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Einer der mutigen, während der NS-Zeit gegen den Nationalsozialismus auftretenden Priester war der Marienstätter Zisterzienser Raymund Peter Lohausen, der als gebürtiger Siegburger in seiner Heimatstadt als Kaplan wirkte. Sein Auftreten brachte ihn ins KZ Dachau, das er schwer krank nur wenige Jahre überlebte.
Peter Lohausen wurde am 16.4.1897 in Siegburg geboren und in der Pfarrkirche Sankt Servatius getauft. Er wuchs in dem noch existierenden Haus Kaiserstraße 117 in der nördlichen Innenstadt bei seinen Eltern Josef (1855-1942) und Margaretha (1851-1940), geborene Boltendorf, auf. Als Kind erlebte er ganz in der Nähe seines Elternhauses den Bau der Annokirche, zu der 1906 der Grundstein gelegt worden war und die 1909 geweiht wurde. Die Servatiuskirche am Markt hatte den Siegburger Gläubigen schon lange nicht mehr ausreichend Platz geboten. Inwieweit der Kirchenbau Lohausen in seiner Glaubensorientierung beeinflusst hat, lässt sich nicht sicher sagen. Schon bei seiner Erstkommunionfeier soll er den Wunsch geäußert haben, Priester zu werden. Dass er sich früh zu einem Wirken als Geistlicher berufen fühlte, wird spätestens durch seinen Entschluss belegt, vom Siegburger humanistischen Gymnasium, dem späteren Anno-Gymnasium, an eine kirchliche Schule zu wechseln. Als 15-Jähriger ging er 1912 an die zwei Jahre zuvor in Streithausen bei Hachenburg gegründete Oblatenschule der Zisterzienserabtei Marienstatt im Westerwald. Das heutige Gymnasium diente damals fast ausschließlich der Bildung des Ordens- und Priesternachwuchses. 1916 wurde Lohausen für zwei Jahre Soldat im Ersten Weltkrieg. Anschließend kehrte er nach Marienstatt zurück, um als Novize mit dem Ordensnamen Raymund philosophisch-theologische Studien aufzunehmen. Die feierlichen Gelübde legte er am 19.3.1923 ab, am 14.6.1924 wurde er durch den Limburger Bischof Augustinus Kilian in der Marienstätter Abteikirche zum Priester geweiht. Pater Lohausen übernahm nun selbst Lehraufgaben an der Oblatenschule und war 1933/1934 sogar deren Leiter.
Im Ersten Weltkrieg hatte Lohausen schwere Verwundungen erlitten. Ganz genesen ist er nie. Er erhielt eine 30-prozentige Militärrente. Aufgrund der gesundheitlichen Probleme ließen es die Ordensoberen zu, dass Lohausen 1935 nach Siegburg zu seinen Eltern zurückkehrte und fortan in der Pfarrei Sankt Anno als aushelfender Seelsorger wirkte. Er kam hier in engen Kontakt mit dem vor allem als Religionslehrer den Katholizismus gegen die NS-Ideologie verteidigenden Kaplan Leo Wolfen (1901–1948). Der in Wuppertal-Barmen am 25.3.1901 geborene Leo Bernhard Wolfen war am 24.2.1926 zum Priester geweiht worden und wirkte vom 11.12.1931 bis zum 16.1.1938 als Kaplan an der Siegburger Pfarrei Sankt Anno. Am 15.3.1937 erging gegen ihn ein „Schutzhaftbefehl“ mit der folgenden Begründung: „Sie haben sich während des Unterrichts den Schulkindern gegenüber über den Schulrektor, der gleichzeitig Ortsgruppenleiter der NSDAP ist, in abfälliger Weise geäußert und zum Ungehorsam gegenüber dem Rektor aufgefordert. Ihr Verhalten war dazu angetan, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden“. Wolfen gab zu, vor der Klasse gesagt zu haben: „Wenn Herr Rektor Bödefeld euch etwas sagt, was im Widerspruch steht zu dem Katechismus, zu den Katechismuswahrheiten oder zur Bibel, dann ist das nicht mehr katholisch. Ihr wisst, was ihr zu glauben habt.“ Der Kriminalabteilung des Landratsamts gegenüber begründete Wolfen seine Äußerungen mit dem Verhalten des Rektors. Dieser habe vor Schülern gesagt: „Das Alte Testament ist kein heiliges Buch, sondern ein Buch, um die Schandtaten der Juden kennenzulernen.“ Er lese Antichristliches aus dem „Stürmer“ vor. Er habe ihn, Wolfen, als „Landesverräter“ bezeichnet und gesagt, ihn einmal „am liebsten von der Kanzel geworfen“ zu haben. Der Rektor hingegen warf Wolfen vor, bei ihm sei „eine gewisse Übereinstimmung mit jüdischen Manieren […] deutlich festzustellen“.
Unmittelbarer Anlass von Wolfens Festnahme war aber ein Vorfall vom 5.3.1937. In einer Unterrichtspause hängte er in der katholischen Volksschule Siegburg-Nord an der Bambergstraße (heute städtische Gemeinschaftsgrundschule), ein vom zentralen Platz über dem Pult entferntes Kreuz wieder auf. Es war zuvor gegen ein Hitlerbild ausgetauscht und an einer Seitenwand aufgehängt worden. Noch am selben Tag wurde Wolfen im Siegburger Landratsamt verhört und am folgenden Morgen zunächst in einen Keller der Kölner Gestapo am Appellhofplatz (EL-DE-Haus), dann ins nahe Gefängnis Klingelpütz gebracht.
Lohausen hat das Verhalten seines vier Jahre jüngeren Amtsbruders wohl mit Respekt beobachtet, denn nach Wolfens Fortgang aus Siegburg übernahm er einige seiner Aufgaben und war bald selbst als Freund klarer Worte und Gegner des NS-Staats bekannt. Während des Kriegs spitzte sich auch für Lohausen die Situation zu. Nach regimekritischen Äußerungen in der Neujahrspredigt 1942 und den folgenden Fastenpredigten wurde er verschärft überwacht, seine Post kontrolliert. Der NS-Ortsgruppenleiter hielt fest: „1. P. Loh. ist derjenige von den Geistlichen, der die straffeste Haltung gegen die Partei einnimmt und auch fühlbar in seinen Predigten gegen die Ideen der Partei Stellung nimmt. 2. P. Loh. ist Führer einer Jugendgruppe, die er mit großem Erfolg leitet. Die religiöse Einstellung der Mitglieder dieser Jugendgruppe ist dem Bemühen der Partei, die Jugend vollständig zu erfassen u. kirchenfeindlich zu erziehen, entgegengesetzt.“
Bei der Jugendgruppe handelte es sich um eine Untergliederung der Marianischen Jungfrauen-Congregation. Wohl in deren Rahmen gründete er am 28.7.1938 eine „Arbeitsgemeinschaft (AG)“ junger Frauen, die der NS-Ideologie in vieler Hinsicht widersprach. In den folgenden Jahren kam es zu etwa 200 Arbeitsabenden der sogenannten „AG am eckigen Tisch“, an denen jeweils durchschnittlich 25 junge Frauen teilnahmen. Neben der in einem engeren Sinne religiösen Schulung stand eine moderne persönlichkeitsbildende Arbeit, die in Leitsätzen wie dem folgenden mündeten: „Ich (als Frau) bin so frei geboren wie der Mann“. In einem Protokoll ist zu lesen: „Der Junge ist etwas anderes als ein Mädchen, aber nichts Besonderes. Mädchen dürfen es den Jungen gleich tun wollen an Wissen, Können und Ausdauer, aber nicht aus Abneigung gegen weibliche Pflichten oder aus dem Gefühl der Minderwertigkeit.“
Den Nationalsozialisten blieb solches Tun nicht verborgen, zumal Lohausen seit 1938 auch als Leiter des Mädchenchores an Sankt Anno über Einflussmöglichkeiten verfügte. Kamen ihm bekannte Mädchen und Jungen in Lager des Reichsarbeitsdienstes, pflegte er mit diesen eine umfassende Korrespondenz, um die geistliche Betreuung aufrecht zu erhalten. Dies aber war verboten und wurde vom Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers-SS am Kölner Appellhofplatz zum Anlass genommen, Lohausen festzunehmen. Am Dreikönigstag 1943 wurde er morgens um 9 Uhr im elterlichen Hause Kaiserstraße 117 verhaftet. Zwei Tage und zwei Nächte verbrachte er im Gestapokeller des Kölner EL-DE-Hauses, bevor er am 8.1.1943 in das nahe Gefängnis Klingelpütz überstellt wurde. Dort durfte er bis zum 23. Juni keinerlei Besuch oder Post empfangen. Derweil wurden viele Mitglieder der von ihm geleiteten Marianischen Jungfrauen-Congregation im Siegburger Bürgermeisteramt verhört, ohne aber festgenommen zu werden. Danach kam er nach Aushändigung eines von SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner (1903-1946) unterzeichneten Schutzhaftbefehls mit einem dreitägigen Transport in das Konzentrationslager Dachau, wo er fast zwei Jahre im sogenannten Priesterblock festgehalten wurde. Als die Befreiung der Lagerinsassen durch die herannahenden amerikanischen Truppen nahte, schickte die SS Gefangene auf sogenannte „Todesmärsche“, während derer viele an Hunger und Erschöpfung starben. Lohausen berichtete später: „Am 26. April 1945 kam ich auf den Todesmarch in die Ötztaler Alpen, konnte mich aber in der Nacht zum 29. April in der Nähe von Wolfratshausen/Obb. mit Hilfe und Unterstützung junger Jesuiten […] vom ‚Zug der Namenlosen‘ absetzen und war so gerettet.“ Doch Lohausens Gesundheit war ruiniert. Er übernahm zwar noch 1947 das Amt eines Spirituals bei den Zisterzienserinnen des Klosters Oberschönenfeld im Bistum Augsburg, doch starb er am 30.1.1948 im Augsburger Krankenhaus Vincentinum. Die Teilnehmerinnen seiner einstigen Arbeitsgemeinschaften blieben einander verbunden und trafen sich Ende der 1980er und Anfang der 1990er auch bei formalen Begegnungen. Die katholische Kirche gedenkt Lohausen als eines Märtyrers, ausdrücklich in Sankt Ursula in Köln und in der Marienstätter Abtei.
Literatur
Denter, Thomas/Helmut Moll, Pater Raymund (Peter) Lohausen, in: Moll. Helmut (Hg.), Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Band 2, 5., erweit. und aktual. Aufl. Paderborn [u.a.] 2010, S. 877-880.
Rameil, Winfried (Hg.), 100 Jahre Sankt Anno Siegburg. Festschrift zum Benediktionsjubiläum, Siegburg 2009, S. 107-119.
Online
Raymund Peter Lohausen auf den Seiten des Erzbistums Köln. [Online]
Raymund Peter Lohausen in den Biographia Cisterciensis [Online].
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Forsbach, Ralf, Raymund Peter Lohausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/raymund-peter-lohausen/DE-2086/lido/57c942e3a0e933.29632024 (abgerufen am 07.12.2024)