Konkurrenzen, Konflikte, Kooperationen – das Krankenhauswesen als Betätigungsfeld von Katholiken und Protestanten um 1900

Ralf Forsbach (Siegburg)
Veröffentlicht am 17.11.2021, zuletzt geändert am 22.12.2021

Fotografie des Düsseldorfer Marienhospitals im Jahr 1902 aus dem Düsseldorfer Sonntagsblatt vom 9. März 1902. (Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, urn:nbn:de:hbz:061:1-623898)

1. Einleitung

Ist im Zu­sam­men­hang mit dem ka­tho­li­schen Ge­sund­heits­sys­tem im Kai­ser­reich von Kon­kur­renz­si­tua­tio­nen die Re­de, wird man nicht nur an den Wett­be­werb mit an­de­ren Kon­fes­sio­nen so­wie mit welt­li­chen Trä­gern von Ein­rich­tun­gen des Ge­sund­heits­sys­tems den­ken müs­sen; auch in­ner­halb der ka­tho­li­schen Kir­che gab es Aus­ein­an­der­set­zun­gen, bei­spiels­wei­se zwi­schen ein­zel­nen in der Kran­ken­für­sor­ge tä­ti­gen Pries­tern und Or­dens­an­ge­hö­ri­gen.  Die Kon­flik­te spiel­ten sich vor dem Hin­ter­grund neu­ar­ti­ger Wan­der­be­we­gun­gen vor al­lem von Ar­beit su­chen­den jun­gen Män­nern und Fa­mi­li­en ab. Die Men­schen fan­den sich viel­fach in der Dia­spo­ra wie­der; Alt­ein­ge­ses­se­ne wur­den mit ei­ner an­de­ren Kon­fes­si­on kon­fron­tiert. Ein ein­heit­li­ches Agie­ren der Kir­chen­ver­ant­wort­li­chen vor Ort ist nicht fest­zu­stel­len. Ei­ni­ge wähl­ten ei­nen kon­fron­ta­ti­ven Kurs, an­de­re such­ten nach Mög­lich­kei­ten der Ko­ope­ra­ti­on.    

 

2. Der Wettbewerb mit Andersgläubigen

Die kon­fes­sio­nel­le Wett­be­werbs­si­tua­ti­on wird bei Be­trach­tung der ge­mischt­kon­fes­sio­nel­len Ge­bie­te Deutsch­lands oder der an Kon­fes­si­ons­gren­zen lie­gen­den Re­gio­nen be­son­ders deut­lich, stär­ker je­den­falls als beim Blick auf die ka­tho­lisch do­mi­nier­ten Ge­gen­den oder die Land­stri­che, in de­nen die Ka­tho­li­ken in der Dia­spo­ra leb­ten.[1]  Au­ßer­halb der ka­tho­lisch ge­präg­ten Re­gio­nen Deutsch­lands wuchs in den Jahr­zehn­ten des Kai­ser­reichs der ge­sell­schaft­li­che Druck auf Ka­tho­li­ken in ei­ner Wei­se, dem sie auch an­ge­sichts ei­ner im­mer stär­ker wer­den­den Wan­de­rungs­be­we­gung aus Sicht der Kir­chen­obe­ren oft nicht ge­wach­sen wa­ren. Über ei­ne Mil­li­on Men­schen sei­en in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten al­lein auf­grund der fort­schrei­ten­den In­dus­tria­li­sie­rung und der „Ein­wan­de­rung so vie­ler Ka­tho­li­ken in pro­tes­tan­ti­sche Ge­gen­den“ ver­lo­ren ge­gan­gen, klag­ten im­mer wie­der Pries­ter un­ter Be­ru­fung auf frü­he Er­he­bun­gen des Pa­der­bor­ner Bi­schofs Kon­rad Mar­tin (1812-1879, Epis­ko­pat 1856-1879). Es hört sich wie ei­ne Kla­ge über die Glo­ba­li­sie­rung der Ge­gen­wart an, wenn es hei­ßt, heu­te wür­den Tau­sen­de als Be­am­te oder Fa­brik­ar­bei­ter „durch die gan­ze Welt ge­wor­fen“ und müss­ten „nun le­ben un­ter sol­chen, die zwar Chris­ten, aber nicht ih­res Glau­ben­s“ sei­en.[2] In die­sen Ge­bie­ten ge­be es oft kei­ne ka­tho­li­schen Kir­chen, kei­ne ka­tho­li­schen Schu­len und auch kei­ne ka­tho­li­schen Kran­ken­häu­ser. Der Kir­chen­füh­rung ging es nicht pri­mär um Mis­sio­nie­rung, son­dern um die Fes­ti­gung der Kirch­lich­keit.

Selbst in ka­tho­lisch ge­präg­ten Ge­bie­ten wie dem Rhein­land wur­de an­ge­sichts der zu­neh­men­den Bin­nen­mi­gra­ti­on die Wer­be­wir­kung ei­nes funk­tio­nie­ren­den, mit dem Ka­tho­li­zis­mus ver­bun­de­nen Ge­sund­heits­we­sens er­kannt. Die Stra­te­gi­en wa­ren je nach Si­tua­ti­on des ört­li­chen Ka­tho­li­zis­mus höchst un­ter­schied­lich. In ei­ner Stadt wie Bonn trat der Kle­rus selbst­be­wusst auf und es man­gel­te nicht an In­vek­ti­ven ge­gen­über An­ders­gläu­bi­gen. Den­noch sah man sich selbst hier in ei­ner De­fen­siv­po­si­ti­on. Das ka­tho­li­sche Ge­sund­heits­we­sen war so gut aus­ge­baut, dass man sich in ers­ter Li­nie um die seel­sor­ge­ri­sche Be­treu­ung der Kran­ken sorg­te.

Der Pfar­rer, in des­sen Ter­ri­to­ri­um das in In­nen­stadt­nä­he lie­gen­de Jo­han­nes­hos­pi­tal lag, for­mu­lier­te 1894 ein Ge­such zur An­stel­lung ei­nes ei­ge­nen Kran­ken­haus­geist­li­chen, in dem sämt­li­che Geg­ner Be­rück­sich­ti­gung fan­den, von den Alt­ka­tho­li­ken über die Pro­tes­tan­ten bis zu den ver­welt­lich­ten Wis­sen­schaft­lern: „Die Seel­sor­ge­ar­bei­ten in der Pfar­re Diet­kir­chen und den zu ihr ge­hö­ren­den An­stal­ten ha­ben ei­nen sol­chen Um­fang an­ge­nom­men, daß die bis jetzt vor­han­de­nen Seel­sor­ge­kräf­te die­sel­ben auf die Dau­er nicht zu be­wäl­ti­gen ver­mö­gen. Bei den gro­ßen Schwie­rig­kei­ten, wel­che die Seel­sor­ge in Bonn bie­tet, ge­nü­gen die an­ge­stell­ten Seel­sor­ger­pries­ter kaum für die gro­ße Pfar­re. In Bonn ist der Haupt­sitz des Alt­ka­tho­li­cis­mus, der hier sei­ne Haupt­ver­tre­ter hat und noch im­mer sehr rüh­rig ist. Der Pro­tes­tan­tis­mus ist in den Jah­ren des Kul­tur­kamp­fes zu ei­ner Macht ge­wor­den, der wir nur mit der grö­ß­ten An­stren­gung Pa­ro­li bie­ten kön­nen. […] Da­zu kommt, daß die Ver­tre­ter der Wis­sen­schaft an der hie­si­gen Uni­ver­si­tät, ab­ge­se­hen von der ka­tho­lisch-theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät, fast al­le auf Sei­ten un­se­rer Geg­ner ste­hen, die oben­drein noch über sehr gro­ße Geld­mit­tel ver­fü­gen. Die Pfarr­geist­lich­keit von Diet­kir­chen hat nun au­ßer­halb der Pfarr­seel­sor­ge auch noch die Kran­ken­seel­sor­ge in vie­len An­stal­ten, näm­lich den Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken, dem St. Jo­han­nis­hos­pi­tal, der Pro­vin­ci­al-Ir­ren­an­stalt, dem Män­ner-Asyl und theil­wei­se im Noth- und Hülfs­hos­pi­tal. In den Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken sind im vo­ri­gen Etat­jahr 1893/94 im Gan­zen 3056 ka­tho­li­sche Kran­ke ver­pflegt wor­den. Da­von ge­hör­ten 1164 der chir­ur­gi­schen Kli­nik an, wel­che we­gen der vie­len Ver­un­glück­ten und der Ope­ra­ti­ons­be­dürf­ti­gen, die dort Auf­nah­me fin­den, in ganz be­son­de­rer Wei­se die Seel­sor­get­hä­tig­keit in An­spruch nimmt. Im St.-Jo­han­nes-Hos­pi­tal wer­den durch­schnitt­lich im­mer über 100 Kran­ke und in der Pro­vin­zi­al-Ir­ren­an­stalt über 300 Per­so­nen ka­tho­li­scher Con­fes­si­on ver­pflegt. […] Ei­ne gro­ße Ent­las­tung wür­de für uns her­bei­ge­führt, wenn für die Kran­ken­haus­seel­sor­ge in den Uni­ver­si­täts-Kli­ni­ken und dem St.-Jo­han­nes-Hos­pi­tal ein ei­ge­ner Geist­li­cher an­ge­stellt wür­de, der zu­gleich den Got­tes­dienst in der Ka­pel­le des St.-Jo­han­nes-Hos­pi­tals ver­se­hen könn­te. […] Die für die­sen Herrn nö­thi­ge Be­sol­dung kann, wie ich an­neh­men möch­te, er­wirkt wer­den. Das St.-Jo­han­nes-Hos­pi­tal könn­te 1000-1200 Mark ent­rich­ten. Die Uni­ver­si­täts- resp. Staats­kas­se zahlt bis jetzt […] 700 Mark".[3] 

Der Pfar­rer er­fuhr brei­te Zu­stim­mung, auch vom De­chan­ten und vom Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at, so dass 1895 der zu­sätz­li­che Seel­sor­ger an­ge­stellt wur­de.[4] Die Geist­li­chen die­ser Bon­ner Ge­mein­de ge­wöhn­ten sich an, fi­nan­zi­ell auf­wen­di­ge Maß­nah­men an den Kran­ken­häu­sern mit der als Be­dro­hung auf­ge­fass­ten evan­ge­li­schen Kon­kur­renz zu be­grün­den. Noch im März 1918 be­merk­te der Pfar­rer, der für Kran­ken­be­treu­ung zu­stän­di­ge Rek­to­rats­geist­li­che müs­se jähr­lich 400 Mark für „Le­se­stof­f“ auf­wen­den, „ins­be­son­de­re für die ge­fal­le­nen Mäd­chen der Frau­en­kli­ni­k“, „wenn er der rüh­ri­gen Agi­ta­ti­on der Pro­tes­tan­ten ent­ge­gen­tre­ten sol­l“.[5] 

Abbildung des Bischofs Konrad Martin. (Erzbistumsarchiv Paderborn (EBAP))

 

Frei­lich war das kon­kre­te Han­deln von der ört­li­chen Si­tua­ti­on ab­hän­gig. Denn in der be­nach­bar­ten Kes­se­ni­cher Pfarr­ge­mein­de ar­gu­men­tier­te man ganz an­ders. Dort hat­te ein ver­mö­gen­der Pro­tes­tant, der Ham­bur­ger Mi­nis­ter­re­si­dent Her­mann von Hee­ren (1833-1899), „ei­ne be­deu­ten­de Quan­ti­tät von Mö­beln, Haus­ge­rä­then, Lein­wa­ren etc. ge­schenkt, so­wie 350 Mar­k“ Sach- und Geld­mit­tel zur Be­grün­dung ei­ner Ein­rich­tung ge­spen­det, die un­ter an­de­rem der Kran­ken­pfle­ge die­nen und von den Ol­per Fran­zis­ka­ner­schwes­tern be­trie­ben wer­den soll­te.[6] Nach­dem der Kes­se­ni­cher Pfar­rer vom Bon­ner De­chant Karl Neu (1831-1902) dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den war, dass for­mal die In­itia­ti­ve von den Fran­zis­ka­ne­rin­nen aus­zu­ge­hen ha­be und die Bi­schö­fe von Pa­der­born un­d Köln zu­ge­stimmt hat­ten, wa­ren 1887 be­reits sechs Schwes­tern „zur Kran­ken­pfle­ge & Lei­tung der Kin­der­be­wahr­schu­le“ in Kes­se­nich ge­mel­det.[7] Ganz im Sin­ne von Pas­tor Franz Wol­ter (1838-1911) und De­chant Neu ver­lief die Ent­wick­lung je­doch nicht. Noch 1911 stell­te der Kes­se­ni­cher Pfar­rer Franz Wol­ter fest: „Das Fran­zis­kus­hos­pi­tal ist […] we­nig von ka­tho­li­schen Pa­ti­en­ten be­sucht, wohl in­fol­ge der ver­schie­de­nen an­ders­gläu­bi­gen dort tä­ti­gen Aerz­te.“[8]

Ähn­lich war die Grün­dungs­ge­schich­te des na­hen und be­deu­ten­de­ren Ma­ri­en­hos­pi­tals ver­lau­fen.[9]  Hier war ein pro­tes­tan­ti­scher Bür­ger na­mens Ru­dolf Jung der gro­ßzü­gi­ge Spen­der. 1890 er­hiel­ten die Fran­zis­ka­ne­rin­nen von ihm „ein gro­ßes 10–12 Mor­gen um­fas­sen­des Grund­stück auf dem We­ge zwi­schen Pop­pels­dorf und dem Ve­nus­berg […] zur Er­bau­ung ei­nes Klos­ters und Kran­ken­hau­ses ge­schenk­t“.[10] Die­se Tat­sa­che be­rich­te­te der Bon­ner De­chant 1892 in ei­ner Zu­sam­men­fas­sung zwar dem Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at oh­ne wei­te­ren Kom­men­tar, be­ton­te dann aber die Not­wen­dig­keit der Bau­ten und die mit ih­nen ver­bun­de­ne Chan­ce, mit den Ein­rich­tun­gen der evan­ge­li­schen Chris­ten gleich­zu­zie­hen: „Die Er­rich­tung ent­spricht ei­nem längst ge­fühl­ten drin­gen­den Be­dürf­nis­se. Die bis­her von den Schwes­tern be­nö­tig­ten Räu­me wa­ren für die gro­ße Zahl der Schwes­tern völ­lig un­zu­rei­chend. Au­ßer­dem exis­tier­te bis jetzt für die gan­ze Bür­ger­meis­te­rei Pop­pels­dorf kein Kran­ken­haus und wur­den des­halb viel­fach Kran­ke der Ge­mein­de und der in­dus­tri­el­len Eta­blis­se­ments in das pro­tes­tan­ti­sche Kran­ken­haus ge­bracht. Au­ßer­dem fehl­te bis jetzt für die Ge­mein­de u. Bür­ger­meis­te­rei Pop­pels­dorf ein Wai­sen­haus. Das neu er­rich­te­te Ge­bäu­de kann die­sem Be­dürf­nis­se ab­hel­fen und wird auch hof­fent­lich für sol­che Zwe­cke ge­braucht wer­den. Fer­ner wird es ei­nem an­dern [sic] Ue­bel­stand ab­hel­fen, wel­cher sehr be­klagt wird. Die Pro­tes­tan­ten in Bonn und Go­des­berg ha­ben in letz­te­rem Or­te ein sog. ‚Kin­der­heim’ seit vie­len Jah­ren er­rich­tet, wor­in schwäch­li­che Kin­der un­ter­ge­bracht wer­den. Dar­un­ter be­fin­den sich nicht we­ni­ge ka­thol. Kin­der aus Bonn und Um­ge­gend, da hier­orts ei­ne der­ar­ti­ge Ver­an­stal­tung nicht be­steht. Die Ge­ne­ral-Obe­rin der Fran­zis­ka­ne­rin­nen hat sich nun be­reit er­klärt, ei­ni­ge Räu­me für sol­che Kin­der in dem neu­en Klos­ter ein­zu­rich­ten und die­sel­ben ge­gen bil­li­ge Ver­gel­tung auf­zu­neh­men. Die Aus­deh­nung und präch­ti­ge ge­sun­de La­ge macht das Haus auch für die­sen Zweck be­son­ders ge­eig­net.“[11]

Fotografie von Hermann von Heeren, Fotograf: Erwin Hanfstaengl, ca. 1875. (Gemeinfrei)

 

Das vom Köl­ner Erz­bi­schof 1892 ge­neh­mig­te Pop­pels­dor­fer Ge­samt­pro­jekt be­ruh­te al­so we­sent­lich auf der Spen­den­be­reit­schaft evan­ge­li­scher Bür­ger, wur­de aber gleich­wohl als In­stru­ment be­trach­tet, Ka­tho­li­ken evan­ge­li­schem Ein­fluss zu ent­zie­hen[12].

Die Ol­per Fran­zis­ka­ne­rin­nen ge­hör­ten of­fen­kun­dig nicht zu den­je­ni­gen, die an der Spit­ze der die Kon­fes­sio­nen se­gre­gie­ren­den Ak­ti­vi­tä­ten stan­den. Im Ge­gen­teil ge­rie­ten sie in Kon­flikt mit dem für sie zu­stän­di­gen Rek­tor Schwid­den, der im Ma­ri­en­hos­pi­tal an­ti­ka­tho­li­sche Ein­flüs­se aus­mach­te, un­ter an­de­rem weil er in ei­nem Kin­der­kran­ken­zim­mer evan­ge­li­sche Schrif­ten ge­fun­den hat­te[13]. Die Fran­zis­ka­ne­rin Schwes­ter Hya­c­in­tha, sich of­fen­bar in der De­fen­si­ve wäh­nend, be­rich­te­te in­fol­ge der An­schul­di­gun­gen aus­führ­lich an den Su­pe­ri­or in Pa­der­born: „Seit vie­len Jah­ren wird wö­chent­lich für die pro­tes­tan­ti­schen Kran­ken un­se­rer Häu­ser, von ei­nem so­ge­nann­ten Dia­kon oder Mis­sio­nar ei­ne Bi­bel­stun­de ge­hal­ten und zwar in dem Spei­se­saal un­se­rer Kran­ken III. Cl. und Ar­bei­ter. Es wird da­bei we­der laut ge­be­tet noch ge­sun­gen, so­daß [sic] kei­ner­lei Stö­rung da­durch ent­steht. Auch hat noch nie ein kath. Pa­ti­ent ver­sucht oder ge­wünscht, der Bi­bel­stun­de bei­zu­woh­nen. Wir ha­ben uns da­mals der Ein­füh­rung die­ser Bi­bel­stun­de wi­der­setzt, al­lein mit Rück­sicht dar­auf, daß die kath. Kran­ken Got­tes­dienst im Hau­se hat­ten und die Pro­tes­tan­ten die Ge­le­gen­heit des Kir­chen­be­su­ches so­gar miß­brauch­ten, be­stand Herr Prof. Wit­zel dar­auf. Da fer­ner in al­len grö­ße­ren Kran­ken­häu­sern Bonns und selbst im St. Jo­han­nes­hos­pi­tal, zu des­sen Ku­ra­to­ri­um auch der ver­stor­be­ne Herr De­chant Neu ge­hör­te, die Bi­bel­stun­de ge­hal­ten wur­de, wa­ren wir ge­nö­thigt, die­sel­be ge­gen un­se­ren Wil­len zu ge­stat­ten. Bis jetzt ist die­sel­be noch von kei­ner Sei­te be­an­stan­det wor­den. Pro­tes­tan­ti­sche Schrif­ten sind von dem Pre­di­ger eben­falls an die Kran­ken ver­teilt wor­den, doch wa­chen die Schwes­tern sehr dar­über, daß kei­ne Ka­tho­li­ken die­sel­ben le­sen.“

Der den ka­tho­li­schen Rek­to­rats­pfar­rer alar­mie­ren­de Vor­fall wird von Schwes­ter Hya­c­in­tha wie folgt be­schrie­ben: „Das pro­test. Kind, aus der [Bi­bel-]Stun­de kom­mend, [hat] den [pro­tes­tan­ti­schen] Ka­len­der mit­ge­bracht, als Herr Rek­tor eben das Kin­der­zim­mer be­trat. Er ließ sich dar­auf den Ka­len­der von der Schwes­ter brin­gen, da ihn der In­halt in­ter­es­sie­re. Als er den­sel­ben zu­rück­gab, ver­brann­te ihn die Schwes­ter so­fort. Auch sons­ti­ge Schrif­ten und Blätt­chen wur­den so­fort ver­brannt. Öf­ter kam die Schwes­ter in Ver­le­gen­heit, wenn der Pre­di­ger die Sa­chen zu­rück ver­lang­te, des­halb hat sie den Kin­dern ver­bo­ten, we­der Bü­cher noch sons­ti­ge Schrif­ten an­zu­neh­men [sic], was auch be­folgt wur­de. Fer­ner er­lau­ben wir noch zu be­rich­ten, daß wir drei kath. As­sis­tenz­ärz­te ha­ben, nur Dr. Wen­zel ist Pro­tes­tant, sei­ne Mut­ter ist ka­tho­lisch.“[14] 

Auch in Köln teil­te man die Em­pö­rung des Rek­tors nicht und ord­ne­te le­dig­lich knapp an, man mö­ge dar­über „wa­chen, daß die aus An­laß der Be­su­che pro­tes­tan­ti­scher Dia­ko­ne oder Mis­sio­na­re et­wa vert­heil­te an­ti­ka­tho­li­sche Schrif­ten nicht in die Hän­de von Ka­tho­li­ken, ins­be­son­de­re von ka­tho­li­schen Kin­dern ge­lan­gen“[15]. Das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ließ sich al­so nicht oh­ne wei­te­res in kon­fes­sio­nel­le Kämp­fe ver­wi­ckeln. Zu­gleich reich­te das kon­fes­sio­nel­le Ar­gu­ment auch nicht zur Be­grün­dung eins je­den Wun­sches nach ka­tho­li­scher Kran­ken­pfle­ge aus. Als sich 1894 ei­ne Pri­vat­kli­nik für Frau­en­krank­hei­ten eta­blier­te und des­sen Lei­ter, ein Pro­fes­sor Kru­ken­berg, zwei Fran­zis­ka­ne­rin­nen er­bat, un­ter­stütz­te ihn der Bon­ner De­chant Neu en­er­gisch, „als sonst der Herr Pro­fes­sor ge­nö­thigt sein“ wer­de, „Lai­en zur Pfle­ge zu neh­men oder gar prot. Dia­ko­nis­sen oder alt­ka­tho­li­sche Kran­ken­schwes­tern (ei­ne neu­er­dings ins Le­ben ge­tre­te­ne Ein­rich­tung), was im In­ter­es­se der viel­fach ka­tho­li­schen Kran­ken nicht er­wünsch­t“ sein kön­ne[16] . Das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ant­wor­te­te knapp, Sei­ne Emi­nenz er­tei­le ei­ne ent­spre­chen­de Er­laub­nis nicht[17].

So sehr sich die Bon­ner Geist­lich­keit von an­de­ren Kon­fes­sio­nen be­droht sah, so ge­fes­tigt muss­te am Rhein doch der Ka­tho­li­zis­mus zur Jahr­hun­dert­wen­de er­schei­nen. In ei­ner an­de­ren Si­tua­ti­on be­fand er sich in den zu Wup­per­tal zu­sam­men­wach­sen­den Städ­ten. Hier war der Ka­tho­li­zis­mus in ei­ner Min­der­hei­ten­po­si­ti­on, so dass man auch im Ge­sund­heits­we­sen dar­um rang, an Ein­fluss zu ge­win­nen.

Ty­pisch für die dor­ti­ge Si­tua­ti­on war das ka­tho­li­sche Pe­trus-Kran­ken­haus, wo über die Hälf­te der be­han­del­ten Pa­ti­en­ten zur evan­ge­li­schen Kon­fes­si­on zähl­ten. Hier bil­lig­te man dem evan­ge­li­schen Pfar­rer 1906 ger­ne zu, „in ei­nem be­son­de­ren Rau­me des Hau­ses die Kran­ken zu ver­sam­meln u. ih­nen ei­ne An­spra­che zu hal­ten“[18]. In an­de­ren ka­tho­li­schen Kran­ken­häu­sern war dies längst Pra­xis und auch das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at er­hob kei­ner­lei Be­den­ken[19]. Die­se Gro­ßzü­gig­keit war im kon­kre­ten Fall mit der Hoff­nung auf ein Ent­ge­gen­kom­men der evan­ge­li­schen Kir­che be­zie­hungs­wei­se der pro­tes­tan­tisch ge­präg­ten Stadt ver­bun­den. Der ka­tho­li­sche Pfar­rer ar­gu­men­tier­te of­fen, ka­tho­li­sches Wohl­wol­len kön­ne im Ge­gen­zug „in dem städ­ti­schen Kran­ken­haus, in wel­chem, durch Kran­ken­kas­sen u. Be­hör­de ge­zwun­gen, sehr vie­le Ka­tho­li­ken un­ter stark pro­tes­tan­ti­scher Lei­tung un­ter­ge­bracht u. ver­pflegt wer­den, ei­ne güns­ti­ge­re Po­si­ti­on für die seel­sor­ge­ri­sche Be­hand­lung der­sel­ben“ er­mög­li­chen[20]. Es dau­er­te je­doch noch bis ins Kriegs­jahr 1915, bis die ka­tho­li­sche Sonn­tags­mes­se in der evan­ge­li­schen Kran­ken­haus­ka­pel­le ge­stat­tet wur­de. Ka­tho­li­sches Pfle­ge­per­so­nal gab es  frei­lich in aus­rei­chen­der Zahl. Die Sta­tis­tik ver­zeich­net hier zwan­zig ka­tho­li­sche Rot-Kreuz-Schwes­tern bei bis zu 60 ka­tho­li­schen Pa­ti­en­ten[21].

Auch in der am­bu­lan­ten Kran­ken­pfle­ge sorg­ten sich die mi­no­ri­tä­ren Ka­tho­li­ken um ei­ne ad­äqua­te Be­treu­ung. Der El­ber­fel­der Pfar­rer be­rich­te­te 1897 nach Köln von der Not­wen­dig­keit, sich mit ei­nem Pfle­ge­or­den in Ver­bin­dung zu set­zen, „sol­len die Ka­tho­li­ken nicht auf die Diens­te der Dia­ko­nis­sen an­ge­wie­sen sein“[22]. Als An­fang des Jahr­hun­derts in Un­ter­bar­men ei­ne neue ka­tho­li­sche, von Ar­bei­tern ge­präg­te Ge­mein­de ge­grün­det wur­de, war es ein prio­ri­tä­res An­lie­gen, die am­bu­lan­te Kran­ken­ver­sor­gung durch Or­dens­schwes­tern, hier Au­gus­ti­ne­rin­nen, si­cher zu stel­len[23].

Ähn­lich war die Si­tua­ti­on zu glei­cher Zeit in Düs­sel­dorf-Ober­bilk. Dort trug sich ein Arzt mit der Ab­sicht, ei­ne Pri­vat­kli­nik zu grün­den, muss­te je­doch er­fah­ren, dass Or­dens­schwes­tern in der Re­gel kei­ne bi­schöf­li­che Ge­neh­mi­gung für die Tä­tig­keit in der­ar­ti­gen Häu­sern er­hiel­ten. Der Arzt na­mens Fi­scher er­klär­te sich dar­auf­hin be­reit, als An­ge­stell­ter in ein von den Vin­cen­ti­ne­rin­nen selbst ge­grün­de­tes und be­trie­be­nes Kran­ken­haus ein­zu­tre­ten. Mit die­ser Lö­sung er­klär­te sich das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ein­ver­stan­den. In­ter­es­sant ist, dass ein so­zi­al en­ga­gier­ter und ka­tho­lisch ge­präg­ter Arzt sehr deut­lich die kon­fes­sio­nel­le Kon­kur­renz­si­tua­ti­on mar­kier­te. In sei­nem, das Köl­ner Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at end­lich über­zeu­gen­den Schrei­ben hei­ßt es: „Ich be­mer­ke noch, daß das Kran­ken­haus haupt­säch­lich der Ober­bil­ker Be­völ­ke­rung, al­so Fa­brik­ar­bei­tern die­nen soll, die ein sol­ches Kran­ken­haus mit Freu­den be­grü­ßen wür­den, zu­mal bei den schwe­ren Ver­let­zun­gen, wie sie dort so häu­fig vor­kom­men, ein wei­ter Trans­port der Ver­letz­ten nö­tig ist. Ue­ber­dies ist vom re­li­giö­sen Stand­punc­te aus ein sol­ches Un­ter­neh­men schon zu be­für­wor­ten, zu­mal die Re­gie­rung die Zu­stim­mung ge­ge­ben hat, weil es doch der kirch­li­chen Be­hör­de nicht gleich­gül­tig sein kann, wenn ein sol­ches Lie­bes­werk nicht zu Stan­de kommt, ist doch jetzt schon auf ei­ner Fa­brik in Ober­bilk ei­ne Dia­ko­nis­sin von ei­ner Fa­brik­kran­ken­kas­se an­ge­stellt wor­den, wel­che auch Kran­ke in ka­tho­li­schen Fa­mi­li­en be­sucht. In Ober­bilk sieht jetzt bald die pro­tes­tant. Kir­che ih­rer Voll­endung ent­ge­gen. Da die Kli­nik der­sel­ben fast ge­gen­über zu lie­gen kommt, so wird es bald be­kannt wer­den, wes­halb ka­tho­li­scher­seits das Un­ter­neh­men schei­ter­te u. es steht dann zu be­fürch­ten, daß dann, nach­dem ein­mal der Ge­dan­ke ei­ner Kli­nik be­spro­chen ist, auf pro­tes­tan­ti­scher Sei­te das Werk ent­ste­hen wird, was ka­tho­li­sche Schwes­tern mit mei­ner Un­ter­stüt­zung u. mei­ner Tä­tig­keit in die We­ge lei­ten möch­ten. Au­ßer­dem steckt für die Schwes­tern in dem Un­ter­neh­men gar kein Ri­si­ko, da sie für die ers­ten 3 Jah­re kei­ne Mie­te zah­len u. ich dem Un­ter­neh­men auch spä­ter nach bes­ten Kräf­ten zur Sei­te ste­hen wer­den. […] Es han­delt sich al­so auch um ei­ne Be­dürf­nis­fra­ge, da Ober­bilk mit sei­ner gro­ßen ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung kein Kran­ken­haus hat, al­so auch kei­nes, das spe­ci­ell un­ter ka­tho­li­scher Lei­tung steht. In das neue städ­ti­sche Kran­ken­haus wer­den Ro­te Kreuz­schwes­tern be­ru­fen.“[24]

In Düs­sel­dorf hat­ten die Ka­tho­li­ken schon um 1870 Nach­hol­be­darf ge­se­hen. Der Vor­stand der dor­ti­gen Cel­litin­nen stell­te 1872 fest, dass es nach der Er­rich­tung ei­nes all­ge­mei­nen städ­ti­schen und ei­nes evan­ge­li­schen Kran­ken­hau­ses an der Zeit sei, ein ka­tho­li­sches Haus zu er­rich­ten[25]. Die Vor­be­rei­tun­gen für ein sol­ches Ma­ri­en­hos­pi­tal hat­ten schon vor Grün­dung des Kai­ser­reichs be­gon­nen und sa­hen trotz der üb­li­chen Öff­nung für nicht­ka­tho­li­sche Pa­ti­en­ten ei­ne ein­deu­tig ka­tho­li­sche Füh­rung des Hau­ses vor. So zähl­te das von Kö­nig Wil­helm 1870 be­stä­tig­te Sta­tut den Ober­bür­ger­meis­ter von Düs­sel­dorf zwar zu den ge­bo­re­nen Mit­glie­dern des Kran­ken­haus­vor­stands, soll­te die­ser je­doch ei­ner an­de­ren Kon­fes­si­on an­ge­hö­ren, ver­fiel die­ses Amt zu­guns­ten des ka­tho­li­schen Stell­ver­tre­ters[26].

3. Der Wettbewerb mit weltlichen Institutionen

Die mit dem kon­fes­sio­nel­len Ge­sund­heits­we­sen wäh­rend des Kai­ser­reichs ver­bun­de­ne Di­cho­to­mie ist of­fen­kun­dig und schon öf­ter be­schrie­ben wor­den. Ei­ner­seits wa­ren die welt­li­chen Be­hör­den auf die Diens­te der Kir­chen im Ge­sund­heits­we­sen an­ge­wie­sen. Oder viel­leicht bes­ser: Man hat­te sich an die christ­li­che Ka­ri­tas so sehr ge­wöhnt, dass ei­ne mit ei­ner ad­äqua­ten Be­zah­lung sämt­li­cher Pfle­ge­kräf­te ver­bun­de­ne Voll­fi­nan­zie­rung des Ge­sund­heits­we­sens durch Kom­mu­nen oder Staat nicht ernst­haft in Be­tracht ge­zo­gen wur­de. Selbst Ru­dolf Vir­chow (1821-1902) ist be­kannt­lich in sei­nem Ei­fer für ein sä­ku­la­ri­sier­tes Ge­sund­heits­we­sen nicht von ei­ner Voll­be­zah­lung der welt­li­chen Kran­ken­schwes­tern aus­ge­gan­gen. An­der­seits galt ge­ra­de die­sen sich als fort­schritt­lich ge­rie­ren­den Kräf­ten, die für ei­ne kla­re Tren­nung kirch­li­cher und welt­li­cher Auf­ga­ben­ge­bie­te ein­tra­ten, das christ­li­che Ge­sund­heits­we­sens als ein frag­wür­di­ges In­stru­ment der Mis­sio­nie­rung.

Der damalige Erzbischof Philipp Krementz, Köln, Dom, Kapitelsaal. (Dombauarchiv Köln)

 

In ge­wis­ser Wei­se zu Gu­te kam dem ka­tho­li­schen Ge­sund­heits­we­sen pa­ra­do­xer­wei­se der Kul­tur­kampf. Das Klos­ter­ge­setz von 1875 zwang die Or­dens­schwes­tern, sich ganz auf die al­lein er­laub­te Kran­ken­pfle­ge zu spe­zia­li­sie­ren. Und auch Bis­marcks Kran­ken­ver­si­che­rung (1883) be­deu­te­te für die kon­fes­sio­nel­le me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung ei­nen Fort­schritt. Sie si­cher­te die Fi­nan­zie­rung der ent­ste­hen­den kirch­li­chen Kran­ken­häu­ser, de­ren Er­trä­ge aus Spen­den kaum aus­reich­ten[27]. Die grund­sätz­li­che Kri­tik wur­de des­halb nicht lei­ser. An­de­rer­seits wur­de ge­ra­de in li­be­ra­len Krei­sen ganz grund­sätz­li­che Kri­tik an der kon­fes­sio­nell ge­präg­ten Kran­ken­pfle­ge laut. Ru­dolf Vir­chow hielt sie für un­ver­ein­bar mit der Idee der Tren­nung von Kir­che und Staat[28]. 1869 kri­ti­sier­te er, dass kirch­li­che Kran­ken­pfle­ge im­mer auch der Kir­che die­nen sol­le. In den kon­fes­sio­nel­len Kran­ken­häu­sern wür­den „die Sa­chen“ nicht „rein sach­lich an­ge­se­hen“: „An die Stel­le von tech­ni­schen Per­so­nen“ trä­ten „kirch­li­che Per­so­nen, an die Stel­le von sach­li­chen Auf­ga­ben kirch­li­che Auf­ga­ben“[29]. Vor dem Preu­ßi­schen Ab­ge­ord­ne­ten­haus wur­de er 1875 im Ton noch schär­fer. Die Be­völ­ke­rung müs­se ge­schützt wer­den vor der „in­fek­tiö­sen Na­tur, wel­che in dem mo­der­nen Or­dens­we­sen“ lie­ge[30]. Ei­ne un­ab­hän­gi­ge (durch­aus christ­lich in­spi­rier­te) Frau wie Flo­rence Nightinga­le (1820-1910) nann­te Vir­chow im­mer wie­der als vor­bild­lich für die Kran­ken­pfle­ge[31]. Auf je­den Fall soll­te es zur Pra­xis der staat­li­chen oder kom­mu­na­len Kran­ken­häu­ser ge­hö­ren, ei­ne Kran­ken­pfle­ge­schu­le zur Aus­bil­dung welt­li­cher Pfle­ge­rin­nen und Pfle­ger ge­ben[32]. Aber Vir­chow nutz­te – wie be­reits an­ge­deu­tet – den Idea­lis­mus jun­ger Men­schen, als 1876 der von ihm ma­ß­geb­lich in­iti­ier­te ers­te Kurs der Kran­ken­pfle­ge­schu­le am Ber­li­ner Städ­ti­schen Kran­ken­haus Fried­richs­hain be­gann. Chris­toph Schwei­kardt kri­ti­siert: „An­statt un­ab­hän­gig von ei­ner christ­li­chen oder hu­ma­ni­tä­ren Ethik at­trak­ti­ve Be­din­gun­gen hin­sicht­lich Lohn, Ar­beits­be­din­gun­gen [sic], Kar­rie­re­aus­sich­ten, Sta­tus und so­zia­ler Ab­sicht zu pro­pa­gie­ren und durch­zu­set­zen, for­der­te Vir­chow vom Kran­ken­pfle­ge­per­so­nal, es soll­te oh­ne ent­spre­chen­den Lohn, haupt­säch­lich mit der Aus­sicht auf in­ne­re Be­frie­di­gung tä­tig sein und pro­pa­gier­te da­mit ein sä­ku­la­ri­sier­tes Diensti­de­al.“[33]

Zur glei­chen Zeit, al­so wäh­rend des Kul­tur­kampfs, gab es auch in der Pro­vinz Be­stre­bun­gen zur Sä­ku­la­ri­sie­rung der Kran­ken­pfle­ge. Die Be­zirks­re­gie­rung Düs­sel­dorf er­ließ 1875 ei­ne Aus­bil­dungs­ord­nung und sorg­te an kom­mu­na­len Kran­ken­häu­sern in Kre­feld und El­ber­feld für ent­spre­chen­de Aus­bil­dungs­plät­ze[34]. Bald stell­te sich je­doch her­aus, dass die neu­en Mög­lich­kei­ten auf we­nig In­ter­es­se stie­ßen. Für das Jahr­fünft 1880 bis 1885 hat Schwei­kardt durch­schnitt­lich we­ni­ger als vier Per­so­nen pro Jahr ge­zählt, die sich in El­ber­feld (auf städ­ti­sche Kos­ten) oder in Kre­feld (auf ei­ge­ne Kos­ten) hat­ten aus­bil­den las­sen wol­len[35]. Hin­zu kam, dass „die ge­werb­li­che Kran­ken­pfle­ge im Ge­gen­satz zu der von Or­dens­schwes­tern und Dia­ko­nis­sen nicht an­er­kann­t“ wur­de[36]. Für Vir­chow blieb frei­lich die nicht­kon­fes­sio­nel­le Kran­ken­pfle­ge­aus­bil­dung ein Ide­al. 1898 wür­dig­te er et­wa im Ab­ge­ord­ne­ten­haus die nicht­kon­fes­sio­nel­len „Vic­to­ria­schwes­tern“, die im 1883 ge­grün­de­ten, und auf „Kai­se­rin Fried­rich“ zu­rück­ge­hen­den Ber­li­ner Vic­to­ria­hau­se aus­ge­bil­det wur­den[37].

Auf ka­tho­li­scher Sei­te wur­den die An­fangs­schwie­rig­kei­ten der welt­li­chen Schwes­tern­aus­bil­dung mit Scha­den­freu­de kom­men­tiert. Das „Sonn­tags­blatt für ka­tho­li­sche Chris­ten“ schrieb 1876 bei­spiels­wei­se: „Um zu be­wei­sen, daß die Kran­ken­pfle­ge der Or­dens­schwes­tern leicht er­setzt wer­den kön­ne, wur­de li­be­ra­ler­seits so­fort im Re­gie­rungs-Be­zirk Düs­sel­dorf ei­ne welt­li­che An­stalt ins Le­ben ge­ru­fen, in wel­che welt­li­che Kran­ken­pfle­ge­rin­nen aus­ge­bil­det wer­den sol­len. Ei­ne hei­le, gan­ze Kran­ken­pfle­ge­rin hat sich ge­mel­det. Der Be­richt der Düs­sel­dor­fer Re­gie­rung über die­se li­be­ra­le Schmer­zens­an­ge­le­gen­heit ist et­was klein­laut, und Cul­tus­mi­nis­ter Falk hat jetzt an sämt­li­che Re­gie­run­gen ei­nen dies­be­züg­li­chen Er­lass ver­sandt, wel­cher eben­falls zwi­schen den Zei­len lä­ßt, wie we­nig er selbst au­gen­blick­lich Hoff­nung hat, daß bald welt­li­che An­stal­ten die Klös­ter in der Kran­ken­pfle­ge ab­lö­sen kön­nen.“[38] 

Der Pa­der­bor­ner Li­bo­ri­us­bo­te, ein wah­res Kampf­blatt, be­merk­te 1883: „Über Kran­ken­pfle­ge lä­ßt sich Herr­li­ches schrei­ben und rai­son­nie­ren, ihr Her­ren Li­be­ra­len, aber selbst mit Auf­op­fe­rung der Ge­sund­heit und oft des Le­bens die Kran­ken pfle­gen – das ist et­was an­de­res. Ei­ne nur des Ver­diens­tes we­gen am Kran­ken­bett ste­hen­de Pfle­ge­rin mag echt li­be­ral sein, aber op­fer­wil­lig ist sie nicht. Zu­dem ist uns wohl klar, daß al­len­falls sich ein Herr Frei­mau­rer oder Grün­der oder ir­gend ein an­de­rer mit Geld ver­se­he­ner Reichs­freund auch für Geld ei­ne sol­che Pfle­ge­rin ver­schaf­fen kann, wenn er krank wird. Al­lein wie steht es dann mit den Ar­men, mit dem Ar­bei­ter­stan­de, wo frem­de Hül­fe in der Krank­heit, wenn nicht die gan­ze Fa­mi­lie ver­ar­men soll, ge­ra­de am not­wen­digs­ten ist? Oder hört das die li­be­ra­le Hu­ma­ni­tät auf?“[39] 

Kos­ten­spa­ren­de un­ei­gen­nüt­zi­ge Nächs­ten­lie­be war das Pfund, mit dem die ka­tho­li­sche Kran­ken­pfle­ge wu­cher­te. Da sie die­se bei welt­li­chen In­sti­tu­tio­nen nicht er­war­te­te, sah sie in  je­nen weit we­ni­ger ei­ne ernst­haf­te Kon­kur­renz als in an­de­ren re­li­gi­ös mo­ti­vier­ten Kran­ken­pfle­ge­or­ga­ni­sa­tio­nen, et­wa der evan­ge­li­schen Kir­che.

4. Interne Konflikte

Na­tür­lich aber stell­te die Kran­ken­pfle­ge trotz des ka­ri­ka­ti­ven Grun­d­im­pul­ses ei­nen ganz er­heb­li­chen öko­no­mi­schen Fak­tor dar. Die Fol­ge wa­ren bis­wei­len auch in­ner­ka­tho­li­sche Kon­kur­renz­si­tua­tio­nen. Zur Ver­an­schau­li­chung mag ein klei­nes Bei­spiel rei­chen. 1909 er­rich­te­ten die Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen von Aren­berg in El­ber­feld ei­ne Kli­nik, „um mit Hil­fe der Ein­nah­men aus der­sel­ben un­ser Heim für Ar­bei­te­rin­nen, Stel­len­lo­se, in­va­li­de u. ge­fähr­de­te Men­schen, über­haupt die gan­ze Für­sor­ge­tä­tig­keit auf­recht hal­ten zu kön­nen“.[40] Zu­min­dest kurz­fris­tig ge­lang die­ser Kos­ten­aus­gleich nicht und man sah sich zu ei­ner gro­ßen Son­der­kol­lek­te ver­an­lasst[41]. Als dann noch Ge­rüch­te auf­ka­men, die Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen woll­ten ih­re Kli­nik er­wei­tern, re­agier­te der für das 1857 ge­grün­de­te ka­tho­li­sche St.-Jo­seph-Hos­pi­tal Mit­ver­ant­wor­tung tra­gen­de El­ber­fel­der Pfar­rer Neu­mann in ei­nem Schrei­ben an das Köl­ner Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at un­ge­wöhn­lich scharf und stell­te das kon­kur­rie­ren­de Haus als letzt­lich über­flüs­sig dar: „Be­reits vor ei­ni­gen Jah­ren gab ich dem Be­dau­ern Aus­druck, daß es den hie­si­gen Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen ge­stat­tet wor­den sei, ein Kran­ken­haus zu er­rich­ten zu der­sel­ben Zeit, als das Ku­ra­to­ri­um des St. Jo­seph Hos­pi­tals das letz­te­re mit ei­nem Kos­ten­auf­wan­de von 500.000 Mk er­wei­tert hat­te. Ein Be­dürf­nis zu dem Neu­bau ei­nes Kran­ken­hau­ses durch die Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen lag nicht vor, da im St. Jo­seph-Hos­pi­ta­le seit des­sen Er­wei­te­rung auch in den Ta­gen der grö­ß­ten In­an­spruch­nah­me noch im­mer ei­ne statt­li­che Zahl von Bet­ten frei und zur Ver­fü­gung stan­den. Nichts­des­to­we­ni­ger be­steht nach zu­ver­läs­si­gen Mit­tei­lun­gen, wel­che der Vor­ste­he­rin des St. Jo­seph-Hos­pi­ta­les sind zu­teil ge­wor­den, die Ab­sicht, das Kran­ken­haus der Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen zu ver­grö­ßern.“

Ei­ne ent­spre­chen­de Ge­neh­mi­gung sol­le nicht er­teilt wer­den, da man „oh­ne­hin ei­nen schwe­ren Stand an­ge­sichts“ der gro­ßen städ­ti­schen An­stal­ten, so­wie der pri­va­ten Kran­ken­häu­ser, wel­che von den Di­a­co­nis­sen u. dem Va­ter­län­di­schen Frau­en-Ver­ein“ ge­führt wer­den, „nicht zu re­den von den man­nig­fal­ti­gen Pri­vat­kli­ni­ken“. Da­bei war auch die un­ge­rech­te Ver­tei­lung be­tuch­ter Pa­ti­en­ten ein The­ma. Wört­lich schreibt Pfar­rer Neu­mann: „Nur ne­ben­bei sie noch er­wähnt, daß die Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen sich haupt­säch­lich auf die Pfle­ge der bes­ser si­tu­ier­ten Kran­ken – der Kran­ken I. u. II. Klas­se – ver­le­gen u. durch die Weg­nah­me der­sel­ben es dem St.-Jo­seph-Kran­ken­hau­se un­mög­lich ma­chen, ar­me Kran­ke in gro­ßer Zahl, wie bis­her, un­ent­gelt­lich zu ver­pfle­gen, wo­durch dem Seel­sor­ger die Mög­lich­keit ge­nom­men wird, ar­men Pa­ti­en­ten, die au­ßer der leib­li­chen Pfle­ge ei­ner be­son­de­ren Für­sor­ge fürs See­len­heil be­dür­fen, un­ent­gelt­lich in ei­nem ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­se un­ter­zu­brin­gen und da­durch de­ren un­sterb­li­che See­le vor dem ewi­gen Un­ter­gang zu be­wah­ren.“[42] 

Neu­mann un­ter­stell­te den Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen al­so nicht we­ni­ger als zu­min­dest un­wis­sent­lich durch ihr Ver­hal­ten dem Teu­fel zu­zu­ar­bei­ten. Öko­no­mi­sche und seel­sor­ge­ri­sche As­pek­te blie­ben eng mit­ein­an­der ver­knüpft. In­des konn­te das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at Neu­mann be­sänf­ti­gen. Aus fi­nan­zi­el­len Grün­den war an ei­nen Aus­bau der Do­mi­ni­ka­ne­rin­nen­kli­nik nicht zu den­ken[43].

Be­reits die­ser ers­te Blick in die Quel­len, der noch der Er­gän­zung de­tail­lier­ter und quan­ti­ta­ti­ver Ana­ly­se be­darf, of­fen­bart, dass trotz al­ler aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve bis­wei­len eng­stir­nig er­schei­nen­den Ei­fer­süch­te­lei­en der Wett­be­werb zwi­schen den un­ter­schied­li­chen Trä­gern dem Ge­sund­heits­sys­tem si­cher nicht scha­de­te. Das, was man heu­te Pro­fi­lie­rung zu nen­nen pflegt, wur­de be­för­dert. Dies gilt auch, wie an­de­re Quel­len­be­stän­de zei­gen, für den engs­ten Be­reich der me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung, wenn sich – et­wa auf dem Ge­biet der Hy­gie­ne – ein Wett­be­werb ent­wi­ckel­te.

Quellen

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Vir­chow, Ru­dolf, Ue­ber Hos­pi­tä­ler und La­za­ret­te (Vor­trag, ge­hal­ten im De­cem­ber 1866 im Saa­le des Ber­li­ner Hand­wer­ker-Ver­eins), in: Vir­chow, Ru­dolf, Ge­sam­mel­te Ab­hand­lun­gen aus dem Ge­bie­te der öf­fent­li­chen Me­di­cin und der Seu­chen­leh­re, Ber­lin 1879, Band 2, S. 6-22.

Vir­chow, Ru­dolf, Die be­rufs­mä­ßi­ge Aus­bil­dung der Kran­ken­pfle­ge, auch aus­ser­halb der kirch­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen (Re­de, ge­hal­ten am 6. Nov. 1869 in der Con­fe­renz der Frau­en­ver­ei­ne zu Ber­lin), in: Vir­chow, Ru­dolf, Ge­sam­mel­te Ab­hand­lun­gen aus dem Ge­bie­te der öf­fent­li­chen Me­di­cin und der Seu­chen­leh­re, Band 2, Ber­lin 1879, S. 47-56.

Literatur

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se

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Porträtfotografie Rudolf Virchows von W. Höffert aus dem Jahr 1893. (CC BY 4.0/WellcomeCollection)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Forsbach, Ralf, Konkurrenzen, Konflikte, Kooperationen – das Krankenhauswesen als Betätigungsfeld von Katholiken und Protestanten um 1900, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/konkurrenzen-konflikte-kooperationen-%25E2%2580%2593-das-krankenhauswesen-als-betaetigungsfeld-von-katholiken-und-protestanten-um-1900-/DE-2086/lido/5e81f7d7abae84.69795760 (abgerufen am 25.01.2025)