Walter Markov

NS-Widerstandskämpfer und Historiker (1909-1993)

Ralf Forsbach (Siegburg)

Walter Markov 1934, Porträtfoto. (Privatbesitz Irene Markov)

Wal­ter Mar­kov war kein ge­bo­re­ner Rhein­län­der, doch die zehn ent­beh­rungs­reichs­ten Jah­re sei­nes Le­bens ver­brach­te er hier, im Sieg­bur­ger Ge­fäng­nis. Zu­vor zähl­te er zu den we­ni­gen, die als jun­ge Wis­sen­schaft­ler ak­ti­ven Wi­der­stand ge­gen das NS-Re­gime an der Uni­ver­si­tät Bonn ge­leis­te­t hat­ten. Nach 1945 wur­de er zu ei­nem der wich­tigs­ten His­to­ri­ker der DDR.

Wal­ter Mar­kov, ge­bo­ren am 5.10.1909 in Graz, war ein Kind der ös­ter­rei­chisch-un­ga­ri­schen Dop­pel­mon­ar­chie. Vä­ter­li­cher­seits ent­stamm­te er ei­ner slo­we­ni­schen Bau­ern­fa­mi­lie mit dem ur­sprüng­li­chen Na­men Mulec, wel­che seit dem 18. Jahr­hun­dert in der Un­ter­stei­er­mark nach­weis­bar ist. Erst der Va­ter Franz Mulec (1881-1974) hat­te als kauf­män­ni­scher An­ge­stell­ter des Deut­schen Ka­li-Syn­id­kats den Schritt in die Stadt Graz ge­wagt. Mar­kovs Mut­ter, Min­na Au­gus­te Isa­bel­la Mulec ge­bo­re­ne Schell­bach (ge­bo­ren 1889), ge­bür­ti­ge Wie­ne­rin und Toch­ter des mit Druck­ma­schi­nen und Far­ben han­deln­den Ge­schäfts­man­nes Carl Beu­er­mann (ge­bo­ren 1863) und des­sen Frau (ge­bo­ren 1866), fühl­te sich ein Le­ben lang auf­grund ih­rer Ab­stam­mung als Reichs­deut­sche. Schon im Jahr nach Wal­ters Ge­burt zog die Fa­mi­lie für das Syn­di­kat nach Lai­bach, kam aber wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs 1915 zu­rück nach Graz. Hier be­such­te Wal­ter als Kind pro­tes­tan­ti­scher El­tern die schul­geld­pflich­ti­ge „Evan­ge­li­sche Pri­vat­schu­le". Er ge­wöhn­te sich schnell dar­an, zwi­schen den Kul­tu­ren zu pen­deln. Denn schon 1919 zog man wie­der­um nach Lai­bach, was für die Fa­mi­lie nicht die letz­te Sta­ti­on im ent­ste­hen­den Ju­go­sla­wi­en sein soll­te. Wal­ter Mar­kov leg­te 1927 im kroa­ti­schen Ri­je­ka sein Ab­itur ab.

Zur mul­ti­kul­tu­rel­len Er­fah­rung kam als In­itia­ti­ons­er­leb­nis für his­to­ri­sches und po­li­ti­sches In­ter­es­se ein ita­lie­ni­scher Spiel­film über Han­ni­bal, den Mar­kov wäh­rend des Kriegs in Graz ge­se­hen hat­te. Im Früh­jahr 1925 en­ga­gier­te er sich erst­mals po­li­tisch, als er im Lai­ba­cher Be­kann­ten­kreis für die li­be­ra­len So­zi­al­de­mo­kra­ten (SDS) warb.

Sein Stu­di­um be­gann Mar­kov 1927 in Leip­zig, wo ihn der evan­ge­li­sche Gus­tav-Adolf-Ver­ein ma­te­ri­ell un­ter­stütz­te. Des­halb schrieb sich Mar­kov nicht nur in Ge­schich­te, son­dern zu­sätz­lich auch in Theo­lo­gie ein – wo­bei er da­für sorg­te, dass sei­ne Geld­ge­ber um­ge­kehr­te Prio­ri­tä­ten ver­mu­te­ten. In sei­ner Au­to­bio­gra­phie hat Mar­kov die Stu­den­ten­zeit mit den zeit­ty­pi­schen Nö­ten und Freu­den aus­gie­big ge­schil­dert. Auf ei­ner Rad­tour zu Pfings­ten 1928 stieß der kri­ti­sche Mar­kov durch das Bin­ger Loch erst­mals ins Rhein­land vor und er­leb­te nicht nur Er­freu­li­ches. Er klag­te über den – auch we­gen der Olym­pi­schen Spie­le in Ams­ter­dam – au­ßer­ge­wöhn­lich star­ken Ver­kehr auf den Rhein­ufer­stra­ßen; vor Bonn kol­li­dier­te er mit ei­nem Mo­tor­rad; in der Stadt selbst mun­de­te ihm der sau­re Wein nicht; in Köln war der Dom zu groß für ei­ne Pho­to­gra­phie; Düs­sel­dorf er­schien ihm se­hens­wert, Duis­burg und das Ruhr­ge­biet hin­ge­gen er­klär­te er zum häss­lichs­ten Stück Deutsch­lands.

Als ihm Leip­zig als Uni­ver­si­täts­stadt zu un­at­trak­tiv wur­de, hieß es für Mar­kov: „Al­so nichts wie auf zum Rhein, zum frei­en deut­schen Rhein!" Kaum ein Jahr nach sei­ner Rad­tour kam Mar­kov im März 1929 mit dem Zug nach Köln. Im Gus­tav-Adolf-Ver­ein hat­te man Mar­kovs wah­re In­ter­es­sen er­kannt und ihm – ne­ben Bonn – Köln als Uni­ver­si­täts­stadt emp­foh­len, ob­wohl dort gar kei­ne evan­ge­lisch-theo­lo­gi­sche Fa­kul­tät exis­tier­te. Als Wohn­ort war ihm ein Pfarr­haus­halt in Rog­gen­dorf bei Me­cher­nich in der Ei­fel zu­ge­wie­sen wor­den. Hier soll­te er ne­ben sei­nem Stu­di­um als Haus­leh­rer tä­tig sein. Mar­kov tat wie ihm ge­hei­ßen, hat­te kei­ne Schwie­rig­kei­ten beim Über­schrei­ten der Gren­ze von der ent­mi­li­ta­ri­sier­ten A-Zo­ne mit Köln zur noch fran­zö­sisch be­setz­ten Zo­ne B, in der Rog­gen­dorf lag, wohl aber mit der Ent­fer­nung zwi­schen Uni­ver­si­tät und Pfarr­haus von über 50 Ki­lo­me­tern. An ein re­gu­lä­res Stu­di­um war nicht zu den­ken. Mar­kov hör­te un­re­gel­mä­ßig Vor­le­sun­gen. Ein­druck hin­ter­lie­ßen bei ihm der so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Wirt­schafts­his­to­ri­ker Bru­no Kuske, der ei­ne po­si­ti­ve Be­wer­tung der so­wje­ti­schen Wirt­schafts­leis­tung nicht scheu­te, und Jo­han­nes Zie­kursch (1876-1945), der zur Freu­de Mar­kovs den Preu­ßen­kö­nig Fried­rich II. (Re­gie­rungs­zeit 1740-1786) durch­aus kri­tisch be­wer­te­te.

Der Auf­ent­halt wur­de für den rei­se­lus­ti­gen Mar­kov zum Aus­gangs­punkt vie­ler Fahr­ten ins Um­land bis nach Bel­gi­en. En­de 1930 starb der Rog­gen­dor­fer Pfar­rer und die Wit­we lös­te den Haus­halt in der Ei­fel auf. Mar­kov kehr­te zu­nächst nach Leip­zig zu­rück, stieg dann aber ins Win­ter­se­mes­ter an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät ein. Hier be­ob­ach­te­te der im­mer mehr mit dem Kom­mu­nis­mus sym­pa­thi­sie­ren­de Mar­kov den Un­ter­gang der Wei­ma­rer Re­pu­blik, un­ter­bro­chen von vie­len Rei­sen, un­ter an­de­rem in sei­ne Hei­mat.

Zum Som­mer­se­mes­ter 1933 wech­sel­te Mar­kov nach Ham­burg in der Ab­sicht, bei dem Ost­eu­ro­pa­his­to­ri­ker Ri­chard Sa­lo­mon (1884-1966) pro­mo­viert zu wer­den. Des­sen Ver­fol­gung als Ju­de und sei­ne an­schlie­ßen­de Emi­gra­ti­on mach­ten ein er­neu­tes Um­den­ken nö­tig. So­lo­mon emp­fahl Mar­kov Bonn mit sei­nem „in al­len Far­ben" schil­lern­den His­to­ri­ker Fritz Kern, der längst die Gren­zen der Me­diä­vis­tik über­schrit­ten hat­te (Mar­kov).

Mit Kerns schrift­li­cher Zu­sa­ge, in sei­nem Haupt­se­mi­nar vor­tra­gen zu dür­fen, fuhr Mar­kov En­de Ok­to­ber 1933 mit dem Fahr­rad und – ab Ha­gen-Has­pe – mit der Ei­sen­bahn nach Bonn. Die ers­ten Näch­te ver­brach­te er in der Ju­gend­her­ber­ge an der Pop­pels­dor­fer Al­lee. Der an­ge­hen­de Dok­to­rand war sich si­cher, dass Kern als „Di­rek­tor des ein­zi­gen deut­schen In­sti­tuts für Uni­ver­sal­ge­schich­te" sein Mann sei. Im Win­ter­se­mes­ter 1933/1934 nahm er am Haupt­se­mi­nar teil und fiel durch sein „gro­ßes Mund­werk" auf (Mar­kov). Die As­sis­ten­ten, der re­gime­kri­ti­sche Hans Hall­mann (1897-1985) und der aus der NS­DAP aus­ge­schlos­se­ne Na­tio­nal­so­zia­list Ernst An­rich (1906-2001), moch­ten stau­nen, dem im­pul­si­ven Kern aber ge­fiel der Neu­zu­gang aus Ham­burg.

Am 3.1.1934 war Mar­kov von Kern zum Abend­es­sen ein­ge­la­den. Bei ei­nem Glas Wein emp­fahl der re­nom­mier­te His­to­ri­ker sei­nem neu­en Schütz­ling, so­fort zu pro­mo­vie­ren, zum Bei­spiel über den lang­jäh­ri­gen ser­bi­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Ni­ko­la Pa­sić (1845-1926). Vier Wo­chen spä­ter, am 1. Fe­bru­ar, reich­te Mar­kov die Dis­ser­ta­ti­on „Ser­bi­en zwi­schen Ös­ter­reich und Russ­land, 1897-1908" ein; am 28. Fe­bru­ar war er sum­ma cum lau­de pro­mo­viert; am 28. Ju­li hielt er die Dok­tor­ur­kun­de in Hän­den. Fritz Kern hat­te ganz of­fen­sicht­lich nicht nur das wis­sen­schaft­li­che, son­dern auch das po­li­ti­sche Po­ten­ti­al sei­nes Aus­nah­me­schü­lers er­kannt. „Man weiß nie, was da­zwi­schen­kommt, und pro­mo­viert ist pro­mo­viert", soll Kern ge­sagt ha­ben (Mar­kov). Mar­kovs neu­er Freund Han­nes Schmidt (1909-1998) sah ei­ne ge­wis­se Kon­ge­nia­li­tät: „Nur Mar­kov kann ei­ne sol­che Dis­ser­ta­ti­on schrei­ben – und nur Kern kann sie ab­neh­men!" (Mar­kov) Ein Jahr spä­ter war die mit 90 Sei­ten ein­schlie­ß­lich Kar­ten und an­de­ren Bei­la­gen auch für die da­ma­li­ge Zeit recht schma­le Ar­beit in ei­ner von Dok­tor­va­ter Kern selbst her­aus­ge­ge­be­nen Rei­he pu­bli­ziert.

Tat­säch­lich stand ne­ben ei­ner ra­schen Pro­mo­ti­on po­li­ti­sche Agi­ta­ti­on auf Mar­kovs Agen­da. Ham­burg hat­te er mit dem Be­dau­ern ver­las­sen, „die Par­tei nicht ge­fun­den" zu ha­ben (Mar­kov). Jetzt war er mit dem ein Se­mes­ter vor ihm von Ham­burg nach Bonn ge­wech­sel­ten Han­nes Schmidt be­freun­det, der an der Als­ter zwar kom­mu­nis­ti­sche Kon­tak­te ge­pflegt, in Bonn aber gar nicht erst ge­knüpft hat­te. Bei­de woll­ten ei­nen Neu­be­ginn wa­gen. Schmidt und Mar­kov lern­ten sich in Kerns Haupt­se­mi­nar ken­nen. Für Schmidt war durch die tat­säch­lich als „Kö­der" ge­dach­te Ver­wen­dung des Wor­tes „Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se" in Mar­kovs Re­fe­rat klar ge­wor­den, dass er es mit ei­nem Ge­sin­nungs­ge­nos­sen zu tun hat­te. Mar­kov sei­ner­seits frag­te ei­nen drit­ten Stu­die­ren­den na­mens John, wer denn „der jun­ge Mann sei, der aus­sä­he wie Trotz­ki". John gab die­se Äu­ße­rung prompt wei­ter, so dass sich Schmidt di­rekt an Mar­kov wand­te: „Wis­sen Sie nicht, daß Trotz­ki Ju­de ist?" Dar­auf soll Mar­kov zur Zu­frie­den­heit Schmidts ge­ant­wor­tet ha­ben: „Doch na­tür­lich, aber was das be­trifft, mir sind die Ju­den sym­pa­thisch!" Schon bald ver­si­cher­te Schmidt sei­nem neu­en Freund „Mov": „Wenn Du was machst, ich ma­che mit!" (Mar­kov).

Zu den bei­den stie­ßen noch drei wei­te­re Stu­den­ten: An ers­ter Stel­le zu nen­nen ist Gün­ter Meschke (ge­bo­ren 1907). Den da­ma­li­gen Ma­the­ma­tik­stu­den­ten hat­te Mar­kov im Stu­den­ten­wohn­heim Ber­lin-Wei­ßen­see ken­nen ge­lernt. Meschke kam im April 1934 nach Bonn und hoff­te nun gleich­falls auf ei­ne Pro­mo­ti­on in Ge­schich­te. Der vier­te im Bun­de war An­t­ho­ny Toyn­bee (1910-1975), der äl­tes­te Sohn des Ge­schichts­phi­lo­so­phen Ar­nold J. Toyn­bee (1889-1975). Mar­kov be­schrieb ihn spä­ter als hoch be­gab­ten, gut aus­se­hen­den, aber schwer­mü­ti­gen Eng­län­der, der den Kom­mu­nis­mus für ei­ne „gro­ße Idee" hielt; in sei­ner Hei­mat war sie nach Toyn­bees Auf­fas­sung nicht durch­setz­bar, im Kampf ge­gen Hit­ler aber „die fä­higs­te Kraft" (Mar­kov). Ei­ner, der nach Mar­kov „im­mer ei­nes An­triebs be­durf­te" war Hans Scha­dow (ge­bo­ren 1908), der bei Karl-Lud­wig Schmidt (1891-1956), Karl Barth (1886-968) und Fritz Lieb (1892-1970) evan­ge­li­sche Theo­lo­gie stu­dier­te und da­mit in die Nä­he der „re­li­giö­sen So­zia­lis­ten" ge­riet. Scha­dow, fünf­tes Kind ei­ner im ka­schu­bi­schen Nie­da­mo­wo an­säs­si­gen Fa­mi­lie, stand auch des­halb in Op­po­si­ti­on zum NS-Re­gime, weil er den ver­lang­ten „Ari­er­nach­weis" in der Gro­ß­el­tern­ge­ne­ra­ti­on nicht bei­brin­gen konn­te.

Mar­kov, Schmidt, Meschke, Toyn­bee und Scha­dow grün­de­ten An­fang Mai 1934 in ei­nem zum Kel­to­lo­gi­schen In­sti­tut der Uni­ver­si­tät ge­hö­ren­den Turm­zim­mer die „Grup­pe Uni­ver­si­tät der KPD". Sie ver­pflich­te­ten sich zu ei­nem Mo­nats­bei­trag von 2 Reichs­mark, um ei­ne „Kriegs­kas­se" auf­zu­bau­en. Es ge­lang Mar­kov, die Fün­fer-Tref­fen im Turm­zim­mer als Rus­sisch-Kurs zu de­kla­rie­ren und er er­hielt da­für im Som­mer­se­mes­ter 1934 ein­ma­lig 500 Reichs­mark. An Kon­tak­ten nach au­ßen man­gel­te es zu­nächst, auch zu den ver­folg­ten Bon­ner Kom­mu­nis­ten des Un­ter­be­zirks und den Stu­den­ten der ver­bo­te­nen Kom­mu­nis­ti­schen Stu­den­ten-Frak­ti­on (Ko­st­uf­ra). So kam man un­ter dem Ein­fluss Toyn­bees auf die Idee, zu­nächst eng­lisch­spra­chi­ge Tou­ris­ten über den Cha­rak­ter des NS-Re­gimes auf­klä­ren zu wol­len. Ent­spre­chen­de Flug­blät­ter wur­den ver­fasst. Ei­ne Grund­la­ge für die­se Pro­pa­gan­daar­beit bot das Ma­te­ri­al, das der nach wie vor rei­se­lus­ti­ge Mar­kov un­ter an­de­rem am Ran­de des WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiels der deut­schen Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft in Lu­xem­burg am 11.3.1934 or­ga­ni­sier­te. Hat­te er die­se Fahrt mit dem Bus un­ter­nom­men, fuhr er Pfings­ten 1934 mit Meschke, Toyn­bee und Scha­dow per Fahr­rad und Mo­tor­rad ins Saar­ge­biet. In Saar­brü­cken sprach man bei der KP-Lei­tung vor, er­hielt aber dort an­ders als er­hofft kei­ne Kon­takt­adres­sen. Mar­kov rich­te­te zu­dem für al­le Fäl­le ein Kon­to bei ei­ner fran­zö­si­schen Bank ein.

In Bonn plan­te die Grup­pe wei­te­re Ak­tio­nen und er­wog im Vor­feld ei­nes Be­suchs von Her­mann Gö­ring (1893–1946) ein At­ten­tat vom Mu­se­um Alex­an­der Kö­nig aus und konn­te wei­te­re Mit­strei­ter ge­win­nen. End­lich ge­lang auch ein Kon­takt zur KPD. Ihn stell­te Han­nes Schmidt her, der mit ei­ner „Halb­jü­din" ver­lobt war und als Schlag­zeu­ger und Rin­gel­natz-Fan zu ei­ner Art lin­ken „Bohè­me" zähl­te. Er konn­te über den Apo­the­ker Char­lie From­me (1908-1958) und den Buch­händ­ler Karl Lim­bach (1911-1972) im Ok­to­ber 1934 die lan­ge er­hoff­te Ver­bin­dung zur Un­ter­be­zirks­lei­tung der KPD her­stel­len. Zu die­sem Zeit­punkt war Mar­kov be­reits den NS-Be­hör­den auf­ge­fal­len. Auf Mar­kovs Dok­tor­fei­er En­de Ju­li hat­te man ein Re­fe­rat des Spit­zen­kom­mu­nis­ten Wil­helm Pieck (1876-1960) dis­ku­tiert, was ei­ne der An­we­sen­den nicht für sich be­hal­ten woll­te. Einst­wei­len aber blieb die Grup­pe un­be­hel­ligt, da man sie of­fen­bar nicht all­zu ernst nahm.

Im Win­ter­se­mes­ter 1934 aber wur­de der Kon­takt zur Un­ter­be­zirks­lei­tung der KPD en­ger und Mar­kov zeich­ne­te mit „CH" (Carl und Hu­go wa­ren wei­te­re Vor­na­men Wal­ter Mar­kovs) sei­ne Ar­ti­kel in der Wi­der­stands­zei­tung „So­zia­lis­ti­sche Re­pu­blik", für die er selbst den Ti­tel vor­ge­schla­gen hat­te und die er zeit­wei­se ganz al­lein füll­te. Mar­kovs Post­ein­gang fiel auf und wur­de so of­fen kon­trol­liert, dass er es spä­ter für mög­lich hielt, die zu­nächst noch we­nig na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche, eher ka­tho­lisch ge­präg­te Bon­ner Po­li­zei ha­be ihn war­nen wol­len.

Zum Ver­häng­nis wur­de Mar­kov, dass er im De­zem­ber 1934 in dem ihm von frü­her be­kann­ten Ei­fel­ort Rog­gen­dorf Kon­takt mit al­ler­dings un­ter­ein­an­der ver­fein­de­ten Kom­mu­nis­ten auf­nahm. Ei­ni­ge von ih­nen dien­ten als Ku­rie­re für il­le­ga­le Post. Am 8.2.1935 kam es hier zum Ver­rat. Noch am Abend wur­de Scha­dow fest­ge­nom­men, am Tag dar­auf Mar­kov im Di­rek­to­ren­zim­mer des 1939 emi­grier­ten Ori­en­ta­lis­ten Paul Kah­le. Zu­vor hat­te Mar­kov noch Prü­fun­gen ab­ge­nom­men. Er war nach ei­ner Nacht in Köln be­wusst nach Bonn zu­rück­ge­kehrt, um nicht als Drü­cke­ber­ger zu gel­ten. In der Tat hät­te Mar­kov, der im­mer noch ei­nen ju­go­sla­wi­schen Pass be­saß, gu­te Flucht­chan­cen ge­habt. So aber wur­de er zu­nächst zur Po­li­zei­wa­che im Rat­haus­hof ge­bracht, dann in Ge­fäng­nis­se in Bonn, Es­sen und Ber­lin. Dort ver­ur­teil­te ihn am 4.5.1936 der Volks­ge­richts­hof zu zwölf Jah­ren Zucht­haus, wäh­rend Meschke mit ei­nem hal­ben Jahr und Scha­dow mit ei­nem Jahr Ge­fäng­nis da­von­ka­men. An­t­ho­nys be­rühm­ter Va­ter Ar­nold Toyn­bee, der nach Ber­lin zu Mi­nis­ter Hans Kerrl (1887-1941) ge­reist war, hat­te das har­te Ur­teil auch des­halb nicht ver­hin­dern kön­nen, weil Mar­kov im Pro­zess an sei­ner Welt­an­schau­ung kom­pro­miss­los fest­hielt.

Bis 1945 und da­mit bis zu sei­nem 36. Le­bens­jahr saß Mar­kov nun im Sieg­bur­ger Ge­fäng­nis ein. Die Ar­beit be­zeich­ne­te er spä­ter als „läs­tig", aber „nicht schwer" (Mar­kov): Hanf zup­fen, Stan­ni­ol­pa­pier sor­tie­ren, mit ei­ner Strick­ma­schi­ne Mi­li­tär­so­cken stri­cken, Bast­ta­schen be­sti­cken. Er blieb kon­se­quent, stand zu Sta­lin und lehn­te Ver­güns­ti­gun­gen wie ei­nen Ra­sier­ap­pa­rat ab. Auch ärzt­li­che und zahn­ärzt­li­che Ver­sor­gung nahm er frei­wil­lig nicht in An­spruch. Im Ge­fäng­nis be­geg­ne­te er vie­len an­de­ren po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen, auch nicht­kom­mu­nis­ti­scher Prä­gung. Hier lern­te er nach des­sen Ver­ur­tei­lung 1941 auch den im bün­di­schen Wi­der­stand tä­ti­gen Mi­cha­el Jo­vy (1920-1984) ken­nen, der – oh­ne Mar­kovs Wis­sen – aus dem Sieg­bur­ger Ge­fäng­nis her­aus die Köl­ner Edel­wei­ßpi­ra­ten be­riet. Mar­kov be­geg­ne­te 1980 dem nun als Di­plo­mat der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land tä­ti­gen Jo­vy am Ran­de des In­ter­na­tio­na­len His­to­ri­ker­kon­gres­ses in Bu­ka­rest wie­der.

1944 wur­de er aus sei­ner zeit­wei­se ver­wanz­ten Ein­zel­zel­le zu­nächst in ei­ne Zwei­er-, dann in ei­ne Drei­er­zel­le ver­legt. In­ter­ven­tio­nen der Mut­ter und auch Fritz Kerns brach­ten Er­leich­te­run­gen, zu­letzt 1944 die Ver­set­zung in die Bü­che­rei. Zu­vor hat­te Mar­kov im Schnei­der­saal un­ter an­de­rem laus­be­setz­te Sol­da­ten­klei­dung ge­flickt, die Fleck­fie­ber ins Ge­fäng­nis brach­te. Mit ei­nem Au­ßen­kom­man­do ret­te­te er Tei­le der Bi­blio­thek Fritz Kerns aus der zer­bomb­ten Bon­ner Uni­ver­si­tät. We­nig spä­ter steck­te Fritz Kern bei ei­nem Be­such in Sieg­burg Mar­kov 2.000 Mark zu, mit de­nen er sich auf dem Ge­fäng­nis­schwarz­markt zwei ge­la­de­ne Pis­to­len be­sorg­te. Trotz vie­ler Rück­schlä­ge – die Fleck­fie­be­re­pi­de­mie un­ter den Ge­fan­ge­nen, die Ver­le­gung von Mit­ver­schwo­re­nen, die Er­schie­ßung von drei Lu­xem­bur­ger Mit­ge­fan­ge­nen als Ver­gel­tung für ein At­ten­tat, die völ­li­ge Über­be­le­gung des Ge­fäng­nis­ses un­ter an­de­rem nach Auf­ga­be der Rhein­ba­cher An­stalt – ver­focht Mar­kov die Idee ei­nes Auf­stands ge­gen die Ge­fäng­nis­lei­tung. Tat­säch­lich ge­lang es ihm mit ei­ni­gen Ge­fähr­ten kurz vor dem Ein­marsch der ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen in den Sieg­bur­ger Nor­den, die Ge­fäng­nis­lei­tung zu über­wäl­ti­gen. Die ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zer über­tru­gen Mar­kov und an­de­ren po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen die Ge­fäng­nis­lei­tung, da ei­ne so­for­ti­ge Frei­las­sung we­gen des noch im­mer gras­sie­ren­den Fleck­fie­bers nicht sinn­voll er­schien. Von der Mehr­heit der Ge­fäng­nis­in­sas­sen wur­de Mar­kov aber bald ent­mach­tet, da man den Kom­mu­nis­mus ab­lehn­te.

Schlie­ß­lich be­fiel auch Mar­kov das Fleck­fie­ber. Er kam in meh­re­re Kran­ken­un­ter­künf­te au­ßer­halb Sieg­burgs, be­vor er im Ju­ni 1945 in Bonn an der Go­des­ber­ger Stra­ße ei­ne Woh­nung als Un­ter­mie­ter be­zie­hen konn­te. An der Uni­ver­si­tät fand er kei­ne fes­te An­stel­lung. Rek­tor Hein­rich Ko­nen (1874-1948) ver­zich­te­te auf die Un­ter­stüt­zung des „An­ti­fa­schis­ten", der am Auf­bau be­zie­hungs­wei­se Wie­der­auf­bau von KPD, FDJ, AStA und Kul­tur­bund ar­bei­te­te.

Mar­kov stand vor der Fra­ge, wo er künf­tig le­ben soll­te. Nach Ju­go­sla­wi­en zog ihn eben­so we­nig wie nach Graz, zu­mal er sei­ner Fa­mi­lie ih­re we­nig wi­der­stän­di­ge Hal­tung wäh­rend des „Drit­ten Reichs" übel nahm. Mehr­mals reis­te er nach Ber­lin, so auch 1946 zu ei­ner ers­ten His­to­ri­ker­ta­gung im Ho­tel Ad­lon. Hier mach­te er durch ei­ne Re­plik auf das Er­öff­nungs­re­fe­rat des KPD-Funk­tio­närs An­ton Acker­mann (1905-1973) auf sich auf­merk­sam und er­hielt kurz dar­auf Ru­fe der Uni­ver­si­tä­ten Greifs­wald und Leip­zig. Mar­kov ent­schied sich für Leip­zig, des­sen Rek­tor der Phi­lo­soph Hans-Ge­org Ga­da­mer (1900-2002) war. Noch im sel­ben Jahr zog er vom Rhein an die von ihm kei­nes­wegs ge­lieb­te Plei­ße, wo er ab 1949 ei­nen Lehr­stuhl be­setz­te. Als mar­xis­ti­scher His­to­ri­ker sah Mar­kov für sich im Wes­ten kei­ne Chan­ce. In In­ter­views er­klär­te er spä­ter, dass sein Schritt hät­te an­ders aus­fal­len kön­nen, wenn er den Auf­bruch an den Uni­ver­si­tä­ten der Bun­des­re­pu­blik in den sech­zi­ger Jah­ren vor­aus­ge­ahnt hät­te.

In Leip­zig lern­te er die aus Mön­chen­glad­bach stam­men­de Stu­den­tin Ire­ne Bön­nin­ger (ge­bo­ren 1927) ken­nen. Aus der 1947 ge­schlos­se­nen Ehe gin­gen bis 1957 fünf Kin­der her­vor, un­ter an­de­rem Toch­ter Jel­ka (ge­bo­ren 1948) und Sohn Ma­xi­mi­li­an (ge­bo­ren 1957).

An sei­ner neu­en Wir­kungs­stät­te blieb Mar­kov ein kri­ti­scher Geist. 1947/1948 be­tei­lig­te er sich an den Dis­kus­sio­nen pro­mi­nen­ter In­tel­lek­tu­el­ler in der „Ge­sell­schaft Ims­hau­sen" über die Mög­lich­kei­ten ei­ner Syn­the­se von West und Ost. In Hal­le ha­bi­li­tier­te er sich mit ei­ner Ar­beit über die Grund­zü­ge der Bal­kan­di­plo­ma­tie. Als un­or­tho­do­xer Den­ker und auf­grund sei­ner Her­kunft des Ti­to­is­mus be­schul­digt, wur­de er 1951 – an­ders als sei­ne Ehe­frau Ire­ne – aus der SED aus­ge­schlos­sen, konn­te sei­ne aka­de­mi­sche Kar­rie­re aber fort­set­zen. Den Schwer­punkt sei­ner For­schun­gen ver­la­ger­te er vom Bal­kan nach Frank­reich, wo ihn das Ver­hal­ten der Ja­ko­bi­ner und der Sans­cu­lot­ten­Fran­zö­sisch (oh­ne Knie­ho­se), be­zeich­net den pro­le­ta­ri­schen Re­vo­lu­tio­när der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on. wäh­rend der Re­vo­lu­ti­on in­ter­es­sier­te. Er knüpf­te Ver­bin­dun­gen zu fran­zö­si­schen Kol­le­gen wie Al­bert So­boul (1914-1982) und wur­de zu ei­nem in­ter­na­tio­nal be­kann­ten His­to­ri­ker der DDR, der rei­sen durf­te und ein Or­di­na­ri­at in Nsuk­ka/Ni­ge­ria (1962/1963) so­wie ei­ne Do­zen­tur in San­tia­go de Chi­le (1970/1971) über­neh­men konn­te.

Die Aus­lands­auf­ent­hal­te ka­men sei­nen uni­ver­sal­ge­schicht­li­chen In­ter­es­sen ent­ge­gen. Die Ge­schich­te der Be­frei­ungs­be­we­gun­gen in der da­mals noch un­be­fan­gen so ge­nann­ten „Drit­ten Welt" wur­de nun eben­so zum Ge­gen­stand sei­ner Pu­bli­ka­tio­nen wie die Welt­ge­schich­te schlecht­hin. 1968 wur­de Mar­kov Di­rek­tor der ei­gens ge­grün­de­ten Sek­ti­on für Afri­ka- und Nah­ost­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Seit 1974 im Ru­he­stand le­bend, be­ob­ach­te­te er die Ent­wick­lung der DDR wei­ter aus ei­ner kei­nes­wegs op­po­si­tio­nel­len, mar­xis­ti­schen Per­spek­ti­ve. Zum 70. Ge­burts­tag 1979 zeich­ne­te ihn der SED-Staat mit dem „Stern der Völ­ker­freund­schaft in Sil­ber" aus, nach­dem er 20 Jah­re zu­vor aus den Hän­den von Wal­ter Ul­bricht (1893-1973) be­reits den Va­ter­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Sil­ber er­hal­ten hat­te.

Zwei Herz­in­fark­te 1983/1984 dämpf­ten Mar­kovs Pro­duk­ti­vi­tät, der nun ver­mehrt an sei­nen Me­moi­ren ar­bei­te­te und sich zu man­chem Zeit­zeu­gen­in­ter­view be­reit fand. Nach der Wen­de 1989/1990 en­ga­gier­te er sich für die PDS. Am 3.7.1993 starb Mar­kov in Summt am See nörd­lich von Ber­lin. 

Quellen

Mar­kov, Wal­ter, Wie vie­le Le­ben lebt der Mensch. Ei­ne Au­to­bio­gra­phie aus dem Nach­laß, o. O. [Leip­zig] 2009 (Nie­der­schrift aus der ers­ten Hälf­te der acht­zi­ger Jah­re; Pu­bli­ka­ti­on von der Wit­we Ire­ne Mar­kov ver­an­lasst).

Werke (Auswahl)

Grund­zü­ge der Bal­kan­di­plo­ma­tie. Ein Bei­trag zur Ge­schich­te der Ab­hän­gig­keits­ver­hält­nis­se, Leip­zig 1999 (Ha­bi­li­ta­ti­on von 1947).
Ser­bi­en zwi­schen Ös­ter­reich und Ru­ß­land 1897–1908, Stutt­gart 1934 (Dis­ser­ta­ti­on).
Zwie­spra­che mit dem Jahr­hun­dert. Do­ku­men­tiert von Tho­mas Grimm, Neu­auf­la­ge Köln 1990 (Ge­sprächs­do­ku­men­ta­ti­on aus DDR-Per­spek­ti­ve).

Literatur

Fors­bach, Ralf, Wal­ter Mar­kov (1909-1993), NS-Wi­der­stands­kämp­fer und His­to­ri­ker, in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 19 (2013), S. 309-329.
Mat­z­er­ath, Jo­sef (Hg.), Bonn. 54 Ka­pi­tel Stadt­ge­schich­te, Bonn 1989 (mit Bei­trä­gen über und von Wal­ter Mar­kov).
Neu­haus, Man­fred/Sei­del, Hel­mut (Hg.), „Wenn je­mand sei­nen Kopf be­wu­ßt hin­hielt…" Bei­trä­ge zu Werk und Wir­ken von Wal­ter Mar­kov, 2. durch­ge­se­he­ne Auf­la­ge, Leip­zig 1998 (un­kri­ti­sche Ge­denk­schrift zahl­rei­cher Weg­ge­fähr­ten und Kol­le­gen).

Online

Heit­kamp, Sven, Wal­ter Mar­kov. Ein Leip­zi­ger His­to­ri­ker zwi­schen Par­tei­lich­keit und Pro­fes­sio­na­li­tät, in: die Hoch­schu­le 1/2002, S. 148-158 (Text als PDF-Da­tei auf der Web­site des In­sti­tuts für Hoch­schul­for­schung Wit­ten­berg). [On­line]
Prof. Dr. phil. ha­bil., Dr. phil. h c. Wal­ter Karl Hu­go Mar­kov(Pro­fes­so­ren­ka­ta­log der Uni­ver­si­tät Leip­zig). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Forsbach, Ralf, Walter Markov, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walter-markov/DE-2086/lido/57c948001986d3.25293569 (abgerufen am 06.12.2024)