Der Nordwestdeutsche Rundfunk Köln (NWDR) 1945-1955
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1. Wiederbeginn, organisatorische und technische Grundlagen
Bereits am 4.5.1945 hatten die Briten das unzerstörte Funkhaus des Reichssenders Hamburg an der Rothenbaumchaussee erobert, wenige Stunden darauf meldete sich „Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government“. In Hamburg etablierten die Briten den Hauptsitz des Rundfunks in ihrer Besatzungszone, die die späteren Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen umfasste. Bremen als Enklave der amerikanischen Besatzungszone in Norddeutschland erhielt einen eigenen Sender – Radio Bremen. Das Rundfunksystem der britischen Militärregierung in Hamburg war wie das britische zentralistisch ausgerichtet und orientierte sich organisatorisch am Vorbild der Londoner BBC. Das „Ellipsenmodell“ der Briten sah eine Zentrale in Hamburg, einen Nebensender in Köln und ein Studio in Berlin vor, das für den britischen Sektor Berlins zuständig war und Informationen aus Berlin für Hamburg zulieferte. Insgesamt unterstand der Rundfunkbetrieb Kontrolloffizieren der Britischen Militärregierung, der so genannten „Broadcasting Unit“ (BCU) (ab 1946 „Broadcasting Section (ISC Branch)“.
Köln mit seinem traditionsreichen und für das Sendegebiet Rheinland-Westfalen zuständigen Westdeutschen Rundfunk sah sich damit der Hauptzentrale in Hamburg untergeordnet. Die Verhältnisse in Köln gestalteten sich für den Wiederbeginn des Rundfunkprogramms ungleich schwieriger: Das Funkhaus des Reichssenders Köln in der Dagobertstraße war 1942/43 durch Bombenangriffe schwer beschädigt worden, und der Kölner „Haussender“ in Langenberg war noch kurz vor der Kapitulation des NS-Staates durch den deutschen Postschutz gesprengt worden. Die Situation wurde für die wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Stunde Null“ durch die Rahmenbedingungen erschwert: im zerstörten Köln fehlte es an Wohnraum, Lebensmitteln, Heiz- und Baumaterial. Zur Not schlief man auf oder unter dem Schreibtisch.
Köln benötigte also eine längere Zeit bis zur Wiederaufnahme des Programmbetriebs. Es war ein Urgestein des Westdeutschen Rundfunks, der Sport- und Nachrichtenchef Bernhard Ernst, der sich am 26.9.1945 über einen 20-kW-Behelfssender in Langenberg bei den Hörerinnen und Hörern zurückmeldete, jetzt als Stimme des „Nordwestdeutschen Rundfunks“, kurz: NWDR, des Rundfunks in der Britischen Besatzungszone.
Die zehnköpfige „Broadcasting Control Unit Cologne“ und das deutsche Personal in der Dagobertstraße unterstanden von Juli 1945 bis Juli 1946 Major Horace Saunders-Jacobs (1893-1966), einem Mitarbeiter der BBC. Er wurde 1946 von Major E. V. Henry abgelöst, der seit Frühjahr 1946 für die Abteilung „News, Talks and Features“ als Kontrolloffizier zuständig war, denn bis 1948 mussten die zur Ausstrahlung vorgesehenen Beiträge die Kontrolle und Vorzensur der britischen Offiziere durchlaufen. Am 1.10.1946 übernahm Hugh Carleton Greene (1901-1987), ein ausgewiesener Deutschlandkenner und Chefredakteur des deutschsprachigen Dienstes der BBC, den Posten als „Chiefcontroller“ des NWDR in der Hamburger Zentrale. Erklärtes Ziel seiner Mission war die Vorbereitung der Übergabe des NWDR in deutsche Hände – er sei gekommen, um sich überflüssig zu machen, äußerte Greene – und die Wahrung der (politischen) Unabhängigkeit des Senders, auch gegen Versuche der Einflussnahme seitens der politischen Parteien und der Länderregierungen.
Am 1.1.1948 wurde der NWDR durch die Verordnung 118 der Britischen Militärregierung (VO 118) als öffentlich-rechtliche, gebührenfinanzierte Rundfunkanstalt lizensiert. Gleichzeit trat das NWDR-Statut in Kraft, und die Sendeanlagen im nordwestdeutschen Sendegebiet gingen von der Reichspost an den NWDR über. Nach dem Vorbild der BBC sollte der Generaldirektor von einem Verwaltungsrat ernannt und in seiner Amtsführung kontrolliert werden, der seinerseits von einem Hauptausschuss gewählt wurde. Generaldirektor und Verwaltungsrat mussten von der Britischen Militärregierung bestätigt werden.
Der NWDR-Hauptausschuss konstituierte sich am 12.3.1948 und wählte den siebenköpfigen Verwaltungsrat, dem vier SPD- und drei CDU-Mitglieder angehörten. Im Herbst 1948 zogen sich die letzten britischen Kontrolloffiziere aus der Aufsicht des NWDR zurück. Zum Generaldirektor und Nachfolger des britischen „Chief Controllers“ Greene wurde der niedersächsische Kultusminister Adolf Grimme (1889-1963) ernannt, der das Amt bis zur Liquidation des NWDR innehatte. Durch die erste Änderung der VO 118 vom 1.7.1949 entfiel schließlich auch die Zustimmung der Britischen Militärregierung zur Wahl des Generaldirektors und des Verwaltungsrates. Juristisch gesehen blieb nun die Klärung des Verhältnisses des NWDR zu den Länderregierungen. Die Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Staatsvertrages führten am 16.2.1950 zum Staatsvertrag für die vier Länder, die zum Sendegebiet des NWDR gehörten. Das Gesetz zur Einrichtung einer Landesrundfunkanstalt für Nordrhein-Westfalen, dem „Westdeutschen Rundfunk (WDR)“ wurde am 25.5.1954 unterzeichnet. Zum 1.1.1956 trennte sich der NWDR in die nun selbstständigen Rundfunkanstalten Norddeutscher Rundfunk (NDR), Westdeutscher Rundfunk (WDR) sowie den Sender Freies Berlin (SFB) – und in Köln nahm man befriedigt zur Kenntnis: „Dat ‚N‘ es fott!“ In der Tat war das Verhältnis zwischen der Zentrale in Hamburg und der Nebenstelle des NWDR in Köln von Anfang an nicht frei von Spannungen. Dies hatte sowohl technische, als auch politische, konfessionelle, historische und landespolitische Gründe.
Im Mai 1945 hatten die Briten die Langenberger Mittelwelle 658 kHz für die Ausstrahlung des Programms von British Forces Network (BFN) und des deutschsprachigen Dienstes der BBC requiriert, so dass sich Köln und Hamburg in einen Gleichwellenbetrieb auf der Mittelwelle 904 kHz gezwungen sahen. Dies bedeutete, dass Köln und Hamburg ihr Programm auf nur einer Mittelwelle ausstrahlen konnten. Verteilungskämpfe um die Sendezeiten waren damit zwischen den beiden Häusern vorprogrammiert. 1945/46 strahlte der NWDR insgesamt 180.000 Sendeminuten aus, wobei 150.000 auf Hamburg entfielen und 30.000 auf Köln. Im Jahre 1954/55 waren es insgesamt 478.600 Sendeminuten, mit einem Hamburger Programmanteil von 55,4 Prozent und einem Kölner Anteil von 39 Prozent. Obwohl mehr als die Hälfte der Hörerinnen und Hörer in Rheinland und Westfalen lebten, war der NWDR Köln im Gesamtprogramm unterrepräsentiert. Ständige Reibereien um die Programmkoordinierung, den Informationsfluss und die Kritik Hamburgs am „Provinzialismus“ des Kölner Programms vermehrten die Missstimmung. Umgekehrt fühlten sich Köln und die Rheinländer zurückgesetzt, wenn etwa die Hamburger Sendeleitung am Abend des Rosenmontags 1947 zur besten Sendezeit ein Sinfoniekonzert anberaumte, während der NWDR Köln erst um 22.20 Uhr zu einer Karnevalssitzung schalten konnte. Schon 1946/47 formierte sich daher eine breite „Los-von-Hamburg“-Bewegung, bei der sich die politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen in der Forderung nach einer Landesrundfunkanstalt (und idealerweise auch einer eigenen Welle) für NRW einig waren.
Mit der Unabhängigkeit Kölns sollte es noch bis Anfang 1956 dauern, doch erwies sich das Gleichwellenkonstrukt auf der anderen Seite als Motor für die Entwicklung einer technischen Innovation, nämlich des UKW-Funks (Ultrakurzwelle), die zu einer verbesserten regionalen Versorgung führen sollte. Die Einführung der Ultrakurzwelle für Hamburg, Berlin und Köln gestattete es Köln schließlich, ein eigenes Programm auf UKW auszustrahlen, das so genannte „2. Programm“ oder „UKW-West“, das am 30.4.1950 mit neuen Magazinformaten und viel Unterhaltungsmusik startete. Aufgrund der Programmautonomie auf UKW konnten nun auch die Belange Westfalens besser berücksichtigt werden. 1954/53 betrug die tägliche Sendedauer auf UKW-West bereits 15,2 Stunden, Flaggschiff war die beliebte Sendereihe „Zwischen Rhein und Weser“, die erstmals am 30.4.1950 ausgestrahlt wurde.
2. Die Funkhäuser des NWDR Köln: Dagobertstraße 38 und Wallrafplatz 5
Produziert wurde nach Kriegsende zunächst wieder im alten Funkhaus in der Dagobertstraße 38 (an der Stelle der heutigen Musikhochschule), das die Briten in den Jahren 1945-1947 wieder instand setzten. 1947 war der Große Sendesaal, in dem jedoch kaum Publikum Platz fand, betriebsbereit. Die Mängel des Funkhauses Dagobertstraße, das 1927 von der insolventen Schlosserinnung übernommen worden war, waren hinlänglich bekannt. Deshalb hatte sich die Westdeutsche Rundfunk AG (WERAG) schon Anfang der 1930er Jahre mit dem Gedanken an einen Funkhausneubau getragen. Ein Entwurf des Kölner Architekten Josef Op Gen Oorth (1895-1975) aus den späten 1930er Jahren für ein Funkhaus im äußeren Kölner Grüngürtel am Decksteiner Weiher, der 1940 in der „Bauwelt“ publiziert worden war, wurde während des Krieges jedoch nicht mehr realisiert.
Aufgrund von Raumnot und der bekannten akustischen Mängel des Funkhauses Dagobertstraße hielt auch der NWDR Köln Ausschau nach einem geeigneteren Objekt. Um die Jahreswende 1947/48 wurde man in der Geschäftsleitung auf die Ruine des ehemaligen Hotels „Monopol“ am Wallrafplatz aufmerksam. Im April 1948 wurde mit der Enttrümmerung des Grundstücks begonnen, die Wahl des Architekten für den Funkhausneubau am Wallrafplatz 5 fiel auf Peter Friedrich Schneider (1901-1981), der sich unter anderem im Baubüro von Edmund Körner (1874-1940) beim Bau des Folkwangmuseums in Essen und in der Zusammenarbeit mit den Ford-Werken in Köln-Niehl einen Namen gemacht hatte.
Das Richtfest am Wallrafplatz wurde bereits im Februar 1949 begangen, in Kölns erster Großbaustelle nach dem Krieg arbeitete man sogar in Nachtschichten. Am 8.10.1951 wurde der Große Sendesaal mit einer Kapazität von bis zu 800 Besuchern mit einem Konzert des Kölner Rundfunksinfonieorchesters unter der Leitung von Igor Strawinsky (1882-1971) eingeweiht. Ein steter Zankapfel zwischen Köln und Hamburg blieben die Baukosten, denn der Kölner Intendant Hanns Hartmann (1901-1972) und der Verwaltungsrat favorisierten die Innenstadtlage direkt am Kölner Dom für das neue Funkhaus, was die Kosten für bauakustische Maßnahmen in die Höhe trieb. Abgesehen davon war das heute unter Denkmalschutz stehende Funkhaus mit seinen zahlreichen Beispielen für die Kunst am Bau der frühen 1950er Jahre, zum Beispiel dem Monumentalfenster von Georg Meistermann (1911-1990) im Haupttreppenhaus, sowohl architektonisches Beispiel für Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit als auch Symbol für das Selbstbewusstsein des „Nebensenders“.
3. Personalpolitik
Im Herbst 1945 begann der Sendebetrieb in der Dagobertstraße mit nur circa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, während zu Anfang der 1930er Jahre noch circa 300 Personen auf der Gehaltsliste gestanden hatten. Eine vordringliche Aufgabe beim Aufbau des Programms war daher die Suche nach geeignetem Personal, und dies bedeutete in erster Linie nach politisch unvorbelasteten Personen. Eine besondere Rolle spielte dabei der britische Kontrolloffizier beim NWDR Hamburg, Alexander Maass (1902-1971). Der in Essen geborene Kommunist war 1933 emigriert und 1945 als Remigrant nach Hamburg zurückgekehrt. Als Ex-Schauspieler und Sprecher beim Westdeutschen Rundfunk vor der Zäsur im Jahre 1933 kannte er den Kölner Sender aus eigener Erfahrung. Auf seine Empfehlung hin wurden ehemalige Kollegen wie die frühere Kinderfunkleiterin Els Vordemberge (1902-1999), der Komponist und Musikabteilungsleiter Hans Ebert (1889-1952) oder Franz-Peter Brückner (1905-1952), Chefredakteur der Rundfunkzeitschrift „Die Werag“, wieder eingestellt – oder eben nicht, wie zum Beispiel die ehemaligen Literaturredakteure Martin Rockenbach (1898-1948) und Willi Schäferdiek (1903-1993), der Sprecher und Entertainer Rudi Rauher (1901-1958) oder der beliebte Sänger Willy Schneider. Als Emigrant und Mitglied der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg war Maass nicht willens, denen Pardon zu gewähren, die sich als – wenn auch „unpolitische“ - Nutznießer im NS-System eingerichtet hatten.
Auch Max Burghardt (1893-1977) und Hanns Hartmann verdankten ihre Berufung zum Intendanten des NWDR Köln den Kontakten zu Alexander Maass. Dessen Pläne, seinen früheren Chef, den von 1926 bis 1933 amtierenden WERAG-Intendanten Ernst Hardt als ersten deutschen Generaldirektor an den NWDR Hamburg zu lancieren, scheiterten jedoch an Hardts prekärem Gesundheitszustand. Als politisch verlässlich galten auch junge Männer, die ihr Handwerkszeug als Journalisten in britischen Kriegsgefangenenlagern und/oder bei der BBC gelernt hatten wie Karl-Eduard von Schnitzler (1918-2001), Wilhelm Semmelroth und Werner Honig (1922-2006) beziehungsweise Absolventen der „NWDR-Rundfunkschule“ in Hamburg, die nach BBC-Modell gegründet worden war und aus der so bedeutende Journalistinnen und Journalisten hervorgingen wie Gerd Ruge (geboren 1928), Walter Erasmy (1924-1993), Julia (Dingwort-) Nusseck (geboren 1921) oder Hilde Stallmach (1923-2011).
Insgesamt ist in der Personalpolitik der Briten bis Anfang 1947, ganz im Gegensatz zu der der Amerikaner, eine gewisse Duldsamkeit auch gegenüber kommunistischen Mitarbeitern festzustellen. Abgesehen vom Intendanten Max Burghardt waren es drei Redakteure im politischen Programm, Karl-Eduard von Schnitzler, Karl-Georg Egel (1919-1995) und Karl Gass (1917-2009), die sich offen zum Kommunismus bekannten. Diese Phase der Personalpolitik endete jedoch bereits 1947 im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges. Sowohl Burghardt als auch Schnitzler, Gass und Egel zogen ihre Konsequenzen und gingen in die Sowjetische Besatzungszone.
Der erste Kölner Nachkriegsintendant Max Burghardt war am 27.11.1893 in Wickendorf bei Schwerin geboren worden und in Berlin aufgewachsen. Nach einer abgebrochenen Schul- und Berufsausbildung volontierte er 1918/19 am Stadttheater in Bremen und spielte an diversen Bühnen in der Provinz, unter anderem in Münster, wo er den ebenfalls dort engagierten Alexander Maass kennenlernte. Im Jahre 1930 trat Burghardt in die KPD ein. 1933 versteckte er Maass bei dessen Flucht ins Ausland vor der Gestapo. Am 5.12.1935 wurde Burghardt selbst verhaftet. Es folgten eine vierwöchige „Schutzhaft“ und die Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Nach seiner Haftentlassung kehrte Burghardt nach Bremen zurück und engagierte sich nach Kriegsende erneut für die KPD. Als designierter Intendant des NWDR Köln erhielt er eine kurze Einarbeitung am Hamburger Sender, ehe er am 2./3.5.1946 in Köln die Geschäfte aufnahm. In seiner nur zehn Monate währenden Amtszeit gelang es Burghardt jedoch, „die Nebenstelle Köln entscheidend zu profilieren“ (H.-U. Wagner) und den Organisationsaufbau voranzutreiben. Bereits im Februar 1947 legte Burghardt sein Amt nieder, nachdem man ihm dieses seitens der Britischen Militärbehörde nahegelegt hatte. In der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR machte er Karriere als Generalintendant der Städtischen Bühnen in Leipzig, Intendant an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und als Präsident des Kulturbundes der DDR. Er starb am 22.1.1977 hochdekoriert in Ost-Berlin.
Nachfolger Burghardts in Köln wurde Hanns Hartmann, geboren am 22.4.1901 in Essen als Sohn eines Schlossers. Hartmann hatte die Oberrealschule bis zur Obersekunda besucht und im Anschluss daran eine Kaufmännische Lehre in der Schwerindustrie absolviertt. Da sein Herz jedoch für das Theater schlug, volontierte er am Städtischen Theater Essen und war von 1921-1923 Mitglied des dortigen Schauspielensembles. In der Spielzeit 1923/24 war Hartmann am Stadttheater Münster engagiert. 1925 begann seine Karriere in der Kulturverwaltung, zunächst am Stadttheater Hagen und ab 1930 als Generalintendant am Städtischen Theater in Chemnitz. Am 30.6.1933 wurde er von den Nationalsozialisten entlassen – wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ und weil er sich weigerte, sich von seiner jüdischen Frau, der Opernsängerin Ottilie Schwartzkopf (1885-1966), zu trennen. Das „Dritte Reich“ überstand Hartmann dank seiner exzellenten kaufmännischen Fähigkeiten in der Privatwirtschaft, unter anderem als Geschäftsführer des Musikverlages Meisel & Co in Berlin. Von Oktober 1945 bis Oktober 1946, bis zur Flucht in den Westen, war Hartmann Intendant des Berliner Metropoltheaters und amtierte zeitgleich als Präsident der Entnazifizierungskommission der Kunstschaffenden in Berlin. Beim NWDR in Hamburg erhielt er zunächst den Posten des Stellvertretenden Leiters der Rundfunkschule, am 1.9.1947 trat er das Amt des Intendanten in Köln an – er sollte es bis Ende 1960 innehaben.
Hartmann setzte sich zielstrebig für die Profilierung und die Eigenständigkeit des NWDR Köln ein. Der bekennende Opern- und Schalke 04-Fan vereinigte in sich das Interesse an politischen und kulturellen Belangen, die Kunst der Wirtschaftsführung und den Riecher für große Talente, unter anderem im Falle Werner Höfers (1913-1997), dem Hartmann trotz dessen seinerzeit schon bekannten Tätigkeit als Journalist im NS-Staat Kredit gab. Hartmann starb am 5.4.1972 in Mindelheim in Bayern.
4. Organisationsaufbau, Studios, Redaktionen und Programm
Nach nur punktuell überlieferten Quellen zu urteilen, existierten im Jahre 1946 – abgesehen von Technik, Intendanz und Verwaltung - die folgenden Programm-Abteilungen:
Aktuelles Wort (Leitung: Bernhard Ernst) mit Nachrichten, Landfunk, Sport, Heimatsendungen und Gottesdiensten
Politisches Wort (Leitung: Karl-Eduard von Schnitzler)
Künstlerisches Wort (Leitung: Karl Petry, ab 1946 Egon Wassenberg) mit den Ressorts Hörspiel, Frauenfunk, Kinderfunk und Mundartsendungen
Musik (Leitung: Herbert Eimert) mit den Ressorts Sinfonie und Oper, Kammermusik, Chormusik, Geistliche Musik, Volksmusik, U-Musik, Tanzmusik, Operette sowie den Tonmeistern und dem Schallarchiv.
Der nächste Schnitt von 1953 zeigt die folgende Gliederung des Programms:
Hauptabteilung (HA) Musik (Leitung: Edmund Nick)
HA Politik (Leitung: Walter Steigner)
Reportageabteilung (Leitung: Bernhard Ernst)
Kulturelles Wort (Leitung: Friedel Hömke)
Nachtprogramm (Leitung: Carl Linfert)
Hörspiel (Leitung: Wilhelm Semmelroth)
Schulfunk (Leitung: Marga Begiebing)
Erster Leiter des Politik-Ressorts wurde Karl-Eduard von Schnitzler. Dessen Nachfolger wurde Walter Steigner (1912-1983), der spätere Intendant von SFB und Deutscher Welle (DW), der von 1947 bis 1955 das Ressort Politik leitete. In dieser Funktion war er auch in Personalunion für das neue Studio in Bonn zuständig. Der Studiobau wurde im Juli 1949 begonnen und konnte im September 1949 in Betrieb genommen werden. Studio Bonn produzierte die Sendereihe „Bericht aus Bonn“, lieferte Beiträge zur Bundespolitik und übertrug ab 1949 auch Plenardebatten.
Zum 1.9.1949 übernahm Peter Funk (geboren 1902) in Düsseldorf die Geschäfte als Studioleiter. Die Stadt hatte 1948/49 drei Räume zur Verfügung gestellt. Peter von Zahn (1913-2001) kommentierte seit 1948 in der Sendereihe „Zwischen Rhein und Ruhr“ wirtschaftspolitische Themen, die häufig für Diskussionen in den Gremien sorgten, bevor er als erster Amerika-Korrespondent des NWDR nach Washington ging.
Mit den britischen Kontrolloffizieren kam die Vorstellung von einem angelsächsischen Journalismus demokratischer Prägung. Ein wichtiges Merkmal war dabei die klare Trennung von Nachricht und Kommentar, die sich auch in der organisatorischen Trennung der beiden Bereiche niederschlug. Nachrichten sollten wertungsfreie Informationen über das Tagesgeschehen bieten, während das „Politische Wort“ Analysen, Hintergrundberichte, Diskussionen und eben auch Kommentare beisteuerte wie in der Sendereihe „Zum Tage“ im Anschluss an die Hauptnachrichtensendung am Abend, die zur freien Meinungsbildung beitragen sollten. Gerade an den Kommentaren entzündeten sich in der jungen Demokratie heftige Kontroversen. Die Nachrichten wurden bis 1948 von den britischen Kontrolloffizieren verfasst, die Gesamtleitung lag dabei in Hamburg. Köln lieferte regionale Nachrichten zu und erhielt erst 1950 einen eigenen Nachrichtendienst.
Im Politikbereich etablierte sich darüber hinaus eine partielle Arbeitsteilung nach Themen, wobei Köln über Westdeutschland, Westeuropa und (mit Studio Bonn) auch über die Bundespolitik berichtete und mit wirtschaftspolitischen Themen Akzente setzte, während Hamburg für die Außenpolitik zuständig war. Ab 1950 liefen in Hamburg auch die Fäden für die Berichte der Auslandskorrespondenten zusammen. Es waren in den Anfangsjahren freie Mitarbeiter, die zunächst aus London, Paris, Rom und Stockholm und ab 1952 auch aus New York und Istanbul berichteten.
Neu waren nun auch Diskussionsforen. Nicht nur Politiker aller Parteien kamen zu Wort, sondern auch Hörerinnen und Hörer selbst wie in dem erfolgreichen Format „Der Hörer hat das Wort“. Die Sendereihe wurde erstmals am 1.1.1947 vom NWDR Hamburg ausgestrahlt wurde und fiel mit dem Wechsel des Redakteurs Hans Otto Wesemann (1903-1976) nach Köln ab dem 29.5.1949 ganz in die Zuständigkeit Kölns. Unterstützt wurde Wesemann von der Redakteurin Hilde Stallmach (1923-2011). In der Sendung wurde eine Auswahl aus Briefen vorgelesen, die Hörerinnen und Hörer zu einem breiten Spektrum der in der Sendung diskutierten politischen oder gesellschaftlichen Themen an den NWDR schrieben und die einen Teil des öffentlichen Diskurses spiegelten. Einübung in die Demokratie bedeutete auch, dass Wesemann das ganze Meinungsspektrum präsentierte, auch wenn es ihm persönlich nicht behagte wie im Fall der Diskussion, ob es einen neuen Antisemitismus in Deutschland gebe. Zur Diskussionssendung „Umstrittene Sachen“, die live ausgestrahlt wurde, lud der NWDR ab dem 26.10.1954 ins neue Funkhaus am Wallrafplatz ein. Zu einem „Dauerbrenner“ in der deutschen Medienlandschaft entwickelte sich die Sendereihe „Internationaler Frühschoppen“, zu dem Werner Höfer ab dem 6.1.1952 in Bonn akkreditierte ausländische Journalistinnen und Journalisten einlud, um innen- und außenpolitische Themen zu beleuchten.
Dem Gebot der Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Objektivität und Seriosität trug nicht zuletzt ein neuer „Sound“ Rechnung, der mit den Kontrolloffizieren in den Sprechhabitus einzog und der sich vom Pathos und Verlautbarungsjournalismus des „Dritten Reiches“ distanzierte.
In der Sparte „Sport“ war die Berichterstattung zunächst aufgrund der mangelhaften technischen Übertragungsmöglichkeiten nur aus einem engeren Umfeld der Funkhäuser und noch nicht aus der Region realisierbar. Dies änderte sich im Laufe des Jahres 1946 und führte zur Entwicklung fester Sendeplätze, vornehmlich am Wochenende. Arbeitsteilig wurde beim NWDR verfahren, wenn Hamburg vom Galoppderby berichtete oder Bernhard Ernst vom Nürburgring. Im Jahre 1950 übernahm Herbert Zimmermann (1917-1966) die Leitung der Sportabteilung in Hamburg, in Köln war es Willi Busse (geb. 1898), der unter anderem von Kurt Brumme und Werner Labriga (1917-1988) unterstützt wurde.
Von Sportveranstaltungen wurden bis in die 1950er Jahre hinein nur wenige Minuten übertragen. Aufgrund der begrenzten Sendekapazität galt dies selbst für wichtige Fußballspiele. Dies änderte sich erst mit dem Triumpf der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Nach einer kurzfristigen Programmumstellung wurde das Endspiel am 4.7.1954 jetzt live und zur Gänze aus Bern übertragen. Dies galt sowohl für das Fernsehen als auch für den Hörfunk, für den Herbert Zimmermann berichtete. Die Tonspur der von Bernhard Ernst kommentierten Fernsehübertragung ist nicht erhalten, so dass die Fernsehbilder heute für gewöhnlich mit der Kommentierung Herbert Zimmermanns für den Hörfunk unterlegt werden.
Im Bereich „Kulturelles Wort“ lag das Augenmerk der Briten von Anfang an auf drei gesellschaftlichen Gruppen, denen im Rahmen der Demokratisierung eine besondere Rolle zugedacht war: Kindern und Jugendlichen, Frauen und Kirchen. Der NWDR reagierte folglich mit einer erneuten Spezialisierung auf Zielgruppensendungen, die während der Reichssenderzeit abgeschafft worden waren.
Ganz oben auf der Agenda stand dabei der Schulfunk. Bis 12.11.1945, dem Beginn der Schulfunksendungen des NWDR, wurden diese über den deutschsprachigen Dienst der BBC ausgestrahlt. Der NWDR-Schulfunk entwickelte sich sodann in enger Abstimmung zwischen der Militärbehörde, den deutschen Schulbehörden und der Schulfunkredaktion. Die Bedeutung des Schulfunks für die Vermittlung demokratisch-humanistischer Werte, Informationen zur Funktionsweise einer Parlamentarischen Demokratie, den Rechten und Pflichten der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie die Einübung einer demokratischen Diskussionskultur können in Anbetracht des nach Kriegsende herrschenden Mangels an modernen Lehrmitteln nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Schulfunk richtete sich auch an die jungen Erwachsenen, deren Bildungskarrieren durch den Krieg gebrochen waren.
Ausgestrahlt wurden die Sendungen, die für alle Schultypen gleichermaßen produziert wurden, am Vormittag von montags bis samstags; sie wurden zu einem hohen Grad im Unterricht eingesetzt und durch eine Reihe an Begleitmaterialien für das Lehrpersonal ergänzt. Wiederholt wurden die Sendungen am Nachmittag und erfreuten sich auch abseits der eigentlichen Zielgruppe großer Beliebtheit. Das Kölner Schulfunkprogramm wurde unter der Redaktion der promovierten Philologin Marga (Nestel-) Begiebing (geboren 1915) am 25.8.1947 eröffnet.
In Anbetracht der Rolle, die Frauen für den Wiederaufbau oder als (allein)erziehende Mütter in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielten, sollte auch diese Zielgruppe für die Demokratisierung Deutschlands gewonnen werden. Eine vollständige politische oder gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau schwebte allerdings weder den Briten noch der Adenauer-Regierung vor. Im Großen und Ganzen war der NWDR-Frauenfunk, dem Stand der damaligen Emanzipation entsprechend, eher konservativ bis gemäßigt-fortschrittlich. Während sich der Frauenfunk in den Anfangsjahren – auf traditionell vormittäglichen Sendeplätzen – darum bemühte, praktische Hilfestellung zur Bewältigung des Alltags in der Mangelgesellschaft zu geben - es ging um Fragen der Ernährung, Bekleidung, Hygiene und natürlich der Kindererziehung -, konnte sich der Frauenfunk ab der Wende zu den 1950er Jahren mit zusätzlicher Sendezeit am Nachmittag nun auch an berufstätige Frauen richten und zum Beispiel Mode- oder Partnerschaftsfragen thematisieren. Insofern erweiterte sich das Spektrum allmählich hin zu einem Familienfunk. Exponierte sich die Kölner Frauenfunkleiterin Dr. Friedel Hömke (1906-1996) indes allzu emanzipatorisch, hagelte es Kritik, unter anderem auch vom „Bund deutscher Frauenkultur“.
Weitgehender Kirchenkritik enthielt sich auch der NWDR-Kirchenfunk. Hier war man nach dem Krieg zunächst bemüht, den status quo ante wiederherzustellen, und zwar in der Form, wie sie sich bereits im Weimarer Rundfunk herauskristallisiert hatte. Für personelle Kontinuität sorgte in Köln der Beauftragte der Katholischen Kirche, Prälat Bernhard Marschall (1888-1963), das das Amt bereits in der Weimarer Republik bis 1933 bei der WERAG innegehabt hatte. Am 12.3.1948 wurde er zudem Stellvertretender Vorsitzender des Hauptausschusses des NWDR. Er gehörte dem Gremium bis 1955 an.
Nachdem die Nationalsozialisten den Kirchenfunk im April 1939 eingestellt hatten, begann der Sendetag bei „Radio Hamburg“ seit Juni 1945 mit einer Morgenandacht. Die erste Übertragung eines Gottesdienstes ging von Hamburg aus am 18.11.1945 in den Äther, der NWDR Köln folgte am 6.1.1946. Im Kirchenfunk ist zwischen den sogenannten „Verkündigungssendungen“ und denen mit allgemein-religiöser Thematik zu unterscheiden. Übertragungen liturgischer Feiern fielen in den Zuständigkeitsbereich der Kirchlichen Beauftragten der Katholischen und Evangelischen Kirche, während die Rundfunkanstalten in diesem Bereich lediglich für die technische Abwicklung zuständig waren. Nach der konfessionellen Verteilung im Sendegebiet verfuhr der NWDR auch hier arbeitsteilig: Hamburg zeichnete für zwei Drittel der evangelischen Sendungen zuständig, Köln für zwei Drittel der katholischen. Außerdem gab es je einen freikirchlichen Gottesdienst pro Quartal. Mit der Einführung des 2. Programms konnte Köln zudem regelmäßige Samstagabendsendungen ausstrahlen wie zum Beispiel die Sendereihe „Zum Abend“. Bis in die 1950er Jahre hinein hatten die kirchlichen Beauftragten auch ein Vetorecht in Bezug auf Sendungen allgemein-religiösen Inhalts, die vom Kirchenfunk produziert wurden wie zum Beispiel Nachrichten, Hörfolgen oder Hörspiele.
Federführend im Bereich „Hörspiel“ war der Schauspieler und Regisseur Wilhelm Semmelroth, der sein Handwerkszeug ab Mai 1945 beim deutschsprachigen Dienst der BBC gelernt hatte und im Mai 1946 nach Köln kam, um dort „Spielleiter“ im Hörspiel zu werden. Hörspiele wurden bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblich in Hamburg produziert, ab 1947 dann in vierzehntäglichem Wechsel mit Köln. Semmelroth inszenierte auf der NWDR-Mittelwelle vor allem deutsche Klassiker, aber auch zeitgenössische französische und angloamerikanische Autoren, die im „Dritten Reich“ nicht auf den Spielplänen gestanden hatten. Im April 1947 wurde Semmelroth Leiter einer eigenen Hörspielabteilung, im Jahre 1949 wurde er zudem zum „Chefdramaturgen“ befördert.
Mit der Einführung der Ultrakurzwelle eröffneten sich neue Perspektiven auch für das Hörspiel. Während Semmelroth auf der Mittelwelle weiterhin Hörspieladaptionen von Klassikern zur Sendung brachte, konnte er auf UKW nun Kurzhörspiele inszenieren, aber auch solche in rheinischer und westfälischer Mundart, die auf der Mittelwelle kaum eine Chance gehabt hätten. Zu regelrechten „Straßenfegern“ entwickelten sich die überaus beliebten Kriminalhörspiele, zum Beispiel die legendäre Hörspielfolge „Paul Temple“ mit René Deltgen (1909-1979) in der Hauptrolle nach der Vorlage von Francis Durbridge (1912-1998).
Semmelroth arbeitete jedoch nicht nur für den Hörfunk, sondern war in den folgenden Jahren auch als Bühnenregisseur und in den 1960er und 1970er Jahren auch als Regisseur von Fernsehspielen aktiv.
Das Musikprogramm der Nachkriegszeit war von zwei Grundsätzen geprägt: Die politische Musik des Nationalsozialismus wurde eliminiert, während nun auch wieder die in der NS-Zeit verfemten Komponisten, Musikgattungen und Solisten oder Ensembles im Radio gehört werden konnten. Idealtypisch hierfür steht die Übertragung des Violinkonzertes von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) am 29.7.1945 mit Yehudi Menuhin (1916-1999). Insgesamt betrug der Anteil an Musikproduktionen, die nun auch „internationaler“ wurden, im Jahre 1953 51,8 Prozent auf der Mittelwelle und 74,5 Prozent auf UKW.
Das Kölner Musikprogramm begann im Herbst 1945 vornehmlich mit Schallplattensendungen und Übernahmen aus Hamburg. Erst im November 1945 gelang die Übertragung eines Konzertes aus der Aula der Universität. Der NWDR Köln verfügte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder über eigene Klangkörper, da diese im Zuge der Stilllegung des Reichssenders Köln Anfang der 1940er Jahre aufgelöst und die Musiker auf die Orchester anderer Reichssender verteilt worden waren. Das einst umfangreiche Notenarchiv war im Zuge dieser Maßnahme an die Produktionsstätte des Großdeutschen Rundfunks in St. Florian bei Linz/Donau übergegangen. Eine besondere Bedeutung kam deshalb nach dem Krieg dem Wiederaufbau der Klangkörper zu.
Besondere Akzente vermochte der NWDR Köln in der Alten Musik mit der Sendereihe „Von alter Musik“ (ab dem 21.5.1951) und den Konzerten der „Cappella Coloniensis“ zu setzen.
Internationales Ansehen erwarb Köln auch in Bezug auf die Neue Musik und die Elektronische Musik. Ab Februar 1951 stand die Sendereihe „Neue Musik“ mit Studiokonzerten des Kölner Rundfunksinfonieorchesters auf dem Programm, in der Saison 1954/55 startete der Konzertzyklus „Musik der Zeit“. Als Förderer Neuer Musik machte sich der NWDR durch eine Reihe von Kompositionsaufträgen verdient, die unter anderem an Boris Blacher (1903-1975), Giselher Klebe (1925-2009), Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) oder Hans Werner Henze (1926-2013) vergeben wurden, dessen Funkoper „Ein Landarzt“ am 10.11.1951 zu hören war. Hervorzuheben ist in diesem Kontext die Vorreiterrolle, die der NWDR Köln auf dem Gebiet der Elektronischen Musik spielte.
In der Sparte „Musikalische Unterhaltung“ wurden weiterhin „Bunte Abende“ oder „Bunte Nachmittage“ ausgestrahlt, die sich schon in der Weimarer Republik und der NS-Zeit großer Beliebtheit erfreut hatten. Formate, an deren Unterhaltungsniveau sowohl die britischen Kontrolloffiziere als auch Ernst Hardt in seiner Eigenschaft als Programmbeobachter für den NWDR häufig Kritik übten. Anfang 1949 kam es zum Versuch der Wiederbelebung der in der NS-Zeit äußerst erfolgreichen Sendereihe „Der frohe Samstagnachmittag“, der wiederum als Live-Veranstaltung aus diversen Orten des Sendegebietes gegeben wurde. Dabei setzte sich die Sendung aus Conférencen und Musiktiteln im Stile eines Wunschkonzertes zusammen. Neu war nun die Verbindung des „Frohen Samstagnachmittags“ mit einer Lotterie.
Neu waren auch die aus dem amerikanischen Raum stammenden Quizsendungen und Ratespiele, die nun zu beliebten Formaten avancierten. Die wohl bekannteste Sendereihe war „Das ideale Brautpaar“, erstmals ausgestrahlt im November 1951, moderiert von Jacques Königstein (1897-1971). Es handelte sich dabei um öffentliche Veranstaltungen mit einem musikalischen Potpourri und Quizeinlagen. Im Mittelpunkt standen dabei jeweils vier Brautpaare, die getrennt voneinander je vier Fragen beantworten mussten, die für Heiterkeit sorgten, ohne ins Voyeuristische abzugleiten.
Das unterhaltende Genre war nun auch das Vehikel für den Aufstieg einer neuen Generation von Show- und Quizmastern oder Entertainern, wie etwa Heinz Erhardt (1909-1979), Hans Joachim Kulenkampff (1921-1988) mit der Sendereihe „Der bunte Nachmittag“ oder Peter Frankenfeld (1913-1979) in der erstmals am 7.11.1953 ausgestrahlten Sendereihe „Wer zuletzt lacht...“. In Hamburg erlebte der in der NS-Zeit verfolgte Kabarettist Werner Finck (1902-1978) ein Comeback, in Köln war es – bis sie 1948 ihre Zusammenarbeit mit dem Sender einstellte – die Schriftstellerin Irmgard Keun.
Selbst produzierte gehobene und leichte Unterhaltungsmusik war in Sendereihen wie „Musik am Mittag“, „Musik für Frühaufsteher“ oder ab 1952 auch in der Sendereihe „Musik bis morgen früh“ am Wochenende zu hören. Hier herrschte ein buntes Potpourri aus in- und ausländischen Schlagern, Evergreens, Swing und Operettentiteln vor. Am 4.5.1947 wurde das „Hamburger Hafenkonzert“ wiederaufgenommen, am 11.5.1952 folgte die Erstsendung des „Duisburger Hafenkonzertes“.
Junge Hörerinnen und Hörer wurden gezielt durch den „Platten-Jockey“ Chris Howland (1928-2013) angesprochen, einem jungen Moderator bei dem Soldatensender BFN (British Forces Network), der die neuesten Titel aus Rock’n Roll und Pop präsentierte. Seine Moderationen in gebrochenem Deutsch waren nach damaligen Hörgewohnheiten betont locker und unkonventionell und brachten auch in dieser Sparte einen neuen „Sound“ ins Radio. Nach seinem Wechsel nach Köln moderierte „Mister Pumpernickel“ ab dem 28.4.1954 die Sendereihe „Spielereien mit Schallplatten“.
Am 26.4.1948 startete die Sendereihe „Jazz Almanach“ mit Dietrich Schulz-Köhn (1912-1999). Originärer Jazz, vor allem in der „hot“-Variante, war nach Kriegsende für das Publikum im Großen und Ganzen nach dem Jazz-Verbot der Nationalsozialisten von 1935 gewöhnungsbedürftig. Fans des Minderheitenprogramms wurden daher auch eher im Programm der Soldatensender BFN und AFN (American Forces Network) fündig.
Geleitet wurde die Abteilung „Musikalische Unterhaltung“ in Köln von 1948 bis 1950 von dem renommierten Schlagertexter Kurt Feltz (1910-1982). Sein Name ist heute in erster Hinsicht mit einem Skandal verbunden, der 1949 durch Anschuldigungen der Presse ans Licht kam. So wurde Feltz vorgeworfen, besonders häufig eigene Titel zu spielen, um dadurch zusätzliche Tantiemen zu kassieren. Die juristische Auseinandersetzung zog sich bis 1959 hin, das Verfahren wurde letztlich eingestellt. Der NWDR zog jedoch 1950 die Konsequenzen: So durfte jeder Komponist oder Textdichter auf MW und UKW mit maximal 30 Titeln pro Monat vertreten sein. Als offenkundig wurde, dass Feltz jedoch mit bis zu 15 Pseudonymen operiert hatte, ließ die GEMA fortan nur noch ein Pseudonym pro Urheber zu.
5. Beginn des Fernsehens
In die Ära des NWDR fällt auch der Beginn des bundesdeutschen Fernsehens, das sich im Laufe der 1960er Jahre zum deutschen Leitmedium entwickelte. Am 25.9.1950 war ein Fernsehsender beim NWDR in einem Hochbunker in Hamburg-Lokstedt zu Versuchssendungen in Betrieb genommen worden. Die erste bundesdeutsche Fernsehübertragung fand dann am 25.12.1952 durch den NWDR statt, am 1.1.1953 startete die Fernsehbrücke Hamburg-Köln. 1953-55 betrug die Zulieferungsquote von Köln für das NWDR-Fernsehprogramm 37 Prozent. Es wurde in verschiedenen, über die Stadt verstreuten Provisorien produziert, da ein eigens als solches konzipiertes Fernsehstudio erst am 19.1.1955 im Erweiterungsbau des Funkhauses am Margarethenkloster in Betrieb genommen werden konnte. Der Neubau, wiederum nach Plänen von Peter Friedrich Schneider, wurde im August 1953 begonnen. Freilich war zu diesem Zeitpunkt die stürmische Entwicklung des neuen Mediums noch nicht abzusehen, und der Kölner Intendant Hanns Hartmann stand ihm reserviert bis ablehnend gegenüber. Doch schon nach wenigen Jahren wurde ein erneuter Erweiterungsbau für Fernsehstudios an der Rechtschule notwendig, der sich vis-à-vis vom heutigen Museum für Angewandte Kunst an das Funkhaus Wallrafplatz anschließt. Baubeginn war der 2.2.1959, am 27.5.1966 wurde das neue Haus eingeweiht.
Literatur
Danilenko Leo, Die Technik, in: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, hg. v. Petra Witting-Nöthen, Köln 2006, S. 271-283.
Nordwestdeutscher Rundfunk (Hg.), NWDR. Ein Rückblick <1956>.
Rüden, Peter von/Wagner, Hans-Ulrich (Hg.), Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks, Band 1, Hamburg 2005.
Wagner, Hans-Ulrich (Hg.), Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks, Band 2, Hamburg 2008.
Wagner, Hans-Ulrich (Hg.). Von der Nebenstelle zur eigenständigen Rundfunkanstalt, Ein eigenes Profil gewinnen, Ein neues Medium meldet sich, in: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, hg. v. Petra Witting-Nöthen, Köln 2006, S. 169-269.
Witting-Nöthen, Petra, Der Nordwestdeutsche Rundfunk in Köln 1945/46, in: Geschichte im Westen 10 (1995), S. 29-37.
Zahn, Robert von, Reset or Reeducation: Musikalischer Wiederbeginn, in: Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 1: Die Vorläufer 1924-1955, hg. v. Petra Witting-Nöthen, Köln 2006, S. 230-251.
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Bernard, Birgit, Der Nordwestdeutsche Rundfunk Köln (NWDR) 1945-1955, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-nordwestdeutsche-rundfunk-koeln-nwdr-1945-1955/DE-2086/lido/5e5d0d1173b478.07238196 (abgerufen am 15.10.2024)