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Joseph Görres war ein aus Koblenz stammender katholischer Publizist des Vormärz (1815-1848) und Begründer des „Rheinischen Merkur". Bis zu seinem Besuch in Paris 1798/1799 war er Anhänger der Französischen Revolution. Mit seiner Schrift „Athanasius" wurde er zu einem der frühen Begründer des politischen Katholizismus.
Görres wurde als Sohn des Holzhändlers Moritz Görres und dessen Frau Helena am 25.1.1776 in Koblenz geboren. Von 1786 bis 1793 besuchte er das dortige, heute nach ihm benannte Jesuitengymnasium. Über seine geistlichen Lehrer kam er mit aufklärerischem Gedankengut in Berührung. Nach der Schulzeit bildete sich der Autodidakt in Medizin, Naturwissenschaften und Geschichte fort.
In den 1790er Jahren sympathisierte Görres mit den Idealen der französischen Revolution, insbesondere mit dem republikanischen Jakobinertum und begrüßte zunächst den Anschluss seiner Heimat 1797/1798 (staatsrechtlich 1801) an die benachbarte Republik. In diese Zeit fiel auch der vorläufige Bruch mit der katholischen Kirche, die zu sehr mit der willkürlichen Herrschaft des Kurfürsten von Trier und dem Patronagesystem der alten Eliten verbunden war. Er machte vielmehr die Revolution zu seiner Sache und widmete sich der politischen Publizistik, vor allem im in Koblenz herausgegebenen „Roten Blatt", das jedoch später von den französischen Behörden verboten wurde. Neben den zahlreichen Beiträgen im „Roten Blatt" von 1798/1799 sind „Der allgemeine Friede, ein Ideal" von 1798 sowie „Der Rübezahl" von 1799 zu seinen wichtigen Frühschriften zu zählen.
Ein Aufenthalt im Auftrag des Koblenzer jakobinischen „Patriotischen Clubs" in Paris 1798/1799 ließ ihn enttäuscht von Despotismus und Willkür als Gegner der Revolution zurückkehren. Die Krönung Napoleons war für ihn wie für viele deutsche Intellektuelle dieser Zeit der Sündenfall der Revolution. So wurde er zu einem vehementen Gegner Frankreichs und prophezeite: „In Napoleon wird der Welt eine Tyrannei erwachsen, wie man sie seit der Römerzeit nicht mehr gekannt hat!"
Vor allem aufgrund dieser Einsichten gab er seine publizistische Tätigkeit zunächst auf und arbeitete ab 1800 als Lehrer der Physik an seiner alten Schule, der nunmehrigen französischen École Secondaire in Koblenz. 1801 heiratete Görres die Tochter seines Verlegers, Katharina von Lassaulx, die aus einer bekannten Architektenfamilie stammte.
1806 wechselte er als Privatdozent für Philosophie, Ästhetik und Altdeutsche Literatur an die Universität Heidelberg. Görres hielt vor allem für Romantiker wie etwa Joseph von Eichendorff (1788-1857) attraktive Vorlesungen über die germanische Mythologie und bildete zusammen mit Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840), Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) die Keimzelle der Heidelberger Romantik. Darüber hinaus führte er gemeinsam mit Arnim und Brentano deren Vertreter zu einer freundschaftlichen Gruppe zusammen und gab so dieser Richtung ein festes geistiges Gerüst. Auch bei der von Arnim herausgegebenen Zeitschrift „Zeitung für Einsiedler", die im politischen Kontext des Vormärz stand und einem geeinten Deutschland kulturell den Weg ebnen sollte, arbeitete Görres, dessen Vorlesungen über die altgermanische Mythologie in das Konzept passten, mit und schrieb programmatische Leitbeiträge („Der gehörnte Siegfried und die Nibelungen" vom 15.4.1808).
1808 kehrte er nach Koblenz zurück. Auch hier wollte Görres ganz im Sinne seiner in Heidelberg formulierten Ideale arbeiten. So entschloss er sich, diesmal offensiv gegen Napoleon vorzugehen und – ganz im Zeichen der Zeit – für ein aus den Befreiungskriegen hervorgehendes einiges und freies Deutschland zu schreiben. Nach dem Einmarsch der Koalition gegen Napoleon ins Rheinland 1814 übernahm Görres das Amt des Direktors des öffentlichen Unterrichts am Mittelrhein und pflegte Kontakte zu zahlreichen fortschrittlichen Persönlichkeiten und Denkern seiner Zeit. So zählte der preußische Reformer Freiherrn vom Stein (1757-1831) ebenso zu seinen Gesprächspartnern wie die Germanisten Ludwig (1790-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) und der berühmte Marburger Rechtsgelehrte und spätere preußische Minister Friedrich Carl von Savigny (1779-1861).
Eine der bekanntesten publizistischen Werke Görres’ entstand in den Koblenzer Jahren mit der Tageszeitung „Rheinischer Merkur", die er zwischen 1814 und 1816 herausgab, und die aufgrund seiner scharfen Angriffe gegen Fürstenallmacht, Bürokratie, Restauration und Unterdrückung des Nationalgedankens schnell zu breiter Bekanntheit gelangte. Von der rheinischen Warte aus kommentierte Görres nunmehr zwei Jahre lang alle politischen Ereignisse mit spitzer Feder und setzte dabei seine modernen und bis heute wegweisenden publizistischen Ideen um. Görres wertete aus und kommentierte. Er kreierte damit den Leitartikel und wurde zum Vorbild für alle kommenden unabhängigen Medien. Doch das Ende der französischen Herrschaft brachte nicht die gewünschte Einheit in Freiheit. Görres’ Eintreten für die nationale Einheit und eine Verfassung führte stattdessen zum Verbot seiner Zeitung durch die preußische Regierung sowie zum Entzug seiner Stelle als Leiter des Unterrichtswesens am Mittelrhein. Aufgrund seiner Schrift „Teutschland und die Revolution" von 1819 musste er gar nach Aarau/Schweiz und schließlich nach Straßburg fliehen.
Spätestens dort besann sich Görres wieder seiner katholischen Wurzeln und versöhnte sich mit einer Kirche, die nunmehr von der Last der weltlichen Macht befreit war. 1824 wurde er Mitarbeiter an der 1821 von Andreas Räß (1794-1884) und Nikolaus (von) Weis (1796-1879) gegründeten strengkirchlich-frühultramontanen Zeitschrift „Der Katholik". Und auch in Koblenz stärkte er die römisch orientierten Kreise um den Unternehmer und Stadtrat Hermann Joseph Dietz. Mit Dietz und Clemens Brentano gründete er 1824 verschiedene Fürsorgevereine, die Hungersnot und Armut bekämpften. Zugleich arbeitete er weiter an seinem publizistischen Oeuvre und widmete sich vor allem der christliche Mystik und der zu dieser Zeit weit verbreiteten Theosophie Emanuel Swedenborgs (1688-1772). In Straßburg veröffentlichte Görres die Schriften „Der Heilige Franziskus von Assisi, ein Troubadour" (1826) und „Emanuel Swedenborg" (1827).
1827 berief ihn Ludwig I. von Bayern (1786-1868), der ihn auch 1839 adelte, als Professor für „Allgemeine und Litterärgeschichte" an die Universität München. Dieser Ruf, der auf Fürsprache zahlreicher katholischer Freunde zurückging, war mit einer Amnestie verbunden und ermöglichte Görres die Rückkehr aus dem Exil und die Fortsetzung seiner politischen und wissenschaftlichen Arbeit. Man erhoffte sich in den konservativ-katholischen Kreisen des Südens, mit Görres ein wortgewaltiges Gegengewicht zum Liberalismus berufen zu haben. In München entstand 1836-1842 das vierbändige kompilatorische Werk „Die christliche Mystik", für das er bereits in Straßburg Vorarbeiten geleistet hatte. Auch mit fernöstlicher Mystik, der er 1810 seine „Mythengeschichten der asiatischen Welt" widmete, hat Görres sich, ganz im Einklang mit den Ideen der katholischen Romantik stehend, beschäftigt.
Darüber hinaus gründete sich in München um den agilen und kontaktfreudigen Görres schnell ein christlich-katholischer Intellektuellenzirkel, dem unter anderem der bekannte Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger (1799-1890), der Sozialethiker und spätere Bischof von Mainz Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811-1877), der Sozialphilosoph Franz von Baader (1765-1841) und der „Gesellenvater" Adolph Kolping (1813-1865) angehörten. Denn auch dort verstand sich Görres nicht nur als akademischer Lehrer, sondern zuerst als politischer Publizist. Sein neues Sprachrohr war zunächst die Zeitschrift „Eos", die allerdings bereits nach kurzer Zeit eingestellt werden musste.
1838 gründeten die Juristen Karl Ernst Jarcke (1801-1852) und George P. Philips (1804-1872) die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland" als neues Sprachrohr des Görreskreises. Die auch „Gelbe Hefte" genannte Zeitschrift etablierte sich schnell als einflussreichstes literarisches Organ der großdeutsch und föderalistisch ausgerichteten politischen Freiheitsbewegung der deutschen Katholiken im Vormärz und wurde zum neuen Hausblatt Joseph Görres’ und seines Freundeskreises.
Die nachhaltigste Publikation veröffentlichte Görres jedoch 1838, nachdem der Kölner Erzbischof Clemens August Freiherr von Droste zu Vischering (1773-1845) 1837 wegen seiner Haltung im Mischehenstreit verhaftet worden war. Mit der 150 Seiten starken Streitschrift „Athanasius", die die Vorgehensweise der preußischen Regierung in Köln scharf kritisierte, gab er dem so genannten Kölner Ereignis die historische Bedeutung und machte es zum offenkundigen Wendepunkt in den Beziehungen der Kirche zum Staat, sowie der katholischen Laien zu ihrer Kirche. In dieser Schrift wandte sich Görres gegen fürstliche Allmachtsvorstellungen, Willkür und Bürokratie und setzte sich für die Freiheit der Kirche ein. Der „Athanasius" war somit gewichtiger Teil der Geburtsstunde des politischen Katholizismus als Massenbewegung in Deutschland. Noch im Erscheinungsjahr folgten vier Auflagen mit einer Gesamtzahl von mehr als 10.000 Exemplaren.
Bis zu seinem Tode beschäftigte sich Görres mit dem katholischen Glauben und seinen Widersachern. In seinem 1845 erschienen Werk „Die Wallfahrt nach Trier" ging er auf die Vorgänge um die politisch brisante Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 ein. In dieser Schrift wandte er sich vor allem gegen Rationalismus und Liberalismus sowie den Deutschkatholizismus, den Hauptgegnern dieser Wallfahrt, und appellierte an die Konfessionen, ein friedliches Zusammenleben anzustreben.
Görres starb am 29.1.1848 in München und fand dort seine letzte Ruhestätte. Der 1946 ebenfalls in Koblenz gegründete und später in Bonn ansässige „Rheinische Merkur" sah sich in der journalistischen Tradition Görres’. Ebenso geht der Name der 1876 in Zeiten des Kulturkampfs von katholischen Gelehrten, Publizisten und Politikern in Koblenz gegründeten Görres-Gesellschaft auf Joseph Görres zurück. In Koblenz existiert ein umfassendes Görresarchiv im Besitz der Stadt, in Düsseldorf und Koblenz ist jeweils ein Gymnasium nach ihm benannt. Zudem erinnern in seiner Heimatstadt der Görresplatz sowie das 1928 errichtete Görres-Denkmal in den Rheinanlagen nahe dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss an ihn.
Werke
Joseph Görres, Gesammelte Schriften, hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Wilhelm Schellberg/Adolf Dyroff/Leo Just, Bände 1-16, Köln 1926-1939, fortgeführt von Heribert Raab, Band 17 u. Ergänzungsbände 1 u. 2, Paderborn u.a. 1985-2006.
Literatur
Fink-Lang, Monika, Joseph Görres. Die Biografie, Paderborn 2013.
Morsey, Rudolf, Joseph Görres, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 3, Mainz 1979, S. 26-35.
Olschewski, Ursula, Artikel „Görres, Johann Joseph von", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 17 (2000), Sp. 473-475.
Raab, Heribert (Hg.), Joseph Görres (1776-1848). Leben und Werk im Urteil seiner Zeit, Paderborn 1984.
Vanden Heuvel, Jon, A German Life in the Age of Revolution. Joseph Görres, 1776-1848, Washington 2001.
Online
Brinkmann, Ulrike, Görresfenster, 1865 (Information auf der Website des Kölner Doms)
Roegele, Otto, Artikel "Görres, Johann Joseph v.", in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 532-536.
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Rönz, Andrea, Joseph Görres, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-goerres/DE-2086/lido/57c6c946c50976.22040717 (abgerufen am 12.10.2024)