrhein, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/schach-am-mittelrhein/DE-2086/lido/57d12d780b3cb1.14738010 (abgerufen am 07.10.2024)