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Die Pfalzgrafschaft bei Rhein war ein Territorium des Alten Reichs, das im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 aufgelöst wurde. Ihre Ursprünge liegen im seit dem frühen Mittelalter nachweisbaren lothringischen Pfalzgrafenamt. Diese Würde wurde durch die fränkischen und römisch-deutschen Könige im Laufe der Jahrhunderte an verschiedene Geschlechter übertragen. Dabei lässt sich in der Zeit vom zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine sukzessive Verschiebung des durch unterschiedliche Rechtstitel und Ansprüche konstituierten Herrschaftsgebiets nach Süden verfolgen.
Unter den Ehrenfrieden/Ezzonen lag der Herrschaftsschwerpunkt im späten 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts am Niederrhein, vor allem im Zülpich-, Auel- und Bonngau am Nordrand der Eifel, um Klotten an der Mosel, aber auch um Alzey in Rheinhessen. Neben diesem vielfach allodialen Besitz kontrollierten die Pfalzgrafen weite Waldgebiete zwischen Rur und Maas, insbesondere die vom König zu Lehen genommene Waldgrafschaft. Diese Gebiete, sowie die Kontrolle über die Siegburg bei Bonn und die Tomburg bei Rheinbach, eröffneten ihnen Zugriff auf die zentralen Flüsse und Straßen zwischen Niederrhein und Mosel. Hinzu kamen Vogteien über verschiedene geistliche Institutionen wie das Damenstift Essen, das Benediktinerinnenkloster Vilich bei Bonn, die Männerklöster Cornelimünster (heute Stadt Aachen) und Maastricht sowie möglicherweise noch über Teile des Besitzes von St. Maximin bei Trier. Unter Ezzo wurde 1024 die Abtei Brauweiler errichtet, wo der Stifter mit seiner Gemahlin Mathilde (978/979-1025), einer Tochter Kaiser Ottos II. (Regierungszeit 973-983), begraben liegt. Sein Sohn Otto (gestorben 1047) hatte keine legitimen männlichen Nachkommen, weshalb nach seinem Tod und dem seiner in den geistlichen Stand getretenen Geschwister der Großteil der ezzonischen Besitzungen mit Brauweiler und der Tomburg an die Kölner Kirche fiel.
Nach dem Aussterben der auch in der Reichspolitik einflussreichen Ezzonen im Mannesstamm erhielt Ezzos Neffe Heinrich (gestorben nach 1060) aus der Linie der Hezeliniden als neuer Pfalzgraf unter anderem die Siegburg, Burg Cochem an der Mosel und Vogteirechte über den Klottener Forst und das Servatiuskloster in Maastricht. Im Konflikt mit dem Kölner Erzbischof Anno II. unterlag Heinrich bald und musste die Siegburg seinem Rivalen überlassen. Sein Sohn Hermann (gestorben 1085) suchte anders als sein Vater die Übereinkunft mit Anno und gab seine Positionen im Bonn- und Auelgau auf, bemühte sich jedoch darum, seine Stellung an der Mosel und nördlich von Köln zu konsolidieren.
Durch seinen Tod endete die Linie der hezelinidischen Pfalzgrafen. Verliehen wurde das Amt nun an Heinrich von Laach (um 1050-1095), einen vor allem in der Südeifel und im Mayengau begüterten Gefolgsmann Kaiser Heinrichs IV. (römisch-deutscher König 1056-1105, ab 1084 Kaiser). Durch die Heirat mit Adelheid (um 1055-1100), der Witwe Hermanns, erlangte er wahrscheinlich Besitz an der Mosel. Auch wenn er wohl zudem die Lehnshoheit über die Waldgrafschaft innehatte, die Güter der Pfalzgrafgrafen in Zülpich behielt und einzelne Herrschaftsrechte am Niederrhein behaupten konnte, lässt sich unter ihm doch eine sichtbare Verschiebung des pfalzgräflichen Machtzentrums in Richtung der Mosel feststellen. Ein deutlicher Indikator hierfür ist die Errichtung einer Benediktinerabtei in Laach. Unter seinem Nachfolger Siegfried (um 1075-1113) ist 1097 erstmals die Ausübung der Vogtei über das Trierer Erzstift nachweisbar.
Nach seinem Tod wechselte das Amt des Pfalzgrafen im 12. Jahrhundert mehrfach zwischen verschiedenen Geschlechtern, was zu einer weiteren sukzessiven Verschiebung der territorialen Machtbasis gen Süden führte, die jedoch keinesfalls planmäßig erfolgte. Gottfried von Calw (gestorben 1131), begütert im nördlichen Schwarzwald und am oberen Neckar, nutzte seine Vogteirechte über St. Maximin, um der Abtei Besitz in Rheinhessen zu entfremden. Konkurrenz erwuchs ihm durch den Sohn seines Vorgängers, Wilhelm (1112-1140), der ab 1126 ebenfalls als Pfalzgraf in den Quellen aufscheint und Gottfried nach dessen Ableben auch nachfolgte. Wilhelm, der auch erstmals als rheinischer Pfalzgraf (de Reno) bezeichnet wird, vollzog die Abkehr von der Abtei Laach als Memorialort und trat diese an das Erzbistum Köln ab. Stattdessen förderte er das Augustinerchorherrenstift in Springiersbach, wo er auch begraben liegt, und hielt sich bevorzugt in seiner Burg Cochem an der Mosel auf.
Der auf Wilhelm 1140 als Pfalzgraf nachfolgende Halbbruder König Konrads III. (1138-1152), Heinrich Jasomirgott (1107-1177), blieb nur eine kurze Episode, da er schon im darauffolgenden Jahr mit dem Herzogtum Bayern belehnt wurde. An seiner statt kam das Amt an einen weiteren Verwandten des Königs, an dessen Schwager Hermann von Stahleck (gestorben 1156). Zentrum seiner rheinischen Besitzungen war die vom Kölner Erzbischof zu Lehen genommene Burg Stahleck sowie das zu deren Füßen liegende Bacharach, das auch in den folgenden Jahrhunderten durch seine Zolleinnahmen von zentraler Bedeutung für die Pfalzgrafschaft sein sollte. Als letzter Pfalzgraf konnte sich Hermann in der Nähe des Laacher Sees halten. Am Mittelrhein gelang es ihm ebenfalls, seine Position zu behaupten. Die Burg Treis an der Mosel allerdings musste er 1148 dem Trierer Erzbischof überlassen. Darüber hinaus führte die Südausdehnung der pfalzgräflichen Besitzungen in die Gegend um Bingen und an der Nahe zu Auseinandersetzungen mit dem Mainzer Erzbischof.
Mit dem erbenlosen Tod Hermanns kam es zu einer weiteren Verlagerung des mit dem Pfalzgrafenamt verbundenen Machtbereichs. Der Staufer Konrad (1134/1136-1195), 1156 von seinem Halbbruder Friedrich I. Barbarossa (römisch-deutscher König 1152-1190, ab 1155 Kaiser) belehnt, behauptete die bereits durch seine Vorgänger herrschaftlich erschlossenen Gebiete am Rheinknie um Bingen sowie in Rheinhessen. Zudem gelang es ihm vor allem durch den Erwerb der Vogtei über das Kloster Lorsch an der Bergstraße und über das Wormser Hochstift sich am Oberrhein und unteren Neckar zu etablieren. Weitere nördlich allerdings erodierte seine Machtbasis. Versuche, 1161 durch eine Schwurgemeinschaft mit der Trierer Bürgergemeinde seine Stellung gegenüber dem Erzbischof zu konsolidieren, scheiterten.
Wohl schon unter Konrad dürfte auf dem Gebiet der heutigen Stadt Heidelberg ein Weiler unterhalb der alten Burg auf der Molkenkur entstanden sein. Mit dem Begräbnis des Staufers im Zisterzienserkloster Schönau im Odenwald 1195 wurde eine Grablegetradition begründet, die sich weit von den Anfängen der Pfalzgrafen an Niederrhein und Mosel entfernt hatte. Die wenigen noch verbliebenen Ansprüche nördlich von Bacharach gingen in den nächsten Jahrzehnten sukzessive verloren. Nachdem der Welfe Heinrich der Ältere (um 1173-1227) mit der Pfalzgrafschaft belehnt worden war, verzichtete er 1197 oder 1198 auf die Trierer Stadtvogtei, allerdings nicht auf die Hochstiftsvogtei, die wohl erst unter den Wittelsbachern aufgegeben wurde. Die noch durch Heinrich errichtete Burg Thurandt an der Mosel wurde als letzter pfalzgräflicher Stützpunkt außerhalb des neuen Herrschaftsbereichs 1248 an die Erzbistümer Trier und Köln abgetreten
Unter den seit 1214 mit der Pfalzgrafschaft belehnten Wittelsbachern standen die rheinischen Besitzungen von der Bedeutung her mehr als ein Jahrhundert hinter den bayerischen Stammlanden des Hauses zurück. Dabei war es allerdings der rheinische Pfalzgrafen- und nicht der bayerische Herzogstitel, der ihnen die Stellung im sich langsam ausbildenden Kreis der Kurfürsten sicherte. Der Hausvertrag von Pavia im Jahr 1329 schließlich besiegelte die Trennung in zwei Linien, deren Mitglieder aber unabhängig von ihrer tatsächlichen regionalen Machtbasis stets sowohl den Titel eines Pfalzgrafen bei Rhein als auch eines Herzogs von Bayern führten. Die Vereinbarung, die Kurstimme bei den römisch-deutschen Königswahlen alternierend zu führen, wurde schon durch die Goldene Bulle Karls IV. (römisch-deutscher König 1346-1378, ab 1355 Kaiser) von 1356 obsolet, in der dieses Vorrecht dem rheinischen Zweig der Wittelsbacher zugesprochen wurde. Terminologisch ist es erst ab diesem Zeitpunkt richtig, die Pfalzgrafschaft bei Rhein mit dem Begriff Kurpfalz zu bezeichnen.
Die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts sowie das 15. Jahrhundert sahen einen weiteren Aufstieg der Pfalzgrafschaft, der erst durch die Niederlage im Landshuter Erbfolgekrieg 1504/1505 ein jähes Ende fand. Gestützt vor allem auf die Einkünfte aus den Rheinzöllen, den Erwerb von Reichspfandschaften sowie durch die Intensivierung der Landesherrschaft gelang es den Wittelsbachern, ihre Machtbasis an Ober-, Mittelrhein und Neckar sowie in der Oberpfalz gegenüber regionalen Konkurrenten wie den Erzbischöfen von Mainz und den Markgrafen von Baden zu festigen. Während des Königtum Ruprechts III. (1400‒1410) wurde deutlich, dass die Pfalzgrafschaft mit der zentralen Residenz in Heidelberg, wo 1386 auch eine Universität gegründet wurde, die finanzielle und machtpolitische Bürde der römisch-deutschen Krone nicht auf Dauer tragen konnte. Die Aufteilung der pfalzgräflichen Gebiete unter den Söhnen Ruprechts 1410 führte unter anderem zur Entstehung der Linie Pfalz-Simmern, die ihren territorialen Schwerpunkt um Simmern im Hunsrück sowie um Meisenheim am Glan hatte und die mit Friedrich III. (1515-1576) nach dem Aussterben der Kurlinie in männlicher Folge 1559 auch das Weiterbestehen der pfälzischen Wittelsbacher sicherte.
Während des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit blieb die Kurpfalz im Reich einer der zentralen politischen Akteure, wobei der territoriale Schwerpunkt mit Ausnahme eines Intermezzos der vor allem in Düsseldorf residierenden Kurfürsten aus der Linie Pfalz-Neuburg (1685‒1742) in den Besitzungen an Mittel-, Oberrhein und Neckar lag. Das Aussterben der bayerischen Wittelsbacher im Mannesstamm 1777 führte zur Verlegung der mittlerweile in Mannheim befindlichen Hofhaltung nach München. Die rechtsrheinischen Besitzungen der durch die französischen Eroberungen in den Revolutions- und Koalitionskriegen bereits stark zusammengeschrumpften Kurpfalz gingen 1803 vor allem an Hessen und Baden.
Quellen
Schaab, Meinrad (Hg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156‒1505, Stuttgart 1998.
Literatur
Gerstner, Ruth, Die Geschichte der lothringischen und rheinischen Pfalzgrafschaft von ihren Anfängen bis zur Ausbildung des Kurterritoriums Pfalz, Bonn 1941.
Lewald, Ursula, Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 120–168.
Müsegades, Benjamin, Artikel Kurpfalz: Politische Geschichte, in: Historisches Lexikon Bayerns (historisches-lexikon-bayerns.de).
Peltzer, Jörg [u.a.] (Hg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, Regensburg 2013.
Schaab, Meinrad, Geschichte der Kurpfalz, 2 Bände, Stuttgart 1988‒1992 (Band 1, 2. Auflage 1999).
Wagner, Willi, Die Wittelsbacher der Linie Pfalz-Simmern. Ihre Vorfahren, ihre Familien, ihre Grabdenkmäler, Simmern 2003.
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Müsegades, Benjamin, Kurpfalz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Orte-und-Raeume/kurpfalz/DE-2086/lido/5f8560ab014af3.82983125 (abgerufen am 05.12.2024)