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Der politische Lebensweg von Otto Brass und auch seines gleichnamigen, wenn auch weniger bekannten Sohnes Otto Brass jun. (1900-1972) ist ein Beispiel für die ebenso interessanten wie verschlungen Wege deutscher Sozialistinnen und Sozialisten im späten 19. und 20. Jahrhundert. Brass war in seiner politischen Laufbahn Funktionär in fünf verschiedenen linken Parteien, in der SPD und der USPD sogar jeweils zweimal, doch verstand er sich zeitlebens vor allem als Gewerkschafter.
Otto Brass wurde am 21.12.1875 in Wermelskirchen geboren. Als sechstes von sieben Kindern von Otto und Bertha (geb. Hüther) Brass wuchs er in einer alteingesessenen Weberfamilie in einem kleinstädtischen Arbeitermilieu auf, in dem sozialistische und pietistische Traditionen neben- und auch miteinander existierten. Im Zuge der Industrialisierung waren aber gerade diese Heimarbeiter von Armut und sozialem Abstieg bedroht, eine Erfahrung, die Otto Brass mit vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seiner Generation teilte. Obwohl evangelisch getauft wurde er im Reichstagshandbuch als „Dissident“ geführt, doch war er trotz seines Kirchenaustritts in freireligiösen Gemeinden aktiv. Nach dem Besuch der Volksschule ging er 1889-1892 in die Lehre zum Feilenhauer und siedelte 1897 ins benachbarte Remscheid über, wo er als selbstständiger Feilenhaumeister tätig war. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt seines Lebens war er fest in der örtlichen Arbeiterbewegung verwurzelt. Remscheid galt als ein Zentrum des klassenkämpferischen Radikalismus im Rheinland, nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 wurde die Stadt auch als „Bergisch Moskau“ bezeichnet.
Über das Privatleben Otto Brass‘ ist nur wenig bekannt, nicht zuletzt, weil er einen Großteil seines Lebens und auch seiner Erinnerungen der politischen Arbeit widmete. Mit seiner ersten Ehefrau Anna, über die ansonsten wenig bekannt ist, hatte er sechs Kinder, Erna, Anna, Otto, Kurt und die Zwillinge Hans und Fritz. Seit etwa 1920 aber lebte er mit seiner 1887 geborenen Genossin Bertha Hüther zusammen, die er nach seiner erst 1947 erfolgten Scheidung dann auch im selben Jahr ehelichte.
Die politische Karriere des Otto Brass verlief schon früh zügig und durchaus typisch für sozialdemokratische Funktionäre seiner Generation. Schon als Lehrling von einer erfolglosen Streikaktion und dem Statusverlustes seines Vaters geprägt, trat er 1893 der Gewerkschaft und zwei Jahre später der SPD bei, wurde Vorsitzender des lokalen Feilenhauer-Vereins und übte verschiedene ehrenamtliche Funktionen im SPD-Ortsverein aus; später war er Vorsitzender des Bezirks Niederrhein des einflussreichen und radikalen Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV). Für zwei Jahre verdiente er seinen Lebensunterhalt als Angestellter der Remscheider Ortskrankenkasse – die selbstverwalteten Krankenkassen galten im Kaiserreich aus gutem Grund als „sozialistische Kaderschmieden“ – und seit 1905 als Mitbegründer und Geschäftsführer der „Remscheider Arbeiterzeitung“. Auch die Tätigkeit in und für die Arbeiterpresse war eine zeitgenössische Strategie der sozialistischen Bewegung, ihre ansonsten unbesoldeten und häufig mittellosen Funktionäre finanziell abzusichern. Diese Vielzahl an Funktionen und Vernetzungen innerhalb der Remscheider Arbeiterbewegung führten schon frühzeitig dazu, dass Brass sowohl ehrfürchtig als auch ironisch „der König des Bergischen Landes“ genannt wurde.
Mit der „Burgfriedenspolitik“ der SPD seit 1914 und den zunehmenden innerparteilichen Spaltungstendenzen musste auch der regionale Partei- und Gewerkschaftsführer Otto Brass eindeutig Position beziehen. Sowohl Brass als auch die überwiegende Mehrheit der Remscheider Sozialdemokraten lehnten die Bewilligung von Kriegskrediten seitens der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion entschieden ab. Als sich Otto Brass jun. an einem Streik in einer Munitionsfabrik beteiligte, wurde er aus seinem Arbeitsverhältnis entlassen, zur Disziplinierung eingezogen und an die Front abkommandiert. Diese häufig angewandte Methode zur Einschüchterung oppositioneller Arbeiter dürfte sowohl in der Familie Brass als auch in der Remscheider Arbeiterbewegung zu einer weiteren Radikalisierung beigetragen haben.
Als sich schließlich 1917 die SPD über die Frage der Kriegskredite spaltete, gehörte Otto Brass zu den Mitbegründern der kriegskritischen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) und wurde Vorsitzender des Bezirks Niederrhein, Mitglied des Zentralkomitees der USPD sowie Geschäftsführer der regionalen Parteizeitung „Bergische Volksstimme“.
Während der Revolution von 1918/1919 spielte Otto Brass vor Ort die entscheidende Rolle. Bei der von ihm geleiteten konstituierenden Sitzung der Arbeiter- und Soldatenräte des Regierungsbezirks Düsseldorf in Barmen (heute Stadt Wuppertal) am 9.12.1918, in der Anhänger der USPD die klare Mehrheit stellten, wurde Brass in den fünfköpfigen Vollzugsrat und als Delegierter für den Reichsrätekongress in Berlin gewählt. Brass und seiner Partei gelang es zunächst, die Mehrheitssozialdemokratie und ihren „starken Mann“ Ernst Dröner (1879-1951) systematisch an den Rand zu drängen. Die „Bergische Volksstimme“ berichtete schon am 22. Oktober davon, dass Brass bei mehreren Veranstaltungen als Redner aufgetreten und bei „einer nach Tausenden zählenden Versammlung […] von stürmischen Zustimmungsbezeugungen unterbrochen worden sei. Der Ebersfelder Sekretär der Regierungssozialisten Dröner hingegen, so die Volksstimme weiter, versuchte die Politik der ehemaligen Sozialisten zu entschuldigen. Er fiel in beiden Versammlungen glatt ab. Stürmischer Protest belehrte ihn, daß die Volksmasse die arbeiterverräterische Politik der Regierungs- und Ministerpartei richtig bewertet.“ Entscheidend war jedoch in diesen angespannten Tagen, dass die Revolution unter Führung von Otto Brass und seinen Mitstreitern friedlich vollzogen wurde, wie wiederum die Volksstimme berichtete: „Die Straßendemonstrationen verliefen überall ruhig und ungestört. Die Polizei legte überall Ruhe und Zurückhaltung an den Tag.“[1] So wurden etwa in Remscheid weder der liberale Bürgermeister Walther Hartmann (1873-1964, Bürgermeister 1915-1937) noch die Stadtverordneten abgesetzt.
Die Berichterstattung der „Bergischen Volksstimme“ war natürlich nicht neutral, aber bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19.1.1919 wurden die Machtverhältnisse innerhalb der Arbeiterbewegung im Wirkungsbereich von Otto Brass deutlich. Während die SPD mit 37,9 Prozent reichsweit klar die stärkste Kraft wurde und die USPD lediglich 7,6 Prozent der Stimmen erringen konnte, kam die USPD im Wahlkreis Düsseldorf-Ost[2] auf 18,7 Prozent gegenüber 25,7 der SPD – stärkste Partei wurde allerdings knapp das katholische Zentrum mit 27,6 Prozent. Eindeutig war das Ergebnis in Brass‘ Heimatstadt Remscheid: Die USPD wurde mit fast 17.000 Stimmen klar stärkste Partei, während die SPD mit weniger als 6.000 Stimmen noch hinter der DDP auf dem dritten Platz landete[3]. Am Schluss wurden 22 Mitglieder der USPD in die Nationalversammlung gewählt, davon zwei aus der Rheinprovinz, die beide in Düsseldorf-Ost kandidiert hatten: Lore Agnes (1876-1953) und Otto Brass.
Bei der Wahl vom Juni 1920 erzielte die USPD im Wahlkreis Düsseldorf-Ost mit 32,8 Prozent (SPD: 10 Prozent, ein Abgeordneter) ein herausragendes Ergebnis und entsandte nunmehr fünf Abgeordnete, gegenüber 17,6 Prozent und 84 Abgeordneten reichsweit. Während seiner Zeit als Abgeordneter der Nationalversammlung und dann von 1920 bis 1924 im Reichstag, fiel Otto Brass als Hinterbänkler seiner Fraktion nur bedingt auf. Wenn er vor das Plenum trat, beschäftigte er sich, angesichts seines politischen Werdegangs verständlich, vor allem mit gewerkschaftlichen und arbeitsrechtlichen Fragen. So beteiligte er sich etwa intensiv an der Diskussion über das Betriebsrätegesetz, welches aber am 18.1.1920 gegen die Stimmen der USPD mit breiter Mehrheit verabschiedet wurde. Seine letzte Rede im Reichstag hielt er am 11.2.1922 zur Frage des Streikrechts von Beamten.
Die über zweijährige Abstinenz von Otto Brass am Rednerpult des Reichstags war eine direkte Folge der innerparteilichen Auseinandersetzungen, die 1920 die USPD und später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) vor permanente Zerreißproben stellten. Auf dem Parteitag der USPD im Oktober 1920 in Halle spaltete sich die Partei um die Frage, ob sie unter Annahme der „21 Bedingungen“ der Kommunistischen Internationale (Komintern) beitreten solle. Während eine Mehrheit der Funktionäre diesen Schritt ablehnte und sich 1922 wieder der SPD anschloss, fusionierte die Mehrheit der Parteimitglieder, unter ihnen Otto Brass, im Dezember 1920 mit der KPD zur Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD). Als Mitglied des Sekretariats der VKPD konnte sich Brass aber nicht lange in führender Position halten, da er die unter anderem auch von Paul Levi (1883-1930) und Clara Zetkin (1857-1933) kritisierte „Offensivstrategie“ ablehnte. Im Zuge dieses grundlegenden Konflikts wurde Brass im Januar 1922 aus der VKPD ausgeschlossen, nach Zwischenstationen in der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) und der Rest-USPD kehrte er im September 1922 wieder zur SPD zurück. Dort nahm er aber keine leitenden Funktionen mehr wahr, sondern arbeitete als Verleger. Seinen Lebensmittelpunkt hatte er mittlerweile vom Bergischen Land nach Prenzlauer Berg in Berlin verlegt.
Nach der „Machtergreifung“ der NSDAP wurde Otto Brass im März 1933 von der SA verschleppt und im KZ Columbia-Haus gefoltert. Nach seiner Freilassung sammelte Brass zusammen mit Hermann Brill (1895-1959) und Oskar Debus (1886-1942), den er noch aus seiner rheinischen Heimat kannte, zahlreiche Regimegegner. Diese Gruppe wurde später unter dem Namen „Deutsche Volksfront“ oder „Zehn-Punkte-Gruppe“ bekannt und hatte enge Kontakte zur Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ um Fritz Erler (1913-1967). Aufgrund konspirativer Nachlässigkeiten konnte die Deutsche Volksfront 1938 von der Gestapo aufgerollt werden. Otto Brass wurde, nachdem er in der Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße wiederum schwer gefoltert worden war, vom Volksgerichtshof zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Im April 1945 wurde er schließlich von der Roten Armee aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit.
Nach 1945 nahm Otto Brass vor allem seine gewerkschaftlichen Tätigkeiten wieder auf und war seit 1946 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Er verstarb am 13.11.1950 im thüringischen Masserberg. In seiner alten Heimat ist der Sozialist und Widerstandskämpfer Otto Brass weitgehend vergessen, in der DDR wurde ein gewerkschaftliches Freizeitheim in Plau am See nach ihm benannt. Seine letzte Ruhestätte fand er, wie so viele seiner Genossinnen und Genossen, auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin, der zu Recht den Beinamen „Sozialistenfriedhof“ trägt.
Im historischen Gedächtnis noch weniger präsent ist sein gleichnamiger Sohn. Otto Brass jun. wurde am 11.9.1900 in Remscheid geboren, arbeitete als Elektriker und war seit 1920 ebenfalls Mitglied der (V)KPD und Aktivist der Roten Ruhrarmee. In den revolutionären Jahren nach 1918 sozialisiert, fand er nie wieder ganz zurück ins Zivilleben und wanderte nach einer Zwischenstation in Serbien 1932 in die Sowjetunion aus. Im Zuge der stalinistischen Säuberungswellen wurde Otto Brass jun. 1937 zu zehn Jahren Lagerhaft in Sibirien verurteilt, seine Familie um Ehefrau Barbara ebenfalls deportiert. Nach seiner Entlassung im April 1954 und der Rehabilitierung 1955 verstarb er 1972 in Ferghana im heutigen Usbekistan.
Literatur
Lorenz, Gerlinde, „Leitstern“ Sozialismus. Die politische Biografie des Remscheider Arbeiterführers Otto Braß (1875-1950) und seines Sohnes Otto (1900-1972), Essen 2010 (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen, Bd. 46).
Sandvoß, Hans-Rainer, Die „andere“ Reichshauptstadt. Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945, Berlin 2007, S. 109-118.
Online
1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch. [online]
Handbuch der Deutschen Kommunisten. [online]
Verhandlungen des Deutschen Reichstags. [online]
Zentrale Datenbank Nachlässe. [online]
- 1: Zitiert nach Bergische Volksstimme v. 22.10.1918, online: https://archivewk1.hypotheses.org/68936
- 2: Der Wahlkreis umfasste die Landkreise Düsseldorf, Essen, Mettmann und Solingen sowie die Stadtkreise Düsseldorf, Barmen, Elberfeld, Essen, Remscheid und Solingen.
- 3: Rheinische Volksstimme v. 21.1.1919, online: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/1936171.
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Kühne, Tobias, Otto Brass, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-brass/DE-2086/lido/5cb70aa488fae8.63531573 (abgerufen am 07.10.2024)