Klostersturm im Rheinland 1940–1942

Annette Mertens (Bonn)

Vertreibung der Steyler Patres aus dem Missionshaus St. Augustin, 4.8.1941. (Steyler Missionare, Missionshaus St. Augustin)

1. Einleitung

Mehr als 300 ka­tho­li­sche Klös­ter und an­de­re kirch­li­che Ein­rich­tun­gen wur­den in den Jah­ren 1940 bis 1942 von der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gie­rung be­schlag­nahmt und ent­eig­net. Die Be­woh­ner wur­den zu­meist ver­trie­ben, der Klos­ter­be­trieb muss­te ein­ge­stellt wer­den. Die­ser Raub­zug des NS-Re­gimes, den die Be­trof­fe­nen selbst als „Klos­ter­sturm" be­zeich­ne­ten, bil­de­te ei­nen Hö­he­punkt der Kir­chen­ver­fol­gung durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Be­son­ders stark be­trof­fen war das Rhein­land: Al­lein im Erz­bis­tum Köln fie­len 20 Klös­ter und ähn­li­che Ein­rich­tun­gen dem Klos­ter­sturm zum Op­fer.

2. Die katholischen Klöster im Feindbild der Nationalsozialisten

Die ka­tho­li­sche Kir­che stell­te für die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ei­ne Geg­ne­rin dar, die es zu be­kämp­fen galt. Der christ­li­che Glau­be wi­der­sprach der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung, und die Kir­che üb­te durch ih­re zahl­rei­chen Kin­der­gär­ten und Schu­len, Ver­ei­ne und Ver­bän­de ei­nen so star­ken ge­sell­schaft­li­chen Ein­fluss aus, dass sie der Re­gie­rung ein Dorn im Au­ge sein muss­te.

In die­sem Feind­bild von der ka­tho­li­schen Kir­che spiel­ten die Or­dens­ge­mein­schaf­ten ei­ne be­son­de­re Rol­le: An kaum ei­nen Ort konn­te die NS-Welt­an­schau­ung so schwer vor­drin­gen wie hin­ter di­cke Klos­ter­mau­ern. Al­les, was die ka­tho­li­sche Leh­re aus­mach­te, schien in den Klös­tern be­son­ders stark aus­ge­prägt zu sein. Sie gal­ten den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten des­halb als der „Le­bens­nerv der ka­tho­li­schen Kir­che". „Wer die Klös­ter an­greift, greift im­mer auch die Ge­samt­kir­che an, hei­ßt es in ei­ner Aus­ar­bei­tung der SS aus dem Jahr 1935".

Da­bei spiel­ten jahr­hun­der­te­al­te or­dens­feind­li­che Kli­schees ei­ne Rol­le: Völ­le­rei, se­xu­el­le Aus­schwei­fun­gen und das An­häu­fen im­men­ser Reich­tü­mer hin­ter der Fas­sa­de der Ar­mut ge­hör­ten zu den tra­di­tio­nel­len Vor­wür­fen, de­rer sich auch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten gern be­dien­ten. Zu­dem galt die zö­li­batä­re (ehe­lo­se) Le­bens­wei­se als un­deutsch, da sie die Or­dens­leu­te zu „bio­lo­gi­schen Blind­gän­gern" ma­che. Den kon­tem­pla­tiv (be­schau­lich) le­ben­den Or­dens­ge­mein­schaf­ten wur­de vor­ge­wor­fen, dass sie „nur be­ten und nichts ar­bei­ten". Noch ge­fähr­li­cher schie­nen dem NS-Re­gime je­doch je­ne Or­den, die durch Un­ter­richt, Ex­er­zi­ti­en und Pre­dig­ten öf­fent­lich tä­tig wa­ren und da­durch die Mög­lich­keit zu re­gie­rungs­feind­li­cher Pro­pa­gan­da hat­ten. Aus die­sem Grund ge­hör­te die Be­kämp­fung der Or­den, die als „bes­te und ge­fähr­lichs­te Kampf­trup­pe" und als der „mi­li­tan­te Arm der ka­tho­li­schen Kir­che" gal­ten, von An­fang an zu den zen­tra­len Zie­len der NS-Kir­chen­po­li­tik.

2.1 Hass und Faszination

Doch die Or­den lös­ten bei den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten nicht nur Hass, son­dern zu­gleich auch ei­ne star­ke Fas­zi­na­ti­on aus: So ori­en­tier­te sich nicht zu­letzt die SS in ih­rem Auf­bau am Vor­bild des Je­sui­ten­or­dens, und NS-Eli­te­schu­len wur­den als „Or­dens­schu­len" be­zeich­net. Das Bild, das sich die Re­gie­rungs­stel­len von den Or­den zeich­ne­ten, war al­so ein zwie­späl­ti­ges, und eben­so zwie­späl­tig war die Be­trach­tungs­wei­se der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten: Ei­ner­seits in­ves­tier­ten die Über­wa­chungs­or­ga­ne wie der SD (Si­cher­heits­dienst) viel Zeit und En­er­gie in die sorg­fäl­ti­ge Be­ob­ach­tung des Or­dens­we­sens und er­stell­ten de­tail­lier­te Be­rich­te; an­de­rer­seits wur­den Kli­schees und Vor­ur­tei­le ge­pflegt und im­mer wei­ter ver­brei­tet.

2.2 Erste Verfolgungsmaßnahmen

Schon in den ers­ten Jah­ren ih­rer Herr­schaft mach­te die NS-Re­gie­rung ver­schie­de­ne An­sät­ze, um das Or­dens­we­sen zu be­kämp­fen. Ein mög­li­cher An­satz­punkt wur­de da­bei in wirt­schaft­li­chen Maß­nah­men ge­se­hen. Schon 1934 mach­te das Schatz­amt der NS­DAP den ers­ten Ver­such, sich ei­nen Über­blick über die tat­säch­li­chen wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se der Klös­ter zu ver­schaf­fen. Die Auf­stel­lung blieb al­ler­dings bruch­stück­haft, und zur Um­set­zung der Er­geb­nis­se in po­li­ti­sche Maß­nah­men kam es vor­erst nicht.

2.3 Devisenprozesse

Statt­des­sen wur­de ab Mit­te der 1930er Jah­re ei­ne an­de­re Stra­te­gie ver­folgt, um die Or­den zu be­kämp­fen: Durch Dif­fa­mie­rung soll­te ihr An­se­hen in der ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung ge­schä­digt wer­den. Die­sem Zweck dien­ten die De­vi­sen- und Sitt­lich­keits­pro­zes­se.

1935 wur­den meh­re­re Or­dens­leu­te an der deutsch-nie­der­län­di­schen Gren­ze des De­vi­sen­schmug­gels über­führt, der ge­gen die ver­schärf­te De­vi­sen­ge­setz­ge­bung des „Drit­ten Rei­ches" ver­stieß. Die Ent­de­ckung lie­fer­te den An­lass für ei­ne gan­ze Wel­le von Pro­zes­sen ge­gen Pries­ter und Or­dens­an­ge­hö­ri­ge, de­nen De­vi­sen­schie­be­rei vor­ge­wor­fen wur­de. Bei­na­he 100 Per­so­nen wur­den ver­ur­teilt, dar­un­ter der Köl­ner Do­mi­ni­ka­ner-Pro­vin­zi­al Lau­ren­ti­us Sie­mer (1888-1956). Sein Ur­teil lau­te­te zu­nächst auf 15 Mo­na­te Haft, in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung wur­de er dann aber frei ge­spro­chen.

 

Zu ei­ner Ver­fol­gungs­maß­nah­me wur­den die De­vi­sen­pro­zes­se nicht durch die Ver­ur­tei­lung über­führ­ter Straf­tä­ter, son­dern da­durch, dass sie den Cha­rak­ter po­li­ti­scher Schau­pro­zes­se an­nah­men. Da­für sorg­te die ge­ziel­te Ein­fluss­nah­me der Par­tei auf die Er­mitt­lun­gen der Staats­an­walt­schaft und vor al­lem die in­ten­si­ve Pro­pa­gan­da in der NS-Pres­se, mit der die Pro­zes­se ein­her­gin­gen.

2.4 Sittlichkeitsprozesse

Die De­vi­sen­ver­fah­ren wa­ren noch nicht ganz ab­ge­schlos­sen, als be­reits ei­ne neue Pro­zess­wel­le ge­gen die Klös­ter an­roll­te: Die Sitt­lich­keits­pro­zes­se, die mit An­zei­gen ge­gen Mit­glie­der der Lai­en­kon­gre­ga­ti­on der Fran­zis­k­aner­brü­der in Wald­breit­bach be­gan­nen. Dort war es wie­der­holt zu ho­mo­se­xu­el­len Hand­lun­gen ge­kom­men. 31 Brü­der wur­den aus der Kon­gre­ga­ti­on aus­ge­schlos­sen, und der zu­stän­di­ge Bi­schof von Trier, Franz Ru­dolf Bor­ne­was­ser, sah sich ver­an­lasst, in Rom die Auf­lö­sung der Kon­gre­ga­ti­on zu be­an­tra­gen, die 1937 tat­säch­lich er­folg­te. Ähn­lich wie bei den De­vi­sen­pro­zes­sen kam es nach den Vor­fäl­len in Wald­breit­bach zu ei­ner gan­zen Se­rie von Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen Pries­ter und Or­dens­leu­te we­gen Sitt­lich­keits­ver­ge­hen. Ge­mes­sen an der Zahl der Ver­ur­tei­lun­gen, fiel die Bi­lanz der Pro­zes­se wie­der­um weit we­ni­ger spek­ta­ku­lär aus als die da­mit ein­her­ge­hen­de NS-Pro­pa­gan­da. So ge­lang es den ka­tho­li­schen Bi­schö­fen, durch ge­ziel­te Ge­gen­in­for­ma­ti­on zu ver­hin­dern, dass die Dif­fa­mie­rungs­kam­pa­gne die Ka­tho­li­ken ins­ge­samt von den Or­den ent­frem­de­te. Aus­drück­lich dis­tan­zier­ten sie sich von den nach­ge­wie­se­nen Ver­ge­hen ein­zel­ner Or­dens­leu­te, be­trie­ben aber gleich­zei­tig Vor­wärts­ver­tei­di­gung ge­gen das Re­gime, in­dem sie die Zah­len­ver­hält­nis­se zu­recht­rück­ten: Von al­len ka­tho­li­schen Geist­li­chen in Deutsch­land – in­ner­halb und au­ßer­halb der Klös­ter – sei­en ge­ra­de 0,23 Pro­zent von den Sitt­lich­keits­pro­zes­sen be­trof­fen, von de­nen wie­der­um rund drei Vier­tel frei­ge­spro­chen wer­den muss­ten: Von ei­nem flä­chen­de­cken­den mo­ra­li­schen Sumpf im ka­tho­li­schen Kle­rus konn­te al­so kei­ne Re­de sein.

Die De­vi­sen- und Sitt­lich­keits­pro­zes­se wirk­ten als Na­del­sti­che, konn­ten das Or­dens­we­sen ins­ge­samt aber nicht er­schüt­tern. Zu ei­ner sys­te­ma­ti­schen Be­kämp­fung der Klös­ter kam es in den Jah­ren vor dem Zwei­ten Welt­krieg noch nicht. Dies lag zum ei­nen dar­an, dass es der Re­gie­rung an ge­eig­ne­ten Kon­zep­ten hier­zu man­gel­te. Zum an­de­ren lenk­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ih­re Haupt­auf­merk­sam­keit zu­nächst noch auf an­de­re Geg­ner in­ner­halb der ka­tho­li­schen Kir­che: Die wich­tigs­ten An­griffs­zie­le wa­ren vor 1939 das Schul­we­sen so­wie die ka­tho­li­schen Ver­bän­de und Ver­ei­ne. Da­durch wur­de die Kir­che mehr und mehr aus ih­ren ge­sell­schaft­li­chen Po­si­tio­nen ver­drängt und auf ei­ne rein re­li­giö­se Be­tä­ti­gung re­du­ziert.

Zu­dem spiel­ten tak­ti­sche Er­wä­gun­gen in der Kir­chen­po­li­tik ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Adolf Hit­ler (1889-1945) ver­folg­te zwar lang­fris­tig das Ziel der Ver­nich­tung der Kir­che, woll­te dies je­doch erst nach dem er­hoff­ten „End­sieg" ver­wirk­li­chen. Um die Stim­mung in der Be­völ­ke­rung nicht zu ge­fähr­den, mahn­te er in kir­chen­po­li­ti­schen An­ge­le­gen­hei­ten wie­der­holt zur Zu­rück­hal­tung. So wur­den zum Bei­spiel die Sitt­lich­keits­pro­zes­se im Som­mer 1936 vor­über­ge­hend aus­ge­setzt, um wäh­rend der Olym­pi­schen Spie­le in Ber­lin das Bild vom Deut­schen Reich im Aus­land nicht zu be­ein­träch­ti­gen.

3. Kirchenkampf im Zweiten Weltkrieg

3.1 Kirchenpolitische Akteure

Nach dem Be­ginn des Zwei­ten Welt­kriegs än­der­ten sich die Rah­men­be­din­gun­gen der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kir­chen­po­li­tik grund­le­gend. Der ge­mein­sa­me Kampf ge­gen die äu­ße­ren Kriegs­geg­ner schien zwar ei­nen „Burg­frie­den" im In­nern nach dem Vor­bild des Ers­ten Welt­kriegs na­he zu le­gen, doch statt­des­sen zeig­te der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus erst un­ter den Be­din­gun­gen des Krie­ges sein wah­res Ge­sicht: Der Ter­ror ge­gen die in­ne­ren Geg­ner ver­schärf­te sich und gip­fel­te in dem mil­lio­nen­fa­chen Mord an den eu­ro­päi­schen Ju­den. Auch die Kir­chen­ver­fol­gung er­reich­te im Krieg ei­nen neu­en Hö­he­punkt.

Der „Füh­rer" kon­zen­trier­te sei­ne Auf­merk­sam­keit zu­neh­mend auf das äu­ße­re Kriegs­ge­sche­hen und schritt nur noch sel­ten ge­gen die von ihm so be­zeich­ne­ten „Par­tei­heiß­spor­ne" ein, die ei­ne ra­di­ka­le­re Kir­chen­po­li­tik be­trie­ben. For­mal war in ers­ter Li­nie Reichs­kir­chen­mi­nis­ter Hanns Kerrl (1887-1941) für die Kir­chen­po­li­tik zu­stän­dig. Er ge­hör­te zu den ge­mä­ßig­ten kir­chen­po­li­ti­schen Kräf­ten, doch sei­ne Stel­lung in­ner­halb der NS-Füh­rungs­rie­ge war so schwach, dass er sich kaum ge­gen po­li­ti­sche Ri­va­len durch­set­zen oder ei­gen­stän­di­ge Po­li­tik be­trei­ben konn­te. Hin­zu ka­men ge­sund­heit­li­che Grün­de, die ihn da­zu be­wo­gen, sich nach dem Be­ginn des Krie­ges mehr und mehr aus der ak­ti­ven Po­li­tik zu­rück­zu­zie­hen. Als Hanns Kerrl En­de 1941 starb, wur­de kein neu­er Reichs­kir­chen­mi­nis­ter er­nannt.

Franz Rudolf Bornewasser, Bischof von Trier, Porträt. (Stadtbibliothek/ Stadtarchiv Trier)

 

Da­von pro­fi­tier­te vor al­lem der Lei­ter der Par­tei­kanz­lei, Mar­tin Bor­mann (1900-1945), der schon seit 1938 die Ex­pan­si­on des Rei­ches aus­nutz­te, um kir­chen­po­li­ti­sche Kom­pe­ten­zen in den neu­en Reichs­tei­len an sich zu rei­ßen. Jetzt konn­te er auch im „Alt­reich" zu­neh­mend Ein­fluss auf die Kir­chen­po­li­tik neh­men. Bor­mann war ei­ner der ra­di­kals­ten Kir­chen­geg­ner in der NS-Füh­rungs­rie­ge. Sei­ne Macht be­ruh­te vor al­lem auf sei­nem en­gen Kon­takt zum „Füh­rer". Es war häu­fig Bor­mann, der Äu­ße­run­gen und An­ord­nun­gen Hit­lers an die un­te­ren Be­hör­den wei­ter­gab und da­bei häu­fig durch sei­ne ei­ge­ne In­ter­pre­ta­ti­on be­ein­fluss­te.

Bor­manns stärks­ter Ri­va­le um die Po­si­ti­on des zweit­stärks­ten Man­nes im Reich war der Reichs­füh­rer-SS und Chef der deut­schen Po­li­zei Hein­rich Himm­ler (1900-1945). Er ver­füg­te über den Ober­be­fehl über SS und Ge­sta­po und da­mit auch über das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt (RSHA), das 1939 ein­ge­rich­tet wur­de. Es ging aus dem Haupt­amt Si­cher­heits­po­li­zei, dem Ge­hei­men Staats­po­li­zei­amt und dem SD-Haupt­amt (Si­cher­heits­dienst-Haupt­amt) her­vor. Nach und nach bau­te Himm­ler sich ein gan­zes Im­pe­ri­um auf, das von der SS be­herrscht wur­de und Ein­fluss auf im­mer grö­ße­re Macht­be­rei­che aus­üb­te. Da­zu zähl­ten so­wohl die Be­ob­ach­tung von Geg­nern durch den Si­cher­heits­dienst der SS als auch de­ren Be­kämp­fung durch die Po­li­zei­or­ga­ne.

3.2 Deutsche Katholiken im Zweiten Weltkrieg

Die Be­tei­li­gung am Zwei­ten Welt­krieg war für die Ka­tho­li­ken eben­so selbst­ver­ständ­lich wie für fast al­le an­de­ren Deut­schen: Als die deut­schen Bi­schö­fe sich im Herbst 1939 zum Kriegs­be­ginn äu­ßer­ten, ta­ten sie dies zwar oh­ne Kriegs­be­geis­te­rung wie noch 1914, er­ho­ben aber auch kei­ner­lei Zwei­fel an der Le­gi­ti­mi­tät des Krie­ges. Die Be­tei­li­gung dar­an galt als selbst­ver­ständ­li­che va­ter­län­di­sche Pflicht. In der da­mals herr­schen­den Theo­lo­gie wur­de Krieg nicht grund­sätz­lich als et­was Schlech­tes be­trach­tet, son­dern konn­te un­ter be­stimm­ten Be­din­gun­gen auch von Gott ge­wollt sein. Der Ein­satz ka­tho­li­scher Sol­da­ten in ei­nem sol­chen Krieg wur­de dem­nach als gott­ge­woll­te Be­wäh­rungs­pro­be in­ter­pre­tiert. Der Krieg, der 1939 be­gann, er­schien der ka­tho­li­schen Kir­che als na­tio­na­le Her­aus­for­de­rung, nicht als na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sches Ver­bre­chen. Auch als im Ver­lauf des Krie­ges des­sen ver­bre­che­ri­scher Cha­rak­ter im­mer deut­li­cher wur­de, kam es nicht zu ei­ner grund­sätz­li­chen Re­vi­si­on der Hal­tung der Bi­schö­fe.

3.3 Das Reichsleistungsgesetz

Den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten lie­fer­te das Kriegs­ge­sche­hen will­kom­me­ne Vor­wän­de, um lang ge­heg­te Plä­ne zur Be­kämp­fung der Kir­che in die Rea­li­tät um­zu­set­zen. Das Druck­mit­tel lag im Be­griff der „Reichs­auf­ga­ben". Die na­tio­na­len Pflich­ten, die der Krieg auch für die Ka­tho­li­ken mit sich brach­te, be­stan­den nicht nur im Mi­li­tär­dienst an der Front, son­dern auch im Dienst an der „Hei­mat­front". Da­zu ge­hör­ten für ka­tho­li­sche Or­dens­ein­rich­tun­gen tra­di­tio­nell die Be­treu­ung ver­wun­de­ter Sol­da­ten in or­dens­ei­ge­nen La­za­ret­ten und auch die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen in ih­ren Häu­sern. Die­se „Reichs­auf­ga­ben" wur­den für das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Re­gime zum Schlüs­sel für den An­griff auf die Klös­ter.

Martin Bormann, Reichsleiter der NSDAP, Stellvertreter des Führers, Porträtfoto, 1934. (Bundesarchiv)

 

Die Be­an­spru­chung von Ge­bäu­den für kriegs­wich­ti­ge Auf­ga­ben war im Reichs­leis­tungs­ge­setz vom 1.9.1939 ge­re­gelt. Es er­laub­te be­stimm­ten „Be­darfs­stel­len" – in ers­ter Li­nie der Wehr­macht – Räu­me und Ge­bäu­de für mi­li­tä­ri­sche Zwe­cke zu be­schlag­nah­men. Das Ge­setz sah Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen für die Ei­gen­tü­mer der be­trof­fe­nen Ge­bäu­de vor und schütz­te au­ßer­dem de­ren Ei­gen­be­darf. Nur Räu­me, die vom Ei­gen­tü­mer nicht un­be­dingt be­nö­tigt wur­den, durf­ten laut Ge­setz be­schlag­nahmt wer­den. Die Buch­sta­ben des Ge­set­zes und des­sen tat­säch­li­che An­wen­dung klaff­ten je­doch weit aus­ein­an­der. Es gab kein Ge­richt und kei­ne Auf­sichts­be­hör­de, die über die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen ge­wacht hät­te. So konn­ten NS-Stel­len das Ge­setz als Blan­ko­voll­macht zum Über­griff auf frem­des, ins­be­son­de­re kirch­li­ches Ei­gen­tum nut­zen. Dies mach­te sich vor al­lem Himm­lers SS zu­nut­ze.

3.4 Der Beginn des Klostersturms

Un­ter der Pa­ro­le „Heim ins Reich" be­gann die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Re­gie­rung 1939 da­mit, deut­sche Min­der­hei­ten aus ost- und süd­ost­eu­ro­päi­schen Län­dern ins Deut­sche Reich um­zu­sie­deln. Bis 1942 wur­den mehr als ei­ne hal­be Mil­li­on „Volks­deut­sche" um­ge­sie­delt und nach ih­rer An­kunft im Reich zu­nächst in La­gern un­ter­ge­bracht. Die ver­meint­li­chen Über­gangs­la­ger blie­ben oft­mals jah­re­lang die Hei­mat der Volks­deut­schen. Mit der Durch­füh­rung der Um­sied­lungs­ak­ti­on war die „Volks­deut­sche Mit­tel­stel­le" be­auf­tragt. Sie war zwar of­fi­zi­ell ei­ne Par­tei­dienst­stel­le, kam fak­tisch aber ei­ner staat­li­chen Be­hör­de na­he und war per­so­nell eng mit der SS ver­floch­ten. Den Ober­be­fehl über die Um­sied­lungs­ak­ti­on hat­te Hein­rich Himm­ler in sei­ner Funk­ti­on als „Reichs­kom­mis­sar für die Fes­ti­gung deut­schen Volks­tums", die ihm im Ok­to­ber 1939 ver­lie­hen wor­den war.

Zur Ein­rich­tung der Um­sied­ler­la­ger – ins­ge­samt wur­den 1.500 bis 1.800 La­ger ein­ge­rich­tet – be­nö­tig­te die Volks­deut­sche Mit­tel­stel­le ei­ne Viel­zahl an Ge­bäu­den. Mit de­ren Be­schaf­fung wa­ren die Gau­ein­satz­füh­rer der Volks­deut­schen Mit­tel­stel­le be­traut. Sie hat­ten da­für die kla­re Vor­ga­be „vor al­lem die Klös­ter und an­der­wei­ti­gen kon­fes­sio­nel­len Ge­bäu­de (zum Bei­spiel Ex­er­zi­ti­en­häu­ser) her­an­zu­zie­hen". So for­mu­lier­te es die Gau­lei­tung Mün­chen-Ober­bay­ern in ei­nem Rund­schrei­ben an die Kreis­lei­ter des Gau­es vom 31.8.1940; ähn­li­che An­wei­sun­gen gal­ten auch in den an­de­ren Gau­en. Die Un­ter­brin­gung der Um­sied­ler in den Or­dens­häu­sern soll­te der ers­te Schritt zur dau­er­haf­ten Be­schlag­nah­me der Ge­bäu­de sein. Die Rück­ga­be der Häu­ser nach Ab­schluss der Um­sied­lungs­ak­ti­on war aus­drück­lich nicht ge­plant. Die „Reichs­auf­ga­be" der Un­ter­brin­gung der Um­sied­ler dien­te le­dig­lich als will­kom­me­ner Vor­wand für die Ent­eig­nung der kirch­li­chen Ei­gen­tü­mer.

Für die be­trof­fe­nen Or­dens­ein­rich­tun­gen be­deu­te­te die Ein­rich­tung der La­ger in vie­len Fäl­len die Be­schlag­nah­me der kom­plet­ten Ge­bäu­de und die Ver­trei­bung der Be­woh­ner. Pfle­ge- und Er­zie­hungs­hei­me, Kin­der­gär­ten und ähn­li­che Ein­rich­tun­gen, die in den Or­dens­häu­sern be­trie­ben wur­den, muss­ten auf­ge­löst, der Klos­ter­be­trieb konn­te nicht wei­ter­ge­führt wer­den. Als schein­ba­re Rechts­grund­la­ge dien­te das Reichs­leis­tungs­ge­setz. Mehr als 100 Klös­ter und an­de­re ka­tho­li­sche Ein­rich­tun­gen fie­len seit 1940 die­ser ers­ten Wel­le zum Op­fer.

4. Klostersturm im Rheinland

4.1 Verschärfung des Klostersturms 1940/1941

Die Be­schlag­nah­men durch die Volks­deut­sche Mit­tel­stel­le wa­ren je­doch nur der Auf­takt zum Kampf ge­gen die Klös­ter. Es scheint, als ha­be der „Er­folg" der ers­ten Be­schlag­nah­me­wel­le die Raub­lust des Re­gimes erst rich­tig an­ge­facht. Hit­ler hat­te die „Par­tei­heiß­spor­ne" ge­wäh­ren las­sen. Die be­trof­fe­nen Or­dens­leu­te und die ka­tho­li­schen Bi­schö­fe ver­such­ten zwar an­ge­strengt, sich ge­gen die Über­grif­fe zu weh­ren, doch sie ta­ten das le­dig­lich in Form schrift­li­cher Pro­tes­te, in de­nen sie auf die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen poch­ten. Da­mit konn­ten sie ge­gen die Ge­walt des Re­gimes nichts aus­rich­ten. So ging der Klos­ter­sturm ge­gen En­de des Jah­res 1940 in ei­ne zwei­te, noch ra­di­ka­le­re Pha­se über.

Statt der Volks­deut­schen Mit­tel­stel­le war nun­mehr die Ge­sta­po der Haupt­ak­teur, und als Vor­wand für den Raub der Klös­ter dien­ten nicht län­ger ver­meint­li­che „Reichs­auf­ga­ben", son­dern die an­geb­lich „volks- und staats­feind­li­che" Be­tä­ti­gung der Or­dens­leu­te. An Stel­le des Reichs­leis­tungs­ge­set­zes dien­te nun die „Reichs­tags­brand­ver­ord­nung" vom 28.2.1933 als schein­ba­re Rechts­grund­la­ge. Ge­sta­po-Be­am­te be­schlag­nahm­ten rei­hen­wei­se Klös­ter, auch oh­ne dass den Be­woh­nern Ge­set­zes­ver­stö­ße nach­ge­wie­sen wer­den konn­ten. In den meis­ten Fäl­len wur­de dies gar nicht erst ver­sucht. Der Ein­fluss der Ge­sta­po hat­te sich in­zwi­schen so ver­selb­stän­digt, dass sie fast un­ein­ge­schränk­te Macht aus­üben konn­te.

Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Porträtfoto, 1942, Foto: Friedrich Franz Bauer. (Bundesarchiv)

 

4.2 Beschlagnahme von Klöstern im Erzbistum Köln

Die­se zwei­te, ra­di­ka­le­re Pha­se des Klos­ter­sturm traf ins­be­son­de­re den Wes­ten des Rei­ches. Im Erz­bis­tum Köln fie­len ihr in­ner­halb von rund vier Mo­na­ten – von April bis Ju­li 1941 – 18 Or­dens­häu­ser, das Erz­bi­schöf­li­che Pries­ter­se­mi­nar in Bens­berg und das Ex­er­zi­ti­en­heim des Erz­bi­schöf­li­chen Stuhls in Al­ten­berg zum Op­fer. Be­trof­fen wa­ren ins­be­son­de­re gro­ße, be­kann­te Klös­ter, was in der Be­völ­ke­rung den Ein­druck er­weck­te, das ge­sam­te Or­dens­we­sen ste­he kurz vor der Ver­nich­tung. Das Be­ne­dik­ti­ner­klos­ter auf dem Sieg­bur­ger Mi­cha­els­berg, das Klos­ter und Stu­di­en­haus der Stey­ler Pa­tres in Sankt Au­gus­tin, die Do­mi­ni­ka­ner­k­lös­ter in Köln und Wal­ber­berg (heu­te Stadt Born­heim), die Redemp­to­ris­ten­k­lös­ter in Hen­nef und Bonn, das Klos­ter der Vä­ter vom Hei­li­gen Geist in Knecht­ste­den und meh­re­re Nie­der­las­sun­gen der Je­sui­ten wur­den zu Op­fern des Klos­ter­sturms. Auch Frau­en­k­lös­ter blie­ben nicht ver­schont: Es traf die Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen von Bonn-En­de­nich eben­so wie die Kar­me­li­te­rin­nen von Pütz­chen (heu­te Stadt Bonn).

Für die be­trof­fe­nen Or­dens­leu­te be­deu­te­te die Be­schlag­nah­me der Häu­ser, dass ei­nes Ta­ges un­an­ge­mel­det zwei bis sechs Ge­sta­po-Be­am­te vor der Tür stan­den und das Haus für be­schlag­nahmt er­klär­ten. In den meis­ten Fäl­len muss­ten die Be­woh­ner die Ge­bäu­de in­ner­halb we­ni­ger Stun­den oder Ta­ge ver­las­sen, in der Re­gel wur­den sie auch aus dem Rhein­land aus­ge­wie­sen. Die Be­schlag­nah­men er­folg­ten als rei­ner Ge­walt­akt: Die Be­am­ten konn­ten we­der schrift­li­che Ver­fü­gun­gen vor­le­gen noch Grün­de für die Maß­nah­me nen­nen. Wenn über­haupt, be­rie­fen sie sich auf „Wunsch und Wil­len des Füh­rers" (so der Be­richt ei­nes Sieg­bur­ger Be­ne­dik­ti­ner­pa­ters) oder pau­schal auf die an­geb­lich staats­ab­träg­li­che Tä­tig­keit der Or­dens­leu­te.

Die Be­woh­ner der Klös­ter fühl­ten sich der Ge­sta­po ge­gen­über ohn­mäch­tig. Ge­ra­de für die kon­tem­pla­tiv le­ben­den Or­dens­ge­mein­schaf­ten war die Aus­wei­sung ein scho­ckie­ren­des Er­leb­nis. „So stan­den wir, die wir bei un­se­rer stren­gen Klau­sur 20, 30, ja 40 Jah­re die Stra­ße nicht be­tre­ten hat­ten, nun wie­der mit­ten im Ge­trie­be der Welt",[1] schrieb die Prio­rin der En­de­ni­cher Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen da­zu in ih­ren Er­in­ne­run­gen. Im­mer­hin kam die Auf­he­bung ih­res Klos­ters für sie nicht völ­lig über­ra­schend, denn die Schwes­tern hat­ten na­tür­lich von der Be­schlag­nah­me an­de­rer Klös­ter ge­hört. Sie hat­ten sich zi­vi­le, „welt­li­che" Klei­dung be­sor­gen und für die Un­ter­brin­gung der rund 150 Schwes­tern Vor­be­rei­tun­gen tref­fen kön­nen. Dies er­wies sich mit­ten im Krieg als sehr schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen, doch es ge­lang, die Schwes­tern auf meh­re­re Kran­ken­häu­ser, Al­ters­hei­me und an­de­re Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen­k­lös­ter auf­zu­tei­len. Drei Mo­na­te nach der Be­schlag­nah­me er­folg­te die Aus­wei­sung der Schwes­tern aus der Stadt und dem Kreis Bonn, so dass sich das Un­ter­kunfts­pro­blem ein zwei­tes Mal stell­te.

Be­son­ders gründ­lich hat­ten sich die Stey­ler Pa­tres von Sankt Au­gus­tin auf die dro­hen­de Be­schlag­nah­me ih­res Klos­ters vor­be­rei­tet: Auf ih­ren täg­li­chen Gän­gen nah­men die Pa­tres re­gel­mä­ßig Bü­cher, lit­ur­gi­sches Ge­rät, an­de­re Wert­ge­gen­stän­de und auch Bar­geld aus dem Klos­ter mit und ver­schick­ten es per Post oder Bahn, um es so vor dem Zu­griff der Ge­sta­po zu schüt­zen. Das Mis­si­ons­haus ge­hör­te schlie­ß­lich zu den letz­ten Or­dens­häu­sern, die der Be­schlag­nah­me zum Op­fer fie­len. Trotz der gründ­li­chen Vor­be­rei­tung konn­te al­ler­dings nur ein klei­ner Teil des Klos­ter­in­ven­tars vor der Ge­sta­po ge­ret­tet wer­den, nicht zu­letzt ver­blieb das ge­sam­te Mo­bi­li­ar im Klos­ter.

Nach der Ver­trei­bung der Or­dens­leu­te wur­den die Ge­bäu­de zu sehr un­ter­schied­li­chen Zwe­cken ge­nutzt. In vie­len Fäl­len ri­va­li­sier­ten ver­schie­de­ne Wehr­macht- und Par­tei­dienst­stel­len um das Nut­zungs­recht. In meh­re­ren be­schlag­nahm­ten Klös­tern wur­den Bom­ben­flücht­lin­ge un­ter­ge­bracht, in an­de­ren Mi­li­tär­dienst­stel­len. So dien­te das Mis­si­ons­pries­ter­se­mi­nar in Sankt Au­gus­tin (das im of­fi­zi­el­len NS-Sprach­ge­brauch nur noch „Au­gus­tin" hei­ßen durf­te) zu­nächst ei­ner Un­ter­of­fi­ziers­schu­le der Ma­ri­ne, spä­ter ei­ner Dol­met­scher­schu­le der Luft­waf­fe als Un­ter­kunft. Zeit­wei­se leb­ten bis zu 1.500 Per­so­nen in dem Ge­bäu­de. Auch zi­vi­le Be­hör­den pro­fi­tier­ten vom Klos­ter­sturm: So zo­gen in das Bon­ner Pau­lus­haus der Je­sui­ten das Flie­ger­schä­den­amt der Stadt Bonn und das Prü­fungs­amt der Uni­ver­si­tät ein.

Zu be­son­ders trau­ri­ger Be­rühmt­heit brach­te es das Klos­ter der En­de­ni­cher Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen, das von Ju­ni 1941 bis Ju­li 1942 als In­ter­nie­rungs­la­ger für die Bon­ner Ju­den dien­te. Min­des­tens 479 Men­schen wur­den dort ge­fan­gen ge­hal­ten, zu schwe­rer Ar­beit zwangs­ver­pflich­tet und schlie­ß­lich nach The­re­si­en­stadt de­por­tiert und dort er­mor­det.

Wehrmachtsangehörige auf dem Siegburger Michaelsberg. (Historisches Archiv Kreisstadt Siegburg)

 

In an­de­ren Klös­tern än­der­te sich die Nut­zung der Ge­bäu­de durch die Be­schlag­nah­me nur un­we­sent­lich, denn schon vor dem Klos­ter­sturm wa­ren in vie­len Klös­tern La­za­ret­te ein­ge­rich­tet wor­den. Dies ge­schah durch­aus nicht nur un­ter Zwang, son­dern für vie­le Or­den war es ei­ne selbst­ver­ständ­li­che Pflicht, auf die­se Wei­se ih­ren Bei­trag zum Krieg zu leis­ten. „Wir ha­ben in die­sen Kriegs­zei­ten un­se­re Ge­mein­schaft als sol­che in den be­son­de­ren Dienst des Va­ter­lan­des zu stel­len, auch un­ter gro­ßen Op­fern", schrieb zum Bei­spiel der Do­mi­ni­ka­ner­pro­vin­zi­al Lau­ren­ti­us Sie­mer im Sep­tem­ber 1939 an sei­ne Mit­brü­der.[2]  Um so zy­ni­scher muss­te es auf die Or­dens­leu­te da­her wir­ken, wenn die spä­te­re Ent­eig­nung ih­rer Ge­bäu­de mit ih­rer „volks- und staats­feind­li­chen Tä­tig­keit" be­grün­det wur­de.

Im wei­te­ren Ver­lauf des Krie­ges, als die or­dens­feind­li­chen Ab­sich­ten des Re­gimes im­mer deut­li­cher wur­den, wur­de die Be­reit­stel­lung von Klös­tern als La­za­ret­te des­halb im­mer mehr zu ei­nem Mit­tel der Vor­wärts­ver­tei­di­gung: Durch die Ko­ope­ra­ti­on mit der als „an­stän­dig" gel­ten­den Wehr­macht hoff­ten die Or­dens­leu­te, sich vor Über­grif­fen durch die Ge­sta­po schüt­zen zu kön­nen. In ei­ni­gen, aber nicht in al­len Fäl­len be­wahr­hei­te­te sich die­se Hoff­nung: So konn­te zum Bei­spiel Pa­ter Sie­mer die Ge­sta­po da­von über­zeu­gen, dass der Be­trieb des in Wal­ber­berg ein­ge­rich­te­ten La­za­retts nur wei­ter­ge­führt wer­den kön­ne, wenn die Do­mi­ni­ka­ner dort blie­ben. Ähn­lich er­ging es den Herz-Je­su-Schwes­tern in Pütz­chen. Doch auch in die­sen Fäl­len schütz­ten die La­za­ret­te schlie­ß­lich nicht vor der Ent­eig­nung der Ge­bäu­de.

Die­se Be­ob­ach­tun­gen ver­deut­li­chen, dass der Klos­ter­sturm un­sys­te­ma­ti­sche, auch ir­ra­tio­na­le Zü­ge trug: Der An­griff rich­te­te sich nicht ge­zielt ge­gen sol­che Klös­ter, die sich et­wa durch be­son­de­re Ak­ti­vi­tä­ten im Wi­der­stand her­vor­ge­tan hät­ten. Es wur­den auch nicht kon­se­quent al­le Nie­der­las­sun­gen be­stimm­ter Or­den auf­ge­löst – wenn auch im Rhein­land ein Schwer­punkt des An­griffs auf den Nie­der­las­sun­gen der Pries­ter­or­den, ins­be­son­de­re der Je­sui­ten, lag. Der An­griff rich­te­te sich we­ni­ger ge­gen ein­zel­ne Or­dens­nie­der­las­sun­gen als ge­gen das Or­dens­we­sen im All­ge­mei­nen.

Pater Laurentius Siemer, Porträtfoto. (Laurentius-Siemer-Gymnasium Ramsloh)

 

Die oft­mals un­sys­te­ma­ti­sche Vor­ge­hens­wei­se der Ge­sta­po-Be­am­ten hat zur Fol­ge, dass oft kaum nach­zu­wei­sen ist, war­um ein be­stimm­tes Klos­ter vom Klos­ter­sturm ver­schont blieb. In Ein­zel­fäl­len tru­gen si­cher­lich gu­te Kon­tak­te der Or­dens­an­ge­hö­ri­gen zu ein­fluss­rei­chen Per­sön­lich­kei­ten aus der Wehr­macht da­zu bei, ein Klos­ter zu schüt­zen. Dies trifft zum Bei­spiel auf die Be­ne­dik­ti­ner­ab­tei Ma­ria Laach im Bis­tum Trier zu, die von dem Ge­ne­ral Fried­rich von Ra­benau (1884-1945), pro­te­giert wur­de. Auf­grund sei­ner Für­spra­che blieb den Laa­cher Pa­tres die Be­schlag­nah­me ih­rer Ab­tei er­spart.

4.3 Vermögenseinziehungen

Auf die Be­schlag­nah­me der Ge­bäu­de folg­te je­weils ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter de­ren Ein­zie­hung zu­guns­ten des Staa­tes, der im Grund­buch als neu­er Ei­gen­tü­mer ein­ge­tra­gen wur­de. Un­ter die Ent­eig­nung fiel in der Re­gel auch das ge­sam­te In­ven­tar der Ge­bäu­de. Als for­ma­le Grund­la­ge für die Ver­mö­gens­ein­zie­hun­gen dien­te das „Ge­setz über die Ein­zie­hung kom­mu­nis­ti­schen Ver­mö­gens" vom 26.5.1933 be­zie­hungs­wei­se des­sen Er­wei­te­rung im „Ge­setz über die Ein­zie­hung volks- und staats­feind­li­chen Ver­mö­gens" vom 14.7.1933. An­ders als die Be­schlag­nah­men, die sich vor den Au­gen der be­nach­bar­ten Be­völ­ke­rung ab­spiel­ten und nicht sel­ten er­heb­li­ches Auf­se­hen er­reg­ten, war die Ent­eig­nung ein rei­ner Schreib­tisch­akt, von dem die Öf­fent­lich­keit nichts er­fuhr. Dar­an be­tei­ligt wa­ren ne­ben der Ge­sta­po auch das Reichs­mi­nis­te­ri­um des In­nern, das je­weils den Tat­be­stand der „Volks- und Staats­feind­lich­keit" zu be­stä­ti­gen hat­te, und der je­weils zu­stän­di­ge Re­gie­rungs­prä­si­dent, der die Ver­mö­gens­ein­zie­hung schlie­ß­lich vor­nahm. Die ver­schie­de­nen Be­hör­den ar­bei­te­ten weit­ge­hend rei­bungs­los zu­sam­men.

4.4 Öffentliche Proteste und das Ende der Beschlagnahmen

Der Klos­ter­sturm der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ist oft als „Nacht- und Ne­bel-Ak­ti­on" be­zeich­net wor­den. Tat­säch­lich fan­den die Be­schlag­nah­men und die Ver­trei­bung der Or­dens­leu­te aber nicht bei Nacht und Ne­bel, son­dern am hell­lich­ten Tag in al­ler Öf­fent­lich­keit statt. Im Ja­nu­ar 1941 konn­te Mar­tin Bor­mann noch tri­um­phie­rend ver­kün­den, „dass die Be­völ­ke­rung kei­ner­lei Un­wil­len zei­ge, wenn Klös­ter ei­ner all­ge­mein ge­eig­net er­schei­nen­den Ver­wen­dung zu­ge­führt wer­den".[3] In den fol­gen­den Mo­na­ten kam es je­doch an ver­schie­de­nen Or­ten zu öf­fent­li­chen Pro­tes­ten ge­gen die Be­schlag­nah­men. Laut ei­nem Be­richt der Si­cher­heits­po­li­zei bil­de­te der Klos­ter­sturm „zum Teil so­gar das Haupt­ge­sprächs­the­ma" in der ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung.

Jo­sef Flesch (1899-1962), der Pro­vin­zi­al der Köl­ner Pro­vinz der Redemp­to­ris­ten, be­rich­te­te über die Be­schlag­nah­me des Klos­ters in Hen­nef-Geis­tin­gen: „Wie ein Lauf­feu­er ver­brei­te­te sich die Nach­richt drau­ßen von der Auf­he­bung des Klos­ters. Um 12 Uhr wa­ren Hun­der­te vor dem Klos­ter ver­sam­melt, meh­re­re Last­au­tos ka­men an­ge­fah­ren, vie­le brach­ten ih­re Kof­fer mit und bo­ten sie zum Ein­pa­cken an".[4] Für das dik­ta­to­ri­sche NS-Re­gime, das die Stim­mung in der Be­völ­ke­rung ge­ra­de im Krieg sehr in­ten­siv be­ob­ach­te­te, konn­te die­se öf­fent­li­che An­teil­nah­me ge­fähr­lich wer­den.

Abtei Maria Laach, um 1900.

 

Die grö­ß­te Wir­kung er­ziel­te schlie­ß­lich der Pro­test des Bi­schofs von Müns­ter, Cle­mens Au­gust Graf von Ga­len (Epis­ko­pat 1943-1946). An drei Sonn­ta­gen im Ju­li und Au­gust 1941 hielt er in Müns­te­ra­ner Kir­chen Pre­dig­ten, in de­nen er die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen in deut­li­chen Wor­ten be­nann­te und an­pran­ger­te. Sein Pro­test rich­te­te sich vor al­lem ge­gen den Klos­ter­sturm und ge­gen den Mord an Be­hin­der­ten und psy­chisch Kran­ken un­ter dem Deck­na­men der „Eu­tha­na­sie". Die­se be­rühmt ge­wor­de­nen Pre­dig­ten wur­den weit über Müns­ter hin­aus be­kannt. Ga­len selbst hat­te für ih­re Ver­brei­tung ge­sorgt. Als Flug­blät­ter und in vie­len Ab­schrif­ten kur­sier­ten sie in ganz Deutsch­land.

Aus Sor­ge um die Stim­mung in der Be­völ­ke­rung setz­te Hit­ler schlie­ß­lich den Be­schlag­nah­men ein En­de. Am 30.7.1941 ord­ne­te er an: „Ab so­fort ha­ben Be­schlag­nah­men von kirch­li­chem und klös­ter­li­chem Ver­mö­gen bis auf wei­te­res zu un­ter­blei­ben". In der Fol­ge­zeit kam es nur noch ver­ein­zelt zu Be­schlag­nah­men. Fort­ge­setzt wur­de je­doch die Ein­zie­hung des Ver­mö­gens der be­reits be­trof­fe­nen Klös­ter, die als rei­ner Ver­wal­tungs­akt un­ter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit statt­fand.

Bis zu Hit­lers „Stopp-Er­lass" vom 30.7.1941 wa­ren dem Klos­ter­sturm mehr als 300 Or­dens­häu­ser und kirch­li­che Ein­rich­tun­gen zum Op­fer ge­fal­len. Zwei­fel­los wä­re die Aus­beu­te von Ge­sta­po und SS noch rei­cher aus­ge­fal­len, wenn Hit­ler nicht die Ein­stel­lung der Ak­ti­on be­foh­len hät­te.

4.5 Wer gab den Befehl zum Klostersturm?

Das En­de der Be­schlag­nah­me­wel­le wur­de von Hit­ler in ei­nem un­miss­ver­ständ­li­chen Be­fehl an­ge­ord­net. Da­ge­gen gab es kei­nen Be­fehl des „Füh­rers", der die Rau­bak­ti­on aus­ge­löst hät­te. Es stellt sich da­her die Fra­ge, auf wes­sen An­ord­nung die staats­po­li­zei­li­che Be­schlag­nah­me der Klös­ter er­folg­te. In sei­ner zwei­ten Pha­se scheint sich der Raub­zug ge­gen die Klös­ter mehr und mehr ver­selb­stän­digt zu ha­ben.

Die be­tei­lig­ten Be­am­ten äu­ßer­ten sich nach dem Krieg nur un­prä­zi­se zur Fra­ge der Be­fehls­la­ge. Von ei­nem „Be­fehl des RSHA" sprach der Lei­ter der Bon­ner Ge­sta­po, Wal­ter Proll (1879-1969), in sei­nem Spruch­ge­richts­ver­fah­ren 1949, konn­te den Be­fehl aber nicht ge­nau­er be­nen­nen. Ein an­de­rer Köl­ner Ge­sta­po-Be­am­ter sag­te aus, er ha­be ge­wusst, „dass der all­ge­mei­ne Kurs da­hin ging, na­ment­lich die ka­tho­li­sche Kir­che zu be­kämp­fen". An die­sem „all­ge­mei­nen Kurs" konn­te frei­lich im Früh­jahr 1941 kein Zwei­fel mehr be­ste­hen.

Das Bei­spiel des Klos­ter­sturms zeigt ein­drucks­voll, wie die Ver­fol­gungs­maß­nah­men des NS-Re­gimes auch oh­ne ei­nen aus­drück­li­chen Be­fehl funk­tio­nie­ren konn­ten. Es ge­nüg­ten der „all­ge­mei­ne Kurs" und das Pflicht­be­wusst­sein der be­tei­lig­ten Be­am­ten. Da­bei muss­ten es nicht ein­mal be­son­ders Re­gime na­he oder ideo­lo­gisch über­zeug­te Be­am­te sein, die für die Ra­di­ka­li­sie­rung des Klos­ter­sturms sorg­ten. Dies zeigt das Bei­spiel der Be­schlag­nah­men im Rhein­land.

Bei den Köl­ner und Bon­ner Ge­sta­po-Be­am­ten, die die Be­schlag­nah­men durch­führ­ten, han­del­te es sich we­der um „al­te Kämp­fer" der NS­DAP, noch um je­ne ra­di­ka­len, meist jün­ge­ren Po­li­zei­mit­ar­bei­ter, die vor al­lem in den spä­te­ren Jah­ren des „Drit­ten Rei­ches" zu den Po­li­zei­dienst­stel­len stie­ßen. Viel­mehr wa­ren es Mit­ar­bei­ter, die aus der Zeit vor 1933 über­nom­men wor­den, teil­wei­se so­gar schon vor 1918 bei der Po­li­zei tä­tig ge­we­sen wa­ren. Sie wa­ren we­der über­zeugt na­tio­nal­so­zia­lis­tisch – der Lei­ter der Bon­ner Ge­sta­po hat­te sich vor 1939 für die de­mo­kra­ti­sche DDP en­ga­giert – noch ent­schie­den kir­chen­feind­lich, son­dern ge­hör­ten viel­mehr zu den „ganz nor­ma­len Män­nern" (Chris­to­pher Brow­ning). In vie­len Fäl­len stell­te die Kir­che ih­nen nach dem Krieg so­gar aus­drück­lich po­si­ti­ve Be­ur­tei­lun­gen aus. Ob­wohl die­se Be­am­ten kei­ne per­sön­li­che oder po­li­ti­sche Mo­ti­va­ti­on hat­ten, ge­gen die Klös­ter vor­zu­ge­hen, wur­den sie im Klos­ter­sturm in vor­aus­ei­len­dem Ge­hor­sam tä­tig, auch oh­ne dass der Be­fehl zur Auf­he­bung ei­nes Klos­ters vor­lag. Die Köl­ner Ge­sta­po kor­re­spon­dier­te in der An­ge­le­gen­heit der Klös­ter mit dem Reichs­si­cher­heits­haupt­amt in Ber­lin, ih­rer vor­ge­setz­ten Be­hör­de. Oft­mals ord­ne­te das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt aber zu­nächst le­dig­lich die Be­ob­ach­tung ei­nes Klos­ters an oder for­der­te ei­nen Be­richt über des­sen Tä­tig­keit. Die Köl­ner Be­am­ten mel­de­ten dar­auf­hin je­doch häu­fig schon we­nig spä­ter die Be­schlag­nah­me des be­tref­fen­den Ge­bäu­des und gin­gen da­mit ei­nen ent­schei­den­den Schritt wei­ter, als das Reichs­si­cher­heits­haupt­amt ge­for­dert hat­te.

Der Klos­ter­sturm wur­de al­so nicht al­lein vom Reichs­si­cher­heits­haupt­amt ge­steu­ert und kon­trol­liert, viel­mehr hat­te auch die Ei­gen­in­itia­ti­ve der re­gio­na­len Po­li­zei­dienst­stel­len ei­nen er­heb­li­chen An­teil an sei­nem Ver­lauf. Oh­ne den vor­aus­ei­len­den Ge­hor­sam der ört­li­chen Po­li­zei­dienst­stel­len hät­te der Klos­ter­sturm ver­mut­lich gar nicht in der­sel­ben Ra­di­ka­li­tät statt­fin­den kön­nen, denn die Hand­lungs­fä­hig­keit des Reichs­si­cher­heits­haupt­amts war be­grenzt: Zwar war die Ab­sicht, das ka­tho­li­sche Or­dens­we­sen zu zer­schla­gen, zwei­fel­los vor­han­den, doch die Rea­li­sie­rung die­ses Ziels war mit gro­ßen Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den. Seit den 1930er Jah­ren wur­de mit gro­ßem Auf­wand um­fang­rei­ches Ma­te­ri­al über das Or­dens­we­sen in Deutsch­land ge­sam­melt, doch die sys­te­ma­ti­sche Aus­wer­tung die­ser In­for­ma­tio­nen und ih­re Um­set­zung in po­li­ti­sche Maß­nah­men war­fen gro­ße Pro­ble­me auf. Dies lag nicht zu­letzt am man­geln­den Fach­wis­sen der Be­ar­bei­ter. In der Füh­rungs­rie­ge des Reichs­si­cher­heits­haupt­amts war zwar ei­ne Rei­he ehe­ma­li­ger Pries­ter und Or­dens­an­ge­hö­ri­ger als „Über­läu­fer" tä­tig, doch in den un­te­ren Hier­ar­chie­stu­fen man­gel­te es häu­fig am grund­le­gen­den Wis­sen über Or­den und Klös­ter.

4.6 Sand im Getriebe: Die Rolle des Oberpräsidiums Koblenz

Dass es auch mög­lich war, dem „all­ge­mei­nen Kurs" der NS-Kir­chen­po­li­tik nicht zu fol­gen, zeigt das Bei­spiel von Ober­re­gie­rungs­rat Alois Be­cker (1898-1982), der beim Ober­prä­si­di­um Ko­blenz für die Ver­wer­tung des ein­ge­zo­ge­nen kirch­li­chen und klös­ter­li­chen Ver­mö­gens zu­stän­dig war. Der Ka­tho­lik und pro­mo­vier­te Ju­rist war seit 1936 als Re­fe­rent un­ter an­de­rem für „Geis­ti­ge An­ge­le­gen­hei­ten der Rhein­pro­vinz" tä­tig. Nach sei­ner Rück­kehr von der Front 1942 über­nahm er zu­sätz­lich das Re­fe­rat für Kom­mu­na­le An­ge­le­gen­hei­ten. Be­cker war seit 1937 Mit­glied der NS­DAP, un­ter­hielt aber zu­gleich Kon­tak­te zu Ka­tho­li­ken im po­li­ti­schen Wi­der­stand wie Jo­sef Wir­mer (1901-1944), Jo­sef Mül­ler (1889-1979), Au­gus­tin Rösch (1893-1961) und Lau­ren­ti­us Sie­mer.

Die Ver­wal­tung und Ver­wer­tung des von den Re­gie­rungs­prä­si­den­ten ein­ge­zo­ge­nen „volks- und staats­feind­li­chen" kirch­li­chen und klös­ter­li­chen Ver­mö­gens ob­lag dem Ober­prä­si­di­um der Rhein­pro­vinz in Ko­blenz und fiel dort in den Auf­ga­ben­be­reich des Re­fe­rats für Kom­mu­na­le An­ge­le­gen­hei­ten. Be­cker war da­für zu­stän­dig, die An­trä­ge der Ge­mein­den und Kom­mu­nen zu be­ar­bei­ten, die an der Über­tra­gung der Grund­stü­cke in­ter­es­siert wa­ren, und auf der Grund­la­ge der An­trä­ge dem Reich­sin­nen­mi­nis­ter Vor­schlä­ge zur Ver­wer­tung des Ver­mö­gens zu un­ter­brei­ten. An­statt aber die Ver­wer­tung vor­an­zu­trei­ben, ver­zö­ger­te Be­cker sie ab­sicht­lich, um zu ver­hin­dern, dass kirch­li­ches Ei­gen­tum ver­schleu­dert wur­de oder in den Be­sitz von Par­tei­dienst­stel­len über­ging. Er hoff­te, dass das En­de des Krie­ges die Rück­ga­be der Grund­stü­cke an ih­re Ei­gen­tü­mer er­mög­li­chen wer­de, setz­te da­her auf Zeit­ge­winn und schob die Ent­schei­dung über die Über­tra­gung der ein­ge­zo­ge­nen Ver­mö­gens­wer­te so lan­ge wie mög­lich auf. Be­ckers Vor­ge­setz­ter, der stell­ver­tre­ten­de Ober­prä­si­dent und SS-Ober­füh­rer Karl Eu­gen Del­len­busch (1901-1959), be­ließ Be­cker in den kir­chen­po­li­ti­schen An­ge­le­gen­hei­ten wei­test­ge­hen­de Hand­lungs­frei­heit. Be­cker ko­ope­rier­te mit ver­schie­de­nen an­de­ren staat­li­chen Be­hör­den und auch mit den Lei­tun­gen der Klös­ter.

Sei­ne Ver­zö­ge­rungs­tak­tik hat­te Er­folg: In den meis­ten Fäl­len konn­te er ver­hin­dern, dass das Ver­mö­gen der ent­eig­ne­ten Klös­ter und kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen in der Erz­diö­ze­se Köln „ver­wer­tet" wur­de. Die An­trä­ge von ver­schie­de­nen Städ­ten und Ge­mein­den, von Land­wirt­schafts­ver­bän­den, der Deut­schen Ar­beits­front und der Uni­ver­si­tät Bonn blie­ben un­be­rück­sich­tigt. Le­dig­lich in Al­ten­berg und Knecht­ste­den konn­te Be­cker die Ver­wer­tung des Ver­mö­gens nicht ver­hin­dern.

Be­cker be­müh­te sich nicht nur um die Ver­zö­ge­rung der Ver­mö­gens­ver­wer­tung, son­dern setz­te sich auch für die aku­ten Be­lan­ge der Or­dens­an­ge­hö­ri­gen ein. So ver­an­lass­te er den Lei­ter der Bon­ner Ge­sta­po da­zu, den Or­dens­leu­ten in den von ihm ver­wal­te­ten Klös­tern Pütz­chen, Sieg­burg und Wal­ber­berg grö­ße­re Hand­lungs­frei­heit ein­zu­räu­men, und sorg­te da­für, dass die Mit­gif­ten der En­de­ni­cher Be­ne­dik­ti­ne­rin­nen von der Ein­zie­hung aus­ge­nom­men wur­den. Die Ge­sta­po hat­te sie zu­nächst für das Reich ein­ge­for­dert. Mehr­fach stell­te Be­cker den Ver­tre­tern der Klös­ter be­zie­hungs­wei­se der Erz­diö­ze­se Ak­ten zur Ver­fü­gung, die ih­nen bei der For­mu­lie­rung von Pro­test­schrei­ben hilf­reich wa­ren, und setz­te sich au­ßer­dem für die Ret­tung der Klos­ter­bi­blio­the­ken ein.

Durch sein En­ga­ge­ment brach­te Be­cker sich all­mäh­lich selbst in Ge­fahr. Zwei­mal wur­de er bei der Ge­sta­po an­ge­zeigt, konn­te sich aber bei­de Ma­le aus der Af­fä­re zie­hen, weil als po­li­tisch zu­ver­läs­sig gel­ten­de Per­so­nen zu sei­nen Guns­ten aus­sag­ten. Als das Reich­sin­nen­mi­nis­te­ri­um je­doch we­nig spä­ter mit Nach­druck die Ver­wer­tung der Klös­ter in der Rhein­pro­vinz for­der­te, konn­te Del­len­busch Be­cker nicht län­ger de­cken. Wäh­rend die Ver­wer­tung in den üb­ri­gen preu­ßi­schen Pro­vin­zen be­reits ab­ge­schlos­sen war, hat­te sie in der Rhein­pro­vinz kaum be­gon­nen. Be­cker ent­schloss sich zur Flucht: Er ließ sich ein ärzt­li­ches Gut­ach­ten aus­stel­len, das es ihm er­laub­te, ei­nen Er­ho­lungs­ur­laub an­zu­tre­ten, und mel­de­te sich an­schlie­ßend frei­wil­lig zu Schanz­ar­bei­ten am West­wall. Bis zum En­de des Krie­ges kehr­te er nicht auf sei­nen Pos­ten zu­rück und er­hielt auch kei­nen Nach­fol­ger.

Un­ter den Be­hör­den, die mit der Be­schlag­nah­me und Ent­eig­nung der rhei­ni­schen Klös­ter be­fasst wa­ren, spiel­te das Ober­prä­si­di­um Ko­blenz ei­ne zu ge­rin­ge Rol­le, als dass Be­cker die Klös­ter vor dem Klos­ter­sturm hät­te be­wah­ren kön­nen. Den­noch ret­te­te er, was noch zu ret­ten war, konn­te in vie­len ein­zel­nen Be­lan­gen Ab­hil­fe schaf­fen und vor al­lem das ein­ge­zo­ge­ne Ver­mö­gen vor der Zer­stü­cke­lung schüt­zen. Für die Rück­erstat­tungs­pro­zes­se nach dem Krieg be­deu­te­te dies ei­ne ent­schei­den­de Er­leich­te­rung.

5. Die Klöster nach dem Klostersturm

Für die be­trof­fe­nen Or­dens­leu­te war der Klos­ter­sturm mit Hit­lers „Stopp-Er­lass" vom 30.7.1941 nicht zu En­de. Bis zum En­de des Krie­ges blie­ben sie ver­trie­ben und konn­ten erst 1945 ei­nen Neu­an­fang ma­chen. Vie­ler­orts fan­den die zu­rück­keh­ren­den Or­dens­leu­te völ­lig zer­stör­te Ge­bäu­de vor. Da­für hat­ten nicht nur die al­li­ier­ten Bom­ben­an­grif­fe ge­sorgt, son­dern auch mut­wil­li­ge Zer­stö­rungs­ak­tio­nen wie in Sankt Au­gus­tin, wo ein Wehr­macht­an­ge­hö­ri­ger ein Mu­ni­ti­ons­de­pot zur Ex­plo­si­on ge­bracht hat­te. Hin­zu ka­men im­men­se Schä­den durch die jah­re­lan­ge Über­be­le­gung der Häu­ser. Vie­le be­schlag­nahm­te Klos­ter­ge­bäu­de wa­ren auch bei Kriegs­en­de noch von Flücht­lin­gen oder Um­sied­lern be­wohnt oder wur­den wei­ter­hin als La­za­ret­te ge­nutzt. Der Klos­ter­be­trieb konn­te des­halb nur nach und nach wie­der auf­ge­nom­men wer­den.

Ei­ni­ge Klös­ter hat­ten zu­dem den Ver­lust gro­ßer Tei­le ih­rer Bi­blio­the­ken zu be­kla­gen, dar­un­ter auch wert­vol­ler mit­tel­al­ter­li­cher Bän­de. Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten hat­ten das Ziel ver­folgt, ei­ne zen­tra­le Bi­blio­thek zur Geg­ner­er­for­schung ein­zu­rich­ten und zu die­sem Zweck die Klos­ter­bi­blio­the­ken aus­ge­räumt. Der Auf­bau der Zen­tral­bi­blio­thek ging je­doch nur schlep­pend vor­an. Die Be­stän­de der rhei­ni­schen Klos­ter­bi­blio­the­ken wur­den aus­ein­an­der ge­ris­sen und fan­den sich nach dem Krieg teil­wei­se in Kel­lern, Stadt­bi­blio­the­ken oder An­ti­qua­ria­ten wie­der.

Die Wie­der­gut­ma­chungs­pro­zes­se um die Rück­erstat­tung des ge­raub­ten Ei­gen­tums und die Ent­schä­di­gung der Ei­gen­tü­mer ge­stal­te­ten sich kom­pli­ziert und lang­wie­rig. Sie zo­gen sich bis in die 1970er Jah­re hin. Un­ter den zahl­lo­sen Ver­folg­ten des NS-Re­gimes mach­ten die Klös­ter nur ei­nen ver­schwin­dend ge­rin­gen An­teil aus und wur­den folg­lich bei den Wie­der­gut­ma­chungs­pro­zes­sen nicht vor­ran­gig be­han­delt.

Gra­vie­ren­der als die ma­te­ri­el­len Schä­den wirk­te sich in den Nach­kriegs­jahr­zehn­ten je­doch der Ein­bruch der Nach­wuchs­zah­len aus, die der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus mit sich ge­bracht hat­te. Durch ver­schie­de­ne Ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen hat­te die NS-Re­gie­rung den Or­dens­nach­wuchs schon vor dem Klos­ter­sturm stark be­schnit­ten, und nach den Be­schlag­nah­men konn­te so gut wie gar kein Nach­wuchs mehr auf­ge­nom­men und aus­ge­bil­det wer­den. Die Or­den und Kon­gre­ga­tio­nen ha­ben sich von die­sem Rück­schlag nie wie­der ganz er­holt. Die Fol­gen der NS-Herr­schaft wirk­ten nach dem Krieg mit all­ge­mei­nen Ten­den­zen der Sä­ku­la­ri­sie­rung und Ent­kirch­li­chung in der deut­schen Ge­sell­schaft zu­sam­men. Von den 18 Klös­tern, die im Erz­bis­tum Köln dem Klos­ter­sturm zum Op­fer fie­len, muss­ten sie­ben in­zwi­schen ge­schlos­sen wer­den, auch die üb­ri­gen ha­ben sich stark ver­klei­nert. So bil­de­te Himm­lers Klos­ter­sturm ei­ne tie­fe Zä­sur in der Or­dens­ge­schich­te, de­ren Fol­gen bis heu­te spür­bar sind.

Quellen

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Clemens August Kardinal Graf von Galen, Bischof von Münster, Porträtfoto, Foto: Gustav Albers. (Bildersammlung des Bistumsarchivs Münster)

 
Zitationshinweis

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Mertens, Annette, Klostersturm im Rheinland 1940–1942, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/klostersturm-im-rheinland-1940%25E2%2580%25931942/DE-2086/lido/57d1363aa733c3.96098249 (abgerufen am 06.12.2024)