Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert
Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Einleitung
Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein stand der seit etwa 1560 unvollendet gebliebene gotische Dom in Köln außerhalb des allgemeinen Interesses. Grund war die ablehnende Haltung der Aufklärung gegenüber dem vermeintlich „finsteren“ Mittelalter. Das Urteil änderte sich erst mit der wenig später einsetzenden ästhetischen Neubewertung des gotischen Baustils im Sturm und Drang. So gab es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auch erste positive Beiträge über den Kölner Dom. Der Ausgangspunkt für diese Umbewertung ist seit dem 19. Jahrhundert mit dem Namen des Naturforschers, Geographen und Schriftstellers Georg Forster verbunden, der 1790 in Köln Station machte und dabei auch den Dom besuchte. Mit seiner positiven Würdigung des Kölner Doms wurde Forster zu einem frühen und wirkungsmächtigen Repräsentanten der in Deutschland einsetzenden Gotik-Debatte. Das Interesse am Dom war geweckt und mit diesem Interesse, das in den öffentlichen Debatten zum Ausdruck kam, waren von Anfang an Pläne verbunden, die auf eine Fertigstellung des Kirchenbaus zielten.
2. Gründung
Das Bestreben, zum Zwecke des Domausbaus einen Verein zu gründen, ließ sich erstmals in den 1830er Jahren in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen im Rheinland nachweisen. Eine der ersten Initiativen zur Vereinsgründung war der 1838 gestartete Versuch des Kölner Literaten und Präsidenten der städtischen Armenverwaltung Eberhard von Groote. Er schlug in der „Donnerstägigen Wintergesellschaft“, einer Vereinigung von Kölner Bildungsbürgern, vor, eine Bittschrift zur Genehmigung eines Dombauvereins an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) zu richten. Sein Plan scheiterte jedoch schon im Vorfeld aus nicht näher bekannten Gründen.
Zeitlich parallel, jedoch ohne Verbindung zu diesem ersten Kölner Gründungsversuch, verlief die Initiative des Düsseldorfer Regierungs- und Konsistorialrats Johann Vincenz Joseph Bracht (1771-1840). In den Jahren 1838 und 1839 ließ der Geistliche drei Heftchen mit selbstverfassten Berichten über den Kölner Dom drucken, die jeweils anonym und ohne Ortsangabe erschienen und an einen Kreis von Pfarrern und anderen Dominteressierten in Köln und Düsseldorf verteilt wurde. Von 1838 an herrschte zudem ein reger Briefwechsel zwischen dem Düsseldorfer Konsistorialrat und dem Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner, der erkennen lässt, wie sehr beide bemüht waren, für das Projekt der Domvollendung einen größeren Interessentenkreis zu gewinnen und die Gründung eines Vereins in die Wege zu leiten. Doch Bracht verstarb im Juni 1840, bevor er seine Pläne realisieren konnte.
In die Reihe der frühen Vereinsinitiativen gehört zweifellos auch jene anonyme Druckschrift mit dem Titel „Einige Worte über den Dombau zu Köln von einem Rheinländer an seine Landsleute gerichtet“, die im Herbst des Jahres 1840 erschien. Verfasser war der junge Koblenzer Gerichtsreferendar August Reichensperger, der gleich einen Vorschlag zur Organisation unterbreitete: Wie vor ihm schon Bracht, schlug Reichensperger die Errichtung eines Zentralvereins in Köln vor, dem sich untergeordnete Zweigvereine in den übrigen rheinischen Städten anschließen sollten. Doch auch Reichenspergers Anstrengungen liefen ins Leere.
Im Frühsommer 1840 deutete zunächst alles auf einen Stillstand in der Dombauangelegenheit hin. Sämtliche Versuche einer Vereinsgründung waren fehlgeschlagen. Dann jedoch trat eine entscheidende Änderung der Situation ein: Am 7.6.1840 starb in Berlin Friedrich Wilhelm III., den man von katholischer Seite für die Amtsenthebung des Kölner Erzbischofs Droste-Vischering im Mischehenstreit verantwortlich gemacht hatte. Nach dem Amtsantritt seines Sohnes Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) als neuer preußischer König kühlte die aufgeheizte Stimmung im Rheinland merklich ab. In dieser Phase der äußeren Ruhe wurde in Köln erneut der Versuch zur Gründung eines Dombauvereins gestartet. Initiator war Karl Ferdinand von Gerolt (1790-1851), der als Gerichtsrat am Kölner Appellationsgericht beschäftigt war.
Anfang Juli 1840 machte sich Gerolt mit einer von ihm verfassten Denkschrift auf die Suche nach „geeigneten“ Kölner Persönlichkeiten. Doch seine private Kontaktaufnahme zur Vorbereitung des Vereins führte trotz größter Bemühungen zu keinem sichtbaren Ergebnis. Erst als der Kölnische Kunstverein sich der Sache annahm, konkretisierte sich das Vorhaben zusehends: Versammlungen folgten in engen zeitlichen Abständen aufeinander, jede Zusammenkunft endete mit klaren Beschlüssen, die ein koordiniertes Handeln mit dem Ziel der Vereinsgründung ermöglichten.
Schließlich wurde eine Petition von 202 Personen unterzeichnet. Mit dieser „Immediat-Eingabe“ vom 3.9.1840 an den preußischen König verband man die Bitte um die formale Genehmigung, sich zur Förderung des Dombaues als Verein konstituieren zu dürfen. Das Vereinsziel sollte vor allem in der Beschaffung der finanziellen Mittel für den Dombau bestehen.
Die Zeichen der Zeit standen günstig: Am 8.12.1841 genehmigte Friedrich Wilhelm IV. die vorgelegten Statuten. Ein provisorischer Ausschuss wurde gebildet; dieser bereitete die ersten Vorstandswahlen vor, welche im Jahr 1842 den Abschluss der langwierigen Gründungsphase des Zentral-Dombauvereins markierten. Erster Vereinspräsident wurde der Kölner Unternehmer Heinrich von Wittgenstein.
3. Finanzierung
Die ersten Vereinsjahre verliefen äußerst erfolgreich: Ein Jahr nach Aufnahme seiner Tätigkeit konnte der Verein einen Betrag von 40.000 Talern zum Ausbau des Domes beisteuern, in den beiden darauffolgenden Jahren waren es immerhin noch jeweils 30.000 Taler. Doch schon kurze Zeit später sollte sich das ändern. Seit 1846, dem Krisenjahr, in dem unter anderem durch Missernten weite Teile der Bevölkerung verarmten, geriet auch der Verein in eine große Finanzierungskrise, die selbst nach der Revolution zunächst noch anhielt. Die Baukosten konnten mit den herkömmlichen Mitteln, das heißt durch die Beiträge der Mitglieder des Zentralvereins und der Hilfsvereine sowie durch freiwillige Spenden, nicht mehr gedeckt werden. Neue Wege der Finanzierung mussten beschritten werden. So profitierte der Dombauverein in den 1850er Jahren vor allem von der Spendenbereitschaft der Kölner Industrieunternehmen; zusätzlich unterstützten auch Privatleute das Ausbauprojekt, sei es durch Vermächtnisse oder durch Stiftungen. Bei der ersten, zumeist religiös motivierten Variante vermachten Kölner oder auch auswärtige Bürger nach mittelalterlicher Stiftungstradition dem Dombaufonds einen bestimmten Geldbetrag, der nicht selten eine Höhe von 1.000 Talern erreichte. Als Dank für die Hinterlassenschaft wurde der Name des Verstorbenen am Jahresende im Domblatt, dem Publikationsorgan des Vereins, aufgeführt, und der Erzbischof hielt einmal jährlich eine Gedenkmesse speziell für diesen Personenkreis. Die zweite Möglichkeit des privaten Sponsorings kam besonders der Innenausstattung des Doms zugute und war sicherlich nicht allein religiös begründet, bot doch die Stiftung eines namentlich gekennzeichneten Fensters oder einer Statue für den Dom reichen Bürgern die Gelegenheit, sich selbst und der eigenen Familie ein dauerhaftes Denkmal zu setzen.
Trotz dieser erfolgreichen Finanzierungsbemühungen stellte sich auch das Sponsorensystem bald als nicht mehr ausreichend heraus. Schon im Jahr 1859 wurde das Geld für die Finanzierung des regulären Baubetriebs wieder knapp. Erschwerend kam hinzu, dass sich ab 1860 mit der beginnenden Eiseneindeckung des Domdaches die anfallenden Baukosten nochmals erheblich steigerten. Man musste also wieder nach neuen Finanzierungskonzepten suchen, und zwar nach solchen, die konstante und gleichwohl flexible Geldquellen eröffneten.
Bereits auf dem ersten Höhepunkt der Finanzierungskrise gegen Ende des Jahres 1851 erreichte den Verwaltungsausschuss des Dombauvereins ein Schreiben des Bonner Professors für Kirchenrecht, Ferdinand Walter (1794-1879), in dem dieser zur Aufstockung der Mittel die Einrichtung einer „Zahlenlotterie“ zugunsten des Dombaus vorschlug. Über den Vorschlag entbrannte eine heftige Kontroverse im Vorstand, bei der sich sogleich zwei gegensätzliche Positionen herauskristallisierten: Die eine wurde von katholischer Seite vertreten und richtete sich aufgrund religiös-ethischer Bedenken vehement gegen das Projekt, bezeichnete es als „Hazardspiel“, das der Förderung der „Gewinnsucht“ diene und mit der Würde des Domes nicht zu vereinbaren sei. Die andere Position, die innerhalb der Debatte zunächst eine Mehrheit zu finden schien und von Wirtschaftsbürgern sowie Dombauaktiven der ersten Stunde getragen wurde, sprach sich für den Walterschen Lotterievorschlag aus, zum einen, da angesichts der schlechten Finanzlage jedes Mittel zur Finanzierung des Dombaus in Anspruch genommen werden müsse, zum anderen, weil man darin keine unedlen Motive entdecken konnte. Man war jedoch skeptisch, was die staatliche Genehmigung des Vorhabens anbelangte, da der preußische Staat in einer Dombaulotterie eine Konkurrenz zur eigenen Staatslotterie sehen könne. Das Glücksspiel zählte nämlich seit langem zu den traditionellen Einnahme- und Kreditquellen des Staates. Die Skeptiker im Vorstand des Dombauvereins setzten sich durch; die Lotterie wurde abgelehnt. Darüber enttäuscht wandte der Initiator Ferdinand Walter sich noch im Februar 1852 an den preußischen König, um wenigstens ihn für die Idee zu gewinnen. Eine tatkräftige Unterstützung des Monarchen blieb aus. Damit schien kaum mehr eine Hoffnung auf eine Realisierung des Lotterieplans zu bestehen.
Nach der Ablehnung durch den Vorstand hätte das Lotterieprojekt eigentlich ad acta gelegt werden müssen. Jedoch trieb eine kleine informelle Gruppe diesen Weg weiterhin im Stillen voran. Man versuchte ohne Rückhalt durch den Gesamtverein Kontakt mit den Berliner Behörden aufzunehmen, um die Chancen für eine Bewilligung auszuloten. Das Vorgehen erwies sich als zäh und sollte gut acht Jahre dauern. Schließlich wurde im Mai 1864 die Kunde von der Genehmigung zu einer einmaligen Veranstaltung der Lotterie nach Köln übermittelt.
Die Dombaulotterie, die man zur Verschleierung des rein finanziellen Interesses als „Prämienkollekte“ deklarierte – was einen wenigstens halb-kirchlichen Charakter der Veranstaltung suggerieren sollte –, erwies sich als voller Erfolg. Schon im ersten Jahr 1865 erbrachte sie einen Reingewinn von 177.000 Talern, was gegenüber den vorangegangenen Jahren einen Anstieg der Vereinseinnahmen um das Zweieinhalbfache bewirkte. Die Überschüsse aus der Lotterie, die nicht für das laufende Baujahr benötigt wurden, legte der Verwaltungsausschuss des Vereins zinsbringend bei verschiedenen Kölner Banken an.
Angesichts des großen Erfolgs beantragte der Vereinsvorstand, aus dessen Mitte nun kaum mehr kritische Stimmen gegen die Lotterie zu vernehmen waren, noch im Jahr 1865 die Konzession für eine zweite Ausspielung. Wieder gab der Erfolg den Lotteriebefürwortern Recht. Deshalb beantragte der Dombauverein im Januar 1867 zur langfristigen Sicherstellung der Einnahmen eine Lotteriekonzession mit mehrjähriger Laufzeit. Die in der königlichen Ordre vom 27.3.1867 erteilte Genehmigung für acht weitere Jahre befreite den Zentral-Dombauverein vollständig von den finanziellen Sorgen der Vergangenheit. Das Thema „Finanzierung“ stellte – sieht man ab von einer Ausnahme im Jahr 1875, als auf dem Höhepunkt des Kulturkampfs die Berliner Regierung (letztlich erfolglos) den Versuch unternahm, dem Verein die Kassenführung zu entziehen – bis zur Vollendung des Doms im Jahr 1880 kein Problem mehr dar. Die Krise war schon im ersten Ausspielungsjahr überwunden.
4. Dombaufeste
Das Fest der Grundsteinlegung vom 4.9.1842 bildete den Auftakt zu einem Zyklus von Dombaufesten, die mit jeweils veränderter Akzentsetzung in loser Reihenfolge während der gesamten Bauzeit bis zur Vollendung der Kathedrale im Jahr 1880 veranstaltet wurden. Die Feier des Jahres 1842 stand noch ganz im Zeichen der kurz zuvor beigelegten „Kölner Wirren“, dem Höhepunkt des Konflikts zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat in Fragen der sogenannten „Mischehen“. In dieser Hinsicht wurde die erste Begegnung zwischen dem preußischen Monarchen und dem obersten Repräsentanten der katholischen Kirche in der Rheinprovinz mit Spannung erwartet. Zugleich bot das Fest aber auch die Möglichkeit eines allerersten persönlichen Kontakts zwischen der Führungsriege des Zentral-Dombauvereins und dem Vereinsprotektor. Da es im Vorfeld der Vereinsgründung mehrfach zu Querelen gekommen war, in denen spätere Vereinsmitglieder noch deutliche Opposition gegenüber dem preußischen Staat an den Tag gelegt hatten, fehlte es auch in dieser Beziehung nicht an Konfliktpotential. Vor diesem Hintergrund betrachtet, lässt sich das Fest vor allem als ein Versuch deuten, durch die Bereitschaft zum Dialog eine von allen Seiten erwünschte Aussöhnung herbeizuführen.
Im Mittelpunkt stand dabei zweifellos Friedrich Wilhelm IV., dem es leicht gelang, die Veranstaltung zu seinen Gunsten zu nutzen. Mit dem Kölner Dombaufest stellte der preußische König den oppositionellen Festen des Vormärz den Bund der christlichen und konservativen Kräfte gegenüber. Das wird besonders deutlich an der programmatischen Rede, die Friedrich Wilhelm IV. unter dem Jubel der versammelten Festgemeinde an diesem 4.9.1842 in Köln gehalten hat. Vom „Brudersinne“ aller Deutschen „verschiedener Bekenntnisse“ schwärmte der König, von der „Herrlichkeit des großen Vaterlandes“, vom „Geist deutscher Einigkeit und Kraft.“
Den feierlichen Schlussakt der Grundsteinlegung bildete das Aufwinden des ersten Steins mit dem mittelalterlichen Baukran, unter dem Jubel der anwesenden Bevölkerung. Das Dombaufest von 1842 verlief für die Kölner Initiatoren und für Friedrich Wilhelm IV. gleichermaßen erfolgreich. Während das städtische Bürgertum sich als führende soziale Schicht präsentieren konnte, gelang es dem König, das beschädigte Ansehen der preußischen Monarchie wiederherzustellen. Insgesamt reichte die Bedeutung gerade dieses Festes weit über die Grenzen des Rheinlands hinaus. Bald schon wurde zu Recht von einem Fest der nationalen und der liberalen Hoffnung gesprochen. Denn durch die Beteiligung des Herrscherhauses an der vom Bürgertum getragenen Dombaubewegung eröffneten sich eine kurze Zeit lang Chancen für eine gesamtdeutsche Reform nach den Vorstellungen des konstitutionellen Liberalismus. Wie die weitere Entwicklung lehrt, gingen die Chancen ungenutzt vorüber. Als das zweite Dombaufest im August 1848 anlässlich der sechsten Säkularfeier der Grundsteinlegung zum gotischen Dom begangen wurde, hatte sich die politische Konstellation in Deutschland entscheidend verändert: Im März des Jahres 1848 hatte die französische Februarrevolution auf Deutschland übergegriffen und im Rheinland bereits die ersten Unruhen und Barrikadenkämpfe ausgelöst. Die revolutionären Geschehnisse weiteten sich rasch in den anderen preußischen Provinzen aus und erreichten bald auch die Hauptstadt Berlin. Friedrich Wilhelm IV., der die Lage schon nach kurzer Zeit nicht mehr unter Kontrolle hatte, sah sich zu Konzessionen gezwungen. Er berief Mitte März ein liberales Ministerium, genehmigte die Wahl einer Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung und machte außerdem die Zusage, sich für die Errichtung eines geeinten deutschen Bundesstaates einzusetzen. Damit schien die nationale Einheit Deutschlands, für die Liberale wie Demokraten seit langem gekämpft hatten, ein erhebliches Stück näher gerückt zu sein. Der König war jedoch nicht bereit, den revolutionären Umsturz des Staates widerstandslos hinzunehmen und organisierte deshalb seit Sommer 1848 die gegenrevolutionäre Wende. Mitte August des Jahres 1848, als das Dombaufest anstand, war das Kräfteverhältnis zwischen dem revolutionären und dem konservativ-antirevolutionären Lager noch völlig offen, das politische Klima umso angespannter. Dennoch gelang es durch die starke kirchliche Betonung der Feier, das Fest ohne Zwischenfälle durchzuführen.
Nach diesem unerwartet ruhig verlaufenen Dombaufest kam Friedrich Wilhelm IV. noch zweimal in Angelegenheiten des Dombaus nach Köln. Im Jahr 1852 nahm er an der feierlichen Schlusssteinlegung des Hauptportals teil; 1855 schließlich konnte er gleich drei festlichen Ereignissen beiwohnen: der Einfügung der Dokumentenkapsel in die Kreuzblume an der südlichen Querhausfassade des Doms, der Grundsteinlegung zur ersten festen Rheinbrücke seit der Römerzeit und zum Wallraf-Richartz-Museum. Beide Besuche verliefen ohne Störungen. Die politische Opposition war weitgehend zerschlagen, und die Interessen des Bürgertums hatten sich mit dem Einsetzen des großen industriellen und gesamtwirtschaftlichen Aufschwungs zum Teil auf andere, von der Politik unabhängige Gegenstände verlagert. Erst mit der schrittweisen Ablösung des nach einem Hirnschlag im Jahr 1857 gesundheitlich schwer angeschlagenen Königs durch seinen Bruder Wilhelm – den späteren König und Kaiser Wilhelm I, (1797-1888) – wurde seit 1859 in der preußischen Innenpolitik eine neue Ära eingeleitet. Kurz darauf wurde es auch für den Dombauverein politisch schwierig. Im Zusammenhang mit dem Preußischen Verfassungskonflikt geriet nämlich auch das Kölner Dombaufest des Jahres 1863, mit dem die Vollendung des Dominneren feierlich begangen werden sollte, zwischen die Fronten.
Zunächst deutete nichts auf eine mögliche Störung der Feier hin; die Vorbereitungen seitens des Zentral-Dombauvereins, der mittlerweile eine gewisse Routine in der Ausrichtung solcher Großveranstaltungen gewonnen hatte, waren schon zu Jahresbeginn angelaufen. Im April 1863 hatte Wilhelm I. mitgeteilt, dass er sich mit dem gewählten Termin für das Dombaufest, dem 15.10.1863, einverstanden erkläre und am Fest selbst teilnehmen werde. Der Zentral-Dombauverein bat die Stadtverordnetenversammlung um Unterstützung. Doch es kam im Stadtrat zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten über das Dombaufest, die schließlich in dem Antrag mehrerer linksliberaler Stadtverordneter gipfelten, die Beteiligung am Fest abzusagen, weil man befürchtete, das Fest könne in der öffentlichen Wahrnehmung als Kundgebung zugunsten des preußischen Monarchen verstanden werden. Die Empörung im Vorstand des Dombauvereins war groß. Man drängte auf eine Entscheidung der Stadt für eine Beteiligung. Im Fall des Ausbleibens einer solchen Zusage, so die Drohung des Dombauvereins, werde das Fest dennoch im geplanten Umfang stattfinden; man werde sich keinesfalls auf eine rein kirchliche Feier beschränken, wie es die linksliberale Fraktion im Stadtrat gefordert hatte. Schließlich, so die Argumentation des Vereins, sei man dem König als Protektor des Dombaus und den zahlreichen Mitgliedern ein großes öffentliches Fest schuldig. Die Drohung des Vereins nützte nichts; die städtische Unterstützung bei der Vorbereitung des Dombaufestes wurde ihm verweigert. Als Grund für die Absage wurde die Teilnahme des preußischen Königs angegeben, gegen dessen Innenpolitik durch den Boykott protestiert werden sollte. Angesichts der Vorfälle in der Stadtverordnetenversammlung war die Feier von vornherein überschattet. Die unglückliche Situation erreichte ihren Höhepunkt mit der unerwarteten Absage Wilhelms I. am 11.10.1863, vier Tage vor dem Beginn des Dombaufestes. Offiziell hieß es, der König müsse am 14. Oktober eine Versammlung von Ministern leiten. Über die wirklichen Gründe wurde nichts näher bekannt. Trotz seiner Absage kam Wilhelm I. zwei Tage vor dem Dombaufest inoffiziell nach Köln, besichtigte den Dom und verteilte Titel und Orden an seine treuen Anhänger, allen voran an den Präsidenten des Zentral-Dombauvereins Ferdinand Esser (1802-1871), dem für seine Verdienste um den Dombau der Titel des „Geheimen Justizrates“ verliehen wurde. Das Dombaufest selbst, das wie geplant am 15. und 16.10.1863 stattfand, trug einen ausdrücklich kirchlichen Charakter. Als vier Jahre später das 25-jährige Jubiläum der Grundsteinlegung gefeiert werden sollte, war die politische Situation eine grundlegend andere. Die Schlacht von Königgrätz im Sommer 1866 hatte sowohl in der deutschen Frage als auch im Verfassungskonflikt eine Entscheidung herbeigeführt, der Sieg über Österreich das Ansehen des Ministeriums Bismarck auf einen Schlag erhöht. Die beiden Dombaufeste von 1863 und 1867 spielten eine wichtige Rolle im Blick auf Konsolidierung des Kölner Bürgertums innerhalb des Zentral-Dombauvereins. Lange war es dem Verein gelungen, politisch zwischen den Fronten zu lavieren, sich also weder voll und ganz zum preußischen Königshaus noch zur liberalen Opposition zu bekennen. Spätestens vor dem Hintergrund des Verfassungskonflikts zeichnete sich jedoch ab, dass das im Kölner Zentral-Dombauverein repräsentierte Bürgertum sich für das nationalliberale Lager entschieden hatte, also einen monarchietreuen politischen Kurs verfolgte. Die nationalliberale Ausrichtung, die vor allem die einflussreichen wirtschaftsbürgerlichen Vorstandsmitglieder an den Tag legten, verfestigte sich im Zuge des Kulturkampfs immer deutlicher und führte schließlich innerhalb des Dombauvereins zu einem ernsthaften Konflikt mit den gleichzeitig vorhandenen ultrakatholischen Strömungen.
5. Die Domvollendung
Als sich gegen Ende des Jahres 1879 mit dem Emporwachsen der beiden Domtürme auch die baldige Vollendung der gesamten Kathedrale ankündigte, war die politische Situation im Deutschen Reich erneut angespannt. Zwar hatte der Kulturkampf seinen Höhepunkt bereits überschritten, doch war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, welche Haltung die Katholiken auf der Feier der Domvollendung einnehmen würden und ob ein solches Fest unter Beteiligung des Kaisers überhaupt ohne Störungen in Köln durchgeführt werden konnte.
Obwohl also keinesfalls Klarheit herrschte, wurden seitens des Vereins im Frühjahr 1880 erste Vorkehrungen für eine mögliche Feier getroffen. Man ging offenbar davon aus, dass am 4. September, dem Jubiläumsdatum der Grundsteinlegung von 1842, in irgendeiner Form gefeiert werden würde. Auch das Domkapitel hatte erklärt, sich an den Festvorbereitungen zu beteiligen. Innerhalb des Vereins selbst hatte sich Anfang Mai ein Festkomitee konstituiert. Die Planungen wurden allerdings jäh gestoppt, als den Verwaltungsausschuss Anfang Juni 1880 ein Brief des rheinischen Oberpräsidenten Bardeleben erreichte. Darin wurde mitgeteilt, dass Kaiser Wilhelm I. zur Frage der Dombaufeier noch keine Entscheidung getroffen habe, vor allem was den Zeitpunkt des Festes anbelangte. So wurden zunächst alle Vorbereitungen gestoppt.
In der Zwischenzeit stellten Regierungskreise geradezu fieberhafte Überlegungen darüber an, wie das Problem der Feierlichkeiten letztlich gelöst werden könne. Da sich der Kaiser dem Werk der Domvollendung, das einst sein verstorbener Bruder initiiert hatte, verpflichtet fühlte, war ihm der vollständige Verzicht auf ein Fest schwer nahezubringen. Schließlich entschied man sich für ein Fest, das Mitte Oktober weitgehend ohne kirchliche Prägung stattfinden sollte.
Der Konflikt zwischen preußischen Behörden und rheinischen Katholiken spitzte sich zu, als in diesem Zusammenhang das Domkapitel vorsorglich von den Festvorbereitungen ausgeschlossen wurde. Mehrmals fanden in Köln seit Mitte September größere Versammlungen der Katholiken statt, auf denen über ein angemessenes Verhalten gegenüber der offenen Provokation beraten wurde. Schließlich einigte man sich auf eine „würdige Zurückhaltung“ gegenüber den Feierlichkeiten, also auf den Verzicht offen zur Schau gestellter Opposition, war doch die Vollendung des Doms auch das Ziel vieler Katholiken gewesen.
Nach allen Querelen im Vorfeld verlief das Vollendungsfest selbst am 15. und 16.10.1880 programmgemäß und ohne Zwischenfälle. Erwartungsgemäß waren die Reden, die im Anschluss an die Unterzeichnung der Vollendungsurkunde durch den Kaiser von Vertretern der preußischen Regierung und des Dombauvereins gehalten wurden, von nationalem Pathos geprägt. So verlief die glanzvolle Feier ganz nach dem Geschmack des Kaisers und der fürstlichen Gäste, die ihn nach Köln begleitet hatten. Der Prestigegewinn, der für das Kölner Bürgertum mit einem Engagement im Zentral-Dombauverein verbunden sein konnte, hätte sich nicht deutlicher als in einer öffentlichen Ordensverleihung an verschiedene Vorstandsmitglieder und in der Einladung zum kaiserlichen Festbankett auf Schloss Brühl manifestieren können. Wie schon zu früheren Gelegenheiten diente auch diesmal das Dombaufest zur Abgrenzung eines bestimmten Segments der städtischen Gesellschaft. Wieder war es die bürgerliche Elite, die vor den einfachen Vereinsmitgliedern ausgezeichnet und privilegiert wurde.
Repräsentierte auf dem ersten Dombaufest 1842 anlässlich der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Doms noch eine relativ heterogene Mitgliederschaft, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen integrierte, den Zentral-Dombauverein, so waren knapp 40 Jahre später die Verhältnisse ganz anders. Die schon bei Gründung des Vereins erkennbare Tendenz des Bürgertums zur klassenmäßigen Abschließung hatte sich vollends durchgesetzt. Der Dombauverein befand sich in der Hand der Nationalliberalen, die Seite an Seite mit Wilhelm I. unter dem Geläut der 500 Zentner schweren Kaiserglocke das Erreichen des Vereinsziels feierten. Obwohl die Straßen gesäumt waren von Schaulustigen, hatte die Dombaubewegung zu diesem späten Zeitpunkt ihre sozialintegrative Funktion längst verloren.
6. Die Freilegung des Doms
Bereits während des Ausbaues des Doms hatte es innerhalb des Vereinsvorstands immer wieder Überlegungen dazu gegeben, wie die unmittelbare Domumgebung freigelegt werden könnte, um Blickachsen zu schaffen und die Bedeutung der Kathedrale als nationales Denkmal zu unterstreichen. Kurz vor der Domvollendung, im Jahr 1879, wurde dieses Projekt wieder aufgegriffen. Über den Abriss der direkt an den Dom angrenzenden Gebäude existierte seit 1863 ein Vertrag zwischen dem Domkapitel, der Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft, der Feuerversicherungsgesellschaft Colonia und der Stadt Köln; dieser Vertrag, dessen Ziel es war, dem Dom eine „würdige Umgebung“ zu verschaffen, bildete den Auftakt zur städtebaulichen Neustrukturierung des Geländes. Die Pläne für die Freilegung des Doms und vor allem die Rolle, die der Verein in diesem Projekt einnehmen sollte, waren umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil einige Vorstandmitglieder darin eine Unvereinbarkeit mit der Vereinssatzung sahen. Das Hauptproblem, nämlich die Finanzierung, konnte bald auf die schon bewährte Weise gelöst werden: Für die Jahre 1882 und 1883 genehmigte die preußische Regierung die Durchführung von zwei Ausspielungen der Dombaulotterie, deren Erlöse ausschließlich zur Deckung der Kosten in dem Freilegungsprojekt bestimmt waren. Die Lotterien übertrafen einmal mehr die Erwartungen und trugen, wie schon beim Ausbau des Doms, zur soliden Finanzierung und damit auch zur Realisierung der Freiflächen erheblich bei. Dieses letzte Projekt des Zentral-Dombauvereins im ausgehenden 19. Jahrhundert, erwies sich nur wenige Jahre später als nicht glücklich und brachte auch viele Nachteile: Die großen Freiflächen in verkehrstechnisch zentraler Lage verursachten mit der beginnenden Automobilisierung und dem immer größer werdenden Straßenbahnnetz Lärm in der unmittelbaren Domumgebung, die zudem als unpassend empfunden wurde. Vielen Kritikern erschien der Dom isoliert und nicht in das restliche Stadtbild eingebunden, einige empfanden ihn gar als Fremdkörper. Die ungünstige städtebauliche Situation war jedoch zu einem Zeitpunkt, als sämtliche wertvolle historische Gebäude abgerissen waren, nicht mehr rückgängig zu machen.
7. Schlussbetrachtung
Die Vollendung des Kölner Doms und seine anschließende Freilegung waren die großen Ziele, für die sich der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert engagiert hat. Ursprünglich aus der heterogenen Stadtgesellschaft erwachsen und die Arbeiterschaft wie auch das Großbürgertum umfassend und sich als Volksbewegung verstehend, veränderte sich die Gestalt des Zentraldombauvereins, seine politisch-kulturelle Orientierung ebenso wie seine soziale und wirtschaftliche Basis von seiner Gründung 1842 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts grundlegend. Mit dem Verlust der integrativen Funktion ging eine fortschreitende programmatische und strukturelle Ab- und Eingrenzung einher. Von der anfänglichen Sammlungsbewegung war der Dombauverein am Ende des 19. Jahrhunderts auf einen politisch, wirtschaftlich-sozial und kulturell weitgehend homogenisierte Gruppe zusammengeschrumpft, deren Mitgliederbasis weitgehend weggebrochen war.
Quellen (Auswahl)
Dombauarchiv Köln: Bestand „Zentral-Dombau-Verein vor 1945“, v. a:
01.05 Tit. I e Vorstand (Sitzungsprotokolle) [und Vorstandsmitglieder], 1842-1901 01.06
Tit. I f Verwaltungsausschuss Protokollbücher, 1842–1895 B 438 Protokolle der Versammlungen der Dombaufreunde bei Klütsch und Korrespondenz, 1842 – 1844
Tit. II c, 150 Protokolle der Versammlungen der Dombaufreunde [bei Klütsch], 1843-1846
Tit. II c, 151 Protokolle der Versammlungen der Dombaufreunde [bei Klütsch], Korrespondenz, 1844-1847 Tit. V 1-14 Dombaufeste 1848-1880
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK): I. HA Rep. 77 (Ministerium des Innern) Tit. 324a, Nr. 24, Bd. 1 (M); Tit. 444C, Nr. 1 (M); I. HA Rep. 89 (Geheimes Zivilkabinett) Nr. 22102-22108 (M); I. HA Rep.151 (Finanzministerium) Nr. 1223 (M).
Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK): Best. 403 (Oberpräsidium der Rheinprovinz) Nr. 10416-10417, 10420, 10422, 13691.
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland (LAV NRW R): BR 9 Nr. 3456-3460 (Regierung Köln Kirchenwesen).
Literatur (Auswahl)
Borger, Hugo (Hg.), Der Kölner Dom im Jahrhundert seiner Vollendung, 2 Bände, Köln 1980.
Dann, Otto (Hg.), Religion – Kunst – Vaterland. Der Kölner Dom im 19. Jahrhundert, Köln 1983.
Haupts, Leo, Dombaufeste 1863, 1867 und 1880 in Köln und das preussisch-deutsche Kaiserreich, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 46 (1982), S. 161-189.
Haupts, Leo, Die Kölner Dombaufeste 1842-1880 zwischen bürgerlich-nationaler und dynastisch-höfischer Selbstdarstellung, in: Düding, Dieter/Friedemann, Peter (Hg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum ersten Weltkrieg, Hamburg 1988, S. 191-211.
Herres, Jürgen, Köln in preußischer Zeit 1815-1871, Köln 2012 (Geschichte der Stadt Köln 9), S. 173-188.
Herres, Jürgen, Dombaubewegung, Vereinsgedanke und Katholizismus im Vormärz, in: Kölner Domblatt 89 (1994), S. 59-76.
Klein, Adolf, Der Dom zu Köln. Die bewegte Geschichte seiner Vollendung, Köln 1980.
Parent, Thomas, Die Hohenzollern in Köln, Köln 1981.
Pilger, Kathrin, Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Konstituierung des Bürgertums durch formale Organisation, Köln 2004.
Pilger, Kathrin, Kaiserdenkmal oder Gotteshaus? Das Ringen um die Symbolik des Kölner Doms im Kulturkampf, in: Geschichte in Köln 47 (2000), S. 24-47.
Pilger, Kathrin, Die Entwicklung des Zentral-Dombauvereins bis zur Vollendung des Kölner Doms, in: Kölner Domblatt 81 (2016), S. 19-35.
Wirtz, Carolin, „Dass die ganze Umgebung des Domes eine würdige Gestaltung erhalte“. Der Zentral-Dombau-Verein und die Freilegung des Kölner Domes (1882-1902), Köln 2009.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Pilger, Kathrin, Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-koelner-zentral-dombauverein-im-19.-jahrhundert/DE-2086/lido/65cb4027dd9c26.97613871 (abgerufen am 05.11.2024)