Zu den Kapiteln
Ab 1837 als Bischof von Speyer wurde Geissel im Nachgang zu den „Kölner Wirren“ 1842 zunächst zum Koadjutor, dann zum Erzbischof von Köln und Kardinal berufen und profilierte sich über das Rheinland hinaus zum bedeutenden katholischen Kirchenführer des 19. Jahrhunderts (1848 Würzburger Bischofskonferenz, 1860 Provinzialkonzil).
Am 5.2.1796 als der älteste Sohn des Winzers Nikolaus Geissel und seiner Ehefrau Maria Helena Theresa, geborene Motzenbäcker in Gimmeldingen (heute Neustadt an der Weinstraße) geboren, besuchte Johannes Baptist Jakob Geissel nach geistlicher Schulausbildung das Mainzer Lyzeum 1813-1815. Am Mainzer Priesterseminar in scholastischer Tradition und religiös-innerlicher Frömmigkeit sowie vom Streben nach Kirchenfreiheit geprägt, wurde er am 22.8.1818 in Mainz zum Priester geweiht. Der Kaplan in Hambach (1818/1819) und Religionslehrer in Speyer (1819-1823) erhielt bereits 1822 ein Kanonikat am Speyerer Dom und wurde zugleich bischöflicher Schulreferent. Als beliebter Prediger und mit landesgeschichtlichen Veröffentlichungen wurde er korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und so 1836 durch königliche Nomination Domdechant. Noch im selben Jahr vom bayerischen König Ludwig I. (Regentschaft 1825-1848) zum Bischof von Speyer nominiert, empfing er am 18.8.1837 in Augsburg die Bischofsweihe durch den Bamberger Metropoliten Joseph Maria Freiherr von Fraunberg (1824-1842).
In seinem fünfjährigen Episkopat in Speyer stellte Johannes von Geissel (ab 1839 Personenadel) die Grundlagen des bayerischen Staat-Kirche-Verhältnisses nicht in Frage und bemühte sich, auf wenige vertraute Mitarbeiter gestützt, mit strenger Disziplin besonders um die Ausbau des katholischen Bildungswesens (Knabenkonvikt, Lehrerseminar, höhere Mädchenschule) bis hin zur Berufung des Freiburger Dogmatikers Franz Xaver Dieringer (1811-1876) an das Priesterseminar.
Nachdem König Ludwig I. seinen Vetter, den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858), auf den klugen, tatkräftigen, aber politisch nicht hervorgetretenen Geissel hingewiesen hatte, wurde in komplexen Verhandlungen der preußischen Regierung mit dem Heiligen Stuhl und dem vormaligen, verhafteten und in Minden exilierten Kölner Erzbischof Clemens August Droste zu Vischering, erreicht, dass Geissel die volle Regierungsgewalt erhalten konnte. Am 24.9.1841 wurde Geissel zum Koadjutor des Kölner Erzbischofs mit dem Recht der Nachfolge sowie zum Apostolischen Administrator ernannte. Dazu wurde er am 23.5.1842 als Bischof von Speyer entpflichtet und zum Titularerzbischof von Iconium ernannt. Als Geissel am 4.3.1842 die Leitung des Erzbistums Köln übernommen hatte, waren auch die Streitfragen zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche (Mischehen, freier Postverkehr mit Rom) beigelegt worden, so dass im September als Zeichen der Versöhnung in Anwesenheit König Friedrich Wilhelms IV. und zahlreicher deutscher Fürsten die feierliche Grundsteinlegung zum Weiterbau des Kölner Doms gefeiert werden konnte. Nach dem Tod Drostes wurde Geissel dessen Nachfolger als Erzbischof (Inthronisation im Kölner Dom 11.1.1846) und erhielt am 24.11.1845 das Pallium. Bereits bei dem als kirchlicher Aufbruch in Westfalen gefeierten Goldenen Bischofsjubiläum des Münsterer Bischofs Caspar Max Droste zu Vischering (Episkopat 1826-1846) vom 6.-10.9.1845 hatte Geissel mitgewirkt. Bei der 600-Jahr-Feier der ersten Grundsteinlegung des Kölner Doms (14.-16.8.1848) war außer dem Nuntius Michele Viale-Prelà (gestorben 1860) und neun Bischöfen auch der preußische König anwesend.
Mit Unterstützung der ultramontanen Partei (Sekretär, Domkapitular und 1849 Weihbischof Johann Baudri) ging Geissel an der Bonner Theologischen Fakultät sowohl gegen die „Hermesianer“ (Professor Johann Heinrich Achterfeld, 1788-1877, Professor Johann Wilhelm Joseph Braun) durch Neuberufungen (Professor Franz Xaver Dieringer, auch Domkapitular, Professor Konrad Martin, 1812-1879, 1856-1879 Bischof in Paderborn) als auch den „Güntherianismus“ (Professor Franz Peter Knoodt, 1811-1889) vor und berief 1860 mit dem Dogmatiker Matthias Joseph Scheeben (1835-1888) den Hauptvertreter der neuscholastischen Theologie an das Priesterseminar. In allen kirchenpolitischen und theologischen Fragen stand Geissel ab 1842 in intensivem und dann freundschaftlichem Kontakt mit dem Nuntius in München beziehungsweise Wien, Michele Viale-Prelà (1852/1853 Kardinal). Als autoritär regierender Kirchenfürst (mit geheimem Personalschematismus in Englisch) versetzte er Pfarrer und trat einerseits demokratischen Ansätzen im Kölner Klerus (Petition von 370 Geistlichen für eine Diözesansynode) entgegen, andererseits vertrat Geissel in der Revolution von 1848 die Unabhängigkeit der Kirche unter Beibehaltung des staatlichen Schutzes für die Kirche. Als Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung in Berlin (22.5.-5.12.1848) betrieb er sowohl die verfassungsmäßige Verankerung der kirchlichen Freiheitsrechte als auch Gemeinschaftsaktionen der Bischöfe. Die synodalen Beratungen erreichten ihren Höhepunkt in der Konferenz des deutschen Episkopates in Würzburg (23.10.-16.11.1848) unter seinem Vorsitz, wodurch er „der unbestrittene Führer des deutschen Episkopates“ wurde. Erstmals in der preußischen Monarchie wurde Geissel (zusammen dem Breslauer Fürstbischof Melchior von Diepenbrock, Episkopat 1845-1853) am 30.9.1850 zum Kardinal ernannt und Nuntius Viale-Prelà setzte ihm am 12.11.1850 im Kölner Dom unter großer Anteilnahme der Bevölkerung das rote Birett auf, denn erst 1857 konnte er auf seiner einzigen Romreise seine Titelkirche S. Lorenzo in Panisperna in Besitz nehmen. Den höchsten Orden Preußens, den Schwarzen Adlerorden, verlieh ihm 1855 König Friedrich Wilhelm IV.
Auf zahlreichen Visitations- und Firmungsreisen suchte Geissel guten Kontakt zu Klerus und Volk und förderte die Exerzitien-Bewegung sowie den Religionsunterricht. Neben seiner Förderung des Vereinswesens (Missions-Verein Aachen, 1832 Dr. Heinrich Hahn; Borromäus-Verein Bonn, 1844; Gesellen-Verein Elberfeld, Adolf Kolping 1846) setzte er auf den Einsatz der Ordensleute (1850 Stadt-Mission der Jesuiten in Köln). Zur Förderung der Bildungsreserven auf dem Land für den Priesterberuf vertraute er den Lazaristen die beiden Knabenkonvikte in Neuss (1852) und Münstereifel (1856) an.
Geissel förderte einerseits bedeutende Neugründungen im Erzbistum (Arme Schwestern vom hl. Franziskus, Aachen 1845, (Sel.) Franziska Schervier; Schwestern vom armen Kinde Jesu, Aachen 1848, Clara Fey; Franziskanerinnen von der hl. Familie, Eupen 1857, Josephine Koch; Arme Brüder vom hl. Franziskus, Wahlscheid 1857, Johannes Höver) und andererseits die alten Gründungen im Erzbistum (Alexianer, Cellitinnen, Ursulinen) sowie die zahlreichen Ordensgemeinschaften von auswärtigen Mutterhäusern (unter anderem Waldbreitbacher Franziskanerinnen, Redemptoristen).
Innerdiözesan führte Geissel nach der Definition des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria (8.12.1854), die zur Errichtung von Denkmälern geführt hatte, am Samstagabend eine Salve-Andacht ein sowie das „Ewige Gebet“ in den Pfarreien des Erzbistums reihum. Die Neuauflagen von Missale und Brevier (1856) sowie des Antiphonale und Graduale (1863) führten zugleich zum Ende der noch vorhandenen Reste kölnischer Eigenelemente in der Liturgie. Der schriftstellerisch und wissenschaftlich wortmächtige Erzbischof soll jedoch wenig gepredigt haben und hatte zum Missvergnügen des Domkapitels auch wenig Verständnis für die reichen Formen der Kirchenmusik. In der aufblühenden kirchlichen Kunst förderte er den Kirchbau im Sinne des von der Neugotik bestimmten Zeitgeschmackes.
Als abschließenden Höhepunkt seines Episkopats veranstaltete Geissel 1860 eine Provinzialsynode (29.4.-17.5.), die zugleich die letzte deutsche war, welche im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils sich durch eine ausgewogenere Ekklesiologie auszeichnete. An der vorbereiteten 700-Jahr-Feier der Dreiköngsreliquien konnte Geissel nicht mehr teilnehmen, weil er am 8.9.1864 an einem Krebsleiden verstarb und am 12.9.1864 im Chor des Domes beigesetzt wurde als einer der bedeutendsten Bischöfe Deutschlands im 19. Jahrhundert.
Werke
Schriften und Reden von Johannes Cardinal von Geissel, Erzbischof von Köln, 3 Bände, hg. von Karl Theodor Dumont, Köln 1869-1870.
Einzeltitel
Der Kaiser-Dom zu Speyer. Eine topographisch-historische Monographie, 3 Bände, Speyer 1826/1828.
Der Kirchsprengel des alten Bisthums Speyer, Speyer 1832.
Die Schlacht am Hasenbühl und das Königskreuz von Göllheim, Speyer 1835.
Quellen
Historisches Archiv des Erzbistums Köln: Nachlass Geissel.
Dumont, Karl Theodor (Hg.), Diplomatische Correspondenz über die Berufung des Bischofs Johannes von Geissel von Speyer zum Coadjutor des Erzbischofs Clemens August Freiherrn von Droste zu Vischering von Köln, Freiburg 1880.
Literatur
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Haas, Reimund, War das Goldene Bischofsjubiläums von Caspar Max Droste-Vischering in Münster im Jahre 1845 die erste deutsche Bischofskonferenz?, in: Annuarium Historiae Conciliorum 24 (1992), S. 209-229.
Haas, Reimund, „ … und an die geistlichen Personen und gläubigen Laien unserer Provinz!“. 150 Jahre Kölner Provinzialkonzil von 1860, in: Pastoralblatt 63 (2011), S. 121-125.
Hegel, Eduard, Zum hundertsten Todestag des Kölner Erzbischofs Johannes Kardinal von Geissel, in: Pastoralblatt 16 (1964), S. 272–279.
Hegel, Eduard, Geissel, in: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 239-244.
Hegel, Eduard, Das Erzbistum Köln zwischen Restauration des 19. Jahrhunderts und der Restauration des 20. Jahrhunderts 1815-1962 (Geschichte des Erzbistums Köln 5), Köln 1987, S. 66-70.
Holzem, Andreas, Geissel, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Band 3 (2001), Sp. 55-56.
Lill, Rudolf, Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1942. Vorwiegend nach Akten des Vatikanischen Geheimarchivs, Düsseldorf 1962.
Linn, Heinz, Ultramontanismus in Köln. Domkapitular Baudri an der Seite Erzbischofs Geissels während des Vormärz, Siegburg 1987.
Pfülf, Otto, Cardinal von Geissel. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß geschildert, 2 Bände, Freiburg 1896, Mikroedition DHS-AR 98 (Frankfurt 1993).
Schäfer, Theo, Die erkenntnistheoretischer Kontroverse Kleutgen-Guenther. Ein Beitrag zur Entstehung der Neuscholastik, Paderborn 1961.
Scheidgen, Hermann-Josef, Der deutsche Katholizismus in der Revolution von 1848/49. Episkopat – Klerus – Laien – Vereine, Köln/Weimar/Wien 2008.
Trippen, Norbert, Das Domkapitel und die Erzbischofswahlen in Köln 1821-1929, Köln/Wien 1972.
Trippen, Norbert, Geissel, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Band 4 (1995), Sp. 367-368.
Online
Haaß, Robert, Geissel, Johannes von, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 157f.
Johannes Baptist Geisseln, in: Saarland-biografien.
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Haas, Reimund, Johannes von Geissel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-von-geissel-/DE-2086/lido/57c6c6d5cb6c37.16039769 (abgerufen am 12.10.2024)