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Ritter Gerhard Chorus war der vermutlich bekannteste Aachener Bürgermeister des Spätmittelalters. Als städtischer Gesandter und Modernisierer der Aachener Verfassung erwarb er sich große Verdienste um seine Heimatstadt, in der er als Vogtmeier und Schöffe auch in der Rechtsprechung wirkte. Als Provisor verschiedener Spitäler und als Christoffel der Scherptorgrafschaft hatte er weitere bedeutende Ämter inne.
Der Name Chorus ist seit dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts in Aachen nachweisbar. Vermutlich gehören alle in Aachen nachweisbaren Träger dieses Namens zu einer Familie, obwohl sich der Verwandtschaftsgrad der einzelnen Familienmitglieder nicht näher bestimmen lässt. Im 13. Jahrhundert treten sie in Urkunden als Zeugen auf, sind jedoch nicht in wichtigen Ämtern nachweisbar. In den 1320er Jahren gelingt einigen Familienmitgliedern der Aufstieg in den Schöffenstuhl und in das Amt des Vogtmeiers, der dem herrschaftlichen Gericht Aachens vorstand. Andere, wie Gerhard Chorus, stiegen über die Gemeindeverwaltung und das Amt des Bürgermeisters auf.
Gerhard wurde vermutlich zwischen 1285 und 1290 geboren. Weder die Namen seiner Eltern noch die Lebensumstände, in denen er seine Jugend verbrachte, sind bekannt. Auch lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob er Geschwister hatte. Das Amt eines Aachener Bürgermeisters, das jeweils am 25. Mai zwei durch Wahl bestimmte Mitglieder des Rates für ein Jahr übernahmen, hat Gerhard sicher 1324/1325, 1325/1326, 1327/1328, 1338/1339 und 1346/1347 innegehabt. Für eine sechste Amtsperiode in den Jahren 1340-1342 gibt es starke Indizien. Da die Liste der bekannten Aachener Bürgermeister für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts größere Lücken aufweist, könnte er das Amt noch öfter bekleidet haben.
Als Bürgermeister unternahm Gerhard zahlreiche Gesandtschaften zu reichsgeschichtlich bedeutenden Hoftagen Kaiser Ludwigs des Bayern (1282-1347, römisch-deutscher König ab 1314, Kaiser ab 1328), wodurch ihm der soziale Aufstieg gelang. Vermutlich Anfang Dezember 1331 erhob ihn der Kaiser auf einem kaiserlichen Hoftag zu Frankfurt in den Ritterstand. Das Jahr 1338 markiert einen Höhepunkt seiner diplomatischen Tätigkeit: Gerhard nahm an zwei Hoftagen in Frankfurt teil, die sich mit dem Konflikt Ludwigs des Bayern mit dem Papsttum befassten. Außerdem zog er im kaiserlichen Tross von Frankfurt nach Koblenz, wo er am 5. September vermutlich Augenzeuge des glänzenden Hoffestes wurde, mit dem Kaiser Ludwig und König Eduard III. von England 1312-.1377, König 1327-1377) ihr Bündnis gegen den König von Frankreich feierten. Unter Gerhards Verhandlungsführung hielt Aachen Kaiser Ludwig im Konflikt mit der Kirche lange die Treue. Dieser belohnte die Stadt dafür mit der wiederholten Bestätigung städtischer Privilegien. Ob er diese Treue konkret mit der Person Gerhards verknüpfte, ist ungewiss. Die verschiedentlich unternommenen Versuche, ein Art Freundschaft Gerhards mit dem Wittelsbacher zu konstruieren, finden in den Quellen keine Entsprechung. Vielmehr war die Beziehung in erster Linie von politischen Interessen geprägt und bezog ihre Stabilität aus ihrer Nützlichkeit für beide Seiten.
Nicht zuletzt der Aufstieg des Luxemburgers Karl IV. (1316-1378, ab 1346 römisch-deutscher König, ab 1355 Kaiser) zeigt jedoch, dass auch der Treue Aachens zu den Wittelsbachern Grenzen gesetzt waren. Als sich die politische Situation 1346 zuspitzte, verhandelte Gerhard in Köln erstmals mit den Unterstützern Karls über die Bedingungen seiner Wahl und sowie der Anerkennung seiner Krönung in Aachen. Zwar verblieb die Stadt zunächst auf Seiten Kaiser Ludwigs, als Karl am 11.7.1346 in Rhens zum Gegenkönig erhoben wurde. Doch spätestens nach Ludwigs überraschenden Tod am 11.10.1347 vollzog Aachen einen Wechsel seiner Politik. Nachdem fast alle bedeutenden Fürsten im Nordwesten des Reiches einschließlich der Stadt Köln in das Lager Karls IV. gewechselt waren, lotete Gerhard im Frühling 1349 an der Spitze einer Aachener Delegation beim Markgrafen von Jülich erneut die Bedingungen für einen Übertritt Aachens auf die Seite Karls aus. Offenbar war Gerhard nicht bereit, für den politisch ins Hintertreffen geratenen Kandidaten der wittelsbachischen Partei, Günther von Schwarzburg (1304-1349, Gegenkönig 1349), die Unversehrtheit und die Interessen Aachens aufs Spiel zu setzen. Am 25.7.1349 öffnete Aachen schließlich Karl IV. die Tore und gab den Weg für dessen Krönung in der Aachener Marienkirche frei.
Ein weiterer wichtiger diplomatischer Erfolg, der 1357 mit Beteiligung Gerhards zustande kam, war der Abschluss eines Landfriedensbundes zwischen Maas und Rhein zwischen dem Erzbischof Köln, den Herzögen von Lothringen, Limburg und Brabant sowie den Städten Köln und Aachen. Unter den Ausstellern der Aachener Urkunde vom 28.7.1351 steht Gerhard an der Spitze der Aachener Würdenträger. Letztlich beweisen seine zahlreichen Gesandtschaften an den Hof des Kaisers und anderer reichspolitisch bedeutender Fürsten, dass Gerhard das Vertrauen des Aachener Rates genoss, zumal er auch noch zu solchen Missionen bestellt wurde, als er das Amt des Bürgermeisters nicht bekleidete.
Gerhard machte mehrere Stiftungen zugunsten bedeutender Aachener Kirchen und Klöster. Der Aachener Marienkirche stiftete er eine Seelenmesse für sich und seine Frau Katharina jeweils am Tag nach Allerseelen. Ähnliche Stiftungen erfolgten zugunsten des Adalbertstifts, des Heilig-Geist-Spitals und der Klöster der Augustiner und Dominikaner. Warum die Stiftungen alle am 13.1.1353 erfolgten, ist unklar. Vielleicht hat die Erfahrung der Pest, die Aachen Ende 1349 erfasst hatte, eine Rolle gespielt. Doch erfolgten diese Stiftungen sicherlich auch aus innerer Überzeugung, denn bereits am 11.1.1335 hatten Gerhard und seine Frau Katherina für die Zisterzienserinnenabtei Burtscheid an der päpstlichen Kurie in Avignon einen Sammelablass erwirkt. Laut dem Text der Urkunde gewährte der Papst allen Personen 40 Tage Ablass, die an verschiedenen kirchlichen Feiertagen die Abteikirche besuchen, ihr eine Wohltat erwiesen und für Gerhard und seine Gattin Katherina beteten. Die Urkunde zeigt neben Darstellungen von Christus und Johannes dem Täufer, einem der Patrone der Abtei Burtscheid, eine männliche und weibliche Figur, die als Gerhard Chorus und Katherina bezeichnet sind. Dass diese Darstellungen dem tatsächlichen Aussehen der Eheleute entsprachen, ist allerdings unwahrscheinlich. Vielmehr basiert die Urkunde auf einem vorgefertigten Formular, das nach den speziellen Wünschen der Bittsteller künstlerisch gestaltet wurde. In der Hoffnung auf sein Seelenheil und zur Förderung der Burtscheider Abtei wird Gerhard die Kosten für dieses aufwendige Dokument bezahlt haben. Darüber hinaus scheint er zeitlebens gute Beziehungen zu der Abtei gepflegt zu haben, denn neben dem Ablass stiftete er ihr noch einen jährlichen Zins von fünf Mark und 40 Schillingen.
In den Jahren 1332-1338 stand Gerhard als Vogtmeier dem in Aachen angesiedelten herrschaftlichen Gericht vor. Er dürfte also über gute Beziehungen zum Grafen von Jülich verfügt haben, der die Aachener Vogtei und Meierei in seiner Hand vereinigte. Der Graf von Jülich übte diese Ämter nicht selbst aus, sondern ließ sich darin von einem Aachener Bürger vertreten, der im Gegensatz zu Gerhard im Allgemeinen aus einer Schöffenfamilie stammte.
Als Bürgermeister des Jahres 1338 dürfte Gerhard auch an der Ordnung für das städtische Kurgericht beteiligt gewesen sein, die am 22. Dezember vom Aachener Rat verabschiedet wurde und in urkundlicher Form überliefert ist. Diese „Schöpfung städtischer Autonomie“ (Franz Schollen), die als Strafgericht in Konkurrenz zum Schöffengericht trat, sollte für Frieden und Ruhe in der Stadt sorgen. Es fällte seine Urteile nach Statuten, die sich die Stadt selbst gegeben hatte.
In der Spätphase seines Lebens begegnet Gerhard vor allem als Schöffe am herrschaftlichen Gericht in Aachen, an dem er bereits als Vogtmeier gewirkt hatte. In diesem Amt ist er erstmals in einer Urkunde vom 8.1.1356 nachweisbar. Er hat es, wie damals üblich, bis zu seinem Tod bekleidet. Als Schöffe war er für zivilrechtliche Angelegenheiten wie Erbschaften und Verpachtungen, Verpfändungen und Schenkungen sowie Nachbarschaftsstreitigkeiten zuständig. Hinzu kamen wohl auch strafrechtliche Angelegenheiten, wenngleich hierfür Belege fehlen. Zusammen mit einigen Mitschöffen hat er 1360 und 1363 den Versuch unternommen, Streitigkeiten im Schöffenkollegium, die sich offenbar am Verfahren zur personellen Ergänzung der Schöffenbank entzündet hatten, durch verpflichtende Vereinbarungen zu schlichten. Seinem Wirken ist es zu verdanken, dass sich das Gremium zunehmend auch für Personen öffnete, die nicht aus Schöffenfamilien stammten. Umgekehrt tauchen die Schöffen in der Kurgerichtsordnung erstmals als Mitglieder des Aachener Rates auf, was langfristig die Verschmelzung der Angehörigen dieser Institutionen zu einer neuen Aachener Führungsschicht führte. Neben seiner Tätigkeit als Schöffe übte Gerhard seit 1364 auch das Amt des Christoffels der Scherptor-Grafschaft aus. Damit war er verantwortlich für die Verteidigung dieses Aachener Wehrbezirks gegen äußere Feinde, die Instandhaltung seiner Wehranlagen und den Schutz gegen Feuersbrünste. Belegt ist er zudem als Provisor des Heilig-Geist-Spitals und des Gasthauses am Radermarkt. Als solcher war er für die Begutachtung und Kontrolle der Finanzen dieser Institutionen zuständig.
Am 20.4.1367, einem Dienstag, ist Gerhard Chorus gestorben. Erkennbare Nachkommen hat er nicht hinterlassen. Die umfangreichen Kirchenstiftungen und das der Stadt Aachen gegen eine jährliche Leibrente in Höhe von 250 Mark überlassene Kapital machen Kinder unwahrscheinlich, zeigen jedoch, dass er ein wohlhabender Mann gewesen war. Neben zahlreichem Grundbesitz in Aachen und Umgebung, den er teilweise verpachtet hatte, waren ihm aus seinen verschiedenen Tätigkeiten als Ratsherr, Bürgermeister, Vogt und Schöffe zahlreiche Einkünfte zugeflossen.
Begraben wurde Gerhard Chorus in der Vorhalle des heutigen Doms an einer besonders ausgezeichneten Stelle. Eine 1913 dort angebrachte Bronzeplatte gibt den Wortlaut der von dem frühneuzeitlichen Aachener Geschichtsschreiber Petrus à Beeck (gestorben 23.2.1624) überlieferten Grabinschrift wieder:
Gerhard Chorus, ein wegen seiner Vorzüge berühmter Ritter, vielfach wohltätig, Verbrechen ließ er nicht ungesühnt, beim Volke hoch angesehen, dem Klerus gegenüber mild wie ein Lamm. Die Stadt liebte er und er regierte das Volk vorzüglich. Möge Gott ihn vor Strafe befreien und vor höllischem Abgrund!
Auffällig ist das Fehlen des Sterbedatums, weshalb unklar ist, ob die Inschrift zeitgenössisch ist oder einer anderen Zeit entstammt. Spätere Quellen, wie die am Ende des 15. Jahrhunderts begonnene Aachener Chronik, bezeichnen ihn als Erbauer des gotischen Rathauses. Die 1620 von Petrus à Beeck unter dem Titel Aquisgranum geschriebene Geschichte der Stadt Aachen dehnt diese angebliche Rolle Gerhards auf weitere Großbauten wie den zweiten Mauerring um Aachen und den spätgotischen Chor der Aachener Marienkirche aus. Für diese Behauptungen der frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung finden sich in den zeitgenössischen Quellen jedoch keine Belege. Auch die Grabinschrift erwähnt seine angeblichen Verdienste als Baumeister nicht. Bauhistorische Untersuchungen am Aachener Rathaus belegen indes, dass die Arbeiten bereits viel früher begonnen worden sind.
In Beecks Darstellung wird Gerhard zum Vertreter eines goldenen Zeitalters und wird dabei ganz bewusst mit Karl dem Großen gleichgesetzt: Karl erbaute Marienkirche und Pfalz, Gerhard die Chorhalle und das gotische Rathaus. So wie die spätere Geschichtsschreibung Karl den Großen zum Musterkönig des mittelalterlichen Reiches erhöhte, erhebt Beeck Gerhard Chorus zur Überfigur unter den Bürgermeistern des mittelalterlichen Aachen. Seine Verdienste als Leiter der Großbauten des spätmittelalterlichen Aachens mögen fragwürdig sein, seine Rolle als Leiter wichtiger diplomatischer Missionen und Stifter zugunsten Aachener Kirchen und Klöster ist jedoch unstrittig. Darüber hinaus zeigen die zeitgenössischen Quellen, dass er eine wichtige Rolle in der Modernisierung der Aachener Verfassung gespielt hat.
Quellen
Regesten der Reichsstadt Aachen (einschließlich des Aachener Reiches und der Reichsabtei Burtscheid), Band 2, bearb. v. Wilhelm Mummenhoff, Köln 1937, Nachdruck Düsseldorf 1937; Band 3, bearb v. Thomas R. Kraus, Düsseldorf 1999.
Literatur
Birmanns, Martin, Ritter Gerhard Chorus, Bürgermeister von Aachen. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Aachen im 14. Jahrhundert, Aachen 1913.
Coels von der Brügghen, Luise Freiin von, Die Aachener Bürgermeister von 1251 bis 1798, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 55 (1933/34), S. 41-77.
Deloie, Ingo, Zur Bedeutung des Aachener Bürgermeisters Gerhard Chorus – ein frischer Blick nach 100 Jahren, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 119/120 (2017/2018), S. 243–281.
Deloie, Ingo/Samp, Julia, Ablassbrief für das Zisterzienserinnenkloster Burtscheid, in: Pohle, Frank/Roebers, Carmen (Hg.), Das Ringen um den rechten Glauben. Reformation und Konfessionalisierung zwischen Maas und Rhein. Katalog zur Ausstellung vom 03.06.2017-03.09.2017 im Centre Charlemagne – Neues Stadtmuseum Aachen, Aachen 2017, S. 18-19.
Flach, Dietmar, Untersuchungen zur Verfassung und Verwaltung des Aachener Reichsgutes von der Karolingerzeit bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Göttingen 1976, S. 244-280.
Haagen, Friedrich, Chorus, Gerhard, in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876), S. 137-138.
Kaemmerer, Walter, Chorus, Gerhard, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 214.
Kraus, Thomas, R. (Hg.), Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Band 3.1: Stadtwerdung–Ereignisse1138 bis 1500; Band 3.2: Lebensbereiche 1138-1500, Aachen 2014-2015.
Quix, Christian, Biographie des Ritters Gerard Chorus, Erbauers des Rathauses und des Chors an der Marien- oder Münsterkirche, Aachen 1842.
Schollen, Franz, Die rechtsgeschichtliche Bedeutung des Aachener Kurgerichts, in: Aus Aachens Vorzeit 12 (1899), S. 49-64.
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Deloie, Ingo, Gerhard Chorus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerhard-chorus/DE-2086/lido/612f2eca8de861.08668539 (abgerufen am 05.11.2024)