Industrialisierung und Städtebildung an der Saar

Peter Burg (Münster)

Blick vom Triller auf Alt-Saarbrücken, im Hintergrund St. Johann, vor 1940.

Als im Saar­land 1973 die kom­mu­na­le Ge­biets- und Ver­wal­tungs­re­form durch­ge­führt wur­de, gab es 16 Städ­te. Auf den ers­ten Blick scheint, wenn man die Na­mens­lis­te durch­geht, das Stadt­recht in kei­nem ein­zi­gen Fall in der Hoch­pha­se der In­dus­tria­li­sie­rung ver­lie­hen wor­den zu sein. Die Hälf­te er­hielt die Ver­lei­hung erst nach dem Ers­ten Welt­krieg, al­lein sechs von ih­nen nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Bei der an­de­ren Hälf­te ist nach den ge­schicht­li­chen Be­stand­tei­len des Saar­lan­des zwi­schen drei baye­ri­schen und fünf preu­ßi­schen Städ­ten zu un­ter­schei­den, bis auf his­to­risch be­grün­de­te Aus­nah­men han­del­te es sich beim Stan­de von 1914 um Kreis­städ­te. Den Kreis­städ­ten ver­lieh die preu­ßi­sche Re­gie­rung auf der Grund­la­ge der Rhei­ni­schen Städ­te­ord­nung von 1856 das Stadt­recht. Auf den zwei­ten Blick ist dann aber doch ei­ne auf die Hoch­in­dus­tria­li­sie­rung zu­rück­ge­hen­de Stadt­bil­dung zu iden­ti­fi­zie­ren. Da­zu muss man die ge­schicht­li­chen Be­stand­tei­le der heu­ti­gen Lan­des­haupt­stadt Saar­brü­cken un­ter die Lu­pe neh­men. Saar­brü­cken war 1914 ein ge­ra­de ein­mal fünf Jah­re al­ter Bund von drei Städ­ten, be­ste­hend aus der ehe­ma­li­gen Re­si­denz­stadt Saar­brü­cken links ­der Saar, der Schwes­ter­stadt St. Jo­hann rechts der Saar, bei­de hat­ten gleich­zei­tig im Spät­mit­tel­al­ter den städ­ti­schen Frei­heits­brief und 1859 die Rhei­ni­sche Städ­te­ord­nung er­hal­ten, und aus Mal­statt-Bur­bach, dem Par­ve­nü, der In­dus­trie­stadt par ex­cel­lence, erst seit 1875 mit Stadt­rech­ten aus­ge­stat­tet.

Ne­ben den saar­län­di­schen Städ­ten und die­se in der Ein­woh­ner­zahl zum Teil deut­lich über­trump­fend, gab es sechs gro­ße In­dus­trie­dör­fer, die bis 1914 den Sta­tus von Land­ge­mein­den nicht ver­las­sen konn­ten oder viel­mehr durf­ten: Neun­kir­chen im Kreis Ott­wei­ler, Stadt­rechts­ver­lei­hung 1922, hat­te 1914 34.539 Ein­woh­ner, fälsch­li­cher­wei­se schon mal als grö­ß­tes preu­ßi­sches Dorf be­zeich­net, die Kreis­stadt 6.922. Im Land­kreis Saar­brü­cken be­sa­ßen fünf Land­ge­mein­den mehr als 10.000 Ein­woh­ner: Dud­wei­ler, das sich vor der Stadt­wer­dung 1962 mit dem Ti­tel ei­nes grö­ß­ten Dor­fes in Eu­ro­pa schmück­te, 21.928, Fried­richs­thal 13.119, Pütt­lin­gen 16.757, Sulz­bach 22.431, Völk­lin­gen 18.104. Die­se In­dus­trie­dör­fer soll­ten al­le noch zu Städ­ten auf­ge­wer­tet wer­den.

 

Die Städ­te be­zie­hungs­wei­se In­dus­trie­dör­fer bil­den nach ih­rer geo­gra­phi­schen La­ge die Schen­kel ei­nes recht­ecki­gen Drei­ecks mit Saar­brü­cken als Eck­punkt. Im Eck­punkt be­fand sich der Kopf des Re­viers, das Ma­nage­ment, hier re­si­dier­ten die In­dus­trie­ka­pi­tä­ne. We­der in Saar­brü­cken noch in St. Jo­hann gab es Gru­ben oder Hüt­ten­wer­ke. An den Schen­keln des Drei­ecks kon­zen­trie­ren sich die Koh­le­vor­kom­men. In der Nä­he der Gru­ben wur­den die gro­ßen Ei­sen­bahn­li­ni­en an­ge­legt und an die­sen wie­der­um ent­stan­den die In­dus­trie­dör­fer. Der ei­ne Schen­kel wird von der Li­nie Saar­brü­cken – Trier dar­ge­stellt, der an­de­re von der Li­nie Saar­brü­cken – Lud­wigs­ha­fen. Ne­ben­li­ni­en er­gänz­ten nach und nach die­ses Grund­sche­ma. Mal­statt-Bur­bach liegt am Schen­kel Saar­brü­cken – Trier, der an der Saar ent­lang läuft. Doch die Saar war nicht der ma­ß­geb­li­che Ent­wick­lungs­fak­tor, auch wenn an ih­ren Ufern ne­ben Mal­statt-Bur­bach noch die In­dus­trie­dör­fer be­zie­hungs­wei­se die spä­te­ren Hüt­ten­städ­te Völk­lin­gen und Dil­lin­gen lie­gen, son­dern die ne­ben dem Fluss ver­lau­fen­de Ei­sen­bahn­li­nie.

Nach die­sen Vor­be­mer­kun­gen lässt sich das The­ma „In­dus­tria­li­sie­rung und Städ­te­bil­dung an der Saar" auf den Stadt­kom­plex Groß-Saar­brü­cken fo­kus­sie­ren.

Im Jah­re 1909 war ein Ver­ei­ni­gungs­ver­trag zwi­schen Saar­brü­cken, St. Jo­hann und Mal­statt-Bur­bach ab­ge­schlos­sen wor­den, aus de­nen ein Stadt­kreis Saar­brü­cken mit 105.089 Ein­woh­nern ge­bil­det wur­de. Auf die­sem We­ge war die grö­ß­te Stadt zwi­schen Rhein und fran­zö­si­scher Gren­ze ent­stan­den, und das ver­dank­te sie dem Par­ve­nü Mal­statt-Bur­bach. Erst 1862 war aus den Ein­zel­ge­mein­den Mal­statt, Bur­bach und Ru­ßhüt­te ei­ne ei­ge­ne, ad­mi­nis­tra­tiv von Saar­brü­cken un­ab­hän­gi­ge Bür­ger­meis­te­rei los­ge­löst wor­den. Die­se ab­ge­son­der­te Bür­ger­meis­te­rei stell­te im Jah­re 1875 die Ge­biets­grund­la­ge für die neue Stadt Mal­statt-Bur­bach, de­ren Ein­woh­ner­zahl be­reits bei der Stadt­rechts­ver­lei­hung die der alt­ehr­wür­di­gen Nach­bar­städ­te Saar­brü­cken und St. Jo­hann über­traf. Das Ei­gen­le­ben der neu­en Stadt währ­te knapp ei­ne Ge­ne­ra­ti­on, bis zur Ver­ei­ni­gung 1909, al­so 34 Jah­re.

Das Alte Rathaus von Saarbrücken im Stadtteil Alt-Saarbrücken, 2011, Foto: Felix König.

 

Ei­ne ver­glei­chen­de Be­trach­tung die­ses Tri­os dürf­te der in­ter­es­san­tes­te As­pekt des The­mas sein, weil sich hier Par­al­lel­wel­ten aus­bil­de­ten, in de­nen die In­dus­tria­li­sie­rung je­weils an­de­re Aus­wir­kun­gen zei­tig­te. Vor der Ein­füh­rung der Rhei­ni­schen Städ­te­ord­nung im Jah­re 1859, die in die be­gin­nen­de Ta­ke-Off-Pha­se der In­dus­tria­li­sie­rung fiel, bie­tet sich fol­gen­des Bild: Alt-Saar­brü­cken hat­te 6.000 Ein­woh­ner, war ei­ne Han­dels- und Ver­wal­tungs­stadt mit zen­tra­len Funk­tio­nen für das Um­land, die es als eins­ti­ge Re­si­denz­stadt des Fürs­ten­tums Nas­sau-Saar­brü­cken und als Haupt­ort ei­nes Ar­ron­dis­se­ments im Saar­de­par­te­ment in die preu­ßi­sche Zeit hin­über­ret­ten konn­te. Das Sied­lungs­ge­biet be­schränk­te sich auf den al­ten Stadt­kern zwi­schen Schloss und Lud­wigs­kir­che. Die Schwes­ter­stadt St. Jo­hann mit ih­ren 5.000 Ein­woh­nern war ei­ne Acker­bür­ger­stadt, die an den Durch­gangs­stra­ßen be­reits aus den al­ten Be­fes­ti­gungs­mau­ern her­aus­ge­wach­sen war. Mit dem 1852 west­lich vom Stadt­kern an­ge­leg­ten Bahn­hof ver­füg­te St. Jo­hann im Ver­gleich zu Saar­brü­cken über die bes­se­ren Vor­aus­set­zun­gen zu ei­nem wirt­schaft­li­chen Auf­schwung. In der Nach­bar­schaft der Dop­pel­stadt be­fan­den sich, in­mit­ten von Wei­den und Fel­dern ge­le­gen, klei­ne Dör­fer mit ei­ni­gen hun­dert Ein­woh­nern, die sich von der Land­wirt­schaft er­nähr­ten, dar­un­ter Mal­statt und Bur­bach. Sie wa­ren räum­lich deut­lich von den bei­den Saar­städ­ten ge­trennt. Bis zur Ein­füh­rung der Rhei­ni­schen Städ­te­ord­nung be­saß die Bür­ger­meis­te­rei Saar­brü­cken ei­nen gro­ßen Ein­zugs­be­reich, der ne­ben der Dop­pel­stadt die Land­ge­mein­den Mal­statt, Bur­bach, Ru­ßhüt­te und Brebach um­fass­te. Bis zu die­sem Zeit­punkt hat­te die Be­zirks­re­gie­rung in Trier ei­ne Auf­spal­tung der Bür­ger­meis­te­rei ver­hin­dert.

In­fol­ge der In­dus­tria­li­sie­rung trat nun ei­ne un­ter­schied­li­che Ent­wick­lung der in ih­re Be­stand­tei­le auf­ge­lös­ten Bür­ger­meis­te­rei ein. St. Jo­hann pro­fi­tier­te von der Er­hö­hung der Koh­le­pro­duk­ti­on. Es war dank des Bahn­hofs zu ei­nem Kno­ten­punkt für den Han­del ge­wor­den und konn­te 1865 durch die Ka­na­li­sie­rung der Saar und den An­schluss an das fran­zö­si­sche Was­ser­stra­ßen­netz sei­ne öko­no­mi­schen Zen­tra­li­täts­funk­tio­nen wei­ter aus­bau­en. War für St. Jo­hann die güns­ti­ge Ver­kehrs­la­ge ent­schei­dend für den wirt­schaft­li­chen Be­deu­tungs­ge­winn, so zeig­te sich in Mal­statt-Bur­bach, dass die An­sied­lung ei­nes gro­ßen In­dus­trie­un­ter­neh­mens ei­ne noch grö­ße­re Dy­na­mik aus­zu­lö­sen ver­moch­te. Dem­ge­gen­über ge­riet (Alt-)Saar­brü­cken in sei­nem Wachs­tum deut­lich ins Hin­ter­tref­fen, denn hier fehl­ten so­wohl die wich­tigs­ten Ver­kehrs­an­bin­dun­gen als auch in­fol­ge der Hang­la­ge und der un­mit­tel­bar an­gren­zen­den fran­zö­si­schen Staats­gren­ze die Frei­flä­chen zur An­sied­lung gro­ßer In­dus­trie­un­ter­neh­men.

In Bur­bach wur­de 1856 auf In­itia­ti­ve ei­nes bel­gisch-lu­xem­bur­gi­schen Un­ter­neh­mer­kon­sor­ti­ums ein Hüt­ten­werk er­rich­tet. Die­ses bil­de­te den Keim für ei­ne in­dus­tri­el­le Ex­pan­si­on, die die ge­sam­te dörf­li­che Sied­lungs­struk­tur spreng­te und auch die Ent­wick­lung der be­nach­bar­ten Saar­städ­te ma­ß­geb­lich be­ein­fluss­te. Be­reits 1861 war die Bur­ba­cher Hüt­te das be­deu­tends­te Pri­vat­un­ter­neh­men in den Saar­städ­ten. Die Roh­ei­sen­pro­duk­ti­on, die vor al­lem der Her­stel­lung von Ei­sen­bahn­schie­nen und Ei­sen­trä­gern dien­te, er­höh­te sich von 15.000 Ton­nen im Jah­re 1861 auf 288.000 Ton­nen im Jah­re 1905, die Zahl der Ar­bei­ter wuchs im glei­chen Zeit­raum von 581 auf über 4.000. Die 1871 er­folg­te An­ne­xi­on von El­sass-Loth­rin­gen be­frei­te das Saar­re­vier aus sei­ner Grenz­la­ge und schuf ei­nen grö­ße­ren Wirt­schafts­raum, der so­wohl die Be­schaf­fung not­wen­di­ger Roh­stof­fe (das Mi­net­te-Erz) er­leich­ter­te als auch den Ab­satz­markt für saar­län­di­sche In­dus­trie- und Kon­sum­gü­ter ver­grö­ßer­te.

Die Be­deu­tung der In­dus­tria­li­sie­rung für das Be­völ­ke­rungs­wachs­tum ma­chen fol­gen­de Zif­fern deut­lich. Wäh­rend sich die Be­völ­ke­rung in der Kreis­stadt Saar­louis von 1818-1910 um die Hälf­te ver­mehr­te, stieg sie in dem Hüt­ten­dorf Völk­lin­gen um das 23­fa­che, in der In­dus­trie­stadt Mal­statt-Bur­bach um das 57­fa­che. In der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts lag das Be­völ­ke­rungs­wachs­tum im Kreis Saar­brü­cken deut­lich über den Ver­gleichs­zah­len im üb­ri­gen Deutsch­land. In­ner­halb des Krei­ses ent­wi­ckel­ten die drei Saar­städ­te die grö­ß­te Dy­na­mik, denn ih­re Be­völ­ke­rungs­zahl wuchs in der Zeit von 1861 bis 1905 um das 5,3fa­che, von 15.726 auf 84.550. Die Be­völ­ke­rungs­dich­te stieg in Mal­statt-Bur­bach von 767 Ein­woh­ner pro Qua­drat­ki­lo­me­ter im Jah­re 1875 auf 2.834 im Jah­re 1910. Die Grö­ßen­ver­hält­nis­se der drei Saar­städ­te ver­scho­ben sich. Saar­brü­cken ver­lor 1864 den Spit­zen­platz an St. Jo­hann. 1871, 15 Jah­re nach der Grün­dung der Bur­ba­cher Hüt­te über­flü­gel­te Mal­statt-Bur­bach St. Jo­hann.

Die Burbacher Hütte, um 1857.

 

Das auf ei­ner star­ken Zu­wan­de­rung be­ru­hen­de Wachs­tum der Be­völ­ke­rung Mal­statt-Bur­bachs hat­te zur Fol­ge, dass zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts nur et­wa die Hälf­te der Stadt­be­woh­ner aus ei­ner Fa­mi­lie kam, die 1860 auch schon hier wohn­te. In Mal­statt-Bur­bach, des­sen Be­völ­ke­rung in der Zeit von 1860 bis 1910 von 4.000 auf fast 40.000 Ein­woh­ner an­wuchs, be­trug der Wan­de­rungs­ge­winn et­wa 15.000 Per­so­nen. Die gro­ße Mehr­zahl der Zu­wan­de­rer stamm­te aus dem agra­risch ge­präg­ten Um­land, vor al­lem aus den preu­ßi­schen Saar­krei­sen, dem Huns­rück-Ei­fel­raum so­wie der Pfalz. Durch­ge­hend ge­hör­ten mehr als 80 Pro­zent zur Grup­pe der Nah­wan­de­rer, das hei­ßt sie ka­men aus ei­nem Um­kreis von ma­xi­mal 80 Ki­lo­me­tern in die Saar­hüt­ten­stadt. Die Mehr­zahl der Wan­de­rer wa­ren Män­ner jün­ge­ren Al­ters zwi­schen 16 und 30 Jah­ren. Le­dig­lich bei den Dienst­bo­ten über­wog der Frau­en­an­teil. Et­wa zwei Drit­tel der Zu­wan­de­rer fan­den ei­ne Be­schäf­ti­gung im ge­werb­li­chen Sek­tor, wo sie zu­meist als ge­lern­te oder un­ge­lern­te Ar­bei­ter ei­ne An­stel­lung er­hiel­ten. Al­ler­dings ver­min­der­te sich ihr An­teil nach der in­dus­tri­el­len Auf­bau­pha­se er­heb­lich. Der An­teil der Zu­wan­de­rer im Dienst­leis­tungs­be­reich wuchs hin­ge­gen ge­ra­de dann. Der zu­vor ver­nach­läs­sig­te Aus­bau der städ­ti­schen In­fra­struk­tur der Hüt­ten­stadt ver­än­der­te das Be­darfs­pro­fil im Er­werbs­tä­ti­gen­be­reich. Die In­te­gra­ti­on der Zu­wan­de­rer in die vor­han­de­ne Stadt­be­völ­ke­rung wur­de da­durch er­leich­tert, dass es so gut wie kei­ne eth­ni­schen oder sprach­li­chen Min­der­hei­ten gab. 1900 be­trug der An­teil der nicht­deut­schen Be­völ­ke­rung in Mal­statt-Bur­bach gan­ze 0,7 Pro­zent, die Ver­gleichs­zah­len in den Nach­bar­städ­ten wa­ren kaum hö­her.

Die Im­mi­gra­ti­on, aber auch die un­ter­schied­li­chen Ge­bur­ten­ra­ten von Ka­tho­li­ken und Pro­tes­tan­ten be­ein­fluss­ten die kon­fes­sio­nel­len Struk­tu­ren. Nach der Volks­zäh­lung von 1871 wa­ren die bei­den gro­ßen christ­li­chen Kon­fes­sio­nen in al­len drei Saar­städ­ten mit 98-99 Pro­zent ver­tre­ten. In dem von bür­ger­li­chen Grup­pen ge­präg­ten Saar­brü­cken wohn­ten 65,4 Pro­zent Pro­tes­tan­ten, in Mal­statt-Bur­bach do­mi­nier­ten die Ka­tho­li­ken mit 70 Pro­zent. Die Zu­wan­de­rer wa­ren mehr­heit­lich Ka­tho­li­ken. Für Mal­statt-Bur­bach wur­de nach­ge­wie­sen, dass die ka­tho­li­schen Zu­wan­de­rer über­wie­gend der Ar­bei­ter­schaft an­ge­hör­ten. Bei den zu­wan­dern­den Kauf­leu­ten, Be­am­ten und An­ge­stell­ten wa­ren die Pro­tes­tan­ten stär­ker ver­tre­ten. Die­ses Fak­tum schlug sich in der Ein­kom­mens­struk­tur nie­der. Ei­ne ver­glei­chen­de Sta­tis­tik zu St. Jo­hann von 1899 zeigt, dass die evan­ge­li­schen Ein­woh­ner pro Kopf 17,05 Mark Ein­kom­men­steu­er im Jahr zahl­ten, wäh­rend der Ver­gleichs­wert für Ka­tho­li­ken 8,90 Mark be­trug. Die­se Re­la­ti­on dürf­te ty­pisch ge­we­sen sein. Die Kon­fes­si­ons­gren­zen wur­den durch ge­mischt­kon­fes­sio­nel­le Ehen über­schrit­ten: in Mal­statt-Bur­bach mach­ten sie 1867 15,1 Pro­zent aus, in Saar­brü­cken 1900 18,8 Pro­zent, in St. Jo­hann 20,3 Pro­zent.

Ver­knüpft mit dem Be­völ­ke­rungs­wachs­tum wa­ren Städ­te­wachs­tum und bau­li­che Ent­wick­lung. Um 1860 konn­te man die Städ­te noch in­ner­halb von zehn Mi­nu­ten durch­que­ren, die Dör­fer oh­ne­hin. Die Städ­te wuch­sen in der Fol­ge­zeit zu­neh­mend in ihr Um­land hin­ein. Nach der Jahr­hun­dert­wen­de war die Ver­schmel­zung so weit fort­ge­schrit­ten, dass man nur noch mit Hil­fe der Stra­ßen­schil­der er­ken­nen konn­te, wo St. Jo­hann auf­hör­te und Mal­statt-Bur­bach an­fing. Die Ag­glo­me­ra­ti­on er­streck­te sich über vie­le Ki­lo­me­ter. In Mal­statt-Bur­bach wur­de die La­ge der In­dus­trie­be­trie­be zum ent­schei­den­den Fak­tor für die bau­li­che Ent­wick­lung der bei­den zu­nächst noch völ­lig un­ver­bun­de­nen al­ten Dorf­sied­lun­gen. Ei­ne städ­te­bau­li­che In­te­gra­ti­on der zwei se­pa­ra­ten Dorf­ker­ne ge­lang nie.

Die Burbacher Hütte, um 1930.

 

Die Stadt­er­wei­te­rung ver­lief in den rasch wach­sen­den In­dus­trie­or­ten an der Saar zu­nächst un­ge­plant und an­ar­chisch. Als das preu­ßi­sche Flucht­li­ni­en­ge­setz von 1875 den Ge­mein­den die Pla­nungs­ho­heit si­cher­te, wa­ren be­reits wich­ti­ge Vor­ent­schei­dun­gen für die Ver­tei­lung und Nut­zung des städ­ti­schen Bo­dens ge­fal­len. Die man­gel­haf­te Aus­stat­tung mit öf­fent­li­chen Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen, Dienst­leis­tun­gen, Parks und an­de­ren At­tri­bu­ten städ­ti­schen Le­bens war eben­falls ein Pro­dukt die­ser Ex­pan­si­on, die oh­ne Be­zug zu ei­nem über­grei­fen­den Ge­stal­tungs­kon­zept ganz von den ‚na­tur­wüch­si­gen’ In­ter­es­sen ei­nes frei­en Wa­ren- und Bo­den­markts ge­steu­ert wur­de, auf dem die Un­ter­neh­mer auf­grund der Be­sitz­ver­tei­lung von Grund und Bo­den ei­ne grö­ße­re Rol­le spiel­ten als die Ge­mein­de­ver­wal­tun­gen.

Bis zum En­de des 19. Jahr­hun­derts un­ter­schie­den die drei Städ­te in ih­rer Raum­nut­zung nicht zwi­schen Wohn­ge­bie­ten und Ge­wer­be- und In­dus­trie­flä­che. Im­mer mehr Bür­ger emp­fan­den die un­mit­tel­bar ne­ben den Wohn­ge­bie­ten an­ge­sie­del­ten In­dus­trie­be­trie­be je­doch als stö­rend. Zu­neh­mend kam es ab 1890, ver­stärkt nach der Jahr­hun­dert­wen­de, zu ei­ner Ent­flech­tung der ver­schie­de­nen Raum­nut­zun­gen. Be­gü­ter­te Fa­mi­li­en ver­lie­ßen die al­ten Stadt­ker­ne be­zie­hungs­wei­se Ge­schäfts­stra­ßen, um sich in neu­en Vil­len­vier­teln nie­der­zu­las­sen. Im Rah­men der Ent­flech­tung wan­der­ten auch meh­re­re Fa­bri­ken aus der Ci­ty-La­ge in städ­ti­sche Rand­ge­bie­te ab. In St. Jo­hann gab es ein zen­tral ge­le­ge­nes Ge­schäfts­vier­tel und ei­nen sehr aus­ge­dehn­ten Be­reich ge­misch­ter Nut­zung, in dem Wohn­bau­ten do­mi­nier­ten, sich al­ler­dings auch klei­ne­re Ge­wer­be­be­trie­be an­sie­del­ten. Saar­brü­cken pro­fi­lier­te sich zu­neh­mend als Wohn- und Ver­wal­tungs­stadt. Hier be­fin­den sich heu­te noch – in gu­ter al­ter Tra­di­ti­on – das Re­gie­rungs­vier­tel und der Saar­län­di­sche Land­tag. In Mal­statt-Bur­bach do­mi­nier­te die in­dus­tri­el­le Nut­zung des städ­ti­schen Rau­mes so sehr, dass die an­de­ren Funk­tio­nen zu­rück­tra­ten. Das Woh­nen und das ge­sam­te Le­ben voll­zo­gen sich hier im Bann­kreis der Schwer­in­dus­trie. Der Bau­rat Ju­li­us Am­mer be­wer­te­te 1926 die dor­ti­ge bau­li­che Ent­wick­lung fol­gen­der­ma­ßen, ein bis heu­te gül­ti­ges Ur­teil:

„Was hät­te bei der herr­li­chen land­schaft­li­chen La­ge die­ser Ar­bei­ter­städ­te Reiz­vol­les ent­ste­hen kön­nen! Ein un­kla­res, aber auch durch­aus un­ma­le­ri­sches Stadt­bild, ein Kun­ter­bunt von kreuz und quer ge­stell­ten Häu­sern ma­chen die Stadt­tei­le Mal­statt und Bur­bach zu den un­er­quick­lichs­ten Tei­len der Saar­groß­stadt".

Das sich lang­sam ver­än­dern­de so­zi­al­räum­li­che Ge­fü­ge in den Saar­städ­ten wur­de durch die 1898 ein­ge­führ­te Bau­ord­nung be­stä­tigt und zu­gleich dau­er­haft ver­fes­tigt. Sie teil­te die Wohn­ge­bie­te in drei Zo­nen ein. Im städ­ti­schen Kern­be­reich war nur ei­ne ge­schlos­se­ne Bau­wei­se zu­läs­sig, wo­bei die Bau­grund­stü­cke bis zu 75 Pro­zent über­baut wer­den durf­ten. In den Ge­bie­ten au­ßer­halb des Zen­trums war ei­ne we­ni­ger dich­te Be­bau­ung vor­ge­schrie­ben. Schlie­ß­lich gab es ei­ne so ge­nann­te Land­haus­zo­ne, in der nur die of­fe­ne Bau­wei­se mit höchs­tens zwei­stö­cki­gen Häu­sern zu­läs­sig war. Hier war die An­sied­lung von Ge­wer­be­be­trie­ben ver­bo­ten. Da­mit konn­te die ge­plan­te oder be­reits fort­ge­schrit­te­ne Ent­ste­hung von Vil­len­vier­teln ab­ge­si­chert wer­den. Das galt aber nur für Saar­brü­cken und St. Jo­hann, in Mal­statt-Bur­bach ver­zich­te­te man auf die Ein­rich­tung ei­nes sol­chen Land­haus­be­zirks.

In den Vil­len­vier­teln gab es grö­ße­re Bau­pro­jek­te wohl­ha­ben­der Un­ter­neh­mer. Der bei wei­tem prunk­volls­te Neu­bau ent­stand 1877-1880 auf dem Hal­berg, in der an St. Jo­hann an­gren­zen­den Ge­mein­de Brebach, wo sich Kom­mer­zi­en­rat Carl Fer­di­nan­d Stumm, seit 1888 Frei­herr von Hal­berg, der Hüt­ten­herr aus Neun­kir­chen (iro­nisch auch als „Kö­nig von Saara­bi­en" ti­tu­liert), nie­der­ließ. Die Fa­mi­lie Stumm war vor­her Ei­gen­tü­mer ei­nes Teils des Saar­brü­cker Schlos­ses ge­we­sen, gleich­falls ein re­prä­sen­ta­ti­ves, da­zu ge­schichts­träch­ti­ges Ge­bäu­de mit ei­ner herr­schaft­li­chen Au­ra. In dem Schlos­sen­sem­ble auf dem Hal­berg emp­fing Stumm 1892 den deut­schen Kai­ser. Bei der Ge­stal­tung ih­rer pri­va­ten Vil­len be­müh­ten sich auch an­de­re Un­ter­neh­mer um ei­ne mög­lichst in­di­vi­du­el­le Fas­sa­den­ge­stal­tung, wo­bei man ro­ma­ni­sche, go­ti­sche oder auch Re­nais­sance-Bau­for­men be­müh­te. Dem Cha­rak­ter ei­nes neo­go­ti­schen Stadt­schlos­ses ent­sprach das 1898 von Kar­l Röch­ling, dem da­ma­li­gen Pa­tron de­s­ Völk­lin­ger Hüt­ten­wer­kes, er­rich­te­te Haus in der Saar­brü­cker Hang­la­ge (am Tril­ler­weg 12).

Das Saar­tal trenn­te die bei­den wirt­schaft­lich und po­li­tisch kon­kur­rie­ren­den gro­ßen saar­län­di­schen Un­ter­neh­mer Stumm und Röch­ling. Trä­ger grö­ße­rer Bau­maß­nah­men wa­ren fer­ner staat­li­che Be­hör­den. Da sich die meis­ten Gru­ben in staat­li­chem Be­sitz be­fan­den, war der Fis­kus gleich­zei­tig der grö­ß­te Un­ter­neh­mer an der Saar. Er hielt auch in der Er­rich­tung re­prä­sen­ta­ti­ver Bau­ten mit. Das im­po­san­tes­te staat­li­che Bau­pro­jekt war die Berg­werks­di­rek­ti­on in St. Jo­hann. Die Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten Mar­tin Gro­pi­us (1824-1880) und Hei­no Schmie­den (1835-1913) er­rich­te­ten ein re­prä­sen­ta­ti­ves Ver­wal­tungs­ge­bäu­de im Stil der Pa­laz­zo-Ar­chi­tek­tur der flo­ren­ti­ni­schen Re­nais­sance. Das 1880 ein­ge­weih­te Ge­bäu­de kos­te­te 635.000 Mark. Zu­vor war das in Saar­brü­cken ge­le­ge­ne Erb­prin­zen­pa­lais Sitz der Berg­bau­ver­wal­tung ge­we­sen.

Sym­bo­li­schen Aus­druck fand der Auf­stieg der Städ­te in den Rat­häu­sern. Die­se wa­ren mehr als an­de­re öf­fent­li­che Bau­ten ein Spie­gel des kol­lek­ti­ven Selbst­ver­ständ­nis­ses der Bür­ger. Saar­brü­cken ver­füg­te über ein re­prä­sen­ta­ti­ves Rat­haus aus der Fürs­ten­zeit, das am Schloss­platz al­len An­sprü­chen der wach­sen­den Stadt ge­nüg­te. Es war ein mar­kan­tes Ele­ment der ba­ro­cken Platz­kom­po­si­ti­on und er­hielt 1880 ei­nen Be­deu­tungs­ge­winn durch den An­bau ei­nes Sit­zungs­saa­les mit der Auf­nah­me von His­to­ri­en­bil­dern, die sich auf den deutsch-fran­zö­si­schen Krieg 1870/1871 be­zo­gen.

Der Stadt St. Jo­hann fehl­te zu­nächst ein ver­gleich­ba­res Ge­bäu­de. 1864 dien­te ein schmuck­lo­ses ehe­ma­li­ges Schul­haus ge­gen­über der evan­ge­li­schen Kir­che als Ver­wal­tungs­do­mi­zil. 1900 wur­de ein neu­es Rat­haus im neu­go­ti­schen Stil nach sie­ben­jäh­ri­ger Bau­zeit un­ter Auf­brin­gung von Ge­samt­kos­ten in Hö­he von 800.000 Mark ein­ge­weiht. Es ent­hielt His­to­ri­en­ge­mäl­de aus der Ge­schich­te der Stadt. Der Bau fand all­ge­mei­ne Be­wun­de­rung.

In Mal­statt-Bur­bach war für die Ver­wal­tung der Bür­ger­meis­te­rei ei­ne Woh­nung für Ge­mein­de­an­ge­le­gen­hei­ten an­ge­mie­tet wor­den. Im Jahr vor der Stadt­wer­dung, 1874, wur­de ein neu­es Rat­haus ge­baut, ein Zweck­bau, dem jeg­li­cher re­prä­sen­ta­ti­ver Fas­sa­den­schmuck fehl­te. Die Ge­samt­kos­ten be­lie­fen sich auf 50.000 Mark. In Mal­statt-Bur­bach do­mi­nier­te ein sach­be­zo­ge­nes, funk­tio­na­les Ver­ständ­nis des städ­ti­schen Ver­wal­tungs­han­delns, dem re­prä­sen­ta­ti­ve Mo­ti­ve und Pres­ti­ge­den­ken fremd wa­ren.

Der per­so­na­le Fak­tor der Städ­te­bil­dung spiel­te in Ge­stalt der Bür­ger­meis­ter ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Bis 1859 wa­ren die Amts­trä­ger durch­weg Saar­brü­cker der Ober­schicht, eh­ren­amt­lich tä­tig, evan­ge­lisch. Von den elf an­schlie­ßend bis 1909 in den drei Saar­städ­ten tä­ti­gen Bür­ger­meis­tern wa­ren al­le bis auf ei­ne Aus­nah­me gleich­falls evan­ge­lisch, ob­wohl die Stadt Mal­statt-Bur­bach im­mer und St. Jo­hann seit Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts ei­ne mehr­heit­lich ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rung hat­ten. Von grö­ße­rer Be­deu­tung war ei­ne Ver­schie­bung im Be­rufs­pro­fil der Bür­ger­meis­ter, der Über­gang zur Wahl von fach­lich qua­li­fi­zier­ten aus­wär­ti­gen Be­wer­bern. Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Kom­mu­nal­ver­wal­tung setz­te sich un­ter­halb der Bür­ger­meis­ter­ebe­ne fort. Erst der Aus­bau der städ­ti­schen Fach­ver­wal­tun­gen er­laub­te es den Städ­ten, sich zu­neh­mend von der bis da­hin herr­schen­den An­pas­sung an die be­reits voll­zo­ge­ne städ­te­bau­li­che Ent­wick­lung zu lö­sen und selbst über­grei­fen­de Pla­nun­gen für die ge­sam­te Ge­mein­de zu kon­zi­pie­ren, wäh­rend sie vor­her den Un­ter­neh­mern und Un­ter­neh­men freie Hand ge­las­sen hat­ten.

Über die aus­wär­ti­gen Bür­ger­meis­ter er­höh­te sich der Ein­fluss des Staa­tes auf die städ­ti­sche Po­li­tik, und dies war auch ma­ß­ge­bend für die Saar­brü­cker Städ­te­ver­ei­ni­gung im Jah­re 1909, nach Jür­gen Reule­cke ein his­to­ri­sches Ku­rio­sum, das „vor dem Ers­ten Welt­krieg ei­ne Aus­nah­me" dar­stell­te. 1901 stieß die In­itia­ti­ve des Bür­ger­meis­ters Al­fred Paul Neff (1853-1934) von St. Jo­hann zur Ver­ei­ni­gung der Saar­städ­te auf den Wi­der­stand gro­ßer Tei­le der Bür­ger­schaft. Der Mal­statt-Bur­ba­cher Kol­le­ge Paul Schmook (1860-1921) be­ur­teil­te die Stim­mung für ei­ne Städ­te­ver­ei­ni­gung ne­ga­tiv, denn in Saar­brü­cken und St. Jo­hann spre­che man von der In­dus­trie­stadt ab­schät­zig als dem ‚Ar­men­haus’ ei­ner künf­ti­gen Gro­ß­ge­mein­de. Die ent­schei­den­den Im­pul­se zur Ver­ei­ni­gung ka­men nicht aus Krei­sen der an­ge­stamm­ten Be­völ­ke­rung. Den An­stoß gab ein Ver­tre­ter der ‚im­por­tier­ten’ staat­li­chen Bü­ro­kra­tie. Land­rat Ri­chard Böt­ti­cher (1855-1934) leg­te 1905 in ei­nem of­fe­nen Brief den Bür­ger­meis­tern der drei Saar­städ­te die Vor­tei­le ei­ner Städ­te­ver­ei­ni­gung dar: Kos­ten­er­spar­nis und Pla­nungs­ef­fi­zi­enz. Er kri­ti­sier­te die kost­spie­li­ge und feh­ler­haf­te Ko­or­di­na­ti­on bei der Er­stel­lung der ört­li­chen Be­bau­ungs­plä­ne.

Ne­ben der öf­fent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung über das The­ma lie­fen die of­fi­zi­el­len Ver­hand­lun­gen zwi­schen den Ver­tre­tern der drei Städ­te. Den Bür­ger­meis­tern, die den ge­sam­ten kom­mu­na­len und staat­li­chen Ver­wal­tungs­ap­pa­rat hin­ter sich wuss­ten, kam ei­ne Schlüs­sel­po­si­ti­on zu. Bür­ger­meis­ter Neff von St. Jo­hann und Schmook von Mal­statt-Bur­bach, der nach dem Rück­tritt Fried­rich Wil­helm Feld­manns (1846-1911) zu­sätz­lich zum kom­mis­sa­ri­schen Bür­ger­meis­ter von Saar­brü­cken und da­mit in sei­ner Per­son zum Ver­tre­ter he­te­ro­ge­ner städ­ti­scher Kräf­te im Ver­ei­ni­gungs­pro­zess er­nannt wor­den war, lie­ßen sich be­reit­wil­lig zum Werk­zeug des Trie­rer Re­gie­rungs­prä­si­den­ten ma­chen. Feld­mann hat­te sich als ein­zi­ger der drei Bür­ger­meis­ter kon­se­quent als Re­prä­sen­tant kom­mu­na­ler Selbst­ver­wal­tung ver­stan­den, wäh­rend sei­ne bei­den Kol­le­gen ihr Amt im We­sent­li­chen als Be­stand­teil der Staats­ver­wal­tung in­ter­pre­tier­ten. Auf Ge­heiß des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten dräng­ten sie die Stadt­ver­ord­ne­ten-Ver­samm­lung, die Be­schlüs­se zu fas­sen, die den Ver­ei­ni­gungs­pro­zess vor­an­trie­ben.

Dem wach­sen­den Druck muss­ten sich auch die Geg­ner der Städ­te­ver­ei­ni­gung in den Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lun­gen beu­gen. Mitt­ler­wei­le droh­te näm­lich Mal­statt-Bur­bach mas­siv mit dem Kreis­aus­tritt. Da die In­dus­trie­stadt ei­nen Be­völ­ke­rungs­stand von na­he­zu 50.000 Ein­woh­nern er­reicht hat­te, konn­te sie von dem Recht auf Aus­krei­sung Ge­brauch ma­chen. Da­mit hät­ten sich au­to­ma­tisch die Kreis­las­ten der an­de­ren Ge­mein­den er­höht. Die Be­zirks­re­gie­rung hat­te ein ei­ge­nes In­ter­es­se am Ver­bleib Mal­statt-Bur­bachs im Kreis Saar­brü­cken. Die jun­ge In­dus­trie­stadt galt als un­ru­hi­ges Pflas­ter, wo der Ein­zug von So­zi­al­de­mo­kra­ten in den Stadt­rat lang­fris­tig am ehes­ten zu be­fürch­ten war. Mit dem Kreis­aus­tritt hät­te die In­dus­trie­stadt ei­ne ei­ge­ne Stim­me im Pro­vin­zi­al­land­tag er­hal­ten. Dem­nach spiel­te das Kal­kül ei­ner po­li­ti­schen Dis­zi­pli­nie­rung ei­ne Rol­le. Mal­statt-Bur­bach fand in St. Jo­hann ei­nen li­be­ra­len, in Saar­brü­cken ei­nen kon­ser­va­ti­ven Kon­tra­punkt.

1907 wur­den dann Ver­ei­ni­gungs­pro­gram­me ver­ab­schie­det. Un­ter dem Druck des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten kam es am 5.12.1908 zu ei­nem Ver­trags­ab­schluss. Die hier sicht­ba­re Do­mi­nanz des preu­ßi­schen Staa­tes ge­gen­über den städ­ti­schen Selbst­ver­wal­tungs­or­ga­nen grün­de­te auf der rhei­ni­schen Bür­ger­meis­ter­ver­fas­sung. Die Bür­ger­meis­ter, nicht et­wa die in West­fa­len üb­li­chen ge­wähl­ten Ma­gis­tra­te, wa­ren Dreh- und An­gel­punk­te zwi­schen Stadt und Staat, zwi­schen Po­li­tik und Ver­wal­tung; ih­re Po­si­ti­on ent­schied in der Ver­ei­ni­gungs­fra­ge über Er­folg oder Schei­tern.

Mit der Städ­te­ver­ei­ni­gung kon­sti­tu­ier­te sich ein re­gio­na­les Wirt­schafts- und Ver­wal­tungs­zen­trum, das sich deut­lich von den an­de­ren Stadt­ge­mein­den des wei­te­ren Um­lan­des ab­hob und nach der Her­aus­lö­sung des Mon­tan­re­viers aus dem deut­schen Staats­ver­band nach dem Ers­ten Welt­krieg ei­ne Haupt­stadt­funk­ti­on un­ter der Völ­ker­bunds­ver­wal­tung über­neh­men konn­te. Durch die Ein­ge­mein­dung von Dud­wei­ler, das noch 1962 zur Stadt er­nannt wor­den war, und et­li­cher wei­te­rer an­lie­gen­der Ge­mein­den ist die Funk­ti­on nach dem Zwei­ten Welt­krieg noch ein­mal ge­stärkt wor­den. [Ab­bil­dung in Mar­gi­nalspal­te]Kar­te Lan­des­haupt­stadt] En­de 2006 be­lief sich die Ein­woh­ner­zahl der Lan­des­haupt­stadt auf rund 178.000 (1975 hat­te sie noch 205.000 be­tra­gen). Des Wei­te­ren sind durch die Bil­dung ei­nes Stadt­ver­ban­des Saar­brü­cken mit rund 340.000 Ein­woh­nern (2006) die Wei­chen für ei­ne wei­te­re Ex­pan­si­on ge­stellt wor­den. Im Ver­band be­fin­den sich ne­ben der Lan­des­haupt­stadt vier wei­te­re Städ­te, die 1914 noch In­dus­trie­dör­fer wa­ren: Völk­lin­gen, Fried­richs­thal, Pütt­lin­gen, Sulz­bach. Soll­te das Saar­land ein­mal als Bun­des­land auf­ge­löst wer­den, so die Rech­nung, muss das Städ­te­kon­glo­me­rat Saar­brü­cken als Ober­zen­trum links des Rhei­nes in ir­gend ei­ner Wei­se ei­ne Auf­wer­tung er­hal­ten, zu den­ken ist et­wa an den Sitz ei­ner Be­zirks­re­gie­rung an der Stel­le von Trier.

Literatur

Burg, Pe­ter, Saar­brü­cken 1789-1860. Von der Re­si­denz­stadt zum In­dus­trie­zen­trum, Blies­kas­tel 2000.
Fehn, Klaus, Saar­brü­cken – Groß­stadt­bil­dung im grenz­na­hen Berg­bau- und In­dus­trie­ge­biet, in: Stadt und Stadt­raum, Han­no­ver 1974, S. 105-124.
Wit­ten­brock, Rolf, Die drei Saar­städ­te in der Zeit des be­schleu­nig­ten Wachs­tums (1860-1908), in: Rolf Wit­ten­brock (Hg.), Ge­schich­te der Stadt Saar­brü­cken, 2 Bän­de, Band 2: von der Zeit des stür­mi­schen Wachs­tums bis zur Ge­gen­wart, Saar­brü­cken 1999, S. 11-130.
Wit­ten­brock, Rolf, In­dus­trie­dör­fer und Ver­städ­te­rung, in: Ri­chard van Dül­men (Hg.), In­dus­trie­kul­tur an der Saar. Le­ben und Ar­beit in ei­ner In­dus­trie­re­gi­on 1840-1914, Mün­chen 1989, S. 84-95.
Wit­ten­brock, Rolf, Saar­städ­te. Ur­ba­ni­sie­rung am Fluß, in: Ri­chard van Dül­men und Eva La­bou­vie (Hg.), Die Saar. Ge­schich­te ei­nes Flus­ses, St. Ing­bert 1992, S. 73-98.

Rathaus St. Johann, errichtet 1897-1900 im neugotischen Stil von Georg J. von Hauberisser (1841-1922). (Landeshauptstadt Saarbrücken)

 
Zitationshinweis

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Burg, Peter, Industrialisierung und Städtebildung an der Saar, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/industrialisierung-und-staedtebildung-an-der-saar/DE-2086/lido/57d12bd0b67852.43713965 (abgerufen am 10.10.2024)