Die Kreuzzugsbewegung am Niederrhein 1096 - um 1230
Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Einleitung
Die Verbindungen zwischen der historischen Landschaft des Niederrheins und dem Heiligen Land werden in ihrer heutigen Wahrnehmung vornehmlich durch Gestalten des Spätmittelalters geprägt. So war Johann I., Herzog von Kleve und Graf von der Mark, zur Mitte des 15. Jahrhunderts öffentlichkeitswirksam nach dem Heiligen Land gepilgert. Er tat dies für sein Seelenheil, aber auch, um sich dort prestigeträchtig zum Ritter des Heiligen Grabes schlagen zu lassen.[1] Ein halbes Jahrhundert später tat es ihm der Ritter Arnold von Harff gleich und verfasste darüber einen ausführlichen Reisebericht, der wegen seiner Komposition aus tatsächlich Erlebtem und fiktiven Erfahrungen auch heute noch äußerst lesenswert ist.[2] Während diese spätmittelalterlichen zivilen Pilgerreisen nach dem Heiligen Land im kulturellen Gedächtnis der Niederrheinregion recht präsent sind[3], verhält es sich mit dem Bewusstsein der Kreuzzugsgeschichte jenes Raumes anders.
Die Kreuzzugsbewegung des hohen Mittelalters ist kein historisches Phänomen, das man ad hoc mit der Geschichte der Niederrheinregion verbinden würde. Dies hat seine Gründe in der disparaten Quellenlage, aber auch im symbolischen Gehalt des Zieles vieler Kreuzzüge und dem erzählerischen Schwerpunkt der wenigen historiographischen Quellen: zu bedeutungsschwanger und prominent waren die Ziele der Kreuzfahrer, nämlich die heiligen Stätten der Christenheit in Palästina, zu ereignisreich und Aufsehen erregend die Reisen dorthin, die von Schlachten, Greueltaten und Wundern geprägt waren. So gerät der Blick für die Heimat der Kreuzfahrer leicht aus dem Blick. Verschiedene Sachverhalte binden die Kreuzzüge allerdings an die Regionen des lateinischen Mittelalters zurück: Sie waren Produkte westlich-lateinischer Entwicklungen in Gesellschaft und Religion (beispielhaft hier die Verchristlichung des Rittertums und die Kirchenreform). An deren Ende stand ein religiös motivierter Feldzug, zu dem sich die Teilnehmer auf päpstlichen Aufruf hin eidlich verpflichteten und dafür bestimmte Vorrechte genossen, die sich zum Teil auf Person und Eigentum (Schutzprivilegien), zum Teil auf das Heil der Seele bezogen (Ablass).[4] Zudem entstammten die Kreuzfahrer den Regionen der lateinischen Christenheit, und der überwiegende Teil derjenigen, die die gefahrvolle Reise überlebt hatten, kehrte schließlich auch dorthin zurück. Dies alles gilt auch für die historische Landschaft Niederrhein beziehungsweise deren Bewohner.
2. Der erste Kreuzzug 1096-1101
(Zu Hintergründen und Verlauf Mayer, Kreuzzüge, S. 53-80.)
Am 27.11.1095 rief Papst Urban II. (Pontifikat 1088-1099) auf der Synode von Clermont zur Befreiung der heiligen Stätten der Christenheit auf.[5] Die mehrfach überlieferte, im Wortlaut allerdings nicht erhaltene Predigt beschwor eindringliche Bilder christlichen Leids im östlichen Mittelmeerraum herauf. Robert der Mönch (um 1055-1122) laut Selbstauskunft Augenzeuge des Sermons, zitiert den Pontifex folgendermaßen: „Das Volk der Perser, ein fremdes Volk, ein von Gott abgelehntes Volk, eine Brut von ziellosem Gemüt und ohne Vertrauen auf Gott [Psalm 77, 8], ist in die Länder der dortigen Christen eingedrungen, hat sie durch Mord, Raub und Brand entvölkert und die Gefangenen teils in sein Land geführt, teils elend getötet; es hat die Kirchen Gottes völlig zerstört oder für seinen eigenen Kult beschlagnahmt. Sie besudeln die Altäre mit ihrem Unrat und stürzen sie um; sie beschneiden die Christen und gießen das Blut auf die Altäre oder in die Taufbecken.“[6] Schließlich gelangte Urban zum Kern seines Anliegens. Robert berichtet: „Wem anders fällt nun die Aufgabe zu, diese Schmach zu rächen, dieses Land zu befreien, als euch?“.[7] Als Lohn für die Befreiung der heiligen Stätten bot der Papst nichts weniger als die remissio peccatorum, die Befreiung von den bisher begangenen Sünden.[8] Damit bediente er das in dieser Zeit starke Bedürfnis nach dem Heil der Seele, das durch persönliches sündhaftes Verhalten stets gefährdet war und via Beichte, Buße und priesterliche Absolution wiederhergestellt werden konnte. Die von Robert dem Mönch überlieferten massenhaften Rufe „Gott will es, Gott will es!“[9] verdeutlichen die positive Resonanz der päpstlichen Rede, und in der Folge bezeichneten sich viele der Anwesenden mit dem Kreuz als Zeichen der Teilnahme an dieser Unternehmung. Rasch verbreitete sich der Aufruf Urbans über Frankreich, in die Normandie, nach Flandern und in andere Gegenden Europas, und die Resonanz war gewaltig. Nach modernen Schätzungen brachen etwa 60.000 Menschen nach Palästina auf.
Wie verhielt es sich nun in der hier untersuchten Region, der historischen Landschaft Niederrhein? Zunächst sei die Vorbemerkung gestattet, dass eine mögliche Beteiligung der Großen des Niederrheins am ersten Kreuzzug auf eine gewisse Tradition zurückgeführt werden könnte, nämlich im Bereich des Pilgerwesens. Bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts finden wir einen Bischof und einen Grafen in den Quellen, die an Pilgerreisen nach Palästina teilgenommen haben: Zu einem unbestimmten Zeitpunkt vor 1039 war Graf Dietrich III. von Holland (Regierungszeit 993-1039) nach Jerusalem gepilgert.[10] Die Durchführung einer solch langwierigen und gefährlichen Reise war absolut ausreichend dafür, dass der Graf posthum den ehrenhaften Beinamen „Hierosolymita“, Jerusalemfahrer, erhielt. Auch an der sogenannten Großen Pilgerfahrt von 1064, als sich Tausende von Pilgern aus dem Reich zu einem großen Zug nach Palästina zusammengeschlossen hatten[11], beteiligte sich ein Bischof aus der hier untersuchten Region, nämlich Wilhelm I. von Utrecht (Episkopat 1056-1076), der möglicherweise eng mit dem geldrischen Grafenhaus verwandt war.[12]
Würde man ausgehend von diesen bereits recht „dünnen“ Befunden Kontinuitäten erwarten, also adelige Teilnehmer des ersten Kreuzzugs aus der Niederrheinregion, so würde man enttäuscht werden. Kreuzfahrer aus der gesellschaftlichen Elite dieses Raumes sucht man in den Quellen vergeblich. Dennoch sollte man nicht vorschnell urteilen, dass tatsächlich kein Ritter oder Graf dieser Region nach Jerusalem aufgebrochen sei – die Quellenarmut jener Zeit erlaubt hier nur keine klaren Schlüsse.
Nun war der erste Kreuzzug beileibe keine exklusive Angelegenheit der Großen diesseits oder jenseits der Reichsgrenze. Papst Urban II. hatte in seinem berühmten Aufruf zur Befreiung der Heiligen Stätten zwar eher auf die Initiative der Ritterschaft gehofft, doch verbreitete sich sein Appell zügig in allen Bevölkerungsschichten. Auch und gerade die mittleren und unteren Schichten der mittelalterlichen Gesellschaften nahmen teil, worüber uns die überlieferten Predigterfolge Peters des Einsiedlers (gestorben 1115) oder des Priesters Gottschalk unterrichten. Gerade im Nordwesten des Reichs hatten beide großen Zulauf. Der zeitnah schreibende Chronist Albert von Aachen (1. Hälfte 12. Jahrhundert) berichtet, dass Peter eine große Menschenmenge mobilisierte, deren soziale Zusammensetzung von Bischöfen über weltliche Fürsten bis hin zum gemeinen Mann – und zur gemeinen Frau – reichte.[13] Dabei stammte ein beachtlicher Teil aus Niederlothringen, womit Albert unter anderem die Niederrheinregion meinte. Wie Peter konnte auch Gottschalk einen großen Zug zusammenstellen, mit einem erheblichen lothringischen Element. Trotz allen Zulaufs hielten die deutschen Kontingente der sogenannten Volkskreuzzüge den Vergleich mit den nur wenig später aufbrechenden Ritterheeren beispielsweise Frankreichs in puncto Organisation oder militärischer Schlagkraft nicht stand. Die Gründe für den dargestellten Befund sind keineswegs leicht zu ermitteln. Es seien hier nur zwei Punkte angeführt, die die Beobachtungen erklären können, nämlich einerseits die Kreuzzugswerbung und andererseits kirchenpolitische Querelen. Zunächst zur Werbung, die in Form von Predigten durchgeführt wurde: Im Nordwesten wie auch in den übrigen Teilen des Reichs hatte keine organisierte Kreuzzugspredigt stattgefunden. Die Bewohner des Reichs haben wohl zum Teil sogar erst von den durchziehenden Kreuzfahrern vom Aufruf Urbans erfahren. Anders lagen die Dinge in Frankreich, wo Urban II. persönlich predigte oder Bischöfe und Äbte den Kreuzzug predigen ließ.[14] Bei der Kreuzzugswerbung konnte sich Urban als ehemaliger Prior des Klosters Cluny der Unterstützung besonders durch den Klosterverband der Cluniazenser sicher sein, der am Niederrhein hingegen nur mittelbar Einfluss ausüben konnte. Hier dominierten andere Frömmigkeitsformen, beispielsweise die Siegburger Reform, die sich in wesentlichen Punkten gegen die Reformbestrebungen der Cluniazenser stellte. Die päpstliche Kreuzzugspropaganda erreichte diese Region also nicht auf offiziellem Wege.
Zudem darf nicht vergessen werden, dass der Investiturstreit um das Jahr 1100 weiter schwelte. In diesem grundsätzlichen Konflikt zwischen Papst und Kaiser, wem denn nun das Recht der Bischofseinsetzungen zustehe, hatte sich der deutsche Episkopat auf der Synode von Mainz im Jahr 1085 demonstrativ hinter den sogenannten deutschen Gegenpapst Clemens III. (1080-1100) gestellt[15], weshalb die Position Urbans II. im Reich von Beginn seiner Amtsübernahme 1088 an sehr schwach war. Eine Initiative dieses Papstes stieß folglich im Reich auf wenig Begeisterung, und dies galt auch für den Niederrhein. Diese beiden Gründe sind zwei von vielen, die die geringe Resonanz der Großen dieser Region erklären können.
3. Der zweite Kreuzzug 1147-1149
(Zum Verlauf Philipps, The Second Crusade.)
Während der erste Kreuzzug letztlich von Erfolg gekrönt war und nicht zuletzt deshalb auch im heutigen kulturellen Gedächtnis der westlichen christianitas einen festen Platz hat, steht es um die späteren Kreuzzüge in der Regel schlechter. Der zweite Kreuzzug von 1147 bis 1149 stieß im Reich auf eine insgesamt deutlich größere Resonanz als der erste. Zunächst zum historischen Kontext: Im Verlauf des ersten Kreuzzugs waren vier Kreuzfahrerherrschaften entstanden. Die erste Gründung, die Grafschaft Edessa in der heutigen Südosttürkei, war im Jahr 1144 an Nureddin Zengi (1118-1174), den Herrscher von Aleppo und Mosul, verlorengegangen. Auf die Nachricht dieser Niederlage hin rief Papst Eugen III. (Pontifikat 1145-1153) im Jahr 1146 zum Kreuzzug gegen die Muslime auf. Der wohl auch an König Konrad III. (römisch-deutscher König 1138-1152) und die deutschen Großen gerichtete Aufruf gelangte erhebliche Verbreitung, wofür zunächst vermutlich unautorisierte Predigten Einzelner verantwortlich waren – zu denken ist für den Niederrhein an den entlaufenen Zisterziensermönch Radulf (12. Jahrhundert), der 1146/1147 um Köln sehr erfolgreich das Kreuz predigte und zum Mord an den Juden aufrief.[16] Diese aggressive und den Ordensregularien widersprechende Vorgehensweise rief Bernhard von Clairvaux (1090-1153), den einflussreichsten Prediger jener Zeit, auf den Plan und unter anderem auch nach Köln. Dort und in anderen Teilen des Reichs lenkte er die Kreuzzugspredigt in geregelte Bahnen.[17] Der Widerhall der verschiedenen Predigten war besonders in und um Köln verhältnismäßig stark. In dieser Region lassen sich mächtige Herren wie Goswin von Randerath, Hermann von Hardenberg (gestorben 1151?), Heinrich von Kaster oder der gleichnamige Sohn Adolfs von Berg als Kreuzfahrer sicher nachweisen. Möglicherweise hatte auch Gerhard, ein Neffe Wilhelms von Jülich (ca. 11411176), das Kreuz genommen[18], doch stellt sich dem Historiker in diesem und in anderen Fällen ein grundsätzliches Problem: Die Annahme einer Kreuznahme des Jülichers beruht auf seinem vermuteten Todestag, dem 26.10.1147. Tags zuvor hatten die deutschen Kreuzfahrer im Gefolge König Konrads bei Doryläum in Kleinasien eine vernichtende Niederlage gegen die Seldschuken erlitten, die viele Opfer unter den Großen wie den unbedeutenderen Teilnehmern gefordert hatte. Reicht das Zusammenfallen der beiden Ereignisse aus, um Gerhard von Jülich zu einem Kreuzfahrer zu erklären? Ich mahne hierbei zu Vorsicht, denn es ist ebenso gut möglich, dass Gerhard Ende Oktober tot von seinem Pferd fiel, und zwar bei Koslar (heute Stadt Jülich), Aldenhoven oder anderswo. Thomas R. Kraus mutmaßt weiter, Graf Arnold von Kleve (Regierungszeit ab 1119) habe sich ebenfalls dem Kreuzzug angeschlossen[19], doch führt er dazu keinen Beleg jenseits des Todesjahres (circa 1148/1149) an, das analog zu Gerhard von Jülich ebenso gut zufällig mit der Zeit des Kreuzzuges übereinstimmen kann.
Besonders stark war die Beteiligung am Kreuzzug in und um Köln selbst. Dort fanden sich zahlreiche niederrheinische Pilger zusammen, die im Frühjahr 1147 per Schiff unter der Führung des Grafen Arnold von Aarschot (1100-nach 1152) gemeinsam mit Flamen und Engländern nach Palästina lossegelten.[20] Nachdem sie einen Zwischenstopp in der Nähe von Santiago de Compostela eingelegt und das Grab des heiligen Jakobus aufgesucht hatten, ließen sie sich vor Ort überzeugen, gemeinsam mit dem portugiesischen König Afonso Henriques (Regierungszeit 1139-1185) die Stadt Lissabon zu belagern. Die Belagerung endete siegreich, doch sorgte dieser Erfolg bei manchen Pilgern dafür, dass sie ihren Eid als erfüllt betrachteten und in die Heimat zurückkehrten oder sich in der Gegend um Lissabon niederließen. Nur einige kleinere Kontingente der ursprünglich beeindruckenden Flotte machten sich weiter auf den Weg in das Heilige Land.
Vor allem die Berichte über die Eroberung Lissabons im Rahmen des zweiten Kreuzzugs[21] belegen die grundsätzlich verbreitete Bereitschaft der Bewohner des Niederrheins, die verhältnismäßig sichere Heimat zu verlassen und in der Ferne für Christus zu streiten. Im Vergleich zu anderen Regionen des Reichs nahmen jedoch erneut nur wenige Große der Niederrheinregion das Kreuz. Möglicherweise hängt dieser Befund mit der Kreuznahme König Konrads in Speyer an Weihnachten 1146 zusammen. Mit seinem Gelübde setzte er sich an die Spitze der Kreuzzugsbewegung im Reich, was für das Gesamtunternehmen nicht nur Vorteile mit sich brachte. Das Königtum wirkte zwar in Bezug auf die Kreuznahmen der Großen des Reichs prinzipiell integrierend, allerdings galt dies nur für diejenigen, die für sich das Attribut „königsnah“ beanspruchen konnten, sich also im politischen Lager des Staufers befanden: Viele Fürsten aus dem Nordosten des Reiches, größtenteils eher der Opposition gegen Konrad zuzurechnen, zogen nicht im Heer des Königs nach Palästina, sondern marschierten wie der jüngst von den Staufern militärisch bedrängte Zähringerherzog Berthold IV. (Regierungszeit 1152-1186) lieber gegen die heidnischen Wenden östlich der Elbe.[22] Dem eigentlichen Kreuzzug enthielten sie ihre Machtpotenziale also vor. Die nordwestliche Adelselite hatte ihrerseits bislang eine untergeordnete Rolle in der Politik Konrads gespielt, war insofern auch eher königsfern, jedoch ohne offen zu opponieren. Für diese These spricht das Itinerar Konrads, laut dem er sich bei insgesamt 145 dokumentierten Aufenthalten nur bei 16 Gelegenheiten im Nordwesten des Reiches befand.[23] Auch ist der Kölner Erzbischof Arnold I. in den Jahren unmittelbar vor Beginn des Kreuzzugs seltener am Hof Konrads anzutreffen als noch in den 1130er Jahren, obwohl er von den Aufenthaltsorten des Königs her durchaus öfter dort hätte erscheinen können. Dies spricht für eine sinkende Bedeutung des mächtigsten Mannes im Nordwesten des Reichs im Vorfeld des Kreuzzugs. Insofern zeigte die Kreuznahme Konrads als integrierender Faktor im Nordwesten des Reiches nur wenig Wirkung.
4. Der dritte Kreuzzug 1189-1191
(Zum Verlauf Mayer, Kreuzzüge, S. 169-185.)
Etwa 40 Jahre später, im Jahr 1187 ging den Christen die heilige Stadt Jerusalem wieder verloren. Der nicht zuletzt aus Lessings Drama Nathan der Weise bekannte Sultan Saladin (1137/1138-1193) hatte die vereinigten Heere der Kreuzfahrerherrschaften in der Schlacht bei Hattin vernichtend geschlagen, das heilige Kreuz erbeutet und die Christen bis an die Küsten des Mittelmeeres getrieben. Diese schlimmstmögliche Wendung der Ereignisse im Heiligen Land führte zu einem erneuten Kreuzzug, der in den Jahren 1189-1192 unter der Führung dreier gekrönter Häupter stattfand, nämlich Philipp II. von Frankreich (Regierungszeit 1180-1223), Richard I. Plantagenet (Löwenherz) (Regierungszeit als König 1189-1199) und Kaiser Friedrich I. Barbarossa (römisch-deutscher König 1152-1190, ab 1155 Kaiser). Der sogenannte dritte Kreuzzug kann gewiss als Höhepunkt der Kreuzzugsbeteiligung im Reich angesehen werden – der Kreuzzugshistoriker Reinhold Röhricht identifizierte beinahe doppelt so viele Teilnehmer wie für den zweiten Kreuzzug.[24] Dem Nordwesten des Reichs lassen sich 26 dieser Personen zuweisen, und zum ersten Mal in der Geschichte der Kreuzzüge sind nun auch die Großen des Niederrheins auf breiter Front vertreten. Dazu gehörten in alphabetischer Reihenfolge die Grafen Otto II. von Bentheim (Regierungszeit 1166-1208), Engelbert I. von Berg (Regierungszeit 1165-1189), Heinrich von Cuyk (gestorben1204), Otto von Geldern (Regierungszeit 1182-1207), Florens III. von Holland (um 1138-1190) mit seinem Sohn Wilhelm (um 1170-1222, Regierungszeit ab 1203), Wilhelm II. von Jülich (Regierungszeit 1176-1207), Dietrich III. von Kleve (Regierungszeit 1173-1193), dazu Herzog Heinrich III. von Limburg (Regierungszeit 1167-1221. Von den geistlichen Fürsten beteiligten sich Bischof Hermann II. von Münster (Episkopat 1174-1203) und möglicherweise Balduin II. von Utrecht (Episkopat 1178-1196). Diese beeindruckende Phalanx wird ergänzt von einer erneut starken Beteiligung der Kölner, gemeinsam mit den Bewohnern der Siedlungen entlang des Niederrheins. Wie ihre Vorgänger im Kontext des zweiten Kreuzzugs rüsteten die Niederrheiner eine – diesmal deutlich kleinere – Flotte aus, mit der sie gemeinsam mit Lüttichern, Flamen und Engländern den Seeweg nach Jerusalem einschlugen.[25] Erneut unterbrachen sie ihre Reise auf der Iberischen Halbinsel, erneut pilgerten sie nach Compostela und erneut unterstützten sie erfolgreich den portugiesischen König – diesmal Sancho I. (Regierungszeit 1185-1211) – bei der Belagerung einer muslimischen Festung, nämlich Alvor. Die Kölner Königschronik vermeldet für den 2.2.1190 die Rückkehr vieler reich mit Beute beladener Kölner, weshalb davon auszugehen ist, dass ein erheblicher Anteil jener die Seereise nicht bis nach Palästina fortgesetzt hat. Im September 1189 traf die aus ungefähr 60 Schiffen bestehende restliche Flotte unter der Führung Jakobs von Avesnes (um 1152-1191) schließlich in Akkon ein.
Die breite Kreuzzugsbeteiligung am Niederrhein lässt sich zum einen auf den Auslöser des Kreuzzugs zurückführen, nämlich den Verlust Jerusalems und des Heiligen Kreuzes nach der katastrophalen Niederlage von Hattin. Dieser Schicksalsschlag hatte die Menschen im Reich – wie überall in Lateineuropa – aufgerüttelt. Zum anderen hatte Papst Gregor VIII. (Pontifikat 21.10.-17.12.1187) auf die Meldung der Niederlage hin eine außerordentlich effiziente Predigtkampagne angeordnet: Die „Motoren“ der Kreuzzugswerbung nördlich der Alpen waren der in der Kreuzpredigt erfahrene Heinrich von Marcy, Kardinalbischof von Albano (Episkopat 1179-1189), und Joscius, der Erzbischof von Tyros (Episkopat 1186-um 1202), der die Lage im Heiligen Land gut kannte.[26] Diesen offiziellen und professionellen Predigern gelang es, zahlreiche Menschen aller Bevölkerungsschichten zur Kreuznahme zu bewegen.
Entscheidender dafür, dass sich die nordwestlichen Magnaten tatsächlich dem kaiserlichen Kreuzzug anschlossen, waren allerdings drei Begebenheiten eher politischer Natur: Auf dem sogenannten Hoftag Jesu Christi, bedeutungsschwanger terminiert auf den Sonntag Laetare Jerusalem des Jahres 1188, unterwarf sich der mächtige Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg Kaiser Friedrich I. Barbarossa und wurde von ihm gegen hohe Geldzahlungen wieder zu Gnaden aufgenommen.[27] Neben der symbolträchtigen Wirkung dieses Gnadenakts als kaiserliche Friedensstiftung im Vorfeld des Kreuzzugs erreichte Friedrich auf diese Weise die Deeskalation des Konfliktes mit dem Erzbischof um die Vorherrschaft im Nordwesten des Reichs, der bereits seit einigen Jahren geschwelt hatte. Der Kölner Lehnshof, darunter viele niederrheinische Große, hatte bis dahin recht einmütig hinter Philipp gestanden, sodass die befürchtete bewaffnete Auseinandersetzung zwischen dem Metropoliten und Friedrich wohl auch die Vasallen des Kirchenfürsten betroffen hätte. Insofern schuf die kaiserliche Friedensstiftung politischen Freiraum, der die Möglichkeit der Kreuznahme eröffnete. In eine ähnliche Richtung weist die geschickte Schlichtertätigkeit, die Friedrich bei dieser Versammlung an den Tag legte: Es gelang ihm, Bischof Balduin von Utrecht und Graf Otto von Geldern miteinander zu versöhnen. Beide hatten einander seit geraumer Zeit um die Grafschaft Veluwe befehdet, und verwandtschaftliche wie politische Verbindungen hatten Florens von Holland sowie Dietrich von Kleve auf Seiten des Bischofs, Philipp von Heinsberg, Hermann von Münster, Heinrich von Brabant (Regierungszeit 1183-1235) und die Grafen von Berg auf Seiten Ottos in den Konflikt mit hineingezogen.[28] Dem Kaiser gelang es, den drohenden Flächenbrand am Vorabend des Kreuzzugs entscheidend einzudämmen. Schließlich schlichtete Friedrich bei dieser Gelegenheit einen Konflikt zwischen Philipp von Heinsberg und Graf Dietrich von Kleve um die Rheininsel Hoen, die beide Konfliktparteien für sich beanspruchten.[29] Diese drei erfolgreichen Friedensstiftungen legten die Basis für eine breite Beteiligung der Großen aus dem Nordwesten des Reichs.
Friedrichs grundsätzlich rege Beteiligung an der Herrschaftsgestaltung am Niederrhein tangierte sicherlich die Interessen der politischen Akteure dieser Region, doch geht die Folgerung, der Staufer habe in den Jahren vor dem Kreuzzug einen regelrechten Wirtschaftskrieg[30] gegen Köln und die niederrheinischen Großen geführt, wohl zu weit. Die breite Beteiligung am kaiserlich geführten Kreuzzug unterstützt diese Sichtweise, weil sich eine strukturell aggressive Politik gegen die niederrheinischen Mächte sicher negativ auf die Teilnahme im kaiserlichen Gefolge ausgewirkt hätte. Dass es Alternativen gab, belegt die Entscheidung Herzog Heinrichs III. von Limburg, der im Heer König Richards von England kämpfte. Die übrigen Großen hatten sich hingegen dem Kaiser angeschlossen, sodass eine grundsätzliche politische Gegnerschaft im Vorfeld des Kreuzzugs unwahrscheinlich erscheint.
5. Der Kreuzzug Heinrichs VI. 1197/98 und der vierte Kreuzzug 1202-1204
(Zu den jeweiligen Verläufen Naumann, Kreuzzug beziehungsweise Phillips, The Fourth Crusade.)
Der dritte Kreuzzug war zwar kein vollkommenes Fiasko wie der zweite, doch endete er für die Christen unbefriedigend: Wenngleich ein schmaler Küstenstreifen für die Lateiner gesichert werden konnte, verblieben die heiligen Stätten in muslimischer Hand. Ihre Rückeroberung blieb in den folgenden Jahren das vorrangige Ziel der Kreuzfahrer. Nur wenige Jahre nach Barbarossas Tod in Kleinasien 1190 gelobte auch sein Sohn Heinrich (römisch-deutscher König 1169-1197, ab 1191 Kaiser) einen Kreuzzug. Trotz des großen Aderlasses in den Reihen der Adelselite während des dritten Kreuzzugs fanden sich viele Große des Reichs im Jahr 1197 bereit, erneut das Kreuz zu nehmen.[31] Der Nordwesten des Reichs hielt sich bis auf Heinrich, den Herzog von Brabant, und Walram, Graf von Löwen, auffällig zurück. Vom Niederrhein im engeren Sinne ist kein Mächtiger überliefert, der sich mit dem Kaiser nach Palästina aufgemacht hätte, wenngleich nach extrem unsicherer Quelle Graf Dietrich von Kleve teilgenommen haben soll. Die in dieser Region begüterten Heinrich III., Herzog von Limburg, Bischof Hermann II. von Münster und vielleicht auch Erzbischof Adolf I. von Köln leisteten zwar den Kreuzfahrereid, ließen sich allerdings von ihrem Gelübde entbinden.
Einer der Gründe für das weitgehende Fehlen von Großen aus dem Nordwesten insgesamt und dem Niederrhein im Besonderen wird in der grundsätzlichen Opposition des Kölner Metropoliten Adolf von Altena zu Kaiser Heinrich zu sehen sein. Diese Opposition hatte ihre Ursache in dem Bemühen Heinrichs, die deutsche Königswürde nach französischem Vorbild erblich werden zu lassen. Zwar bot der Kaiser den Fürsten im Gegenzug an, ihre Reichslehen im männlichen wie im weiblichen Erbgang ebenfalls erblich werden zu lassen, doch nahm er ihnen so jeglichen Einfluss auf die Regierung des Reichs. Der sogenannte Erbreichsplan des Staufers – insbesondere der aus ihm faktisch folgende Ausschluss der Fürsten aus der Reichsregierung – war dem Kölner Erzbischof ein solcher Dorn im Auge gewesen, dass er Weihnachten 1195 die Krönung Friedrichs, Heinrichs Sohn, zum römisch-deutschen König zunächst abgelehnt hatte. Erst 1197 gab Adolf seinen Widerstand auf Druck der Fürsten auf, um nach dem Tod des Kaisers gleich wieder die Gültigkeit der Königswahl anzufechten, indem er unter anderem argumentierte, Friedrich sei zum Zeitpunkt der Wahl ungetauft gewesen, außerdem sei ein Unmündiger ohnehin nicht regierungsfähig. Er trug in der Folge sogar Herzog Berthold von Zähringen (Regierungszeit 1186-1218) die Königskrone gegen die enorme Zahlung von 1.700 Mark Silber an, was dieser mit der Begründung ablehnte, er wolle das Reich nicht kaufen.[32] Die Ablehnung Heinrichs durch den Erzbischof von Köln wird in dieser Episode hinreichend sichtbar. Insofern ist anzunehmen, dass Adolf gehörigen Druck auf seinen Lehnshof ausgeübt haben wird, die Kreuzzugspläne Heinrichs nicht zu unterstützen, da ein erfolgreicher Kreuzzug dessen Stellung beträchtlich gestärkt hätte: Petrus von Eboli (gestorben vor 1220), der wichtigste Panegyriker des Kaisers, hatte in seinem „Liber ad honorem Augusti“ bereits angekündigt, Heinrich werde als sizilischer König dereinst auf dem Throne Salomos sitzen, der auf Jerusalem verweist, womit der Staufer und sein Kaisertum leicht Gegenstände eschatologischer Überhöhungen hätten werden können.[33] Der Kreuzzug als Mittel, diese Ankündigung zu erfüllen, konnte folglich nicht im Interesse des Kölners liegen. Auch darf nicht vergessen werden, dass den Großen des Nordwestens das rücksichtslose Verhalten Heinrichs bei der Besetzung des Bistums Lüttich 1191/1192 noch in guter Erinnerung gewesen war. Der Staufer hatte versucht, seinen Kandidaten Lothar von Hochstaden (gestorben 1194) gewaltsam gegen den Widerstand des regionalen Adels durchzusetzen und dabei eine seine Herrschaft bedrohende Revolte ausgelöst.[34]
Der Kreuzzug des Stauferkaisers Heinrich war beendet, bevor er eigentlich begonnen hatte: Kurz nach dem Aufbruch seiner Vorhut nach Palästina starb der Kaiser im September des Jahres 1197 überraschend an einer Krankheit in der Nähe von Messina. Die Heiligen Stätten blieben also im Besitz der Muslime. Dieser Umstand belastete Papst Innozenz III. (Pontifikat 1198-1216), der der vielleicht größte Juristenpapst des Mittelalters war, derart, dass er bereits ein Jahr nach dem Tod des Kaisers erneut zu einem Kreuzzug aufrief.[35] Der sogenannte vierte Kreuzzug verfehlte sein Ziel, die Rückeroberung der heiligen Stätten vollständig, führte allerdings im Jahr 1204 zur Eroberung der christlichen Metropole Konstantinopel. Dieser Zug stieß nur im äußersten Nordwesten der hier untersuchten Region auf große Resonanz. Im Gefolge Balduins IX. von Flandern (1171-1205) machten sich nur einige Wenige auf den Weg nach Osten. Der geringe Widerhall am Niederrhein – und im übrigen Reich – erklärt sich vor allem durch den deutschen Thronstreit, der kurz nach dem Tod Kaiser Heinrichs im Reich ausgebrochen war: Von der Doppelwahl 1198 bis zur Schlacht bei Wassenberg 1206 lag ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung zwischen Staufern, Welfen und ihren wechselnden Getreuen in der Kölner Kirchenprovinz, deren Städte und Große sich zunächst – vor allem wegen der wichtigen Handelskontakte nach England – mehrheitlich auf der Seite des Welfen Otto IV. (römisch-deutscher König 1198-1218, ab 1209 Kaiser) befunden hatten, seit 1204 aber zunehmend den staufischen Kandidaten Philipp von Schwaben (Gegenkönig 1198-1208) unterstützten. In dieser Zeit wechselnden Erfolges und unsicherer Bündnisse – van Eickels spricht von „allgemeiner Verunsicherung“[36] – mochten sich nur wenige bereit finden, die eigenen Güter zugunsten einer langen und beschwerlichen Reise nach Palästina zurückzulassen.
6. Der fünfte Kreuzzug 1217-1221
(Zum Verlauf Powell, Anatomy of a crusade.)
Ganz anders stellte sich die Situation im Vorfeld des sogenannten fünften Kreuzzugs dar, der von 1217 bis zum Jahr 1221 in Ägypten geführt wurde. Dort sollte die Machtbasis der Muslime zerstört werden, um so einen leichteren militärischen Zugriff auf die heiligen Stätten zu ermöglichen. Mit der Niederlage Ottos IV. bei Bouvines, der anschließenden Huldigung der niederrheinischen Großen und Städte sowie der Krönung Friedrichs II. (römisch-deutscher König 1212-1250, ab 1220 Kaiser) 1215 in Aachen war der Thronstreit faktisch beendet und so auch die politische Sicherheit im Nordwesten des Reiches wiederhergestellt worden. Von dieser Basis aus war es den Großen der Region prinzipiell möglich gewesen, am fünften Kreuzzug teilzunehmen. Tatsächlich aktiviert wurden sie allerdings von einer hocheffektiven Predigtkampagne, in deren Zentrum Oliver von Paderborn (gestorben 1227) stand. Seit 1214 hatte er das Kreuz in der Kölner Kirchenprovinz gepredigt und dabei großen Erfolg gehabt.[37] Dabei kam ihm gewiss eine Grundsatzentscheidung des Papstes entgegen: Innozenz III. hatte in seiner Bulle „Quia maior“ im Jahr 1213 die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass jeder in den Genuss eines Ablasses kommen konnte, sofern er den Kreuzzug nach seinen Möglichkeiten unterstützte.[38] Damit rückte er von den ohnehin zum Scheitern verurteilten Versuchen ab, Nichtkombattanten von den Kreuzzügen völlig auszuschließen. Stattdessen bemühte sich der Papst, den Kreuzzug zu professionalisieren, indem er den ärmeren Nichtkombattanten ermöglichte, die eigene Teilnahme durch eine Geldzahlung zu substituieren, bei gleichem geistlichem Lohn. Das Ergebnis war eine breite Unterstützung des Kreuzzugsaufrufs. Zudem waren Oliver Land und Leute vertraut, war er doch – mit Unterbrechungen – seit 1201 als Domscholaster in Köln tätig gewesen. Schließlich verfügte er über einige Erfahrung als Kreuzzugsprediger, denn er hatte im Anschluss an seine Pariser Studienzeit sehr wahrscheinlich diese Aufgabe im Kontext des sogenannten Albigenserkreuzzugs übernommen, der sich seit 1209 gegen die häretischen Katharer in Südfrankreich richtete. Die Beteiligung aus dem Nordwesten des Reiches war somit stark: Die Bischöfe von Utrecht und Münster, der Abt von Werden, zwölf Grafen und viele andere Herren hatten das Kreuz genommen und ihre Reise auch tatsächlich angetreten, während weit mehr den Eid geleistet hatten, aber schließlich doch daheim geblieben waren. Dabei spielte sicher die Ablösung des Kreuzzugsgelübdes durch die finanzielle Ausstattung anderer Kreuzfahrer eine gewichtige Rolle, denn diese Praxis war ebenfalls durch Innozenz III. gerechtfertigt worden. Unter den Grafen befanden sich neben erstmalig bezeugten Pilgern auch solche, deren Familien bereits auf eine gewisse Tradition als Kreuzfahrer zurückblicken konnten, wie beispielsweise Adolf III. von Berg der Wilhelm I. von Holland (Regierungszeit 1203-1222).
Wie bereits angedeutet stieß der Kreuzzugsaufruf nicht nur bei den Großen auf ein positives Echo. Analog zum zweiten und dritten Kreuzzug bildete sich im Jahr 1217 eine buntgemischte Flotte aus Friesen, Rheinländern, Flamen und Engländern, die auch dieses Mal den Seeweg nach Outremer einschlug.[39] Auch sie machte in Portugal Halt und half König Afonso II. (Regierungszeit 1211-1223) bei der Eroberung von Alcacer do Sal und Setúbal. Im Frühjahr 1218 traf diese Flotte in Akkon ein, womit der Angriff auf Ägypten gestartet werden konnte.
Um die Beteiligung des Nordwestens in ein Verhältnis zu der im gesamten Reich zu setzen, sei festgehalten, dass von 180 bei Röhricht aufgeführten Teilnehmern 41 aus dieser Region stammten, was über 22 Prozent der Gesamtbeteiligung ausmacht.[40] Solch eine relativ hohe Beteiligung lässt sich im Nordwesten des Reichs und damit auch am Niederrhein weder vor noch nach diesem Kreuzzug feststellen, insofern kann man das hier untersuchte Gebiet für diesen Kreuzzug durchaus als Schwerpunktregion der Kreuzzugsbewegung im Reich bezeichnen.
7. Der Kreuzzug Friedrichs II. 1227-1229
(Zu diesem Kreuzzug Hechelhammer, Kreuzzug und Herrschaft.)
Trotz aller Bemühungen endete auch der sogenannte fünfte Kreuzzug in einer christlichen Niederlage. Auch anfängliche Erfolge im Nildelta konnten nicht verhindern, dass die Kreuzfahrer eigenen taktischen Fehlern, dem Nilhochwasser und schließlich den Schwertern der Muslime zum Opfer fielen.
Noch ein weiteres Mal ließen sich die Bewohner des Niederrheins in messbaren Dimensionen für einen Kreuzzug gewinnen. Der in den Jahren 1227-1229 folgende Kreuzzug Friedrichs II. war dann aber auch der letzte, der am Niederrhein zumindest einige wenige Große mobilisieren konnte.[41] Papst Honorius III. (Pontifikat 1216-1227) hatte Konrad von Urach (gestorben 1227), Kardinalbischof von Porto und Santa Rufina, in das Reich und dort auch nach Köln beordert, um seinem Aufruf Nachdruck zu verleihen. Die Predigt übernahm erneut unter anderen Oliver von Köln, allerdings konnte er an seine Erfolge aus den letzten Jahren nicht mehr anknüpfen. An der Spitze der Kreuzfahrer aus der hier untersuchten Region befand sich Heinrich IV. von Limburg (Regierungszeit als Herzog von Limburg 1221-1246), der nach dem Tod Erzbischof Engelberts von Köln im Jahr 1225 auch Graf von Berg geworden war. Er gehörte einem Vorauskommando des Kreuzzuges an, befehligte einen Teil der kaiserlichen Truppen im Heiligen Land und war im September 1228 bereits wieder zu Hause. Die Kreuznahme Heinrichs von Limburg erscheint deshalb in einem besonderen Licht, weil er wahrscheinlich indirekt an der Tötung Erzbischof Engelberts von Berg 1225 beteiligt gewesen war, sodass seine Kreuznahme gegebenenfalls primär als persönliche Bußleistung für sehr konkretes sündhaftes Verhalten gesehen werden kann.[42] Kurz vor 1227 war möglicherweise auch Graf Florens von Lynden nach den heiligen Stätten gepilgert; ob er sich dem Kreuzzug angeschlossen hat, ist unsicher.
Die Beteiligung vom Niederrhein an diesem Kreuzzug war also vorhanden, fiel aber insgesamt gering aus. Ein Grund für diesen Befund war gewiss die nur kurze Zeit, die seit dem fünften Kreuzzug vergangen war. Ein anderer Grund mag auch in der politischen Situation am Niederrhein gesehen werden, die durch den gewaltsamen Tod Erzbischof Engelberts gehörig erschüttert worden war. Gleich zwei Regierungswechsel standen an: Zum einen die Sukzession auf dem Kölner Erzbischofsstuhl, und zum anderen die Nachfolge in der Grafschaft Berg und den damit verbundenen Rechten, die Engelbert nach dem Tod seines Bruders Adolf auf dem fünften Kreuzzug 1218 an sich gerissen hatte.[43] Wenngleich mit Heinrich von Müllenark und Heinrich IV. von Limburg durch Wahl beziehungsweise Erbgang schnell Nachfolger in den vakanten Positionen gefunden waren, galt es für die Großen dieser Region, die veränderte Situation politisch umzusetzen – Lehnsverhältnisse mussten erneuert, Bündnisse aufs Neue geschlossen werden. Zusätzlich war die Verfolgung und Bestrafung der am Tod des Metropoliten Schuldigen anzugehen. Das Urteil gegen die Übeltäter wurde schließlich im Herbst 1226 vollstreckt. Die 1225 plötzlich eingetretene umfassende Umwälzung der politischen Landschaft in der Kirchenprovinz Köln wird sich sicher negativ auf die Beteiligung am Kreuzzug Friedrichs II. ausgewirkt haben.
Mit dem Kreuzzug Friedrichs verebbte die Bereitschaft der Bewohner des Niederrheins, auf breiterer Front bewaffnet nach Palästina zu ziehen, wenngleich vereinzelte Nachrichten darauf hinweisen, dass die Kreuzzüge immer noch ihren Platz in der Gesellschaft hatten: Im Jahr 1250 finden sich beispielsweise einige Rheinländer an Bord der St. Victor, einem Schiff, das Ludwig dem Heiligen – Ludwig IX. von Frankreich (Regierungszeit 1226-1270) – nach Damiette folgte.[44] Bis auf solch vereinzelte Nachrichten schweigen die Quellen zu Kreuzfahrern vom Niederrhein.
8. Die Rückwirkungen der Kreuzzugsbewegung am Niederrhein
Nun beschränkt sich die Geschichte der Kreuzzüge nicht allein auf die Reisen nach den und das Streiten für die heiligen Stätten in Palästina. Die Kreuzfahrer entstammten regionalen Zusammenhängen, und auf diese wirkten die Kreuzzüge auch zurück. Ich möchte diesen Befund anhand von vier Beispielen in aller Kürze verdeutlichen, nämlich den Kreuzzugsvorbereitungen, den Judenpogromen, den dynastischen Folgen der Kreuzzüge und schließlich der Veränderung der spirituellen Landschaft am Niederrhein.
Die Teilnahme an einem Kreuzzug wollte gut vorbereitet sein. Ein derartiges Unterfangen war eine kostspielige Angelegenheit, besonders für den Adel. Alan Murray hat errechnet, dass ein Ritter, wollte er standesgemäß reisen, etwa 40 Mark Silber an Kosten kalkulieren musste.[45] Dieser Betrag erscheint gering, allerdings muss man ihn in einen vergleichenden Kontext stellen. Zwei Beispiele aus der Region: Wir wissen aus den Gütererwerbslisten des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg, dass dieser für 40 Mark Silber und eine jährliche Rente von 4 Mark Burg und Hof Angermund (heute Stadt Düsseldorf) sowie für 60 Mark die Burg und den kompletten Eigenbesitz der Herren von Rheydt (heute Stadt Mönchengladbach) kaufen konnte.[46] Für einen durchschnittlichen Ritter waren das enorme Beträge, die die Existenz als eigenständige Herren bedrohten. Angehörige des höheren Adels, beispielsweise Grafen, mussten mindestens das Zehnfache investieren, wollten sie den Kreuzzug in einem ihrem Rang angemessenen Rahmen bestreiten. Daraus folgt, dass wirtschaftliche Motive für den Zug nach Palästina von eher nachgeordneter Bedeutung waren. Stattdessen mussten häufig Kredite aufgenommen werden, um die Kosten des Kreuzzugs zu decken. Gottfried von Bouillon (1060-1100), der spätere Herrscher über Jerusalem, verkaufte entgegen anderslautender Meinung seinen heimatlichen Besitz im Vorfeld des Kreuzzugs nicht, sondern verpfändete ihn an den Bischof von Lüttich, um ihn nach seiner Rückkehr wieder auszulösen.[47] Graf Adolf III. von Berg lieh sich von den Zisterziensern der Abtei Altenberg eine Summe von 100 Mark, die ihm zur Deckung seiner Kreuzzugskosten fehlten. Als Sicherheit gab er ihnen seinen Hof bei Mehrheim (heute Stadt Köln) zu Pfand.[48] Da viele Kreuzfahrer während des Unternehmens verstarben, im Heiligen Land blieben oder aber nach geglückter Heimkehr als Dank für die Gebete der Mönche die gegebenen Pfänder endgültig den Kreditgebern schenkten, verschob sich die Besitzverhältnisse im Rahmen der Kreuzzüge zugunsten geistlicher Institute: Klöstern, Kirchen, Domkapiteln. Ein wesentlicher Grund ist sicher darin zu sehen, dass diese Einrichtungen am ehesten in der Lage waren, zügig finanzielle Mittel zu Verfügung zu stellen. Ein anderer Grund bestand in dem Wunsch vieler Kreuzfahrer, sich vor dem Aufbruch der Fürbitten der Religiosen zu versichern, die auf diesem Wege zum Erfolg des Unternehmens oder wenigstens zu einer glücklichen Heimkehr des Kreuzfahrers beitragen sollten. Auch diese häufig mit den Pfandgeschäften verbundene „spirituelle Versicherung“ ließen sich die Kreuzfahrer einiges kosten. Auf diese Art gestaltete die Kreuzzugsbewegung die heimatlichen Gefilde besitzrechtlich um, ohne dass die Kreuzfahrer ihre Heimat auch nur verlassen hatten.
Wie bereits gesagt, fanden sich im Vorfeld des ersten Kreuzzugs zahlreiche Menschen um wirkmächtige Prediger zusammen, die diese Kontingente nach Palästina zu führen gedachten. Nicht alle dieser recht undisziplinierten Haufen erreichten auch nur die Reichsgrenzen. Während die Gruppen um Peter den Einsiedler und Gottschalk rheinaufwärts zogen und sich dann tatsächlich gen Osten aufmachten, schlug ein Kontingent unter der Führung Graf Emichos von Flonheim (nach 1050-frühes 12. Jahrhundert) einen anderen Weg ein. Diese Kreuzfahrer beschlossen, dass mit dem Kampf gegen die „Feinde Christi“ gleich vor Ort begonnen werden müsse. So richteten sie ihren Zorn gegen die jüdischen Gemeinden entlang des Rheins, wobei sie regelrechte Massaker verübten. Die Gemeinden in Köln, Neuss, Wevelinghoven, Eller (heute Stadt Düsseldorf) oder Ellen (heute Stadt Düren) zahlten einen hohen Blutzoll, der in Einzelfällen zur völligen Vernichtung der Gemeinden führen konnte.[49] Auch die jüdische Gemeinde in Xanten blieb nicht verschont. Die Xantener Juden trafen, sobald sie von Flüchtlingen aus Köln über die Pogrome erfahren hatten, eine folgenschwere Entscheidung: Um der Zwangstaufe – in den hebräischen Berichten über die Massaker „Verstänkerung“ genannt – oder dem Tod durch die in ihren Augen unreinen Hände der Christen zu entgehen, schlachteten sie in Reminiszenz an das Tempelopfer einander rituell. Diese Praxis, bei der weder der Bruder den Bruder, die Mutter das Kind, der Ehemann seine Gattin verschonte, bezeichneten sie als kiddush hashem, als Heiligung des göttlichen Namens. Die jüdische Gemeinde Xantens muss nach den Verfolgungen kurz vor ihrer Vernichtung gestanden haben, doch weisen Nachrichten auf eine Bestattung der Opfer darauf hin, dass zumindest einige wenige Juden überlebt haben müssen. 100 Jahre später hatte sich die hiesige jüdische Gemeinde derart erholt, dass nun sogar auswärtige Juden hier beigesetzt wurden – diese Praxis ist bis dahin vornehmlich für Köln belegt, das Zentrum des niederrheinischen Judentums.[50] Glücklicherweise bedeuteten die Gewaltexzesse der frühen Kreuzfahrer nicht das Ende jüdischen Lebens in Xanten, eine historische Zäsur stellten die blutigen Pogrome am Niederrhein allerdings in jedem Fall dar, handelte es sich bei ihnen doch um die ersten organisierten antijüdischen Pogrome im Mittelalter. Erst in den Jahren der großen Pest 1348-1351 finden sich in ihrem Ausmaß vergleichbare gewaltsame Ausbrüche eines kollektiven Judenhasses.
Zu den dynastischen Folgen: Die Teilnehmer des ersten Kreuzzugs ließen sich in dem Moment, als sie die heimatlichen Gefilde verließen, in der überwiegenden Mehrheit auf ein unbekanntes Abenteuer ein. Anders verhielt es sich mit den Kreuzfahrern, die sich an den späteren Kreuzzügen beteiligten; jene konnten häufig auf eine Familientradition Bezug nehmen: Hatte ein älterer Verwandter bereits zu einer früheren Gelegenheit das Kreuz genommen, wollte die jüngere Generation nicht hinter diesem geistlichen Verdienst zurückstehen.[51] Der Kreuzzug generierte nämlich nicht nur persönlichen geistlichen Lohn in Form des Ablasses, sondern schuf, um einen Begriff Pierre Bourdieus zu verwenden, symbolisches Kapital: Die Teilnahme an einem Kreuzzug erhöhte das Ansehen des Kreuzfahrers beträchtlich, konnte er doch für sich behaupten, seine eigene körperliche Existenz für den Herrn Jesus Christus und für seine Mitchristen eingesetzt zu haben. Mehr Dienst an Gott und der christianitas war für einen weltlichen Adeligen kaum möglich. Auf diese Weise begründeten sich häufig Traditionen, die die Kreuzzugsteilnahme in aufeinanderfolgenden Familiengenerationen wahrscheinlich machten. Als Beispiel aus dem historischen Raum des Niederrheins sollen hier die Grafen von Berg dienen, die schwerpunktmäßig rechtsrheinisch zwischen Sieg und Ruhr begütert waren, aber auch am heutigen Niederrhein über Besitz verfügten.[52] Der erste Berger, der an einem Kreuzzug teilnahm, war Adolf, ältester Sohn seines gleichnamigen Vaters Adolf II. von Berg. Der jüngere Adolf (vor 1123-1148) nahm im Gefolge König Konrads am zweiten Kreuzzug teil, überlebte sogar das Fiasko von Doryläum, nur um dann vor den Toren der syrischen Metropole Damaskus erschlagen zu werden, „während er unablässig auf seine Feinde einhieb“[53], wie die Kölner Königschronik zu berichten weiß. Durch seinen Tod änderte sich die Erbfolge der Berger erheblich. Als um 1160 Adolf II. von Berg seine Grafschaft teilte und sich von den Regierungsgeschäften zurückzog, erhielt nun sein nächstgeborener Sohn Everhard die westfälischen Teile seiner Grafschaft, während sein Sohn Engelbert den rheinischen Teil der Grafschaft erhielt. Aus den Nachfahren Everhards erwuchsen später die Grafen von der Mark, während Engelbert die eigentliche bergische Hauptlinie weiterführte. Engelbert wollte dem geistlichen Verdienst seines älteren Bruders nicht nachstehen und nahm selbst am dritten Kreuzzug teil, doch auch ihn ereilte während des Zugs nach Jerusalem der Tod. Engelberts Söhne wiederum, sein Nachfolger Adolf III. von Berg und Engelbert, der später Erzbischof von Köln werden sollte, eiferten ihren älteren Verwandten nach und zogen 1211 im Rahmen des Albigenserkreuzzugs, der sich gegen die ketzerischen Katharer richtete, zunächst gemeinsam nach Südfrankreich. Wenige Jahre später machte sich Adolf III. auf nach Ägypten, um dort für die Sache des fünften Kreuzzugs zu kämpfen. Im Jahr 1218 ereilte auch ihn im Dienst für den Herrn der Tod. Da Adolf bis zu diesem Zeitpunkt keine männlichen Nachkommen gezeugt hatte, ging die Grafschaft Berg nach dem Tod seines Bruders, der sich die Grafschaft (widerrechtlich) angeeignet hatte und 1225 ermordet worden war[54], an Heinrich von Limburg, der mit der Erbtochter Adolfs III. verheiratet war. Damit war die ältere Linie der Grafen von Berg im Mannesstamm ausgestorben. So verdienstvoll der Tod auf dem Kreuzzug in Hinblick auf das persönliche Seelenheil der Teilnehmer auch gewesen sein mag, so katastrophal wirkte er sich auf den Fortbestand der bergischen Dynastie aus: ein Erbe und zwei amtierende Grafen ließen ihr Leben auf dem Kreuzzug, und die dynastischen Erschütterungen, die das kreuzzugsbedingte Aussterben der älteren Berger für die Region bedeutete, wirkten bis zur Schlacht bei Worringen im Jahr 1288 nach.
Schließlich bewirkte die Kreuzzugsbewegung in einem weiteren Bereich Veränderungen von erheblichem Ausmaß, nämlich im Bereich der Ordenslandschaft des Niederrheins. Die Niederrheinregion war im 12. Jahrhundert weitgehend dominiert von Benediktinerniederlassungen, regulierten und unregulierten Stiften beziehungsweise deren weiblichen Pendants sowie einigen wenigen Zisterzen. Diese geistlichen Institute spielten eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung der Kreuzzüge, konnten doch allein sie in relativ kurzer Zeit erhebliche Mengen Finanzmittel für die teuren Unternehmungen bereitstellen. Zurückkehrende Kreuzfahrer oder solche, die im Angesicht ihres Todes ihren letzten Willen auf dem Kreuzzug diktierten, beschenkten jedoch nicht mehr ausschließlich jene religiösen Gemeinschaften, die sie vor ihrem Aufbruch bedacht hatten. Sie waren im Heiligen Land in Kontakt mit neuen Frömmigkeitsformen geraten, allen voran mit den geistlichen Ritterorden. Templer, Johanniter und Deutscher Orden – um nur die größten dieser Ordensfamilie zu nennen – waren in der Folge der Kreuzzüge in Palästina entstanden und waren echte Kinder des Heiligen Landes. Sie verbanden in unterschiedlicher Gewichtung die zunächst unvereinbar erscheinenden Ideale des Ritters und des Mönchs beziehungsweise Kanonikers, doch lag genau darin ihre Attraktivität für den kreuzzugsaffinen, frommen Adel des Hochmittelalters. 1153, vier Jahre nach dem Scheitern des zweiten Kreuzzugs, wurde die Duisburger Marienkirche geweiht, die unter Führung der Johanniter errichtet worden war.[55] Dort entstand die erste Johanniterniederlassung im Reich. Viel bedeutsamer für die Umgestaltung der Ordenslandschaft am Niederrhein war aber die letzte urkundlich bezeugte Handlung des bereits erwähnten Adolf III., Graf von Berg. Im Jahr 1218 schenkte er für das Heil seiner Seele und der seiner Vorfahren dem jungen Deutschen Orden einen Hofkomplex bei Dieren, heute Ortsteil der Gemeinde Rheden in der niederländischen Provinz Gelderland.[56] Diese Schenkung ist aus zwei Gründen von besonderer Relevanz: Zum einen brachte sie den bisher vornehmlich in Süddeutschland begüterten Deutschen Orden an den Niederrhein, wo er in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Güter erwerben konnte und zu einem wichtigen Faktor innerhalb der religiösen Landschaft werden konnte. Zum anderen ist festzustellen, dass der bergische Graf in Ägypten etwas verschenkte, das ihm gar nicht gehörte. Dieren war ein Reichslehen, gehörte also formal dem König. Friedrich II. sah sich im Folgejahr allerdings genötigt, in diesem Fall seine Frömmigkeit zu demonstrieren und bestätigte die Schenkung Adolfs, ja er ging sogar darüber hinaus, indem er die grundsätzliche Erlaubnis erteilte, Reichslehen an den deutschen Orden zu verschenken.[57] Diese Urkunde wirkte für den Adel wie ein Signal, und der Graf von Jülich, der Graf von Loon und andere Große beschenkten in der Folge den Deutschen Orden reichlich.[58] Auffällig ist dabei, dass die meisten der Schenkenden in den Jahren zuvor als Kreuzfahrer belegt sind. Auf diese Weise gestalteten die Teilnehmer der Kreuzzüge die spirituelle Landschaft des Niederrheins um, und eine neue Frömmigkeitsform, nämlich die der palästinensischen Ritterorden, bereicherte fortan die hiesige Ordenswelt.
Bewohner der historischen Landschaft des Niederrheins – Große wie Gewöhnliche – lassen sich auf fast allen Kreuzzügen des hohen Mittelalters bis in die 1230er Jahre nachweisen, wobei der dritte und der fünfte Kreuzzug besonders zahlreiche Teilnehmer dieser Region aktivieren konnte. Dabei lassen sich im Vorfeld der Kreuzzüge häufig spezifische politische Zusammenhänge identifizieren, die eine Beteiligung entweder fördern oder hemmen konnten. Regionale Relationen übten also erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft der Bewohner des Niederrheins aus, die heimischen Gefilde für die zwar verdienstvolle, aber auch äußerst gefährliche Reise nach Palästina zu verlassen. Dabei beeinflussten diese Zusammenhänge nicht nur die Kreuzzugsbewegung, sondern diese wirkte auch auf die niederrheinische Gesellschaft zurück, sei es in den Besitzverhältnissen, der akuten Bedrohung jüdischen Lebens, der Beeinflussung dynastischer Konstellationen oder der nachhaltigen Veränderung der Frömmigkeit am Niederrhein.
Quellen
Kursiv = Kurzzitierweise
Alberici Aquensis Historia Ierosolimitana, ed. Susan B. Edgington, Oxford 2007, S. 2-4.
Gesta crucigerorum Rhenanorum, ed. Reinold Röhricht, in: Röhricht, Reinhard (Hg.), Quinti belli sacri scriptores minores, Genf 1879, Neudruck Osnabrück 1968, S. 27-56 (= Ex Historia Expeditionum in Terram Sanctam, ed. Georg Waitz = MGH SS rer. Germ. in us. scholarum 18, S. 339-348).
Haverkamp, Eva (Hg.), Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs (Hebräische Texte aus dem mittelalterlichen Deutschland, Band 1), Hannover 2005, S. 400-443.
Kölner Königschronik. Chronica regia Coloniensis (Annales Colonienses maximi), ed. Georg Waitz, Hannover 1880 (MGH SS rer. Germ. in us. scholarum 18), S. 1-196, cont. I, anno 1189.
Lacomblet, Theodor Josef (Bearb.), Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Band 2, Essen 1846.
Petrus de Ebulo – Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis, edd. Kölzer, Theo/Stähli, Marlis, Sigmaringen 1994.
Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band 2, bearb. v. Richard Knipping, Bonn 1901.
Urkundenbuch der Stadt Duisburg , Band 1, in Zusammenarbeit mit Joseph Milz berb. v. Werner Bergmann, Düsseldorf 1989.
Haverkamp, Eva (Hg.), Hebräische Berichte über
Wolters, Mathias Joseph (Bearb.), Codex diplomaticus Lossensis ou Recueil et analyse de chartes servant de preuves à l’histoire de l’ancien comté de Looz, Gent 1849.
Literatur
Andermann, Ulrich, Die Verschwörung gegen Engelbert I. von Köln am 7. November 1225 und ihre Folgen – Versuch einer rechtsgeschichtlichen Rekonstruktion und Bewertung, in: Leenen, Brunhilde (Hg.), AufRuhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen. Das Mittelalter an Rhein und Ruhr. Ausstellung „AufRuhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen“ im LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, 27. Februar bis 28. November 2010, Mainz 2010, S. 35-46.
Berner , Alexander, Kreuzzug und regionale Herrschaft: die älteren Grafen von Berg 1147-1225, Köln 2014.
Bird, Jessalynn L., Innocent III, Peter the Chanters Circle, and the Crusade Indulgence: Theory, Implementation, and Aftermath, in: Sommerlechner, Andrea (Hg.), Innocenzo III. Urbs et orbis; atti del congresso internazionale, Roma, 9 - 15 settembre 1998, Band 1, Rom 2003, S. 504-524.
Brall-Tuchel, Helmut/Reichert, Folker (Hg.), Rom – Jerusalem – Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496-1498), 3. Auflage, Köln [u.a.] 2009.
Cowdrey, Herbert E., Pope Urban II and the idea of crusade, in: Studi medievali Ser. 3, Band 36 (1995), S. 721-742.
Cowdrey, Herbert E., Pope Urban II's preaching of the First Crusade, in: History. The Journal of the Historical Association 55 (1970), S. 177-188.
van Eickels, Klaus, Otto IV. (1198-1218) und Philipp (1198-1208), in: Schneidmüller, Bernd/Weinfurter, Stefan (Hg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), München 2003, S. 273-292.
Finger, Heinz, Der gewaltsame Tod des Kölner Erzbischofs Engelbert und die Vorgeschichte, in: Leenen, Brunhilde (Hg.), AufRuhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen. Das Mittelalter an Rhein und Ruhr. Ausstellung „AufRuhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen“ im LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, 27. Februar bis 28. November 2010, Mainz 2010, S. 21-33.
Forey, Alan John, The Siege of Lisbon and the Second Crusade, in: Portuguese studies 20 (2004), S. 1-13.
Görich, Knut, Staufer, Zähringer und der Aufbruch Konrads III. zum Kreuzzug, in: Gesellschaft für staufische Geschichte e.V. (Hg.), Konrad III. (1138-1152). Herrscher und Reich, Göppingen 2011, S. 66-78.
Greven, Joseph, Die Kölnfahrt Bernhards von Clairvaux, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 120 (1932), S. 1-48.
Hechelhammer, Bodo, Kreuzzug und Herrschaft unter Friedrich II. Handlungsspielräume von Kreuzzugspolitik (1215-1230), Ostfildern 2004.
Herrmann, Jan-Christoph, Der Wendenkreuzzug von 1147, Frankfurt a. M. [u.a.] 2011.
Hoogeweg, Hermann, Der Kölner Domscholaster Oliver als Kreuzzugsprediger 1214-1217, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 7 (1888), S. 235-270.
Kelzenberg, Kathrin, Johann I. von Kleve pilgert ins Heilige Land. Die Pilgerreise und ihre politischen Kontexte, in: Halmanns, Gerd/Sturm, Beate (Hg.), Vorträge zum Karl-Heinz-Tekath-Förderpreis, Geldern 2014, S. 20-37.
Kedar, Benjamin Zeev, The passenger list of a crusader ship, 1250: towards the history of the popular element on the Seventh Crusade, in: Studi medievali Ser. 3, Band 13 (1972), S. 267-279.
Kempf, Damien/Bull, Marcus G. (Hg.), The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, Woodbridge 2013.
Kortüm, Hans-Henning, Der Pilgerzug von 1064/65 ins Heilige Land. Eine Studie über Orientalismuskonstruktionen im 11. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 561-592.
Kraus, Thomas R., Jülich, Aachen und das Reich. Studien zur Entstehung der Landesherrschaft der Grafen von Jülich bis zum Jahre 1328, Aachen 1987.
Kraus, Thomas R., Studien zur Frühgeschichte der Grafen von Kleve und der Entstehung der klevischen Landesherrschaft, in: Rheinische Vierteljahrsblätter (1982), S. 1-47.
Lothmann, Josef, Erzbischof Engelbert I. von Köln 1216-1225. Graf von Berg, Erzbischof und Herzog, Reichsverweser, Köln 1993.
Mayer, Hans Eberhard, Geschichte der Kreuzzüge, 10. Auflage, Stuttgart 2005.
MGH DD F II = Koch, Walter, u. a. (Bearb.), Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 14/3: Die Urkunden Friedrichs II. 1218-1220, Hannover 2010 (Monumenta Germaniae Historica. Diplomata Friderici II), Nr. 468.
Murray, Alan V., Finance and Logistics of the Crusade of Frederick Barbarossa, in: Shagrir, Iris [u.a.] (Hg.), In laudem Hierosolymitani: studies in crusades and medieval culture in honour of Benjamin Z. Kedar, Aldershot 2007, S. 357-368.
Nascimento, Aires (Hg.), A conquista de Lisboa aos mouros, Lissabon 2001, S. 54-173.
Naumann, Claudia, Der Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI., Frankfurt a. M. 1994.
Paul, Nicholas L., To follow in their footsteps: the Crusades and family memory in the high Middle Ages, Ithaca 2012.
Philipps, Jonathan P., The Second Crusade. Extending the Frontiers of Christendom, New Haven 2007.
Powell, James M., Anatomy of a crusade 1213-1221, Philadelphia 1986.
Riley-Smith, Jonathan, What were the crusades?, London 1977.
Röhricht, Reinhold, Die Deutschen im Heiligen Lande. Chronologisches Verzeichnis derjenigen Deutschen, welche als Jerusalempilger und Kreuzfahrer sicher nachzuweisen oder wahrscheinlich anzusehen sind (650-1291), Innsbruck 1894, Nachdruck Aalen 1968.
Runde, Ingo, Xanten im frühen und hohen Mittelalter: Sagentradition – Stiftsgeschichte – Stadtwerdung, Köln 2003.
Schiffer, Peter, Die Grafen von Geldern im Hochmittelalter (1085-1229). Ein Beitrag zur Geschichte des unteren Rheingebietes, Geldern 1988.
Schmandt, Raymond H., The Election and Assassination of Albert of Louvain, Bishop of Liège, 1191-92, in: Speculum 42 (1967), S. 639-660.
Schmugge, Ludwig, Zisterzienser, Kreuzzug und Heidenkrieg, in: Elm, Kaspar [u.a.] (Hg.), Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit. Eine Ausstellung des Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinisches Museumsamt, Brauweiler; Aachen, Krönungssaal des Rathauses 3. Juli-28. September 1980, Bonn 1980, S. 57-68.
Stehkämper, Hugo, Friedrich Barbarossa und die Stadt Köln. Ein Wirtschaftskrieg am Niederrhein, in: Vollrath, Hanna/Weinfurter, Stefan (Hg.), Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, Köln 1993, S. 367-414.
Stehkämper, Hugo, Über das Motiv der Thronstreit-Entscheidungen des Kölner Erzbischofs Adolf von Altena 1198-1205: Freiheit der fürstlichen Königswahl oder Aneignung des Mainzer Erstkurrechts?, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003), S. 1-20.
Tangl, Georgine, Studien zum Register Innocenz’ III., Weimar 1929, S. 88-97 [Druck Quia maior].
Watt, John A., The Crusades and the Persecution of the Jews, in: Linehan, Peter A. / Nelson, Janet L. (Hg.), The Medieval World, London 2003, S. 146-162.
Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm, Der Hoftag Jesu Christi 1188 in Mainz, Wiesbaden 1962.
Wollasch, Joachim, Cluny – „Licht der Welt“. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, 2. Auflage, Düsseldorf 2002,
Ziegler, Wolfram, König Konrad III. (1138-1152). Hof, Urkunden und Politik, Wien 2008.
Ziese, Jürgen, Wibert von Ravenna. Der Gegenpapst Clemens III. (1084-1100), Stuttgart 1982.
- 1: Kelzenberg, Johann I. von Kleve.
- 2: Brall-Tuchel/Reichert, Rom – Jerusalem – Santiago.
- 3: So wurde 2007 der Reisebericht Arnolds von Harff mit einer Ausstellung in Erkelenz gewürdigt.
- 4: Riley-Smith, What were the crusades, S. 27.
- 5: Zu diesem Aufruf grundlegend Cowdrey, Pope Urban II's preaching.
- 6: Kempf/Bull, Historia Iherosolimitana, S. 5.
- 7: Kempf/Bull, Historia Iherosolimitana, S. 6.
- 8: Cowdrey, Pope Urban II.
- 9: Kempf/Bull, Historia Iherosolimitana, S. 7.
- 10: Röhricht, Die Deutschen, S. 5.
- 11: Kortüm, Pilgerzug.
- 12: Kortüm, Pilgerzug.
- 13: Alberici Aquensis Historia Ierosolimitana, S. 2-4.
- 14: Vgl. Wollasch, Cluny, S. 192-193; Cowdrey, Pope Urban II's preaching.
- 15: Ziese, Wibert von Ravenna, S. 113-114.
- 16: Watt, The Crusades, S. 153-154.
- 17: Greven, Kölnfahrt.
- 18: Kraus, Jülich, Aachen und das Reich, S. 22.
- 19: Kraus, Studien, S. 12.
- 20: Vgl. zu dieser Kampagne Forey, The Siege of Lisbon.
- 21: Den ausführlichsten Bericht liefert der Bericht über die Eroberung Lissabons: De expugnatione Lyxbonensi, ed. Aires Nascimento, in: Nascimento, A conquista de Lisboa.
- 22: Görich, Staufer. Zum sogenannten Wendenkreuzzug vgl. Herrmann, Wendenkreuzzug, zu den Teilnehmern S. 131-132.
- 23: Ziegler, König Konrad III., S. 773-775.
- 24: Röhricht, Die Deutschen, S. 52-81.
- 25: Hauptquelle ist die Kölner Königschronik, S. 142-143.
- 26: Schmugge, Zisterzienser, S. 62.
- 27: Wentzlaff-Eggebert, Hoftag, S. 14.
- 28: Schiffer, Grafen von Geldern, S. 221-222.
- 29: Runde, Xanten, S. 438.
- 30: So Stehkämper, Friedrich Barbarossa.
- 31: Röhricht, Die Deutschen, S. 82-94.
- 32: Stehkämper, Thronstreit-Entscheidungen, S. 8-9.
- 33: Petrus de Ebulo, lib. III, cap. 53, v. 1657f., S. 241.
- 34: Schmandt, Election.
- 35: Bird, Innocent III.
- 36: van Eickels, Otto IV., S. 283.
- 37: Hoogeweg, Der Kölner Domscholaster Oliver, S. 242-243.
- 38: Quia maior, in: Tangl, Studien, S. 91-92.
- 39: Hauptquelle sind die Gesta crucigerorum Rhenanorum, ed. Reinold Röhricht.
- 40: Röhricht, Die Deutschen, S. 97-118.
- 41: Röhricht, Die Deutschen, S. 120-125.
- 42: Andermann, Verschwörung, S. 37.
- 43: Berner, Kreuzzug, S. 147-148; Lothmann, Erzbischof Engelbert I.
- 44: Kedar, passenger list, S. 274-275.
- 45: Murray, Finance and Logistics, S. 359.
- 46: Regesten der Erzbischöfe von Köln, Band 2, Nr. 1386.
- 47: Mayer, Kreuzzüge, S. 60-61.
- 48: Lacomblet, Urkundenbuch, Band 2, Nr. 67.
- 49: Darüber legen die hebräischen Berichte besonders eindringlich Zeugnis ab, Haverkamp, Hebräische Berichte.
- 50: Runde, Xanten, S. 355-356.
- 51: Dazu übergreifend Paul, To follow in their footsteps.
- 52: Zu den älteren Bergern als Kreuzfahrer siehe Berner, Kreuzzug, S. 185-299.
- 53: (Chronica regia Coloniensis) CrC, anno 1147, S. 83-84.
- 54: Finger, gewaltsame Tod.
- 55: Urkundenbuch der Stadt Duisburg, Band 1, Nr. 12.
- 56: Lacomblet, Urkundenbuch, Band 2, Nr. 72.
- 57: MGH DD F II 468.
- 58: Für die jülischen Grafen Lacomblet, Urkundenbuch, Band 2, Nr. 82 u. 132, für Loon z.B. Wolters, Codex diplomaticus Lossensis, Nr. 184.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Berner, Alexander, Die Kreuzzugsbewegung am Niederrhein 1096 - um 1230, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-kreuzzugsbewegung-am-niederrhein-1096---um-1230/DE-2086/lido/613f39b5a3e262.21920921 (abgerufen am 12.11.2024)